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DIE MAMMUTS IN BRÜNN

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Die Stadt Brünn (Brno) in Tschechien ist ein klassisches Ziel für alle an Gentechnik Interessierten. Ich bin früher schon einmal hier gewesen, unter anderem, um eine Reportage über den Mönch Gregor Mendel zu schreiben. Er erbrachte in den 1860er-Jahren den Nachweis, dass Merkmale durch voneinander abgegrenzte Einheiten vererbt werden – diese Einheiten nennen wir heute Gene. Das Kloster, in dem Mendel arbeitete, existiert noch. Nachdem es in der kommunistischen Ära ein Schattendasein führte, ist es jetzt restauriert worden. Kloster waren bei den Kommunisten nicht gern gesehen und auch die biologische Wissenschaft wurde mit Argwohn betrachtet – besonders während der Herrschaft von Josef Stalin in der Sowjetunion. Vor allem die als kontrarevolutionär und bürgerlich erachtete Genetik war tabu.

Als ich Brünn jetzt wieder besuche, schaue ich noch einmal im Augustinerkloster und im Museum zu Mendels Leben und Werk vorbei. Einige blühende Erbsen ranken vor dem Eingang. Mendel führte seine Versuche an Erbsenpflanzen durch, denn sie waren praktisch und pflegeleicht. Er säte und rechnete, säte und rechnete. Gelbe Erbsen, grüne Erbsen, rote Blüten, weiße Blüten, hohe Pflanzen, niedrige Pflanzen … Auf der Basis sieben verschiedener Eigenschaften der Erbse formulierte er seine Vererbungsgesetze und beschrieb dominante und rezessive Merkmale.

Es sollte über vierzig Jahre dauern, bis Gregor Mendels Erkenntnisse über die Stadt Brünn hinaus bekannt wurden. Als man sie dann schließlich anwandte, revolutionierten sie die Pflanzenveredelung, die Tierzucht und fast die gesamte biologische Wissenschaft. Leider sind Mendels Ergebnisse teils falsch interpretiert worden. Heute wissen wir, dass Vererbung selten so simpel ist wie bei seinen grünen und gelben Erbsen. Bei den meisten Merkmalen verläuft sie deutlich komplizierter und wird sowohl von vielen unterschiedlichen Genen als auch von Umweltfaktoren beeinflusst.

Nach meinem Besuch im Mendelmuseum fahre ich mit der Straßenbahn einige Haltestellen stadtauswärts. Dieses Mal bin ich nach Brünn gekommen, um mehr über jene große europäische eiszeitliche Kultur zu lernen, die auf das Aurignacien folgte: das Gravettien.

Außerhalb der Stadt liegen einige der wichtigsten eiszeitlichen Fundplätze Europas. Der bekannteste ist Dolni Věstonice. Viele der dortigen Funde sind im Museum Anthropos am Stadtrand von Brünn zu sehen. In der Straßenbahn versuche ich von einigen Damen in Erfahrung zu bringen, an welcher Haltestelle ich aussteigen muss. Mit Englisch komme ich nicht weiter, sodass ich auf mein äußerst rudimentäres Deutsch zurückgreifen muss. Als sie endlich verstehen, was ich meine, rufen sie: „Aha! Mammut!“ Eine von ihnen steigt an der gleichen Haltestelle aus wie ich, nicht etwa, weil sie dort etwas zu erledigen hätte, sondern, um mir den Weg zu zeigen. Als ich das Museum betrete, verstehe ich, worauf die Damen angespielt haben: Das Gebäude wird von einem riesenhaften, über zwei Stockwerke großen, langhaarigen Mammut dominiert. Neben ihm steht sein Junges, das fast so groß ist wie eine Kuh.

Im Obergeschoss sehe ich das berühmte Dreiergrab. Darin liegen drei Menschen, die alle im Teenageralter oder mit Anfang zwanzig starben: in der Mitte eine Frau, die behindert war und deren Skelett offenbar angeborene Schäden aufweist. Sie liegt auf dem Rücken. Zu beiden Seiten von ihr liegt jeweils ein Mann. Der eine liegt dicht neben ihr auf dem Bauch, den Arm mit ihrem verschränkt, der andere liegt etwas weiter entfernt, aber seine Hand ruht auf ihren Geschlechtsteilen. Ihre Köpfe und auch der Schoß der Frau mit der Hand des Mannes sind mit Ocker bedeckt.

Zwei dieser Personen könnte man als meine Verwandten bezeichnen. Ihre mitochondriale DNA gehört zur Gruppe U5, genau wie meine. Aber ihre U5 ist eine sehr frühe Variante, die heute keine Entsprechung mehr hat. Die dritte Person – der Mann, der seine Hand auf dem Schoß der Frau hält – gehört zur Gruppe U8.

Eine mögliche Interpretation ist, dass der Mann und die Frau mit U5 Geschwister sind und der Mann mit U8 der Partner der Frau. Schwester und Bruder liegen nahe beieinander mit ineinander verschränkten Armen. Der Partner der Frau liegt etwas weiter weg, legt aber seine Hand auf ihre Geschlechtsteile. Ihre Lage im Grab spiegelt ihre Beziehungen im Leben wider.

Die jungen Menschen lebten vor ungefähr 31.000 Jahren. Die ältesten Funde aus Dolni Věstonice sind nach den neuesten Datierungen bis zu 34.000 Jahre alt. Sie alle werden der Kultur des Gravettien zugeordnet, deren Werkzeuge und Kunstgegenstände sich deutlich von denen des Aurignacien unterscheiden.

In einer der Universitäten der Stadt treffe ich den für die Grabungen in Dolni Věstonice verantwortlichen Archäologen Jiři Svoboda. Er ist ein zurückhaltender Mann in den Sechzigern und einer der angesehensten Archäologen Europas. Svoboda ist davon überzeugt, dass das Aurignacien und das Gravettien zwei unterschiedliche Einwanderungswellen nach Europa repräsentieren. Das Aussehen der Gegenstände legt Zeugnis davon ab, dass die Menschen des Gravettien von Süden her einwanderten, aus dem Nahen Osten und von den Stränden des Mittelmeers.

Das einzige Individuum des Aurignacien, das bisher untersucht worden ist, ist der K14-Mann aus Kostenki in Russland. Er gehörte zur Haplogruppe U2. Die drei Menschen des Gravettien aus Dolni Věstonice gehörten den Gruppen U5 und U8 an. Diese mageren Befunde können weder Jiři Svobodas Theorie über zwei unterschiedliche Einwanderungswellen belegen, noch das Gegenteil beweisen. Es ist durchaus möglich, dass er recht hat und dass weitere Fossilien, deren DNA in Zukunft untersucht wird, seine Theorie untermauern. Aurignacien und Gravettien hätten in dem Fall vor ungefähr 50.000 Jahren einen gemeinsamen Ursprung im Nahen Osten, wären dann aber mit unterschiedlichen Einwanderungswellen nach Europa gekommen. Zu ihrer gemeinsamen Ursprungsgruppe gehörte „Ursula“, also eine Frau aus der Haplogruppe U, die die Urmutter all derjenigen wurde, die einer der insgesamt neun Untergruppen mit Namen wie U2, U4, U5 und U8 angehören. Menschen aus dieser Keimzelle im Nahen Osten unternahmen zahlreiche Versuche, nach Europa einzuwandern. Doch nur zwei dieser Versuche während der Eiszeit waren erfolgreich: das Aurignacien, das vor gut 43.000 Jahren hierherkam, und das Gravettien, das vor ungefähr 34.000 Jahren Europa erreichte.

Die umfangreichen Funde aus Dolni Veestonice bergen riesige Mengen an Informationen über das Leben in Zentraleuropa vor 20.000 bis 34.000 Jahren. Die Spuren verraten, dass die Menschen in regelmäßigen Abständen zu ihren Siedlungsplätzen zurückkehrten. Einige von ihnen könnten auch dauerhaft in Dolni Veestonice gelebt haben. Sie waren hoch spezialisierte Mammutjäger, ernährten sich aber auch von Hasen und Vögeln.

Einige Schmuckstücke wie durchbohrte Fuchszähne und Perlen wurden hier gefunden, jedoch weniger als in den Hinterlassenschaften des Aurignacien üblich. Die Menschen des Gravettien scheinen viel Wert auf den Schmuck ihrer Mützen gelegt zu haben.

Auch eine ganze Reihe von Kunstgegenständen ist erhalten. Am berühmtesten ist die „Venus von Dolni Věstonice“, eine üppige Frauenfigur aus gebranntem Ton. Sie ist mehrere Tausend Jahre älter als die ältesten bisher bekannten Keramikgefäße, die in Japan und China entdeckt wurden.

Die Menschen in Dolni Věstonice waren Nomaden, die keine schweren Keramikgefäße mit sich herumschleppen wollten, erläutert Jiři Svoboda. Ihr Essen kochten sie in Behältern aus Tierhäuten, in denen sie Wasser mithilfe im Feuer erhitzter Steine erwärmten. Das war die steinzeitliche Version unseres Wasserkochers, eine erstaunlich effektive Methode.

Aus dem Ton stellten sie stattdessen Miniaturfiguren her – sowohl Tiere als auch Menschen –, von denen eine große Anzahl gefunden wurde. Viele liegen zersplittert dicht bei den Feuerstellen. Es sieht so aus, als ob die Bewohner von Dolni Věstonice Tonfiguren formten und sie dann ins Feuer legten, bevor sie durchgetrocknet waren. Dabei dehnt sich das Wasser im Ton aus und der Gegenstand explodiert. Wie Popcorn. Wir können nur darüber spekulieren, ob explodierende Tonfiguren ein Partygag waren, der allein der Unterhaltung diente, oder Teil eines Ritus.

Eine andere seltsame Beschäftigung der Menschen in Dolni Věstonice scheint es gewesen zu sein, einander heftig auf den Kopf zu schlagen. Offenbar benutzten sie dafür Keulen oder ähnliche harte Gegenstände. Viele der Schädel weisen gravierende Verletzungen auf, die jedoch abgeheilt waren, bevor die betreffende Person aus einem anderen Grund starb.

Unter Forschern heiß umstritten ist die Frage, ob die Menschen in Dolni Věstonice zahme Hunde hielten. An den Grabungsplätzen wurden viele Knochen von Wölfen gefunden. Mehrere davon stammen von ungewöhnlich kleinen Tieren, die viele Archäologen eher für Hundeskelette halten.

Jiři Svoboda drückt sich diplomatisch aus, wenn er über dieses Thema spricht. Er arbeitet mit mehreren anderen Forschern zusammen, die weit auseinandergehende Meinungen vertreten. Er weist jedoch auf einen Faktor hin, der in diesem Zusammenhang entscheidend sein könnte: In den Siedlungen sind große Mengen Knochen von Beutetieren gefunden worden, die jedoch keinerlei Bissspuren von Hunden aufweisen.

Anscheinend suchten die Wölfe die Nähe der menschlichen Siedlungen, weil sie dort leicht an Fleisch herankommen konnten. Sie hielten sich jedoch am Rande auf und wurden erst später zu unseren zahmen Begleitern.

Ich komme später noch auf die hitzige Debatte über die ersten Hunde zurück.

Die Venus von Dolni Věstonice ist ziemlich fett und das gilt auch für mehrere andere Frauenfiguren, von denen Fragmente gefunden wurden. Sie haben so viel Unterhautfett, dass sich die Haut auf ihrem Rücken in Falten legt. Das ist ein wenig paradox, denn Knochen und Zähne der Menschen in Dolni Věstonice verraten, dass sie Hungerzeiten durchmachten. Das Leben in der zentraleuropäischen Ebene konnte hart sein. Es traten große Temperaturunterschiede auf und vor ungefähr 20.000 Jahren wurde es so kalt, dass die Menschen dort kaum noch ausharren konnten. Damals begann die allerkälteste Periode der Eiszeit.

Zentraleuropa war nicht mehr bewohnbar. Die Mammutjäger von Dolni Věstonice wanderten in Gegenden ab, wo das Klima wärmer und das Leben erträglicher war. Und ich fahre in den Südwesten Frankreichs und nach Spanien, denn ich glaube, dass einige meiner Verwandten dorthin zogen.

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