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Imperialismus

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(September 1912)

Ich darf wohl, ohne unbescheiden zu sein, daran erinnern, daß auf zwei internationalen Jugendkonferenzen – 1907 und 1910 – die hier behandelte Frage ausführlich und, wie ich glaube, alle die hier und vorher in den Preßdebatten vorgebrachten Gesichtspunkte umfassend, besprochen worden ist. Unzweifelhaft besteht ein Gegensatz zwischen den Auffassungen der Genossen Lensch-Pannekoek und Kautsky und anderen. Aber mir scheint das doch kein so tragischer Konflikt, daß man nötig hätte, sich die Haare auszuraufen. (Heiterkeit.) Ich meine, daß Pannekoek und Lensch bloß den Gedankengang nicht zu Ende denken, den sie der Marxismus weist. Sie bleiben auf halbem Wege stehen und sind befangen in einer etwas mechanistischen Auffassung der Gesellschaft und ihrer Entwicklung. (Lebhaftes „Sehr wahr!“) Es ist ganz eigentümlich, daß Lensch, der sonst ein so eifriger Bekenner des antagonistischen Charakters unserer Gesellschaftsordnung ist, hier so vollkommen versagt, und es ist erstaunlich, daß er verkennt, wie es zwar in der kapitalistischen Gesellschaft wohl notwendige Tendenzen gibt, aber keinerlei absolute Notwendigkeiten nach keiner Richtung hin, und wie den notwendigen Tendenzen allenthalben ebenso notwendige Gegentendenzen entgegentreten. Und wenn Lensch erklärt, wir haben den Kapitalismus zu fassen, wie er ist, so müssen wir sagen, indem wir ein Wort von Lensch aufnehmen, wir dürfen auch den Kapitalismus nicht isoliert nehmen, nicht als unter einer Glasglocke befindlich betrachten, losgelöst von den gleichzeitigen antikapitalistischen Kräften und Trieben. Es gehört zu den Tendenzen der kapitalistischen Entwicklungsperiode, daß alles zeitweilig notwendig und alles nicht dauernd notwendig ist. Wir brauchen nur zu erinnern an die kapitalistische Konkurrenz – ich spreche noch nicht von der internationalen –, wie sie in verschiedenen Perioden einen sehr verschiedenen Charakter annimmt. Das einmal Bestehende ist ein Notwendiges nur insoweit sich nicht Gegentendenzen entfalten, die Modifikationen und Umänderungen herbeiführen.

Ganz genauso liegt es mit der Frage, die uns hier beschäftigt. Es trifft nicht zu, daß im Kapitalismus keine Gegentendenzen gegen die kriegerischen Tendenzen und gegen das Wettrüsten vorhanden seien. Die Resolutionen der internationalen Jugendkonferenzen haben dies in gründlicher Weise behandelt. Und Bebel ist es gewesen, der im vergangenen Jahre auf dem Parteitag in Jena gerade die internationalen Zusammenhänge, die selbst vom Standpunkt des Kapitalismus aus gegen den Kriegswahnsinn sprechen, in schlagenden und eindrucksvollen Sätzen vor Augen geführt hat.

Lensch hat einen wesentlichen Gegensatz zwischen Abrüstung und Miliz konstruiert. Ich bestreite, daß dieser Gegensatz besteht. Wir hatten auf der Kopenhagener Jugendkonferenz 1910 – gestatten Sie, daß ich etwas viel davon rede, vielleicht lächeln Sie in sich hinein, aber mir scheint das wichtig – entsprechend dem deutschen Parteiprogramm die Miliz, die allgemeine Volksbewaffnung, als eines der Ziele der antimilitaristischen Bewegung festlegen wollen. Wir fanden aber energischen Widerspruch bei den Skandinaviern, denen die Miliz als eine Verschlechterung ihres bisherigen Zustandes erscheint. Die Sache liegt doch so: Wir streben nicht die Miliz um ihrer selbst willen an; wir wollen doch nicht das Volk bewaffnen, soweit es nicht zur Abwehr gegen die herrschenden und unterdrückenden inneren Mächte und gegen auswärtige Feinde nötig ist. Die Miliz ist nicht in allen Fällen das Bessere gegenüber dem bestehenden Zustande, sie kann unter Umständen auch eine Verschlimmerung sein, sie ist nur das kleinere Übel im Vergleich zu dem größeren, vor allem zum stehenden Heere, demgegenüber sie in bezug auf internationale wie auf innerpolitische Konflikte minder gefährlich ist. Es besteht also auch aus diesem Grunde kein prinzipieller Widerspruch zwischen Miliz und Abrüstung.

Der Imperialismus, kann man wohl kurz und bündig sagen, ist ein kapitalistisches Geschäft, und weil er das ist, empfiehlt es sich, das Wesen des Kampfes gegen den Imperialismus auf eine kaufmännische Formel zu bringen. („Sehr gut!“) Die historische Mission des Proletariats gegenüber dem Imperialismus ist, geschäftlich betrachtet, das soziale, politische und auch wirtschaftliche Risiko der kriegerischen Form des internationalen Konkurrenzkampfes durch seine Klassenkampfpolitik für die herrschenden Klassen der beteiligten Länder dermaßen zu erhöhen, daß ihnen selbst die friedliche Verständigung in der internationalen Konkurrenz, zum Beispiel im Sinne der Vertrustung, als das geschäftlich Zweckmäßigere erscheint. In dieser Weise das Problem aufgefaßt, haben wir nicht die Spur preisgegeben von irgendeinem marxistischen Grundgedanken.

Die wichtigste der Tendenzen gegen den Imperialismus ist die vom Proletariat getragene der Solidarisierung aller Völker, des Klassenkampfes, den die Arbeiterklasse innerhalb der einzelnen Länder und in der Internationale führt gegen diejenigen Kreise, deren Geschäft der Imperialismus ist. Hier gilt es weiter zu arbeiten genau in der Richtung, in der die Sozialdemokratie, die internationalen sozialistischen Kongresse bisher gewirkt haben; wir haben nicht einen Buchstaben wegzunehmen von dem, was wir bisher gesagt und getan haben. Und wenn die Sozialdemokratie aller Länder in dieser Richtung unter Aufbietung der rücksichtslosesten Energie weiterarbeitet, so tut sie alles, um das Menschenmögliche an Macht zu entfesseln, den Imperialismus an kriegerischen Abenteuern zu hindern. Die internationale proletarische Solidarität immer weiter auszubilden und zu festigen, den Klassenkampf immer intensiver und leidenschaftlicher zu gestalten, immer mehr bereit zu sein, mit allen Mitteln, koste es, was es wolle, dem Imperialismus entgegenzutreten, das ist meiner Überzeugung nach ein sehr guter und sicherer Schutzwall gegen die Völkerverhetzung der herrschenden Klassen, und wir können nichts Besseres tun gegen die Kriegsgefahr, als den herrschenden Klassen keinen Zweifel zu lassen, welch gewaltige wirtschaftliche, politische und soziale Gefahren sie durch die Entzündung eines Weltenbrandes über sich heraufbeschwören, vermöge der hohen intellektuellen Entwicklung des Proletariats und vermöge der rücksichtslosen Entschlossenheit des Proletariats zum Klassenkampf. Für uns gilt in der Tat das alte Wort: si vis pacem, para bellum, wenn du Frieden willst, bereite den Krieg. Wir können sagen, wenn wir den Völkerfrieden wollen, müssen wir den Krieg, den Klassenkampf bereiten, ihn mehr und mehr international führen und schüren. Es ist nicht möglich, heute abzuirren von der Richtlinie, die wir auf unseren bisherigen Kongressen uns gezogen haben, und nur das eine ist nötig, daß wir uns heute noch einmal zu einer einmütigen und enthusiastischen Kundgebung vereinigen gegen den Imperialismus, für die internationale Solidarität und für die Anerkennung der wichtigen und bedeutungsvollen Rolle der proletarischen Macht gegenüber den Mächten des imperialistischen Kapitalismus. In einer Zeit, die dermaßen angefüllt ist mit Zündstoff wie die heutige, ist es unmöglich, auf einem sozialistischen Kongreß über dieses Thema hinwegzugehen. Und ebenso unmöglich ist es, daß sich irgendwelche ernsthafte Meinungsverschiedenheit darüber geltend machen könnte, daß wir über alle Welt hinaus dem Proletariat zurufen: „Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr!“ (Großer Beifall.)

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