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DER SCHWARZE MUSTANG 1. Der Mestize

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Ein schwerer Sturm peitschte den dicht strömenden Regen gegen die sich vor ihm beugenden Tannenwipfel des Hochwaldes; fingerstarke Wasserfäden flossen an den Riesenstämmen nieder und vereinigten sich an den Wurzeln zu erst kleinen, nach und nach aber immer größer werdenden Bächen, die in zahllosen Wasserfällen von Fels zu Fels in die Tiefe stürzten, um unten im engen Tal von dem hoch aufgeschwollenen Fluss aufgenommen zu werden. Es war Nacht geworden; von Minute zu Minute rollte ein zürnender Donner über die Tiefe hin, doch so hell und grell der Blitz jedesmal dabei leuchtete, fiel der Regen so dicht herab, dass man kaum fünf Schritte weit zu sehen vermochte.

Der rasende Sturm traf oben den Hochwald und die Felsenklippen; seine Macht jedoch reichte nicht bis in die Tiefe, wo die Riesentannen im nächtlichen Dunkel unbeweglich standen; aber es war auch da nicht still, denn die Wasser des Flusses rauschten und brausten so erregt zwischen den Ufern dahin, dass nur ein ungemein scharfes Ohr hören konnte, dass zwei einsame Reiter flussabwärts geritten kamen; zu sehen waren sie nicht.

Wäre es Tag gewesen, so hätten sie gewiss den verwunderten Blick eines jeden Begegnenden auf sich gezogen, und zwar nicht etwa infolge ihrer Kleidung und Ausrüstung, sondern weil beide von einer wahrhaft Angst erregenden Länge waren.

Der eine war semmelblond und hatte einen bei seiner Höhe geradezu lächerlich kleinen Kopf. Mitten unter zwei gutmütigen Mäuseäuglein saß ein winziges, aufwärts gerichtetes Stumpfnäschen, das viel besser in das Gesicht eines vierjährigen Kindes gepasst hätte und in gar keinem Verhältnis zu dem ungeheuer breiten Mund stand, der sich fast vom einen Ohr bis zum andern zog. Einen Bart hatte der Mann nicht und dieser Mangel schien angeboren zu sein, denn über dieses frauenglatte Gesicht war gewiss noch nie ein Schermesser gegangen. Er trug ein ledernes Wams, das ihm wie ein kurzer Mantel faltenreich von den schmalen Schultern hing, dazu enge Lederhosen, die seine Storchenbeine fest umschlossen, halbhohe Schaftstiefel und einen Strohhut, dessen Krempe sich traurig herabneigte und den aufgefangenen Regen in ununterbrochenen Fäden rund um ihn niederströmen ließ. Auf seinem Rücken hing, die Mündung nach unten gerichtet, ein Doppelgewehr. Das Pferd, das er ritt, war ein kräftiger, starkknochiger Klepper, der gewiss schon fünfzehn Sommer hinter sich hatte, aber alle Lust zu besitzen schien, noch weitere fünfzehn ebenso rüstig zu erleben.

Der andere Reiter hatte dunkles Haar, auf dem eine uralte Pelzmütze saß, ein sehr schmales und sehr langes Gesicht, und ebenso sehr schmal und sehr lang waren auch die Nase, der Mund und der fadenartige Schnurrbart, dessen Spitzen fast hinter den Ohren zusammengebunden werden konnten. Seine weit über zwei Meter lange Gestalt war, umgekehrt zu seinem Gefährten, oben eng und unten weit bekleidet, denn während er eine sehr weite, faltenreiche Hose trug, deren Enden in rindsledernen Halbstiefeln steckten, umschloss seinen Oberkörper eine lange Filzjacke so eng, als sei sie ihm angegossen worden. Auch er hatte ein Doppelgewehr. Dass beide außerdem noch Messer und Revolver besaßen, war ganz selbstverständlich. Er saß auf einem zuverlässigen Mustang, dessen Wiegenfest sich wenigstens ebenso oft wiederholt hatte wie dasjenige des anderen Pferdes.

Die beiden Reiter kümmerten sich weder um den Weg noch um den strömenden Regen. Den Ersteren zu suchen und zu finden, das überließen sie ihren scharfsinnigen und erfahrenen Pferden, und aus dem Letzteren machten sie sich aus dem Grunde nichts, weil er ihnen ja doch nicht tiefer als bis auf die Haut gehen konnte.

Sie unterhielten sich trotz des unaufhörlichen Donnerns und Blitzens und trotz der gefährlichen Nähe des an seinen Ufern wühlenden und zerrenden Flusses so unbefangen miteinander, als ritten sie im hellen Sonnenschein über eine offene Prärie. Aber wer sie hätte sehen können, dem wäre wohl aufgefallen, dass sie einander trotz der Dunkelheit sehr aufmerksam beobachteten, denn sie kannten sich erst seit einer Stunde und im Wilden Westen ist ein anfängliches Misstrauen stets am Platz. Sie hatten sich kurz vor Einbruch der Nacht und dem Beginn des Gewitters oben am Fluss getroffen und da erfahren, dass sie beide heute noch nach Firwood-Camp[1] wollten; da war es wohl selbstverständlich gewesen, dass sie miteinander ritten.

Nach ihren Namen und Verhältnissen hatten sie sich nicht gefragt und ihre Unterhaltung war bisher so allgemein gewesen, dass sie Persönliches nicht berührte. Jetzt ertönte ein mehrfacher, krachender Donnerschlag und wiederholte Blitze zuckten blendend über die enge Tiefe hin. Da meinte der blonde Stumpfnäsige: „Bless my soul! Ist das ein Gewitter! Grad wie daheim bei Timpes Erben!“

Der andere hielt bei den beiden letzten Worten unwillkürlich sein Pferd an und öffnete bereits den Mund, um eine schnelle Frage auszusprechen, besann sich aber eines andern und schwieg, während er sein Pferd weitertrieb. Er erinnerte sich daran, dass man westlich vom Mississippi nicht unvorsichtig sein durfte.

Die Unterhaltung wurde fortgesetzt, natürlich ziemlich einsilbig, wie es die Örtlichkeit und Lage mit sich brachte. Es verging eine Viertelstunde und noch eine. Da machte der Fluss eine scharfe Biegung nach der Seite, wo sich die beiden Reiter befanden; er hatte das hier erdige Ufer unterwaschen; das Pferd des Blonden konnte nicht schnell genug wenden, es geriet auf die haltlose Scholle und brach ein, glücklicherweise nicht tief; der Reiter riss es empor und herum, gab ihm die Sporen und war mit einem kühnen Satz wieder auf festem Boden.

„Good God!“, rief er dann aus. „Ich bin schon nass genug vom Regen, wozu also noch ein solches Bad? Hier konnte ich ertrinken! Beinahe so wie damals bei Timpes Erben!“

Er nahm sichere Entfernung vom Fluss und ritt dann weiter. Sein Gefährte folgte ihm eine Weile schweigend und fragte dann: „Timpes Erben? Was ist das für ein Name, Sir?“

„Wisst Ihr das nicht?“, lautete die Antwort.

„Nein.“

„Hm! Sonderbar! Alle meine Bekannten und Freunde wissen es!“

„Ihr vergesst, dass wir uns vor wenig über einer Stunde zum ersten Mal gesehen haben.“

„Richtig! Da könnt Ihr freilich noch nicht wissen, wer Timpes Erben sind. Ihr werdet es aber vielleicht erfahren.“

„Vielleicht?“

„Ja, wenn wir nämlich länger beisammen bleiben.“

„Wenn ich es aber jetzt erfahren möchte, Sir?“

„Jetzt? Warum?“

„Weil ich Timpe heiße.“

„Was? Wie? Ihr heißt Timpe? Timpe ist Euer Name?“

„Ja.“

„Wonderful! Ich suche nach Timpe seit langen Jahren überall, auf den Bergen und in allen Tälern, im Osten und im Westen, bei Tag und bei Nacht, bei Sonnenschein und bei Regen, und nun, da ich es längst aufgegeben habe, ihn zu finden, da reitet er hier in diesem Wetter an meiner Seite und lässt mich beinahe in diesem schönen Fluss ersaufen, ohne mir zu sagen, wer er ist!“

„Ihr sucht nach mir?“, fragte sein Begleiter verwundert. „Weshalb?“

„Na, wegen der Erbschaft! Weshalb denn sonst?“

„Erbschaft? Hm! Wer seid Ihr denn eigentlich, Sir?“

„Ich bin auch ein Timpe.“

„Auch einer? Woher denn?“

„Von drüben herüber.“

„Aus Deutschland?“

„Natürlich! Oder kann ein Timpe woanders geboren sein?“

„Allerdings, denn ich zum Beispiel bin hier in den Staaten geboren.“

„Aber von deutschen Eltern!“

„Mein Vater war ein Deutscher.“

„So seid Ihr wohl der deutschen Sprache mächtig?“

„Ja.“

„Nun, so redet doch, wenn Ihr einen Deutschen vor Euch habt, Deutsch, wie Euch der Schnabel gewachsen ist!“

„Na, Sir, nur sachte, sachte! Ich habe doch nicht gewusst, dass Ihr ein Deutscher seid!“

„Aber nun wisst Ihr es. Ich bin ein Deutscher, ein Timpe sogar, und verlange, dass Deutsche Deutsch mit mir reden.“

„Woher stammt Ihr?“

„Aus Hof in Bayern.“

„Da gehen wir einander nichts an, denn ich stamme aus Plauen im Vogtland.“

„Oho! Nichts angehen! Mein Vater stammt auch aus Plauen und ist von dort nach Hof verzogen.“

Der Dunkelhaarige hielt sein Pferd an. Der Regen hatte nach einem heftigen Donnerschlag plötzlich aufgehört und die Wolken waren vom Sturm zerteilt worden. Zwischen ihnen blickten helle, blaue Stellen des Himmels hernieder und die beiden Männer konnten ihre Gesichter erkennen.

„Aus Plauen nach Hof verzogen?“, fragte er. „Da ist es freilich nicht nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich, dass wir Verwandte sind. Was ist Euer Vater gewesen?“

„Büchsenmacher, und ich bin es auch geworden.“

„Das stimmt, das stimmt! Das ist ja ein merkwürdiges Zusammentreffen! Aber wir wollen uns nicht hier aufhalten; das Gewitter kann leicht zurückkehren und wir haben noch den schwierigsten Teil des Tales vor uns; da wollen wir das jetzige annehmbare Wetter benutzen. Wir können besser weitersprechen, wenn wir an Ort und Stelle sind. Also kommt, Sir, oder Vetter, wenn Euch das besser gefällt!“

Sie ritten weiter. Das Tal wurde bald so eng, dass nur wenig Raum blieb zwischen dem Fluss und der beinahe senkrecht aufsteigenden diesseitigen Felswand. Und dieser Raum bestand nicht etwa aus grasigem Boden, sondern es gab da eine Menge Gesträuch, durch das sich die Pferde oft geradezu drängen mussten. Hätte sich das Gewitter nicht verzogen und wäre es so finster wie vorher geblieben, so dürfte es unmöglich gewesen sein, hier vorwärts zu kommen.

Das hielt eine bedeutende Strecke an, bis das Tal sich wieder verbreiterte, um nach einer halben Stunde wieder eine sehr schmale Schlucht zu bilden, die aber nicht lang war, sondern sehr bald auf den Platz mündete, der Firwood-Camp genannt worden war, weil es hier nur Tannen gab, die in riesiger Größe zum Himmel aufstrebten.

Es kreuzten sich hier zwei Täler in beinahe rechtwinkliger Richtung, nämlich das Tal des Flusses, an dem die beiden Timpes herabgekommen waren, und ein anderes, worin die im Bau begriffene Eisenbahn die Höhe des Gebirges zu ersteigen strebte. Camp heißt Lager, und dass es hier ein solches, und zwar ein nicht unbedeutendes, gab, das sahen die beiden Reiter trotz der nächtlichen Dunkelheit sofort, als sie die Felsenenge vor sich hatten.

Es lag da eine Menge von Baumriesen, die gefällt worden waren, um aus den Stämmen Bretter und aus den starken Ästen Bahnschwellen zu bekommen; der Abfall lieferte das nötige Feuerholz. Die über den Fluss führende Brücke war beinahe fertig und in deren Nähe lag die fliegende Schneidemühle, deren Sägen die Holzmassen zu bewältigen hatten. Weiterhin gähnte schwarz ein tief in den Felsen gesprengter Steinbruch, der die Quadern zum Unterbau zu liefern hatte, und links zogen sich mehrere aus Balken und Brettern errichtete schuppenähnliche Bauten hin, die zur Unterbringung der Menschen, der Werkzeuge und der Vorräte dienten.

Eine dieser hier Shops genannten Buden war außerordentlich lang und tief. Die vier Feueressen, die das Dach überragten, und die zahlreichen, jetzt erleuchteten Fenster ließen vermuten, dass der Shop den im Camp anwesenden Arbeitern Unterkunft zu gewähren hatte. Infolgedessen wendeten sich die beiden Ankömmlinge dorthin.

Schon von Weitem scholl ihnen ein lautes Stimmengewirr entgegen, und als sie näher gekommen waren, machte sich mit jedem Schritt mehr eine von Branntweindunst geschwängerte Luft bemerkbar. Sie stiegen ab, banden ihre Pferde an die wahrscheinlich zu diesem Zweck neben der Tür eingeschlagenen Pfähle und wollten eben eintreten, als ein Mann herauskam, der in das Innere zurückrief: „Der Bauzug muss gleich kommen; ich will ihn abfertigen, dann bin ich wieder da. Vielleicht bringt er Neuigkeiten oder gar Zeitungen mit.“

Der Mann sah auf, erblickte die Fremden, trat zur Seite, um sie in das aus der Tür fallende Licht kommen zu lassen, und betrachtete sie.

„Good evening, Sir“, grüßte der Blonde. „Wir sind bis auf die Haut durchnässt. Gibt es hier einen Platz, wo man trocken werden kann?“

„Ja“, antwortete er. „Es gibt sogar Plätze, um trocken schlafen zu können, nämlich falls ihr nicht zu derjenigen Sorte von Menschen gehört, die man lieber gar nicht eintreten lässt.“

„Keine Sorge, Sir! Wir sind ehrliche Westmänner, Gentlemen, die Euch nicht Schaden bringen, sondern alles, was sie bekommen, bezahlen werden.“

„Wenn eure Ehrlichkeit so bedeutend wie eure Körperlänge ist, dann seid ihr freilich die größten Gentlemen unter der Sonne. Na, geht hinein, links in den kleineren Room, und sagt dem Shopman, ich, der Engineer[2], hätte gesagt, ihr könntet bleiben. Wir sehen uns bald wieder.“

Er ging fort und sie befolgten seine Aufforderung.

Das Innere der Bude bildete einen einzigen großen Raum, von dem nur links ein kleiner Teil durch eine mannshohe Bretterwand halb abgeteilt war. Es gab da eine Menge primitiver Tische und Bänke, die in die Erde gerammt waren, und zwischen ihnen und an den Wänden hin Massenbetten, deren Füllung hauptsächlich nur aus trockenem Gras und Heu bestand. Vier Herde, auf denen hohe Feuer loderten, sorgten für eine wenig zulängliche Beleuchtung; Lampen oder Lichte gab es nicht und so kam es, dass bei dem Flackern der Flammen alle Personen und Gegenstände in gespenstischer Unruhe und Bewegung zu sein schienen.

An den Tischen saßen und auf den Lagern hockten wohl an die zweihundert Bahnarbeiter, kleine, langzöpfige Burschen mit gelber Gesichtsfarbe, hervortretenden Backenknochen und schief geschlitzten Augen, die sich erstaunt auf die beiden überlangen Gestalten richteten.

„Pfui Teufel! Chinesen! Das konnten wir uns denken, denn man roch es schon von draußen!“, meinte der Dunkelhaarige. „Kommt schnell in den kleinen Room, wo die Luft vielleicht genießbarer ist!“

In dieser Abteilung gab es auch eine Anzahl von Brettertafeln, woran aber weiße Arbeiter rauchend und trinkend saßen, derbe, wetterharte Männer, von denen wohl mancher eine bessere Vergangenheit hinter sich hatte, mancher aber auch nur deshalb hierhergekommen war, weil er sich im zivilisierten Osten nicht mehr sehen lassen durfte. Ihre überlaute Unterhaltung verstummte sofort, als sie die beiden Gäste sahen, denen ihre erstaunten Blicke bis hin zum Schenktisch folgten, hinter dem der Shopman bei zahlreichen Flaschen und Gläsern lehnte.

„Railroaders[3]?“, fragte er, indem er ihren Gruß nickend erwiderte.

„Nein, Sir“, antwortete der Blonde. „Wir haben nicht die Absicht, den hier sitzenden Gentlemen ihren Verdienst zu schmälern. Wir sind Westmänner und suchen ein Feuer, woran wir uns trocknen können. Der Engineer schickt uns zu Euch.“

„Könnt ihr zahlen?“, erkundigte sich der Shopman, während er die langen Gestalten mit einem scharf prüfenden Blick überflog.

„Ja.“

„Dann könnt ihr alles haben, was ihr braucht, auch später ein feines, abgesondertes Lager zum Schlafen da hinter den Kisten und Fässern. Setzt euch an den Tisch am Herd; da gibt es Wärme genug, der andere ist für die Beamten und höheren Gentlemen.“

„Well! Ihr rechnet uns also zu den niedrigen Gentlemen. Das hätte ich Euch bei unserer Länge nicht zugetraut. Tut aber nichts. Bringt uns Gläser, heißes Wasser, Zucker und Rum! Wir wollen uns auch innerlich anwärmen.“

Sie setzten sich an den ihnen angewiesenen Tisch, der so nahe am Feuer stand, dass ihre nassen Anzüge bald trocknen konnten, bekamen das Verlangte und brauten sich einen Grog. Die weißen Arbeiter hatten gehört, dass sie keine Konkurrenz zu befürchten hatten; sie waren befriedigt und setzten ihr unterbrochenes Gespräch wieder fort.

An dem für Beamte und ‚höhere Gentlemen‘ bestimmten Tisch saß eine einzelne Person, ein junger, vielleicht nicht ganz dreißig Jahre zählender Mann, der wie ein weißer Jäger gekleidet war, aber der kaukasischen Rasse nicht angehörte, was sich aus der Farbe seiner Haut und der Bildung seines Gesichts schließen ließ. Er war jedenfalls ein Mestize, einer jener Mischlinge, die zwar die körperlichen Vorzüge, aber dazu leider manchmal auch die moralischen Fehler ihrer verschiedenfarbigen Eltern erben. Seine Glieder waren kräftig und geschmeidig wie diejenigen eines Panthers und seine Gesichtszüge intelligent, aber seine dunklen Augen lagen unter den tief gesenkten Lidern und Wimpern lauernd versteckt wie ein wildes Katzenpaar, das eine Beute belauert. Er schien die beiden Fremden gar nicht zu beachten, ließ jedoch seine Blicke oft und verstohlen zu ihnen fliegen und neigte den Kopf zur Seite nach ihnen hin, um zu hören, wovon sie sprechen würden. Er hatte Grund, zu ermitteln, welche Absicht sie in diese Gegend geführt hatte und ob sie bleiben oder nicht bleiben wollten. Zu seinem Leidwesen verstand er keines ihrer Worte, obgleich sie laut genug miteinander redeten, denn sie bedienten sich einer Sprache, die er nicht kannte, der deutschen.

Als sie ihre Gläser gefüllt hatten, tranken sie sich zu und leerten sie bis auf den Grund. Der Dunkelköpfige setzte das seine vor sich hin und sagte: „So, das war der Willkommen, den wir einander schuldig sind, und nun wieder zur Sache! Also, Sie sind eigentlich Büchsenmacher und Ihr Vater war es auch. Nehmen wir einmal an, dass wir wirklich Verwandte seien, so will ich Ihnen offen sagen, dass ich noch nicht weiß, ob ich mich auch verwandtschaftlich zu Ihnen verhalten darf.“

„Warum sollten Sie das nicht dürfen?“

„Wegen der Erbschaft.“

„Wieso?“

„Ich bin um sie betrogen worden.“

„Ich doch auch!“

„Ach, wirklich? Sie haben auch nichts bekommen?“

„Keinen Pfennig, keinen roten Heller!“

„Aber es ist doch eine so bedeutende Summe an die Erben drüben ausgezahlt worden!“

„Ja, an Timpes Erben in Plauen, jedoch nicht an mich, obwohl ich ein ebenso echter Timpe bin wie sie.“

„Erlauben Sie mir, diese Echtheit einmal zu prüfen! Wie ist Ihr vollständiger Name?“

„Kasimir Obadja Timpe.“

„Der Ihres Vaters?“

„Rehabeam Zacharias Timpe.“

„Wie viele Brüder hatte Ihr Vater?“

„Fünf. Die drei jüngsten sind nach Amerika gegangen. Sie glaubten, da schnell reich werden zu können, weil dort viele Gewehre gebraucht wurden. Die Brüder waren alle Büchsenmacher.“

„Wie hieß der zweite Bruder, der in Plauen blieb?“

„Johannes Daniel. Er ist gestorben und hat zwei Söhne hinterlassen, nämlich Petrus Micha und Markus Absalom, die jene hunderttausend Taler geerbt und aus der Stadt Fayette in Alabama geschickt bekommen haben.“

„Das stimmt, das stimmt abermals! Mit Ihrer Orts- und Personenkenntnis beweisen Sie, dass Sie wirklich mein Vetter sind.“

„Oh, ich kann es noch besser beweisen. Ich habe meine Papiere und Ausweise heilig aufgehoben; ich trage sie auf meinem Herzen und kann sie Ihnen sofort...“

„Jetzt nicht, jetzt nicht, vielleicht später“, fiel ihm der andere in die Rede. „Ich glaube Ihnen. Sie wissen doch auch, warum die fünf Brüder und ihre Söhne sämtlich solche biblische Namen haben?“

„Ja. Es war das ein uralter Gebrauch in der Familie, von dem keiner abgewichen ist.“

„Richtig! Und dieser Gebrauch konnte in den Staaten hier leicht beibehalten werden, weil der Amerikaner solche Namen auch bevorzugt. Mein Vater war der dritte Bruder, er hieß David Makkabäus und blieb in New York. Mein Name ist Hasael Benjamin. Die zwei Jüngsten gingen weiter ins Land und setzten sich in Fayette im Staate Alabama fest. Der Allerjüngste hieß Josef Habakuk, er starb dort kinderlos und hat das große Erbteil hinterlassen. Der vierte Bruder, Tobias Holofernes, starb in derselben Stadt; sein einziger Sohn, Nahum Samuel, ist der Schwindler.“

„Wieso?“

„Sehen Sie das nicht ein? Ich bin vollständig ahnungslos gewesen. Vater hat zwar in der ersten Zeit mit seinen zwei Brüdern in Fayette Briefe gewechselt, doch ist das nach und nach eingeschlafen, bis man einander schier vergessen hat. Die Entfernungen in den Staaten sind so groß, dass selbst Brüder sich nach und nach aus den Augen kommen. Nach Vaters Tod führte ich das Geschäft fort, schlecht und recht, ohne viel mehr als das Leben herauszuschlagen. Da traf ich in Hoboken mit einem Deutschen zusammen; er war Einwanderer und kam aus Plauen im Vogtland. Ich erkundigte mich natürlich nach meinen dortigen Verwandten und erfuhr zu meinem Erstaunen, dass sie bare hunderttausend Taler von dem Onkel Habakuk in Fayette geerbt hatten. Und ich nichts! Ich glaubte, der Schlag werde mich treffen! Ich hatte meinen Anteil auch zu verlangen und schrieb wohl zehn und noch mehr Briefe nach Fayette, bekam aber keine Antwort. Da verkaufte ich kurz entschlossen mein Geschäft und reiste hin.“

„Ganz recht, ganz recht, lieber Vetter! Nun, und der Erfolg?“

„War gar kein Erfolg, denn der Vogel hatte sich unsichtbar gemacht; er war ausgeflogen.“

„Welcher Vogel?“

„Das können Sie sich doch nun denken! Man hatte in Fayette geglaubt, der alte Josef Habakuk sei nur in guten Verhältnissen gestorben; dass er so reich gewesen war, hatte man nicht geahnt. Wahrscheinlich hat ihn sein Geiz abgehalten, es zu zeigen. Sein Bruder Tobias Holofernes war sehr arm vor ihm gestorben und er hatte dessen Sohn, seinen Neffen Nahum Samuel, zu sich in das Geschäft genommen. Dieser nun ist der Betrüger. Er hat zwar nicht umhin gekonnt, die hunderttausend Taler nach Plauen zu schicken, mit dem übrigen Geld aber hat er sich aus dem Staub gemacht, auch mit den hunderttausend Talern, die mir zufallen mussten.“

„Und mit den meinigen wahrscheinlich auch?“

„Jedenfalls!“

„Der Schurke! Vater zog von Plauen fort, weil er sich wegen der Konkurrenz mit dem Bruder arg verfeindet hatte. Diese Feindschaft wuchs trotz der Entfernung mehr und mehr, sodass keiner mehr etwas von dem andern wissen und hören wollte. Darüber ist Vater gestorben, sein Bruder in Plauen auch. Später schrieben mir dessen Söhne, sie hätten von dem Oheim Josef Habakuk in Amerika hunderttausend Taler geerbt. Ich fuhr sofort nach Plauen, um mich zu erkundigen. Da ging es freilich sehr hoch her. Die beiden Vettern wurden nicht anders als Timpes Erben genannt; sie hatten ihr Geschäft aufgegeben und lebten wie die Fürsten. Ich wurde sehr gut aufgenommen und musste einige Wochen bei ihnen bleiben. Von der alten Feindschaft wurde kein Wort gesprochen, aber ebenso wenig konnte ich etwas Näheres und Sicheres über den Onkel Josef Habakuk und seine Hinterlassenschaft erfahren. Die Vettern ließen mich ihren Reichtum sehen, aber meinen Anteil schienen sie mir nicht zu gönnen. Da machte ich es kurz entschlossen wie Sie: Ich verkaufte mein Geschäft, ging nach Amerika und begab mich von New York natürlich sofort direkt nach Fayette.“

„Ah, also auch! Wie fanden Sie es dort?“

„Ganz wie Sie, nur dass man mich auslachte. Man sagte mir, dass die dortigen Timpes niemals wohlhabend gewesen seien.“

„Unsinn! Verstanden Sie damals Englisch?“

„Nein.“

„So hat man Sie dort als Deutschen an der Nase geführt. Was haben Sie dann angefangen?“

„Ich wendete mich nach St. Louis, wo ich bei Mr. Henry, dem Erfinder des berühmten fünfundzwanzigschüssigen Henrystutzens, Arbeit nehmen und so viel wie möglich von seiner Kunst lernen und profitieren wollte, kam aber in der Stadt Napoleon am Arkansas und Mississippi in die Gesellschaft einiger Präriejäger, denen ich als Büchsenmacher recht war. Sie ließen mich nicht weiter und veranlassten mich, mit ihnen nach den Felsenbergen zu gehen. So bin ich ein Westmann geworden.“

„Und sind Sie zufrieden mit diesem Wechsel?“

„Ja. Lieber freilich wäre es mir, wenn ich meine hunderttausend Taler erwischt hätte und in dulci jubilo leben könnte, so wie Timpes Erben.“

„Hm! Das kann vielleicht noch werden.“

„Schwerlich! Mir ist später auch der Gedanke gekommen, dass der alte Josef Habakuk doch so reich gewesen und sein Neffe Nahum Samuel mit dem Geld entwichen sein könne. Ich habe nach ihm gesucht, mehrere Jahre lang, doch vergebens, wie ich Ihnen schon sagte.“

„Ich auch, und ebenso vergebens, doch nur bis vor kurzer Zeit, denn nun habe ich seine Spur.“

„Sei – ne – Spur? Wie – wa – wirk – lich?“, rief Kasimir, während er so schnell von seinem Sitz aufsprang, dass die Anwesenden aufmerksam wurden und ihre Blicke auf ihn richteten.

„Still, ruhig!“, warnte Hasael. „Man darf sich nicht so bald aufregen lassen. Ich habe aus ganz untrüglicher Quelle gehört, dass ein gewisser Nahum Samuel Timpe, früher Büchsenmacher und nun ungeheuer reich, jetzt in Santa Fe wohnt.“

„In Santa Fe da drüben? Da müssen wir hin, unverzüglich hin, wir beide, Sie und ich!“

„Bin damit einverstanden, Vetter. Es war natürlich meine Absicht, ihn aufzusuchen und zur Herausgabe des Geldes nebst Zinsen zu zwingen. Dass dies schwer, sehr schwer sein wird, habe ich mir nicht verhehlt, und darum freut es mich, Sie getroffen zu haben, denn zweien muss es leichter werden. Wir treten in einer solchen Weise vor ihn hin, dass er vor Schreck seine Schandtat eingesteht und das Geld augenblicklich aufzählt. Wir sind Westmänner und drohen ihm mit dem Gesetz der Prärie. Nicht?“

„Selbstverständlich, ganz und gar selbstverständlich!“, stimmte Kasimir höchst eifrig bei. „Welch ein Glück, dass ich Sie getroffen habe, Sie – Sie – Sie? Ist es nicht eine Dummheit, Vetter, uns Sie zu nennen, da wir so nahe Verwandte und Schicksalsgenossen sind?“

„Kommt mir auch so vor.“

„Also Brüderschaft machen, du sagen, nicht wahr?“

„Mir recht. Hier ist meine Hand; schlag ein! Wir füllen die Gläser wieder und leeren sie auf unser Wohl und auf das Gelingen unseres Vorhabens. Da, stoß an!“

„Prosit, Vetter, oder vielmehr: Prosit, lieber Hasael!“

„Prosit! Aber Hasael? Weißt du, man ist in den Staaten möglichst kurz, besonders mit den Namen. Man sagt Jim, Tim, Ben und Bob und spricht nicht alle Silben aus, wenn eine einzige genügt. Mein Vater sagte stets Has anstatt Hasael und ich habe mich daran gewöhnt. Mach du es ebenso!“

„Has? Hm! Dann müsstest du zu mir auch Kas sagen anstatt Kasimir?“

„Warum nicht?“

„Klingt das nicht sehr dumm?“

„Dumm? Unsinn! Es klingt, sage ich dir; mir gefällt es, und wie es andern klingen mag, das ist mir gleichgültig. Also nochmals prosit, lieber Kas!“

„Prosit, lieber Has! Aufs Wohl von Kas und Has, den neuesten Erben Timpes!“

Sie stießen still begeistert und nur leise ihre Gläser zusammen, um nicht die Aufmerksamkeit der andern Zecher auf sich zu ziehen. Dann meinte der dunkelköpfige Has: „Also auf nach Santa Fe! Aber das ist nicht so leicht und schnell ausgeführt, denn wir werden zu einem weiten Umweg gezwungen sein.“

„Warum?“, fragte der semmelblonde Kas.

„Weil wir durch das Gebiet der Komantschen müssten, wenn wir den kürzesten Weg einschlagen wollten.“

„Ich hörte doch nicht, dass diese Roten jetzt das Kriegsbeil ausgegraben haben!“

„Ich auch nicht; aber die Indsmen sind selbst im tiefsten Frieden kriegerisch und stets den Bleichgesichtern feind. Zudem traf ich gestern mit einem Pedlar[4] zusammen, der von ihnen kam. Du weißt, dass die Indsmen einem Pedlar fast niemals etwas Böses tun, weil sie ihn notwendig brauchen. Der sagte mir, dass der große Kriegshäuptling Tokvi Kava[5] jetzt nicht bei seinem Stamme sei, sondern sich mit einigen seiner besten Krieger entfernt habe, ohne zu sagen, wohin.“

„Tokvi Kava, der Jägerschinder? Das lässt allerdings vermuten, dass er wieder auf eine seiner Grausamkeiten sinnt. Ich fürchte mich wahrlich vor keinem Roten, aber sei man noch so mutig, besser ist es immer, einem solchen Burschen gar nicht zu begegnen. Darum schlage ich vor, lieber den Umweg zu machen und eine Woche später in Santa Fe anzukommen. Unser Nahum Samuel wird uns wohl nicht grad jetzt zum zweiten Mal davonlaufen.“

„Und wenn er liefe, wir haben seine Spur und würden ihn gewiss...“

Er wurde unterbrochen, denn der Engineer kam zurück und brachte noch zwei Männer mit. Kas und Has hatten im Eifer ihres Gesprächs das wiederholte Pfeifen einer Lokomotive überhört. Der Arbeitszug war angekommen, der Engineer hatte ihn abgefertigt und wurde nun bei der Rückkehr von seinem Aufseher und dem Magazinverwalter begleitet. Er nickte den beiden Westmännern grüßend zu und dann setzten sich die drei zu dem Mestizen an den für ‚Beamte und höhere Gentlemen‘ bestimmten Tisch. Sie ließen sich auch Grog geben und dann erkundigte sich der Mischling:

„Nun, Sir, sind Zeitungen angekommen?“

„Nein“, antwortete der Engineer, „die werden morgen erst eintreffen; aber Nachrichten habe ich erhalten.“

„Gute?“

„Leider nicht. Wir werden von jetzt an sehr wachsam sein müssen.“

„Warum?“

„Es sind in der Nähe der Rückstation Spuren von Indianern gesehen worden.“

Es war, als ob die halb unter den Lidern verborgenen Augen des Mischlings boshaft aufleuchteten, doch klang seine Stimme ganz gelassen, als er sagte:

„Das ist doch kein Grund, ungewöhnlich wachsam zu sein!“

„Ich denke doch!“

„Pshaw! Kein Stamm hat jetzt den Tomahawk des Krieges ausgegraben, und wenn es wäre, so darf man von einigen Fußstapfen nicht gleich auf Feinde schließen.“

„Freunde lassen sich sehen. Wer sich versteckt hält, der hat keine guten Absichten; das kann ich mir sagen, obgleich ich kein Scout und Westmann bin. Nun, Ihr seid ja ein tüchtiger Pfadfinder und in dieser Gegend bekannt; ich habe Euch angestellt, dass Ihr die Umgebung wachsam durchstreift.“

Durch die geschmeidige Gestalt und über das Gesicht des Mestizen ging ein leises Zucken, als ob er zornig auffahren wollte, doch beherrschte er sich wieder und antwortete in ruhigem Ton: „Ich werde es tun, Sir, obgleich ich weiß, dass es nicht nötig ist. Indianerspuren haben nur zur Kriegszeit böse Bedeutung. Und noch eins: Die Roten sind oft bessere und treuere Menschen als die Weißen.“

„Diese Ansicht macht Eurer Menschenliebe alle Ehre, aber ich könnte Euch mit vielen Beispielen beweisen, dass Ihr im Irrtum seid.“

„Und ich mit noch mehreren, dass ich Recht habe. Ist jemals ein Mensch treuer gewesen, als Winnetou zu Old Shatterhand ist?“

„Winnetou ist eine Ausnahme. Kennt Ihr ihn?“

„Gesehen habe ich ihn noch nicht.“

„Oder Old Shatterhand?“

„Auch noch nicht; aber alle ihre Taten kenne ich.“

„So habt Ihr auch von Tangua, dem Häuptling der Kiowas[6] gehört?“

„Ja.“

„Welch ein Verräter war dieser Schurke! Er warf sich damals, als Old Shatterhand noch Surveyor war, zu seinem Beschützer auf und hat ihm doch fort und fort nach dem Leben getrachtet. Er hätte ihn sicher ausgelöscht, wenn dieser Weiße nicht klüger und stärker als er gewesen wäre. Wo findet Ihr da die Treue, von der Ihr sprecht? Und dass die Spuren von Roten nur im Kriege Gefahr bedeuten – haben die Sioux Ogellallah nicht mitten im Frieden wiederholt Eisenbahnzüge überfallen? Haben sie nicht mitten im Frieden Männer getötet oder Weiber geraubt? Sie sind dafür bestraft worden, nicht von großen Jäger- und Militärhaufen, sondern von zwei einzelnen Menschen, von Winnetou und Old Shatterhand. Befände sich einer von ihnen hier, so würden mir allerdings die Indianerspuren wenig Angst bereiten.“

„Pshaw! Ihr übertreibt, Sir! Diese beiden Männer haben sehr viel Glück gehabt; das ist alles. Es gibt noch ebensolche und auch noch bessere, als sie sind.“

„Wo?“

Der Mestize sah ihm mit stolz herausforderndem Blick ins Gesicht und antwortete: „Fragt nicht, sondern seht Euch um!“

„Meint Ihr etwa Euch, Euch selbst?“

„Und wenn?“

Der Engineer wollte ihm eine zurechtweisende Antwort geben, wurde dieser aber enthoben, denn Kas kam mit zwei Schritten seiner langen Beine herbei, pflanzte sich hoch vor dem Mestizen auf und sagte: „Ihr seid der größte Schafskopf, den es geben kann, mein Sohn!“

Der Mischling sprang im Nu auf und riss sein Messer aus dem Gürtel; aber noch schneller hatte Kas seinen Revolver gespannt, hielt ihm diesen entgegen und warnte: „Keine Übereilung, my boy! Es soll Menschen geben, die eine Kugel durch ihren Dummkopf nicht vertragen können, und ich habe allen Grund anzunehmen, dass Ihr so einer seid.“

Der auf ihn gerichtete Lauf des Revolvers verbot dem Mestizen, sein Messer zu gebrauchen. Hierüber wütend, zischte er dem Langen zu: „Was habe ich mit Euch zu schaffen? Wer hat Euch erlaubt, Euch in unser Gespräch zu mischen?“

„Ich selbst, mein Junge, ich selbst. Und wenn ich mir etwas erlaube, so möchte ich den sehen, der es nicht leiden will!“

„Ihr seid ein Grobian, Sir!“

„Well, diese Antwort lass’ ich mir gefallen, denn ich sehe, dass Ihr Geschmack an mir findet. Sorgt nur dafür, dass ich auch welchen an Euch finde, sonst ergeht es Euch wie damals bei Timpes Erben!“

„Timpes Erben? Wer seid Ihr denn eigentlich, Sir?“

„Ich bin einer, der auf Winnetou und Old Shatterhand nichts kommen lässt; mehr braucht Ihr nicht zu wissen. Lebt wohl, my boy, und steckt Euer Stecheisen wieder in den Gürtel, damit Ihr Euch damit nicht etwa einen Schaden tut!“

Kas kehrte nach seinem Tisch zurück, wo er sich behaglich wieder niederließ. Der Mestize folgte seinen Bewegungen mit sprühenden Augen, seine Sehnen spannten sich, dem Beleidiger nachzuspringen, doch brachte er es nicht fertig. Es gab in der Haltung des langen, dünnen Mannes etwas, das ihm den Fuß bannte. Er steckte das Messer ein, setzte sich wieder nieder und murmelte, um sich vor seinen Tischgenossen zu entschuldigen, vor sich hin: „Der Kerl ist offenbar ein Narr und gar nicht im Stande, einen vernünftigen Menschen zu beleidigen. Lassen wir ihn schwatzen!“

„Schwatzen?“, antwortete der Engineer. „Der Mann scheint im Gegenteil Haare auf den Zähnen zu haben. Dass er für Old Shatterhand und Winnetou gesprochen hat, freut mich von ihm, denn die Taten und Erlebnisse dieser beiden Helden des Westens bilden mein Leib- und Lieblingsthema. Will doch einmal sehen, ob er sie auch wirklich kennt.“

Und sich an den andern Tisch wendend, fragte er: „Ihr bezeichnet euch als Westmänner, Sir. Seid Ihr jemals Winnetou oder Old Shatterhand begegnet?“

Die kleinen Mausaugen von Kas funkelten vor Vergnügen, als er antwortete: „Und ob! Bin zwei Wochen mit ihnen geritten.“

„Wetter! Wollt Ihr nicht herkommen und uns davon erzählen?“

„Nein.“

„Nicht? Warum denn nicht?“

„Weil ich kein Geschick zum Erzählen habe, Sir. Es ist mit dem Erzählen eine ganz eigene Sache; das muss angeboren sein. Ich habe es schon oft versucht, aber ich bringe es nicht fertig. Ich fange in der Regel in der Mitte oder hinten an und höre stets vorn auf. Ich kann Euch nur kurz sagen, dass wir damals eine Gesellschaft von acht Weißen waren und in die Gefangenschaft der Upsarokas gerieten, die uns für den Marterpfahl bestimmten. Das hatten Old Shatterhand und Winnetou erfahren. Sie suchten unsere Fährte, folgten ihr, beschlichen die Upsarokas und holten uns in der Nacht heraus, ganz allein, ohne alle Beihilfe, ein Meisterstück, wie es Euer Halfbreed[7] sicher nicht fertigbringt, das dort bei Euch sitzt und vorhin das Maul so voll genommen hat.“

Der Mestize wollte wieder aufbrausen, doch kam ihm der Engineer mit der schnellen Frage zuvor: „Wisst Ihr nicht, wo sich die beiden jetzt befinden, Sir?“

„Habe keine Ahnung. Es wurde einmal davon gesprochen, dass Old Shatterhand hinüber in eins der altmodischen Länder sei, Ägypten oder Persien heißt es wohl, aber bald wiederkommen werde.“

„Möchte sie doch gar zu gern einmal sehen. Und besonders auch ihre Waffen! Sind die wirklich so vorzüglich, wie man erzählt?“

„Will es meinen, Sir! Aus Winnetous Silberbüchse ist noch nie ein Fehlschuss gegangen; sie hat in ihrer Art nicht Ihresgleichen. Der Bärentöter Old Shatterhands ist wie ein furchtbares Ungetüm, das auf ungemein weite Entfernung trifft. Und nun erst sein Henrystutzen! Bedenkt, Sir: fünfundzwanzig Schüsse in einer halben Minute! Ich bin Büchsenmacher gewesen und verstehe, was das heißen will. Henry hat, glaube ich, nur zehn solcher Stutzen gefertigt; aber wer hat sie und wo sind sie? Keiner von ihnen ist bekannt als nur der Old Shatterhands. Welche Summen würde wohl ein Kenner dafür zahlen! – Aber, Sir, wenn Ihr uns einen Gefallen tun wollt, so sagt uns, wo wir unsere Pferde unterbringen können. Ich möchte sie gern sicher unter Dach und Fach haben, weil Ihr vorhin von Indianerspuren gesprochen habt.“

„Erscheinen Euch diese Spuren auch bedenklich?“

„Natürlich! Das kluge Halfbreed dort mag denken, was es will, ich weiß, woran ich bin.“

„So biete ich Euch den Werkzeugschuppen an, der ein gutes, festes Schloss besitzt; der Verwalter hier wird Euch führen und auch für Futter und Wasser sorgen.“

Der Genannte erhob sich bereitwillig von seinem Platz und Kas und Has folgten ihm hinaus zu ihren Pferden.

Die weißen Bahnarbeiter hatten der Unterhaltung ihre ganze Aufmerksamkeit geschenkt; das Gespräch war ihnen ebenso fesselnd gewesen wie ihrem Vorgesetzten. Dieser benutzte die Abwesenheit der beiden Jäger dazu, dem Mestizen sein Gebaren zu verweisen, was der Genannte mit scheinbarer Ruhe hinnahm, während er innerlich wütend war. Darüber verging einige Zeit, bis sich draußen wieder die Schritte von Pferden hören ließen.

„Was ist denn das?“, fragte der Engineer verwundert.

„Sie bringen die Pferde zurück, und es ist doch Platz genug für sie im Schuppen.“

Er blickte nach dem Eingang und sah zwei ganz andere Männer eintreten. Es waren ein Weißer und ein Indianer.

Der erste war von nicht sehr hoher und nicht sehr breiter Gestalt. Ein dunkelblonder Vollbart umrahmte sein sonnverbranntes Gesicht. Er trug ausgefranste Leggins und ein ebenso an den Nähten ausgefranstes Jagdhemd, lange Stiefel, die bis über die Knie heraufgezogen waren, und einen breitkrempigen Filzhut, in dessen Schnur sich rundum die Ohrenspitzen des fürchterlichen grauen Bären zeigten. In dem breiten, aus einzelnen Riemen verfertigten Gürtel steckten zwei Revolver und ein Bowiemesser; er schien rundum mit Patronen gefüllt zu sein und an ihm hingen mehrere Lederbeutel, die wahrscheinlich die einem Westmann nötigen kleineren Gegenstände bargen. Von der linken Schulter nach der rechten Hüfte lag ein zusammengeschlungener, aus mehrfachen Riemen geflochtener Lasso und um den Hals hing an einer Seidenschnur eine mit Kolibribälgen verzierte Friedenspfeife, in deren künstlerisch geschnittenen Kopf indianische Zeichen eingegraben waren. Ein breiter Riemen hielt auf dem Rücken dieses Mannes ein ungewöhnlich langes und schweres Doppelgewehr fest, während in der rechten Hand ein leichteres, einläufiges ruhte.

Der Indianer war genauso gekleidet wie der Weiße, nur dass er anstatt der hohen Stiefel leichte Mokassins trug, die mit Stachelschweinsborsten verziert waren. Auch eine Kopfbedeckung hatte er nicht, sondern sein langes, dichtes, blauschwarzes Haar war in einen hohen, helmartigen Schopf geordnet und mit einer Klapperschlangenhaut durchflochten. Um den Hals trug er den Medizinbeutel, eine höchst wertvolle Friedenspfeife und eine dreifache Kette von Grizzlykrallen, ein glänzender Beweis seiner Tapferkeit und seines Mutes, denn kein Indianer darf Siegeszeichen führen, die er sich nicht selbst erworben hat. Der Lasso fehlte ebenso wenig wie der Gürtel mit den Revolvern, dem Bowiemesser und den Lederbeuteln, und in der Rechten hielt der Indsman eine doppelläufige Büchse, deren Holzteile eng mit glänzenden silbernen Nägeln beschlagen waren. Der Ausdruck seines ernsten, männlich schönen Gesichts war fast römisch zu nennen; trotz des tiefdunklen Samts seiner Augen glänzte in ihnen ein ruhiges, wohltuendes Feuer; die Backenknochen standen kaum merklich vor und die Farbe seiner Haut war ein mattes Hellbraun mit einem leisen Bronzehauch.

Diese beiden Ankömmlinge waren keine Riesen von Gestalt, sie kamen ruhig und bescheiden herein und doch wirkte ihr Erscheinen geradezu außerordentlich. Das tolle Geschwätz der Chinesen verstummte im Nu; die weißen Arbeiter im kleinen Room standen unwillkürlich von ihren Sitzen auf; der Engineer, sein Aufseher und der Mischling taten dasselbe; der Shopman versuchte sogar eine Verbeugung fertigzubringen, die leider sehr eckig ausfiel.

Die beiden schienen das Aufsehen, das sie erregten, gar nicht zu bemerken; der Indsman grüßte nur mit einem leichten, aber keineswegs stolzen Neigen seines Kopfes und der Weiße sagte in freundlichem Ton: „Good evening, Mesch’schurs! Bleibt sitzen, wir wünschen nicht zu stören.“ Und sich dann an den Wirt wendend, fuhr er fort: „Kann man bei Euch ein gutes Mittel gegen den Hunger und den Durst bekommen, Sir?“

„Readily, with pleasure, Sir!“, antwortete dieser. „Es steht alles zu euren Diensten, was ich habe. Nehmt da am warmen Feuer Platz, Mesch’schurs! Es sitzen zwar schon zwei Westmänner da, die einmal hinausgegangen sind, aber wenn euch dies stört, so werden sie Platz machen.“

„Das wollen wir keineswegs. Sie waren eher da als wir und haben also ein größeres Recht. Wenn sie zurückkehren, werden wir sie fragen, ob sie uns bei sich haben wollen. Macht uns zunächst ein warmes Ingwerbier, dann werden wir sehen, was Ihr zu essen habt.“

Sie sahen an den zurückgelassenen Gewehren, wo Kas und Has gesessen hatten, und nahmen an der anderen Seite des Tisches Platz.

„Prächtige Kerls!“, flüsterte der Engineer seinen beiden Nachbarn zu. „Der Rote blickt wie ein König drein und der Weiße nicht weniger.“

„Und das Gewehr des Indsman!“, antwortete ebenso leise der Aufseher. „Die vielen silbernen Nägel daran! Ob das...“

„Zounds! Silberbüchse! Winnetou! Seht das schwere Doppelgewehr des Weißen! Ob das der berühmte Bärentöter ist? Und das kleine, leichte Gewehr! Vielleicht gar der Henrystutzen? Sollte...“

Da hörte man draußen vor dem Eingang die Stimme Kasimirs: „All devils! Was sind das für Pferde hier? Wer ist angekommen?“

„Weiß es nicht“, antwortete die Stimme des Verwalters, der mit den beiden Vettern von dem Schuppen zurückgekehrt war.

„Zwei Rapphengste mit roten Nüstern und dem Vollblutswirbel in der Mähne! Die kenne ich, und auch die Reiter, denen sie gehören. Indianisch aufgeschirrt! Es stimmt! Welch eine Freude! Genauso wie bei Timpes Erben! Kommt schnell herein; ihr werdet die zwei berühmtesten Männer des Westens sehen!“

Er kam in langen Schritten in das Innere des Gebäudes. Has und der Verwalter folgten ihm. Sein Gesicht glänzte vor freudiger Aufregung. Als er den Apatschenhäuptling und dessen weißen Freund und Blutsbruder erblickte, schoss er förmlich auf sie zu, streckte ihnen bewillkommnend beide Hände entgegen und rief: „Ja, sie sind’s; ich habe mich nicht geirrt! Winnetou und Old Shatterhand! Was für eine Freude das ist, was für eine große Freude! Gebt mir eure Hände her, Mesch’schurs, dass ich sie euch drücken kann!“

Old Shatterhand hielt ihm seine Rechte hin und antwortete mit einem freundlichen Lächeln: „Freut mich sehr, Euch zu sehen, Mister Timpe. Hier ist meine Hand. Wenn Ihr sie drücken wollt, so tut es ganz nach Belieben.“

Kas ergriff sie, schüttelte sie aus Leibeskräften und rief dabei entzückt: „Mister Timpe, Mister Timpe nennt Ihr mich? Ihr kennt mich also noch? Ihr habt mich nicht vergessen, Sir?“

„Man vergisst nicht so leicht einen Mann, mit dem man solche Dinge erlebt hat, wie wir beide damals mit Euch und Euern Gefährten.“

„Ja, ja, das war eine ungemein dicke Tinte, in der wir steckten. Wir sollten ausgelöscht werden; Ihr habt uns aber herausgeholt. Das werde ich Euch nie vergessen, darauf könnt Ihr Euch verlassen. Wir haben noch vorhin erst von diesem Abenteuer gesprochen. Wird auch Winnetou, der große Häuptling der Apatschen, mir erlauben, ihn zu begrüßen?“

Der Gefragte gab ihm die Hand und sagte in seinem ernsten und dabei doch so milden Ton: „Winnetou heißt seinen weißen Bruder willkommen und bittet ihn, sich mit hierher zu ihm zu setzen.“

Da stand der Engineer auf, verbeugte sich sehr höflich und sagte: „Verzeiht die Freiheit, die ich mir nehme, Gentlemen! Ihr dürft nicht hier sitzen, sondern ich lade euch ein, mit hinüber an unseren Tisch zu kommen, der nur für Beamte und hervorragende Personen reserviert ist.“

„Beamte und hervorragende Personen?“, antwortete nun Old Shatterhand. „Wir sind weder Beamte noch bilden wir uns ein, über andere emporzuragen. Wir sagen Euch Dank für die Einladung, bitten aber, hier bleiben zu dürfen.“

„Ganz wie Ihr wollt, Sir. Wir hätten nur so gern die Ehre gehabt, mit so berühmten Westmännern einen guten ‚Drink‘ tun und uns mit ihnen unterhalten zu dürfen.“

„Der Unterhaltung werden wir uns nicht entziehen. Ich vermute, dass Ihr Beamter dieser Bahnstrecke seid?“

„Ich heiße Leveret und bin der Engineer; hier seht Ihr meinen Aufseher und meinen Verwalter und dort sitzt der Scout, den wir angestellt haben, für unsere Sicherheit zu sorgen.“

Er zeigte bei diesen Worten mit der Hand auf die Personen, die er nannte. Old Shatterhand warf einen sehr kurzen, ganz unauffälligen, aber dabei doch scharf forschenden Blick auf den Mischling und fragte dann: „Ein Scout für eure Sicherheit? Wie heißt der Mann?“

„Yato Inda[8]. Er hat einen indianischen Namen, weil er von einer roten Mutter stammt.“

Der weiße Jäger musterte den Mestizen mit einem längeren, schärferen Blick und wandte sich dann mit einem so leisen „Hm!“, dass nur der Apatsche es hörte, ab. Was er dachte, war seinem Gesicht nicht anzusehen. Der Häuptling aber schien Grund zu haben, nicht ebenso zu schweigen; er wandte sich an den Scout: „Mein Bruder mag mir erlauben, ihn anzureden! Jedermann muss hier vorsichtig sein, und wenn zur Sicherheit dieses Camps ein Scout notwendig ist, so muss es Feinde geben, die das Lager bedrohen. Wer sind diese Leute?“

Der Mestize antwortete höflich, aber immerhin etwas kühl: „Es scheint, dass den Komantschen nicht zu trauen ist.“

Winnetou machte mit dem Kopf eine horchende Bewegung, als wolle er jedes Wort des Sprechenden besonders abschätzen. Auch nach erhaltener Antwort wartete er noch mehrere Sekunden, wie in sich hineinlauschend; dann fuhr er fort: „Hat mein Bruder einen Grund zu diesem Verdacht?“

„Einen wirklichen Grund nicht, nur eine Vermutung.“

„Mein Bruder heißt Yato Inda. Yato heißt ‚gut‘ und ist der Navajosprache entnommen, Inda heißt ‚Mann‘ und gehört der Apatschensprache an. Die Navajos sind auch Apatschen und so vermute ich, dass die rote Mutter meines halbfarbigen Bruders eine Apatschin gewesen ist.“

Dem Mischling war diese Frage sichtlich unangenehm; er versuchte, um die Antwort herumzukommen, indem er in abweisendem Ton erwiderte: „Wie kommt es, dass der große Winnetou sich um eine unbekannte Indianer-Squaw bekümmert?“

„Weil sie deine Mutter ist“, erklang es fest und scharf aus dem Mund des Häuptlings. „Und weil ich, wenn ich mich hier befinde, wissen will, was für ein Mann für die Sicherheit dieses Ortes zu sorgen hat. Welchem Stamm gehörte deine Mutter an?“

Bei diesem Ton und bei dem großen Auge, mit dem Winnetou ihn anleuchtete, konnte der Scout nicht schweigen. Er antwortete: „Dem Stamm der Pinal-Apatschen.“

„Und von ihr hast du das Reden gelernt?“

„Natürlich, ja.“

„Ich kenne alle Sprachen und Dialekte der Apatschen. Sie sprechen viele Laute mit Zunge und Kehle zugleich aus, zu denen du nur die Zunge nimmst, genau so, wie die Komantschen es machen.“

Da fuhr der Mestize auf: „Willst du damit etwa sagen, dass ich der Sohn einer Komantschin sei?“

„Und wenn ich dies behaupte?“

„Eine Behauptung ist noch kein Beweis. Und wenn meine Mutter eine Komantschin gewesen wäre, so folgt daraus noch lange nicht, dass ich es mit den Komantschen halte.“

„Allerdings nicht; aber kennst du Tokvi Kava, den ‚Schwarzen Mustang‘, welcher der grimmigste Häuptling der Komantschen ist?“

„Ich habe von ihm gehört.“

„Er hatte eine Tochter, welche die Squaw eines Bleichgesichts wurde; sie starben beide und hinterließen einen halbblütigen Knaben, der von dem ‚Schwarzen Mustang‘ zu größter Feindschaft gegen die Weißen erzogen wurde. Dieser Knabe wurde einst von einem Gespielen mit dem Messer in das rechte Ohr geschnitten. Wie kommt es, dass du wie ein Komantsche sprichst und einen Schlitz in demselben Ohr hast?“

Da sprang der Scout in die Höhe und rief zornig aus: „Diesen Schnitt verdanke ich gerade der Feindschaft der Komantschen; ich habe ihn im Handgemenge mit ihnen bekommen. Wenn du daran zweifelst, fordere ich dich auf, mit mir zu kämpfen.“

„Pshaw!“

Nur dieses eine Wort sagte Winnetou in unbeschreiblich nachlässigem Ton; dann wendete er sich ab und griff zu dem Ingwerbier, das der Wirt soeben brachte.

Wie gewöhnlich auf so unliebsame Szenen folgte eine tiefe Stille, ehe an den beiden Tischen das Gespräch wieder aufgenommen wurde. Nachher erkundigte sich der Engineer, ob Old Shatterhand und Winnetou die Absicht hätten, im Camp zu übernachten; als er eine bejahende Antwort erhielt, bot er ihnen seine Wohnung an und unterstützte seine Gastlichkeit mit dem Hinweis: „Den beiden vor euch gekommenen Gentlemen hat der Shopman ihr Lager bei sich angewiesen; da gibt es keine Plätze mehr. In der Nässe draußen werdet ihr doch nicht schlafen. Und hier im Schuppen, bei den schnarchenden, unreinlichen Chinamännern? Keineswegs! Wir haben uns Chinesen aus dem Westen verschreiben müssen, weil wir keine weißen Arbeiter finden konnten und weil sie billiger und auch leichter in Zucht zu halten sind als das Gesindel, auf das wir sonst angewiesen gewesen wären. Sagt, Sir, ob Ihr meine Einladung annehmen wollt!“

Old Shatterhand warf einen fragenden Blick auf Winnetou, sah, dass dieser leise bejahend den Kopf neigte, und antwortete: „Ja, wir nehmen sie an, vorausgesetzt, dass auch unsere Pferde eine sichere Unterkunft finden können.“

„Die finden sie. Wir haben die Pferde der beiden andern Gentlemen auch schon in Verwahrung genommen. Wollt ihr meine Wohnung vielleicht einmal ansehen?“

„Ja, zeigt sie uns! Es ist immer gut, den Ort, wo man die Nacht zubringt, vorher zu kennen.“

Winnetou und Old Shatterhand nahmen ihre Waffen und folgten dem Engineer nach einem nicht sehr entfernt liegenden, niedrigen Gebäude, dessen Wände aus Stein gemauert waren, weil es später die Wohnung der Brückenwache bilden sollte. Der Beamte öffnete und brannte ein Licht an. Es gab da einen Herd, einen Tisch, einige Stühle und außer verschiedenen Geräten und Geschirr eine breite Lagerstätte, auf der es an Platz nicht fehlte. Die beiden Gäste drückten ihre Zufriedenheit aus und wollten gehen, um nun auch ihre Pferde unterzubringen.

Da meinte der Engineer: „Wollt ihr nicht eure Sachen gleich hier lassen, warum die Decken und Gewehre unnötigerweise herumtragen?“

Es war kein Grund vorhanden, ihm Unrecht zu geben. Die Mauern waren stark und die Fenster so klein, dass kein Mensch einsteigen konnte; die aus starkem Holz hergestellte Tür hatte ein gutes Schloss und die genannten Gegenstände schienen also hier ganz sicher aufbewahrt zu sein; so wurden sie hier gelassen und dann brachte man die Pferde nach dem Schuppen, wo schon diejenigen der beiden Timpes standen. Sie erhielten Wasser und Futter und dann kehrte man nach dem Shop zurück.

Unterwegs erklärte er, dass sie auch in Beziehung auf das Nachtessen seine Gäste sein möchten, und fügte dann hinzu:

„Ich werde also heute Abend mit euch und nicht mit meinen Leuten speisen, zumal euch einer von ihnen, nämlich der Scout, nicht gefallen zu haben scheint. Sagt einmal, Mister Winnetou, habt Ihr Grund, ihm zu misstrauen?“

„Winnetou tut und sagt niemals etwas ohne Grund“, antwortete der Häuptling.

„Aber er ist stets treu und zuverlässig gewesen!“

„Winnetou glaubt nicht an diese Treue. Mein Bruder wird wohl erfahren, wie lange sie währt. Der Bursche nennt sich Yato Inda, den ‚Guten Mann‘, sein wirklicher Name aber wird wohl lauten Ik Senanda, was in der Sprache der Komantschen so viel wie ‚Böse Schlange‘ heißt.“

„Gibt es einen Komantschen dieses Namens?“

„Der Mischling, von dem Winnetou vorhin sprach, heißt so, nämlich der Enkel des ‚Schwarzen Mustangs‘.“

„Mister Winnetou, Euern Scharfsinn und Euer Urteil in allen Ehren, aber diesmal müsst Ihr Euch irren! Der Scout hat mir so viele Beweise von Treue gegeben, dass ich ihm vertrauen muss.“

„Mein weißer Bruder kann tun, was ihm beliebt; aber wenn Old Shatterhand und Winnetou nachher so sprechen, dass der Scout es hört, so wird alles, was sie sagen, nur zum Schein sein. Howgh!“

Als sie wieder im Shop angekommen waren, bestellte der Engineer bei dem Wirt ein gutes Abendessen für fünf Personen, denn er betrachtete die beiden Timpes nun auch als seine Gäste und setzte sich zu ihnen an den Tisch. Hier fragte Old Shatterhand den langen, blonden Kas, was ihn jetzt in diese Gegend geführt habe und wohin er von hier aus wolle. Der Genannte erzählte in kurzen Worten seine Erbschaftsgeschichte und auf welch sonderbare Weise er heute mit einem Vetter und Miterben zusammengetroffen war.

„Nun müssen wir nach Santa Fe“, fuhr er fort, „können aber leider nicht den nächsten Weg einschlagen.“

„Warum nicht?“

„Der Komantschen wegen. Wir wenden uns von hier aus östlich und biegen dann nach Süden um.“

„Hm! Vielleicht können wir zusammen reiten. Wir wollen ebenfalls nach Santa Fe, wenn auch nicht einer Erbschaft wegen.“

Da schlug Kas die Hände zusammen, dass es nur so knallte, und rief vor Entzücken überlaut: „Das ist ein Glück! Has, hörst du es? Wir dürfen mit Old Shatterhand und Winnetou reiten! Nun schere ich mich den Kuckuck um das ganze Komantschengesindel. Wir brauchen keinen Umweg zu machen, sondern reiten mitten hindurch.“

„Schreit doch nicht so!“, lächelte Old Shatterhand. „Zu solchem Jubel habt Ihr keinen Grund. Es kann auch uns nicht einfallen, mitten durch das Gebiet der Komantschen zu reiten, sondern wir waren, wie Ihr, entschlossen, nach Osten auszubiegen.“

„Ganz wie Ihr wollt. Wann meint Ihr, dass wir von hier aufbrechen, Sir?“

„Morgen, sobald wir ausgeschlafen haben. Da erreichen wir am Abend den Alder-Spring[9], wo wir bis früh lagern werden.“

Er legte auf diesen Namen einen besonderen Ton, denn er beobachtete während dieses Gesprächs den halbblütigen Scout heimlich und sah gar wohl, mit welcher Aufmerksamkeit dieser herüberhorchte, obwohl er sich den Anschein zu geben suchte, als nehme er nicht den geringsten Anteil. Er war übrigens nicht der Einzige, der ein so großes und heimliches Interesse für die beiden berühmten Freunde hegte.

Nämlich ganz nahe an der Bretterwand, die den großen, nur von Chinesen besetzten Raum von dem kleinen trennte, saßen schon vor Eintritt der beiden Timpes zwei ‚Söhne des Himmels‘[10] rauchend und trinkend beieinander. Sie mochten eine Art Vorarbeiter darstellen oder im Besitz einer sonstigen kleinen Würde sein, weil keiner ihrer Landsleute sich zu ihnen setzte. Sie konnten alles, was nebenan gesprochen wurde, hören und verstanden es auch, denn sie befanden sich schon seit mehreren Jahren in den Vereinigten Staaten und waren in San Francisco mit der englischen Sprache vertraut geworden.

Auf die Ankunft von Has und Kas hatten sie nicht mehr geachtet als alle andern auch; als aber drin im kleinen Raum von den Gewehren Old Shatterhands und Winnetous gesprochen wurde und von ihrem Wert, horchten sie schärfer hin. Dann kamen so ganz unerwartet diese beiden Männer und die Chinesen blickten erst mit Neugier und dann mit Verlangen durch die Bretterlücken nach ihnen, und es schien, als ob sie ihre Augen gar nicht von den kostbaren Gewehren der beiden wenden könnten. Als später der Engineer mit seinen Gästen zurückkehrte und die Letzteren ihre Gewehre nicht mehr bei sich hatten, schien es mit der bisherigen Ruhe der Chinesen aus zu sein. Ihre dünnen Augenbrauen gingen auf und nieder; ihre Lippen zuckten, ihre Finger bewegten sich krampfhaft, sie rutschten auf ihren Sitzen hin und her; sie hatten beide das gleiche Gefühl und den gleichen Gedanken, doch wollte keiner zuerst sprechen.

Endlich konnte sich der eine nicht länger beherrschen; er fragte leise: „Hast du alles gehört?“

„Ja“, antwortete der andere.

„Und gesehen?“

„Und gesehen!“

„Auch die Gewehre?“

„Auch!“

„Wie kostbar sie sind!“

„Ja.“

„Wenn wir sie hätten! Wie müssen wir arbeiten, wie müssen wir uns plagen und uns schinden, damit unsere Gebeine in der Heimat bei den Ahnen begraben werden können!“

Es trat eine Pause ein, sie überlegten. Nach einer Weile tat der eine einen langen Zug aus seiner Pfeife und fragte, während er listig mit den schiefen Augen blinzelte:

„Ahnst du, wo die Gewehre liegen?“

„Ich weiß es“, lautete die Antwort.

„Nun wo?“

„Im Hause des Engineers. Wenn wir sie hätten, könnten wir sie vergraben und niemand wüsste, wer sie geholt hat.“

„Und später könnten wir sie in Frisco[11] verkaufen. Wir bekämen viel, sehr viel Geld dafür; dann wären wir reiche Herren und könnten nach dem Reich der Mitte zurückkehren und alle Tage Schwalbennester essen.“

„Ja, das könnten wir wirklich, wenn wir nur wollten!“

Nach einer abermaligen Pause, während der sie in den gegenseitigen Mienen und Blicken zu lesen suchten, wurde das Gespräch fortgesetzt: „Das Haus des Engineers ist steinern und niemand kann durch die Fenster!“

„Und die Tür ist stark und hat ein sehr festes, eisernes Schloss!“

„Aber das Dach! Weißt du nicht, dass es aus Shingles[12] gemacht ist?“

„Ich weiß es. Wenn man eine Leiter hat, kann man eine Öffnung machen und einsteigen.“

„Leitern gibt es genug!“

„Ja; aber wo würde man die Gewehre vergraben? In der Erde? Da verderben sie.“

„Man müsste sie gut einwickeln. Im Lagerschuppen liegen mehr als genug Bastmatten umher.“

Sie hatten bisher im Flüsterton miteinander gesprochen; jetzt rückten sie noch näher zusammen und die Art und Weise, wie sie weitersprachen, konnte nur noch als ein fast unhörbares Zuraunen bezeichnet werden. Darauf verließen sie den Schuppen, der eine mehrere Minuten später als der andere.

Eben als dieser Letztere verschwunden war, trat ein neuer Ankömmling ein. Es war ein Indianer, dessen Anzug aus einem blauen Kalikohemd, ledernen Leggins und ebensolchen Mokassins bestand. Bewaffnet war er nur mit einem Messer, das im Gürtel steckte. Das Haar hing ihm lang und voll auf den Rücken hinab und am Hals trug er an einem Riemen einen großen Medizinbeutel.

Er blieb im Eingang stehen, um sein Auge an das plötzliche Licht zu gewöhnen, warf einen Blick durch die große Abteilung und ging dann langsamen Schrittes in die kleinere.

Ein Roter war hier natürlich keine seltene Erscheinung und so wurde dieser Indsman von den Chinesen kaum beachtet. Auch in dem kleinen Raum, wo die Weißen saßen, hatte sein Erscheinen keine andere Wirkung, als dass man ihn mit einem kurzen Blick überflog und dann nicht mehr beachtete. Er ging in der demütigen Haltung eines Menschen, der sich nur geduldet weiß, zwischen den Tischen hindurch und kauerte sich in der Nähe des Herdes nieder.

Als der Scout diesen Indianer kommen sah, ging ein schnelles Zucken über sein Gesicht, so blitzschnell, dass es von keinem der Anwesenden bemerkt wurde. Die beiden gaben sich den Anschein, als seien sie füreinander gar nicht vorhanden; aber hie und da flog doch unter den gesenkten Wimpern hervor ein Blick herüber oder hinüber, und diese Blicke schienen gegenseitig verstanden zu werden. Dann stand der Scout von seinem Tisch auf und schritt dem Ausgang zu, langsam und nachlässig schlendernd, wie jemand, der bei dem, was er tut, ganz ohne Absicht und Gedanken ist.

Aber es gab zwei, denen gerade diese große und so zur Schau getragene Absichtslosigkeit auffällig vorkam: Winnetou und Old Shatterhand. Sofort richteten sie ihre Augen scheinbar von der Tür weg, aber nur scheinbar, denn wer das wohlgeübte Auge eines Westmanns kennt, der weiß, dass es im Stande ist, auch von der Seite her so viele Strahlen aufzunehmen, um genau zu sehen, was da geschieht, wohin es nicht zu blicken scheint.

An der Tür angekommen, drehte sich der Scout für einige Sekunden um; er sah kein einziges Auge auf sich gerichtet und gab mit einer schnellen, kurzen Bewegung der Hand dem Roten ein Zeichen, dessen Bedeutung nur dem verständlich sein konnte, mit dem es verabredet worden war. Dann drehte er sich wieder um und trat in die dunkle Nacht hinaus.

Dieses Zeichen war ebensowohl von Winnetou wie auch von Old Shatterhand bemerkt worden; sie tauschten nur einen Blick miteinander aus und waren dann, ohne ein Wort gesprochen zu haben, darüber einig, was zu geschehen hatte. Was sie vermuteten und was sie wollten, war Folgendes: Der fremde Indianer stand im heimlichen Einvernehmen mit dem Scout, denn er hatte ein Zeichen von ihm bekommen. Heimlich war dieses Einvernehmen, weil sie darauf bedacht gewesen waren, es nicht sehen und wissen zu lassen. Aus dieser Heimlichkeit war auf eine böse Absicht zu schließen, der man unbedingt auf die Spur kommen musste. Es musste nun jemand dem Scout folgen, um sein Tun zu belauschen. Da nun mit Sicherheit anzunehmen war, dass es sich um den Indianer handle, wollte Winnetou dieses Beschleichen übernehmen. Leider durfte er da nicht zur Tür hinaus, denn diese war hell beleuchtet und der Scout stellte sich gewiss so auf, dass er jede Person, die den Schuppen verließ, sehen konnte. Glücklicherweise hatte der Apatsche vorhin bemerkt, dass es hinter den Fässern, Ballen und Kisten eine kleine Tür gab, wohl zu dem Zweck, diese Gegenstände herein- und hinausschaffen zu können, ohne dass man erst nach dem Haupteingang musste. Durch diese Hintertür wollte der Häuptling hinaus. Da dies aber möglichst unbemerkt zu geschehen hatte, so musste er warten, bis die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf Old Shatterhand gerichtet worden war, was sicherlich sofort geschah, sobald dieser mit dem Indianer zu sprechen begann.

Das war das Zweite, was man tun musste, nämlich den Indianer ins Verhör nehmen, um womöglich etwas aus ihm herauszulocken, was auf seine Absichten schließen ließ.

Old Shatterhand zögerte auch gar nicht, seine Forschung zu beginnen, und als alle auf ihn hörten und ihre Augen auf ihn richteten, glitt Winnetou von dem Tisch fort, um hinter den Fässern zu verschwinden und zu der erwähnten Tür zu gelangen.

Der Indsman war ein kräftig gebauter, in den mittleren Jahren stehender Mann. Bald zeigte es sich, dass er auch in Beziehung auf seinen Verstand kein Schwächling war. Dies hatte Old Shatterhand freilich vorausgesehen, denn solch heimliche und gefährliche Aufträge pflegt nur ein kluger Krieger zu bekommen.

„Mein roter Bruder hat sich fern von uns gesetzt. Will er nichts essen oder trinken?“, so lautete die erste Frage Old Shatterhands.

Der Rote antwortete nur mit einem Kopfschütteln.

„Warum nicht? Hast du weder Durst noch Hunger?“

„Juwaruwa hat Hunger und auch Durst, aber er hat kein Geld“, ließ sich jetzt der Rote hören.

„Juwaruwa, so ist dein Name?“

„So werde ich genannt.“

„Das heißt Elk in der Sprache der Upsarokas[13]. Gehörst du zu diesem Stamm?“

„Ich bin ein Krieger des Stammes.“

„Wo weidet er jetzt seine Pferde?“

„In Wyoming.“

„Und wie heißt sein Kriegshäuptling?“

„Er wird ‚Grauer Bär‘ genannt.

Old Shatterhand war zufälligerweise vor kurzer Zeit bei den Krähenindianern gewesen, die zum Volk der Dakotas gehören; er war also zu beurteilen im Stande, ob der Indianer ihn belog. Die Antworten enthielten die Wahrheit.

„Wenn mein Bruder nichts bezahlen kann, so mag er sich zu uns setzen und mit uns essen“, fuhr er fort.

Der Indianer warf einen forschenden Blick auf ihn und erklärte: „Juwaruwa ist ein tapferer Krieger; er isst nur mit Männern, die er kennt und die ebenso tapfer sind. Hast du einen Namen und wie lautet er?“

„Man nennt mich Old Shatterhand.“

„Old – Shatt...!“

Der Name blieb ihm im Munde stecken. Er hatte nur für einen Augenblick seine Ruhe und Selbstbeherrschung verloren, aber doch dadurch verraten, dass er erschrocken war. Er nahm sich schnell wieder zusammen und fuhr in scheinbarer Unbefangenheit fort: „Old Shatterhand? Uff! So bist du ein sehr berühmtes Bleichgesicht.“

„Mit dem du also essen kannst. Komm her zu uns und iss und trink!“

Anstatt dieser Aufforderung Folge zu leisten, ließ der Indsman seinen Blick suchend umhergehen und fragte:

„Ich sehe den roten Mann nicht, der an deiner Seite saß. Wo ist er hin?“

„Er wird draußen im anderen Raum sein.“

„Ich gewahrte nicht, dass er hinausging. Wenn du Old Shatterhand bist, so ist er wohl Winnetou, der Häuptling der Apatschen?“

„Er ist es. Wo hast du dein Pferd?“

„Ich reite nicht.“

„Wie? Ein Upsaroka, der sich so viele Tagesreisen südwärts von seinem Stamm befindet, hat kein Pferd? Hast du es unterwegs verloren?“

„Nein. Ich habe keins mitgenommen.“

„Auch keine Waffen als nur das Messer?“

„Keine.“

„Das muss ja sehr wichtige Gründe haben!“

„Ich habe einen Schwur getan, ohne Pferd und nur mit dem Messer zu gehen.“

„Warum?“

„Weil die Komantschen auch ohne Pferde und andere Waffen waren.“

„Komantschen? Wo waren sie?“

„Oben, nahe bei unseren damaligen Weidegründen in Dakota.“

„Komantschen so weit im Norden? Sonderbar.“

Old Shatterhand ließ seinen Zweifel auch im Ton mitklingen. Der Rote warf ihm einen fast höhnischen Blick zu und antwortete: „Weiß Old Shatterhand nicht, dass jeder indianische Krieger einmal nach Dakota muss, um den heiligen Ton zur Friedenspfeife zu holen?“

„Nicht jeder braucht dies zu tun und nicht jeder hat es getan.“

„Die Komantschen aber taten es. Sie begegneten mir und meinem Bruder; ihn erstachen sie und mir gelang es zu entkommen. Dann tat ich meinen Schwur und bin ohne Pferd und nur mit dem Messer hinter ihnen her; ich werde nicht ruhen, bis ich sie getötet habe!“

„Da du mich an die heiligen Bräuche mahnst, so wirst du wissen, dass kein Indsman auf dem Weg nach diesen Steinbrüchen einen anderen töten darf?“

„Die Komantschen begingen dennoch den Mord!“

„Hm! Aber warum diesen Schwur? Ohne Pferd und nur mit dem Messer! Wie willst du jagen? Wovon hast du unterwegs gelebt?“

„Habe ich dir das zu sagen?“, fragte der Indianer stolz, denn er glaubte, Old Shatterhand vollständig getäuscht zu haben.

„Nein“, antwortete dieser ruhig. „Ich kann nur nicht begreifen, dass du während so langer Zeit und auf einem so langen Weg auf kein Pferd gekommen bist.“

„Ich tat den Schwur und habe ihn gehalten.“

„Nein, sondern du hast ihn übertreten!“

„Beweise es!“

„Du hast heute im Sattel gesessen!“

„Uff, uff!“

„Ja, während des Regens.“

„Uff, uff!“, wiederholte der angebliche Upsaroka; es klang halb wie Schreck und halb wie Trotz. Er war aufgesprungen und stand jetzt nahe vor Old Shatterhand. Der weiße Jäger bückte sich, strich ihm mit beiden Händen an den Beinen nieder und sagte dann: „Deine Leggins sind an den Außenseiten nass und nach einwärts trocken. Die Innenseiten, die am Leibe des Pferdes anlagen, hat der Regen nicht treffen können.“

Auf diesen scharfsinnigen Beweis war der Indianer nicht gefasst gewesen, aber seine Schlauheit gab ihm schnell eine Ausrede ein: „Jedes Kind weiß, dass die Innenseiten der Hosen eher trocken werden als die äußeren. Old Shatterhand hat noch viel zu lernen!“

Diese Frechheit war groß; der Jäger blieb dennoch ruhig. Er hatte sich bisher der englischen Sprache bedient, deren der Rote leidlich mächtig war; jetzt aber legte er ihm eine Frage im Dialekt der Upsarokas vor und erhielt keine Antwort. Er sprach noch einige andere Fragen aus, doch mit demselben Misserfolg; dann legte er dem Indsman schwer die Hand auf die Schulter und sagte englisch: „Warum antwortest du mir nicht? Ist dir die Sprache deines eigenen Stammes unbekannt?“

„Ich habe den Schwur getan, sie nicht eher zu sprechen, als bis der Tod meines Bruders gerächt worden ist.“

„So, deine Schwüre scheinen alle außerordentlich sonderbar ausgefallen zu sein! Noch viel sonderbarer aber ist die Dummheit, in der du dir einbildest, mich betrügen zu können. Gerade deine Sprache ist’s, die dich verrät. Ich weiß ganz genau, wie ein Upsaroka und wie jeder andere Stamm die Sprache der Bleichgesichter redet. Du bist nicht ein Krähenindianer, sondern ein Komantsche. Hast du den Mut, dies einzugestehen?“

„Die Komantschen sind meine Feinde; das habe ich dir bereits gesagt!“

„Gerade, dass du sie deine Feinde nennst, ist für mich der Beweis, dass du einer bist!“

„So machst du mich zum Lügner? Das ist die Sitte der Weißen, ihre roten Gäste zu beleidigen. Ich gehe!“ Er wollte nach der Tür.

„Du bleibst!“, gebot Old Shatterhand, indem er ihn beim Arm ergriff.

Da zog der Indianer sein Messer und rief: „Wer hat das Recht, mich zu halten? Du? Was habe ich dir getan? Nichts! Ich werde gehen, und jeder, der mich daran hindern will, bekommt dieses Eisen in das Herz!“

Old Shatterhand hielt ihn trotzdem mit der Linken fest, entriss ihm mit einem schnellen Griff seiner rechten Hand das Messer und wiederholte: „Du bleibst! Wir warten, bis Winnetou zurückkehrt; dann wird es sich entscheiden, ob du gehen darfst oder nicht. Kauere dich wieder hin, wo du vorhin gehockt hast. Ein Versuch zur Flucht bringt dir eine Kugel.“

Er schleuderte ihn nach der betreffenden Stelle hin; der Indsman stürzte dort nieder; er wollte sich aufraffen, besann sich aber anders und blieb kauern. Old Shatterhand setzte sich wieder zum Essen nieder und legte den gespannten Revolver neben sich, um seiner Drohung Nachdruck zu geben.

Das unterbrochene Abendmahl wurde fortgesetzt, doch kam das Gespräch nicht mehr in Fluss. Nach einiger Zeit kehrte der Scout zurück und setzte sich an seinen Platz. Da er den Indianer in derselben Stellung fand, die dieser vorher eingenommen hatte, so ahnte er nicht, was inzwischen geschehen war. Der Verwalter und der Aufseher, die bei ihm saßen, erzählten es ihm; er hörte es und blieb äußerlich ruhig, obgleich er innerlich große Sorge hatte, von Winnetou belauscht worden zu sein.

Als der Apatsche vorhin durch die Hintertür geglitten war, hatte er sich in einem weiten Bogen nach vorn geschlichen, in der Meinung, dort den Scout bei irgendeinem Streich zu ertappen. Die breite, offene Tür des Shops war hell erleuchtet, und wenn man sie, immer weiter gehend, unausgesetzt im Auge behielt, musste man jeden Menschen sehen, der sich zwischen ihr und diesem Auge befand.

Winnetou schlug seinen Bogen weiter und immer weiter, vergeblich! Er blieb oft halten und lauschte in die Nacht hinaus, ebenso vergeblich. Er kehrte zurück und begann von Neuem, wieder ohne Erfolg.

Darüber verging die Zeit, bis er eine Gestalt von seitwärts her kommen und sich dem Shop nähern sah; als sie die Tür erreichte und hineinging, erkannte er, wer es war.

„Uff! Das war der Scout“, sagte er zu sich selbst. „Er scheint doch nichts Heimliches vorgehabt zu haben; darum habe ich hier umsonst nach ihm gesucht. Winnetou hat sich einmal geirrt. Old Shatterhand wird sich sehr darüber wundern.“

Er gab sich nun keine Mühe, unbemerkt zurückzukehren, sondern benutzte die vordere, helle Tür. Als der Scout ihn kommen sah, fühlte er seinen Puls schneller gehen. Jetzt musste es sich zeigen, ob der Apatsche etwas erlauscht hatte oder nicht. Dieser setzte sich neben Old Shatterhand, der ihm das Ergebnis des Verhörs mitteilte und am Schluss leise fragte: „Hat mein roter Bruder Glück gehabt?“

„Winnetou konnte weder Glück noch Unglück haben, weil er sich im Irrtum befand. Es hat gar nichts vorgelegen.“

„Aber das Zeichen, das der Scout dem Roten gab?“

„Das war vielleicht kein Zeichen, sondern eine unwillkürliche Armbewegung.“

„So hätte auch ich mich geirrt und das möchte ich kaum annehmen. Und dieser Indsman da ist kein Upsaroka, sondern ein Komantsche.“

„Hat er dir oder mir oder einem anderen etwas getan?“

„Bis jetzt freilich noch nicht.“

„So darf man ihn auch noch nicht als Feind behandeln. Mein Bruder Shatterhand mag ihn freigeben.“

„Nun wohl, weil du es willst; aber ich tue es nur ungern.“

Er sagte dem Roten, dass er sich entfernen könne. Dieser stand langsam auf und forderte sein Messer zurück.

Als er es erhalten hatte, steckte er es mit den Worten in den Gürtel: „Dieses Messer hat heute mehr Arbeit bekommen, denn ich habe bei mir einen neuen Schwur getan. Old Shatterhand wird bald erfahren, ob dieser auch so sonderbar ist wie vorher die anderen!“

Nach dieser Drohung entfernte er sich raschen Schrittes. Das Gesicht des Scouts hatte während der letzten Minute einen höchst beunruhigten, ja ängstlich gespannten Ausdruck angenommen; jetzt aber veränderte es sich in der Weise, dass in seinen Zügen ein offenbarer, nicht zu beherrschender Hohn zu lesen war. Winnetou flüsterte Old Shatterhand zu: „Mein Bruder sehe den Mestizen an!“

„Ich sehe ihn.“

„Er verlacht uns!“

„Leider wird er Veranlassung dazu haben.“

„Ja. Seine Handbewegung vorhin war also doch ein Zeichen für den Indianer, den du für einen Komantschen hieltest. Wir haben uns nicht geirrt.“

„Du hast ihn draußen nicht gefunden. Wer weiß, was für eine Teufelei da ausgeheckt worden ist. Desto schärfer müssen wir ihn von jetzt an im Auge behalten. Ich bin überzeugt, dass er ein gefährlicher Mensch ist.“

Old Shatterhand hatte Recht, wenn er den Mestizen einen gefährlichen Menschen nannte, und es war draußen wirklich eine Teufelei verabredet worden.

Als der Scout den Schuppen verlassen hatte, war er zunächst vorsichtig aus dem Lichtkreis gewichen, den die brennenden Feuer hinaus ins Freie warfen. Dann gerade senkrecht von dem Shop aus weitergehend, hatte er ungefähr dreihundert Schritte zurückgelegt, bis er eine leise Stimme hörte, die seinen Namen nannte; aber es war nicht der Name, den er hier im Camp trug, sondern ein ganz anderer, denn die Stimme erklang: „Komm hierher, Ik Senanda[14]! Hier stehen wir.“

Er war also wirklich der, für den ihn Winnetou gehalten hatte, der halbblütige Enkel des ‚Schwarzen Mustangs‘, des ‚grimmigsten‘ Häuptlings der Komantschen.

Als er dem Ruf folgte, sah er bald drei Indianer vor sich stehen, von denen der eine sich durch eine ungemein hohe und kräftige Gestalt auszeichnete. Das war der Häuptling selbst, der ihn mit den Worten begrüßte: „Willkommen, du Sohn meiner Tochter! Ich sandte Kita Homascha[15], den listigsten meiner Krieger, in das Haus, damit du wissen möchtest, dass ich gekommen bin und auf dich warte. Hast du mit ihm gesprochen?“

„Kein Wort. Seine bloße Ankunft war für mich genug.“

„Du hast klug gehandelt, denn man hätte vielleicht Argwohn schöpfen können. Wir haben hier einen guten Platz und können nicht überrascht werden, weil wir bei der Helle der offenen Tür einen jeden sehen, der aus dem Hause tritt. Auch haben wir es ja nur mit Leuten zu tun, die nichts vom Leben des Wilden Westens verstehen.“

„Du irrst. Es sind Männer hier, die es sehr genau kennen.“

„Uff! Wer sollte das sein? Sage es!“

„Zuerst kamen zwei sehr lange und sehr dürre Reiter, die bis morgen hierbleiben. Der eine nannte sich Timpe und der andere scheint ebenso zu heißen.“

„Timpe? Pshaw! Kein tapferer Krieger hat jemals diesen oder einen ähnlichen Namen gehört.“

„Dann aber kamen noch zwei andere: Winnetou und Old Shatterhand!“

„Uff, uff! Die hat der böse Manitou hierher geführt.“

„Nicht der böse, sondern der gute. Erst erschrak ich freilich auch; dann aber, als ich sie sprechen hörte, kam Freude über mich.“

„Du wirst mir sagen, was du gehört hast, aber nicht hier. Wir müssen fort.“

„Fort? Warum?“

„Weil ich weiß, wie solche Männer denken und handeln! Haben sie mit dir gesprochen?“

„Winnetou fragte mich aus. Er glaubte nicht, dass ich Yato Inda heiße und hielt mich für den Sohn deiner Tochter.“

„Der Apatsche hat also Verdacht geschöpft und wird dir jetzt folgen, um dich zu beobachten. Wir müssen uns sofort eine andere Stelle suchen.“

„Wir sehen ihn ja, wenn er aus der hellen Tür hervortritt.“

„Du kennst ihn nicht. Er berechnet alles und weiß, dass ein Feind, der dieses Camp beschleicht, sich gerade dieser Tür gegenüber aufstellen wird, weil er da alles sehen kann. Winnetou wird also hierherkommen, und zwar nicht durch die erleuchtete Tür. Gibt es noch einen zweiten Ausgang?“

„Eine kleine Tür, die hinter dem Vorratsraum liegt.“

„Er wird diese benutzen und sich dann im Dunkeln hierher schleichen. Wir müssen nach der anderen Seite hinüber. Komm!“

Sie huschten in einem weiten Bogen rechts um den Shop, während Winnetou den seinigen links herum schlug und sie also nicht mehr vorfand. Dort blieben sie unter einem Baum stehen und der Scout erzählte, was er gehört hatte. Der Häuptling hörte ihm mit größter Spannung zu und sagte dann, vor Freude beinahe laut werdend: „Nach dem Alder-Spring wollen sie? Morgen Abend werden sie dort sein? Wir ergreifen sie; wir ergreifen sie dort; sie können uns gar nicht entgehen! Welch einen Jubel wird es bei uns geben, wenn wir diese kostbare Beute geschleppt bringen und sie martern, dass sie heulen wie geschundene Kojoten! Diese beiden Skalpe sind viel mehr wert als die vielen Zöpfe, auf die es eigentlich abgesehen ist!“

Er erging sich in noch weiteren Ausdrücken der Freude, bis sein Enkel ihn unterbrach: „Ja, wir werden sie ganz gewiss fangen und zu Tode martern; aber willst du deshalb auf die Chinesen verzichten, die ich euch in die Hände liefern sollte?“

„Nein, du bist ja deshalb in den Dienst der Männer vom Feuerross getreten, und wir sind heute hierhergekommen, um dich zu fragen, ob es nicht bald geschehen kann.“

„Ich bin an jedem Tag bereit, hoffe aber, dass ihr das mir gegebene Wort halten werdet!“

„Wir halten es. Oder meinst du, dass ich den Sohn meiner Tochter betrügen werde? Alles Geld und alles Gold und Silber ist dein; alles andere, die Kleider, die Werkzeuge, die Vorräte und besonders die Skalpe der Männer mit den langen Zöpfen, gehört uns. Wir sind es gewöhnt, dass die Bleichgesichter uns alles rauben; wir müssen vor ihnen weichen, denn sie sind mächtiger als wir; nun aber kommen auch diese Gelbhäute und bauen Brücken und Eisenwege auf dem Boden, der uns gehört; sie werden alle ihr Leben lassen müssen und die Krieger der Komantschen werden den Ruhm haben, die ersten roten Männer zu sein, welche die neuen Skalpe der langen Zöpfe besitzen. Wir verzichten nicht darauf und du wirst uns jetzt alle Auskunft erteilen, die zu einem Überfall nötig ist.“

Nun folgten ausführliche Auseinandersetzungen über Örtlichkeit und die einzelnen Teile des Camps, über die Art und Weise, wie der Überfall vorzunehmen sei, und über die Beute, die zu erwarten war. Dann gab der ‚Schwarze Mustang‘ seinen beiden Begleitern das Zeichen, wieder zu ihm zu stoßen, denn sie hatten sich nach den Seiten hin entfernt, um als Wächter dafür zu sorgen, dass er nicht überrascht und entdeckt wurde.

Das Ergebnis dieser geheimen Zusammenkunft war, dass zunächst morgen Abend Old Shatterhand und Winnetou mit Kas und Has am Alder-Spring gefangen genommen werden sollten; die Zeit des Angriffs der Komantschen auf Firwood-Camp werde man dann dem Scout durch einen Boten melden. Hierauf verabschiedete er sich von den drei Verbündeten und kehrte nach dem Shop zurück.

Der ‚Schwarze Mustang‘ suchte mit den beiden Komantschen eine nahe Stelle aus, wo der Verabredung gemäß die Rückkehr des nach dem Shop gesandten Boten zu erwarten war. Er stellte sich bald darauf ein und berichtete voller Ingrimm, wie Old Shatterhand mit ihm verfahren war. Als er hörte, dass dieser mit Winnetou überfallen werden sollte, zischte er vor Freude zwischen den Zähnen hervor: „Er soll es bereuen, dass er sich an mir vergriffen hat, denn ich werde es sein, der ihm die fürchterlichsten Qualen bereitet!“

Eben schickten sich die Roten an, die Stelle zu verlassen und zu den Pferden zu gehen, die sie versteckt hatten, da hörten sie Schritte. Augenblicklich warfen sie sich auf den Boden nieder, obgleich dieser nass und schlammig war. Aber sie lagen den beiden Männern, die vorüber wollten, gerade im Wege; der eine stürzte über den Häuptling weg und riss den andern mit sich nieder.

Im Nu wurden sie ergriffen und festgehalten.

„Schreit nicht, sonst kostet es euer Leben!“, befahl der Häuptling. „Wer seid ihr?“

„Wir sind Arbeiter“, antwortete der eine angstvoll.

„Steht auf, aber tut keinen einzigen Schritt von hier fort, wenn euch euer Leben lieb ist! Warum schleicht ihr so heimlich hier herum? Wenn ihr Arbeiter seid, die zu diesem Camp gehören, braucht ihr das doch nicht zu tun!“

„Wir sind nicht geschlichen!“

„Doch! So leise und gebückt geht kein Mensch, der sich sehen lassen will. Was habt ihr da in den Händen?“

„Gewehre.“

„Gewehre? Wozu brauchen Arbeiter Gewehre? Zeigt her; ich will sie sehen!“

Er entriss sie ihnen, betastete sie und hob dann jedes einzelne empor, um es gegen den Himmel besser betrachten zu können.

„Uff, uff, uff!“, ließ er sich dann zwar leise, aber im Tone freudigen Erstaunens hören. „Diese drei Gewehre sind hier im Westen wohlbekannt. Die Flinte mit den vielen Nägeln muss die Silberbüchse Winnetous, unseres Feindes, sein. Und wenn das richtig ist, so gehören die beiden anderen dem Bleichgesicht Old Shatterhand; es ist der Henrystutzen und der Bärentöter. Habe ich richtig vermutet?“

Die Chinesen schwiegen auf diese an sie gerichtete Frage. Sie sahen, dass sie Indianer vor sich hatten, und fürchteten sich. Sie zitterten förmlich und waren sogar zu feig, einen Fluchtversuch zu wagen.

„Redet!“, fuhr er sie an. „Gehören diese Gewehre Old Shatterhand und Winnetou?“

„Ja“, hauchte derjenige von ihnen, der bis jetzt gesprochen hatte.

„So habt ihr sie gestohlen?“

Der Gefragte schwieg abermals.

„Ich sehe, dass ihr Wagare-Saritsches[16] seid, denen solche Männer ihre Gewehre niemals anvertrauen würden. Wenn du es nicht gestehst, stoße ich dir das Messer augenblicklich in den Leib! Sprich!“

Da beeilte sich der Chinese zuzugeben: „Wir haben sie heimlich genommen.“

„Uff! Also doch! Winnetou und Old Shatterhand müssen sich sehr sicher fühlen, dass sie sich hier von ihren Gewehren getrennt haben. Ihr seid Diebe. Wisst ihr, was ich mit euch tun werde? Ihr habt den Tod verdient!“

Da warf sich der Chinese auf die Knie nieder, hob die Hände und flehte: „Töte uns nicht!“

„Wir sollten euch freilich das Leben nehmen; aber wir werden euch laufen lassen, wenn ihr tut, was ich euch befehle.“

„Sage es, oh, sage es! Wir werden gehorchen!“

„Gut! Warum habt ihr die Gewehre gestohlen? Ihr könnt sie doch nicht brauchen, denn ihr seid keine Jäger.“

„Wir wollten sie verkaufen, denn wir haben gehört, dass sie sehr, sehr viel Geld wert seien.“

„Wir kaufen sie euch ab.“

„Wirklich? Wirklich? Ist das wahr?“

„Ich bin der Häuptling der Komantschen. Mein Name lautet Tokvi Kava, was in der Sprache der Bleichgesichter ‚Schwarzer Mustang‘ heißt. Habt ihr von mir gehört?“

Jawohl, sie hatten von ihm gehört, und zwar so viel Schlimmes, dass der Chinese tief erschrocken antwortete:

„Der ‚Schwarze Mustang‘?! Ja, wir kennen dich!“

„So wirst du wissen, was für ein großer und berühmter Häuptling ich bin und dass alles, was ich sage, stets die Wahrheit ist. Ich kaufe dir die Gewehre ab.“

„Wie viel gibst du uns dafür?“

„Mehr als jeder andere euch geben würde.“

„Was?“

„Euer Leben. Ein solcher Diebstahl wird mit dem Tod bestraft; ich schenke euch aber für die Flinten das Leben.“

„Das Leben? Nur das Leben?“, fragte der Zopfträger zitternd und enttäuscht.

„Ist das nicht genug?“, zischte ihn der Rote an. „Können solche Burschen, wie ihr seid, mehr bekommen als das Leben? Was wollt ihr noch?“

„Geld.“

„Geld! Also Metall! Wenn ihr Metall wollt, könnt ihr auch dies haben, nämlich das Eisen unserer Messer; sie sind so scharf und spitz, dass ihr genug davon bekommen werdet. Wollt ihr es?“

„Nein, nein! Verschone uns!“, stöhnte der Chinese. „Wir wollen leben; behalte die Gewehre!“

„Das ist dein Glück, du gelbe Kröte! Und nun höre, was ich dir noch befehle! Old Shatterhand und Winnetou werden sehr bald merken, dass ihre Flinten fort sind; es wird sich ein großer Lärm erheben; sie werden suchen und fragen. Was werdet ihr da tun?“

„Wir werden schweigen.“

„Das müsst ihr. Kein Wort dürft ihr sagen, kein einziges Wort, sonst nehmen sie euch das Leben, weil ihr die Diebe seid. Aber auch von uns dürft ihr nicht sprechen, denn wenn sie erfahren, dass ihr uns getroffen und mit uns gesprochen habt, so erraten sie alles und ihr seid doch verloren. Werdet ihr diesem meinem Befehl gehorchen?“

„Wir werden schweigen, als ob wir tot wären!“

„Das fordere ich von euch, denn wenn ihr verrietet, dass wir hier gewesen sind, würden wir kommen und Rache nehmen; ihr würdet unter tausend Qualen am Marterpfahl sterben. Und nun noch eine Frage: Sind euch die Namen Iltschi und Hatatitla[17] bekannt?“

„Nein.“

„So heißen die Pferde von Winnetou und Old Shatterhand. Wisst ihr, wo diese stehen?“

„Im Schuppen, der dort hinter uns liegt. Wir hörten, dass sie dorthin geschafft wurden.“

„So sind wir mit euch fertig. Also denkt an meine Warnung und schweigt! Jetzt könnt ihr gehen!“

Er gab jedem von ihnen einen Fußtritt und dann verschwanden sie schleunigst im Dunkel der Nacht, froh darüber, dass ihnen wenigstens das Leben geblieben war.

„Uff! Glücklicher konnten wir nicht sein!“, sagte der Häuptling im Tone größter Befriedigung zu seinen Leuten. „Wir haben das Zaubergewehr, den Bärentöter und die Silberbüchse. Nun werden wir uns auch noch die Hengste holen, die außer meinem Mustang nicht Ihresgleichen haben.“

„Will Tokvi Kava nach dem Schuppen gehen?“, fragte derjenige, der unter dem Namen Juwaruwa als Spion im Shop gewesen war.

„Meint mein Bruder, dass ich die Pferde stehen lassen soll? Wenn mein Mustang nicht wäre, so würden sie die besten Pferde von einem großen Wasser bis zum anderen sein. Wir holen sie, denn sie sind wohl ebenso viel wert wie die Gewehre, die wir den gelben, langzopfigen Burschen abgenommen haben.“

Sie schlichen sich lautlos nach dem Schuppen, dessen Tür kein wirkliches Schloss, sondern nur einen Riegel hatte, und lauschten. Drinnen ließen sich vereinzelte Hufschläge vernehmen, wenn ein Pferd mit dem Bein stampfte. Es war finster im Innern. Ein Wächter schien nicht da zu sein, sonst wäre der Raum erleuchtet gewesen.

Der Häuptling schob den Riegel zurück, öffnete die Tür ein wenig, stellte sich so, dass er von innen nicht gesehen werden konnte, und rief halblaut einige Male in englischer Sprache hinein, als ob er ein Bekannter des etwa doch anwesenden Postens sei. Es erfolgte keine Antwort. Nun traten die vier Indianer ein.

Die Pferde der beiden Timpes waren ganz nach hinten geschafft worden, die Rapphengste standen fast ganz vorn. Der Häuptling erkannte dies trotz der Dunkelheit sehr bald.

„Sie stehen hier“, sagte er. „Nehmt euch in Acht! Reiten dürfen wir sie nicht, denn sie kennen uns nicht; wir müssen sie führen und werden ohnehin draußen mit ihnen zu tun bekommen, sobald sie merken, dass es fort gehen soll und ihre Herren nicht dabei sind.“

Die Rapphengste wurden vorsichtig losgebunden und langsam hinausgeführt. Sie folgten den Komantschen zwar, ohne sich zu widersetzen, aber doch in einer Weise, die zeigte, dass sie Verdacht geschöpft hatten. Die Tür wurde wieder verriegelt und dann entfernten sich die Indsmen mit ihrem kostbaren Raub. Der tiefe, weiche Schlamm, den der Regen gebildet hatte, ließ die Schritte der Menschen und der Tiere nicht hörbar werden.

Tokvi Kava fühlte sich außerordentlich befriedigt von dem Streich, den er den beiden berühmten, von ihm aber so sehr gehassten Männern heute spielen durfte. Er war seiner Sache vollständig sicher und hegte die Überzeugung, am heutigen Abend ganz fehlerlos schlau gehandelt zu haben. Und doch irrte er sich. Er hatte in seiner Rechnung einiges vergessen, nämlich den Scharfsinn der beiden Bestohlenen und die vorzüglichen Eigenschaften sowie die ebenso gute Dressur der Pferde, die nicht gewohnt waren, ohne Erlaubnis ihrer Herren fremden Menschen zu gehorchen. Der größte Fehler jedoch, der von ihm begangen worden war, bestand darin, dass er den Chinesen seinen Namen genannt hatte. Er nahm zwar mit Sicherheit an, dass sie nichts verraten würden, aber einem Winnetou und seinem weißen Freund gegenüber war das eine unverzeihliche Unvorsichtigkeit.

Der schwarze Mustang

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