Читать книгу Die Zukunft kann wieder weiblich werden ... - Karin Werner - Страница 9
ОглавлениеI. Wo kommen wir her?
1. System: Mutterzentrierte Gesellschaften
Was sagt die Matriarchatsforscherin Heide Göttner-Abendroth?
Heide Göttner-Abendroth gilt als Begründerin der modernen Matriarchatsforschung, die sie vor 40 Jahren auf ein wissenschaftliches Fundament stellte. In ihrem 2019 erschienen Buch „Geschichte matriarchaler Gesellschaften und Entstehung des Patriarchats“ beschreibt sie unter anderem die Entstehung mutterzentrierter Gesellschaften, die ich im Folgenden nach ihren Ausführungen beschreibe.
Seit 200.000 Jahren gibt es uns als anatomisch moderne Menschen – „Homo sapiens sapiens“ oder auch Cro-Magnon Menschen genannt. Die Cro-Magnon Menschen glichen uns in den körperlichen Merkmalen und waren ebenso begabt und intelligent wie wir heute. Sie mussten „nur“ all die Dinge erfinden, die für uns heute selbstverständlich sind.
Klima: Die jüngste Eiszeit begann vor etwa 2.7 Mio. Jahren und endete vor etwa 11.000 Jahren. Eisschilde, die Nordeuropa und Nordasien bedeckten, verschoben die gemäßigte Klimazone weit nach Süden. Afrika war durch genügend Regen ein vegetationsreicher Kontinent. Hier entwickelte sich der Homo sapiens sapiens.
Die Altsteinzeit wird folgendermaßen eingeteilt:
2.7 Mio. Jahre – 300.000 Jahre v.u.Z. | Ältere Steinzeit: Homo habilis, Homo erectus u.a. |
300.000 Jahre – 38.000 Jahre v.u.Z. | Mittlere Altsteinzeit: Homo sapiens neanderthalensis |
200.000 Jahre – 10.000 Jahre v.u.Z.: | Jüngere Altsteinzeit: Homo sapiens sapiens |
(v.u.Z. = vor unserer Zeitrechnung dient der Jahreszählung mit Bezug auf die Geburt Jesu Christi ohne den christlichen Bezug zum Ausdruck zu bringen.)
Auf der ökonomischen Ebene entwickelte sich unter den Menschen das Sammeln und Haltbarmachen von Pflanzen und Kleintieren. Es war und blieb die Basis der Ernährung der Menschen bis heute. Das Sammeln von Pflanzen machte 60-70 Prozent der Grundnahrung aus.
„Die Pflanzennahrung bestand aus Blättern, Stängeln und Sprossen, Wurzeln und Zwiebeln, Früchten, Beeren und Wildgemüse, Samen und Nüssen und war damit äußerst vielfältig. Hinzu kamen sammelbare Kleintiere wie Insekten, Frösche, Eidechsen, Schildkröten, auch Vogeleier und Honig, und Frauen wie Männer dieser frühen Menschengruppen sammelten sie gemeinsam.“3
Die Jagderfolge hingen zu allen Zeiten der Altsteinzeit vom Zufall ab. Mittlerweile ist es erwiesen, dass Männer wie Frauen zur Jagd gingen.
Die Frauen entwickelten ein reiches Wissen über die Pflanzenwelt. „Sie erfanden die wichtige Kunst des Haltbarmachens von Pflanzen durch Trocknen, Räuchern, Rösten und Einfrieren und das Anlegen von Vorräten für den Winter.“ 4 (Hervorhebung K.W.)
Weibliche Erfindungen waren Netze und Körbe, um das Sammelgut zu transportieren, ebenso wie die Herstellung von Schlingen und Riemen, um die kleinsten Kinder bei sich zu tragen. Weiterhin hüteten sie das Feuer.
„So bestand die erste lebensnotwendige Kunst der Frauen darin, in den Höhlen und in den Zelten und Hütten der Freilandlager das Feuer zu hüten. Vermutlich waren es vor 1 Mio. Jahren die Frauen, die das Feuer zähmten, indem sie kleine Glutstücke in Behältern mitnahmen, um es im Lager durch Anblasen wieder zu erwecken.“ 5
„An der Feuerstelle sind von den Frauen die Künste der Nahrungszubereitung erfunden worden, das Braten, Grillen, Garen und das Herstellen von Vorräten. Hierher gehört auch das Sammeln und Kochen von Heilkräutern, ein uraltes Wissen, das von den Frauen erworben wurde und in ihren Händen lag. Auch das hatte mit ihren Aufgaben als Müttern zu tun, dem Erhalt der Gesundheit der Kinder sowie ihrer eigenen während Schwangerschaft und Geburt. So wurden sie zu den ersten Heilerinnen.“ 6 (Hervorhebung K.W.)
Eine weitere lebensnotwendige Erfindung war Kleidung, die Frauen aus Fellen, Häuten und Pflanzenfasern herstellten. Jede Gruppe entwickelte die für sie notwenigen Werkzeuge selbst. Auch der Bau von Hütten und Zelten, Windschirmen und Dächern war Sache der Frauen.
Die Frauen hatten in der Altsteinzeit eine große ökonomische Bedeutung. Sie waren praktisch Selbstversorgerinnen und damit unabhängig von den Männern. Eher waren wahrscheinlich die Männer auf die Künste der Frauen angewiesen.
Grundsätzlich bestand in der Altsteinzeit eine Gemeinschaftsökonomie und keine individuelle Wirtschaftsweise wie bei uns heute in der Kleinfamilie.
Auf der sozialen Ebene war die altsteinzeitliche Gesellschaft gleichwertig.
„Die deutlichsten Belege für die Egalität (Gleichwertigkeit) der Geschlechter liefern die Gräber aus der Altsteinzeit (z.B. La Ferrassie in Frankreich und Es-Skhul im Karmel-Gebirge in Palästina/Israel). Die Toten wurden gleichmäßig z.B. mit Schmuck aus Muscheln, Schneckenhäusern und Tierzähnen ausgestattet.“ 7
Es gab auch eine gleichwertige Wohnweise in den Behausungen. „Es gibt aus der Altsteinzeit ein Beispiel von mehreren Zeltstellplätzen, wobei das Innere der Zelte in zwei völlig gleiche Seiten, die weibliche und die männliche, aufgeteilt war. In der einen Hälfte fand man männliche Gerätschaften und in der anderen weibliche Gerätschaften einschließlich Frauenstatuetten. Frauen und Männer saßen also bei den gemeinsamen Zusammenkünften in getrennten Hälften, was man auch für paläolithische (altsteinzeitliche) Lager in anderen Gebieten annimmt. Diese Sitzordnung stimmt mit den heutigen Gebräuchen in mongolischen Jurten und in den Zelten der Tuareg überein; sie hat sich bis in die großen Clanhäuser erhalten, wie bei gegenwärtigen, matriarchalen Ackerbaugesellschaften, z.B. den Mosuo in Südwestchina, zu sehen ist.“ 7
Die elementare soziale Form ist in allen Gesellschaften die Mutter-Kind-Gruppe. Sie entsteht durch Geburt und eine jahrelange Pflegephase. Aus der Mutter-Kind-Gruppe entwickelte sich die soziale Intelligenz der Frauen, die Grundlage der Gemeinschaft wurde.
Frauenverbindungen stellten eine dauerhafte Sozialform dar, die durch ein gemeinsames Wissen eine starke Solidarität unter Frauen bewirkte. Sie beinhalteten die Geburtshilfe, die Mitbetreuung der Kinder sowie die Regelung der sozialen Angelegenheiten der gesamten Gruppe.
Die zentrale Stellung der Frauen in der sozialen Organisation, der Gruppe oder dem Clan geht damit weit über das Behausen, Beköstigen und Bekleiden hinaus. Die Frauen bildeten den stabilen Kern der gesamten Gesellschaft. Sie garantierten durch ihre soziale Intelligenz deren Zusammenhalt. Frauen achteten auf das Teilen von Nahrung und Behausung, damit alle gut versorgt waren.
Aus der vertrauten Intimität zwischen Mutter und Kind entwickelte sich die früheste Sprache: „Das zärtliche Lallen, das einlullende Singen, der warnende Zuruf bei Gefahr für das Kind, und zunehmend bildeten sich auf diese Weise artikulierte Silben und Wörter. Die Kinder ahmten es nach, wodurch ihre Sprachfähigkeit sich in jeder Generation steigerte. Es ist die „Muttersprache“, die auf diese Weise entstand, denn jedes Kind lernt zu allen Zeiten die Sprache von der Mutter.“ 8
Die Liebesbeziehungen zwischen Frauen und Männern waren offen und konnten wechseln.
„Männliche Personen können als ältere Söhne oder Liebhaber in den Hütten der Frauen gewohnt haben, aber sie sind hier Helfer oder Gäste statt Besitzer.“9
Die altsteinzeitlichen Menschen waren immer mobil. Sie wechselten die Orte teils nach Jahreszeiten, teils für neue Sammel- und Jagdgründe. Besondere Steine und Objekte nahmen sie mit und nutzten sie als Geschenke bei zufälligen oder regelmäßigen Zusammentreffen mit anderen Gruppen. So wurde Frieden gesichert und etwaiger Streit frühzeitig beigelegt.
Auf der Ebene der Kultur und Religion besaß die altsteinzeitliche Gesellschaft eine umfassende Wiedergeburtsreligion. Die Erde wurde als Urmutter angesehen. Die Frau stand als ihr Abbild im Zentrum. Das immer wiederkehrende Leben von Pflanzen, Tieren und Menschen sowie die Wiederkehr von Sonne, Mond und Sternen wurde verehrt. Aufgrund dieser Wiedergeburtsreligion bezeichnet Heide Göttner-Abendroth diese Gesellschaften als mutterzentriert.
Zusammenfassung:
Die altsteinzeitliche Gesellschaft war gleichwertig bezüglich des Zusammenlebens von Frauen und Männern und Männern untereinander von 200.000 bis 10.000 Jahren v.u.Z.
Auf der ökonomischen Ebene entwickelte sich eine Sammel- und Jagd-Ökonomie und auf der sozialen Ebene eine mutterzentrierte Altersklassengesellschaft ohne Verwandtschafts-Beziehungen.
Auf der Ebene der Kultur und Religion glaubten die Menschen an die Wiedergeburt alles Lebendigen.
Noch heute nach altsteinzeitlicher Art lebende Völker: Die Pygmäen und die San
Die Pygmäen leben im Urwald Zentralafrikas. Bei ihnen gilt: Zur Gruppe gehört, wer gerade anwesend ist. Die Gruppe gilt als „Familie“, was nichts mit Blutsverwandtschaft zu tun hat. In jeder Altersgruppe benennen sich die Personen untereinander als „Schwestern“ und „Brüder“, was eine Zugehörigkeit zu Personen ähnlichen Alters bedeutet. „Auf dieselbe Weise sind alle Frauen mit Kindern kollektiv „Mütter“, und die Gruppe der älteren Frauen, die den Müttern hilft, heißt kollektiv „Großmütter“. 10
„Die Gruppen der San und Pygmäen gliedern sich deshalb in Altersklassen: die Kinder, die Jugendlichen, die Erwachsenen und die Ältesten. Eine Vorstellung von Blutsverwandtschaft fehlt, deshalb ist nicht die Genealogie (der Stammbaum), sondern die Mitgliedschaft zur Gruppe und dort zur jeweiligen Altersklasse das ordnende Prinzip der Gesellschaft.“ 10
Ähnlich leben die San in der Kalahari-Wüste in Gruppen von ein paar Dutzend Personen zusammen. Sie haben kein Oberhaupt. Ältere Frauen und Männer genießen große Achtung auf Grund ihrer Erfahrung. Sie haben eine gleichwertige Gesellschaft. Die Gruppen sind durchlässig; Einzelne wechseln hin und her. Wenn bei den San eine Frau einen Mann gewählt hat, schließt sich der Mann ihrer Gruppe an und hilft dort mit. Die Frauen sind autonom und achten auf das gerechte Teilen der Nahrung.
Jegliche Angeberei und Gewalt zwischen Personen wird abgelehnt, ebenso jedes Konkurrenzgehabe unter den San-Männern. Verpönt sind offen gezeigter Ärger sowie Versuche, höheren Status und materiellen Besitz zu erlangen. In den kleinen Gruppen der San-Gesellschaft fällt dies sofort auf und führt zum Ausschluss aus der Gruppe.
Was sagt der Anthropologe Richard Wrangham?
Hinsichtlich der Gleichwertigkeit der Menschen untereinander sind die Arbeiten von Richard Wrangham, einem britischen Anthropologen, interessant. Er ging der Frage nach, wie Naturvölker in ihrer Gemeinschaft heute mit einem aggressiven Mitglied, welches mit Gewalt herrschen will, umgehen.
Die Antwort war eindeutig und unumstößlich: der Gewalttäter wird getötet.
Die Männer des Stammes treffen gemeinsam die Entscheidung zur Exekution (Hinrichtung) und führen sie auch gemeinsam aus. Diese Maßnahme sichert der Gemeinschaft des Volkes die Gleichwertigkeit der in ihr lebenden Menschen. Gewalttätige Herrschaftsverhältnisse und Hierarchien etablieren sich nicht.
In seinem Buch „Die Zähmung des Menschen. Warum Gewalt uns friedlicher macht“ von 2019 unterscheidet Richard Wrangham zwischen reaktiver und aktiver Aggression.
„Reaktive Aggression könnte man als „heißblütig“ bezeichnen, man verliert die Kontrolle und schlägt zu. Aktive Aggression ist dagegen „kaltblütig“, sie wird bewusst und geplant ausgeführt.“ 12
„Reaktive Aggression lässt sich als Versagen der Kontrolle über Emotionen wie Angst oder Wut verstehen.“ 13
„Im Unterschied zu reaktiv aggressiven Impulsivtätern sind Psychopathen eher aktiv aggressiv.“ 14
„Psychopathen gibt es in aller Welt. So wirken sie zum Beispiel oberflächlich charmant, sie lügen häufig, wechseln oft ihre Sexualpartner und sind schnell gelangweilt. Für die Gedanken und Gefühle anderer sind sie unempfänglich. Ihr Selbstvertrauen wirkt auf andere attraktiv. Sie sind bereit, sich das zu nehmen, was sie wollen, egal mit welchen Mitteln. Psychopathen sind also egozentrische und gefühllose Menschen mit eingeschränktem moralischem Urteilsvermögen. Es ist nicht verwunderlich, dass sie eher zu Verbrechen neigen und dass es sich überwiegend um Männer handelt.
Eine in Großbritannien durchgeführte Untersuchung fand in weniger als einem Prozent der Bevölkerung Symptome der Psychopathie, und dieser Anteil ist vermutlich im Rest der Welt ähnlich.“ 15
Wie kam nach Ansicht von Wranghams der Frieden in die Welt - während der Altsteinzeit vor 300.000 Jahren bis zu 10.000 Jahren v.u.Z.?
„Verglichen mit Wildtieren sind wir ruhig und eher mit Hunden als mit Wölfen zu vergleichen. Wir können einander in die Augen sehen. Wir verlieren weniger leicht die Beherrschung. In der Regel haben wir unsere aggressiven Impulse im Griff. Bei Primaten ist einer der stärksten Auslöser der Aggression die Anwesenheit eines Fremden.
Der Kinderpsychologe Jerome Kagan, der Hunderte Begegnungen zwischen Zweijährigen beobachtet hat, die einander nicht kannten, hat es nie erlebt, dass ein Kind das andere geschlagen hätte. Diese Bereitschaft zum friedlichen Umgang mit anderen, selbst mit Fremden, ist uns angeboren.“ 16
Die Friedfertigkeit des Menschen entwickelte sich nach Wrangham aus der Sprachbegabung des Homo Sapiens. Kommunikation, Bündnisse verabreden und Taten planen waren für ihn sinnhaft und mit Sprache deutlich leichter – körperliche Gewalt und Durchsetzungsfähigkeit unwillkommen. Das Problem mit dem einzelnen, dominanten Aggressor, der gewalttätig herrschen wollte, war nicht gemeinschaftsförderlich und wurde eindeutig und gemeinschaftlich gelöst. „In einer Welt ohne Gefängnisse und Polizei konnten rücksichtslose Egoisten, die sich durch ein Übermaß an reaktiver Aggression hervortaten, nur gestoppt werden, indem man sie tötete“.17
Das muss einer der ersten, entscheidenden Schritte zur Entwicklung von kooperativen Verhaltensweisen gewesen sein. Männer schlossen sich zu Bündnissen zusammen, um jeden Gruppenangehörigen aufzuhalten, der seine egoistischen Ziele mit Gewalt durchsetzen wollte und so das Wohl und Überleben der Gemeinschaft gefährdete.
„Erst Menschen waren fähig, sich zusammenzuhocken und zu flüstern: Lasst uns an dem großen Stein treffen, ihn überfallen und töten.“ 18
Mit dieser Form der negativen Auslese gelang es, übermäßige Aggression unter Kontrolle zu bringen und das Überleben der Gruppe als Ganzes zu sichern.
Der Mensch domestizierte sich damit selbst. Es entwickelte sich ein friedliches und tolerantes Miteinander als Fundament und wesentliche Voraussetzung für komplexe Kooperation und soziales Lernen.
Drei Eigenschaften zeichneten ab diesem Entwicklungssprung den Homo Sapiens aus:
• hochgradige Intelligenz
• hochgradige Kooperation
• außergewöhnlich gute Fähigkeit, von Anderen zu lernen, das „soziale Lernen“.
Die Verankerung der Eigenschaften im gemeinschaftlichen Leben verstärkte die soziale Toleranz für die Verschiedenheiten untereinander.
Die Domestizierung des Menschen über die Jahrtausende lässt sich nach Wrangham in physischen Veränderungen belegen:
1. „Domestizierte Arten sind kleiner als ihre wilden Vorfahren.“ 19 „Die Reduzierung der Körpergröße geht mit einer relativen Verschlankung der Knochen einher. Der Mensch wurde feingliedriger und weniger robust.“ 20
2. Gesichter sowie Kiefer und Zähne verkleinerten sich.
3. „Männer haben sich nicht nur hinsichtlich der Körpergröße den Frauen angenähert, sondern auch hinsichtlich der Größe des Gesichts, der Länge der Eckzähne, der Kaufläche der Backenzähne und der Größe der Kiefer. Die einsetzende Feminisierung der männlichen Gesichter ist ab 200.000 Jahren vor u.Z. zu beobachten.
4. Schließlich haben domestizierte Arten ein kleines Gehirn. Dies geht erstaunlicherweise nicht mit einem entsprechenden Verlust an kognitiven Fähigkeiten einher. Im Gegenteil, die kleineren Gehirne sind leistungsfähiger als die größeren Gehirne der Vorfahren.“21
Mein Fazit:
In mutterzentrierten Gesellschaften setzten die Menschen nach gemeinsamem Beschluss aktiv planend Aggression gezielt innerhalb der Gruppe ein, um reaktiv aggressive Männer auszuschalten. Damit wurde die Gleichwertigkeit der Mitglieder gesichert; das Wohl und Überleben der Gruppe als Ganzes.
Die Fähigkeit zur Kooperation und sozialer Toleranz wurde gefestigt und weiterentwickelt. Aggression und Gewalt gegen Mitglieder der Gemeinschaft war ansonsten nicht notwendig.
Das Patriarchat entstand mit aggressiven Männern, die aktiv planend ihre Aggressionen auf andere Gemeinschaften richteten, um hier zu erobern, zu plündern und zu unterwerfen. Dazu später mehr.
Was sagt der Anthropologe Robin Dunbar?
Auch die Forschungen von Robin Dunbar, einem britischen Anthropologen, sind in diesem Zusammenhang interessant. Er hat herausgefunden, dass sozial gut funktionierende Gruppen nie größer waren als 150 Menschen. Wir Menschen mit einem Gehirn von 1,3 kg können
• 10 bis 15 Menschen lieben: unsere Familie und Freunde;
• 30 bis 50 Menschen mögen: die Nachbarin, die Friseurin, einige Kolleginnen.
• 150 Menschen können wir uns zugehörig fühlen: das kann heute eine Arbeitsgruppe, ein Sportverein oder eine Nachbarschaftsgruppe sein.
Mehr kann unser Gehirn nicht erfassen. Gesellschaften, in der alle Mitglieder über diese Fülle an menschlichen Beziehungen verfügten, wären sehr stabil. Werden sie größer, verliert sich die Stabilität, da die gegenseitige Kontrolle fehlt.
Gemeinschaften von maximal 150 Menschen kontrollieren sich selbst. Verstößt jemand gegen gemeinschaftliche Regeln, fällt er schnell auf und wird bestraft – es wirkt die persönliche Scham.
„Heutige Umweltausbeutung findet auf dem Meer, am Himmel, in Flüssen und Wäldern statt, weil diese allen und niemandem gehören. Gesetze und Kontrollen funktionieren nicht ausreichend: Es fehlt die selbstkontrollierende persönliche Scham der sozialen Gruppe.“ 22
Was sagen die Neurowissenschaftler?
1990 wurde der Begriff der „Emotionalen Intelligenz“ in die neurowissenschaftliche Diskussion von den Psychologen John D. Mayer von der University of New Hampshire und Peter Salovey von der Yale University eingeführt. Darunter wird die Fähigkeit verstanden, eigne und fremde Gefühle wahrzunehmen, zu verstehen und zu beeinflussen. Hauptmerkmal der emotionalen Intelligenz ist das Einfühlungsvermögen. Als weiterer Begriff wird „Soziale Intelligenz“ – oder auch Sozialkompetenz – genannt.
„Wenn Intelligenz heißt, ein Problem in seinem Gesamtzusammenhang zu erfassen und mit den vorhandenen Ressourcen (inklusive Vernetzung mit der Umgebung) lebensnah zu managen, so sind sicherlich Frauen statistisch gesehen „intelligenter“.
Wenn hingegen Intelligenz heißt, möglichst fokussiert ein Detailproblem abstrakt zu lösen und alles andere und alle anderen auszuklammern und wegzublenden, so sind wohl Männer „intelligenter“. 23
„Die bahnbrechende Arbeit schlechthin bezüglich Hirnstruktur, Denkmuster und Intelligenz der Geschlechter ist dem Psychiater Richard J. Haier und Kollegen von der University of California in Irvine im Jahr 2005 gelungen. Die Studie ist zu Recht eine der meistzitierten in ihrem Gebiet.“ 24
Die Wissenschaftler untersuchten das geschlechterspezifische Zusammenspiel verschiedener Gehirnareale im Zusammenhang mit Intelligenz bei Problemlösungen.
Sie fanden heraus, dass bei Frauen Gehirnaktivität hauptsächlich in der weißen Substanz messbar ist. Diese ist für die Vernetzung der Hirnareale verantwortlich. Daraus folgerten sie, dass Frauen eher assoziativvernetzt denken. Gestellte Aufgaben scheinen Frauen enger mit Emotionen, Assoziationen und Formulierungen zu verknüpfen. Frauen nehmen eine ihnen gestellte Aufgabe eher persönlich und beziehen ihre Erfahrungen mit ein.
Wenn Männer die gleiche Problemstellung bearbeiten, ist hauptsächlich graue Substanz aktiviert – Nervenkerngebiete, welches für fokussiert-analytisches, lineares Denken mit wenig Vernetzung spricht. „Männer bleiben eher auf die Problemlösung fokussiert. Im Gehirn agieren sie wie mit Scheuklappen und „schauen“ weder links noch rechts.“ 24 Sie gehen eine Aufgabe eher distanzierter an.
„Eine Reihe von Arbeitsgruppen auf der ganzen Welt hat in der Folge – teilweise mit ganz anderer Methodik – die Resultate von Richard Haier bestätigt: Männer und Frauen greifen bei der Intelligenz tatsächlich auf verschiedene Hirnareale zurück.“ 24
Mein Fazit:
Wenn Frauen emotional und sozial intelligenter sind als Männer, die eher Detailprobleme abstrakt lösen, wird nachvollziehbar, warum Frauen in den mutterzentrierten Gesellschaften das soziale Zentrum der Gemeinschaft bildeten und das soziale Netzwerk aufrecht erhielten und pflegten.