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II. Forschungsgeschichte
ОглавлениеForschungsdebatten
Geschichtsschreibung bedeutet stets eine Deutung der Vergangenheit aus der Gegenwart heraus. Diese an sich banale Feststellung hat gerade für die antike Wirtschaftsgeschichte Konsequenzen, da die zeitbedingten Sichtweisen und Konzeptionen und die später zur Anwendung kommenden Modelle zu einigen, teils sehr heftigen Kontroversen in der Forschung geführt haben. Diese Kontroversen werden als ,Jahrhundertdebatte‘ bezeichnet; auf diese wurde implizit oder explizit in den meisten Publikationen Bezug genommen. Jede Beschäftigung mit der antiken Wirtschaftsgeschichte setzt demzufolge die Kenntnis der Forschungsgeschichte voraus, ohne die ein angemessenes Verständnis der jeweiligen Sekundärliteratur schlicht unmöglich ist. Die bislang geäußerten Positionen mit ihren zeitgenössischen Gebundenheiten und den zur Anwendung kommenden Interpretationsmodellen und den individuellen Grundannahmen leisten einen wesentlichen und unverzichtbaren Beitrag für den Wissenschaftler, der sich mit wirtschaftsgeschichtlichen Fragen beschäftigt. Nur in der Auseinandersetzung mit der Forschungsgeschichte, den jeweiligen Grundannahmen beziehungsweise den für die Analyse wirtschaftlicher Begebenheiten in der Antike angewandten Modellen, die sich teilweise erheblich voneinander unterscheiden, kann man zu eigenen Positionen gelangen und die eigenen Grundannahmen kritisch hinterfragen beziehungsweise sich derselben bewusst werden. Möglicherweise führt die Beschäftigung mit der älteren Forschung auch dazu, sich bewusst gänzlich anderen Modellen – die beispielsweise aus den Nachbardisziplinen stammen – zuzuwenden, um sie auf antike Gegebenheiten zu übertragen. Die antike Wirtschaftsgeschichte wird dabei selbstverständlich nicht im luftleeren Raum betrieben, sondern folgt grundsätzlich in ihren Fragestellungen und in der Anwendung von theoretischen Modellen den Tendenzen der historischen beziehungsweise althistorischen Forschung.
Forschung im 18. und 19. Jh.
Den Beginn deutschsprachiger wirtschaftsgeschichtlicher Forschung zum Altertum markiert die mehrbändige 1793 – 1796 veröffentlichte Arbeit von ARNOLD HERMANN LUDWIG HEEREN, der eine Gesamtdarstellung der Alten Welt vorlegte, sich dabei insbesondere auf Altvorderasien und Griechenland konzentrierte und dabei bemerkenswerterweise die römische Welt aussparte. 1817 legte AUGUST BOECKH eine Arbeit zur Staatshaushaltung Athens vor. Erst im Jahr 1869 folgte eine weitere Monographie zur Wirtschaftsgeschichte aus der Feder von BERNHARD BÜCHSENSCHÜTZ, die das archaische und klassische Griechenland in den Mittelpunkt stellte. Die früh zu beobachtende Fokussierung auf die griechische Welt in der deutschsprachigen Forschung ist mit der allgemeinen Griechenbegeisterung dieser Zeit zu erklären, in der man sich als Deutscher den Griechen wesensverwandt und vergleichbaren Zeitläuften ausgesetzt fühlte.
Bücher-Meyer-Kontroverse
Im Jahr 1893 legte dann der Ökonom KARL BÜCHER eine Arbeit zur Entstehung der Volkswirtschaft vor und charakterisierte die antike Wirtschaft als eine geschlossene Hauswirtschaft, die von einer „mittelalterlichen Stadtwirtschaft“ und von der modernen Volkswirtschaft abzuheben sei. Sein Standpunkt, der nicht nur den deutlichen Unterschied zwischen der antiken Wirtschaft und der Wirtschaft seiner Zeit herausstellte, sondern auch die ,Primitivität‘ der antiken Wirtschaft betonte, führte zu einer harschen Reaktion in der altertumswissenschaftlichen Fachwelt, der EDUARD MEYER 1895 deutlichen Ausdruck verlieh. Im Gegensatz zu BÜCHER betonte MEYER die ,Modernität‘ der antiken Wirtschaft. Damit war die ,Bücher-Meyer-Kontroverse‘ geboren, die in einen größeren Forschungsstreit mündete, der zwischen den sogenannten ,Primitivisten‘ und den ,Modernisten‘ ausgefochten wurde. Diese intensiv geführte Debatte, die in der Forschung auch als die ,Jahrhundert-Debatte‘ bezeichnet wird, gab mehrmals dazu Anlass, die Erforschung der antiken Wirtschaft als ein „akademisches Schlachtfeld“ zu bezeichnen.
Modernisten vs. Primitivisten
Der jeweilige Standpunkt, den die Kämpfer auf diesem Schlachtfeld einnahmen, hing nicht zuletzt von dem Forschungsgegenstand und von der Quellengattung ab, mit denen sich die Forschenden insbesondere beschäftigten. Bezeichnenderweise nahm etwa ULRICH WILCKEN bereits 1899 Partei für MEYER. Als Begründer der Papyrologie in Deutschland und aufgrund seiner immensen Vertrautheit mit den Urkunden aus dem ptolemäischen und römischen Ägypten fiel es ihm schwer, eine primitivistische Sicht der Dinge zu entwickeln. Der ,Modernismus‘ gewann Boden durch die Arbeiten des russischen Althistorikers MICHAIL IWANOWITSCH ROSTOVTZEFF, der ohne jeden Zweifel als eine herausragende Forscherpersönlichkeit auf dem Gebiet der antiken Wirtschafts- und Sozialgeschichte zu gelten hat. ROSTOVTZEFF , der aufgrund der russischen Revolution eine sehr bewegte Vita mit Stationen in England und in den USA hatte, machte intensiven Gebrauch von allen Quellengattungen abseits von denjenigen, die bis dahin im Vordergrund der Betrachtung von der antiken Wirtschaft gestanden hatten. So machte er insbesondere Inschriften, Papyri, Münzen und archäologische Funde und Befunde zur Grundlage seiner Deutung. Unter seinen zahlreichen Arbeiten ragen insbesondere zwei Werke hervor: Seine 1926 erstmals publizierte Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Römischen Reiches, die 1957 in zweiter Auflage erschien und Übersetzungen in das Deutsche und das Italienische erfuhr, sowie seine desgleichen in andere Sprachen übersetzte Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der hellenistischen Welt. Auch wenn seine Sichtweisen nach dem heutigen Stand der Forschung gewiss in zahlreichen Punkten zu modifizieren beziehungsweise gänzlich neu zu bewerten sind, bleiben diese beiden Monographien hinsichtlich der Fülle der verarbeiteten Quellen und Forschungsliteratur sowie hinsichtlich der angestrebten Vollständigkeit der Darstellung bis heute unerreicht. MICHAIL IWANOWITSCH ROSTOVTZEFF sah sowohl in der hellenistischen als auch der römischen Welt einen von einer Bourgeoisie getragenen Kapitalismus am Werke, der eine immense Entwicklung von Handel, ,Industrie‘ und Agrarwirtschaft erlaubte.
Einen primitivistischen Standpunkt vertrat hingegen JOHANNES HASEBROEK in seiner 1928 veröffentlichten Arbeit zu Staat und Handel in Griechenland. Seine Ansichten sind dabei deutlich von den Positionen des Soziologen MAX WEBER beeinflusst. HASEBROEK betonte die grundlegende Andersartigkeit zwischen der griechischen Welt bis zum Hellenismus und den modernen Nationalstaaten; vor allem unterstrich er das Fehlen einer staatlichen Wirtschaftspolitik. Im Sinne MAX WEBERS unterschied er den homo politicus der griechischen Welt deutlich vom homo oeconomicus in Mittelalter und Neuzeit.
Neue methodische Ansätze
Unbehagen in Hinblick auf die Etikettierungen ,Modernismus‘ und ,Primitivismus‘ führte offenkundig den Amerikaner TENNEY FRANK zu einer gänzlich anderen Herangehensweise. Im Rahmen eines schließlich sechs Bände umfassenden Surveys der Wirtschaft der Römischen Republik und des Römischen Kaiserreichs, den er zwischen 1933 und 1940 herausgab, suchte er die Wirtschaft der betreffenden Zeit ohne Theoretisierungen zunächst einmal unter Berücksichtigung aller Quellengattungen zu erfassen. Der Diskussion um eine etwaige Modernität oder Primitivität der Wirtschaft entzog er sich auf diese Weise. Völlig außerhalb der Jahrhundert-Debatte stand ferner der Gießener Althistoriker FRITZ MORITZ HEICHELHEIM, der 1938 eine Gesamtdarstellung der antiken Wirtschaft vorlegte. HEICHELHEIM, der von den Nationalsozialisten zur Emigration gezwungen worden war, ging in methodischer Hinsicht gänzlich neue Wege, indem er für seine Analyse das Instrumentarium der Nationalökonomie anwandte und sich daher der , Wirtschaftsstile‘ als Grundlage seiner Analyse bediente. Alle von ihm benutzten Kategorien von Wirtschaftsstilen (Hauswirtschaft, Stadtwirtschaft, Landschaftswirtschaft, Volkswirtschaft) sah er in der Antike als verwirklicht an. Der Arbeit HEICHELHEIMS, die in den 1950er und 1960er Jahren auch in das Englische übertragen wurde, war in der altertumskundlichen Forschung keine große Wirkung beschieden. Allerdings kam der Wirtschaftsstil als Analysegrundlage für historische Gesellschaften in den Wirtschaftswissenschaften insbesondere durch die Forschungen von BERTRAM SCHEFOLD in den 1990er Jahren beziehungsweise zu Beginn dieses Jahrhunderts wieder zu Ehren.
Neo-Primitivismus
Ende der 1960er und zu Beginn der 1970er Jahre wurde wieder verstärkt auf den ,Primitivismus‘ zurückgegriffen, der als ,Neo-Primitivismus‘ beziehungsweise als ,Cambridger Schule‘ bis zum Ende des 20. Jahrhunderts für weite Teile der Altertumswissenschaften zur (explizit so verstandenen) Orthodoxie wurde. Von der Wirtschaftsgeschichte aus drang diese explizite oder implizite Grundannahme auch in andere Bereiche der altertumskundlichen Forschung vor. Es waren die Arbeiten von ARNOLD HUGH MARTIN JONES zur Spätantike, insbesondere aber die von MOSES I. FINLEY, den man als einen der einflussreichsten Altertumswissenschaftler des 20. Jahrhunderts bezeichnen darf, die den ,Neo-Primitivismus‘ zu einer neuen Orthodoxie werden ließen. Seine Positionen entwickelte er insbesondere unter dem Einfluss der Arbeiten des schon genannten MAX WEBER sowie des ungaro-amerikanischen Historikers und Anthropologen KARL POLANYI. Besonders einflussreich wurde wiederum die 1973 erstmals veröffentlichte, im Jahr 1985 in zweiter, erweiterter Auflage erschienene Ancient Economy, die zahlreiche Übersetzungen erfuhr. Grundlegende Positionen FINLEYS waren: Das Nichtvorhandensein der Wirtschaft als eigenständiger Bereich der Gesellschaft und die Beschränkung der Oberschichten auf das Eigentum von Land. Ferner die geringe Bedeutung des Handels insbesondere über den Landweg, der in der Hand von sozial inferioren Individuen gewesen sei. FINLEY geht außerdem von der Fundamentalität der Sklavenarbeit aus. Er konstatiert das Fehlen eines Konzeptes von Arbeit als sozialer Funktion, das Nichtvorhandensein technologischen Fortschritts, fehlende Marktorientierung und Vorherrschen von Subsistenzwirtschaft. Die Dominanz sozialer gegenüber ökonomischen Erwägungen beim Treffen wirtschaftlicher Entscheidungen, das Vorherrschen einer nicht produktiven, ausschließlich erwerbsorientierten Mentalität sowie schließlich das Fehlen von Wirtschaftspolitik gehören ebenfalls zu FINLEYS Thesen. Seine Positionen, die er auf die griechische und die römische Welt anwandte, hatte FINLEY insbesondere durch Spezialuntersuchungen zur griechischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte der vorhellenistischen Welt entwickelt, in deren Fokus wiederum insbesondere die literarischen Quellen standen. In seinem Gefolge suchte RICHARD DUNCAN-JONES zu Beginn der 1970er Jahre die Primitiviät der Wirtschaft des Römischen Reiches, die er mit der eines Entwicklungslandes verglich, mit quantitativen Analysen auch auf der Grundlage inschriftlicher und papyrologischer Zeugnisse nachzuweisen. FINLEYS Positionen machte sich in weiten Teilen auch THOMAS PEKÁRY in seiner 1976 publizierten Überblicksdarstellung zur antiken Wirtschaft zu eigen. PEKÁRY modifizierte dabei jedoch die Positionen FINLEYS insofern, als er das Fehlen einer einheitlichen antiken Wirtschaftsstruktur betonte und sich gegen das Anwenden vorgefertigter Modelle auf noch gar nicht diesbezüglich aufgearbeitetes Quellenmaterial wandte. Auch der italienische Gelehrte FRANCESCO DE MARTINO warnte in seiner 1979 erschienenen, später ins Deutsche übertragenen Wirtschaftsgeschichte des alten Roms vor einem rigiden Schematismus und formulierte Positionen jenseits von Primitivisten und Modernisten.
Neue Wege der Forschung
Die intensive Beschäftigung mit der epigraphischen Überlieferung führte dann in der Mitte der 1990er Jahre HARRY PLEKET zu einer kontroversen Auseinandersetzung mit dem Neo-Primitivismus. Ausgehend von der Beobachtung, dass die Vertreter des Primitivismus vor allem zeigten, was die antike Wirtschaft nicht sei, ging PLEKET im Rahmen seiner Abhandlung der römischen Wirtschaftsgeschichte einen neuen methodischen Weg, indem er diese mit der Wirtschaft anderer vormoderner Gesellschaften, insbesondere mit der frühneuzeitlichen Gesellschaft Europas verglich. Wenig später legte HANS KLOFT einen Überblick zur antiken Wirtschaftsgeschichte vor. Er begann ebenfalls von den Positionen FINLEYS abzurücken, indem er im Gegensatz zu den Neo-Primitivisten die Wirtschaft beziehungsweise Teilbereiche derselben in der Antike als bekanntes Konzept betrachtete. Ferner richtete er sein Augenmerk auf die Interdependenzen zwischen der Wirtschaft und den anderen Bereichen der antiken Lebenswelt, die er als ,Potenzen‘ definierte. Zu diesen Potenzen rechnete er den Raum, Bevölkerung, Technik, Staat und Recht, Religion, Kultur und Mentalität.
Substantivisten/ Formalisten
Insgesamt betrachtet wurden seit den 1990er Jahren – um im Bild des akdemischen Schlachtfelds zu bleiben – vermehrt Angriffe auf primitivistische Grundpositionen geführt. Zudem wurden in der Forschung nuanciertere Sichtweisen formuliert und man begann, von der unseligen ,Primitvismus‘-,Modernismus‘-Debatte abzurücken, obgleich deutlich primitivistische Sichtweisen weiterhin ihre Befürworter fanden. HERBERT GRAßL betrachtete die antike, insbesondere aber die reichsrömische Wirtschaft in einem im Jahr 2004 erschienenen Aufsatz als Marktwirtschaft. Insbesondere die Wirtschaft des Imperium Romanum wurde von anderen Forschern durchaus wieder als (prae-)kapitalistisch beziehungsweise gar als ,protoindustriell‘ charakterisiert. Da aber diejenigen, die die primitivistische Sicht der Dinge nicht teilten, nicht als ,Modernisten‘ betrachtet werden konnten, wuchs offenkundig das Bedürnis in der Forschung, die Positionen um den Charakter der antiken Wirtschaft(en) neu zu etikettieren. Dies nahm dann Ende der 1990er Jahre PAUL CARTLEDGE vor, der die Positionen in dieser Forschungskontroverse nunmehr unter den Bezeichnungen ,Substantivisten‘ und ,Formalisten‘ subsumierte. Die ,Substantivisten‘, die sich dem Gegenstand auf erkenntnistheoretischer Ebene näherten, träten dabei das Erbe der Primitivisten an, während die ,Formalisten‘ das begriffliche Instrumentarium der modernen Wirtschaftswissenschaften auf die antike Wirtschaft anzuwenden trachteten.
Neue Institutionenökonomik
Formalistische Annäherungen an die antike Wirtschaft dominieren in der neueren Zeit. Gleichwohl hatte bereits in den 1980er Jahren der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler MORRIS SILVER insbesondere die Anwendung der Transaktionskosten-Theorie auf antike Gegebenheiten in Altvorderasien, dann aber auch in der mediterranen Welt in den Mittelpunkt seines Schaffens gestellt.
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Transaktionskosten-Theorie
Die Transaktionskosten-Theorie oder Transaktionskostenökonomik ist Bestandteil der Neuen Institutionenökonomik. Sie beleuchtet hauptsächlich die Effizienz von Institutionen (siehe dazu unten) bei der Abwicklung von Geschäften. Sie widmet sich insbesondere den Kosten, die bei der Anbahnung eines Geschäftes entstehen. Hierzu zählen Informationen über Käufer, Preise und über die Qualität von Ware, die beschafft werden muss. Nach erfolgter Transaktion entstehen wiederum Kosten bei der Kontrolle über die Einhaltung der bei der Geschäftsanbahnung ausgehandelten Bedingungen. Grundannahme der Transaktionskosten-Theorie ist das allen Individuen innewohnende Bestreben, die Transaktionskosten zu minimieren, welches aber gleichzeitig nur in begrenztem Umfang rationalen Handlungsmustern verpflichtet ist. Eine wesentliche Rolle spielen also Institutionen, die im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Neuen Institutuionenökonomik stehen. Unter den Institutionen sind Regeln menschlichen Verhaltens zu verstehen, die das Zusammenleben einer Gesellschaft überhaupt erst ermöglichen und damit auch das Regelwerk für das wirtschaftliche Leben in diesen bilden. Institutionen können durch Gesetze oder andere formale Regeln definiert werden, können aber auch in Traditionen und Sitten bestehen. Ohne diese Regeln und Gesetze wäre etwa der Gebrauch von Geld nicht denkbar. Die Neue Institutionenökonomik stellt die Analyse der Einflüsse von Institutionen auf das Wirtschaftsleben und ihren Wandel in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und ist daher auch besonders geeignet für die Untersuchung historischer Gesellschaften und ihrer Wirtschaft. Demgegenüber stellt die Neoklassik die Verteilung von Gütern auf den Konsumenten und die bestmögliche Bedürfnisbefriedigung in den Mittelpunkt. Besondere Bedeutung hat dabei der Mechanismus von Angebot und Nachfrage. Die Neoklassik ist die Nachfahrin der klassischen Lehre, die das wirtschaftliche Handeln des Individuums in den Mittelpunkt stellt. Dieses wiederum basiert in der Hauptsache auf dem Eigennutz desselben. Gesellschaftlicher Nutzen kann in dieser Sicht der Dinge nur durch Konkurrenz erreicht werden. Wesentlich sind Produktion und Angebot, nicht aber Konsum und Nachfrage. (nach Gablers Wirtschaftslexikon)
Diese Theorie erfreut sich in der aktuellen Forschung großer Beliebtheit. Gleiches gilt für die Neue Institutionenökonomik, zu der die Transaktionskostenökonomik zu rechnen ist, und – in weit geringerem Maße – auch die neoklassische und klassische Position. Dementsprechend wurde in der jüngst erschienenen Cambridge Economic History of the Greco-Roman World auch ein dezidiert formalistischer Ansatz gewählt. Gleiches gilt auch für die grundlegende Arbeit zur Wirtschaft der griechischen Polis-Welt von ALAIN BRESSON, der einen brillanten Überblick zu diesem Thema liefert.
Andere aktuelle theoretische Ansätze
Die Neue Institutionenökonomik hat zur Zeit also die meisten Anhänger. Gleichwohl wird dieselbe nicht als eine neue Orthodoxie betrachtet, sondern sie ist ein theoretischer Ansatz, der Analysemodelle für die antike Wirtschaft liefert, und zwar auf einer möglichst breiten Quellengrundlage unter idealerweise gleichberechtigter Miteinbeziehung aller Überlieferungsstränge. Darüber hinaus wurden jüngst auch andere theoretische und methodische Ansätze an die antike Wirtschaftsgeschichte herangetragen. PEREGRINE HORDEN und NICHOLAS PURCELL unterstrichen in einer großen Monographie die Fragmentierung der mediterranen Welt in kleine und kleinste räumliche Einheiten und betonten dementsprechend die Wichtigkeit der ,Konnektivität‘, die diesen Einheiten zu eigen war und die eine wesentliche Bedingung für deren Ökonomie gewesen sei. Leitfaden der Analyse war hier das Ausmaß, in dem Orte durch Verkehrslinien verbunden sind. ULRICH FELLMETH suchte die aus der Geographie stammende Standortfaktorentheorie für die römische Wirtschaftsgeschichte fruchtbar zu machen. Demgegenüber trachtete PETER FIBIGER BANG neue Wege zu gehen, indem er im Rahmen der vergleichend arbeitenden ,cross over history‘ die Wirtschaft des Römischen Reiches mit derjenigen Indiens unter den Mogulen verglich. Schließlich suchen ALAN BOWMAN, ANDREW WILSON und andere die Performanz der Wirtschaft des Römischen Reiches durch die Anwendung von quantifizierenden Methoden zu erfassen. Generell ist ein starkes Wiedererwachen des Interesses an der antiken Wirtschaftsgeschichte in den letzten Jahren zu beobachten, das wohl nicht zuletzt durch die Irrungen und Wirrungen der gegenwärtigen Zeitläufte bedingt ist.
Pluralität des Zugangs
Die scharfe Debatte um den Charakter der antiken Wirtschaft zwischen zwei Denkschulen scheint damit der Vergangenheit anzugehören. Ganz im Gegenteil ist momentan eine Pluralität des Zugangs zu dieser faszinierenden Materie zu konstatieren. Jeder Beitrag liefert wichtige Einsichten und Erkenntnisse und gibt damit jedem einzelnen Forschenden Anlass, seine eigenen Positionen im Lichte solcher Erkenntnisse zu überdenken und sich gegebenenfalls neu zu positionieren. Ferner ist im Gegensatz zu der älteren, vor allem primitivistisch orientierten Forschung der Grundkonsens erkennbar, die antike Wirtschaft nicht als monolithische Entität insgesamt charakterisieren zu wollen, sondern epochenspezifisch innerhalb der alten Welt zu arbeiten und dabei insbesondere auch regional und zeitlich unterschiedliche Konjunkturen in den Epochen zu verorten. So geht man etwa in der zeitgenössischen Forschung selbstverständlich davon aus, dass einzelne Zeitabschnitte der Antike ein wirtschaftliches Wachstum sahen, ein Sachverhalt, der noch von der primitivistischen Orthodoxie auf das nachhaltigste bestritten worden war. Auch ist man sich einig, möglichst alle Stränge der Überlieferung in die eigenen Überlegungen miteinzubeziehen. Dies gilt umso mehr, als sich die zur Verfügung stehende Quellenbasis dank der stetigen Neupublikation von inschriftlichem, papyrologischem, archäologischem und numismatischem Material ständig verbreitert. Darüber hinaus eröffnen sich durch die Heranziehung naturwissenschaftlicher sowie forensischer Methoden – etwa in Gestalt von Pollenanalysen, petrographischen und metallurgischen Untersuchungen, Archäometrie, anthropologischen und pathologischen Untersuchungen an menschlichen Überresten, Daktyloskopie und anderem mehr – stetig neue Aussagemöglichkeiten.