Читать книгу Villa Hufschuh (3). Die Kaninchen sind los - Karin Müller - Страница 7

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Pflaumensalat


Auf dem Feldweg hinter der Villa Hufschuh spiegelte sich die Morgensonne in der letzten Pfütze. In der Nacht hatte es ein Gewitter gegeben, aber der sandige Boden war schon fast wieder getrocknet. Es war Sommer, es war warm und das war perfekt.

Josefine Engels, von allen nur Jo genannt, überlegte, was wohl das Allerbeste war an dieser Jahreszeit. Ihr Magen knurrte und darum war die Antwort in diesem Moment ganz klar: die Früchte! Man brauchte nur pflücken und naschen: Irgendwo in dem großen wilden Garten der windschiefen Villa Hufschuh war jetzt immer etwas reif. Und wenn nicht, brauchte Jo nur einen kurzen Spaziergang machen. Zum Beispiel zusammen mit ihrem Pony Turnschuh zum Pflaumenbaum am Feldweg.

Was war noch gut am Sommer? Richtig! Jo konnte mit ihren Freundinnen heimlich einen Geheimgang graben. Kein Erwachsener wollte was von ihr! Sie hatte ihre Ruhe. All das konnte sie machen, weil Ferien waren. Das war einfach gummibärchengut!

»Bertiiiiiiilieeee!« Schrill gellte die Stimme von Hannelore Mergenstein durch den Nachbargarten. Jo seufzte. So viel zum Thema Ruhe!

Turnschuh spitzte die Ohren. Jo, die auf ihm saß, hielt sich ihre lieber zu. Aber nur kurz. Denn erstens gehören Hände, wenn man auf einem Pony sitzt, entweder an die Zügel oder in die Mähne (es sei denn, der Reitlehrer sagt was anderes). Und zweitens konnte Jo sonst ja nicht hören, warum ihre Freundin gerade Stress mit ihrer Mutter bekam. Das machte sie sehr neugierig.

Bertilies Mutter verlor nämlich nie die Beherrschung. Außer es hatte etwas mit Jo zu tun. Diesmal war Jo sich wirklich keiner Schuld bewusst. Sie war ja auch gar nicht drüben bei Berti. Also konnte sie nichts angestellt haben. Jedenfalls nichts, weswegen Bertis Mutter zu schreien brauchte.

Es sei denn natürlich, sie hätte den angefangenen Geheimgang entdeckt. Jo, Berti und Shania arbeiteten schon seit dem ersten Ferientag an dem Tunnel. Shania kannte Jo schon ewig. Sie konnte schon damals im Sandkasten super bauen. Zu dritt waren sie ein super Team und beste Freundinnen.

Jo schluckte. Heiliges Buller-Ofenrohr! Der schöne Geheimtunnel! Wenn Bertis Eltern den entdeckten, wäre das eine Katastrophe! Dann würden Jo und Shania bei den Mergensteins bestimmt hundert Jahre Hausverbot bekommen und Berti Ausgangssperre, mindestens bis Schulanfang.

Dazu muss man wissen, dass Bertis Eltern ziemlich spießig waren. Das sagte Jos Mutter, Änne Engels. Spießer sind so Leute, bei denen immer alles ordentlich, sauber und aufgeräumt sein muss und grundsätzlich nur nach Plan läuft. So hatte sie es Jo erklärt.

Immer wenn Berti Ärger bekam, dann weil mit Jo ein Abenteuer das nächste jagte und dabei manchmal etwas kaputtging.

Seit die Mergensteins gegenüber der Villa Hufschuh eingezogen waren, hatte Berti oft Hausarrest. Deswegen brauchten sie ja dringend diesen Geheimtunnel dazwischen. Also, nicht zwischen den Hausarresten, sondern zwischen der Villa Hufschuh und der Villa Mergenstein natürlich.

Jo zog den Kopf ein, das Gekreische ging wieder los. »Bertiiiiilieee! Wo steckst du nur? Kannst du mir bitte erklären, was das bedeuten soll?«

»Ich bin doch hier!«, hörte Jo die Stimme ihrer Freundin auf der anderen Seite der Mauer. »Was ist denn los?«

Das interessierte Jo allerdings auch. Sie stopfte sich noch eine Pflaume in den Mund und überlegte. Leider konnte sie nicht ganz über die Mauer gucken. Dafür war Turnschuh ein Stück zu klein. Doch das ließ sich ändern. Also, nicht Turnschuhs Größe natürlich. Der Schecke war schon lange ausgewachsen. Aber Jo konnte sich auf seinen Rücken stellen. Schließlich war er ein Zirkuspony und liebte es, neue Kunststücke zu lernen. Sie übten bereits eine ganze Weile und es klappte schon recht gut. Meistens jedenfalls. Drei Minuten und siebzehn Sekunden war die aktuelle Rekordzeit, die sich Jo auf Turnschuhs Rücken halten konnte. Das wusste sie, weil Berti immer die Zeit von irgendwas stoppte.

Heute fand Jo Turnschuhs Rücken ein bisschen wackelig. Sie war barfuß und das Pony trug keinen Sattel. Außerdem konnte sie sich nicht komplett auf ihr Gleichgewicht konzentrieren, sondern musste aufpassen, dass sie sich nicht an der Mauer wehtat. Obendrauf waren nämlich spitze Glasscherben einzementiert. Ob Frau Mergenstein wusste, dass die Handwerker so geschlampt hatten? Das war ganz schön gefährlich. Drüberklettern konnte man jedenfalls nicht. Jo runzelte die Stirn. Oder war das vielleicht sogar Absicht? Zuzutrauen wäre es den Mergensteins ja. Was die alles anstellten, damit Berti nicht einfach abhaute. Bertilie durfte echt gar nichts. Wo war sie überhaupt?


Jo spähte über die Mauer und entdeckte ihre Freundin am offenen Fenster des Kinderzimmers im ersten Stock. Bertis Mutter stand auf der Terrasse und schimpfte zu ihr hinauf. Mit einer Hand zupfte sie nervös an ihrer Hochsteckfrisur herum, mit der anderen zeigte sie hinter sich in den Garten. »Wonach sieht das für dich aus? Weißt du, wie teuer dieser Rollrasen war? Komm sofort runter und erklär mir das!«

Puh! Jo atmete durch. Bis zum Rollrasen hatten sie sich noch gar nicht durchgeschaufelt. Es ging also nicht um den Tunnel. Glück gehabt!

»Bin schon unterwegs«, antwortete Berti. Sie sah nicht so aus, als wüsste sie, was mit dem Rasen los war. Dabei wusste sie sonst praktisch alles.

Als sie Jos Fingerspitzen und ihren halben Kopf hinter der Mauer entdeckte, wechselte Bertilies Miene für einen Moment von ratlos zu froh. Sie winkte zu Jo hinunter und Jo ließ die Steine kurz los und winkte zurück. Dann duckte sie sich lieber schnell und hielt sich wieder fest, denn Frau Mergenstein guckte auch zu ihr herüber. Und Turnschuh war kitzelig und zuckte, als sie mit den Füßen wackelte.

Vorsichtig richtete Jo sich wieder auf.

Der Rasen sah aus wie ein Schweizer Käse mit Pickeln. Lauter Löcher und seltsame Erdhaufen. Und in einem steckte der vollautomatische Mähroboter fest wie ein abgestürztes Ufo. Er ruckelte und surrte verzweifelt vor sich hin, weil er sich nicht befreien konnte. Frau Mergenstein tapste auf ihren Stöckelschuhen wie ein Storch im Salat zu der Absturzstelle und zerrte mit spitzen Fingern an dem blinkenden Ding herum.

Jo musste grinsen. Sie stellte sich vor, wie Bertis Mutter in Ohnmacht fallen würde, wenn da plötzlich ein kleines grünes Männchen ausstieg. Aber das war natürlich Quatsch.

Jo dachte nach. Komischer Ufo-Erd-Käse. Und außerdem: Diese Löcher gefährdeten ihr Tunnel-Projekt!

In dem verwilderten Garten der Villa Hufschuh wären solche kleinen braunen Hügel vermutlich gar nicht aufgefallen. Deswegen wusste Jo auf den ersten Blick auch nicht, woher sie kamen. Bei ihr zu Hause stand das Gras meist so hoch wie die bunten Blumen – wenn der Boden nicht gerade von den Schweinen, Ziegen, Gänsen, Hühnern, Ponys, Eseln oder dem kleinen Mischlingshund Mäxchen abgefressen und durcheinandergewühlt wurde. Daher durften die Tiere der Villa Hufschuh nicht zu den Mergensteins und ihrem Mähroboter. Nicht mal Bertilies heimliche Kaninchen.

Schlingel, Mümmel und Bommel hatten ihre Mutter verloren und Bertilie hatte die Waisenbabys gerettet und in der Villa Hufschuh aufgepäppelt. Bertis Eltern hielten nichts von eigenen Haustieren, nicht mal im Garten – und erst recht nicht von solchen, die den teuren Rasen zerstörten.

Obwohl das Gras da wirklich sehr lecker aussah. Ganz grün und saftig. Vermutlich genau deshalb.

Olle Josefine-Weisheit Nummer 116:

Spießig ist, wenn man nicht da naschen darf, wo es am saftigsten ist.

Unter Jo wackelte die Erde. Einen winzigen Augenblick lang glaubte sie, der unbekannte Gartenbuddler würde direkt unter Turnschuh das nächste Loch graben. Aber dann war es doch nur das Pony selbst. Dem war langweilig geworden von all dem Rumgestehe. Genau außerhalb seiner Reichweite hatte es einen leckeren Löwenzahn entdeckt. Also hatte es sich in Bewegung gesetzt. Ob Jo nun wollte oder nicht.

Jo wollte nicht, aber das war Turnschuh egal. Der Strick, den sie ihm als Zügel ums Halfter geknotet hatte, lag auf seinem Hals. Da kam sie nicht ran. Aber kurz bevor sie das Gleichgewicht verlor, hatte Turnschuh die gelbe Blume erreicht. Schmatzend blieb er stehen und Jo konnte wieder über die Mauer schielen. Bis der nächste Löwenzahn das Pony lockte.


Mit spitzen Lippen und kleinen Trippelschritten setzte sich Turnschuh erneut in Bewegung, zum Glück parallel zur Mauer. Jo wanderte mit ihren Händen mit, so gut sie konnte. Sie behielt das Gleichgewicht. Aber dann näherten sie sich dem Pflaumenbaum, wegen dem sie überhaupt hier waren.

»Bleib stehen«, mahnte Jo und hatte bereits die ersten Zweige im Gesicht. Immerhin mit Früchten dran. Das war gut, denn ihr Vorrat war fast alle.

»Warte!«, zischte Jo. Gehorsam hielt Turnschuh an und Jo schob sich eine Pflaume in den Mund und fünf in die Hosentaschen. Die hier oben waren ja noch süßer als die von vorhin. Turnschuh begann, an den Blättern herumzuzupfen. Die waren anscheinend auch lecker. Und widerspenstig. Turnschuh zog. Der ganze Baum ächzte und bog sich knarrend und raschelnd.

»Leise!«, zischte Jo und sagte dann noch mal eindringlicher: »Nein! Nicht!«

Das war keine gute Idee, denn das Pony gehorchte. Aber jetzt war es zu spät.

Turnschuh ließ artig den Ast los und der schnellte zurück und schlug gegen die Mauer. Jede Menge Pflaumen ploppten zu Boden, Blätter und kleine Zweige rieselten hinterher und die Mauer bekam violette Saftflecken. Jo duckte sich und zählte bis drei. Drüben war plötzlich alles still. Nicht mal den Mähroboter hörte man mehr.

Als Jo sich vorsichtig wieder über die Mauer reckte, stand Frau Mergenstein ganz in Jos Nähe im Garten, die Hände grimmig auf die Hüften gestützt. Der Mähroboter lag schweigend vor ihr im Gras. Bertilie lugte hinter ihrer Mutter hervor und hielt sich an ihrem Smartphone fest.

»Hast du mir irgendwas zu sagen, junge Dame?«

Jo schüttelte erschrocken den Kopf. Und dann fiel sie vom Pferd.


»Dreizehn Sekunden«, hörte Jo die Stimme ihrer Freundin direkt über sich, als sie die Augen wieder aufschlug. »Tut dir was weh?«

»Nein, alles gut«, behauptete Jo.

»Cool«, sagte Berti.

Jo rieb sich den Hosenboden und wischte sich Pflaumensaft aus dem Gesicht. Das war der Vorteil, wenn man im Stehen vom Pferd rutschte. Man landete auf den Füßen. Zumindest größtenteils.

»Ist das Blut?«, fragte Berti zögernd, als sie sah, wie Jo sich die Finger ableckte.

Jo schüttelte den Kopf. »Pflaumensaft.«

Bertilie holte tief Luft. »Wir brauchen keinen Krankenwagen!«, schrie sie über die Mauer.

»Ganz sicher?«, antwortete Hannelore Mergenstein von der anderen Seite. Jetzt klang sie gar nicht mehr schrill, sondern ehrlich besorgt.

Jo nickte, bot Berti eine Pflaume an und Berti rief: »Jaahaaaaa!«

»Dem Himmel sei Dank«, stöhnte Bertilies Mutter. »Diese Kinder.« Dann entfernten sich ihre Schritte und sie hörten, wie sie offenbar mit der Ambulanz sprach. »Nein, hat sich erledigt. Falscher Alarm.«

Berti hob entschuldigend die Schultern. »Sie kann kein Blut sehen.«

»Ich find’s ganz gut, dass sie auf der anderen Seite geblieben ist«, grinste Jo und ließ sich von Berti aufhelfen. Ihr Knöchel tat weh und sie humpelte ein wenig. Die Pflaumen in ihren Hosentaschen waren größtenteils Matsch. Darüber würden sich die Ziegen freuen.

Turnschuh stand nur ein paar Schritte entfernt und vertilgte genüsslich das übrige Fallobst mit den letzten Löwenzahnblättern als Beilage. Alles im grünen Bereich also.

»Was hat überhaupt dreizehn Sekunden gedauert?«, fragte Jo.

»Bis ich hier war«, erklärte Berti stolz. »Gut, oder? Fangen wir jetzt den Gartenbuddler?«

»Na, was denkst du denn?! Wir müssen unsere Unschuld beweisen. Nicht, dass du schon wieder Hausarrest kriegst!«

»Cool«, sagte Berti. Damit war das abgemacht.

Gemeinsam brachten sie Turnschuh zurück zu den anderen Ponys der Villa Hufschuh. Jo saß auf seinem Rücken, weil ihr Knöchel schmerzte. Berti bestand darauf, dass sie Turnschuh führte. Immerhin hatte Jo keine Kappe auf. »Und was dann passieren kann, sieht man ja.«


Jo widersprach nicht. Auch wenn sie nicht einsah, wie eine Reitkappe einem helfen sollte, wenn man im Stehen vom Pferd rutschte. Aber sie hatte den Mund voll Pflaumen und konnte nicht reden.

Das war doch alles gar nicht geplant gewesen. Beim Reiten hatte sie immer einen Reithelm auf. Heute wollten sie ja nur spazieren gehen. Dann hatte sie gesehen, dass die Pflaumen reif waren. Nur darum war sie auf Turnschuhs Rücken geklettert. Missmutig betrachtete Jo die klebrigen Obstflecken auf ihren Hosentaschen. Aber ansonsten hatte Berti recht. Wie immer.

»Wir müssen dringend über den Geheimtunnel reden«, sagte sie leise.

»Das hab ich auch schon gedacht«, nickte Bertilie. »Sobald Shania da ist. Das war ganz schön knapp vorhin.«

Olle Josefine-Weisheit Nummer 117:

Ohne Reithelm sind nicht mal die Pflaumen sicher!

Villa Hufschuh (3). Die Kaninchen sind los

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