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Offene Kirche

Liebe geht (nicht nur) durch den Magen

Seit einigen Jahren war er schon auf Platte. Nun hatte ausgerechnet Karl, der Gottesleugner, seinen Platz nahe der Kirche gefunden. Hin und wieder bat er um einen kleinen Geldbetrag oder etwas zu essen. Mal wurde es ihm von der Sekretärin, mal vom Pastor oder dessen Frau gegeben. So wurde er allmählich zu einem bekannten Gesicht.

Nachts, wenn alles schlief, wühlte Karl heimlich in den Mülltonnen. Auch in denen der Kirche. Manchmal mit Erfolg. Dinge des täglichen Bedarfs fand er ebenso wie Zeitungen, geistliche Zeitschriften und Predigt-Kladden in der Papiertonne. Damit dämmte er gern seine Schlafunterlage oder stopfte in der kalten Jahreszeit seinen Schlafsack damit aus. „Ich glaube zwar nicht an Gott“, murmelte er zufrieden vor sich hin, „aber wärmen tut diese fromme Zeug wenigstens.“

Als er eines Abends wieder in seinen Schlafsack kroch, fiel ein kleines Plakat heraus: Ich glaube. Hilf meinem Unglauben, stand darauf. Karl stutzte, dachte nach und nahm den Gedanken mit in den Schlaf. Am nächsten Morgen hatte er ihn wieder vergessen. Doch als er sich aus seinem Sack schälte, um auf Betteltour für ein Frühstück zu gehen, stach ihm das Blatt Papier wieder in die Augen. Er hob es auf, sah drauf, brummte etwas und steckte es in die Tasche. Dann klingelte er an der Tür zum Gemeindebüro, um nach einem Stück Brot zu fragen. Die Sekretärin öffnete, sah ihn an und meinte nur: „Ah, wir kennen uns ja. Was darf es denn heute sein?“ Karl schaute sie an, wollte gerade seine Bitte äußern, da fiel sein Blick auf ein Poster hinter der Sekretärin. Er stutzte, denn es enthielt haargenau den Satz, den er auf dem kleinen Plakat gesehen hatte: Ich glaube. Hilf meinem Unglauben … „Nun“, sprach die Sekretärin, „hat es ihnen die Sprache verschlagen?“ Karl fand zu sich zurück. „Äh, haben Sie vielleicht ein Stück Brot?“ - „Ich schau mal“, sprach sie. Ließ ihn an der Tür stehen und ging in ihr Büro zurück. Währenddessen studierte Karl erneut den Bibelvers auf dem Poster Ich glaube. Hilf meinem Unglauben.

Die Sekretärin kam zurück mit einer saftigen Klappstulle, aus der Salami herausschaute. „Bitteschön, habe ich heute Morgen frisch geschmiert.“ Verblüfft schaute Karl sie an, nahm innerlich berührt den Leckerbissen entgegen, sah noch einmal auf den Spruch und fragte dann mit heiserer Stimme: „Glauben Sie daran?“ Erstaunt blickte die Sekretärin ihn an. „Woran? Was meinen Sie?“ - „Den Spruch da, hinter ihnen.“ Sie drehte sich kurz um, lächelte dann. „Ach, die Jahreslosung meinen Sie.“ Und dann, nach einem kurzen Moment des Zögerns: „Ja, das habe ich in meinem Leben erfahren.“ „Hhm“, meinte Karl kauend. „Wie soll das gehen?“ „Oh“, sprach sie. Und innerlich musste sie sich ein wenig überwinden. „Kommen Sie doch herein, dann können wir besser darüber sprechen.“ Erstaunt folgte Karl der Gemeindesekretärin ins Büro und nahm ihr gegenüber am Schreibtisch Platz. Der Raum strahlte etwas Gemütliches aus. Und warm war er auch.

Während der Tippelbruder in den Rest der saftigen Stulle biss, wurde in ihm eine starke Sehnsucht nach Geborgenheit wach. „Wissen Sie“, sprach die Sekretärin, die sich als Maria Bauer vorstellte, „es ist komisch. Glaube kann man sich ja nicht aneignen. Er ist ein Geschenk Gottes.“ - „Und warum habe ich ihn dann nicht?“, kam es aus Karls vollem Mund. „Bevorzugt Ihr Gott einzelne Menschen?“ Ernst, aber auch mit einem Hauch von Leichtigkeit schaute Maria Bauer ihn an. „Nun, in dieser Jahreslosung steckt ja beides drin: Glaube und die Bitte um das Glaubensgeschenk.“ Karl blickte ihr in die Augen: „Geht das so einfach, mit Bitten?“ Freundlich erwiderte Maria den Blick ihres Gegenübers: „Hinter dieser Bitte steckt ja mehr. Es ist nichts Oberflächliches, sondern eine große, große Offenheit des Menschen, der so spricht.“ Das schien Karl einzuleuchten. „Und“, fuhr sie fort, „eine große Verzweiflung. Da bittet ein Vater, dessen Kind schwer erkrankt ist. Er fleht Jesus um Hilfe an.“ „Ihr mit eurem Jesus“, entfuhr es Karl. Dann hielt er sich erschrocken die Hand vor den vollen Mund. „Verzeihung.“ Die Sekretärin schmunzelte. „Kein Problem, das ist ja wahrscheinlich alles neu für Sie.“ Karl nickte. Mit dem letzten Bissen im Mund mochte er nicht mehr sprechen. „Übrigens“, sagte Maria und stand auf, „mögen Sie einen Schluck Kaffee?“ Verwirrt nickte Karl. Soviel Freundlichkeit war ihm lange nicht mehr begegnet. Dankbar umschloss er mit seinen rauen Händen den warmen Becher, den ihm Frau Bauer reichte. Als das warme Getränk seine Speiseröhre hinabfloss, fühlte er sich beinahe wie im siebten Himmel. „Ein interessanter Begriff“, dachte er bei sich. „Woher mag er wohl stammen?“ „Ja, wir mit unserem Jesus“, führte Maria Bauer das unterbrochene Gespräch fort. „Das will ich Ihnen sagen: Weil Gott mit ihm Gesicht gezeigt hat hier auf Erden. Und, er ist für die Ärmsten und Verzweifelten da.“ Zweifelnd schaute Karl sie an. Das klang gut gemeint. Aber was half es ihm? Andererseits …, hatte er es nicht gut gehabt hier im Büro mit Essen und Trinken? Die Sekretärin schien seine Zweifel zu ahnen. „Kommen Sie mal mit. Sie kennen doch unseren Pastor?“ „Ja“, murmelte Karl und nickte. „Ich bringe Sie mal zu ihm. Der kann vielleicht mehr für Sie tun?“

Überrascht sah Pastor Dreimann auf, als seine Sekretärin gemeinsam mit Karl bei ihm auftauchte. Er reichte dem Obdachlosen die Hand. „Wir sind uns ja schon einige Male begegnet“, meinte der Pfarrer freundlich. Dabei schaute er Karl eine Weile sinnend an, um dann zur Überraschung seines Gegenübers mit einem ungeahnten Vorschlag herauszuplatzen: „Wissen Sie was, wir haben hier ein Gästezimmer mit einer Dusche. Es steht derzeit leer. Wollen Sie einige Tage darin verbringen?“ Karl stand mit offenem Mund da. Wollten die etwas von Ihm? Aber nein, wer sollte ihn schon bestechen. Innerlich schmunzelte er über sich selbst. Dann kam zögernd ein „Ja, danke“ aus ihm heraus. Und während Maria Bauer sich in ihr Büro zurückzog, holte der Pastor zusammen mit Karl dessen Utensilien ins Haus und führte ihn ins Gästezimmer. „Vielleicht ist es gut, wenn Sie nach dem Duschen Ihre Kleidung wechseln“, meinte Dreimann. „Ein paar neue Sachen haben wir sicher auch. Ich suche Ihnen welche zusammen.“

Tage später sah Karl schon anders aus. Sauberer Pullover, saubere Hose. Häufig saß er zu den Mahlzeiten bei der Pastorenfamilie mit am Tisch. Immer wieder drehten die Gespräche sich um den Glauben, die Jahreslosung – deren Begriff ihm der Theologe erklärt hatte - und Jesus.

Als alter Vagabund zog es Karl jedoch immer wieder nach draußen. Meistens suchte er seine Schicksalsgenossen auf, unter Brücken und in Tunnelgängen. Die befragten ihn neugierig nach seiner neuen Kleidung und wo denn sein Schlafsack sei? Als die Buddel kreiste, nahm Karl nur einen kleinen Schluck. - „Nanu“, hieß es, „magst du den Stoff nicht mehr?“ Karl räusperte sich, schluckte noch einmal. „Nein“, kam es langsam aus ihm heraus, „ich habe etwas … etwas Besseres gefunden.“ Dann erhellte sich sein angespanntes Gesicht allmählich. Wie ungewollt flammte in ihm ein innerer Geistesblitz auf: „hilf meinem Unglauben“ … Und er erzählte stockend aber immer freudiger von seinen Erlebnissen der vergangenen Tage.

Die Sonne, die mir lacht

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