Читать книгу Eine Elfe namens Irrmeli - Karin Lorke-Acker - Страница 4

Irrmeli hat sich verirrt!

Nicht im Wald, nicht auf der Wiese, nicht in einer Stadt und nicht in einem Haus! Irrmeli hat sich verirrt in ihrem Leben.

Im Leben verirrt zu sein, ist wohl das Schlimmste, was es geben kann. Fast 7 Jahre hat es gedauert, bis Irrmeli sich endlich eingesteht, dass sie Hilfe braucht.

In den sieben Jahren weinte die kleine Elfe sehr oft, verlor sie doch so viel unterwegs. Sie verlor ihre Kinder, ihre Freunde, ihre Nachbarn, ihr Zuhause und ihren Mann. Zum Schluss verlor sie sogar ihr Selbstvertrauen.

Sicher, unterwegs, während dieser sieben Jahre, hat Irrmeli neue Menschen kennengelernt, aber die meisten sind Irrmeli bis heute fremd geblieben, auch wenn sie ganz nah an ihrer Seite sind.

Die kleine Irrmeli liebt Tiere über alles. Sie mag die Natur und den unendlichen Wald. Menschen hingegen geben ihr immer wieder Rätsel auf. Menschen rauben ihr die Kraft, Menschen verwirren sie, und zeitweise machen Menschen Irrmeli sogar Angst.

Oft denkt Irrmeli an die Zeit zurück, die vor diesen sieben Jahren liegt, in der sie selbst noch ein Mensch war. Die Zeit, in der alle Kinder, Verwandte, Freunde und Nachbarn noch da waren. Die Zeit, in der jeden Tag wie selbstverständlich das Gleiche geschah. Und in der jeden Tag wie selbstverständlich ihr Mann nach Hause kam.

Selbstverständlich eben! Bis es dann eines Tages alles anders war.

Irrmelis Mann kam plötzlich nicht nach Hause. Jemand sagte zu ihr, er würde niemals wiederkommen. Er ging in eine andere Welt.

Irrmeli konnte sich nicht einmal von ihm verabschieden. Alles war anders. Nichts mehr war selbstverständlich. Kein Rhythmus, den sich Irrmeli so sehr gewünscht hatte. Rhythmus hilft beim Singen, beim Tanzen. Rhythmus hilft beim Leben und beim Lachen.

Ohne Rhythmus ist Irrmelis Leben sehr anstrengend.

Irrmeli kann nicht mehr singen, nicht mehr tanzen, nicht mehr lachen. Manchmal will Irrmeli nicht einmal mehr leben. Sie ist so müde. Alle Träume, die sie einmal hatte, alle Wünsche und Sehnsüchte ... einfach weg sind sie. Ertrunken in einem Meer von Tränen. Tränen, geweint von Irrmeli.

Jetzt, sieben Jahre später, will Irrmeli nicht einmal mehr Mensch sein. Sie will nicht unter den Menschen verkümmern.

Irrmeli verwandelt sich in eine wunderschöne Elfe. Klein, zart, zerbrechlich, sensibel und mit einer Macht ausgestattet, von der Irrmeli nichts weiß, aber irgendwie doch ahnt. Doch wie nutzt man diese Macht, wie verwandelt man sie dann sogar in Kraft? Kraft, Freude und Mut? Lebensmut! Mut zum Leben! Und das von Herzen gern.

Von Herzen gern.

Irrmeli denkt viel nach. Hier liegt das Geheimnis!

Und dann wird die Elfe geschuppst!

In einem Moment der Stille kommt eine Maikäferdame zu Irrmeli und fordert Irrmeli auf, das Klopfen ihres Herzens zu fühlen.

Irritiert und verschämt kommt Irrmeli dieser Aufforderung nach. Irrmeli stellt verwundert fest: Da ist kein Herzklopfen zu spüren. Eigentlich unmöglich, aber dennoch war.

Die Maikäferdame wundert sich jedoch nicht, für sie war das die Bestätigung ihrer Vermutung.

Deine Lebensfreude muss von innen kommen, sie kommt nicht von außen. Sie kommt aus dem Herzen. Finde dein Herz und du wirst nie mehr alleine sein.

Irrmeli hat also auch ihr Herz verloren. Sie will es wiederfinden, und die Maikäferdame will ihr dabei helfen.

Mein Zuhause war weg!

Kristallklar kann Irrmeli das Problem jetzt erkennen. Sie selbst hat es zugelassen, vielleicht sogar gewollt. Und wenn es möglich ist, dass sich so ein unbewusster Wunsch in so schrecklicher Art und Weise verwirklicht, dann muss es doch ganz leicht möglich sein, bewusste Wünsche auch Wirklichkeit werden zu lassen.

Irrmeli war zwischendurch ein sehr logisch denkendes Wesen. Und dieser Gedanke jetzt erschien ihr nur allzu logisch.

Irrmeli formulierte ihre Wünsche und gleichzeitig bedankte sie sich dafür. So, als ob alles schon vorhanden wäre.

Ich möchte ein Zuhause!

(Das war Irrmelis größter Wunsch).

Danke für mein Zuhause.

Ich möchte Freunde!

Danke für meine Freunde.

Ich möchte eine Familie!

Danke für meine Familie.

Ich möchte meinen Sohn zurück!

Danke für meinen lieben Sohn.

Dankbar sein für das, was ist.

Dankbar sein für das, was gewesen ist.

Dankbar sein für das, was kommt und werden soll.

Das ist wohl nicht immer ganz einfach, nein, im Gegenteil, es ist eine schwierige und auch herausfordernde Aufgabe. Und Irrmeli weiß, wenn sie es nur lange genug tut, dann geht es irgendwann wie von selbst.

Man soll nur vertrauen.

Irrmeli soll vertrauen?

Sie denkt nach: Vertrauen? Was bedeutet das?

Wenn Irrmeli anfängt, zu vertrauen, dann soll etwas geschehen, und zwar von ganz allein.

Das bedeutet doch aber:

Irgendjemand oder etwas anderes tut, was geschehen soll!

Da ist sie wieder, die Angst, die in Irrmeli nagt.

Die sie zerfrisst, die sie so klein werden lässt. Abhängig sein, das verabscheut Irrmeli, und zwar ganz bewusst.

Es müsste eine Brücke geben. Eine Brücke zwischen dem, was Irrmeli möchte, und dem Vertrauen, dass es auch geschieht. Wenn es dann auch noch gut für Irrmeli ist, dann kann doch nichts mehr schiefgehen.

Irrmeli fasst zusammen:

Etwas haben wollen, ist erlaubt!

Dankbar dafür sein, auch wenn es noch so weit weg ist, ist eine gute Sache!

Vertrauen darauf, dass es auch geschieht, dass ist der Punkt auf dem „i“.

Diesen klitzekleinen „Punkt“ wollte Irrmeli in ihr Leben lassen. Sie wollte ihn so sehr, dass sie anfing, sich diesen „Punkt“ zu wünschen. Irrmeli bestellte sich ganz bewusst ihr persönliches Vertrauen. Und natürlich bedankte sich Irrmeli auch jetzt schon dafür.

Ich wünsche mir Vertrauen.

Irgendwie fühlt sich das seltsam an. So, als ob es eigentlich da wäre, so als ob jemand sagen würde:

„Da bin ich doch, wieso erkennst du mich nicht, ich bin an deiner Seite.“

Aber Irrmeli erkennt das nicht.

Danke für mein Vertrauen.

Ja, Danke sagen befreit.

Ein tiefes Gefühl.

Seltsam! Wie oft hat Irrmeli in ihrem Menschenleben gesagt, sie will nicht immer Danke sagen müssen.

Sie wollte nichts nehmen, und schon gar nicht umsonst. Sie wollte nicht in Abhängigkeit geraten, nicht verpflichtet sein.

Und jetzt, wo sie anfängt, zu danken für Dinge, die in ihr Leben treten sollen, jetzt als kleine Elfe, erkennt sie, wie befreiend es ist, Danke zu sagen.

Danke sagen ist also nicht nur eine „gute Sache“. Danke sagen ist wichtig! Wenn jemand Danke sagt, dann hat er etwas bekommen. Wenn Irrmeli Danke sagt, dann hat sie bereits, was sie sich wünscht.

Das Vertrauen ist also schon da. Sicherlich ist es einfach nur klein, eben klein wie der Punkt auf dem „i“. Aber er ist da, sonst wäre es kein „i“.

Ohne Vertrauen ist Irrmeli also keine Irrmeli. Das kann also gar nicht sein. Irrmeli beginnt, sich eine Brücke zu bauen. Sie will ihr Vertrauen erkennen und will ihr Vertrauen wachsen lassen.

Danke für mein großes Vertrauen!

Ab sofort will Irrmeli immer, wenn sie das Wort „Danke“ hört, daran erinnert sein, dass ihr Vertrauen am Wachsen ist. All diese Weisheiten wurden in Irrmeli geweckt.

In einem Gespräch mit der Maikäferdame wurden diese Gedanken geboren. Es ist ein sehr seltsames Gefühl für Irrmeli, mit der Maikäferdame zusammen zu sein. Denn eigentlich kennt Irrmeli sie ja gar nicht. Dennoch kann sie ihr alles erzählen, was in ihrer kleinen Seele so schmerzt.

Sie kann zuhören.

Ja, die Maikäferdame hört sogar Worte, die Irrmeli gar nicht so bewusst sind, dass sie sie sagt.

Die Maikäferdame erkennt den Schmerz, sie analysiert und beschreibt die Wahrheit in den Worten, die Irrmeli versteht. Dabei flattert sie dann mit den Flügeln, wippt auf ihren Füßen und tanzt mit ihrem ganzen Körper. Aber dann wieder schaut sie auch nur ganz still und tief in Irrmelis Augen.

Nichts ist in ihrer Miene zu bemerken, keine Zustimmung über das Gesagte, keine Meinung erkennbar, völlig ungewohnt für Irrmeli, wo sie doch bei anderen immer irgendetwas zu erkennen glaubt.

In diesen Momenten ist Irrmeli immer wieder verwirrt, auch schon mal ängstlich, bekümmert, beschämt!

Und manchmal sogar auch ärgerlich. Irrmeli will doch Antworten, jetzt sofort! Irrmeli hat doch noch so viele Fragen.

Was ist, wenn diese Fragen offen bleiben? Was ist, wenn es keine Antworten gibt?

Danke für alle Antworten, die ich bekomme!

Irrmeli begreift, dass sie selbst der Schlüssel ist. Sie selbst und niemand sonst. Kein anderer!

Irrmeli hat den „Schlüssel zum Glück“ in sich wohnen. Den Schlüssel für alle Antworten, für ihre Lebensfreude, für ihr Lachen, und auch für ihr Verständnis.

Verständnis anderen Wesen gegenüber.

Verständnis für andere Meinungen.

Meinungen, die sich von denen Irrmelis unterscheiden oder sogar grundlegend anders sind, als das, was sie selbst darunter verstehen will.

Diese anderen Meinungen werfen Irrmeli immer wieder aus der Bahn. Manchmal für Stunden, manchmal sogar für Tage.

Sie kosten Kraft und Energie. Und es macht Irrmeli unendlich müde. Besonders, wenn Irrmeli mit einem Wesen ganz nah verbunden ist, dann kann die kleine Elfe so gar nicht mit anderen Meinungen umgehen.

Irrmeli und der Mensch, den sie lieb hat, müssen doch einer Meinung sein, so ist ihre Vorstellung von Gemeinsamkeit. Wenn er aber anders denkt und nicht, Irrmelis Ansicht nach, der gleichen Meinung ist, dann ... hat er sie dann überhaupt lieb?

Geht das denn? Irrmeli hat etwas anderes gelernt!