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DIE PIRATEN DES INDISCHEN MEERES 1. Eine Menschenjagd
ОглавлениеIch war mit einem Steamer der Peninsular- and Oriental-Company von Suez nach Ceylon gekommen und in Point de Galle gelandet. Mein Aufenthalt hier sollte nur kurz sein, denn das Ziel meiner Reise war Bombay, von wo aus ich dann Vorderindien kennenlernen wollte. Verschiedene Umstände jedoch bewirkten, dass ich länger blieb, was ich auch sehr wohl tun konnte, da ich vollständig Herr meiner Zeit war.
Wer – ausgedorrt durch die glühende Hitze des Arabischen Meeres – ein Land von der Beschaffenheit der Insel Ceylon betritt, fühlt sich körperlich und geistig so gefesselt, dass es ihm schwer wird, es in Kürze wieder zu verlassen. Die großartige Natur der Insel fordert den Wissensdurst heraus, und ihre völkerkundlichen Verhältnisse sind so eigenartig, dass man sich unwillkürlich zu längeren Forschungen veranlasst fühlt.
Jetzt stand ich auf dem Leuchtturm von Point de Galle, versunken in den Genuss der herrlichen Landschaft, die sich unten zu meinen Füßen ausbreitete.
Im Hafen lag eine Menge Fahrzeuge vor Anker, ein- und auslaufende Schiffe belebten das Bild. Es waren unter ihnen alle Gattungen und Größen vom prachtvollsten europäischen Dampfer bis herunter zur erbärmlichen chinesischen Dschunke und zu dem eigentümlich gebauten singhalesischen Landungsboot vertreten. Schwedische und dänische Transchiffe, vom Walfischfang aus dem südlichen Polarmeer kommend, schwere holländische Dreimaster mit hohem, altmodischem Gallion, englische Marinefahrzeuge und Kauffahrer, leichte französische Schiffe und schlanke Amerikaner, scharf auf den Kiel gebaut und mit einem Tau- und Segelwerk versehen, das große Gewandtheit in ihrer Bedienung erfordert, kamen und gingen oder ritten, sich leicht von Bord zu Bord neigend, auf ihren Ankerketten. Daran schloss sich ein reichbelebtes Ufer, dessen Bild die Aufmerksamkeit voll in Anspruch nahm.
Kleine Felseninseln, von Kokospalmen und Pandanen bestanden, ragten aus den schimmernden, in ewiger Bewegung wallenden Fluten empor. Zwischen ihnen zogen sich zahlreiche Korallengärten hin, von schmalen Wasserarmen getrennt, in deren durchsichtigen Wellen rote und blaue Fische schwammen. Gefräßige Haie zerrten nahe am Ufer am Kadaver eines toten Hundes, aufgebrochene Muscheln glänzten im nassen Sand und vielgliederige Krabben krochen die Steilung der Felsen hinan.
Die Häuser und Hütten der Stadt hatten sich schalkhaft unter den Kronen der Palmen und Fruchtbäume versteckt, und wo die reinlichen Straßen offen vor dem Blick lagen, da war eine reiche Menge von Lebenserscheinungen zu erkennen; weidende Zebuochsen, am Kanalbau beschäftigte Elefanten, deren Klugheit und Stärke zwanzig menschliche Arme ersetzt, schwarze Schildwachen, sich ergehende Ladys, durchsichtig weiße Kinder englischer Eltern mit kleinen beweglichen französischen Kindermädchen oder hageren Londoner Erzieherinnen und braunen, eingeborenen Ammen, tabakrauchende singhalesische Mädchen und Knaben, behäbig und stolz einherschreitende Muselmänner, schachernde Juden, mit allem denkbaren und offenbar wertlosen Kleinigkeiten behängt, bezopfte Malaien, betelkauende Ratschputen, Buddhapriester in ihrem langen, schwefelgelben Gewand mit nackt abgeschorenem Kopf und Bart, englische Midshipmen in roter Jacke, laut mit dem schweren Säbel rasselnd, malerisch-schöne Hindumädchen: Nase, Stirn, Ohren, Arme und Beine mit Korallen oder Gold und Edelsteinen geschmückt.
Über dem allen lag der bezaubernde Duft des Südens ausgegossen. Die Sonne schickte sich an, in die Wogen des Meeres zu steigen, und warf ihre Strahlen vom tiefsten, gesättigten Purpur bis zum leuchtendsten Flammengold über die wogende See. Es war ein Anblick, in den man sich stundenlang versenken konnte.
Neben mir lehnte Sir John Raffley. Er bemerkte von alledem nicht das Geringste. Die herrlichen Tinten, in denen der Himmel flimmerte und glühte, das strahlendurchblitzte Kristall der See, der erquickende Balsam der sich abkühlenden Lüfte und die bunte Bewegung auf der vor uns liegenden schönen Gotteswelt waren ihm im höchsten Grad gleichgültig; sie durften es nicht wagen, seine Sinne auch nur einen Augenblick lang in Anspruch zu nehmen. Und warum? Wunderbare, überflüssige Frage! Was war denn eigentlich dieses Ceylon in seinen Augen? Ein Eiland, eine Insel mit einigen Menschen, einigen Tieren und einigen Pflanzen, rundum von Wasser umgeben, das nicht einmal zum Waschen oder zur Bereitung einer Tasse Tee geeignet ist. Was ist das weiter! Etwas Sehenswertes oder gar Wunderbares gewiss nicht! Was ist Point de Galle gegen Hull, Plymouth, Portsmouth, Southampton oder gar London; was ist der Statthalter zu Kolombo gegen die Königin Viktoria von Altengland, Irland und Schottland; was ist Ceylon gegen Großbritannien und seine Kolonien; was ist überhaupt die ganz Welt gegen Raffley-Castle, wo Sir John geboren wurde!
Der gute ehrenwerte Sir John war ein Engländer reinsten Wassers. Als Besitzer eines unermesslichen Vermögens hatte er noch nie daran gedacht, sich zu verehelichen, und war einer jener zugeknöpften, schweigsamen Englishmen, die alle Winkel der Erde durchstöbern, selbst die entferntesten Länder unsicher machen, die gewagtesten Abenteuer mit unendlichem Gleichmut bestehen und endlich müde und übersättigt die Heimat wieder aufsuchen, um als Mitglied irgendeines berühmten Reiseklubs einsilbige Bemerkungen über zurückliegende Erlebnisse machen zu dürfen. Er hatte den Sparren in der Weise, dass seine lange, knochige Gestalt nur in seltenen Augenblicken einen kleinen Anflug von Genießbarkeit zeigte, besaß aber ein gutes Herz, das immer bereit war, die großen und kleinen Seltsamkeiten, in denen er sich zu gefallen pflegte, wieder auszugleichen. Eine innere Erregung schien bei ihm nicht denkbar und er zeigte nur dann eine lebhaftere Beweglichkeit, wenn er auf eine Gelegenheit stieß, eine Wette einzugehen. Die Wettsucht nämlich war seine einzige Leidenschaft, wenn bei ihm von Leidenschaft überhaupt die Rede sein konnte, und es wäre wirklich ein Wunder gewesen, hätte er eine Gelegenheit zu ihrer Betätigung versäumt.
Nachdem er aller Herren Länder kennengelernt hatte, war er zuletzt nach Indien gekommen, dessen Generalstatthalter ein Verwandter von ihm war, hatte es in den verschiedensten Richtungen durchstreift, war auch schon einige Mal auf Ceylon gewesen und im Auftrag seines Verwandten jetzt wider hergekommen, um sich wichtiger Botschaften an den Statthalter zu entledigen. Ich hatte ihn im Hotel Madras kennengelernt und mich ihm angeschlossen, weil seine Erfahrungen und Verbindungen mir von großem Nutzen sein konnten. Die Vertretung Deutschlands war damals in jenen fernen Ländern mangelhaft und der Anschluss an einen Engländer, dessen Regierung ihre Angehörigen allerorts nachdrücklich zu schützen wusste, nur vorteilhaft. Wir hatten uns nach und nach auch geistig zusammengefunden, und obgleich er mich niemals zu einer Wette verleiten konnte, war ich ihm doch so lieb geworden, dass er beinahe brüderliche Zuneigung für mich an den Tag legte.
Also jetzt lehnte er, unberührt von all den Naturreizen ringsum, in denen ich schwelgte, neben mir und beschielte den goldenen Klemmer, der ihm vorn auf der äußersten Nasenspitze saß, mit einer Beharrlichkeit, als wollte er an dem Sehwerkzeug irgendeine wichtige welterschütternde Entdeckung machen. Neben ihm lehnte sein Regen- und Sonnenschirm, der so kunstvoll zusammengesetzt war, dass er ihn als Stock, Degen, Sessel, Tabakspfeife und Fernrohr benutzen konnte. Diese einzigartige Seltenheit war ihm vom Traveller-Club, London, Near-Street 47, als Andenken verehrt worden. Er trennte sich niemals davon und hätte das Ding um alle Schätze der Welt nicht hergegeben. Diese Chair-and-umbrelle-pipe, wie er sie nannte, war ihm beinahe so lieb wie seine prachtvoll eingerichtete und pfeilschnelle kleine Dampfjacht, die unten im Hafen vor Anker lag und die er sich für seinen persönlichen Gebrauch auf den Werften von Greenock am Clyde, den in aller Welt berühmten Schiffsbauwerkstätten, hatte bauen lassen, weil er stets auf eigenen Füßen stehen und vom Befehl eines Kapitäns nicht abhängig sein wollte.
Während mein Auge vom Leuchtturm ringsum schweifte, fiel mir ein Zug eingeborener Soldaten auf, der sich einem weit in die See hinausragenden Felsen näherte. Voran schritt, von zwei Bewaffneten sorgfältig bewacht, ein an den Händen gefesselter Mann, der seiner Kleidung nach ein Singhalese sein musste. Jedenfalls lag hier eine Hinrichtung vor, und da ich die lebhafte Teilnahme kannte, die mein Gefährte für dergleichen Vorkommnisse hegte, machte ich den Versuch, ihn aus der welterschütternden Betrachtung aufzustören.
„Sir John Raffley!“
Er antwortete nicht.
„Sir John Raffley!“, rief ich mit erhöhter Stimme.
„Yes!“, antwortete er jetzt, ohne von dem goldenen Gestell seines Klemmers aufzublicken.
„Wollt Ihr nicht einmal dort hinüberschauen, Sir?“
„Warum?“
„Ich glaube, es wird einer ins Wasser geworfen?“
„Einer? Was für einer? Ein Hund? Ein Pferd? Ein Mensch?“
„Ein Mensch, Sir John!“
„Well. So lasst ihn ruhig ersaufen, Charley!“
Er studierte mit unverändertem Eifer an seinem Klemmer weiter. Der Zug war auf der Höhe des Felsens angekommen und machte dort Halt. Die Soldaten schlossen einen Kreis um den Gefesselten.
„Ich möchte doch wissen, was der arme Teufel verbrochen hat“, bemerkte ich, um Sir Johns Aufmerksamkeit zu erregen.
„Hat er Euch etwas getan?“
„Nein.“
„Good God, so lasst ihn also ersaufen, Charley!“
„Aber es sind ihm die beiden Arme zusammengeschnürt.“
Jetzt hatte ich das Richtige getroffen, um seine Teilnahme zu erregen. Jeder unnötige Eingriff in die persönliche Freiheit eines Menschen war ihm verhasst.
„Gefesselt ist er? Zounds, das ist grausam, das ist gemein! Das würde man in Altengland nicht tun.“
„Ihr habt sehr Recht. Der Brite ist in jeder Beziehung vornehm. Wenn er einen henkt, so lässt er ihn wenigstens mit freien Gliedern sterben. Seht nur, welche Menge von Wächtern den armen Kerl begleitet!“
„Wo ist es, Charley?“
„Da drüben auf der Felsenzunge.“
Er warf jetzt wirklich einen Blick hinüber nach dem Ort, den ihm meine ausgestreckte Hand bezeichnete. Ich erwartete immer noch eine seiner gleichgültigen Bemerkungen, hatte mich aber diesmal getäuscht, denn seine Rechte fuhr empor, um den Klemmer näher ans Auge zu bringen und dem Gesicht die nötige Schärfe zu geben.
„Heigh-ho, ist’s möglich?“
„Was?“
„Dass es Kaladi ist?“
„Kaladi? Wer ist das, Sir John?“
„Das sollt Ihr später erfahren. Ich muss mich überzeugen.“
Er ergriff seinen Schirm, spannte dessen weißgraues Dach auf, drehte an einigen Schrauben des hohlen Doppelstocks und suchte durch das so entstandene Fernrohr den Punkt, auf dem die Hinrichtung vor sich gehen sollte.
„Wollen wir wetten, Charley?“, fragte er nach einer Pause, während der seine Mienen eine immer wachsende Spannung angenommen hatten.
„Worüber?“
„Dass sich dieser Mann nicht ertränken lässt. Ich setze hundert Sovereigns!“
„Gegen wen?“
„Gegen Euch natürlich.“
„Ihr wisst, Sir, dass ich nicht wette.“
„Well, das ist wahr. Ihr seid ein prächtiger Kerl, Charley, aber bis zum vollkommenen Gentleman habt Ihr’s noch nicht gebracht, sonst würdet Ihr Euch nicht beständig weigern, einmal einen guten Einsatz anzunehmen. Dennoch werde ich Euch beweisen, dass ich die Wette gewinnen würde.“
Er steckte zwei Finger in den Mund und ließ einen scharfen, durchdringenden Pfiff erschallen, der weithin zu vernehmen war. Auch der Verurteilte hörte ihn. Kannte er dieses Zeichen des Engländers? Mit einer raschen Bewegung hob er den gesenkten Kopf und blickte zum Leuchtturm empor. Raffley stieß einen zweiten Pfiff aus und schwenkte den Schirm in der Luft.
Die Wirkung war überraschend. Der zum Tod des Ertrinkens Verurteilte schnellte sich unerwartet durch den Kreis der Soldaten bis an den Rand der Klippe und stürzte sich kopfüber in die Fluten des Meeres hinab.
„Seht Ihr’s, Charley“, schmunzelte John Raffley, „dass ich gewinnen würde?“
„Ich sehe es noch nicht. Der Mann hat sich ja selbst ertränkt.“
„Sich ertränkt? Seid Ihr bei Sinnen?“
„Nun was anders?“
„Was anders? Well, Ihr werdet es gleich erkennen. Look at that! Da taucht er aus den Wogen auf. Nun, Charley, was sagt Ihr jetzt?“
„Bei Gott, er lebt! Der Kerl schwimmt ja trotz seiner gefesselten Hände wie ein Fisch!“
„Wie ein Fisch? Pshaw, das ist noch zu wenig; wie ein Hummer wollt Ihr sagen! Es ist Kaladi, mein früherer Diener, der beste Taucher im ganzen Bereich dieser langweiligen Insel, was aber der brave Mudellier, der ihn verurteilt hat, nicht zu wissen scheint.“
„Der Mann war Euer Diener? Darum kennt er Euern Pfiff?“
„So ist’s. Er muss übrigens etwas verteufelt Schlimmes begangen haben, denn diese Bezirksverwalter lassen jeden Eingeborenen durchschlüpfen, wenn es nur irgend möglich ist; sie sind ja selbst ausschließlich Singhalesen. Seht, die gebundenen Arme hindern ihn nicht im Geringsten, weil er auf dem Rücken schwimmt. Er kommt gerade auf den Leuchtturm zu.“
Der sonst so wortkarge Mann war mit einem Mal außerordentlich lebendig geworden. Er verfolgte jede Bewegung des Schwimmenden mit Spannung, focht mit den Händen hin und her, als könnte er ihm dadurch behilflich sein, und machte mir dabei die notwendig scheinenden Erklärungen.
„Wie er stößt, wie schnell er vorwärts kommt! Er wird vom Volk verfolgt, der Teufel hol’s! Aber ehe die Soldaten den Umweg von der Klippe nach dem Leuchtturm gemacht haben, ist er längst hier. Ich kenne ihn. Wir sind im vorigen Frühjahr miteinander über den Kalina-Ganga, über den Kalu-Ganga und sogar über den reißenden, hoch angeschwollenen Mahavelli geschwommen.“
„Was war er denn, bevor er in Eure Dienste trat?“
„Er war der geschickteste Perlfischer auf den Bänken von Negombo und ist nur mir zuliebe mit ins Innere des Landes gegangen. Ich erkannte ihn gleich und werde ihn retten.“
„Auf welche Weise? Wenn er wirklich ein schweres Verbrechen begangen hat, wird das unmöglich sein.“
„Unmöglich? Ihr kennt dieses verrückte Land und dieses noch viel verrücktere Volk nicht, Charley. Ich bin Sir John Raffley aus Raffley-Castle in Altengland und will den Mudellier sehen, der es wagt, mit mir zu rechten! Da, jetzt hat er das Ufer erreicht. Es ist ein Glück, dass kein Haifisch mehr in der Nähe war, sonst hätte er wegen der gefesselten Arme einen schweren Stand gehabt. Kommt, Charley, wir gehen ihm entgegen! Er hat mich erkannt und kommt herbeigelaufen.“
Es war so. Kaladi war an Land gestiegen und kam zu der Plattform, auf der sich die schlanke Säule des eisernen Turmes erhob, eiligen Laufs heraufgesprungen. Wir stiegen schnell die Treppe hinab und stießen unten an der Tür mit ihm zusammen.
„Wischnu segne Euch, Sahib“, grüßte er atemlos. „Ich war dem Tod nahe. Sie wollten mir noch die Beine fesseln und die Augen verbinden. Ihr aber seid ein Radscha, ein Herr, ein Maharadscha, ein großer und gewaltiger Herr, und werdet Kaladi, Euern treuen Diener, retten.“
„Well, das werde ich tun“, antwortete Raffley, indem er sein Messer hervorzog und die Baststricke, mit denen der Singhalese gebunden war, durchschnitt. „Was hast du verbrochen?“
„O nichts, Sahib, fast gar nichts. Mein Kris war scharf und spitz und ist einem ein wenig zu tief ins Herz gefahren.“
„Murderer! Alle Wetter, Mensch, das ist schon etwas mehr als nichts. Hast du ihn getötet?“
„Ja, ein wenig.“
„Was war er?“
„Ein Chinese.“
„Ein Chinese nur? Das ist gut! Was hat er dir getan, dass du nach dem Dolch griffst?“
„Er kam und wollte mir Molama, die Blume und das Glück meines Lebens, rauben.“
„Fudge! Das Glück deines Lebens! Dummheit! Unter hundert Albernheiten, die ihr Menschen begeht, sind neunundneunzig von den verwünschten Frauenzimmern verschuldet. Die Liebe ist die ärgste Einbildung, die ich kenne, und hat schon Millionen um den Verstand gebracht. Aber ich hoffe, dass dich das Bad abgekühlt hat. Du kennst das Hotel Madras?“
„Wie sollte ich nicht, Sahib! Ihr habt ja zweimal dort gewohnt.“
„Ich wohne jetzt wieder da. Hier kommen schon deine Verfolger. Verbirg dich jetzt! In einer Stunde suchst du mich wieder auf!“
„O gütiger Herr, wie soll ich Euch danken? Ich habe mein Leben wieder und darf Molama, den Trost meiner Augen, sehen. Wischnu, der Allgütige, möge euch dafür belohnen!“
„Look out, Schlingel, sonst fangen sie dich noch!“
Kaladi sprang auf der anderen Seite der Plattform hinab und war im nächsten Augenblick hinter dem dort wuchernden Bambusdickicht verschwunden.
Es war die höchste Zeit gewesen, denn die Soldaten befanden sich bereits in der Nähe und eine Menge Volks, das auf den ungewöhnlichen Vorgang aufmerksam geworden war, kam herbeigestürmt. Ich war einigermaßen besorgt über den Verlauf, den die Sache nehmen würde. Raffley aber trat den Verfolgern, deren Anführer uns erreicht hatte, mit seinem gewöhnlichen Gleichmut entgegen.
„Wo ist Kaladi, der uns entlaufen ist?“, fragte der Ceylonese.
„Was willst du von ihm?“
Der Mann stutzte bei dem barschen, befehlshaberischen Ton dieser Gegenfrage, die er, der in seinem Recht zu sein glaubte, jedenfalls nicht erwartet hatte.
„Ich will ihn wiederhaben.“
„So such ihn!“
„Ihr wisst, wo er sich befindet.“
„Ah, meinst du?“
Der Klemmer ritt wieder vorn auf der Nasenspitze. John Raffley zupfte sich an den beiden Spitzen seines Backenbarts und lachte in einer Weise, aus der sich deutlich ersehen ließ, dass ihm der Vorgang großes Vergnügen bereitete.
„Ja, Ihr wisst es, denn Ihr habt ihm gepfiffen und gewinkt und ihn zur Flucht verleitet.“
„Das ist wahr. Hast du etwas dagegen?“
„Ich muss Euch festnehmen.“
Der gute John Raffley riss vor Vergnügen den Mund samt den Augen so weit auf, wie es ging.
„Verhaften? Mich, einen Gentleman aus Altengland? Hier auf Ceylon, in diesem Eidechsennest? Mensch, du bist vollständig übergeschnappt. Mach, dass du fortkommst! Kaladi gehört mir und ich tue mit ihm, was mir beliebt.“
„Er gehört Euch? Wieso?“
„Er ist mein Diener und tut alles, was er tut, auf meinen Befehl. Ohne meinen Willen darf ihm kein Mensch auch nur ein Haar krümmen, selbst der Mudellier nicht.“
„Wenn er Euer Diener ist, warum blieb er nicht bei Euch stehen, warum ging er da fort?“
„Ich schickte ihn fort, weil es mir so gefiel. Du aber gehst zum Mudellier und sagst ihm, dass ich mit ihm sprechen werde!“
„Ihr werdet nicht mit ihm sprechen, sondern er mit Euch.“
„Ah? Inwiefern?“
„Weil ich Euch verhaften und zu ihm führen werde. Den aber, den Ihr Euern Diener nennt, lasse ich verfolgen und werde ihn sicher fangen. Vorwärts, kommt mit!“
„Be gone; mach, dass du fortkommst!“
„Wenn Ihr nicht gutwillig mitgeht, so werde ich Euch zwingen müssen.“
„Versuch’s einmal, ob du es fertig bringst!“
Der Lord zog belustigt ein Paar riesige Drehpistolen hervor. Ich folgte seinem Beispiel und griff zu meinem Revolver.
„Ihr wollt euch wehren?“, fragte der Ceylonese erschrocken.
„Nein, mein lieber Sohn. Wir wollen uns nicht wehren, sondern werden dich nur ein wenig erschießen, wenn es dir einfallen sollte, uns noch länger zu belästigen.“
Der Mann befand sich in einer schauderhaften Verlegenheit. Die Pflicht stritt in ihm mit der Furcht, die ihm unsere Waffen einflößten, doch schien die Furcht zu siegen.
„Wie sagtet Ihr, woher Ihr seid, Sahib?“
„Aus England.“
„Aus Anglistan, wo die große Königin wohnt? Ist das wirklich wahr?“
„Wirklich!“
„Und Ihr werdet auch gewiss zum Mudellier gehen?“
„Gewiss.“
„Und Ihr werdet mich nicht betrügen?“
Raffleys Gesicht leuchtete vor Vergnügen. Er liebkoste seinen Bart in der Weise, die auf die beste Laune schließen ließ.
„Ich bin ein Maharadscha aus Anglistan und dieser Sahib hier ist ein noch viel größerer Maharadscha aus Germanistan. Wenn du es nicht glaubst, so werde ich dir’s beweisen. Kannst du lesen?“
„Ja!“, versicherte der Gefragte, obgleich er sicher keinen Buchstaben kannte. Er gab diese Antwort jedenfalls nur, um sich bei seinen Untergebenen in die gehörige Achtung zu setzen.
Sir John griff in die Tasche und brachte ein zusammengefaltetes Papier hervor. Es war die Speisekarte, die er vorher im Hotel Madras zu sich gesteckt hatte.
„Hier lies!“
Der Mann ergriff das Blatt, führte es an die Stirn, betrachtete es dann mit ernster, wichtiger Kennermiene und bewegte dabei die Lippen, als ob er lese. Dann schlug er es sorgfältig wieder zusammen, drückte es an die Brust und gab es zurück.
„Ihr habt die Wahrheit gesagt, Sahib. Ihr seid zwei Maharadscha vom Sonnenuntergang; hier steht es geschrieben. Ich darf Euch freilassen, denn ich weiß nun, dass Ihr zum Mudellier gehen werdet, um mich zu entschuldigen und ihm zu sagen, dass ich den Gefangenen nur deshalb entlaufen ließ, weil er Euer Diener war und also Euch gehörte.“
Er legte ehrerbietig grüßend die Hände auf die Brust, wandte sich dann zu seinen Kriegshelden und marschierte mit ihnen die Plattform hinab der Stadt zu. Hinter ihm verlief sich der versammelte Haufe des neugierigen Volks.
Vom Hafen herauf ließ sich ein eigentümlicher, eintöniger Gesang vernehmen. Er erklang auf einem ungewöhnlich großen chinesischen Schiff, dessen Gangspill von fünf Männern gedreht wurde, um den großen Anker aufzuziehen. Sie ließen dabei nach dem Takt ihrer Schritte den gebräuchlichen Gesang ,tien omma omma tien woosing‘ hören.
Raffley schob sich den Klemmer näher an die Augen und betrachtete das Fahrzeug mit aufmerksamem Blick.
„Charley!“, sagte er.
„Sir John!“
„Wollen wir wetten?“
„Wetten? Worüber?“
„Dass der Kapitän dieser Dschunke entweder den Verstand verloren hat oder unter einer zweideutigen Flagge segelt.“
„Warum glaubt Ihr das?“
„Well, Ihr seid kein Seemann und habt infolgedessen kein Auge für solche Dinge. Habt Ihr jemals eine Dschunke mit drei Masten gesehen?“
„Nein.“
„Und von einem so wunderbaren Tau- und Segelwerk?“
„Was ist so Wunderbares dran?“
„Die Vereinigung des chinesischen mit dem amerikanischen Bau und die Verhältnisse der Mastenhöhen. Wie kommt es, dass der Besan höher ist als der Haupt- und der Fockmast? Und was soll das lange Spriet mit einer Doppelpardune?“
„Allerdings auffällig! Aus der Pardune lässt sich schließen, dass das Fahrzeug Pflugsegel trägt, um den Wind scharf zu schneiden, und mir scheint, die Masten haben die erwähnte Höhe erhalten, weil das nach hinten aufsteigende und voller werdende Segelwerk auf eine Vergrößerung der Schnelligkeit berechnet ist, wozu allerdings der tonnenförmige Bau des Rumpfs nicht passt.“
„Charley, ich habe Euch für einen Laien gehalten, aber Ihr habt wirklich einen guten Blick für Dinge, die dem Auge der Landratte sonst zu entgehen pflegen. Diese Dschunke ist eine ungeschickte Nachahmung amerikanischer Klipperschiffe, und ich möchte mich ihr bei einer Bö um keinen Preis der Erde anvertrauen.“
„Diese auffällige Ausrüstung muss einen Zweck haben, den ich nicht verstehe.“
„Natürlich! Rechnet nun einmal dazu, dass dieses Fahrzeug jetzt, wo die Flut noch nicht umgesprungen ist, die Anker lichtet, um in See zu stechen! Der Kapitän muss andere als seemännische Gründe haben, das zu tun. Ich setze hundert Sovereigns, dass es entweder in seinem Kopf oder zwischen seinen Planken etwas Unsauberes gibt. Ihr haltet doch die Wette?“
„Ich wette nie.“
„So setzt wenigstens zehn Pfund gegen meine hundert!“
„Auch das nicht, Sir.“
„Wirklich nicht? For shame, Charley, schämt Euch! Es ist ein Unglück, dass Ihr so ein netter Kerl seid und Euch doch niemals verstehen wollt, einen Einsatz anzunehmen. Ihr werdet es in Eurem ganzen Leben nicht dazu bringen, ein wahrhaftiger Gentleman zu sein, und da mich das bedeutend ärgert, so werde ich Euch schon einmal zu zwingen wissen, eine Wette zu halten. Seht Ihr den spanischen Dampfer? Will auch der in See gehen?“
„Wohl nicht. Er wird den Chinesen ins Schlepptau nehmen sollen, um ihn gegen die Flut aus dem Hafen zu bringen.“
„All right! Er legt sich vor und der Chinese zeigt seinen Stern. Könnt Ihr sehen, welchen Namen er führt?“
„Nein.“
„Dann muss ich meine Chair-and-umbrella-pipe zu Hilfe nehmen.“
Er fasste den Schirm, stellte die Gläser und blickte nach der Dschunke hinüber.
„Haiang-dze. Der Kuckuck hol die albernen Namen, die diese Zopfmänner führen! Kommt, Charley! Da Ihr einmal nicht wetten wollt, so geht uns das Schiff auch nichts mehr an.“
Wir schritten der Stadt zu und schlugen die Richtung nach dem Hotel Madras ein. Dort begaben wir uns in das luftige Gemach des Engländers, um Kaladi hier zu erwarten.
Die festgesetzte Frist verstrich, ohne dass er erschien.
„Charley!“
„Was?“
„Wollen wir wetten?“
„Nein.“
„So hört doch erst, was ich meine! Ich behaupte nämlich, dass dem armen Teufel etwas Widerliches zugestoßen ist, und setze auf diese Meinung fünfzig Pfund. Ihr seid natürlich anderer Ansicht und werdet also diesmal meine Wette annehmen!“
„Leider kann ich das nicht tun, weil ich dieselbe Ansicht hege wie Ihr, Sir John. Wäre alles in Ordnung, so müsste er ja längst erschienen sein.“
„Well! Ihr seid einmal, was das Wetten betrifft, ein unverbesserlicher Stockfisch. Ein wahrer Gentleman würde auf meinen Vorschlag eingehen, selbst wenn seine Ansicht mit der meinigen übereinstimmte. Ich warte noch fünf Minuten. Kommt er auch während dieser Zeit nicht, so brechen wir auf und – – hush, was geht da draußen vor?“
Auf der Straße, wo jetzt die Dunkelheit des hereinbrechenden Abends mit dem Schein der zahlreichen in den offenen Veranden aufgehängten Lampen stritt, ließ sich ein ungewöhnlicher Lärm vernehmen. Laute, durchdringende Rufe ertönten und der Sturmschritt einer schnell dahineilenden Menge erscholl.
Wir traten hinaus vor den Eingang. Die Hauptmasse war bereits vorüber, doch kamen wir immerhin noch zeitig genug, um einen windschnell dahinschießenden Menschen zu erkennen, der in ebensolcher Hast verfolgt wurde.
Raffley hatte in der Eile den Klemmer von der Nase verloren. Er hing ihm an der schwarzseidenen Schnur über die Weste herab.
„Charley!“
„Sir John!“
„Wisst Ihr, wer der Mann war?“
„Nein.“
„Kaladi!“
„Ah!“
„Ja, er war es sicher. Man hat ihn erkannt und wieder festnehmen wollen.“
„Er kann es nicht gewesen sein.“
„Warum nicht?“
„Weil er sicher bei uns Zuflucht gesucht hätte.“
„Pshaw! Der gute Kerl hat uns nicht mit seinen Verfolgern belästigen wollen.“
„Das hieße die Zartheit zu weit treiben, da Ihr Euch seiner einmal angenommen habt. Er weiß ja, dass sein Leben auf dem Spiel steht.“
„Sein Leben? Wo denkt Ihr hin? Lasst Euch doch nichts weismachen, Charley! Kaladi ist nicht nur der beste Schwimmer, sondern auch der ausdauerndste Läufer, den ich kenne. Er wird sich nicht fassen lassen. Dennoch aber bedarf er meiner Hilfe und ich werde deshalb jetzt zum Mudellier gehen. Ihr begleitet mich doch?“
„Das versteht sich.“
Wir kehrten ins Zimmer zurück, um unsere Hüte und Sir Johns Chair-and-umbrella-pipe zu holen, hatten aber diese Gegenstände noch nicht ergriffen, als sich hinter uns die Tür öffnete, um Kaladi einzulassen, der mit fliegendem Atem und rinnendem Schweiß ins Zimmer trat.
„Verzeiht, Sahib“, keuchte er, „dass ich nicht eher gekommen bin.“
„Du bist bemerkt worden?“
„Ja, Sahib. Ich musste, um zu Euch zu gelangen, durch die Straßen der Stadt, durch die man mich vorhin geführt hatte. Man erkannte mich daher und wollte mich fangen.“
„Well, mein Junge. Aber man hat dich nicht erwischt.“
„Nein. Ich sprang bis ans Wasser und bog dann hinter der Stadt herum, um durch den Garten ins Hotel zu kommen. Sie haben mich aus dem Auge verloren und werden mich hier nicht finden.“
„All right! Setz dich nieder, dass du wieder zu Atem kommst! Seht Ihr’s, Charley, dass ich Recht hatte? Sie haben ihn nicht eingeholt. Er ist ein tüchtiger Kerl, gewandt und mutig, was man von dem feigen, singhalesischen Pack hier nicht sagen kann. Und gerade deshalb gefällt er mir.“
„Sahib, Ihr seid ein zu gütiger Maharadscha!“, fiel Kaladi ein.
„Pshaw! Sei still! Die Haie hätten mich längst verschlungen, wenn du mich nicht gerettet hättest. Ihr müsst nämlich wissen, Charley, dass ich einmal mit meiner Dampfjacht eine Fahrt um diese langweilige Insel unternahm. Ich kam an die Bänke von Negombo, und da ich die Perlfischerei sehen wollte, hielt ich mich an den Wanten fest. Wir aber kannten das Fahrwasser nicht, streiften an ein Riff, und ich wurde von dem Stoß, der dabei erfolgte, über Bord geworfen.“
„Man stoppte doch sofort die Maschine, Sir?“
„Hat sich ein Stoppen, Charley! Da ich die Jacht stets selber befehlige und der Steuermann verteufelt beschäftigt war, vom Felsen abzuhalten, war niemand da, der dem Maschinisten den Auftrag hätte erteilen können. Übrigens hatte, wie sich später herausstellte, kein Mensch meinen Unfall bemerkt. Hist, ich sage, kein Mensch, und das ist nicht wahr, denn dieser brave Bursche hier hatte es doch beobachtet. Er war drei Minuten lang unter Wasser gewesen und kam ermattet und mit einer schweren Ladung Muscheln zur Oberfläche empor. In diesem Augenblick sah er mich fallen, ließ die Muscheln wieder zur Tiefe, kam auf mich zu und fasste mich. Es dauerte allerdings eine gute Weile, bis er mich hatte, denn die Strecke von ihm bis zu mir war ganz bedeutend, und obgleich ich kein übler Schwimmer bin, fühlte ich mich vollständig ermattet, sodass er gerade zur rechten Zeit kam, mich über Wasser zu halten. Auf der Jacht hatten sie endlich doch bemerkt, was geschehen war. Man setzte ein Boot aus und holte uns an Bord. – Du bleibst jetzt hier, Kaladi, und wartest auf uns! Ihr aber, Charly, begleitet mich zum Mudellier!“
Wir schlossen den Singhalesen ein und gingen.
Vor der Wohnung des Beamten lungerte eine Menge seiner Untergebenen herum. In diesen Länderstrichen hat jeder wohlhabende Mann für jede besondere Handreichung auch einen besonderen Bedienten. Das ist bedingt durch das Kastenwesen und wird ermöglicht durch die überaus große Billigkeit der Löhne und aller Dinge, die zur Notdurft des Leibes und des Lebens erforderlich sind.
„Wollt ihr zum großen Mudellier?“, fragte einer von den Leuten.
„Allerdings.“
„Da müsst ihr morgen kommen. Jetzt ist es zu spät.“
Raffley nahm den Mann und schob ihn fort.
„Fool, Narr, mach dich beiseite!“
Im Nu waren wir umringt. Einige hatten sogar die Verwegenheit, uns anzufassen. Sir John ließ durch eine ihm eigentümliche Bewegung der Gesichtsmuskeln, die auf gute Laune des Sonderlings deutete, den Klemmer auf die Nasenspitze vorrücken, erhob den Schirm und zog damit dem ihm zunächst Stehenden einen Hieb übers Gesicht, dass dieser weit zurücktaumelte.
Das setzte uns sofort in die gewünschte Achtung, sodass wir nun ungehindert eintreten konnten.
„Seht Ihr, Charley, was meine Chair-and-umbrella-pipe zu bedeuten hat? Sie ist ein Allerweltsreisegerät, wie es sicher kein zweites gibt“, lachte höchst befriedigt der Engländer. „Vielleicht kann ich es gleich zum zweiten Mal beweisen.“
Wir waren durch die Veranda in ein Vorzimmer gelangt, dessen Wände die Decke nicht erreichten, sondern nur bis etwas über Mannshöhe emporgingen, um der Luft den freien Zustrich zu gestatten. Man findet diese dem Klima angemessene Bauart fast an jedem Haus von Point de Galle. Hier saßen auf Bastmatten zwei Diener, die sich erhoben und die schon vorher an uns gerichtete Frage wiederholten.
„Ihr wollt zum großen Mudellier?“
„Ja.“
„Er ist am Abend nicht zu sprechen. Wer hat euch eingelassen?“
„Wir selbst, wenn’s euch beliebt.“
„Geht und kommt morgen wieder!“
„Das wird sich nicht gut machen, meine Jungens.“
Raffley schritt ohne Umstände auf den Eingang des nächsten Zimmers zu, doch stellten sich ihm die beiden Männer sofort entgegen.
„Halt! Der Eintritt ist verboten. Geht zurück!“
„Well! Und dann wieder vorwärts. Kommt her, Jungens!“
Er fasste den einen mit dem rechten und den anderen mit dem linken Arm, trug sie zum Eingang zurück und schleuderte sie hinaus unter die anderen, denen ihre bereits erschütterte Fassung jetzt vollends verloren ging. Ein fürchterliches Geschrei war die Folge des ungewöhnlichen Angriffs, Raffley aber blieb von dem Lärm unberührt. Er schob seinen Klemmer zurück und fasste mich am Arm.
„Kommt, Charley, sonst verkriecht sich dieser Mudellier und denkt, dass er auch hinausgeworfen werden soll.“
Wir traten in das nächstfolgende Gemach. Es war aus Bambuswänden gefertigt, die eine Bekleidung von Bananenblättern trugen. Von der Mitte des deckenlosen Raums hing an einer Kreuzschnur eine Lampe hernieder, die ihren matten Schein über einen kostbaren persischen Teppich breitete, auf dem der, nach dem wir suchten, mit untergeschlagenen Beinen in der Stellung saß, die der Türke Rahat atturmak, d. i. Ruhe der Glieder, nennt. Der kleine, schmächtige Beamte war in gelbe Seide gehüllt, und seine groß auf uns gerichteten Augen, seine halb geöffneten Lippen und der erstaunte, ängstliche Ausdruck seines Gesichts bewiesen, dass er den von uns verursachten Lärm vernommen hatte und unseren Eintritt keineswegs als ein gleichgültiges Ereignis betrachtete.
„Good day, Sir!“, grüßte John Raffley englisch, obgleich er wusste, hier einen Eingeborenen vor sich zu haben.
Dieser erwiderte den Gruß und auch meine stumme Verneigung mit einem leisen Nicken seines Haupts und fragte dann:
„Was wollt ihr?“
„Uns setzen!“, bemerkte der Englishman einfach, indem er sich sofort zur rechten Seite des Mudellier niederließ und mir einen Wink gab, dasselbe auch auf der linken zu tun. Ich folgte seinem Beispiel, dann fuhr er fort: „Du bist der weise Mudellier, der Gericht hält über die Sünden der Stadt Point de Galle?“
„Ja.“
„Wie ist dein Name?“
„Meine Name ist Oriwana ono Javombo.“
„Well, du hast einen stolzen und wohlklingenden Namen. Aber ich sage dir, Oriwana ono Javombo, dass du nicht lange mehr Mudellier sein wirst.“
Der Beamte horchte auf.
„Was sagst du? Ich verstehe dich nicht.“
„Sag, wem gehört diese Insel?“
„Der großen Königin in Anglistan.“
„Und wer hat dir dein Amt gegeben?“
„Der Gouverneur, der ein Diener unserer mächtigen Herrscherin ist.“
„Er kann es dir auch wieder nehmen?“
„Ja, wenn es ihm beliebt.“
„Nun wohl, es wird ihm belieben.“
„Warum?“
„Weil du dich versündigst an dem Eigentum derer, die über dich zu gebieten haben.“
„Hüte dich, Franke! Dein Mund redet die Unwahrheit von einem treuen Sohn der großen Königin.“
„Kennst du den Namen Kaladi?“
„Ich kenne ihn. Kaladi ist zweimal entsprungen, um dem Tod zu entgehen, doch meine Leute sind hinter ihm und werden ihn wiederbringen.“
„Welches Recht hast du, ihn zu verfolgen?“
„Er hat einen Menschen getötet.“
„Er hat bloß einen nichtswürdigen Chinesen getötet. Kanntest du den Toten?“
„Es war ein Mann von der Dschunke Haiang-dze. Er hatte die Verlobte Kaladis angerührt und dieser stach ihn nieder. Der Kapitän der Dschunke kam zu mir und verlangte Gerechtigkeit.“
„Hast du sie ihm gegeben?“
„Ich werde sie ihm geben, sobald Kaladi wieder vor mir steht.“
„Well, das ist es ja, was ich meine: Du versündigst dich an meinem Eigentum. Kaladi gehört nicht dir, denn er ist mein Diener.“
„Ah! So bist du der Engländer, der ihm behilflich gewesen war, zu entkommen?“
„Der bin ich.“
„So hab’ ich auf dich gewartet. Ich muss dich bestrafen, wenn du mir nicht beweisen kannst, dass Kaladi wirklich dein Diener gewesen ist in dem Augenblick, als er vom Felsen floh.“
Raffley lächelte. Der Klemmer rutschte ihm auf die Nasenspitze. Er griff in die Tasche und zog seine Drehpistolen hervor.
„Ich sage, Kaladi war mein Diener. Glaubst du es?“
„Beweise es!“
„Du glaubst es also nicht! Well, so werde ich als Gentleman mit dir reden! Weißt du, was ein Gentleman ist?“
„Sag mir’s!“
„Ein Mann, der sich mit jedem schießt, der ihm keinen Glauben schenkt. Hier, nimm diese Pistole. Ich zähle bis drei, dann schieß’ ich, und du tust’s natürlich auch. Vorwärts! Eins – zwei – – – dr...“
„Halt! Ich weiß ja nicht, wie ich dieses fürchterliche Ding anzufassen habe!“, rief der Mudellier, vor Angst kerzengerade emporspringend.
„Was hab’ ich dir getan, dass du mich morden willst?“
„Du hast nicht geglaubt, was ich dir mitteilte, und darum muss einer von uns beiden sterben. Dann bin ich befriedigt und werde ruhig nach Haus gehen.“
„Ich glaube ja, was du sagtest! Hier hast du die Waffe zurück.“
„Du glaubt, dass Kaladi mein Diener ist?“
„Ich glaube es, ich weiß es gewiss.“
„Well, warum verfolgst du ihn dann?“
„Ich werde sofort Boten aussenden, die Verfolger zurückzurufen, damit ihm kein Leid geschieht.“
„Das hast du nicht nötig. Er befindet sich bereits bei mir in Sicherheit.“
„Wo wohnst du?“
„Im Hotel Madras.“
„Und wie ist dein Name?“
„John Raffley.“
„John Raffley, der Neffe des Generalstatthalters?“, rief der Mudellier höchst überrascht.
„All right, der bin ich.“
„Ich habe dich gesucht, doch nicht gefunden.“
„Warum?“
„Ich habe einen Brief an dich abzugeben vom Statthalter von Kandy. Er schrieb mir, dass du kommen würdest.“
„Ich bin leider im Hotel und nicht im Regierungsgebäude abgestiegen. Das ist der Grund, warum du mich nicht fandest.“
Der Lord öffnete das Schreiben und überflog es.
Am Schluss ging ein so vergnügtes Lächeln über sein Gesicht, dass der dünne Mund von einem Ohr bis zum anderen gezogen wurde und der Klemmer in die höchste Gefahr kam, von der Nasenspitze herabzuspringen.
„Charley!“
„Sir Raffley!“
„Habt Ihr einmal einen Elefanten gesehen?“
„Einen wievielbeinigen?“
Er lachte vergnügt über meine Zurechtweisung.
„Aber noch keinen gejagt?“
„O doch! Im Norden der Kalahari und auch anderswo, wenn es Euch gefällig ist, Sir John.“
„Damn! Ich dachte, Euch eine Freude zu machen, und sie fällt mir nun in den Brunnen. Ihr habt Elefanten mit der Büchse erlegt?“
„Allerdings.“
„Dann wird Euch eine Korraljagd kein Vergnügen bereiten?“
„Warum nicht? Ich bin noch nie bei einer solchen zugegen gewesen.“
„Well; ich habe hier vom Statthalter die Einladung zu einer Korraljagd. Ihr seid doch dabei?“
„Versteht sich.“
„Und auch du wirst mich begleiten?“, wandte er sich zum Mudellier.
Dieser verbeugte sich beinahe bis zum Boden herab.
„Du gibst mir große Ehre, o Maharadscha. Lass mir die Stunde sagen und ich werde zu deinem Gefolge gehören.“
„Und Kaladi?“
„Ist frei.“
„So leb wohl!“
„Leb wohl!“
Der hohe Beamte begleitete uns bis vor die Tür und auf seinen Wink kamen sechs Läufer herbei, die uns mit Fackeln heimleuchten mussten. Die Dienerschaft, die uns den Eingang verweigert hatte, war sicher sehr erstaunt über den ehrenvollen Abschied, der uns gegeben wurde.
Daheim erwartete uns Kaladi mit leicht zu erklärendender Besorgnis.
„Wie ist es, Sahib?“, fragte er. „Habt Ihr mit dem Mudellier gesprochen?“
„Ja. Du bist frei.“
Der brave Singhalese tat vor Freude einen Satz, der einem Tiger Ehre gemacht hätte.
„Sahib, ich danke Euch, Ihr seid...“
„Still! Leben um Leben. Du hast mir das meinige gerettet und ich gebe dir das deinige zurück. Wirst du bei mir bleiben, solange ich auf Ceylon bin?“
„Ich werde nicht von Euch weichen, bis Ihr selbst mich verjagt.“
„Well, so mach dich fertig, mit uns nach Kornegalle zu gehen, wo wir Elefanten fangen werden!“
„Elefanten? Da ist viel Volk vonnöten, Männer, Frauen und Kinder. Darf ich mitnehmen Molama, die Blume meiner Seele?“
„Nimm sie mit!“
„Habt Dank! Ihr seid voll Güte wie der Tau der Wolken und voll Liebe wie die Sterne der Nacht. Wischnu segne Euch, Euch und den Maharadscha und Germanistan. Ich werde Euch mein Leben schenken, wenn Ihr es begehrt.“