Читать книгу Spring - Kaitlin Spencer - Страница 5
ОглавлениеKapitel 3
»Wach auf, Schlafmütze.«
Blossom öffnete blinzelnd die Augen und blickte direkt in Toshos Gesicht, der sie munter angrinste.
»Wo bin ich?«, fragte sie verschlafen. »Wie spät ist es?«
»Es ist kurz nach Sonnenaufgang, und du bist in der Bibliothek. Ich frage mich, warum zur Hölle bist du überhaupt hier? Wenn ich mich nicht gänzlich irre, hast du ein herrlich bequemes Bett in deinem Schlafgemach. Mit flauschigem Daunenbett und einem kuscheligen Kopfkissen. Unglaublich weich und gemütlich, könnte man meinen. Ich an deiner Stelle hätte ja dort genächtigt, anstatt hier in einem dieser verstaubten alten Sessel, neben einem heruntergebrannten Kaminfeuer.«
Blossom richtete sich mühsam auf, da alle ihre Muskeln von der unnatürlichen nächtlichen Haltung schmerzten. Vorsichtig streckte sie sich.
»Ich habe mich an ein Märchen erinnert, das mir meine Großmutter immer vorlas, als ich noch ein Kind war.«
»Welches Märchen?«
»Von einer jungen, schönen, aber bösen Zauberin namens Thyria.«
Überrascht blickte Tosho sie an. »Weshalb kenne ich dieses Buch nicht?«
»Das verwundert mich auch«, neckte sie ihn. »Ein Buch, das du nicht kennst? Wahrlich erstaunlich.«
»Spotte du nur. Also, was steht in diesem Märchen?«
Blossom griff neben sich, zog den schmalen Band hervor und streckte ihn Tosho entgegen. »Hier, besser, du liest es selbst. Sonst heißt es noch, ich hätte dir irgendein wichtiges Detail vorenthalten.«
»Das würde ich niemals zu behaupten wagen, holde Prinzessin.«
Er nahm das Büchlein entgegen und setzte sich in den Sessel, der auf der anderen Seite des Kamins stand.
Darauf zu warten, dass er mit dem Lesen der Geschichte fertig war, machte Blossom zappelig. Geduld war nicht unbedingt eine ihrer Tugenden.
»Was sagst du?«, fragte sie erwartungsvoll, als er eine gefühlte Ewigkeit später das Buch zuschlug.
»Du weißt, was das bedeutet?«
»Ja.«
»Wie es scheint, hast du die Antwort gefunden«, sagte Tosho anerkennend.
»Du glaubst mir und hältst mich nicht für verrückt?«
»Warum sollte ich? Ich kenne dich und dein Bauchgefühl, von dem ich weiß, dass es niemals falschliegt. Also ja, ich zweifle nicht an den Botschaften, die in diesem Buch stehen.«
»Du kannst dir nicht vorstellen, wie froh ich darüber bin«, sagte sie erleichtert.
»Wirst du es deinem Vater sagen?«
»Dass ich weiß, was die Ursache für das Sterben in Tulpenland ist?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Es wird ihn nicht interessieren, sondern er wird mir eher vorhalten, dass ich mich nicht an den Inhalt einer Kindergeschichte klammern soll.«
»Was willst du dann tun?«
»Ich werde mich selbst auf die Reise begeben. Erst werde ich mir ansehen, was in Tulpenland vor sich geht, und danach werde ich mich auf die Suche nach einer Lösung machen.«
»Das ist Wahnsinn. Du kannst nicht einfach allein losziehen.«
»Ich brauche keinen Beschützer.«
»Den benötigst du sehr wohl«, widersprach Tosho. »Du bist die zukünftige Königin von Frühling.«
»Mich wird kaum jemand erkennen«, sagte Blossom. »Immerhin sitze ich in diesem Schloss fest wie ein gefangener Vogel in einem goldenen Käfig.« Sie seufzte resigniert. »Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich zuletzt außerhalb dieser Mauern war, ohne von Wachen und Lady Agatha abgeschirmt zu werden. Also wird wohl niemand wissen, wer ich bin, wenn er mir begegnet.« Blossom hasste es, verbittert zu klingen.
»Von deinen heimlichen Ausflügen einmal abgesehen«, merkte er grinsend an.
Sie winkte ab. »Es ist ja nicht so, dass ich weit dabei kommen würde. Außerdem sind sie mehr als rar und noch seltener begegne ich dabei Menschen, weil ich mich stets abseits der gängigen Pfade und Ortschaften halte.«
»Dann scheint es ja nicht viel zu geben, was dich davon abhalten könnte.«
»Wirst du meinen Plan verraten?«
»Solltest du mich nicht gut genug kennen, um zu wissen, dass ich das auf keinen Fall tun werde?« Tosho zuckte mit den Schultern. »Es ist ja nicht so, als ob du dich von mir davon abbringen lassen würdest, auch wenn ich es nicht gutheiße.«
»Ich muss es tun.«
»Ich weiß. Und genau das ist das Problem.«
»Problem?«
»Dass ich dir nichts ausschlagen kann. Egal wie dumm deine Pläne auch sein mögen.«
Vogelgezwitscher klang aus den Gärten durch das offene Fenster herein, und Blossom wurde von Traurigkeit erfüllt.
»Hörst du das?«, fragte sie. »Bald wird es sie nicht mehr geben, um uns mit ihrem Gesang zu erfreuen. Wenn die Pflanzen sterben, dann sterben auch sie und schließlich wir. Der Tod wird nicht haltmachen, bis alles in Frühling zerstört ist.«
»Tulpenland ist weit weg.«
»Nicht weit genug. Nur weil es dort seinen Anfang nahm, heißt das nicht, dass es auch dort bleibt«, gab Blossom zu bedenken.
»Aber weshalb gerade in Tulpenland? Was ist an dem Fürstentum so besonders?«
»Thyrias Geburtsort liegt dort.« Blossom stand auf und streckte sich, um die verkrampften Muskeln zu dehnen. »Wäre es nicht denkbar, dass sie den Menschen, die sie einst kannte, den Vorwurf macht, ihr nicht geholfen zu haben, als sie Beistand am dringendsten brauchte?«
Tosho warf einen Blick auf das Buch, das er immer noch in der Hand hielt. »Das weißt du alles aus diesem Märchen?«
»Mehr oder weniger«, meinte Blossom. »Der Ort ihrer Geburt wird beschrieben, ihre Liebe zu dem Prinzen von Frühling – meinem Urgroßvater, nebenbei gesagt –, der Verrat an ihr und schließlich die Verbannung.« Sie zuckte mit den Schultern. »Sie hat mein Mitgefühl. Man hat ihr übel mitgespielt. Wäre ich an ihrer Stelle, hätte sich mein Herz bestimmt vor lauter Gram in Stein verwandelt, nur um nicht mehr all das Leid und den Schmerz zu spüren.«
»Das glaube ich nicht. Dafür hast du ein viel zu großes Herz«, sagte Tosho.
Er nahm ihre Hand und zog sie mit sich. »Nun komm, du solltest dich ankleiden, bevor dich Hilda sieht oder noch schlimmer – Lady Agatha.«
Damit hatte er recht, und Blossom nickte. Sie nahm ihm das Märchenbuch ab und machte sich auf den Weg in ihr Zimmer.
»Wir treffen uns nach dem Frühstück wieder hier in der Bibliothek«, rief er ihr nach, als sie den Gang hinuntereilte.
Zustimmend winkte sie ihm über die Schulter hinweg zu und lief weiter.
***
Das Frühstück schien sich endlos hinzuziehen. Lady Agatha saß bei ihr in einem separaten kleinen Speisezimmer und erzählte Blossom, welche Lektionen der Tag ihr bringen würde.
»Wisst Ihr, Lady Agatha, ich gebe Euch heute frei«, sagte Blossom plötzlich und brachte ihre Anstandsdame damit aus dem Konzept. »Es ist nicht nötig, dass Ihr Euch bei mir bedankt. Ihr habt es Euch redlich verdient, und ich entschuldige mich dafür, dass ich nicht schon viel früher auf diesen Gedanken gekommen bin. Tut, was immer Euch gefällt. Es wird zwar nicht einfach für mich werden, doch ich bin zuversichtlich, dass es mir gelingen wird, den Tag eigenständig zu planen und zu verbringen. Wahrscheinlich werde ich mich in der Bibliothek aufhalten und mich dort meinen Studien widmen.«
Lady Agatha wollte etwas erwidern, doch Blossom hob die Hand. »Ihr müsst mir wirklich nicht danken. Genießt einfach den Tag. Das ist Dank genug für mich.«
Mit diesen Worten schob sie ihren Stuhl zurück und stand auf. Sie schenkte der Lady noch ein strahlendes Lächeln und eilte dann schnellen Schrittes davon, bevor sich ihre Aufpasserin von ihrer Verblüffung erholte und sie womöglich noch aufzuhalten versuchte. Allerdings war sie sich nicht sicher, wann sie für ihr Frechsein würde bezahlen müssen. Ihrer ehemaligen Gouvernante würde bestimmt noch etwas einfallen, um ihr das Leben schwer zu machen. Im Moment jedoch wollte Blossom diesen kleinen Sieg genießen.
Kichernd lief sie den Gang entlang in Richtung Bibliothek. Bei der Erinnerung an Lady Agathas verwirrten Gesichtsausdruck musste sie sich beherrschen, nicht in lautes Gelächter auszubrechen.
»Ihr scheint ja gute Laune zu haben.«
Erschrocken blieb Blossom stehen und drehte sich um. Sir Cajus saß in einem in die Schlossmauern eingelassenen Alkoven und hielt ein aufgeschlagenes Buch in der Hand.
»Die habe ich in der Tat«, erwiderte sie kühl. »Ich wünsche Euch einen guten Tag.«
Sie wollte weitergehen, doch ein »Wartet!« hielt sie davon ab. Ungeduldig blickte sie ihn an.
»Es tut mir leid wegen vergangener Nacht«, sagte er. »Ich hätte nicht so harsch mit Euch sein dürfen.«
»Gut, ich nehme Eure Entschuldigung an und überlasse Euch Eurem Buch.«
»Wartet.«
»Was wollt Ihr noch? Ich habe Euch verziehen, und somit ist alles in Ordnung.«
»Dennoch habt Ihr meine gestrige Frage nicht beantwortet«, erwiderte Cajus.
»Welche meint Ihr?«
»Wie Ihr uns zu helfen gedenkt.«
Blossom spürte, wie Ärger in ihr entflammte. »Wollt Ihr einen neuen Streit vom Zaun brechen und mir erneut ungerechtfertigte Vorhaltungen machen?«, wollte sie wissen. »Darauf kann ich gerne verzichten. Wenn Ihr mir sonst nichts weiter zu sagen habt, werde ich meinen Weg fortsetzen, denn ich habe einen Termin einzuhalten.«
»Etwa bei Eurer Schneiderin, damit sie Euch noch ein paar weitere neue Kleider näht, weil Ihr noch nicht genug habt?«
»Habt Ihr nicht mehr zu bieten als diese ständigen Beleidigungen? Glaubt Ihr, dass Ihr damit irgendetwas erreichen könnt?« Blossom hatte die Hände in die Hüften gestemmt und funkelte ihn zornig an. »Mich würde interessieren, was Euer Vorschlag zur Rettung von Tulpenland wäre, denn offensichtlich seid Ihr allen anderen Menschen dieses Königreiches an Wissen und Weisheit überlegen.« Ihre Stimme troff vor Sarkasmus, doch das war ihr gleichgültig. Prinzessin hin oder her. Sie musste sich nicht von einem Ritter beleidigen lassen, selbst wenn er die schönsten und intensivsten grünen Augen besaß, die sie in ihrem ganzen Leben gesehen hatte. Rasch blickte sie zur Seite. Cajus sollte auf keinen Fall sehen, wie sie errötete.
»Warum sollte ich mit einem Prinzesschen wie Euch meine Gedanken zu einem so wichtigen Thema teilen?«
»Müsst Ihr nicht«, erwiderte Blossom verärgert. »Von mir aus könnt Ihr gerne daran ersticken!«
Dieses Mal eilte sie davon, ohne sich noch einmal von ihm aufhalten zu lassen. Zu groß wäre sonst die Gefahr, dass sie ihm vor lauter Zorn das Gesicht zerkratzte. Sie, die keiner Fliege etwas zuleide tun konnte.
Immer noch vor Wut schäumend erreichte Blossom die Bibliothek, wo sie Tosho an seinem Pult sitzend vorfand. Als er sah, in welcher Verfassung die Prinzessin war, hob er erstaunt eine Augenbraue.
»Welche Laus ist dir über die Leber gelaufen?«, fragte er neugierig.
»Oh, diese Laus ist ein gewisser Ritter, der mich noch den letzten Nerv kostet.« Sie ließ sich auf einen Stuhl ihm gegenüber fallen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich hasse ihn«, brummte sie.
Tosho lachte. »Du bist der versöhnlichste Mensch, den ich kenne. Anscheinend trifft Sir Cajus bei dir einen wunden Punkt.«
»Er weiß nichts über mich, und trotzdem verurteilt er mich. Er nennt mich Prinzesschen und glaubt, ich hätte nichts anderes im Kopf als schöne Kleider.«
»Wenn er wüsste, wie sehr er sich in dir täuscht. Warum regst du dich nur so über ihn auf? Diese ganze Aufmerksamkeit verdient er nicht.«
»Manchmal wünschte ich, wir hätten ebenfalls alle magische Kräfte wie die Menschen in Winter und nicht nur ein paar wenige«, beklagte sich Blossom.
»Und was wolltest du damit tun?«
»Ich würde ihn in eine Kröte verwandeln und in den nächsten Teich werfen.«
»Jetzt bist du aber ein bisschen kindisch«, tadelte Tosho sie gutmütig.
»Das ist mir egal«, schmollte sie.
Der Bibliothekar lachte. »Er scheint dich tatsächlich sehr verärgert zu haben.«
»Ich will nicht mehr darüber reden. Lass ihn uns mit keinem Wort mehr erwähnen.«
»In Ordnung, dann sprechen wir eben darüber, wie wir vorgehen sollen.«
»Hör endlich auf zu grinsen«, ermahnte sie ihn und konnte selbst ein Schmunzeln nicht unterdrücken.
Doch schließlich gelang es ihnen, die Aufzeichnungen durchzusehen, welche Tosho den Morgen über zusammengetragen hatte. Alles, was er an Fakten im Bezug auf das Märchen gefunden hatte.
»Viel ist es nicht«, sagte er bedauernd.
»Alles ist besser als nichts. Was hast du entdeckt?«, wollte sie wissen.
»Wie du gesagt hast, wurde Thyria in Tulpenland geboren. Tochter einer Hebamme und eines Magistrats. Keine Geschwister. Ihre magischen Fähigkeiten zeigten sich bereits, als sie noch ein kleines Mädchen war, und sie waren von ungeahnter Stärke. Deshalb erzog man sie zur Zauberin. Sie verliebte sich in den Prinzen von Frühling, der sie jedoch nur für seine Zwecke benutzte. Als seine Pläne, den Thron an sich zu reißen, aufgedeckt wurden und ihm Strafe drohte, hat der Prinz eine Intrige eingefädelt, um alle Schuld auf die Zauberin abzuwälzen. Damit sie ihm nicht mehr gefährlich werden konnte, ließ er sie aus dem Königreich verbannen. Mit der Androhung des Todes, sollte sie es jemals wagen, wieder einen Fuß auf Frühlings Boden zu setzen.«
»Hast du das auswendig gelernt?«, fragte Blossom lachend.
»Ich habe lediglich die Fakten zusammengefasst.«
»Sei nicht beleidigt«, sagte sie versöhnlich. »Was hast du sonst noch herausgefunden?«
»In den archivierten Aufzeichnungen nichts weiter«, gab er zu. »Aber das Märchen gibt einen Hinweis.«
»Und welchen?«
»Den Fluch, und dass er sich ausbreiten wird.«
»Er wird sich also nicht nur auf Tulpenland beschränken.«
»Nein«, gab er zu. »Ganz so, wie du vermutet hast.«
»Ich wünschte, ich hätte mich getäuscht.« Sie seufzte. »Was machen wir jetzt?«, fragte Blossom besorgt.
»Nun, ich werde mich weiter in den Archiven umschauen. Du tust einfach, was ein Prinzesschen so macht.«
Blossom gab ihm einen Klaps auf den Oberarm, und Tosho lachte. Dann stand sie auf.
»Du wirst mich doch gleich wissen lassen, wenn du etwas findest?«
»Selbstverständlich, Eure Hoheit«, versprach er und verneigte sich scherzhaft vor ihr.
Lächelnd wandte sie sich zum Gehen, und Tosho verschwand in Richtung der Archive, die über eine alte, knarrende Holztreppe am Ende der Bibliothek zugänglich waren.
Blossom wusste nicht so recht, was sie als Nächstes tun sollte. Das Wetter war zwar einladend dort draußen, doch ihr war gerade nicht nach Gartenarbeit zumute. Sie konnte in ihre Gemächer zurück, da sie dort niemandem begegnen würde, doch sie hätte sich nur eingesperrt gefühlt.
»Ramina«, stieß Blossom plötzlich leise hervor. Das war eine ausgezeichnete Idee. Sie würde ihre ehemalige Amme besuchen. Sie hatten sich schon lange nicht mehr gesehen, und Ramina wusste stets einen Rat. Lady Agatha hatte zwar etwas dagegen, wenn Blossom das Schloss verließ, um ihre Amme in deren Haus unten im nahe gelegenen Dorf zu besuchen, doch das war ihr im Moment egal. Dieses Mal würde sie sich nicht davon abhalten lassen, zu ihr zu gehen, sondern würde dem Bedürfnis, Ramina zu sehen, nachgeben.