Читать книгу Die Macht der virtuellen Distanz - Karen Sobel Lojeski - Страница 48

3. Was sind die wichtigsten organisatorischen und strategischen Auswirkungen der virtuellen Arbeit?

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Die Umfrageteilnehmer schwiegen eine Weile und dachten nach, weil sie nicht wussten, womit sie anfangen sollten. Viele waren der Meinung, es sei am schwierigsten, das richtige Geschäftsmodell zu wählen, wie aus der Antwort eines Telekommunikationsmanagers hervorgeht:

Die Hierarchie ist in einer solchen Umgebung veraltet. Früher konnte man Aufgaben vertikal, von oben nach unten, delegieren. Aber wie koordiniert und delegiert man Aufgaben an Mitarbeiter, auf die man keinen direkten Zugriff hat, die in virtuellen Umgebungen tätig sind und über die man, falls überhaupt, nur wenig Kontrolle ausüben kann?

Ein weiteres wichtiges Thema wurde vom CIO, dem Leiter der Informationstechnik, einer großen Bank angesprochen:

Einige der von uns genutzten Technologien (zur Erledigung der Aufgaben) setzen ein derart fundiertes Fachwissen voraus, dass Führungskräfte über eine bestimmte Ebene unserer Organisation hinaus keine Ahnung haben, was wir tun. Deshalb sind wir völlig auf uns selbst gestellt, richten uns im Allgemeinen nach den Prinzipien, dass wir dem Unternehmen helfen, Geld einzusparen, unsere Aufgaben erledigen und versuchen, die Zusammenarbeit mit Kollegen zu fördern. Wir sind ein globales Unternehmen mit mehr als 100 000 Mitarbeitern. Da besteht keine Möglichkeit, genau zu verstehen, was jeder Einzelne macht.

Während der Interviews kristallisierten sich klare Muster heraus, die wir drei Kategorien zuordneten, wie aus Abbildung 1.2 ersichtlich.

1 Standortbasierte Herausforderungen wurden als Zusammenbruch der Kommunikation zwischen weit verstreut Arbeitenden beschrieben, ungeachtet dessen, ob sie sich persönlich kannten oder nicht.

2 Tagtägliche Probleme bezogen sich auf Ärgernisse wie häufige Fehlkommunikation, übermäßiges Multitasking und Technologieversagen, die den Schwung in den täglichen Meetings ausbremsten.

3 Beziehungsbasierte Schwierigkeiten beinhalteten diejenigen Aspekte, die mit einem Gefühl der Isolation auf der persönlichen Ebene verbunden waren.


Abb. 1.2: Problemmuster aus der ursprünglichen Feldforschung

Bei der Analyse wurde offenkundig, dass jeder dieser Bereiche eine Form der Distanz repräsentierte. Die standortbasierten Herausforderungen bezogen sich eindeutig auf feststehende Distanzen – Unterschiede zwischen Zeit, Ort und Organisationszugehörigkeit im Vergleich zu anderen Teammitgliedern. Wir fassten sie unter dem Begriff physische Distanz zusammen.

Die täglichen Irrungen und Wirrungen, die ständig für Frustration sorgten, beispielsweise zu viele E‐Mails beantworten zu müssen oder das Fehlen eines geteilten Kontexts, erzeugten regelmäßig und wiederholt psychologische Distanz. Wir fassten sie unter dem Begriff operative Distanz zusammen, weil sich die Form, die sie annahm, von einem Tag zum anderen verändern konnte.

Die Beziehungsprobleme entwickelten sich aus einem tief verwurzelten intuitiven Gefühl der Isolation, verursacht durch Risse im kulturellen Wertesystem und in anderen Sozialdynamiken, die verhinderten, dass ein Gefühl der Nähe entstand. Wir fassten sie unter dem Begriff Affinitätsdistanz zusammen.

Wir stellten außerdem fest, dass sich eine Problemkategorie auf viele andere auswirkte und in verschiedenen Kombinationen zutage trat, die je nach Unternehmen und Situation variierten. Deshalb galt es, die Falle zu vermeiden, sie auseinander zu reißen und einzeln zu betrachten, um Dinge wie wachsendes Misstrauen und mangelnde Ziel‐ und Aufgaben‐ oder Rollenklarheit zu erklären. Auf der Grundlage unserer ersten Feldstudien wurde deutlich, dass die Probleme eng miteinander verknüpft waren und in Kombination ein neues Phänomen erzeugten: die virtuelle Distanz. Abbildung 1.3 veranschaulicht das Modell der virtuellen Distanz im Überblick.

Doch die Identifizierung der Probleme sagte noch nichts über die Beschaffenheit oder das Ausmaß der virtuellen Distanz auf die Unternehmensergebnisse, beispielsweise Innovation und Finanzen, aus. Wir zielten darauf ab, eine Methode zu entwickeln, die uns unmittelbar den Weg zu umsetzbaren Lösungen wies. Das führte zur Entwicklung des Index der virtuellen Distanz (Virtual Distance Index, VDI), ein exakt überprüftes und validiertes Verfahren zur Messung der virtuellen Distanz, das einen quantitativen Leistungsvergleich ermöglichte, um herauszufinden, ob die virtuelle Distanz Auswirkungen besaß und wenn ja, welche.


Abb. 1.3: Modell der virtuellen Distanz, Übersicht

Wir stützen uns bei unserer Betrachtung auf einen umfangreichen im Lauf der Zeit entstandenen Datensatz: Er umfasst 1400 Studien, 55 Länder, mehr als drei Dutzend Branchen und Repräsentanten aller Organisationsebenen.

Unser Ergebnis: Unkontrollierte virtuelle Distanz hat negative Auswirkungen auf zentrale Führungsaspekte, den finanziellen Erfolg und die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens.

Wie aus Abbildung 1.4 ersichtlich, ist die virtuelle Distanz Ursache direkter und indirekter Veränderungen bei den beiden Unternehmenszielen finanzieller Erfolg und Innovation. Wie wir im vierten Kapitel sehen werden, lassen sich leistungsbeeinflussende Schlüsselfaktoren, beispielsweise Vertrauen, OCB (Organizational Citizenship Behavior), altruistisches Verhalten in der Arbeitsumgebung), Mitarbeiterengagement, Arbeitszufriedenheit, Lernen, Aufgaben‐, Rollen‐ und Zielklarheit, strategische Wirkung und Führungseffektivität erheblich verbessern, wenn die virtuelle Distanz verringert wird. Sie hat die stärksten Auswirkungen auf Vertrauen und OCB der Mitarbeiter, was wiederum zahlreichen weiteren Problemen Vorschub leistet.2


Abb. 1.4: Der Weg der virtuellen Distanz

In unserer ersten Ausgabe präsentierten wir die Formel der virtuellen Distanz. Doch nach vielen zusätzlichen Jahren der Datensammlung haben wir eine Ratio der virtuellen Distanz mit stabilem, exponentiellem Wachstum entdeckt (siehe Abbildung 1.5).


Abb. 1.5: Ratio der virtuellen Distanz

Wie man sieht, sind alle Einflussfaktoren der virtuellen Distanz durch ein mathematisches Größenverhältnis miteinander verbunden. Wir können jetzt nicht nur die Auswirkungen der virtuellen Distanz auf die Unternehmensergebnisse prognostizieren, sondern auch die einzelnen Faktoren berechnen, wenn einer der anderen Faktoren bekannt ist.

Diese mathematischen Exponentialreihen stellen ein noch stärkeres quantitatives Fundament für die zuvor erwähnte Macht der virtuellen Distanz dar.

Doch das ist noch nicht alles.

Die Analyse der virtuellen Distanz ermöglicht prädiktive Lösungen.

Als diese Lösungen in spezifischen Sequenzen angewendet wurden, entsprechend den individuellen Mustern der virtuellen Distanz mit bestimmten Prioritäten versehen, konnten wir nachweisen, dass unsere Empfehlungen rasch wirksame, messbare Verbesserungen erzielten, unter anderem eine erhebliche Optimierung der Bilanzstrukturen, bedeutungsvollere Beziehungen zwischen standortverteilten Teammitgliedern und eine stärkere Motivation, gemeinsam auf geteilte Ziele hinzuarbeiten.

Die Macht der virtuellen Distanz

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