Читать книгу Im Flammenglanz der großen Zeit - Karl Hesselbacher - Страница 4

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Lichter im Dunkel.

Es war ein Prachtsjunge, mein Freund Erwin. Man musste nur in seine Augen schauen. Wie die leuchteten! „Wie die Sterne“, sagte seine stolze Mutter. Er war einer unserer jungen Künstler, und die feine Kunst verstanden, sagten, es sei Großes von ihm zu erwarten. Denn seine Kunst war der Strahl aus einem lauteren Herzen. Treu, wahr und kristallen. Durch seine Landschaften ging — wie im alten lieben Volkslied — „der Herrgott“, obwohl er nichts davon wissen wollte, dass darin etwas „Frommes“ zu sehen sein sollte. Er war zu bescheiden dazu. „Gott — das ist mir das große Geheimnis! Ich beuge mich davor. Aber ich bin viel zu jung, als dass ich sagen könnte, ich sei ihm selber innerlich nahe gekommen. Vielleicht wird ein großes Erlebnis mir das schenken!“ Drum sagte ich ihm: „Warte! Jetzt bin ich zufrieden, dass Gott ungesehen durch dein Herz geht und die Wunder seines Lebens in den Werken deiner Hand wirkt!“

Er lebte in herzlichem Frohmut seine Jugend mit den Freunden und mit all der Herrlichkeit, die sein glückliches Auge schauen durfte in Wald und See und Menschenantlitz! Er lebte wie einer, der an treuen Händen auf lauter goldenen Wegen geht. Dem Glanz einer segensvollen Zukunft entgegen.

Da kam „das große Erlebnis“. Der Krieg! Erwin war unter den Ersten, die hinausgingen. Er war Reserve-Offizier. Zuerst wurde er zum Train eingerufen. Mit der Sanität ritt er. Freunde, die mit draußen waren, schrieben, wie er sich als ein tapferer Mann bewies. Aber er — schrieb nichts davon. Nur ein Ton ging durch seine Briefe: „Ich möchte an die Front. Wirklich mitfechten, meinen Mann stellen da, wo die Kameraden bluten und fallen.“ — Bis schließlich die Mutter ihr „Ja“ sagte. Denn so war er: ein Mann durch und durch, aber ein Mann, der kein Herz kränken konnte, vor allem nicht das der Mutter, die ihres Lebens Krone in ihm sah.

„Mir würde in keinem Gefecht innerlich tröstlich zu Mute gewesen sein, wenn ich mir hätte sagen müssen: daheim grollt eine Mutter, dass du ihr den Jammer bereitest, dem Tod mit eigenem Willen entgegenzustürmen!“ Aber als ihre Zustimmung gekommen war — er fühlte wohl die schnellen Herzschläge der schlaflosen Nächte, in denen der Brief von der Mutter Herz sich losgerungen hatte! — trat er bei der Infanterie ein. Die schwersten Kämpfe hat er dort bestanden: Loretto, Septemberschlacht in der Champagne — die Namensagen genug. Er führte eine Kompagnie. Die Männer hingen an ihm, wie an einem Vater. Und doch war er beinahe der Jüngste in den Reihen, die so manchen Graubart zeigten.

Einmal schrieb er wir: „Was ist das ein erbärmliches Gefühl, als Kompagnieführer zu Hause im Unterstand zu sitzen, wenn die Mannschaft draußen im fisselnden Regen und im quietschenden Schlamm schanzen muss! Ich warf meine Regenhaut über und ging hinaus und packte einen Spaten. Ich musste dabei sein; wo die anderen tropften, durfte meine Haut nicht trocken bleiben.“

Das haben sie ihm abgespürt, die Männer! „Der lebt mit uns und leidet mit uns und will’s nicht besser haben, wie unsereiner.“ Der ist nie zur Ruhe gegangen, bevor er wusste, wie seine Mannschaft untergebracht war. „Das ist kein Offizier, der einschläft, ehe er weiß, dass jeder seiner Mannschaften ein anständiges Schlaflager hat!“ Und rührend war es, wie ich ihn das letzte Mal sah: er war hier, um — kleine Ferkel einzukaufen für seine Kompagnie! „Hoffentlich verzehrst du sie gesund“, riefen wir. „Hoffentlich dürfen meine Soldaten sie mit gesunden Mägen verdauen“, lachte er zurück. Im Scherz lag der ganze Mann.

Einmal habe ich ihn im Briefe gefragt: „Wie stehst du jetzt zu dem Ewigen? Ist dir Gott innerlich nahe gekommen?“

Da kam die Antwort: „Ich bin der Docht in der Lampenschale. Die Schale ist gefüllt, und der Docht harrt des zündenden Funkens. Bis jetzt ist der Funke noch nicht auf den Docht gefallen. Aber er harrt in Demut des großen Augenblickes.“ Und als ich das las, kam mir das Wort des Menschensohnes: „Selig, die hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit . . . .“ Ich schrieb ihm das nicht. Denn ich war der Meinung, die ich auch jetzt noch nicht aufgegeben habe: In die stille Künstlerarbeit, die unser Gott an seinen Menschenkindern vollbringt, sollen Menschenfinger nicht greifen. Drum schwieg ich.

Aber er kam mit einem anderen Wort in einem seiner Briefe, die an seine Mutter gerichtet sind, auch zu mir. Die Mutter ließ mich dies Wort wissen; denn sie sagte mit ihrem zarten Gefühl für alles, was in der Seele ihres Sohnes vorging: „Das Sätzlein scheint mir an Ihre Adresse geschrieben zu sein. Ich weiß, dass er mit Ihnen über solche Lebensfragen geredet hat.“ Das Sätzlein aber hieß:

„Artig war ein Bild, das mein Ofen bot. Ein kleiner Eisenofen ist’s. Wir brennen Holz darauf. Und da ist’s merkwürdig, wie die Flamme, kurz nachdem wir sie entfacht haben, schwelt und raucht, dass sie uns die Augen beizt. Aber je mehr wir Holz anlegen, umso heller wird die Flamme, bis sie schließlich rein und klar, ohne Rauch aufwärts steigt. Die Flamme hat sich im Brennen selbst vom Rauche gereinigt. Mir fiel ein Vers Goethes ein, den ich nie verstanden hatte, und den ich jetzt zu verstehen gelernt habe. Er lautet:

Die Flamme reinigt sich vom Rauch,

so reinig’ unsern Glauben!

Das ist’s, was wir hier draußen erleben. Wir jungen Menschen sind eine rauchende, schwelende Flamme. Da ist so viel Trübes, Unklares. Da hängt so viel an einem herum, was nicht sein sollte. Man merkt es selbst nicht so recht. Aber mitten in dem Feuer des Krieges, in dem wir brennen, reinigt sich unser Leben von all diesem Rauch. Es wird reiner, bestimmter, männlicher, fester. Alle die alte Weichmütigkeit und Gefühlsseligkeit fällt ab. Wir lernen, dass nur die Tat einen Wert hat.

All das Herumfahren mit der Stange im Nebel weicht einem entschlossenen Hinrichten auf ein bestimmtes Ziel. Wer so viel befehlen will trotz seiner Jugend, der muss sich zusammennehmen. Jedes Wort wird erwogen. Kein Tadel darf über die Lippen, der nur von ferne nach Ungerechtigkeit riecht. Kein Befehl, der nicht wirklich durchgeführt werden könnte, darf gegeben werden. Kein Urteil, das verbittern würde, darf ich fällen. So wird das Leben von einem großen Zuge durchzogen. Mutter, wenn ich fallen sollte, denke immer daran: lieber ein kurzes Leben, das sich vom Rauche gereinigt hat mitten in der Flamme, als ein langes, schwelendes Leben!“

Da habe ich in Ehrfurcht die Meißelschläge der göttlichen Künstlerhand an dem jungen Menschenbild gesehen.

Um Ostern kam ein Brief. Aus der Feuerhölle des Kampfes um die gewaltige Festung im Westen.

„Ostern — alle köstlichen Erinnerungen der Jugend wachen aus. Und alle diese Erinnerungen heißen: Friede. Friede einer seligen Kinderzeit. Und jetzt: neben mir schlug ein schweres Artilleriegeschoß ein und hat zwei meiner liebsten Kameraden in Stücke zerrissen. Kannst du ahnen, welche Gefühle meine Seele durchstürmen?“

So hat die harte Not des Menschheitsjammers in diesem feinen Menschenempfinden zusammenstoßen müssen mit dem lichten Bild eines Lebens, das von dem Frieden des Himmels in jeder tieferen Menschenseele lebt. Und es war mir, als sei jetzt dies Bild vom Frieden einer in Gott geborgenen Seele für immer aus seinem Leben gestrichen.

Da redete ein anderer Brief: „Damals, als der Tod wieder so hart und schroff unmittelbar an mir vorübergegangen war, hat mich doch kein Schrecken umfangen. Es war mir, als wäre mir etwas Heiliges und Erhabenes zur Seite gestanden. Als hätte ich etwas gespürt von dem tiefen Schauer, mit dem sich der vergängliche Mensch in den Schoß der Ewigkeit gleiten lässt. Vielleicht war dies mein erstes Gotterleben? Mir stand über all dem grausigen Geschehen ein fester Wille, der durchs die Wirken hindurch seinen Weg unerschütterlich geht. Und ich war so ruhig bei dem Gedanken, in diesen unerschütterlichen Willen meinen kleinen Menschenwillen ehrfurchtsvoll hineinzubetten. Aber so gewaltig und erhaben die Wege des Ewigen vor meinen Augen durch Jammer und Elend und Grauen hindurchgingen: das, was du von einem Gott der Liebe zu sagen pflegst, das war mir so weltenfern. Ich weiß, das kann ich nicht glauben. Jedenfalls jetzt noch nicht.“

Damals schrieb ich ihm zurück. „Sei getrost, dass du das größte Kapitel im Glauben gelernt hast: das Stillewerden vor einem ewigen Willen. Wer darin Meister geworden ist, darf ruhig warten, bis jene Hand, von der du einmal geschrieben hast, den Docht zu neuem Flammen bringt. Die Flamme, die jetzt auf der Glasschale deiner Lebenslampe brennt, leuchtet hell und rein. Wie das Sternenlicht in der Nacht. Daran lass’ dir genügen. Das Sternenlicht kündet vom Kommen der Sonne. Denn es steht am klaren Himmel.“

„Im Übrigen: sag’ doch, ist in deinem Herzen das Liebenkönnen erstorben unter all dem Gräuel? Oder ist in dir nicht mehr das alte Bedürfen einer großen, unzerstörbaren Liebe zu Menschen, die deiner wert sind und mit ihrem geistigen Leben das deine bereichern und vertiefen? Hast du nichts mehr von jenem Verlangen nach der wahren Liebe, unter deren Kraft und Lebenshauch unser Leben erst recht wird, was es werden soll? Und wenn du dies Verlangen dir bewahrt hast — willst du dann noch nichts verstehen von einer ewigen Liebe, in deren Lebenskraft unser Sein erst zum wahren Sein, zur Ewigkeit, wird?“

Eine Karte kam aus dem Kampf. Mit schnellen Bleistiftstrichen: „Dank dir für das Freundeswort! Ja, das Bedürfen nach einer großen Liebe ist geblieben. Lass’ mich diese Hand, die du mir entgegengereckt hast, fassen. Vielleicht, dass mir daran das letzte Geheimnis Gottes doch noch einmal erscheinen wird. Lichter im Dunkel — das ist all unser Ahnen vom Ewigen. Wann wird das volle Licht kommen?“

Und nun kam die Botschaft, dass dies Herz gebrochen ist.

Lasset mich still den Vorhang ziehen über dies köstliche Menschenbild!

„Lichter im Dunkel“ — so ziehen sie hinaus, unsere Allerbesten.

Lichter im Dunkel — ob etwas von diesem Glanz scheint, aus den stillen, anspruchslosen Erzählungen der Männer, die uns von ihrem Leben erzählen in den folgenden Zeilen?

„Lichter im Dunkel“ — ich möchte, dass ein freundlicher Leser sich erquicke an ihrem Lichtschein, der mild und versöhnlich hineinstrahlt in den „Flammenglanz der großen Zeit“!

K. Hesselbacher.

Im Flammenglanz der großen Zeit

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