Читать книгу Kreuzerjagd im Ozean - Kapitänleutnant Aye - Страница 4
I. Mobil — Vor Helgoland — England erklärt Krieg — Die erste Nacht gegen den Feind — Durchbruch durch die englischen Kreuzer — Abgedrängt — Durch — Die erste Prise
ОглавлениеEs war am denkwürdigen 4. August 1914. S. M. Hilfskreuzer „Kaiser Wilhelm der Große“, auf dem ich Erster Offizier war, lief mit langsamer Fahrt zwischen Wesermündung und der von der schon sinkenden Sonne rot erglühenden Felseninsel Helgoland auf und ab. Das ganze Schiff war voll Erwartung, was die nächste Stunde bringen würde. Spannung lag in den ernsten Gesichtern der Offiziere, die auf der hohen Brücke standen und den klaren Horizont absuchten, als müsste dort hinten weit im Westen jeden Augenblick etwas auftauchen, das Erlösung bringen würde allen an Bord. Spannung machte den ganzen Schiffskörper erbeben: „Dampf auf in allen Kesseln“ stampfte der große Schnelldampfer auf der leise bewegten Nordsee, als könnte er den Augenblick nicht abwarten, schäumenden Bugs durch die See zu jagen: dem Feinde entgegen! Ich ging noch einmal über das Bootsdeck, prüfte hier und dort, ob alles seeklar war, ob auch alle losen Gegenstände so fest gezurrt waren. dass Wind und See sie nicht plötzlich über Bord trügen; ich sah nach dem Proviant in den schweren Rettungsbooten, ging zum Achterdeck, und beim Überschauen dieses herrlichen Schiffes ergriff mich stolze Freude, dass ich als der Ersten einer hinaus durfte, die deutsche Kriegsflagge in dem so jäh entfachten Weltbrande auf dem Ozean zu zeigen. Ich lehnte mich an die Reling, träumte in das Schraubenwasser, über dem leicht beschwingte Möwen, des Seemanns treueste Begleiter im Leben und im Sterben, sich leise wiegten und gedachte zum ersten Male, in diesem Augenblicke der Ruhe, der letzten drei Tage.
Nachmittags drei Uhr war es im Kasino zu Wilhelmshaven, das Mittagessen war beendet, Kerzen flackerten auf dem großen Tisch, an dem in bequemer Haltung noch einige Seeoffiziere saßen, still, in Gedanken, jeder den Rauchwolken seines Tabaks nachschauend. Wird es Krieg, oder wird es nicht Krieg? Das dachte ein jeder von ihnen. Da stürzt eine Ordonnanz herein, bringt Telegramme „Drohende Kriegsgefahr!“ Allgemeine Erleichterung, endlich raus aus der Ungewißheit! „Ordonnanz, Absagebuch“, und stolz schrieb ich ins Buch: „Sage ab bis auf weiteres!“ Zur Kompagnie gestürzt, alles dem Feldwebel übergeben, dann nach Hause und gepackt bis in die Nacht hinein mit dem braven Burschen zusammen. Drei Stunden Schlaf, und dann früh um sechs Uhr zum Bahnhof. Welch ein Betrieb schon! Es wimmelte von Uniformen, abreisenden Verwandten und Bekannten; Abschied nehmen, Tücher schwenken, Tränen—weg waren wir! Immer voller wurde der Zug; Badegäste der Nordseeinseln, die in Oldenburg einstiegen, füllten den Wagen zum Platzen voll. Gewitterschwüle, ernste Stimmung über allen. Was wird werden? In Bremen umsteigen. Herr Gott, wie kommt man da durch? Dichtgedrängt schaben sich die Menschen die Treppen auf und ab, Koffer und Kisten lagen häuserhoch in den hochgewölbten Hallen. Aber hier war trotzdem ruhiger, geordneter Betrieb, ernstes, geschäftiges Treiben. Mich erfüllte unbändige Freude bei dem Gedanken: So klappt es nun im ganzen Deutschen Reich! Und zuversichtlich lachte ich vor mich hin. Und siehe, das zog. Eine junge reizende blonde Frau, Tränen im lachenden Auge, fasste mich am Arm: „Ach, sagen Sie bitte, ist es wirklich wahr, ist die Marine schon mobil? Mein Mann muss nämlich auch mit, er ist Seeoffizier a. D.!“ Die musst du trösten, nahm ich mir vor, und sagte: „Aber, gnädige Frau, kein Mensch macht mobil, wir haben nur eine kleine Festungskriegsübung!“ Mich belohnte ein dankbarer Blick, und froh stieg ich in den Zug nach Geestemünde mit dem Gefühl, ein bangendes Frauenherz wenigstens für wenige Stunden getröstet zu haben.
Endlich Geestemünde! Totenstille auf dem Bahnhof. Schnell in die einzige Droschke, mit großer Fahrt zum Hafen. Richtig, da lag das stolze Schiff. Das nun mein Heim werden sollte, der Schnelldampfer „Kaiser Wilhelm der Große“, schmuck anzuschauen, gelb oben, weiß die Promenadendecks, schwarz der Rumpf. Friedlich lag er da im August-Sonnenschein und ahnte nicht, dass soeben der Erste Offizier an Bord stieg mit finsteren Plänen im Kopf. Da kam mir auch schon auf Deck der alte famose Lloydinspektor entgegen, bereits in Kapitänleutnantsuniform. „Gott sei Dank, dass Sie da sind, rief er mir zu, „was sollen wir zuerst machen?“ „Zunächst muss der ganze Kasten von der Schornsteinkrempe bis zur Wasserlinie schwarz angepinselt werden, auch alle Seitenfenster, damit wir uns das tägliche Abblenden ersparen!“ Erst ging ein schmerzliches Zucken durch das freundliche Auge des alten Seebären; er dachte wohl „das arme schöne Schiff“. Aber schon war alle Sentimentalität vorbei, er winkte bereitstehende Arbeiter herbei und gab ihnen entsprechende Befehle. Und nun ging ein Betrieb an Bord los, herrlich war es. Alles geschah mit einer Schnelligkeit, mit einer Freudigkeit, dass ich dem Herrn Kapitänleutnant M. immer wieder meine Bewunderung über den großartigen Werftbetrieb aussprechen musste. Stützen und Hölzer wurden abgebrochen, wo sie störten, Geschützstände gebaut, gebohrt, gemalt, gehämmert, Kohlen und Proviant übergenommen, und dann kamen die ersten Leute, die eingestellt, eingekleidet, verteilt wurden, ihre Schlafplätze, Stationen angewiesen erhielten. Die Geschütze kamen längsseit, die Munition wurde übergenommen, Signaleinrichtung angebracht und — immer schwarzer wurde das Riesenschiff, das drohend seine schwarzen vier Schornsteine wie Schwurfinger in den Abendhimmel des schönen Augusttages streckte.
Am Nachmittag kam das längst erwartete und doch ganz Deutschland erschütternde Wort „Mobil“. Beim Abendessen erhoben die Offiziere ihre Gläser mit Wasser — Alkohol gab es ja damals nicht mehr — und erneuerten mit drei Hurras auf ihren Obersten Kriegsherrn den Schwur der Treue. Weiter die ganze Nacht hindurch, mit doppelter Anstrengung, ging nun die Arbeit für alle. Mit größter Beschleunigung fertig werden, das war doch jedes Wunsch.
Die Mittagssonne des nächsten Tages beschien mit Staunen ein schwarzes Riesenschiff, auf dem es tribbelte wie in einem Ameisenhaufen, und stolz flatterte die deutsche Kriegsflagge an der Gaffel, der Wimpel im Großtopp: S. M. neuester Hilfskreuzer war in Dienst gestellt! In Haufen kamen die Bremerhavener, um ihren alten Lieblingsschnelldampfer zu bewundern, aber der sah ihnen doch zu unheimlich aus, und einer meinte in wenig freundlicher Weise: „Kiek mal, sieht aus wie’n Sarch!“ Na, immerhin, das hielt uns nicht ab, am nächsten Morgen voll ausgerüstet durchzuschleusen und auf der Weser die Geschütze anzuschießen. Die Nacht fand uns wieder im Hafen, um noch einmal mit Kohlen aufzufüllen, denn wer konnte wissen, wann wir wieder dazu Gelegenheit hatten.
Am 4. August vormittags beim Durchschleusen hörten wir die letzten Hurras von deutschem Boden, die uns zum Abschied gebracht wurden. Dann ging‘s hinab den schmutzig-gelben Strom in die offene See. Das deutsche Land war hinter uns verschwunden!
Wie unheimlich leer doch heute die deutsche Bucht war, in der im Frieden so wacker geschossen und evolutioniert wurde. Nur der Kreuzer „Cöln“ war zu sehen, sonst gähnende Leere, selbst die „Finkenwärder“ fehlten. Ich glaube fast, ich wäre auf der Reling eingeschlummert, so ermüdend wirkte diese Stille und Leere nach dem lauten Betrieb der letzten Tage und Nächte. Da — hinter mir schnell nahende Schritte, ein Zusammenklappen der Hacken, der kleine blonde Adjutant sprudelt heraus: „Melde gehorsamst, Herr Kapitänleutnant, England hat Krieg erklärt!“ „Danke sehr, das wäre der Dritte! Alle Mann achteraus!“ Halloh, wohin war plötzlich alle Müdigkeit, und jetzt polterte unter mir verstärktes Mahlen der Schrauben, es brodelte und quoll weiß auf im Kielwasser des „Kaiser Wilhelm der Große“, der soeben anfing, mit Ozeangeschwindigkeit gen Norden zu jagen, dem Feinde entgegen, durchzubrechen durch absperrende Kreuzerlinien hindurch in den weiten, nichts beengenden Ozean, für die Freiheit der Meere zu kämpfen. Und da kamen sie alle, die Hunderte im Schiff, die mithelfen wollten, sei es an Deck, sei es im Heizraum, standen dicht gedrängt unter der Kriegsflagge, die einen in blauer Uniform, schon klar, als Kriegswache aufzuziehen, die anderen in Hose und Unterhemd, ein Tuch um den Hals, barfuß, in Holzpantinen, in Seestiefeln. Nur wenige kurze Worte sprach ich zu ihnen, aber alle waren sich klar, dass nun der große Augenblick gekommen, wo jeder zeigen konnte, was er wert war. Losgelöst von der Heimat, waren wir nun eine Welt für uns, die sich selbst durch sich selbst erhalten musste.
„Wir brechen jetzt durch nach dem Atlantik, um Handelskrieg zu führen, den Feind zu schädigen, wo es nur möglich ist. Jeden Augenblick, schon heute Nacht, können wir mit ihm zusammen treffen. Tue jeder seine Pflicht, so wird unsere Fahrt mit Erfolg gekrönt sein.“ —
Und brausend erschollen drei Hurras auf unseren Kaiser über die schon dunkelnde See, und über uns pfiff und sang der auffrischende Wind durch die Stagen und Signalleinen, als hätte er seine Freude an dem schönen, schnellen Schiffe.
Ich holte mir Mantel und Doppelglas und stieg frisch und fröhlich auf die Brücke, um den Kommandanten abzulösen und die Leitung der Kriegswache bis Mitternacht zu übernehmen. Der Kommandant reichte mir den soeben eingegangenen Funkspruch: „Kaiser Wilhelm der Große — Kreuzerkrieg führen im Atlantik.“ — Kurz und bündig! Aber was steckte alles hinter diesen wenigen Worten. „Aller Dinge mächtigstes: Krieg!“ Wenn wir erst durch wären und im freien Atlantik. dann sollte uns kein feindlicher Kreuzer abfangen!
Ehe der Kommandant sich ins Kartenhaus zurückzog, ließ er sämtliche Offiziere auf die Brücke bitten und sagte ihnen ungefähr folgendes:
„Meine Herren, wir müssen von jetzt ab jeden Augenblick damit rechnen, dass wir englischen Kreuzern in den Weg laufen. Unsere Aufgabe ist nicht, Gefechte zu führen, sondern dem Handel des Feindes Abbruch zu tun. Sollten wir das Pech haben, von einem feindlichen Kriegsschiff lahm geschossen zu werden, werde ich unser Schiff in die Luft sprengen, denn auf keinen Fall darf ein deutsches Kriegsschiff in die Hände des Feindes fallen. Ich ersuche den Ersten Offizier und den leitenden Ingenieur, sofort geeignete Sprengorte im Schiff festzulegen, dort genügend Sprengpatronen klar zu halten, so dass jederzeit auf meinen Befehl das Schiff gesprengt werden kann.“
Wer nicht Wache hatte, verschwand von der Brücke, es wurde ganz still, nur das Rauschen der See war vernehmbar. Dunkle Nacht, aber herrlicher Sternenhimmel. An den Geschützen auf der Back sah man die Posten in die Dunkelheit hinaus spähen. Alles war in höchster Spannung: die erste Nacht dem Feinde entgegen. Würde er wahr machen, was er so oft in Reden und Schriften angedroht: Die Nordsee würde wenige Stunden nach der Kriegserklärung abgesperrt sein! So überlegte ich und versuchte die Dunkelheit zu durchdringen. Nichts war zu sehen, aber auch unser Schiff war nicht zu sehen, denn das Abblenden war vollendet gelungen. Ich freute mich über die gute Idee des Übermalens der Fenster, und mit mir freute sich der Bootsmann, soviel Presennings (Bezüge zum Abblenden) übergespart zu haben. So ging die Zeit der Wache hin mit Ausgucken, Denken an die Heimat, die immer mehr entschwand, Denken an unsere Truppen, wie weit sie wohl schon in Feindesland wären. An das Gegenteil kann doch ein Deutscher nicht im Entferntesten denken. Voll Vertrauen ließen wir unser Heimatland hinter uns liegen: Die große Armee und unsere Marine werden es schon schaffen!
Punkt zwölf Uhr Mitternacht löste mich der Kommandant ab, und ich wollte mich für drei bis vier Stunden zur Ruhe legen, als der Adjutant mit den neuesten Funksprüchen kam. Es waren zwar keine Nachrichten aus der Heimat, aber interessant waren sie darum, weil Gespräche, die nicht für uns bestimmt. Es waren Anfragen englischer Kriegsschiffe an die Admiralität, wohin sie gehen sollten, um die Kohlen aufzufüllen. Besonders aber zum Lachen reizend wirkte auf uns ein Funkspruch der englischen Admiralität an den französischen Fischereikreuzer der Nordsee: „Sie können auf Station bleiben, die Nordsee bleibt vom Feinde frei!“ Hast du ‘ne Ahnung, sagten wir, warte nur, komme du uns vor den Bug, dann gibt‘s Kleinholz! Und du, seebeherrschendes England, was du bis heute noch nicht glaubst. ein deutscher Hilfskreuzer jagt mit höchster Fahrt dir entgegen, er hat den schützenden Heimatshafen verlassen, um dir und aller Welt zu zeigen, dass auch Deutschlands Kriegsflagge auf dem Meere weht. Warte nur, bald sollst du es fühlen!
Halb ausgezogen lag ich auf der Koje und konnte nicht einschlafen, die Nerven waren doch zu sehr angespannt. Nur erst durch sein, nur erst im Atlantik schwimmen, erst noch einmal tüchtig dem Feinde schaden, dann, Schicksal, nimm deinen Weg. Nur nicht heute Nacht schon das Ende. Horch! Was ist das? Getrampel an Deckt Jetzt höre ich es deutlich: Schrille Glocken! Alarm! Mantel angezogen, Pistole zur Hand, eilte ich an Deck. Stockdustere Nacht. Ich stolpere, finde die Treppe zur Brücke und stürze hinauf. Was ist los? Da höre ich durch das Rauschen der See die ruhige Stimme des Artillerieoffiziers: „Richtung 330 Grad, auf den schwarzen Schatten, 1200, Schieber links 8.“ Ah, jetzt sehe ich an Backbord ein schwarzes Etwas, das sich entfernt und verschwindet. „Sichern! Kriegswache Ruhe!“ Die Posten bleiben an den Geschützen, die übrige Mannschaft legte sich wieder angezogen aufs Schlafsegel. Wir knobelten, was das wohl für ein Fahrzeug gewesen, war es ein Kriegsfahrzeug oder ein harmloser Fischdampfer, der wie wir abgeblendet fuhr? Überzeugt waren wir jedenfalls alle, dass er uns nicht gesehen hatte. Nur gut, dass nicht gefeuert wurde. Wer weiß, wie schnell wir dann entdeckt worden wären, und für uns war doch zunächst die Hauptsache, ungesehen in den Atlantik zu kommen, um dort überraschend aufzutauchen.
Aus meiner Nachtruhe wurde nichts mehr, es war ja doch bald vier Uhr früh, und da musste ich wieder den Kommandanten ablösen. War das eine herrliche Morgenwache: Ruhige See, blauer Himmel, prächtiger Sonnenaufgang und dann die zerklüftete norwegische Küste. Auf der See war weit und breit nichts zu sehen, es war ganz unheimlich, wie ausgestorben. Eine fabelhafte Sichtigkeit herrschte, weiter als 10 Seemeilen (Seemeile = 1852 Meter) konnte man sehen. Wie sehr hatten wir uns früher darüber gefreut, wenn wir mit der Hochseeflotte nach anstrengenden Manövertagen den schönen norwegischen Fjorden zustrebten, aber diesmal wünschten wir uns dickes Wetter, geringe Sichtigkeit, um nicht von den englischen Kreuzern entdeckt zu werden.
War das ein Tag voll Sonnenschein, aber auch voll Spannung. Der „Kaiser“ flog dahin mit Ozeangeschwindigkeit; das Schiff selbst schien zu fühlen, heute noch musst du es schaffen, heute noch raus aus den heimischen Gewässern. Und leise wiegte er sich in der langen Dünung. die Ventilatoren brummten, die Schrauben mahlten mit äußerster Kraft die tiefblaue See, und der messerscharfe Bug schnitt zischend in die See und ließ an beiden Seiten des Schiffes einen breiten weißen Schaumstreifen entlang quirlen. Die Spannung stieg mit der Sonne. Wird es gelingen, durchzubrechen, öder schon heute Kampf, Tod oder Gefangenschaft? Einmal musste es ja kommen, darüber waren wir uns alle klar. Offiziere wie Mannschaften, soweit sie nicht der Dienst unter Deck festhielt, standen auf dem Bootsdeck, den Promenadendecks und starrten nach Westen und Norden, aber nichts zeigte sich, kein Rauchwölkchen trübte den blassblauen Horizont. Die Mittagswache hatte ich wieder, ich wäre auch sonst an Deck gewesen, wer konnte es denn heute unter Deck aushalten. „Rauchlos fahren“, war befohlen, um sich nicht allzuweit zu verraten; das hohe Schiff war schon ohne Rauch reichlich weit zu sehen. Flagge und Wimpel wurden niedergeholt, um eventuell passierenden Dampfern nicht die Nationalität zu verraten. Und richtig, da kam auch schon einer im Norden in Sicht. Mit Holz beladen, starke Schlagseite nach Steuerbord, weil die Ladung übergerutscht war, passierte er uns bald, zeigte auch keine Flagge. War ein Engländer, wir sahen es am Namen, aber nur nicht jetzt sich aufhalten mit Kapern, nur erst durch, raus aus dieser schwülen Gegend! Da kam der Adjutant und meldete, im Westen und Nordwesten wäre das Funken von englischen Kriegsschiffen ziemlich laut hörbar. Nicht gezaudert, durch müssen wir. Wenn es nur dunkler würde, aber die Sonne lachte und meinte: Noch fünf Stunden, dann tauche ich zischend dort drüben bei den englischen Kreuzern ins Meer! Na, nur weiter, bis hierher war es gut gegangen, es würde auch weiter gut gehen, so dachte ich, ein unverbesserlicher Optimist. Gott im Himmel, was haben wir uns dort oben im Norden die Augen nach englischen Kreuzern ausgeguckt! Wenn sie unsere sehnsuchtsvollen Blicke gefühlt hätten, wie gerne wären sie wohl gekommen. Aber, wer weiß, was sie mehr reizte, sie kamen nicht, sie warfen sich nur gegenseitig viele Funken an den Kopf und glaubten vermutlich, damit die Nordsee zu versiegeln. Wie liebenswürdig von ihnen, ohne Funkentelegraphie an Bord wären wir auf die Kreuzer zugelaufen. Die braven Funken haben uns noch manchmal vor einem vorzeitigen Ende behütet.
Wir gingen auf nördlichen Kurs, um den englischen Kreuzern zu entgehen. Zwei Tage kreuzten wir im nordischen Meere. Endlich waren wir im tiefblauen Nordatlantik, hatten den Engländern ein Schnippchen geschlagen, die Jagd konnte beginnen. Wir alle freuten uns schon auf die erstaunten Gesichter, wenn der erste englische Dampfer uns im Atlantik vor den Bug lief. Aus Funksprüchen, die unsere heimatliche Funkenstation „Norddeich“ in die Welt hinausschickte, hatten wir einige Bruchstücke aufgefangen und gelesen, dass in Deutschland ein allgemeiner Bettag gewesen war. Nachdem wir wieder freies Wasser vor uns hatten, befahl der Kommandant, dass sofort am Nachmittag im Speisesaal des Dampfers Gottesdienst abgehalten werden sollte. Die Mannschaft zog zu diesem Gottesdienst gutes blaues Zeug, die Sonntagsuniform, an. Es war richtige Sonntagsstimmung an Bord, fühlte doch jeder, der Anfang der Reise war gelungen, wir waren aus der Nordsee heraus, und sahen vor uns wieder weite unermessliche See, die ein matter Sonnenschein noch verschönte. Der Alpdruck, schon am ersten oder zweiten Tage die Kriegsfahrt in irgendeiner Form zu beschließen, war genommen; neue Begierde, mehr zu erleben, erwachte in jedem und dazu der besondere Wunsch, dass recht bald doch so ein dicknäsiger Engländer käme. Als ich über das Promenadendeck ging, auf dem die Leute sich gegenseitig abbürsteten, sah man nur in fröhliche Gesichter, die alle zu sagen schienen: „Wir werden die Sache schon schmeißen!“ Bei der Schiffsglocke angekommen, ließ ich „Kirche“ anschlagen. Und während das „Bimm bimm“ der kleinen Glocke über das Deck hinwehte, strömten die munteren Blaujacken stolpernd die Treppen zum Speisesaal hinunter, beim Passieren des überlebensgroßen Bildes unseres alten Heldenkaisers scheu einen Blick in das ehrwürdige Gesicht des greifen Herrschers werfend. Eben war ich im Begriff, dem Kommandanten auf der Brücke Meldung zu erstatten, dass der Gottesdienst beginnen könne, da schallte es laut aus dem Krähenneste vom Ausguck herab: „Ein Strich an Backbord ein Dampfer.“ Das gab ein Hallo an Bord. Schon trillerte die Bootsmannspfeife ins Deck, von jedem Gehör heischend, und eine Donnerstimme brüllte in den Speisesaal: „Ausscheiden mit Kirche. Das Steuerbord-Prisenboot klar!“ Alles stürzte auf Station. Ja, wer hätte das gedacht, noch in Sicht der Islandküste ein Dampfer, Donnerwetter, hoffentlich kein neutraler. Alles sah mit und ohne Doppelgläser nach dem Dampfer aus, der in der hohen Atlantik-Dünung oft halb verschwand. Bei uns wehte das Signal: „Stoppen Sie, oder ich schieße.“ Der Dampfer drehte bei und zeigte die rote englische Flagge. Große Freude an Deck, großartig, die Sache bekam Reiz. In der Nähe des recht großen Fischdampfers — ein solcher war es — brachten wir unser Schiff zum Stehen; ich begab mich ins Prisenboot und ließ es zu Wasser rauschen. Kaum waren wir vom Schiff frei, erfasste uns eine hohe See und trieb uns ganz ab. Die Leute legten sich in die Riemen mit aller Kraft, aber das schwere Eisenboot kam kaum von der Stelle. Und dieser verflixte Dampfer machte natürlich keine Anstalten, mir entgegenzukommen. Ich brüllte ihn an, aber der Wind verwehte meine Worte. Mich packte eine Wut auf diesen Engländer, der da pampig aus seinem Steuerhaus heraus guckte und in die See spuckte. „Los, Kerls, legt euch ins Zeug, noch ein paar Schläge, dann haben wir den Engländer.“ Das schien zu helfen, wir kamen längsseit von dem heftig schlingernden Dampfer, der unser Boot fast zum Kentern brachte. Ich schwang mich schnell auf die außenbordshängende Leiter und jumpte mit mächtigem Satz über die Reling, so dass ich mich neben dem Maschinenoberlicht wieder fand. Ich kletterte zum Kapitän und ließ mir seine Schiffspapiere zeigen: „Tubal Kain“ aus Grimsby. Er wusste auch schon, dass Krieg war. Mein Signalmaat winkte den Befund auf den „Kaiser“ hinüber, der in der Tat in der schwarzen Farbe einen unheimlich drohenden Eindruck machte. Von dem niedrigen Dampfer aus fiel mir dies ganz besonders auf. Vom Kommandanten kam der Befehl: „Dampfer versenken, englische Mannschaft sofort an Bord „Kaiser“ kommen.“ Der alte englische Kapitän machte ein Jammergesicht, die Tränen standen ihm in den Augen. Ich konnte ihn verstehen, so plötzlich sein noch ganz neues Schiff zu verlieren, aber ich befahl die sofortige Einbootung. Die Fischer packten ihre Habe zusammen und fuhren in ihrem Isländer Boot zum „Kaiser“ hinüber. Es war ein leichtes, sehr seetüchtiges Boot, das ich nicht zu vernichten, sondern bei uns einzusetzen beschloss. So geschah es: das Boot wurde mit Proviant versehen und blieb als Rettungsboot für die gefangenen sechzehn Engländer, falls die letzte Stunde unseres Schiffes kommen sollte. Der Dampfer wurde mit Sprengpatronen leck geschlagen, lief achtern voll, und sackte weg; der Brig zeigte zum Himmel und dann verschwand er in den eisigen Fluten des Nordmeeres. Wir Offiziere standen auf der Brücke, sahen unser erstes Opfer untertauchen und konnten gar nicht recht froh werden. Warum? Weil wir doch Seeleute sind und es einem Seefahrer nicht liegen sollte, solch’ schöne „fahrbaren Untersätze“ wie soeben diesen Dampfer einfach zu zerstören. Jedoch im Kriege müssen persönliche Empfindungen ganz zurücktreten, wenn durch sie der Nutzen für den Staat oder die Schädigung für den Feind vermindert wird. Die harte Notwendigkeit verlangt von dir, dass du des Feindes Schiffe zerstörst. Fängt er dich, versenkt er dich auch, wo er dich auch antreffen möge. Wir kämpfen gegen England, und England ist grausam rücksichtslos, also keine Sentimentalität, es geht aufs Ganze! Als ich die Brücke verließ, hatte ich den Gemütsmenschen in mir überwunden, freute mich schon auf den nächsten Dampfer und dachte nur, hoffentlich ist es ein recht, recht großer. In der Offiziersmesse war gehobene Stimmung, es gab erbeutete sehr leckere Fische. Schmunzelnd stellte ich fest, dass alle Geschmack an der frischen, fröhlichen Kaperei bekamen. Vivant sequentes!
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