Читать книгу Karin Bucha Classic 45 – Liebesroman - Karin Bucha - Страница 3
Оглавление»Du mußt mich anhören, Beate, du mußt.« Mit einem Griff dreht der große Mann mit den blauen Augen das zierliche dunkelhaarige Geschöpf zu sich herum. »Muß ich dir erst sagen, wie sehr ich dich liebe? Ich bitte dich, sei ehrlich zu mir. Oder – liebst du mich nicht so sehr, wie ich angenommen habe?«
Beate Reichert windet sich, aber sie kann sich nicht von Peter Warburg lösen. In ihren tiefblauen Augen glänzen Tränen.
»Liebst du mich?« fordert die Stimme kurz und hart.
»Ja, Peter«, flüstert sie erstickt.
»Liebes!« Er läßt ihre Handgelenke los und schließt sie in seine Arme. Sein Mund sucht ihre Lippen. Er küßt sie zuerst zart und innig und dann immer leidenschaftlicher. Als er sie endlich freigibt, ist ihr Gesicht tränen-überströmt, aber die Augen leuchten vor Glück.
»Und nun erzähle mir, weshalb wir uns trennen sollen«, spricht er mit tiefer Zärtlichkeit. »Wer fordert das von dir, denn daß es nicht von dir kommt, davon bin ich überzeugt.«
»Mein Vater, Peter!«
Betroffen hält er den Atem an. »Dein Vater?« wiederholt er ungläubig und schüttelt dann heftig den Kopf. »Ausgeschlossen, Beate, da steckt mehr dahinter.«
Peter schließt sie abermals in seine Arme. Er fühlt, wie unglücklich sie ist, und seine Nähe gibt ihr Schutz vor etwas, das sich wie ein Ungewitter zu nähern droht und sie beide verschlingen will.
»Ich werde mit deinem Vater sprechen, Beate«, entschließt er sich und wiegt sie wie ein Kind in seinen Armen. »Er muß mir eine Erklärung geben.«
Sie hebt sich auf die Zehenspitzen und drückt ihren weichen Mund auf seine Lippen, auf die Wangen und legt dann ihr Gesicht schmeichelnd in seine warme, gute Hand. »Komm in einer Stunde, Peter, dann ist Vater ausgeruht. Und nun, auf Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen!« flüstert er und preßt die Lippen zusammen. Er sieht der schlanken, enteilenden Gestalt solange nach, bis sie zwischen den Bäumen verschwunden ist.
Sie haben sich bei den Birken getroffen, heimlich, als hätten sie etwas zu verbergen; dabei weiß es das ganze Dorf, daß sie sich lieben und zusammengehören.
Langsam macht er kehrt und geht dem Eichenhof zu, auf dem die Warburgs seit Generationen sitzen. Es ist der größte und schönste Hof weit und breit, und Peter liebt ihn unendlich.
Schön, wunderschön – sinnt er – und doch ist es anders auf dem Hof geworden, seitdem sein Vater von einem Baum erschlagen wurde und seine Brüder erwachsen sind und auf Nachbarhöfen einheirateten.
Warum er sich nur nicht mit seinem ältesten Bruder Franz und dessen Frau Magda vertragen kann? Warum setzen sie ihm, dem Jüngsten, so viel versteckten Widerstand entgegen, den er mit aller Ehrlichkeit und Offenheit nicht zu brechen vermag?
Eigentlich gleicht das Anwesen mit dem hellen Wohnhaus, den grünen Fensterläden und den weitläufigen Nebengebäuden mehr einem Herrensitz.
Das Wohnhaus besitzt eine große Halle mit einem Kamin, der im Winter angenehme Wärme verbreitet. Die Wände sind dunkel getäfelt und mit Geweihen geschmückt. Eine gewundene Treppe mit kunstvoll geschnitztem Geländer führt in das erste Stockwerk.
Links von der Halle liegt das Wohnzimmer der Familie mit dem anschließenden kleineren Arbeitskabinett. Rechts davon das Eßzimmer, das fast einem Saal gleicht, und daneben ein kleiner Salon, den ausschließlich Maria Warburg benutzt.
Diesen kleinen, geschmackvoll ausgestatteten Raum sucht Peter auf, findet ihn leer und geht hinüber in das große Wohnzimmer.
»Peter!«
Er hört die Stimme seiner Mutter aus dem Kabinett kommen und tritt ein.
»Hier bist du, Mutter«, sagt er, und seine Augen leuchten auf. Auch Maria Warburg ist hochgewachsen und blauäugig. Seit dem Tod ihres Mannes führt sie die Geschäfte vorbildlich, von Franz und Peter unterstützt.
Bei seinem Eintritt schließt sie die Schublade des wuchtigen Schreibtisches. Sie ist blaß, und ihre Züge wirken verstört.
»Suchst du etwas, Mutter?« erkundigt Peter sich und kommt langsam näher. Unsicher sieht sie ihn an, um dann abermals die Schublade zu öffnen.
»Ich suche die viertausend Mark, die mir der Viehhändler Frickemeyer gebracht hat«, erklärt sie nervös, und ihre Hände zittern dabei. »Ich habe sie in das mittlere Fach geschlossen – und jetzt sind sie verschwunden.«
»Das ist doch wohl nicht möglich, Mutter.« Peter lacht sorglos auf und stellt sich neben sie. Wann hätte seine ordnungsliebende Mutter einmal etwas verlegt? Gemeinsam sichten sie alle Papiere, die griffbereit das Fach ausfüllen. Von dem Geld ist nichts zu sehen.
»Komisch, Mutter«, unterbricht Peter die Stille. »Vielleicht hast du sie in den Geldschrank gelegt?«
»Da habe ich bereits nachgesehen – leider umsonst«, erwidert sie leise, bedrückt.
»Hast du schon mit Franz darüber gesprochen?«
»Ja«, sagt sie und läßt sich in den ausladenden Sessel sinken. Sie hebt die Augen. Wie ein Schleier liegt es über den blauen, ehrlichen Augen. »Peter, warst du am Schreibtisch?«
»Gewiß, Mutter«, gibt er sofort zu. »Ich suchte die Milchabrechnung.«
»Also doch«, murmelt sie und unterbricht sich rasch. Peter wird stutzig.
»Was willst du damit sagen, Mutter?« Das Lachen ist auf seinen Zügen ausgelöscht.
»Franz hat gesehen, wie du dich am Schreibtisch zu schaffen machtest, Peter. Du und ich, wir beide besitzen allein die Schlüssel zu ihm.«
»Mutter!« Das klingt wie ein Aufschrei. Peter scheint langsam die Ungeheuerlichkeit zu begreifen. »Du – du willst doch nicht etwa behaup-
ten –«
Nein! Er wagt es nicht auszusprechen und weiß, auch seine Mutter glaubt es nicht.
»Franz meinte –«
»Laß Franz aus dem Spiel, Mutter.« Das klingt schroff und unzugänglich. »Warum, das weiß ich nicht, aber Franz haßt mich.«
Jetzt ist es Maria Warburg, die bis ins Herz hinein erschrickt.
»Nein! Nein!« wiederholt sie mit einer Heftigkeit, die im krassen Widerspruch zu ihrer sonstigen Sanftheit steht. »Du urteilst zu hart, Peter, das ist nicht wahr, er haßt dich nicht –«
»Wie konnte er sonst behaupten, ich hätte das Geld genommen?« Er bemerkt, wie alles Blut aus dem Antlitz der Mutter entweicht und weiß, daß er auf dem richtigen Weg ist.
»Was hat er dir einzureden versucht, Mutter«, fordert er mit eiskalter Ruhe. »Bitte, sag mir die Wahrheit. Ich werde ihn dafür zur Rechenschaft ziehen.«
Um Gottes willen! Nein! Nur keinen Streit zwischen den Brüdern.
»Bitte, setz dich, Peter«, haucht sie und ringt um ihr inneres Gleichgewicht.
Gehorsam nimmt Peter im Sessel, dem Schreibtisch gegenüber, Platz. Er sieht, wie ihre Hand zum Telefon greift, wie sie den Hörer abnimmt.
»Hier Warburg, spreche ich mit Herrn Kleeberg persönlich? Gut. Ich warte.«
Wenige, aber bedrückend wirkende Minuten vergehen, dann hört er seine Mutter weitersprechen. »Guten Tag, Herr Kleeberg. Wann wird der Wagen meines Sohnes Peter ausgeliefert? Heute noch? Gut, dann können Sie auch den Scheck gleich mitnehmen. Wie hoch, bitte?«
Wieder vergehen ein paar angstdurchzitterte Sekunden, dann sagt sie tonlos:
»Viertausend Mark? Mein Sohn hat sie schon bezahlt? Danke schön, Herr Kleeberg.«
Langsam legt Maria Warburg den Hörer in die Gabel. Sie wagt nicht zu ihrem Jüngsten hinzublicken.
Unheilvoll lastet die Stille zwischen den beiden Menschen, die sonst ein Herz und eine Seele waren. Ja, Maria Warburg liebt ihren Jüngsten mit einer Stärke, vor deren Ausmaß sie manchmal selbst erschrickt.
»Mutter«, wiederholt er. »Glaubst du wirklich, ich könnte dich bestohlen haben?«
»Franz meint…« Ihre Hände bewegen sich ziellos. Nirgends finden sie einen Halt. Schließlich stößt sie mit tränenerstickter Stimme hervor. »Peter, ach, Peter, warum hast du dich nicht an mich gewandt? Ich hätte dir das Geld sofort gegeben.«
»Franz will mich vernichten. Bitte, Mutter, glaube an mich. Ich habe mir das Geld erspart. Du kennst meinen größten Herzenswunsch. Ich wollte dich mit dem Wagen, der mir allein gehören sollte, überraschen. Wie soll ich dir beweisen, daß ich das Geld nicht genommen habe?«
»Peter«, flüstert sie, bis in Herz ergriffen. Sie glaubt ja an ihn. Sie gibt auch zu, daß Franz das Mißtrauen in ihr gesät hat. Warum hat sie nicht geschwiegen?
Peter richtet sich entschlossen auf. »Ob du an mich glaubst oder nicht, Mutter: ich kann nicht mehr länger neben Franz auf dem Hof arbeiten. Er ist der Erbe, ich habe zu weichen. Du mußt selbst einsehen, daß das nicht länger so weitergeht. Bisher habe ich zu allem geschwiegen, aus Liebe zu dir, Mutter. Das ist die reine Wahrheit. Ich gehe – und ich betrete den Hof nicht eher wieder, bis die Sache mit dem Geld geklärt ist!«
»Peter«, verzweifelt streckt sie ihm die Hände entgegen. »Wohin willst du gehen, Peter? Ich bitte dich, deswegen geht man doch nicht aus dem Elternhaus. Der kleine Zwischenfall wird sich aufklären.«
»Laß mich meinen Weg gehen, Mutter.« Entschlossener Wille spricht aus ihm. »Ich kann nur in einer sauberen Atmosphäre leben, arbeiten und glücklich sein. Franz und seine Frau haben die Luft auf unserem Hof verpestet. Es tut mir nur unendlich leid, daß ich dich nicht mitnehmen kann, Mutter. Dir wird es nicht gut bei Franz ergehen, das weiß ich.«
»Peter!«
»Ich versuche bei Ernst Reichert unterzukommen. Ich liebe Beate. Wo ich arbeite, ist gleich. Meine Hände kann ich überall regen, und wenn ich für Beate schaffe, das gibt mir noch mehr Antrieb.«
»Ernst Reichert?« Sie legt das Gesicht in die Hände und schluchzt laut auf. Ein Warburg will den Eichenhof verlassen? Er will für andere arbeiten?
»Hast du etwas dagegen, Mutter? Haben Gerhard und Otto nicht auch den Eichenhof verlassen? Du hast sie mit deinem Segen ziehen lassen. Ich tue also nichts anderes als meine älteren Brüder, wenngleich der Anlaß auch ein anderer ist. Es geht einfach nicht mehr, Mutter, das mußt du einsehen. Ich schwöre dir, ich habe das Geld nicht gestohlen –«
»Peter, keiner behauptet das, am allerwenigsten ich. Ich glaube dir. Genügt dir das nicht?« Sie hebt das tränennasse Gesicht, und Peter nimmt sie in seine Arme und küßt sie.
»Das genügt mir, aber für Franz ist der Vorfall ein gefundenes Fressen. Ich hätte die Hölle auf dem Hof. Das kannst du nicht von mir verlangen, Mutter.«
Die beiden Menschen, die sich
umschlungen halten, fahren wie auf einem Unrecht ertappt auseinan-
der.
Maria Warburg richtet sich auf und sieht dem langsam näherkommenden Sohn Franz aus verweinten Augen, nunmehr wieder in tadelloser Haltung entgegen.
»Es wird sich finden«, beharrt sie. »Es muß sich finden, Franz. Du wirst über den Vorgang Stillschweigen bewahren. Es wissen nur wir drei darum.«
Er lacht böse auf. »Mit deinem Goldsohn kann ich natürlich nicht in Konkurrenz treten. Er ist nun einmal der Allerbeste in deinen Augen.«
»Das ist nicht wahr.« Ihre Augen blitzen ihn an. »Ich habe mir immer Mühe gegeben, eine gerechte Mutter zu sein. Über was kannst du dich beklagen?«
»Laß das doch«, mengt Peter sich angewidert in das Gespräch. »Franz hat dir schon sehr oft weh getan.«
»Du bittest wohl um schön Wetter«, höhnt Franz und stemmt die Hände auf die Sessellehne.
»Ich gehe jetzt, Mutter«, sagte Peter, ohne des Bruders Einwurf zu beachten. Er neigt sich über sie und küßt sie auf die Wange. »Wir sehen uns heute noch einmal, dann erfährst du alles Weitere.«
»Suchst du die viertausend Mark?« Franz Warburgs Stimme ist mit Hohn getränkt.
»Vielleicht noch mehr«, erwidert Peter zweideutig und geht rasch davon. Ihm ist, als verfolge ihn ein schmerzlicher Seufzer aus dem Mund seiner Mutter. Doch unbeirrt, ohne sich umzuwenden, setzt er seinen Weg fort.
Die Haustür fällt dumpf ins Schloß, und Maria Warburg birgt ihr Gesicht in den Händen.
Ihr Peter geht! Wird sie ihn halten können, mit ihrer ganzen Liebe, mit allem Vertrauen?
Bevor Peter Warburg nun Georg Reichert aufsucht, geht er noch einmal in den Schuppen, wo der Treibstoff für die landwirtschaftlichen Maschinen steht. Ein ganz kleines Lächeln steht in seinen Mundwinkeln. Zu dem Dieselöl hat sich ein Kanister mit Benzin gesellt. Für seinen neuen Wagen, auf den er sich mit übergroßer Erwartung gefreut hat – und jetzt hat sich auf diese Freude Kummer wie ein Aschenregen gelegt.
Er sieht sich aufmerksam um und kontrolliert jede Ecke, damit ja nichts passieren kann. Dann erst verläßt er den Schuppen, der sich den Stallungen anschließt. Langsam wandert er über das Land. Sengend ist die Hitze. Beate – denkt er – und Mutter, die beiden liebsten Menschen, die die Erde für ihn trägt.
Es müßte Regen geben, sinnt er weiter, die Erde ist ausgetrocknet und zerrissen.
Er erreicht den Reicherthof, der kleiner als der Eichenhof, aber in mustergültiger Ordnung ist.
Georg Reichert, ein großer, hagerer Mann, der mit seiner Meinung nie hinter dem Berg hält und viele Freunde besitzt, ist der erste Arbeiter auf seinem Hof.
»Guten Tag«, sagt er frostig, als Peter Warburg in seinem Zimmer erscheint, das vor der Hitze abgedunkelt ist und die Einrichtung schwach erkennen läßt.
»Setzen Sie sich, Peter«, spricht Reichert kurz angebunden.
Peter bleibt stehen, und Reichert setzt noch hinzu: »Auch gut, wir haben uns nicht viel zu sagen.«
»Herr Reichert«, beginnt Peter und spürt, wie ihm die Zunge am Gaumen klebt vor Hitze und vor Erregung. »Ich will es auch kurz machen. Ich bitte Sie um Beates Hand. Wir lieben uns!«
Mit einem Ruck erhebt Reichert sich. In seinen Augen blitzt es. »Mehr nicht?«
»Doch«, fährt Peter unbeirrt fort. »Und dann möchte ich Sie um Arbeit bitten. Es sind Umstände eingetre-
ten –«
»Ich weiß, Peter«, unterbricht Reichert ihn mit einer schroffen Handbewegung. »Sparen Sie sich jede Erklärung. Meine Antwort sollen Sie auch gleich hören. Ich gebe meine Tochter keinem Dieb.«
Peter starrt den Mann an, als sehe er ein Gespenst. Er taumelt einen Schritt vorwärts, und es sieht aus, als wolle er den Mann, der diese furchtbare Beschuldigung ausgesprochen hat, an die Kehle gehen.
»Herr Reichert, woher wissen
Sie –?«
»Es genügt, d a ß ich es weiß. Woher, spielt dabei keine Rolle.«
Keiner von den beiden Männern hat gesehen, daß Beate ins Zimmer gehuscht ist. Schwer atmend lehnt sie am Türrahmen. Ihre Augen irren von einem zum anderen. Sie preßt die Hand an den Mund, um den Aufschrei zu unterdrücken.
»Ich schwöre Ihnen –«
»Schwören Sie lieber nicht, Peter.« Die Stimme Reicherts ist ruhig und gelassen. »Können Sie beweisen, daß Sie kein Dieb sind?«
»Peter ist kein Dieb!«
Reichert und Peter bemerken Beate, die mit dieser wie ein Entsetzensschrei klingenden Behauptung sich in die Unterhaltung eingeschaltet hat.
Sekunden vergehen. Beate stellt sich wie selbstverständlich neben Peter, und unwillkürlich legt er seine Rechte um ihre Schulter. Ihre Nähe gibt ihm die Besonnenheit zurück.
Reichert betrachtet die beiden Menschen lange und eingehend. Ihm ist hundeelend zumute. Sein schönster Traum, Peter und sein einziges Kind ein Paar, zerstört.
»Vater, ich bitte dich, höre Peter doch an.« Beates warme, flehende Stimme reißt ihn aus seinen unerfreulichen, trübsinnigen Gedanken.
»Willst du einen Mann heiraten, auf den man mit Fingern weist?«
»Aber es ist doch nichts bewiesen, Vater. Ich bitte dich, hilf Peter, hilf uns, wenn du mich lieb hast.«
Reichert zögert. Die Stimme seines einzigen Kindes berührt sein Herz. Hat sie recht? Tausendmal recht? Wenn man Peter nur ansieht, kommt einem alles töricht und unwahrscheinlich vor.
Im selben Augenblick reißt der Großknecht die Tür auf und brüllt in den Raum.
»Der Eichenhof brennt!«
Die Tür fliegt wieder ins Schloß, und die drei, zunächst wie erstarrt dastehenden Menschen, erwachen in einer grausamen Wirklichkeit.
»Komm«, sagte Peter kurz und zieht Beate an der Hand mit sich. Sie rennen gemeinsam dem Eichenhof zu.
Mutter! Mutter! denkt Peter nur, dabei hält er Beates Hand fest umschlossen, als suche er Halt bei ihr. Der Eichenhof, die geliebte Heimat, in Flammen? Dazu die Hitze! Man wird viel zu wenig Wasser zum Löschen finden.
Die beiden abgehetzten Menschen finden ein heilloses Durcheinander auf dem Hof vor. Tiere schreien in Todesnot, Menschen hetzen durcheinander.
Die Dienstboten des Hofes haben eine Kette gebildet und mit allen möglichen erreichbaren Gefäßen versuchen sie, aus dem nahen Teich das löschende Wasser heranzutragen. Die Feuerwehr ist noch nicht eingetroffen.
Peter wirft sich den Flammen entgegen, rücksichtslos dringt er in den Pferdestall ein, und tatsächlich kommen einige der Tiere ins Freie galoppiert, andere laufen aber hinein in die Glut.
Die Stallungen sind bereits niedergebrannt und langsam, aber sicher greift das Feuer auf das Wohnhaus über.
Peter arbeitet wie ein Wahnsinniger. Er sucht seinen Bruder Franz, kann ihn aber nirgends finden. Da stellt er sich an die Spitze der Leute und versucht, das Schlimmste abzuwenden. Vergeblich!
Zu allem Unglück hat der Wind, so schwach er auch ist, sich gedreht und treibt die Flammen dem Wohnhaus zu. Das knistert und kracht.
»Mutter! Mutter!« ruft er verzweifelt und stürmt in das Haus. Keine Antwort. Flammen schlagen ihm entgegen.
»Peter! Ich bin hier, Peter!«
»Hör doch auf, Peter«, fleht Beate ihn an. »Es hat doch keinen Zweck mehr. Bitte, hör auf.«
»Wo ist Mutter?« keucht er. Sie zerrt ihn am Arm mit sich. Auf der Bank des Gartenhäuschens, das abseits liegt und unbewohnt ist, sitzt Maria Warburg; sie hält die kleine wimmernde Franzi in ihren Armen.
»Mutter!« Die Freude, die Mutter unversehrt vor sich zu sehen, dazu die unmenschliche Anstrengung rauben ihm den letzten Rest seiner Kraft.
Vor Beates Füßen bricht er zusammen.
*
Der Eichenhof ist bis auf das Gartenhaus mit seinen beiden Zimmern und der kleinen Küche ein Raub der Flammen geworden.
Als Peter erwacht, liegt sein Kopf in seiner Mutter Schoß, und Beates Hände versuchen, seine Wunden zu verbinden.
»Wo ist Franz?« ist sein erster Gedanke.
»Drüben!« Seine Mutter weist auf die rauchenden und schwelenden Trümmer. »Dort, wo einst der Eichenhof war«, sagt sie mit stumpfer Gleichgültigkeit.
»Ich muß hinüber.« Er ist nicht zu halten, und Beate eilt hinter ihm her.
Peter biegt um die schwarze Mauerecke, den schäbigen Rest des einstigen Stallgebäudes, hört seinen Namen fallen und tritt sofort zurück in den Schatten.
Reichert, der Bürgermeister des Ortes, und der Polizeimeister unterhalten sich mit Franz Warburg.
»Dieselöl befand sich im Schuppen und –« Franz Warburg stockt.
»Und!« fordert der Wachtmeister.
»Ein Kanister Benzin.«
»Ach so, verstehe, für Ihren Privatwagen.«
»Nein«, gibt Franz Warburg ruhig zurück. »Wir fahren einen Diesel. Der Kanister gehört meinem Bruder.«
»Nun reden Sie schon, Mann«, fordert der Polizeimeister ärgerlich. »Wozu braucht Ihr Bruder Benzin?«
Franz zuckt mit den Achseln, und Peter, dem kein Wort entgeht, taumelt gegen den Rest der Schuppenwand. Ihm schmerzt nicht nur jedes Glied, er vermag auch nicht mehr richtig zu denken. Er möchte vorwärtsstürmen und der Unterhaltung Einhalt gebieten. Er spürt, wie sich etwas um ihn schlingt, was ihn zu vernichten droht.
»Keine Ahnung«, hört er Franz sagen.
»Das sieht verdammt nach Brandstiftung aus«, kommt es aus dem Mund des Polizeimeisters.
Beate, die still neben Peter steht, umklammert, von Entsetzen geschüttelt, seinen Arm.
»Das ist doch nicht möglich«, stammelt sie mit bebenden Lippen. »Komm, Peter, bitte, komm!«
Sie zerrt ihn mit sich, und Peter folgt ihr. Sie gehen nicht zu Maria Warburg zurück, sie schlagen den Weg zum Reicherthof ein. Niemand begegnet ihnen. Alles befindet sich an der Brandstelle.
Doch keiner ahnt, daß man Peter, den blonden, allseits beliebten Peter, der Brandstiftung bezichtigt.
Franz gibt auf jede Frage die gewünschte Auskunft, bis sich das Bild immer mehr abrundet.
»Es wird notwendig sein, daß eine Kommission aus der Stadt die Angelegenheit untersucht«, meint der Polizeimeister abschließend. »Die Versicherung wird alles einleiten.«
*
Zur selben Zeit steht Beate vor Peter Warburg. Sie hat die Arme um seinen Hals gelegt und zieht seinen Kopf zu sich herab.
»Du mußt verschwinden, Peter«, raunt sie ihm beschwörend zu. »Du hast gehört, was man dir vorwirft. Es ist alles Unsinn, ich weiß das. Alles spricht gegen dich. Du warst, bevor du zu uns kamst, im Schuppen.«
»Beate«, stöhnt Peter und preßt sie an sich. »Ich habe mich überzeugt, ob alles in Ordnung war. Es war alles in Ordnung. Ich kann das einfach nicht begreifen.«
»Man will dich vernichten, Peter, glaube mir«, spricht sie weiter im beschwörenden Ton. »Den Grund kenne ich nicht. Doch du kannst dich nicht verteidigen, falls man dich einsperren sollte. Du mußt frei sein – dann kannst du für deine Unschuld kämpfen. Du mußt gehen, ganz gleich, wohin. Hörst du denn nicht? Du darfst auch keine Zeit verlieren, Liebster. Wenn mein Vater kommt, mußt du fort sein.«
»Ich bin kein Feigling«, preßt er zwischen den Zähnen hervor.
»Denke an mich, an unsere Liebe, Peter. Ich verlasse dich nie.«
Ausgepumpt, wie ein Sack, läßt er sich auf einen Stuhl nahe der Tür fallen. Beate ist hinausgehuscht. Sie kehrt mit einem Sportanzug ihres Vaters zurück und beginnt ein geschäftiges Treiben.
»Schreib mir, Peter«, flüstert sie abschiednehmend und bitterlich weinend an seinem Hals. Sie läßt sich herzen und küssen, liegt noch einmal selbstvergessen in Peters Armen – dann ist sie allein, allein mit ihrer Sorge um den geliebten Mann und mit ihrer Angst vor dem Kommenden.
Peter irrt zunächst umher. Er wandert durch den Wald, der ihm von Kindheit an vertraut ist. Er läuft kreuz und quer, und als es zu dunkeln beginnt, sieht er sich unter den Birken, wo er sich am Vormittag mit Beate getroffen hat.
Er lehnt sich gegen den hellschimmernden Stamm. Sind wirklich erst Stunden vergangen, daß aus einem sorglosen jungen Menschen ein gehetzter und geächteter Mann wurde?
*
Maria Warburg sitzt bei Anbruch der Dunkelheit immer noch auf der Bank vor dem Häuschen, das, von wildem Wein umrankt, in einen kleinen Garten gebettet, recht nett aussieht.
Sie hat die Hände im Schoß zusammengelegt und starrt aus großen Augen, in denen die ganze Trostlosigkeit ihrer Lage liegt, hinüber zu dem einst so stattlichen Anwesen.
Sie ist im Schmerz wie erstarrt. Es ist aber nicht allein der trostlose Anblick der rauchenden Trümmer, der sie in diesen Zustand versetzt hat…
Ihr Herz schlägt wie wild in der Brust. Sie weiß alles von Franz. Schonungslos, als wolle er sich auf irgendeine Weise und für irgend etwas rächen, hat er ihr den Verdacht, der auf Peter lastet, mitgeteilt.
Der Verstand hat alles aufgenommen, doch ihr Herz hat alles abgelehnt. Nie – niemals hat Peter das getan, dessen man ihn anklagt.
Und nun ist er fort! Ist es Recht oder Unrecht? Hätte er nicht allen Anschuldigungen trotzig die Stirn bieten müssen? Sie hebt den Kopf. Hinter dem Wald steigt der Mond auf und bescheint mit seinem gelblichen Licht die Trümmerstätte und auch die einsame Frau auf der Bank.
Sie lauscht. Da ist es wieder, dieses raschelnde Geräusch, und dann steht eine hohe Gestalt vor ihr.
»Peter!«
»Mutter!«
Sie sieht, wie er vor ihr niedersinkt, und spürt seinen Kopf in ihrem Schoß. Ihre zitternden Hände streicheln immerzu über seinen blonden Haarschopf.
»Du bist doch nicht fort, mein lieber, lieber Junge!« raunt sie voll Glück, und ihre starre Haltung verliert sich. Ihre Stimme ist weich, mit Zärtlichkeit getränkt.
»Ich konnte nicht gehen, ohne Abschied von dir zu nehmen, Mutter«, flüstert er zurück und hebt die verdunkelten Augen zu ihr auf.
»Es ist ja alles nicht wahr, Peter. Es kann nicht wahr sein, was man dir vorwirft.«
»Warum sitzt du hier allein, Mutter?« forscht er, ihre Worte überhörend. »Wo ist Franz, wo Magda und das Kind?«
»Sie sind bei Magdas Eltern –«
»Und du, Mutter?«
Die Dunkelheit verbirgt ihre Züge, in denen es zuckt und arbeitet. Aber sie beherrscht ihre Stimme.
»Ich wollte nicht mit ihnen gehen, selbst wenn sie mich aufgefordert hätten.«
Er hört alles aus ihren Worten, und ihm krampft sich das Herz zusammen. »Friedrich und Gerhard werden sich deiner annehmen, Mutter, solange ich weg bin.«
Sie umklammert seine Arme.
»Solange du weg bist?«
»Ich muß, Mutter. Ich muß meine Unschuld beweisen, das kann ich nur, wenn ich meine Freiheit habe.«
»Wohin willst du, Peter?«
Ratlos schweigt er. Wohin soll er sich wenden? Zunächst muß er eine große Strecke zwischen sich und dem Eichenhof bringen und dann etwas Gras über die Sache wachsen lassen. Noch ehe er zu einem Entschluß gekommen ist, fühlt er sich heftig gepackt.
»Peter«, sagt Maria Warburg in größter Erregung. »Geh zu Onkel Stephan nach Nebraska. Er wird dich aufnehmen. Ich habe immer viel für ihn übrig gehabt, und ich glaube –, hier stockt ihre Stimme, und leise fügt sie hinzu, »ich glaube, er für mich auch.«
»Und dich soll ich hier allein lassen? Ich traue Franz nicht mehr, vielleicht tue ich ihm damit auch Unrecht. Aber es sind ja noch Friedrich und Gerhard da.«
»Ich glaube, du sorgst dich mehr um mich als um dich«, meint sie nach einer Weile, und das Glücksgefühl, das sie in seiner Nähe immer beherrscht, fühlt sie jetzt stärker denn je. Vielleicht hat Franz recht? Vielleicht liebt sie Peter am meisten von ihren Kindern? Nein! Sie nehmen in ihrem Herzen alle den gleichen Platz ein. Nur ist Peters Art von ihrer Art, und er gleicht mehr als die anderen Kinder in seinem Wesen dem verstorbenen Vater.
Sie weiß ganz genau: nie wäre er einer Gemeinheit fähig. Sie glaubt auch nicht, was man ihm vorwirft, wessen man ihn beschuldigt.
»Peter, nimm meinen Rat an, so sehr weh es mir tut, dich nicht mehr um mich zu haben. Ich setze mich den Kindern gegenüber schon durch, glaube mir. Jetzt geht es um deine Sicherheit, und bei Onkel Stephan bist du gut aufgehoben. Ich habe leider kein Geld, ach, wovon sollst du die Reise bezahlen?«
»Ich habe Geld, Mutter. Beate hat mich reichlich versorgt.« Er faßt in seine linke Rocktasche. »Hier hast du etwas davon.«
»Nein! Nein!« wehrt sie heftig ab. »Keinen Pfennig nehme ich davon.«
»Doch, Mutter, du mußt es nehmen«, beharrt er eigensinnig und steckt es ihr in die Schürzentasche. »Sonst hätte ich keine Ruhe.«
»Peter, mein Junge.« Sie zieht seinen Kopf zu sich herunter und küßt ihn. »Meine guten Wünsche begleiten dich. Ich werde immer an dich denken.«
Schwerfällig erhebt er sich.
»Bleibe gesund, Mutter.«
Sie fühlt seinen Mund auf ihren Wangen, ihrem Haar, wohin er gerade trifft.
Kein Wort kann sie sprechen. Die Kehle ist ihr vor Schmerz wie zugeschnürt. Sie sieht einen großen Schatten verschwinden, hört einen leichten Schritt.
Den Kopf an die Hauswand gelehnt, überläßt sie sich hemmungslos ihrem Schmerz. Ein einziger Tag in einem Menschenleben kann es von Grund auf verwandeln.
*
Auf Umwegen geht Peter Warburg stundenlang durch die Nacht. Niemandem begegnet er. Niemand sieht ihn. Er läuft, bis ihm die Füße schmerzen, und als er endlich einen Hauptknotenpunkt der Eisenbahn erreicht hat, läßt er sich im Bahnhofsgebäude auf einer Bank nieder.
Durch die geschlossene Tür dringt der neue Tag herein. Noch sieht alles grau in grau aus, und es ist auch empfindlich kalt geworden.
Er greift in seine Rocktasche und entnimmt ihr den Brief, den Beate ihm zugesteckt hat. Er hat ihn schon ein paarmal gelesen und muß es immer wieder tun.
Geliebter Peter! In aller Eile sollen Dich meine Worte auf Deinem schweren Weg begleiten. Ich glaube an Dich, und ich warte auf Dich. Ich weiß, Du wirst zurückkehren, und alles wird gut sein. Meine guten Wünsche, mein ganzes liebendes Herz gehen mit Dir. Immer Deine Beate.
Ganz sacht drückt er seinen Mund auf ihren Namen und küßt im Geiste ihre Lippen.
*
Ein neuer Tag ist angebrochen, schöner noch als der vorangegangene, mit klarblauem Himmel, seidiger Luft und strahlender Sonne. Sie bescheint unbarmherzig den ausgebrannten Eichenhof, auf dem die Knechte und Mägde mit Aufräumungsarbeiten beschäftigt sind.
Zwischen den Trümmern und verkohlten Balken arbeitet auch eine Kommission aus der Stadt.
Nur die Herrin des Besitzes ist nicht dabei. Maria Warburg hat sich ihre alte Gundel kommen lassen. Mit ihr gemeinsam schafft sie im Gartenhaus, das sie fortan als ihren Wohnsitz bestimmt hat, Ordnung.
Sie ist eben dabei, die Fenster zu putzen, als Franz wie aus dem Erdboden gewachsen hinter ihr auftaucht und sie anruft.
»Ach, du bist es«, sagt sie, stellt den Eimer ab und wischt sich die Hände an der Schürze trocken.
»Ist Peter hier?« fragt er, nachdem er sich von seinem ersten Schrecken erholt hat.
»Nein!« Sie geht an ihm vorbei, legt die bunte Schürze ab und wirft sie achtlos auf einen Stuhl. Sie setzt sich in den Ohrensessel am Fenster und blickt an dem Sohn vorbei hin-über zu dem Eichenhof, von dem Lärm gedämpft zu ihr dringt. »Willst du etwas von ihm?«
Franz schiebt die Mütze ins Genick und sucht in seiner Tasche nach Zigaretten.
»Man erwartet Peter drüben zu einem Verhör.«
»Zu einem – Verhör?« fragt sie gelassen zurück. »Was will man denn von ihm wissen?«
Er hebt die Achseln. »Keine Ahnung, Mutter.«
»Kannst du nicht die nötigen Auskünfte geben oder warst du etwa bei dem Brand nicht auf dem Hof?«
»Natürlich«, gibt er widerstrebend zu. »Aber dann habe ich Magda und die Franzi in Sicherheit gebracht.«
»Merkwürdig«, murmelt sie.
»Was ist dabei merkwürdig?« fragt er mit aller Schärfe zurück.
Sie verliert nichts von ihrer Ruhe und Gelassenheit und kommt ihm in diesem Zustand beinahe unheimlich vor.
»Bisher war dir doch dein Vieh lieber als deine Familie.«
»Schließlich sind Menschenleben wichtiger«, braust er auf. Er fühlt sich angegriffen und versucht sich zu wehren, obgleich er nicht ahnt, wohin ihre Reden zielen.
»Richtig«, bestätigt sie. »Ich bin auch ein Mensch, noch dazu deine Mutter. Ich kann mich nicht entsinnen, daß du dich um mich gesorgt hättest.«
»Du hattest doch Peter«, erwidert er gehässig.
»Peter war aber nicht da, als der Brand ausbrach«, fährt sie unbeirrt fort.
»Stimmt!« gibt er zu, und seine Augen verengen sich. »Er ist auf und davon, nachdem er sich im Schuppen bei den Benzinkanistern zu schaffen gemacht hat.«
»Du sagst mir nichts Neues, mein Sohn.« Sie blickt auf ihre Hände im Schoß hinab. »Das habe ich längst aus deinem Mund gehört, als du übereifrig den Beamten Auskunft erteiltest. Ich betone, etwas zu eifrig.«
»Mutter, was willst du damit sagen?« Er hat die Zigarette im Schwung durch das offene Fenster geschleudert.
»Man sucht einen Sündenbock, wie mir scheint, und der ist verschwunden.«
»Mutter, du hast eine große Portion Humor.« Er kommt langsam auf sie zu. »Du weißt mehr, als du sagen willst. Ich bin der Ansicht, das ist nicht gut für dich.«
Ohne auf seine Rede zu achten, sagt sie, ihre Augen hinüber zum Eichenhof gerichtet:
»Generationen haben auf dem Eichenhof gesessen. Es war ein stolzes und geachtetes Geschlecht. Dein Vater und ich haben das übernommene Erbe gehütet und treu verwaltet. Ein paar armselige Stunden haben die Arbeit von Jahrzehnten vernichtet. Wir waren sehr glücklich, dein Vater und ich, und jedes Kind haben wir mit Jubel begrüßt. Am meisten vielleicht unseren Ältesten –« Sie wendet den Kopf und sieht ihn groß und mit verwirrender Eindringlichkeit an. »Das warst du, Franz.«
Gleichmütig dreht sie den Kopf wieder seitwärts und spricht weiter: »Dann kamen die anderen, Friedrich, Gerhard, Irene und Peter.
Es war ein gutes Schaffen, ein gutes Leben. Alles haben wir gemeinsam getragen, dein Vater und ich, Freud und Leid. Wir haben gemeinsam an den Krankenbetten unserer Kinder gewacht, und keine verlorene Stunde Schlaf war uns zuviel. An deinem Bett übrigens am meisten, du warst häufig krank, Franz.« Sie weist mit der Hand hinüber zu der Trümmerstätte. »Unter diesem Dach herrschten Kummer und Leid wie unter jedem anderen auch. Aber das Glück war das größte un-
ter allen menschlichen Empfindungen. Ein Brand hat alles ausgelöscht, was Generationen zusammentru-
gen. Die Erinnerung kann er niemals auslöschen, Franz, die sind mir ge-blieben, und der Glaube an das Gute.«
Sie sitzt ganz versunken da, nachdem sie geendet hat, und Franz treibt es hin und her. Er wirft einen scheuen Blick auf das Antlitz der Mutter. Ihre Haltung ist beinahe wie früher, und das Leuchten, das in ihren stahlblauen Augen liegt, erinnert an die Herrin des Eichenhofes von einst.
»Du weißt also, daß Peter der Brandstifter ist?« fragt er, einen lauernden Ausdruck im Gesicht.
»Man sagt es«, erwidert sie leise. »Aber ich glaube es nicht.«
»Natürlich nicht«, lacht er höhnisch auf. »Es ist ja dein Goldsohn. Aber er wird sich nicht verteidigen können!«
»Das glaube ich mit Bestimmtheit«, antwortet sie. »Man hat die Schlinge zu sauber um seinen Hals gelegt.«
»Du redest Unsinn, Mutter«, fährt er sie grob an. »Dich haben die Ereignisse verwirrt. Es wird besser sein, man ruft dich nicht als Zeuge auf.«
»Das glaube ich auch, Franz.« Das klingt sanft und ohne jeden Vorwurf. Er angelt seine Mütze vom Stuhl und stülpt sie auf das struppige dunkelblonde Haar.
»Wiedersehen, Mutter«, sagt er flüchtig.
»Wiedersehen, Franz – und bitte, schick mir die Franzi«, hört er sie noch sagen. Mit einem Krach fliegt die Tür ins Schloß.
Maria Warburg lächelt vor sich hin. Peter! Wo mag er sein? Sie lehnt sich zurück und schließt die Augen.
Ein Menschenleben gelebt, gearbeitet, Kinder zur Welt gebracht und sie mit aller Liebe erzogen.
Langsam zerrinnt dieses Leben unter ihren Händen. Sie spürt es – und sie sieht mit Demut dem Kommenden entgegen.
Trotz allem, wie es auch gewesen ist – das Leben ist gut!
*
Georg Reichert geht mit wuchtigen Schritten durch das Zimmer. Seine Blicke sind ärgerlich, die er auf Beate wirft.
»Da hast du ihn, deinen sauberen Peter. Auf und davon ist er. Einfach verschwunden. Warum ist er davongelaufen? Weil er sich schuldig fühlt –«
»Weil er sich nicht verteidigen kann, Vater«, wirft sie mit tonloser Stimme ein. Sie ist so unsagbar erschöpft, so müde und ohne jede Anteilnahme. Peter ist in Sicherheit. Das andere kümmert sie nicht.
»Liebst du ihn etwa immer noch?« fragt er barsch.
Ihre Augen erscheinen riesengroß in dem blassen Gesicht. Eine einzige große Bitte um Verständnis liegt darin. »Immer noch – fragst du?« Sie lächelt beinahe nachsichtig. »Ich werde Peter immer lieben, immer, Vater.«
Das ist das unumstößliche Bekenntnis eines liebenden Frauenherzens, und Reichert weiß genau, niemals wird Beate das tiefe Gefühl für Peter aus ihrem Herzen reißen.
»Ich bewundere nur die Haltung von Franz Warburg. Nicht einen Pfennig zahlt die Versicherung, da einwandfrei Brandstiftung erwiesen ist. Er läuft nicht kopflos davon, sondern beginnt neu aufzubauen, jedenfalls hat er mir das zu verstehen gegeben.«
»Das hatte ich auch nicht anders erwartet.« Beate sagt das unsagbar bitter. »Seine Frau hat doch genug Geld. Damit kann er tun und lassen, was er will.«
Sie geht auf ihn zu. Sie legt ihre Hände um seinen Hals und bittet mit zuckendem Mund. »Bitte, Vater, laß uns nicht mehr davon sprechen. Ich liebe Peter, ich werde ihn immer lieben. Ich weiß, seine Unschuld wird sich herausstellen. Hilf mir doch, daß Peter und ich glücklich sein können.«
Nur widerwillig löst er ihre Hände von seinem Hals. Er will nicht zugeben, daß er weich wie Wachs in ihren Händen ist, denn er liebt seine Einzige von Herzen.
»Soll ich dir deinen Peter herbeizaubern?« brummt er aufgebracht.
Schnell küßt sie ihn auf die Wange. »Nein, das kannst du nicht, Vater. Aber du sollst das Andenken an Peter nicht trüben. Um mehr bitte ich dich nicht.«
»Aber wenn nun einmal alles gegen Peter spricht? Zuerst der Diebstahl, dann der Brand. Peter war zuletzt im Schuppen. Die Kanister mit Benzin gehörten ihm.«
Beide Hände preßt Beate gegen die Schläfen, hinter denen es hämmert und pocht. Keine Minute hat sie in der Nacht die Augen geschlossen. Sie hat Peters Weg im Geiste verfolgt. Und nun versucht ausgerechnet der Vater, sie mürbe zu machen.
»Laß das, Vater, bitte, laß das. Ich glaube es nicht, ich glaube es nicht«, stöhnt sie und läßt sich in die Sofaecke sinken.
Wie er sie so sitzen sieht, die Augen geschlossen trotz der nervös zuckenden Lider, den Mund schmerzlich verzogen, keinen Tropfen Blut mehr im zarten Antlitz, da tut sie ihm unsagbar leid.
»Mädel, Beate!« Er beugt sich zu ihr hinab und küßt sie auf die Stirn. »Wir wollen nicht mehr davon sprechen. Glaube weiterhin an deinen Peter.« Er schnauft einmal tüchtig, als müsse er sich die nächsten Worte abringen. »Ich verspreche dir, alles zu tun, um Peters Unschuld zu beweisen.«
Ihre Wimpern flattern. Die Lider heben sich. Sie lächelt dankbar.
»Ich danke dir, Vater, du bist doch der allerbeste –«
Dann sinkt ihr Kopf zur Seite. Sie sinkt in eine bodenlose Tiefe, die wohltuend ist und alle schmerzhaften Grübeleien auslöscht.
*
Wohlbehalten ist Peter Warburg in Hamburg angelangt. Er hat sich eingekleidet, hat alle Dinge eingekauft, die er für eine große Reise benötigt, und ein Ticket für einen Dampfer der Amerikalinie belegt.
Er lehnt, wie auch die anderen Passagiere, an der Reling, während das stolze Schiff am Schulauer Fährhaus vorübergleitet. Man hört den Lautsprecher, der dem Schiff »gute Fahrt« wünscht. Die Flagge wird hochgezogen, und die Nationalhymne erklingt. Das Schiff bedankt sich, indem es dreimal seine Sirene erklingen läßt.
Peter Warburg ist eine der interessantesten Erscheinungen an Bord. Er gilt als Vergnügungsreisender. Man ärgert sich nur, daß er sich von allen Abwechslungen, die an Bord geboten werden, fernhält.
Meist verläßt er abends seine Kabine. Stundenlang kann er über die im Mondschein glitzernde Wasserfläche starren und empor zum sternenklaren Himmel blicken.
Er wundert sich über die Worte der Mutter, die ihm jetzt wieder einfallen. Onkel Stephan, das schwarze Schaf in der Familie, hat viel für sie übrig gehabt?
Warum hat er nicht weitergeforscht? Sie hätte ihm vielleicht das Geheimnis lüften können, das mit Onkel Stephans Flucht aus der Heimat zusammenhängt?
Nun! Er wird sich an Ort und Stelle selbst ein Urteil bilden. Wenn aber dieser Onkel nichts von ihm wissen will?
Auch gut! Er kann arbeiten. Auf irgendeiner Farm wird er wohl Arbeit finden.
Am 15. August erreicht Peter Warburg Amerika und besteigt den Zug nach Nebraska.
*
Magda Reichert ist eine blonde, sanfte und mollige Frau. Sie liebt ihren Mann mit der ganzen Kraft ihres Herzens und heißt alles gut, was er sagt und tut.
Sie ist willig und fühlt sich ihm gegenüber ewig schuldbewußt. Sie weiß, daß er sich einen Erben gewünscht hat, und daß sie ihn schwer enttäuschte, als sie einer Tochter das Leben
gab.
Was sie aber still für sich trägt, ist die Gewißheit, daß sie niemals wieder ein Kind wird austragen können. Der alte Doktor Funke hat es ihr gleich nach Franziskas Geburt mitgeteilt, und sie hat ihn angefleht, unter gar keinen Umständen mit ihrem Mann darüber zu sprechen. Sie hat geweint und gefleht, und er hat ihr das Versprechen geben müssen, zu schweigen.
Auch auf dem Hof ihrer Eltern, deren einzige Tochter sie ist, fühlt sie sich nicht wohl. Mit dem Bruder und der Schwägerin versteht sie sich ganz gut. Aber der ewig nörgelnden Mutter und dem herrischen Vater geht sie, soweit sie es kann, aus dem Weg.
Auch die kleine Franzi kann sich nicht eingewöhnen. Sie vermißt die Oma Maria überall. Hier steht sie allen und jedem im Wege, und der siebenjährige Vetter pufft und kneift sie, wo er nur kann. Sie hat von den Großen gehört, daß es keinen Eichenhof mehr gibt, und sie hat bitterlich geweint.
»Und wo ist die Oma?« hat sie atemlos gefragt.
»Vorläufig im Gartenhaus«, hat Magda ihrem Kinde geantwortet, und Franzi hat vor Begeisterung die Hände zusammengeschlagen und gejubelt:
»Oh, wie fein, Mutti, dann kann ich Oma besuchen –«
»Du bleibst hier«, ist ihr der Vater dazwischengefahren. »Oma hat keine Zeit, sich um dich zu kümmern.«
Franzi schleicht sich auf dem Hof herum. Sie weiß genau, wann der Wagen aus dem Schuppen geholt wird, den ihr Vater kutschiert, wenn er zum Eichenhof fährt.
Sie sieht sich aufmerksam nach allen Seiten um, und dann klettert sie behend in das Innere des leichten Gefährts und zieht die Decke über sich.
Sie hält fast den Atem an, als nach langer Zeit, ihr dünkt es eine Ewigkeit, die harten Schritte des Vaters zu hören sind. Der Wagen rollt auf den Hof, und dann werden die Pferde vorgespannt. Jedes Geräusch ist ihr vertraut.
Und sie atmet auf, als sie merkt, daß der Wagen fährt und sie mit.
Franz fährt auf den Eichenhof, wo man bereits tüchtig beim Aufräumen ist. Franzi wartet, bis ihres Vaters Schritte sich entfernen, dann krabbelt sie aus ihrem Versteck.
Sie fliegt beinahe den Weg entlang, der zu dem Gartenhaus führt, und liegt wenig später in Maria Warburgs Armen.
»Franzi, Kind, bist du davongelaufen?« forscht Maria Warburg und drückt den zarten Kinderkörper liebevoll an sich.
»N – ei – ein!« schluchzt das Kind. »Ich habe mich im Wagen versteckt, Oma. Ich hatte so große Sehnsucht nach dir. Kommst du mit zu uns?« Die großen blauen Kinderaugen, randvoll mit Tränen gefüllt, hängen flehend an Maria Warburgs Mund.
»Wie wäre es denn, mein Kleines, wenn du bei mir bliebest?« schlägt sie vor, und das Kinderherz schlägt höher.
»Oh, fein, Oma. Wenn du mit Vati einmal sprechen willst?«
»Das werde ich tun, Franzi.«
Maria Warburg nimmt das Kind bei der Hand und führt es ins Haus.
»Wie lange hast du wohl im Wagen gesteckt?« erkundigt sie sich, wäh-rend sie eine Schale mit Milch füllt und sie Franzi zuschiebt. »Da trink, mein Liebes.«
»Danke!« Gierig schluckt Franzi ihre Milch. Dann sieht sie treuherzig zur Oma auf. »Es war schon sehr lange, Oma, und es war sehr heiß im Wagen.«
Maria Warburg geht hinter das Haus und ruft der alten Gundel, die ihr willig in das Gartenhaus gefolgt ist, zu:
»Du mußt rüber zu meinem Sohn gehen, Gundel. Sag ihm, die Franzi ist bei mir.«
»Ist schon recht, Frau«, erwiderte die Alte, schiebt ihr Kopftuch in den Nacken und geht davon.
Indessen hat Franzi sich an die Oma geschmiegt und schmeichelt.
»Erzähl mir eine Geschichte, Oma. Eine Geschichte möchte ich hören, die hier in dem Haus geschehen ist.«
Maria Warburg schüttelt den Kopf. »Jetzt nicht, Kind. Jetzt gehen wir in den Garten und pflücken Beeren. Hilfst du mir? Geschichten erzählen wir, wenn es dunkel wird, ja?«
Eifrig nickt Franzi und folgt der Oma. Gundel kehrt zurück und meldet:
»Der junge Herr kommt gleich.«
Keine zehn Minuten sind vergangen, da erscheint Franz. Er sieht finsterer denn je aus. Unwillkürlich richtet Maria Warburg sich hoch auf und zieht das Kind an sich heran.
»Also hier bist du?« schreit er unbeherrscht los
Er reißt das Kind rücksichtslos von Maria Warburgs Seite, versetzt ihm einen Schlag, und Franzi taumelt zu Boden.
»Franz!« Maria ist bis in die Lippen erblaßt. Das Kind erhebt sich. Vor Schreck ist es wie gelähmt. Bisher hat der Vater sie zwar oft angeschrien, und nie hat sie ihm etwas recht gemacht, doch geschlagen hat er sie noch kein einziges Mal.
»Du kommst sofort mit mir«, gebietet Franz Warburg. Da kommt Leben in die kleine Gestalt. Franzi stürzt auf die Oma los und umklammert deren Knie. »Laß mich bei dir bleiben, Oma. Laß mich bei dir bleiben!«
»Du kommst mit, und zwar sofort«, sagt Franz, und es sieht aus, als wolle er die erhobene Hand abermals in Franzis Gesicht schlagen.
»Friedrich und Gerhard sind angekommen. Sie haben von dem Unglück gehört. Sie wollen Franzi sehen«, erklärt er kurz.
»Dann sollen sie sich hierher bemühen. Franzi bleibt hier«, bestimmt sie und schiebt das Kind vor sich her, dem Hause zu.
»Diesmal hast du gewonnen«, hört sie ihn hinter sich sagen.
Im Haus setzt sie sich in den Ohrenstuhl und hebt die Enkelin zu sich auf den Schoß.
»Darf ich denn bei dir bleiben, Oma?«
»Gewiß, mein Kind«, erwidert sie ruhig, und das Kind gibt sich damit zufrieden. Was die Oma sagt, stimmt immer.
»Darf ich meine Muschi holen?« erinnert sich das Kind wieder an sein Kätzchen, und Maria nickt. Schnell eilen die kleinen Füße fort, und bald bringt Franzi ihre Mieze angeschleppt. Jetzt zeigt das zarte Kindergesicht einen glücklichen Ausdruck. Das Kätzchen im Arm, schmiegt es sich an die Oma.
»Nun erzähle, Oma«, drängelt sie. »Nicht wahr, jetzt hast du Zeit?«
Schon will Maria Warburg nicken, als sie ihre Söhne Friedrich und Gerhard, auch schöne stattliche Erscheinungen, gefolgt von Franz, auf das Haus zukommen sieht.
»Schnell, Franzi«, fordert sie das Kind auf und schiebt es von sich. »Geh zur Gundel und lauf nicht weg, hörst du? Ich verspreche dir, daß du bei mir bleiben darfst.«
Wortlos verschwindet das kleine Mädchen. Ihre Muschi schleppt es mit sich.
Maria Warburg erhebt sich und geht in die Küche zu der Alten, die soeben mit dem Kind das Haus verlassen will.
»Koch Kaffee, Gundel«, sagt sie in ihrer bestimmten Art. »Meine Söhne kommen. Das Kind behalte bei dir. Paß aber gut auf Franzi auf.«
»Und ob ich aufpasse, Frau«, brummelt die Alte und macht sich an die Arbeit.
Maria Warburg kehrt in das Wohnzimmer zurück. Sie stellt sich ans Fenster. Sie hört die Stimmen der Söhne bis zu sich schallen, und ihr Mund verzieht sich ein wenig.
Nun werden sie alle über Peter herfallen, über Peter, der sich nicht verteidigen kann.
Die schweren Schritte kommen näher. Die Haustür wird geöffnet, und dann stehen sie im Wohnzimmer.
Maria Warburg hat sich gewappnet. Ruhig sieht sie ihren Kindern entgegen.
Sichtlich beeindruckt von ihrer Haltung, dämpfen sie ihre Stimmen, als sie ihr »guten Tag« wünschen.
»Ihr habt euch lange Zeit gelassen.« Ihre Blicke wandern von einem zum anderen. Sie sehen beide gut aus, mit ihren tief gebräunten Gesichtern und sind größer als Franz.
»Wir haben es zu spät erfahren, Mutter.« Gerhard läßt sich unweit von Marias Ohrenstuhl nieder. »Du trägst das Unglück mit Fassung. Es tut uns allen schrecklich leid, daß gerade Peter…«
»Was ist mit Peter?« fällt sie ihm scharf ins Wort.
»Daß – daß es gerade Peter ist, der dir dieses Leid zugefügt hat.«
»Welches Leid?«
Gerhard weist mit der Hand hin-über zu dem Hof, wo man immer noch mit Aufräumarbeiten beschäftigt ist. »Ich meine, daß gerade Peter unseren Hof in Flammen aufgehen ließ«, vollendet er rasch.
Maria Warburg neigt sich vor. Keine Miene der Überraschung zeigt sie. »Du glaubst also auch, was man über Peter spricht?«
Nervös entzündet Franz sich eine Pfeife. »Du glaubst es natürlich nicht. Peter war schon immer dein Lieblingssohn.«
Maria Warburg fährt herum. »Willst du damit sagen, daß ich einen von euch vernachlässigt habe? Oder ist einer von euch benachteiligt worden nach dem Tode eures Vaters? Dann muß ich euch daran erinnern, daß lediglich Peter sein Erbteil noch nicht beansprucht hat. Er hat seinem älteren Bruder treu gedient, ohne nach Geld zu fragen.«
»Dafür hat er sich genommen, was er brauchte«, wirft Franz hämisch ein.
»Man sagt es«, erwidert sie ruhig, und die drei Brüder sind sich nicht klar darüber, wie sie wirklich denkt.
»Wie geht es euren Frauen? Warum lassen sie sich nicht einmal bei mir sehen?« erkundigt Maria Warburg sich in aller Ruhe, als hätte es nie einen Brand gegeben, der alles zerstört hat, was ihr einst lieb und wert war.
»Sie stecken mitten in der Arbeit«, entschuldigt Friedrich seine Frau und gleichzeitig seine Schwägerinnen. »Willst du zu einem von uns kommen?«
»Danke« sagt sie kurz und endgültig. »Ich fühle mich hier sehr wohl und bleibe hier. Außerdem bin ich nicht allein. Ich habe Gundel.«
»Aber Franzi nehme ich mit.« Franz klopft seine Pfeife aus und macht ein paar mächtige Schritte durch den Raum.
In Maria Warburgs Augen flackert etwas wie Angst auf. »Bitte, Franz, laß mir das Kind. Laß es mir wenigstens solange, bis ihr selbst in Ordnung gekommen seid.«
Unschlüssig blickt Franz auf seine Brüder, dann erklärt er sich zu seiner Zusage bereit.
»Aber nur kurze Zeit, Mutter.«
Es sieht aus, als wolle Maria Warburg eine heftige Erwiderung geben, doch sie unterläßt es.
Es herrscht eine ungemütliche Stimmung, und es wird kaum ein Wort gesprochen. Die Brüder trinken ihren Kaffee und verlassen in überstürzter Eile das Haus.
Aus großen Augen sieht Maria Warburg hinter ihnen her. Ihre Hand fährt dabei liebkosend über Franzis Kopf. Sie spürt den kleinen warmen Kinderkörper und fühlt sich nicht mehr so verlassen.
*
»Du also bist Peter Warburg«, sagt Stephan Warburg, der kleine, drahtige Mann, der eine so verblüffende Ähnlichkeit mit Peters Bruder Franz hat, daß er Peter damit einen heillosen Schrecken einjagt. Er reicht Peter beide Hände. »Sei mir willkommen, Peter. Freue mich, daß der alte Onkel Stephan drüben nicht vergessen ist.«
»Nur Mutter spricht manchmal von dir«, erklärt Peter ehrlich, und er gewahrt den sinnenden Ausdruck auf des Onkels Zügen. »Sie war es auch, die mich zu dir schickte.«
Stephan Warburg nickt, und seine Gedanken gleiten ab, weitab in die Vergangenheit. Maria, die er geliebt hat mit seinem ganzen Herzen, und die doch seinen Bruder nahm, dessen Ebenbild jetzt vor ihm steht.
»Ich freue mich über deinen Besuch, Peter«, beteuert Stephan Warburg. »Wirklich, es freut mich sehr.« Er weist auf den Sessel ihm gegen-über. »Setz dich, Junge.«
»Es handelt sich um keinen Besuch, Onkel«, beginnt Peter ohne Zögern und nimmt den angewiesenen Platz ein. Unverwandt sind seine stuhlblauen Augen auf den Onkel gerichtet. Er bemerkt keinerlei Überraschung an ihm. »Wenn es dir recht ist, möchte ich eine Zeitlang bei dir bleiben. Ich möchte arbeiten, hart arbeiten.«
»Schön, kannst du.« Stephan Warburg bückt sich und entnimmt dem Seitenfach seines Schreibtisches eine Flasche und zwei Gläser. Indem er sie vollgießt, bemerkt er mit aller Gelassenheit: »Du bist ausgerückt, nicht wahr?«
»Ja, Onkel.« Ein harter Zug steht um Peters Mund. »Willst du auch die Gründe wissen?«
»Kannst sie mir sagen, brauchst es aber nicht«, kommt die gelassene Antwort. Er schiebt Peter ein Glas zu.
»Wenn du dir einmal das Herz freisprechen willst, will ich dir gern zuhören«, vernimmt er die etwas heisere Stimme seines Onkels. »Werde erst selbst mit allem fertig. Inzwischen wirst du dich auch etwas bei mir eingewöhnt haben. Zunächst wollen wir etwas Kräftiges zu essen bestellen. Du bist in einen Junggesellenhaushalt gefallen. Aber die alte Sammy betreut mich ganz gut.«
Als hätte die alte Dienerin auf ihr Stichwort gewartet, kommt sie ins Zimmer gestürzt.
»Essen ist fertig, Master«, sprudelt sie hervor.
»Dann komm, Junge.« Stephan Warburg schiebt seinen Arm unter den Peters und führt ihn auf die Veranda des Hauses. Es ist ein gutgebautes, stabiles und hell getünchtes Haus.
Stephan Warburg macht eine weit ausholende Bewegung weit über das Land hin. »Das gehört alles mir, soweit du sehen kannst, Peter. Die Weiden und das Vieh sollst du bald kennenlernen. Oder –« Er wirft einen raschen Seitenblick zu dem Neffen auf, »interessierst du dich nicht für Landwirtschaft?«
»Ganz im Gegenteil, Onkel. Ich bin im Eichenhof groß geworden und liebte jeden Stein, jeden Baum, jeden Strauch und alles Vieh. Jetzt ist er ein Trümmerhaufen!«
»Wer? Der Eichenhof?« fragt Ste-phan Warburg erschrocken.
»Er ging in Flammen auf, der Eichenhof«, sagt er hart und kurz.
»Donnerwetter«, entfährt es Ste-phan. »Und was hat deine Mutter getan?«
Peter streift die kleinere Gestalt des Onkels mit einem traurigen Blick.
»Sie hat sich in das Gartenhaus zurückgezogen«, bemerkt er bitter. »Scheinbar haben ihre Söhne keinen Platz für sie.«
»Gut, sehr gut«, erwidert Stephan und berührt den Arm des Neffen mit der Hand. Es ist eine kleine unscheinbare Geste, und doch spürt Peter, daß viel Anteilnahme darin liegt. Warum er es aber gutheißt, daß Mutter sich in dieses kleine, unscheinbare, unbequeme Haus zurückgezogen hat, nachdem sie auf dem komfortablen Eichenhof die Herrin war, das begreift er nicht.
»Mutter ist und bleibt die Herrin«, wirft Peter eigensinnig ein.
Stephan lächelt überlegen. »Mein lieber Peter. Du bist noch sehr jung und kennst die Menschen schlecht. Es wundert mich durchaus nicht, daß du meinst, alles bliebe beim Alten, wenn du nicht mehr da bist. Du liebst deine Mutter sehr?«
Die kleinen Augen ruhen ernst auf Peter, und dieser nickt heftig. »Über alles, Onkel – und ich habe noch eine liebende Frau zurückgelassen. Beate Reichert.«
Warburg pfeift kurz durch die Zähnen. »Lebt der alte Reichert noch?«
»Er ist noch sehr rüstig und wird allgemein geachtet«, berichtet er.
»Wir waren einst gut befreundet, der Reichert und ich. Wir haben die Schulbank zusammen gedrückt und manchen Streich ausgeheckt. Also die Beate ist es. Liebt sie etwa einen anderen?«
»Ich sagte dir doch schon, sie liebt nur mich. Daran glaube ich wie an das Evangelium.« Das klingt unumstößlich. Abermals nickt Stephan. Es hat den Anschein, als wolle er etwas sagen. Er schluckt es aber hinunter.
»Nun hast du mir schon fast alles gebeichtet«, sagt er statt dessen, und Peter schüttelt heftig den Kopf, während er sich von dem Onkel den Teller vollpacken läßt.
»Die Hauptsache noch nicht, Onkel.« Wieder tritt der harte Ausdruck in die stahlblauen Augen. »Ich soll den Eichenhof nämlich angezündet und auch meine Mutter um viertausend Mark bestohlen haben.«
Stephan läßt Messer und Gabel sinken. »Das also ist es«, sagt er ton-
los.
»Wenn du den Eichenhof angezündet hast«, sagt er, sich zur Ruhe zwingend, »dann habe ich die Bank von Nebraska ausgeräubert.«
»Du glaubst an mich?« Ungläubiges Staunen spricht aus Peters Worten.
»Wie an mich selbst, Junge«, erwidert Stephan Warburg ernst.
»Du bist ein prachtvoller Mensch, Onkel Stephan«, sagt er, und es kommt aus einem dankbaren Herzen. Warburg winkt lässig ab.
»Wir Menschen haben alle unsere Fehler, auch ich, Junge. Du wirst sie rechtzeitig erkennen.«
Peter schiebt alles von sich, was ihn bedrängt. Auch alle Sehnsucht, die sein Herz ausfüllt. Dabei ist er erst kurze Zeit von den Menschen getrennt, die er über alles liebt, von seiner Mutter und von Beate.
Ich komme wieder – denkt er voll Trotz – ich komme bestimmt wieder, und dann werde ich aufräumen.
*
Maria Warburg sitzt vor dem Haus auf der Bank. Ihr Blick verliert sich in die Ferne. Sie sitzt in letzter Zeit oft auf dieser Bank, die ihr einen weiten Blick gewährt. Seitdem Frank ihr rücksichtslos das Kind weggeholt hat, ist es sehr still und einsam um die sonst so tätige Frau geworden.