Читать книгу Im Zeichen des Drachen - Karl May - Страница 6

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„Ihr müsst meine Kameraden mitnehmen.“

„Welche Kameraden?“

„Den Kapitän Roberts vom ,Poseidon‘ mit seinen Leuten.“

„Roberts? Poseidon? Ist das Schiff und der Mann nicht von New York?“

„Ja. Wir wollten von Valparaiso nach Hongkong, litten aber auf einer der ,gefährlichen Inseln‘ Schiffbruch. Roberts hat mich nach Tahiti geschickt, um einen Kapitän zu suchen, der bereit ist, uns an Bord zu nehmen.“

„Das wird jeder brave Kapitän tun, Charley, und ich freue mich, dass Ihr zuerst zu mir gekommen seid. Ich kenne diesen Roberts; er ist kein unrechter Mann, doch scheint er mir in diesen schwierigen Gewässern nicht sehr befahren zu sein. Ein Sturm hier hat schon etwas mehr zu bedeuten als anderswo, aber wenn er das Steuer mit einem guten Tross8 fest angesorrt hätte, so wäre es ihm möglich gewesen, etwas weiter nach Nord über die Nukahiwa-Inseln zu halten, und von einem Schiffbruch wäre keine Rede gewesen. Wo seid ihr denn gestrandet?“

„Die Insel ist uns unbekannt. Sie liegt auf dem zweihundertneununddreißigsten Grad im Osten von Ferro und auf dem zweihundertzwanzigsten Grad südlicher Breite.“

„Schön, wird wohl zu finden sein! Ist das Schiff sehr wrack?“

„Es ist nicht von den Klippen zu bringen. Wenn Ihr hinkommt, hat die Brandung es vielleicht bereits verschlungen.“

„Hattet ihr viele Seegasten9?“

„Ich war der einzige.“

„Wie viele Marsgasten10 sind gerettet?“

„Alle.“

„Hm, dann wird es notwendig sein, mehr Lebensmittel einzunehmen. Wurde etwas von der Ladung geborgen?“

„Der größte Teil. Es sind meist wollene und baumwollene Zeuge und ein reichliches Lager von Stahl- und Eisenwaren.“

„Dann ist es ein Glück, dass ich hier löschte, ohne bis jetzt etwas Neues einzunehmen. Kapitän Roberts wird es natürlich sehr eilig haben, aber vor der Morgenebbe können wir unmöglich fort. Wer ist der Bursche hier?“

Er deutete auf Potomba, der mir bis an Deck gefolgt war und aus der Entfernung unsere Unterredung beobachtete.

„Ein Ehri von Tahiti. Er wohnt in Papetee und heißt Potomba.“

„Alle Wetter, ein Fürst! Wie kommt Ihr zu dem Mann?“

„Er geriet, verfolgt von einer ganzen feindlichen Flotte, nach unserer Insel und gab mir einen Platz in seinem Boot.“

„Also ein regelrechtes Abenteuer! Wer waren seine Feinde?“

„Ihr Anführer ist ein heidnischer Priester auf Eimeo. Potomba heiratete dessen Tochter und ließ sich von einem katholischen Missionar taufen.“

„Ah! Ihr habt doch den Schlingeln tüchtig heimgeleuchtet? Das versteht Ihr ja aus dem Grund, Charley!“

„Sie sind uns alle entkommen. Mein Feldzugsplan scheiterte an dem Ungeschick des Steuermanns. Also Ihr seid bereit, uns Euern ,Wind‘ zur Verfügung zu stellen?“

„Natürlich! Morgen früh mit der Ebbe stechen wir in See. Jetzt aber kommt zur Kajüte; wir müssen doch einmal sehen, wie sich meine Flaschen unter der Linie gehalten haben!“

„Einen Trunk zum Willkommen darf ich Euch nicht abschlagen, aber festtauen kann ich mich noch nicht. Ich habe Potomba versprochen, mit ihm an Land zu gehen, und er wird ungeduldig sein, sein Weib und seinen Bruder zu begrüßen.“

„Dann trinkt er mit und Ihr erlaubt mir, Euch zu begleiten. Ich habe an Land Geschäfte.“

Potomba musste mit zur Kajüte, wo uns der gute Master Frick Turnerstick mit seiner besten Sorte bewirtete. Dann stiegen wir zu dritt in ein Boot der Barke, das das Kanu des Ehri ins Schlepptau nahm, und ruderten an Land.

Je näher wir ihm kamen, desto aufmerksamer wurden die Züge Potombas. Er schien etwas zu bemerken, was seine Achtsamkeit im höchsten Grad in Anspruch nahm. Er sah meinen fragenden Blick und streckte den Arm aus.

„Siehst du die Kähne dort, Sahib?“

Gerade vor uns lag eine große Anzahl geschmückter Boote, eines neben dem anderen am Ufer. Das mittelste zeichnete sich durch buntes Wimpelwerk und allerlei Blumen und Blätterzierde vor den übrigen aus.

„Ja“, antwortete ich. „Was ist mit ihnen?“

„Siehst du auch das Boot mit den Fahnen und Laubgewinden?“

„Allerdings. Warum fragst du?“

„Zu beiden Seiten seiner scharfen Brust sind die Worte ,Mata ori‘11 eingeschrieben. So nannte ich Pareyma, als ich sie lieben lernte, und so nannte ich auch das Boot, das ich ihr zu Tamai auf Eimeo bauen ließ, damit mich Anoui mit ihm abholen könne an dem Tag, an dem ich sie zum Weib nahm, um sie in mein Palmenhaus zu führen. Ich kenne das Boot genau; sein Ausleger ist nicht mit Bast, sondern mit eisernen Stocknägeln befestigt, und heute ist es geschmückt gerade wie damals, als ich es als Bräutigam betrat. Es muss auf Eimeo eine Hochzeit sein und Anoui hat es dem Vater des Mädchens geliehen, um den Bräutigam darin abzuholen.“

Es spiegelte sich in seinen offenen Zügen eine Unruhe, für die ich kein Verständnis hatte. Die Erinnerung hätte ihn beglücken, nicht aber beunruhigen sollen.

„Und siehst du den Mann im Boot?“, fuhr er fort. „Es ist Ombi.“

„Wer ist Ombi?“

„Der Diener des Priesters; doch er liebt mich mehr als ihn. Er hat Pareyma auf den Armen getragen, als sie noch ein Kind war, und sie behütet, seit ihre Mutter gestorben ist.“

Der Diener, der uns beobachtete, schien Potomba zu erkennen, denn er erhob sich mit freudiger Miene, setzte sich aber sofort wieder nieder und legte die Hände vors Gesicht.

Der Sand des Ufers knirschte unter dem Kiel unseres Bootes und wir sprangen an Land. Potomba trat zu der ,Mata ori‘.

„Ombi!“, redete er den Diener an.

Der Diener regte sich nicht.

„Ombi!“

Als auch jetzt noch keine Antwort erfolgt, sprang er ins Boot und ergriff den greisen Polynesier bei der Schulter.

„Ombi, warum antwortest du nicht?“

Der Diener nahm die Hände vom Gesicht und blickte ihn an. In seinen Augen glänzten zwei Tränen.

„Hat der Schmerz Worte, Potomba?“, fragte er.

„Welcher Schmerz?“

„Dass du abgefallen bist von Atua, dem Gott alles Guten, und hingegangen zu dem Mitonare.“

„Das schmerzt dich jetzt? Hast du mir nicht oft gestanden, wenn ich dir heimlich von dem Messia erzählte, der das Lamm Gottes ist, dass dir der höchste Sahib Jesu lieber sei als Atua, der Gott von Tahiti, der niemals gekommen ist, um Kranke zu heilen, Tote zu erwecken und für unsere Sünden zu sterben?“

„Das habe ich gesagt, Potomba, und das sage ich auch jetzt noch. Aber ich bin der Diener eines Priesters, dem ich gehorchen muss, und darf nicht sagen, was ich denke.“

„Du darfst sagen, was du denkst und glaubst. Verlass den Priester des falschen Gottes und komm zu mir! Du liebst Jesu, den Nazzari; du liebst auch mich und Pareyma. Warum willst du nicht bei uns sein? Warum weinst du, wenn du mich erblickst? Das hast du doch bisher noch nie getan.“

„Ich weine, weil ich gern bei dir sein möchte und es doch nicht kann.“

„Warum kannst du es nicht?“

„Weil ich Pareyma nicht verlassen mag, die meiner bedarf.“

„Pareyma? Wenn du zu mir kommst, bist du ja bei ihr.“

„Nein.“

Ich sah den Schreck, der die dunklen Züge Potombas jäh erbleichte. Er stocke und ließ seinen angstvollen Blick über die Umgebung gleiten. Die am Strand Spazierenden waren herbeigekommen und beobachteten ihn mit teilnahmsvollen Augen aus der Ferne. Er musste das bemerken und noch mehr als ich ahnen, dass ihn während seiner Abwesenheit etwas Schweres betroffen habe. Unwillkürlich fuhr seine Hand nach dem scharfen Kris12, der in seiner Schärpe steckte, und zwischen den zusammengepressten Zähnen hervor fragte er zischend:

„Wo ist Pareyma?“

„Geh heim und frage! Ich darf es dir nicht sagen.“

Potomba trat einen Schritt zurück. Seine Augen funkelten und seine Lippen zuckten.

„Ombi, wo ist Pareyma? Hörst du, ich frage dich!“

Der Diener senkte traurig das Haupt und wiederholte:

„Geh nach Haus und frage!“

„Ombi, du schweigst noch immer? Gut, ich werde gehen, aber wer Pareyma ein Leid getan hat, der ist verloren.“

Er schritt davon. Wir beide folgten ihm. Die versammelte Menge machte ihm ehrerbietig und teilnahmsvoll Platz. Er sprach kein Wort und blickte nur ein einziges Mal zurück, um zu sehen, ob wir noch bei ihm wären. Der Weg führte eine Strecke um Papetee herum, bis wir ein Gebäude erreichten, das sich durch seine Größe und den Umfang der zu ihm gehörigen Brotfruchtbaumpflanzungen auszeichnete.

„Kommt!“, sagte er kurz und trat ein.

In dem vorderen Raum des Hauses saß auf einer Matte ein junger Mann, den wir infolge seiner Ähnlichkeit mit Potomba sofort als dessen Bruder erkannten.

„Potai!“

„Potomba!“

Der Sitzende sprang auf und streckte die Arme aus, als wollte er den Kommenden umfangen, trat aber wieder zurück und ließ die Arme sinken.

„Was ist mit dir, Potai? Bin ich nicht dein Bruder?“

Der Gefragte deutete nieder, wo neben der Matte in der Erde ein Dolch stak.

„Ich habe den Kris in die Erde versenkst, bis du kommst, Potomba. Ich habe geschworen, dich nicht zu berühren, bis der Tod der Mutter gerächt ist.“

„Der Tod der Mutter? Sprich, Potai, sprich schnell, schnell! Wo ist Pareyma?“

„Fort.“

„Fort! Wohin?“

„Nach Eimeo zu ihrem Vater, dem Priester der Heiden.“

„Freiwillig?“

„Freiwillig! Ich fuhr hinüber nach Maitea, und als ich zurückkehrte, war sie fort. Die Mutter hat sie halten wollen und mit ihr gekämpft. Potomba, dein Weib ist zu den Göttern zurückgekehrt und hat deine Mutter getötet.“

„Womit?“

„Mit ihrem Kris. Ich zog ihn aus dem Herzen der Mutter; er war noch blutig; hier steckt er in der Erde.“

Der Ehri bückte sich nieder und zog den Dolch heraus.

„Das ist nicht Pareymas Messer, das ist der Dolch des Priesters Anoui!“, stieß er hervor.

„So hat er sie geholt und er ist der Mörder.“

„Und wirklich freiwillig ist sie mit ihm gegangen?“

„Ich habe keine Spur eines Kampfes zwischen ihr und ihrem Vater bemerkt. Sahst du die Kähne und dein Mata ori?“

„Ja. Was hat die Flotte zu bedeuten?“

„Und kennst du auch Matemba, deinen Todfeind?“

„Du fragst, als wäre ich ein kleiner Knabe.“

„Du kehrst zur rechten Zeit zurück. Anoui, der Priester und Vater dieses untreuen Weibes, ist gekommen, um Matemba abzuholen. Es ist Hochzeit in Tamai und Matemba wird heute der Mann deiner Frau.“

Potomba trat an die Öffnung, die als Fenster diente. Er musste Luft haben, wenn er nicht ersticken sollte. Die beiden Brüder hatten sich bisher nicht um uns gekümmert. Der Kapitän flüsterte mir zu:

„Ihr scheint die Sprache dieser Leute zu verstehen. Was geht hier vor?“

„Es ist fürchterlich!“, antwortete ich. „Man hat die Mutter des Ehri getötet und sein Weib wird heute mit einem Heiden getraut.“

„Zum Henker! Das gibt Mord und Totschlag!“

„Diese beiden Männer sind Christen.“

„Pshaw! Auch unter den christlichen Polynesiern erbt sich die Blutrache fort. Ihr werdet es erfahren.“

Jetzt wandte sich Potomba wieder zurück. Seine Züge waren wie versteint und in seinen Augen glühte ein düsteres Feuer.

„Potai, was hast du bisher getan?“

„Ich habe alles verkauft.“

Der Ehri nickte zustimmend; er schien den Plan seines Bruders sofort zu erraten.

„Auch die Boote, die ich dir von den Tubuai-Inseln sandte, als mich Anoui verfolgte?“

„Ja. Wir gehen nach den Ländern Samoa.“

„Du hast recht getan. Bist du bereit?“

„Ich wartete nur auf dich.“

Potomba wandte sich zu mir:

„Das Schiff dieses Sahib holt deine Freunde?“

„Ja.“

„Wohin fährt es dann?“

„Nach dem Land der Chinesi.“

„So geht euer Weg an den Ländern Samoa vorüber, die ihr die Schifferinseln nennt. Dorthin wollen wir. Dürfen wir mit euch fahren?“

Ich verdolmetschte diese Frage dem Kapitän.

„Ich bin bereit, sie mitzunehmen. Also verkauft haben sie alles?“, fragte er. „Es scheint doch, dass Ihr Recht habt, Charley; das Christentum hat aus den Tigern Lämmer gemacht, die die Flucht ergreifen, statt sich zu rächen.“

„Oh, Käpt’n, blickt diese Leute an! Sehen sie aus wie Lämmer?“ – Ich gab Potomba die erwünschte Auskunft: „Ihr könnt mitfahren.“

„Wann geht das Schiff aus dem Hafen?“

„Bei Beginn der Ebbe, nächste Nacht.“

„Darf mein Bruder hingehen, um unsere Habe hinzubringen?“

Auch hierzu gab der Kapitän seine Erlaubnis.

„Potai, du bist der Jüngere; du wirst mir gehorchen?“, fragte der Ehri.

Der Gefragte nickte.

„Du wirst alles, was unser ist, auf das Schiff bringen, das ich dir zeige?“

„Drei Matten voll besitzen wir.“

„Du bleibst gleich dort, bis ich zurückkehre!“

„Nein, Potomba. Habe ich nicht auch einen Kris?“

„Erst kommt mein Kris, und erst dann, wenn ich sterben sollte, der deinige. Du kannst mich dann rächen, anstatt mit mir zu sterben.“

„Ich gehorche dir.“

„So komm, Sahib! Ich wollte euch Gastfreundschaft erweisen, aber ich bin jetzt ohne Heim.“

Wir kehrten an den Strand zurück. Potomba zeigte seinem Bruder die Barke und dieser entfernte sich, ohne ein Wort zu sprechen.

„Was willst du tun, Potomba?“, fragte ich.

„Glaubst du, dass Pareyma mir untreu ist?“

„Ich weiß es nicht, denn ich habe sie nicht gekannt.“

„Aber ich kenne sie. Sie hat ihren Dolch; sie ist mutig und tapfer; sie wird sterben, aber nicht mit Matemba gehen. Ich werde sie von ihm und vom Tod erretten.“

„Du willst Anoui töten?“

„Ja.“

„Er ist der Vater deines Weibes!“

„Er ist der Mörder meiner Mutter!“

„Weißt du, was der höchste Sahib Christus befiehlt? Vergebt, auf dass euch vergeben werde!“

„Ich gehorche ihm, denn ich werde Anoui vergeben, nachdem ich ihn getötet habe.“

„Das ist nicht der rechte Gehorsam, Potomba. Ich meine, dass...“

Er unterbrach mich mit einer ungestümen Handbewegung.

„Du bist Christ, seit du lebst, Sahib, ich aber bin es erst seit kurzer Zeit. Später werde ich auch sein wie du. Wolltest du nicht meine Verfolger töten, wenn sie nicht entflohen wären, sondern mich angegriffen hätten?“

„Ich hätte sie getötet, weil du keine andere Hilfe hattest.“

„Nun wohl! Sie haben den Tod verdient und ich habe auch hier in Papetee keine Hilfe. Oder soll ein Ehri um Gerechtigkeit bei den Ingli und Franki bitten? Gehe mit deinem Freund; ich komme auf das Schiff, wenn es den Hafen verlässt. Und wenn ich dann noch nicht zurück bin, so mag mein Bruder an Land zurückkehren und mich rächen.“

„Willst du nicht das Grab deiner Mutter besuchen, ehe du gehst?“, fragte ich, um Zeit zu gewinnen, vielleicht auch aus Teilnahme für sein Geschick.

„Weiß du nicht, dass das Grab eines Menschen tabu13 ist? Darf ich ihr Grab sehen, ohne ihrem Geist sagen zu können, dass ihr Mörder zu seinem Oro, den wir Christen Teufel nennen, gegangen ist? Pareyma ist mein Weib; sie wollte sich nicht noch einmal von dem Mitonare mit mir trauen lassen, um ihren Vater nicht zu erzürnen; sie ist seinetwegen eine Heidin geblieben, obgleich sie im Herzen an den guten Bapa im Himmel glaubt. Darum hat Anoui noch Macht über sie. Er ist zu ihr gekommen und sie hat ihm folgen müssen, ich aber werde sie mir wieder holen. Joranna14, Sahib, Joranna!“

„Ich sage nicht Joranna, sondern ich gehe mit dir.“

„Du willst mich hindern?“

„Nein, ich will deine Gefahr teilen.“

„So hast du mich wirklich lieb, Sahib! Komm!“

Ich gab dem Kapitän die nötige Aufklärung. Der in allen Abenteuern zu Land vorsichtige Master Frick Turnerstick riet mir ernstlich ab, mir aber war es unmöglich, Potomba zu verlassen; meine Nähe konnte ihm doch vielleicht von Nutzen sein. Der Seemann ging zur Stadt und ich schritt mit dem Ehri am Strand hin. Sein Auge suchte unter den hier befindlichen Booten, bis er eins gefunden hatte, das größer war als das seinige. Es vermochte wohl vier Personen zu fassen.

Draußen am westlichen Himmel erglänzten die weißen Segel der Hochzeitsflotte, die seinen Todfeind nach Eimeo trug. Als sie verschwunden waren, stieg er ein, nachdem er im Sand ein Zeichen gemacht hatte, das wohl dem Besitzer des Bootes gelten sollte. Ich sprang ihm nach, legte die Gewehre weg und griff zum Ruder. Er hisste das Segel; die Brise legte sich sofort kräftig ein und wir flogen über das ruhige Wasser des Hafens hin, verfolgt von den Blicken derer, die am Ufer standen.

Wir folgten der Flotte nicht unmittelbar, sondern fuhren, als wir über die Korallen hinaus waren, erst an der Küste von Tahiti hin und nahmen dann Kurs auf Eimeo. Ich musste Potomba die Leitung des Bootes überlassen. Er landete an einer einsamen Stelle, wo sich ein wildes Pisanggestrüpp bis hart ans Wasser erstreckte. Hier legten wir die Segelstange um und zogen das Boot mit nicht geringer Anstrengung unter ein Blätterversteck. Dann drang Potomba durch das Gestrüpp vorwärts und ich folgte ihm.

Wir erreichten eine Brotfruchtpflanzung, die uns gute Deckung gewährte, und bald gelangten wir zu einer Anhöhe, von der aus wir das nahe gelegene Tamai überblicken konnten. Wir bemerkten sogleich, dass sich der Ort in außergewöhnlicher Bewegung befand. Am Strand des Meeres lagen die Boote der vor uns angekommenen Flotte. Vor einem durch seine Größe auffallenden Haus, bis an dessen Rückwand sich ein Bambusfeld zog, bewegte sich eine große Menge Menschen, und nicht weit von uns, gerade unter der Berglehne, an der wir lagen, stand ein mit Palmenblättern und Blumen geschmückter Altar, dessen Hintergrund zwei Götzenbilder einnahmen, jedenfalls den Atua und den Oro bedeutend, und an dem vermutlich die Trauungsfeierlichkeit vor sich gehen sollte.

„Was wirst du tun, Potomba?“, fragte ich den Ehri.

„Ich werde warten, bis sie am Altar stehen, und mir dann Pareyma holen.“

„Das wird dir nicht gelingen.“

„So hole ich sie vom Boot, wenn Matemba mit ihr nach Haus fährt.“

„Wann wird das geschehen?“

„Heute gerade um Mitternacht; so gebietet es die Lehre der Götzendiener.“

„Wem gehört das große Haus da drüben?“

„Es ist das Eigentum des Priesters.“

„Welche Gemächer bewohnen die Frauen?“

„Pareyma hauste stets hinten nach der See zu.“

„Hat sie noch eine Mutter oder Schwestern?“

„Nein. Ihre Mutter ist längst tot; sie ist das einzige Kind des Priesters.“

„Man wird sie zur Hochzeit schmücken?“

„Ja, und dann lässt man die Braut allein, damit sie mit den Göttern sprechen soll.“

„Der Priester weiß, dass du heute zurückgekehrt bist!“

„Wer sagte es dir?“

„Niemand. Siehst du nicht den Mann, der zwischen dem Haus und dem Bambus auf und ab geht? Er hat eine Keule in der Hand und soll dein Weib bewachen. Das ist ein Zeichen, dass sie nur gezwungen nach Eimeo ging.“

„Ich wußte es. Der Ehri von Tahiti fürchtet die Leute von Eimeo nicht; er wird sein Weib öffentlich zurückverlangen.“

Ich kannte die hiesigen Verhältnisse nicht und hielt es also für das Beste, ihn seinen eigenen Entschlüssen folgen zu lassen, doch nahm ich mir vor, ein wenig Umschau zu halten. Der Präriejäger regte sich in mir; ich legte meine Gewehre neben Potomba hin, benachrichtigte ihn von meinem Vorhaben und schlich mich an der Seite des Berges hinab bis an das Bambusfeld. Hunde oder andere Vierfüßler hatten schmale Bahnen hindurchgetreten. An der Erde fortkriechend, bewegte ich mich auf einem solchen Pfad vorwärts und gelangte so unbemerkt in die nächste Nähe des Hauses. Da ertönte ein halblaute, liebliche Frauenstimme:

„Te uwa to te malema,

te uwa to hinarro…“15

Es war jene rührende Liebensklage, die ich früher von den Frauen und Mädchen der Pelew-Inseln hatte singen hören, und es ahnte mir, dass die Sängerin keine andere sei als Pareyma. Sofort regte sich das Verlangen in mir, mit ihr zu sprechen. Dieses Wagnis konnte zwar unangenehm für mich ausfallen, aber ich hatte mein Messer und die Revolver bei mir, und für den braven Ehri konnte man sich schon einer Gefahr aussetzen.

Ich schob mich also vollends bis an den Rand des Feldes. Der Posten kam herbei und ging, obgleich es heller Tag war, ohne mich zu bemerken, an mir vorüber. Im Nu stand ich hinter ihm und schlug ihm die Faust so auf den unbedeckten Schädel, dass er besinnungslos zur Erde sank. Jetzt trat ich an die Bambuswand des Hauses, hinter der die Stimme erscholl. Ich musste einige Minuten lang suchen, ehe ich eine kleine schadhafte Stelle bemerkte, durch die ich in das Gemach schauen konnte.

Wenn das junge Weib, das ich da erblickte, wirklich Pareyma war, so konnte ich die Liebe begreifen, die Potomba für sie hegte. Sie stand jetzt nach beendetem Gesang mitten in dem Raum und ein unaufhaltsamer Tränenstrom floss ihr über die Wangen. Sie war eine schlanke, edle Gestalt, noch voll Jugendfrische, wie man trotz dem Herzeleid sah, das ihren Körper erbeben machte. Ihre schönen, dunklen Augen waren umflort, ihre scharf geschnittenen Brauen fest zusammengezogen und ihre feinen Lippen geschlossen. Keine einzige Blume war in ihren Haaren zu bemerken, ja sie schien sogar die Kleidung und die Stoffe verschmäht zu haben, die man nach Sitte der Europäer anlegt, um die äußere Erscheinung vermeintlich zu verschönern. Ein Parau von weicher, gelbbrauner Tapa, der ihr nur wenig über die Knie herabreichte, umschloss ihre Hüften, und ein Tehei von demselben Stoff verhüllte als Überwurf ihre Schultern samt dem Oberkörper. Ihr rabenschwarzes Haar hing ihr voll, lang und lockig am Nacken hernieder, mit keiner Blüte besteckt und von keiner wehenden Faser Arrowroot gehalten. Sie war ja selber eine Blume, die man hinweggerissen hatte von dem Ort, an dem sie am schönsten blühte.

Ich bemerkte, dass sie den Eingang durch einen Baststreifen fest verschlossen hatte, trat zwei Schritte von der Wand zurück und rief halblaut:

„Pareyma!“

Das Schluchzen verstummte; sie hatte mich gehört.

„Mata ori, erschrick nicht; Potomba ist in der Nähe!“

Ein halb unterdrückter Jubellaut ertönte von innen.

„Wer bist du?“, hörte ich dann fragen.

„Ein Freund des Ehri. Willst du Matembas Weib werden?“

„Nein. Ich habe meinen Dolch und werde mich töten, wenn ich keine Rettung finde.“

„So bist du Potomba treu geblieben?“

„Ja. Der Vater kam und zwang mich, mit ihm zu gehen.“

„Wer hat die Mutter des Ehri erstochen?“

„Der Vater; sie wehrte sich gegen ihn.“

„Liebst du ihn?“

„Jetzt liebe ich ihn nicht mehr.“

„Du wirst gerettet werden. Tu alles, was dein Vater von dir verlangt. Wenn es uns nicht eher gelingt, so retten wir dich auf der Heimfahrt nach Tahiti.“

Da erscholl auf der anderen Seite des Hauses ein Tamtam; ich trat zu dem Bewusstlosen und legte einen Stein neben seinen Kopf. Steine von ähnlicher Größe waren auf dem Dach, um es gegen Wind zu sichern; es konnte einer herabgerollt sein und den Wächter getroffen haben. Dann kehrte ich auf dem angegebenen Weg wieder zu Potomba zurück.

Er hatte von der Anhöhe aus jede meiner Bewegungen beobachten können und erwartete mich mit sichtlichem Verlangen. Ich erstattete ihm ausführlichen Bericht und wurde beinahe selber hingerissen von dem Entzücken, das meine Mitteilung in ihm hervorrief.

Jetzt mischten sich in den Klang der Trommel die Töne zahlreicher Flöten. Jedenfalls sollte die Trauung beginnen. Pareyma wurde aus dem Haus gebracht und hinter ihr setzte sich ein langer Zug in Bewegung.

„Siehst du Matemba an ihrer Seite, Sahib?“, fragte Potomba.

„Ich sehe ihn.“

„Er war mit unter meinen Verfolgern. Oro wird ihn heute Nacht verschlingen. Ich werde hier niemand ein Leid tun. Während du mit meinem Weib sprachst, habe ich hier überlegt, wie ich Pareyma wieder gewinne. Ich bin ein Christ, du hast Recht, und dieser Kris soll von keinem anderen Blut gerötet sein als von dem meiner Mutter. Dennoch sollen die Schänder meiner Ehre, die Räuber meines Glücks sterben, aber nicht von meiner Hand!“

Der Zug kam bei dem Altar an, den Anoui, der Priester, bestieg, um seine Rede zu beginnen; da verließ mich Potomba und verschwand seitwärts in den Sträuchern. Ich schob mich nun durch das Gezweig so weit wie möglich vor, um den unter mir liegenden Hang bequem überblicken zu können. Vor dem Priester standen Matemba und Pareyma; die Tamtams und Pfeifen machten einen ohrenzerreißenden Lärm, der auf ein Zeichen des Priesters schwieg. Seine Rede bestand in Schmähungen gegen das Christentum, für die ich ihn am liebsten gezüchtigt hätte; dann kamen Verwünschungen des abtrünnig gewordenen Ehri, und endlich griff er hinter sich und nahm von dem Altar einige Schädelknochen, die er Matemba entgegenhielt.

„Leg deine Hand auf diese Schädel, die den Köpfen deiner Voreltern angehörten, und schwöre: Eita anei oeafaarue i ta oe vatrina?“16

Noch hatte Matemba nicht sein „Eita!“ gesprochen, als sich Potomba durch die Menge der Zuhörer drängte und vor dem Altar erschien.

„Sei gegrüßt, Anoui, du Vater meines Weibes!“, begann er. „Sie ist, als ich nicht daheim war, zu dir gekommen und ich folge ihr nach, um sie wieder zu holen.“

Es entstand eine lautlose Stille. Der Priester streckte abwehrend beide Arme aus.

„Diese Stätte ist heilig. Weiche von ihr und uns, Verräter!“

Potomba blieb ruhig. Er legte die Hand auf die Schulter Pareymas.

„Ja, diese Stätte ist heilig, weil ich, ein Christ, auf ihr erscheine. Ich werde gehen, doch gib mir vorerst mein Weib!“

„Entweiche, sonst fasst dich der Tod!“

„Der Tod?“, erwiderte Potomba lächelnd. „Hat er mich gefasst, als du mich verfolgtest, um mir mein Eigentum zu rauben? Ihr Hunderte von Heiden seid nicht stark genug, mir, einem einzigen Christen, den Tod zu geben. Ihr könnt nur Frauen töten. Hier an diesem Dolch klebt das Blut meiner Mutter. Du hast sie getötet, Anoui, und ich fordere noch heute ihr Leben oder das deinige von dir.“

„So stirbst du selber!“, trotzte Anoui und griff nach ihm.

Potomba wich einen Schritt zurück und rief so laut, dass man es weithin hörte:

„Ich sterben, ich, der Ehri von Papetee? Ich stehe unter dem Schutz meines Gottes; ihr aber werdet untergehen, wie ich jetzt eure Götter vernichte.“

Mit einem raschen Sprung stand er auf dem Altar. Er erfasste erst das eine und dann das andere der beiden aus Ton gebrannten Götzenbilder und schleuderte sie zur Erde herab, dass sie in Stücke zerbarsten. Dann schwang er den Kris hoch in die Luft.

„Und noch heute werde ich mein Weib von euch holen!“

Ein einziger, fürchterlicher Schrei der Wut erscholl aus allen Kehlen. Alle stürzten zum Altar, um den Mutigen zu fassen; er aber war schon nach hinten herabgesprungen und klimmte so schnell wie möglich zu mir empor. Es war ein Glück, dass kein einziger der Anwesenden eine Waffe zu der friedlichen Handlung mitgebracht hatte, sonst wäre er verloren gewesen. Kein einziger? Stand nicht hart am Altar einer, der soeben seinen Bogen spannte, und da drüber unter der Banane ein zweiter? Sie wollten auf Potomba schießen, und es war vorauszusehen, dass sie ihn treffen würden. Das musste ich verhüten. Ich legte schnell meinen Stutzen an, zielte und drückte zweimal nacheinander ab, die beiden stürzten zu Boden.

Jetzt hatte mich Potomba erreicht. Seine Verfolger kamen schreiend teils den Hang heran, teils suchten sie in eiligem Lauf die Höhe an beiden Seiten zu umgehen.

„Ich danke dir, Sahib, dass du mir halfst; die Pfeile hätten mich getroffen. Nun schnell nach dem Boot! Kannst du gut laufen?“, fragte er eilig.

Ich antwortete nicht, denn dazu war keine Zeit. Eigentlich passte es mir nicht, vor diesen Menschen davonzulaufen, aber ich wusste, dass unsere Rettung nur von unserer Schnelligkeit abhing. Trotz meinen schweren Stiefel hielt ich gleichen Schritt mit dem Ehri, der eine gute Lunge und prachtvolle Sehnen haben musste, denn unsere Feinde blieben weit hinter uns zurück. Als wir das Boot erreichten, blieb uns gerade genug Zeit, es ins Wasser zu reißen, hineinzuspringen und einen leidlichen Vorsprung zu gewinnen, sodass uns kein Pfeil erreichen konnte.

Jetzt erst durchbrachen die Polynesier das Dickicht des Strandes, reckten, als sie uns in Sicherheit sahen, die Arme in die Luft und schnitten uns boshafte Gesichter.

Wir griffen zu den Doppelrudern und arbeiteten uns gegen den Passat nach Tahiti hinüber. Wir ließen uns dann, ohne dort zu landen, von der Strömung und dem Wind wieder nach Eimeo zurücktreiben und landeten in Alfareaita, einem kleinen Ort, der Papetee gerade gegenüber liegt.

Hier blieben wir bis zu der bald hereinbrechenden Dunkelheit. Potomba teilte mir nichts mit über das, was er vorhatte, und da diese Schweigsamkeit ihre guten Gründe haben musste, so unterbrach ich sie mit keiner Frage.

Es war wohl gegen elf Uhr nachts, als wir wieder aufbrachen. Der Ehri hatte sich vorher eine beträchtliche Menge großer und kleiner Fische gekauft und sie mit ins Boot gebracht. Was er mit ihnen bezweckte, konnte ich nicht ersehen. Wir ruderten uns bis zur Mitte der Straße, die die beiden Inseln trennte, und blieben hier.

Es wurde dunkler über dem Wasser, aber vom Himmel leuchteten Tausende von Sternen, und die Wogen lagen um das Kanu wie durchsichtiger Kristall. Da griff der Ehri nach einem der Fische, band ihn an einen Streifen Bast und hängte ihn ins Wasser. Schon nach kurzer Zeit erfolgte ein scharfer Ruck. Ein Haifisch hatte sich die Lockspeise geholt. Nach einiger Zeit warf Potomba einen zweiten, dann einen dritten Fisch aus und fuhr so fort, bis sich mehr als ein halbes Dutzend Haie um unser Boot tummelte.

Ich hatte eine leise Ahnung von dem, was er bezweckte. Jedenfalls versammelte er die Hyänen des Meeres um sein Boot, um sich ihrer gegen seine Feinde zu bedienen, aber in welcher Weise das geschehen sollte, war mir noch unklar. Auf alle Fälle jedoch war mir die Nachbarschaft dieser liebenswürdigen Geschöpfe ziemlich unangenehm. Er hatte sich zwar auf unserer Insel den ,Herrn des Hais‘ genannt, ich jedoch fühlte keineswegs eine besondere Zuneigung für seine menschenhungrigen Untertanen, und ich will offen gestehen, dass ich mich auf dem ,Wind‘ meines guten Master Frick Turnerstick behaglicher gefühlt hätte als in dem schmalen Boot, von dessen niederem Bord aus man die Haie mit der Hand zu berühren vermochte.

Ein Schauspiel, aber ein grausiges, hatte ich allerdings dabei. Das Wasser schien trotz der nächtlichen Dunkelheit weißflüssiges Gold zu sein und stieg in immer tieferen, dunkleren Tinten in den Grund hinab. Jede Bewegung darin war zu erkennen, und wenn der Ehri einen neuen Fisch auswarf, so nahten sich sechs bis acht fürchterliche Rachen dem Stern des Bootes und es begann ein Kampf, bei dem sich einem die Haare sträuben konnte, denn es war nur eine dünne Schicht Holz zwischen den gierigen Ungeheuern und uns Menschen.

Der Ehri schien sich um mein Gefühlsleben nicht zu kümmern. Er warf von Zeit zu Zeit einen Fisch aus und forschte dann immer nach der Richtung, aus der die Hochzeitsflotte mit dem Brautpaar kommen musste. Mir war es nicht ganz wahrscheinlich, dass die Trauung nach dem durch uns verursachten Auftritt noch vollzogen worden sei. Er jedoch schien seiner Sache sicher zu sein und stand, als sich am Himmel ein nebliger Lichtschein bemerken ließ, im Boot auf, um besser Ausguck halten zu können.

Der Schein wurde mit jeder Sekunde heller. Bald erkannte ich, dass er wirklich von der Flotte herrührte, da jeder Kahn an seinem Bug mit einer Fackel ausgerüstet war.

„Sie kommen“, bemerkte Potomba kaltblütig, „und jetzt wird Pareyma wieder mein.“

Er warf die rot und weiß gestreifte Tebuta von den Schultern und griff mit der Rechten nach dem Kris, während er mit der Linken wieder einen Fisch auswarf.

„Diene mir nur zwei Minuten, Sahib, so will ich dir gehorchen, solange du willst!“

Ich griff zum Ruder.

Er tat dasselbe und auf seine Anweisung hin beschrirben wir einen Bogen, den Kommenden entgegen, lenkten dann auf sie zu und schossen zuletzt, nun mit ihnen in gleicher Höhe, auf das erste Boot der Flotte zu. Darin saßen drei Personen, die ich deutlich erkennen konnte: Matemba, Anoui und Pareyma. Mit gewaltigem Ruderdruck an der rechten Seite des Zugs hinstreichend, erreichten wir das Boot, sodass unser linker Bord hart mit seinem Ausleger zusammentraf. Die Haie waren uns bis hierher gefolgt. Ich saß an den Rudern und Potomba stand jetzt wieder aufrecht im Boot, den Kris in der Faust.

„Pareyma, herüber!“, rief er.

Die Gerufene erhob sich und schnellte über den Ausleger zu uns ins Boot. Der Ehri empfing sie mit dem linken Arm und ließ sie niedergleiten, dann bog er sich über Bord und zerschnitt mit zwei raschen Zügen die Baststricke, die den Ausleger des Hochzeitsbootes mit den Querstangen verbanden.

Ein fürchterlicher Doppelschrei erscholl. Das Boot kenterte, Matemba und der Priester stürzten ins Wasser und wurden augenblicklich von den Haien verschlungen.

Pareyma schlug die Hände vors Gesicht, Potomba aber ergriff das andere Ruderpaar und legte sich ein. Wir flogen wie vom Bogen geschnellt davon, während die Flotte einen wirren Knäuel bildete, aus dem sich nur ein einziges Boot löste, um uns zu folgen. Ich griff zur Büchse und sagte:

„Ich werde dem Mann eine Kugel geben.“

„Halt, Sahib! Es ist kein Feind, der uns folgt, sondern ein Freund. So rudert nur Ombi, der Diener meines Weibes. Ihm und Potomba, dem Ehri, kommt keiner gleich. Lass ihn herbei; er wird mit uns gehen!“

Hinter uns heulten jetzt die wütenden Insassen der Prauen und versuchten uns einzuholen. Es gelang ihnen nicht. In fünf Minuten hatten wir den ,Wind‘ erreicht, der sein Fallreep niederließ.

Jetzt erst nahm Pareyma die Hände vom Angesicht.

„Potomba, du hast den Vater getötet!“, stöhnte sie.

Ombi, der alte Graukopf, sprang aus seinem Boot in das unsrige herüber.

„Sag deinem Herzen, dass es ruhig sei, Pareyma“, bat er. „Dein Leid ist mein Leid, und dein Glück auch mein Glück! Die Götzen sind heute gefallen und nun wird bei uns sein der gute Bapa des Himmels mit seinem Sohn, der auf die Erde kam, um alles Unglück in Freude zu verkehren.“

Wir stiegen hinauf.

„Schnell, Charley!“, rief der Kapitän. „Dort kommen die Kerls mit ihren Fackelbooten, um euch zu suchen. Herauf, herauf! Löscht die Lichter aus, Jungens!“, gebot er seinen Leuten, „und holt rasch die beiden Boote an Deck, dass die Schlingels dort nichts merken! Sie müssen denken, dass auf unserem guten ,Wind‘ alles im Schlaf liegt. So, so, die Taue nieder! Zieht, Jungens, zieht! Stopp! Herein mit den Nussschalen! Prächtig, so ist’s gut! Nun nehmt die Handspeichen, und wenn es jemand wagen sollte, die Nase heraufzustecken, dem gebt einen tüchtigen Klaps!“

Eine solche Maßregel war nicht notwendig. Die Verfolger schienen anzunehmen, dass wir auf das Land zugehalten hätten, und ruderten der Küste entgegen, wo noch lange Zeit der Schein ihrer Fackeln zu bemerken war.

Potai empfing seinen Bruder und die Schwägerin mit Jubel. Dem Kapitän musste, als wir in der Kajüte versammelt waren, alles ausführlich erzählt werden. Als ich damit zu Ende war, reichte mir Pareyma ihr zartes, braunes Händchen entgegen.

„Ich danke dir, Sahib! Du hast mich vom Tod errettet, denn ich wäre an meinem Messer gestorben, bevor ich mit Matemba das Boot verlassen hätte.“ – –

Am Morgen stachen wir in See. Fünf Tage später befand sich Kapitän Roberts mit seinen Marsgasten und allem geretteten Gut bei uns an Bord, dann segelte der ,Wind‘ nach Nord bei West, um die Samoa-Inseln zu erreichen.

Dort, auf der Insel Upolu, und zwar in Saluafata, wohnt noch heute ein reicher, polynesischer Handelsmann, der sich Potomba nennt.

Zuweilen, wenn die Sonne ihr glühendes Gewand in die Fluten senkt, um zur Ruhe zu gehen, rudert der Greis Ombi ein Ausleger-Kanu hinaus auf die Höhe. Darin sitzt Potomba mit Pareyma, und wenn Ombi lauschen möchte, so würde er hören, wie der dunkelfarbige Mann seinem Weib zuflüstert: „Mata ori, du Auge des Tages, du Licht meines Lebens!“

Vielleicht, dass in solchen einsamen Stunden das schöne Paar auch der Vergangenheit gedenkt, des Glücks und der darauf folgenden Trübsal auf Tahiti, des Hochzeitstags auf Eimeo, der Fahrt nach den Pomatu- und Samoa-Inseln, des alten, braven Master Frick Turnerstick und – vielleicht auch des Germani mit den großen Seemannsstiefeln, dem heute, da er dieses niederschreibt, noch die klagenden Worte im Ohr nachtönen:

„Te uwa to te malema,

te uwa to hinarro…“

Im Zeichen des Drachen

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