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Kapitel 1

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Ihre Haut erinnerte Heinz an eine Dokumentation, die er vor langer Zeit über den Mars gesehen hatte. Er hatte sich zwar nie sonderlich für Weltraumforschung interessiert, allerdings hatten die Bilder der roten, zerfurchten Landschaft eine merkwürdige Faszination auf ihn ausgeübt. Untermalt von der reißerischen Stimme des Sprechers, umwehte die scheinbar leblose Oberfläche unseres Nachbarplaneten etwas Geheimnisvolles, das Heinz tief an einer bis dahin unbekannten Stelle kitzelte. Etwas in ihm weckte. Einen Hauch von Entdeckerlust. Unentdeckte Welten. Die malerischen Aufnahmen der endlosen, roten Sandebenen weckten in ihm den unwiderstehlichen Drang, den Fesseln seiner planetaren Existenz zu entkommen. Frei zu sein. Abenteuer zu erleben.

Doch leider fühlte er in diesem Moment weder Abenteuerlust, noch irgendeine Form der Erregung, auch wenn sich vor ihm eine unentdeckte Welt in weiblicher Form räkelte. Er verspürte nichts von dem, was er in einer solchen Situation eigentlich spüren sollte. Mit einem undefinierbaren Magengrummeln, das ihn verdächtig an Ekel erinnerte, starrte er auf die faltige Oberfläche, die sich schier endlos über ihren unförmigen Bauch und ihre hängenden Brüste spannte, und ihn auf so erschreckende Art und Weise an die rote Marsoberfläche erinnerte. Zerfurcht, leicht verbrannt, gezeichnet von Meteoriteneinschlägen und Sandstürmen, ein öder Felsbrocken in den Weiten des Weltalls, bar jedes Lebens.

Abrupt richtete er sich auf und schwang seine Beine über die Bettkante. „Was ist?“, fragte sie mit dieser brüchigen Stimme, die ihm jedes Mal die Gänsehaut über den Rücken trieb. „Alles in Ordnung?“

Er starrte auf seine Füße, als er antwortete, ohne einen Blick über die Schulter zu werfen. Auch sie waren alt und runzelig, gesprenkelt von ersten braunen Altersflecken. Aber sie waren immer noch angenehmer anzuschauen als ihr faltiger Schnabel, der unablässig plapperte wie ein neurotischer Papagei. „Es ist nichts“, sagte er und schüttelte den Kopf. Es fiel ihm inzwischen leicht, sie anzulügen, immerhin hatte er die größte Lüge sich selbst erzählt. Er hatte versucht, sich einzureden, einfach mit seinem Leben fortfahren zu können, auch ohne Hilde. Doch langsam dämmerte es ihm, wie falsch er damit gelegen hatte. Es gab kein Leben nach Hilde, jedenfalls keines mit einer anderen Frau. Dabei hatte er es versucht, o ja, wirklich versucht. Doch ihre alte Haut, die vielen Falten, die krächzende Stimme, all das verursachte ihm Übelkeit. Irgendwann zwischen der Heirat mit Hilde und ihrem Tod war auch er alt geworden. Und dummerweise die Frauen, die er kannte, ebenfalls. Alt und faltig. Und sie rochen komisch. Ein unterschwelliger Geruch, den auch der strenge Duft des Altdamenparfums nicht überdecken konnte. Ein Vorgeschmack auf den Tod. Eine Vorstufe der Verwesung.

Er seufzte. Bei Hilde hatte ihn all das nicht gestört. Dabei hatte sie ihn tagein, tagaus in den Wahnsinn getrieben. Ihr Gezeter. Die strenge Frisur. Ihre altmodischen Klamotten. Tief im Inneren seines Herzens hatte er immer vermutet, ohne sie besser dran zu sein. Doch nachts, wenn sie leise schnarchend neben ihm gelegen hatte, hatte sich die Welt im Lot befunden. Dann waren ihre Falten nicht abstoßend; sie gehörten zu ihr dazu, so wie ihre nervige grelle Stimme, die ihm nur Frieden schenken konnte, wenn sie schlief.

Wie konnte es sein, dass etwas, das ihn sein ganzes Leben bis zur Weißglut gereizt hatte, plötzlich so fehlen konnte? Wie konnte es sein, dass ihn sein Alter und das Alter anderer Frauen so abstießen, während in seiner Ehe mit Hilde ihr beider Alter sich derartig richtig angefühlt hatte? Wie sollte er eine normale Beziehung führen können, wenn alles an den alten Frauen ihn einfach anekelte?

Er zuckte zusammen, als ein paar faltige Finger über seinen Rücken fuhren. Angewidert biss er die Zähne zusammen. „Komm zurück ins Bett“, säuselte sie ungefähr so sexy wie ein quietschendes Stück Kreide an der Tafel. Ihre Hand klopfte auffordernd auf die zerwühlten Laken. Der Drang, dieser Situation entkommen zu müssen, wurde immer stärker. Was hatte er sich dabei nur gedacht? Er sprang auf. Er griff nach seiner Hose, die er entgegen jeder Leidenschaft sorgfältig gefaltet auf dem Stuhl neben dem Bett abgelegt hatte. „Verdammt, ich habe meinen Herd angelassen“, murmelte er die erstbeste Ausrede in seinen weißen Bart, die ihm auf die Schnelle einfallen wollte. „Ich muss weg.“

„So?“, krächzte sie. Die Enttäuschung in ihrer Stimme war nicht zu überhören. „Wann sehen wir uns wieder?“

„Ich ruf dich an!“, versprach er. Er machte sich nicht die Mühe, sein Hemd ebenfalls anzuziehen. Er schnappte sich das knittrige Kleidungsstück und war schon längst aus der Tür, als ihr Protest leise im Schlafzimmer verhallte.

Der Sommer Seines Lebens 2.0

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