Читать книгу Briefe an Santa Claus - Kaitlin Spencer - Страница 4

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Kapitel 2

»Santa.«

Eine Stimme tönte durch den Flur.

»Santa!« Und sie wurde energischer.

Kris blieb stehen und drehte sich um. Gelegentlich irritierte es ihn noch, mit Santa angesprochen zu werden.

Erst in diesem Jahr hatte er den Job als Weihnachtsmann von seinem Vater übernommen, der in den Ruhestand gegangen war. Gemeinsam mit Kris’ Mutter Annarose war er nun auf die Malediven übergesiedelt, um nach einem Leben am Nordpol ausgiebig Sonne zu tanken.

»Guten Morgen, Sebastian.«

Der Oberweihnachtself überging seinen Gruß, baute sich vor Kris auf, mit in die Hüften gestemmten Fäusten, und sah verärgert zu ihm auf. Wahrscheinlich hätte Kris ihn ernster genommen, hätte er den Elfen nicht um mehr als einen halben Meter überragt.

»Was kann ich für dich tun?«, fragte er freundlich und lächelte Sebastian an.

»Ich renne dir schon seit einer halben Ewigkeit hinterher«, schimpfte der Elf. »Man könnte meinen, du würdest mich absichtlich ignorieren.«

Tat er das? Vermutlich.

»Das würde mir nicht im Traum einfallen. Also, was hast du auf dem Herzen, wobei ich dir hoffentlich helfen kann? Hat Rudolph schon wieder eine Erkältung?«

»Ich habe keine Ahnung. Sehe ich etwa aus wie ein Stalljunge? Das räudige Rentier hat doch ständig mit irgendwelchen Infekten zu tun. Liegt bestimmt an seiner leuchtenden Nase.« Er schüttelte missbilligend den Kopf. »Aber das hier ist gekommen.«

Der Elf streckte ihm einen Umschlag entgegen, auf dem mit einer wunderschönen Handschrift »Santa Claus, Nordpol« stand. Allerdings hatte er keinen Schimmer, warum Sebastian ihm den Brief so eilig übergeben wollte.

»Was ist das?«, fragte er verwundert.

»Ein Brief.«

»Das sehe ich auch. Aber er scheint wichtig zu sein, wenn du es auf dich nimmst, auf deinen kurzen Beinchen hinter mir herzuhetzen, als wäre dir ein wild gewordener Lebkuchenmann auf den Fersen.«

»Er ist von Sara«, erwiderte Sebastian, als würde das alles erklären.

»Okay. Und wer ist das?«

»Sara Winter.«

Kris zuckte mit den Schultern.

Mit einem tiefen Seufzer, der beinahe resigniert klang, schüttelte Sebastian den Kopf.

»Sie schreibt schon, seit sie ein kleines Mädchen war, an den Weihnachtsmann. Jedes Jahr. Und jetzt ist sie siebenundzwanzig. Bei ihr wirkt der Weihnachtszauber immer noch. Dein Vater wollte ihren Brief immer sofort haben, sobald er angekommen ist, weil er sie ins Herz geschlossen hat«, erklärte der Elf. »Da der Weihnachtsmann an Traditionen gebunden ist, auch wenn er sie für sich selbst schafft, dachte ich, du willst ihn vielleicht ebenfalls sofort haben.«

Kris konnte gerade noch verhindern, mit den Augen zu rollen. Der Oberelf neigte dazu, ein wenig gestelzt zu sprechen.

»Was steht denn so Wichtiges drin, dass ich ihn sofort lesen sollte?«, wollte er stattdessen wissen.

»Das hat Santa … dein Vater … nie verraten.«

»Nun gut, dann gib mal her.« Er nahm Sebastian den Umschlag ab und drehte ihn nachdenklich hin und her.

»Gibt es noch etwas?«, fragte er den Elfen, der sich nicht von der Stelle gerührt hatte und den offensichtlich die Neugier juckte.

»Nein.«

»Dann lass dich nicht aufhalten.«

»Äh … ja … gut«, stammelte Sebastian, drehte sich um und ging eilig davon.

Kris schaute ihm nach und grinste. Ihm war sehr wohl bewusst, dass der Elf nur zu gern wissen wollte, was in dem Brief stand. Zugegeben, es bereitete ihm eine kleine, diebische Freude, es ihm nicht zu sagen.

Noch einmal warf Kris einen unschlüssigen Blick auf den Umschlag in seiner Hand, bevor er ihn öffnete und das gefaltete, beschriebene Papier herauszog.

Warum hatte sein Vater jedes Jahr auf einen Brief von dieser Sara gewartet, wie Sebastian behauptete? Und weshalb hatte er ihm nie etwas davon erzählt? Nicht einmal, als er die Geschäfte als Weihnachtsmann von ihm übernommen hatte.

Sicher, Kris war eine Weile weg gewesen, hatte Marketing studiert und dann eine Zeit lang in einer großen New Yorker Werbeagentur gearbeitet. Es hatte ihn vom Nordpol fortgetrieben, weil er die richtige Welt kennenlernen wollte. Eine lange Zeit glaubte Kris nicht daran, für die Weihnachtswelt geschaffen zu sein. Doch vor zwei Jahren war der Wunsch, zum Nordpol zurückzukehren, beinahe übermächtig geworden, was seine Eltern mit einem erleichterten Seufzen quittierten.

»Du hast Weihnachten im Blut«, pflegte seine Mutter zu sagen und dabei wissend zu lächeln. »Das kann man nicht einfach hinter sich lassen. Man wird es nicht los. Egal wie weit man fortläuft.«

Das vergangene Weihnachtsfest war das letzte, das sein Vater als Weihnachtsmann begangen und bei dem er pflichterfüllt die Geschenke an alle Kinder verteilt hatte. Nun war Kris Santa Claus. So lange, bis er irgendwann einen Sohn haben würde, an den er diese Aufgabe weitergeben konnte. Doch das würde wohl noch lange dauern, denn eine Mrs Claus war nicht in Sicht. Hier am Nordpol würde er auch schwerlich eine passende Frau finden. Wohl oder übel würde er sich im neuen Jahr bei einer Partnerbörse im Internet anmelden und umschauen müssen, wenn er jemanden kennenlernen wollte. Allerdings hatte er noch keine Ahnung, was er in sein Profil schreiben sollte, ohne dass ihn gleich jeder für verrückt hielt. Aber darüber konnte er sich später noch Gedanken machen. Jetzt musste er zunächst einmal sein erstes Weihnachten als Santa Claus meistern. Dann konnte er sich allen anderen Problemen widmen.

Um sich von seiner Nervosität abzulenken, die ihm die Gedanken an seine Weihnachtspremiere bescherten, faltete er den Brief auseinander und begann zu lesen:

Lieber Santa Claus,

schon wieder ist ein Jahr vergangen …

Kris las weiter und weiter. Er konnte nicht damit aufhören. Der Brief war in einer wunderschönen femininen Handschrift verfasst, gefühlvoll und so lebendig geschrieben, dass er beinahe alles vor sich sehen konnte. Er wusste nicht, wann er das letzte Mal etwas gelesen hatte, das ihn auf eine solche Weise berührte.

»Hallo Santa.«

Er schaute überrascht auf und bemerkte, dass er immer noch im Flur vor seinem Büro stand. Genau dort, wo er Sebastian begegnet war, der den Postboten gespielt hatte.

»Hallo Tulli«, sagte er zu der Elfe, die an ihm vorbeiging. Seine Assistentin.

Sie trug einen ganzen Stapel Papiere bei sich und wirkte sehr geschäftig.

Er folgte ihr bis zu ihrem Schreibtisch und wartete, bis sie dahinter Platz genommen hatte.

»Liebste Tulli, du weißt doch über alles und jeden Bescheid. Wofür ich dich überaus bewundere.«

»Komm auf den Punkt«, forderte die Elfe und sah ihn über den Rand ihrer Brille hinweg an, wobei sich Kris wieder fühlte wie ein kleiner Junge, der von seiner Lehrerin für ein Fehlverhalten gerügt wurde.

»Sagt dir diese Sara etwas, die diesen Brief geschrieben hat?«

»Du meinst Sara Winter?«

Er nickte.

»Sie stand schon immer auf der Artigenliste. Nie auch nur die winzigste Boshaftigkeit. Ein braves Kind.«

»Hast du noch ein bisschen mehr Informationen über sie?«

»Ich schicke dir ein Dossier auf dein Tablet. Darin findest du alles Wissenswerte nachzulesen, damit ich in Ruhe weiterarbeiten kann.«

»Super«, meinte er, reckte seine Daumen hoch und zog sich in sein Büro zurück.

Es war Tulli deutlich anzusehen, dass das Thema für sie erledigt war, denn sie starrte bereits wieder konzentriert auf den Monitor ihres Computers und ignorierte Kris.

Der wusste, es war besser, sie nicht zu stören.

In seinem Büro nahm er das Tablet zur Hand und rief die Datei auf, die Tulli ihm geschickt hatte.

Sara Winter, siebenundzwanzig, Grafikdesignerin und Künstlerin. Sie arbeitete als freie Mitarbeiterin für die Werbeagentur Morgan & Parker, bei der sie zwei Jahre lang fest angestellt gewesen war.

Kris stutzte. Das war genau die Agentur, für die er in New York tätig gewesen war. Was für ein Zufall! Er konnte sich sogar an eine Sara erinnern, mit der er hin und wieder im Rahmen eines Projektes per E-Mail Kontakt gehabt hatte. Sie waren sich nur gelegentlich kurz bei Besprechungen begegnet. Irgendwann war sie nicht mehr da, obwohl er nach wie vor mit ihr zu tun hatte. Da musste sie wohl schon freie Mitarbeiterin und nicht mehr fest angestellt gewesen sein.

Als er weiterscrollte, entdeckte er ein Foto. Tatsächlich war es genau die junge Frau, die er im Kopf hatte. Langes, rötlich braunes Haar und große blaue Augen, die von dichten, dunklen Wimpern umrahmt wurden.

Sie war ihm gerade einmal bis zur Schulter gegangen und von zierlicher Statur. Wenn er sich richtig entsann, hatte sie während der Termine kaum etwas gesagt und sich stattdessen jede Menge Notizen gemacht. Trug sie etwas zum Thema bei, hielt sie den Blick gesenkt und sprach mit leiser, angenehmer Stimme.

Kris dachte sich damals noch, dass sie wohl die schüchternste Person war, der er jemals begegnet war, und hatte sich mehr als einmal gefragt, wie es wohl wäre, sie fröhlich und heiter lachend zu erleben.

Nachdem er sie nicht mehr gesehen und keine weiteren E-Mails mit ihr ausgetauscht hatte, vergaß er sie schließlich. Bis zu diesem Moment, als er den Brief gelesen hatte.

Laut der Zusammenfassung über ihr Leben arbeitete sie immer noch als Freelancer in der Werbebranche, doch nur noch selten für Morgan & Parker.

Inzwischen war sie auch umgezogen und lebte in Maine in einem kleinen Städtchen südlich von Portland. Neben ihrem Job als Grafikdesignerin für verschiedene Agenturen, malte sie wunderschöne und außergewöhnliche Bilder, die sie bereits in einer Galerie ausgestellt hatte. Für eine so introvertierte Person musste die Vernissage mit vielen geladenen Gästen die Hölle gewesen sein. Doch sie hatte wohl schon einige ihrer Werke verkauft. Offensichtlich war sie gerade dabei, sich einen Namen als Malerin zu machen, und Kris freute sich für sie.

Von ihrer Arbeit bei der Werbeagentur wusste er, dass sie sehr talentiert war und einen kreativen Kopf besaß. Jedenfalls konnte er sich daran erinnern, gern mit ihr zusammengearbeitet zu haben.

Ein winziger Gedanke begann sich in Kris’ Kopf zu regen. Er überlegte schon eine ganze Weile an einer Imagekampagne für Weihnachten herum. Die meisten Menschen betrachteten das Ganze viel zu kommerziell. Natürlich gab es Geschenke, doch für Kris war Weihnachten etwas Besonderes. Man trug es im Herzen. Auch wenn er es sich selbst gegenüber lange Zeit nicht hatte eingestehen wollen. Vielleicht, weil es im Leben Momente gab, in denen man das verleugnete, was einem als Erbe mit in die Wiege gelegt worden war. Welcher Teenager rebellierte nicht gegen die Lebensgewohnheiten seiner Eltern? Erst jetzt mit Anfang dreißig lernte er über manche Dinge hinwegzusehen und andere wertzuschätzen. Seit sich Kris entschieden hatte, in die Fußstapfen seines Vaters zu steigen, fühlte er sich nicht mehr rastlos und getrieben. Er hatte den richtigen Ort für sich gefunden. Wenn man aus der Familie des Weihnachtsmannes stammte, konnte man das nicht einfach zur Seite schieben und vergessen.

Die Zeit, die er fern vom Nordpol verbracht hatte, war nicht nur in dieser Hinsicht lehrreich gewesen. Es hatte ihm gezeigt, wie sehr der eigentliche Sinn von Weihnachten bei vielen in den Hintergrund gerückt war. Selbst hier am Nordpol waren die jungen Elfen nur noch an den neuesten Smartphone, Spielekonsolen, Tablets oder Laptops interessiert.

»Was ist so falsch an der guten alten Holzeisenbahn, den Puppen und Teddybären? Oder einem spannenden Brettspiel?«, fragte er erst kürzlich Tullis Neffen Bjork.

Der hatte ihn mit großen Augen angeschaut, als wäre Kris eindeutig nicht von dieser Welt.

»Echt jetzt, Santa? Dein Ernst? Mann, du bist total uncool.« Dann war er kopfschüttelnd davongegangen und hatte in sein Handy gestarrt. Wahrscheinlich war er dabei, der ganzen Welt über die sozialen Netzwerke zu verkünden, wie rückständig der Weihnachtsmann war.

Bjork war so gefangen genommen von dem, was auf dem kleinen Bildschirm zu sehen war, dass er mit einem der Pfeiler, die es in den großen Hauptfluren gab, kollidierte.

Es war nicht sehr weihnachtlich von Kris gewesen, doch er konnte sich ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen.

Nicht dass Kris den technischen Fortschritt nicht zu schätzen wüsste, immerhin arbeitete er tagtäglich damit. Selbst hier am Nordpol nutzte man moderne Technik und war nicht im Mittelalter stehengeblieben, wie vielleicht mancher vermuten mochte. Selbst die Spielzeugproduktion war schon vor einer ganzen Weile modernisiert worden, was im Hinblick auf die stetig wachsende Weltbevölkerung notwendig war, um die Arbeitsvorgänge für die Weihnachtselfen zu erleichtern.

Natürlich gab es Dinge, die auf die traditionelle Weise erledigt wurden, wie das Ausliefern der Geschenke mit dem Rentierschlitten. Rudolph wäre ziemlich beleidigt gewesen, hätte man ihn in den Ruhestand geschickt. Genauso manche der anderen Rentiere. Donner konnte manchmal ein ziemliches Sensibelchen sein und hätte sich bestimmt ungeliebt gefühlt, hätte man ihn aus dem aktiven Weihnachtsdienst genommen. Dasher, Prancer, Vixen, Cupid und Blitzen waren eher die Gelassenen der Truppe, und Comet bevorzugte es ohnehin, in seiner warmen, kuscheligen Box zu bleiben.

Als Kind hatte Kris seinen Vater jedes Jahr bei seiner Tour begleitet, wenn er in einer Nacht rund um den Globus reiste, um die Geschenke zu den Kindern zu bringen. Später als Teenager hatte er keinen Bock mehr darauf gehabt und eine Zeit lang so ziemlich gegen alles rebelliert, was mit Weihnachten zu tun hatte. In dem Alter war einem ohnehin alles peinlich, was die Eltern machten.

Es gab immer noch Momente, in denen Kris die ständige Weihnachtsidylle ein wenig überfordernd fand, denn das ganze Jahr über wurde in den Werkstätten gebastelt und getüftelt. Schließlich sollte jedes Kind zu Weihnachten ein Geschenk bekommen. Sei es nun an Heiligabend oder am Christmas Day. Je nachdem, in welchem Teil der Welt es lebte.

Nur vier kurze Wochen im Juli machten alle Urlaub am Nordpol, bevor es wieder mit vollem Einsatz weiterging. In dieser Zeit wurde im Innenhof der Anlage ein großer, beheizter Swimmingpool aufgebaut, der gern und oft besucht wurde. Der Anblick von Weihnachtselfen in Badehosen war jedoch jedes Mal ziemlich gewöhnungsbedürftig. Für Elfen war es schwer, an anderen Orten der Welt Urlaub zu machen, denn sie wurden stets merkwürdig angeschaut. Und außerdem musste sich jemand ständig um die Tiere kümmern.

Als er einmal den Vorschlag gemacht hatte, sie könnten doch alle zusammen auf eine Südseeinsel verreisen, die Kris in Vertretung für seinen Vater angemietet hätte, war er nur auf entsetzte Reaktionen gestoßen.

»Den Nordpol verlassen? Nein, das geht nicht. Wir leben hier. Außerdem kann ich Sonne nicht leiden. Davon bekomme ich Ausschlag.«

So oder so ähnlich war die einhellige Meinung der Weihnachtselfen, sodass die Idee schnell in Vergessenheit geriet.

Als Kris sich dazu entschlossen hatte, den Job zu übernehmen, gab es einiges über die Organisationsstrukturen des Weihnachtstages zu lernen. Zum Glück kannten die Rentiere die Flugroute, die jedes Jahr aufs Neue genommen wurde.

Dankbar war Kris auch für die Weihnachtsmagie. Durch sie konnte er alle Kinder besuchen, sei es nun an Heiligabend oder rechtzeitig in der Nacht zum fünfundzwanzigsten Dezember, damit die Geschenke am Weihnachtsmorgen unter dem Baum lagen. Und sie machte seinen roten Sack groß genug, um alle Geschenke darin zu verstauen, während er trotzdem gut zu tragen war. Das alles widersprach der Wissenschaft und hätte Forschern sicher einiges an Kopfzerbrechen bereitet. Es gab nun einmal Dinge, die nicht zu erklären waren, und dennoch existierten sie.

Offenbar wirkte noch ein Funken der Weihnachtsmagie in Sara, denn sonst hätte sie längst den Glauben an den Weihnachtsmann verloren und nicht mehr geschrieben. Aus irgendeinem Grund war Kris froh darüber, dass sie es immer noch tat.

Plötzlich hatte er eine Idee. Er öffnete die Tür seines Büros und rief nach Tulli.

Briefe an Santa Claus

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