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ОглавлениеAssad-Bei, der Herdenwürger
Die Steppe! –
Im Süden des Atlas, des Gharian und der Gebirge von Derna liegt sie, von welcher Freiligrath so treffend sagt:
»Sie dehnt sich aus von Meer zu Meere;
Wer sie durchritten hat, dem graust.
Sie liegt vor Gott in ihrer Leere
Wie eine leere Bettlerfaust.
Die Ströme, die sie jach durchrinnen,
Die ausgefahrnen Gleise, drinnen
Des Kolonisten Rad sich wand,
Die Spur, in der die Büffel traben –
Das sind, vom Himmel selbst gegraben,
Die Furchen dieser Riesenhand.«
Von dem Gebiete des Mittelmeeres sich bis zur Sahara erstreckend, also zwischen dem Sinnbilde der Fruchtbarkeit, der Civilisation und dem Zeichen der Unfruchtbarkeit, der Barbarei, bildet sie eine breite Reihe von Hochebenen und nackten Höhenzügen, deren kahle Berge wie die klagenden Seufzer eines unerhörten Gebetes aus traurigen, öden Flächen emporsteigen. Kein Baum, kein Haus! Höchstens ein einsames, halb verfallenes Karawanserai bietet dem Auge einen wohlthätigen Ruhepunkt, und nur im Sommer, wenn ein armseliger Pflanzenwuchs den sterilen Boden durchdringt, wandern einige Araberstämme mit ihren Zelten und Herden zur Höhe, um ihren mageren Tieren eine kaum genügende Weide zu bieten. Im Winter aber liegt die Steppe vollständig verlassen unter der Decke des Schnees, welcher auch hier trotz der Nähe der glühenden Sahara mit seinen Flockenwirbeln über die erstorbene Einöde fegt.
Nichts ist rundum zu schauen als Sand, Stein und nackter Felsen. Kieselbruch und scharfes Geröll bedeckt den Boden, oder wandernde Ghuds (Dünen) schleichen sich, von dem fliegenden Sande genährt, Schritt um Schritt über die traurige Fläche, und wo sich irgend einmal ein stehendes Gewässer zeigt, da ist es doch nur ein lebloser Schott, dessen Wasser in seinem Becken liegt, wie eine tote Masse, aus welcher jeder frische, blaue Ton verschwunden ist, um einem starren, unbelebten und schmutzigen Grau zu weichen. Diese Schotts vertrocknen während der Sommerhitze und lassen dann nichts zurück als ein mit Steinsalz geschwängertes Bett, dessen stechende Reflexe den Nerv des Auges töten.
Einst hat es auch hier Wälder gegeben; aber sie sind verschwunden, und nun fehlen die segensreichen Regulatoren der feuchten Niederschläge. Die Betten der Bäche und Flüsse, Wadis genannt, ziehen sich im Sommer als scharfe Einschnitte und wilde, felsige Schluchten von den Höhen herab, und selbst der Schnee des Winters vermag ihr grausiges Gewirr nicht genugsam zu verhüllen. Schmilzt er aber unter der Wärme der plötzlich eintretenden heißen Jahreszeit, so stürzt sich die brausende, tobende und donnernde Wassermasse ganz unvorhergesehen mit weithin hörbarem Brüllen zur Tiefe und vernichtet alles, was nicht Zeit findet, die schleunige Flucht zu ergreifen. Dann faßt der Beduine an die neunundneunzig Kugeln seines Rosenkranzes, um Allah zu danken, daß er ihn nicht dem Wasser begegnen ließ, und warnt die Bedrohten durch den lauten Ruf: »Flieht, ihr Männer, der Wadi kommt!«
Durch diese zeitweilige Flut und die stehenden Wasser der Schotts werden an den Ufern der Seen und Wadis dornige Sträucher und stachelige Mimosen hervorgelockt, welche die Kamele vermöge ihrer harten Lippen benagen können, unter deren Schutze aber auch der Löwe und der Panther schlafen, um von ihren nächtlichen Razzias auszuruhen. –
Wie vorher bestimmt, war ich am andern Morgen mit Hassan, dem Kubbaschi, und Josef Korndörfer, dem Staffelsteiner, von Algier abgereist. Wirklich hatten wir bis Batna die Steppenpost benützt; hier aber stellte sich unserer Weiterfahrt ein unerwartetes Hindernis entgegen.
Noch war mir die wahrhaft halsbrecherische Fahrt mit einem italienischen Vetturino von den Alpen nach Italien hinunter im Gedächtnisse; noch klang mir das haarsträubende ›Allegro, allegrissimo!‹ welches er stets gerufen hatte, wenn ich ihn bat, langsamer und vorsichtiger zu fahren, in die Ohren; die alte Carrette wurde von den im Galopp bergab stürmenden Pferden am Rande grausiger Abgründe dahin- und um scharfe Felsenkanten herumgerissen, als habe ich meine Reise nur unternommen, um in der Tiefe irgend einer Gebirgsschlucht zerschmettert zu werden; und als ich endlich wohlbehalten die Ebene erreichte, war es mir, als sei ich einer Gefahr entronnen, gegen welche es für mich weder Wehr noch Waffe gegeben hatte.
Was aber war selbst diese Allegrissimotour gegen eine Reise mit der Steppenpost! Die Diligence bestand aus einem Wagen mit Interieur, Coupé und Blanquet und war mit acht Pferden bespannt, von denen zwei vorn und dann je drei neben einander gingen. Von einer Straße gab es keine Spur; die Fahrt ging immer in gestrecktem Laufe durch Löcher, über halsbrecherische Flußbetten, steile Pässe hinan, jähe Abhänge hinunter, und alle Augenblicke waren wir gezwungen, auszusteigen, um in rührender Geduld unsere Kräfte mit denen der unglücklichen Pferde zu vereinen, wenn es galt, den Wagen aus einem Loche herauszuarbeiten oder über eine Steilung hinwegzubringen, die selbst für einen Fußgänger beschwerlich gewesen wäre. Ich fühlte mich schon nach den ersten Stunden wie gerädert; Korndörfer raisonnierte ein ›Maschallah‹ nach dem andern, und Hassan el Kebihr gab sich mit allen Kräften denjenigen interessanten Zerstreuungen hin, welche gewöhnlich mit der Seekrankheit verbunden zu sein pflegen. Der gute Araber vom berühmten Stamme der Kubabisch und dem Ferkah en Nurab hatte noch nie in einem Wagen gesessen; ich mußte unwillkürlich an seine grandiose Versicherung denken: »Die Steppe bebt, und die Sahel erzittert, wenn Djezzar Bei erscheint!« jetzt bebte und zitterte er an allen Gliedern in der Steppe, und es war ihm anzusehen, daß es ihm ganz fürchterlich ›giaur‹ zu Mute sei.
Sein Grimm über diesen unwürdigen Zustand machte sich erst in Batna Luft:
»Allah kerihm, Gott ist gnädig, und ihm sei Dank, daß mich meine Haut zusammengehalten hat! Ist denn Hassan-Ben-Abulfeda-Ibn-Haukal al Wardi-Jussuff-lbn-Abul-Foslan-Ben-Ishak al Duli ein Blutegel, daß er wieder von sich geben muß, was er genossen hat? Ich schwöre es beim Barte des Propheten, daß Hassan el Kebihr nie wieder in ein Räderhaus steigen wird, wo ihm zu Mute wird, als ob er unter die Haschasch (Haschischraucher) gehöre! Djezzar-Bei, der Menschenwürger, hat seine Heimat im Serdj (Sattel); du wirst ihn nur nach Bab-el-Guhd bringen, Sihdi, wenn du ihm erlaubst, zu reiten!«
»Hassan hat Recht,« stimmte der Staffelsteiner bei. »Maschallah, tausend Schwerebrett, war dos aan Gerumpel und Gerassel in der alt'n Bude, die sie Diligence schimpfen! ich fahr' mit acht Pferden und soll halt noch selber Vorspann thun? Dos hält kaan Mensch nit aus! Ich war Chasseur d'Afrique und will lieber die ärgste Bestie reiten als noch 'mal in die Bud' hineinschau'n!«
Ich mußte den beiden erbitterten Passagieren Recht geben, zumal ich mich bereits entschlossen hatte, auf die weitere Benutzung der Diligence zu verzichten. Ein Aufenthalt in Batna war mir nicht gestattet, und so engagierte ich einen Beduinen, mich und meine zwei Begleiter auf Pferden nach Biscara zu schaffen, wo ich mir Kamele zur Weiterreise kaufen wollte. Er aber riet mir, dies nicht zu thun, sondern mit ihm über das Auresgebirge nach einem arabischen Duar zu gehen, wo ich bessere und zugleich billigere Kamele finden würde, als in Biscara.
Ich ging auf seinen Vorschlag ein, behielt mir aber vor, das Gebirge über den Fuhm-es-Sahar (Mund der Wüste) zu erreichen, um so lange wie möglich dem gewöhnlichen Reisewege folgen zu können. Ich konnte mir allerdings denken, daß ich im Duar frische und ungeschwächtere Tiere erhalten würde, als in der Stadt, wo vielleicht nur abgetriebene zu finden waren, die man notdürftig wieder aufgefüttert hatte; doch gab es noch einen Grund, welcher mich bestimmte, der Ansicht des Führers zu folgen. In den wilden Thälern des Auresgebirges ist der Löwe keine Seltenheit, und wenn ich auch wegen der Eile, mit welcher wir reisten, keine Hoffnung hatte, mit dem König der Tiere persönlich zusammenzutreffen, so war es doch vielleicht möglich, seine Spur zu sehen oder gar seine Stimme zu hören. Uebrigens war eine kleine Ewigkeit vergangen, seit ich den letzten Schuß gethan hatte, und ich fühlte eine wirkliche Sehnsucht, den Klang meiner Büchse wieder zu vernehmen und irgend ein jagbares Geschöpf auf das Korn zu nehmen. Zwischen den Bergen bot sich dazu jedenfalls die Gelegenheit, und ich suchte daher meinen Bärentöter und den Henrystutzen hervor.
Wir waren der Diligence voraus und gaben ihr auch keine Gelegenheit, uns einzuholen. Die Pferde, welche wir ritten, gehörten zu jener kleinen Berberrasse, deren brave Leistungen in keinem Verhältnisse zu ihrer Größe stehen. Wir saßen bereits zwölf Stunden im Sattel, und dennoch trabten sie in der Richtung, welcher wir noch vier volle Stunden zu folgen hatten, ganz unverdrossen dahin, und selbst das Grauschimmelchen, von dessen niederem Rücken die unendlichen Beine des ›großen Hassan‹ beinahe bis zur Erde niederhingen, schien sich aus seiner schweren Last nicht viel zu machen und blieb um keinen Schritt breit hinter uns zurück.
Vor und um uns lag die Steppe in gelblichem Lichte. So weit das Auge reichte, war das Plateau vollständig kahl und leer, aber diese Landschaft zeigte heute eine seltene und lebensvolle Staffage. Der Fuhm-es-Sahar, der Mund der Wüste, hatte sich geöffnet, um zahlreiche beduinische Hirten über die Steppe zu speien, welche ihre Herden den Wadis und Schotts zutrieben, um den spärlichen Pflanzenwuchs abzuweiden. Auf schnellen Pferden, mit wehendem Burnus und schimmernden Lanzen ihre Kamele und Schafe umreitend, zogen sie, gefolgt von ihren Frauen und Kindern, welche auf bunt bedeckten Dromedaren saßen, nach allen Richtungen über die Ebene dahin und brachten auf das ungewohnte Auge den Eindruck einer Phantasmagorie hervor, die einen halb wachen und halb träumenden Geist gefangen hält.
Von jetzt an traten die Höhenzüge, welche die weite Fläche begrenzten, näher aneinander und schoben sich endlich zu einem immer enger werdenden Felsenthale zusammen. Der Blick, welcher bisher in die unendlich scheinende Weite zu schweifen vermochte, wurde von kahlen, nackten Abhängen festgehalten, welche beinahe senkrecht aus der Thalsohle emporstiegen. Wir ritten zwischen ihnen und Abgründen, in deren unterster Tiefe das Auge das graugelbe Wasser eines reißenden Bergstromes erblickte, über welchen wir, nach abwärts gerichtetem Ritte bei ihm angelangt, drei- bis viermal setzen mußten. Es war der Wed-el-Kantara, in dessen Fluten Jules Gérard, der kühne Löwenjäger, seinen Tod gefunden hatte. An der Stelle, wo er in den Fluß gegangen war, hatte ihm eine vorüberziehende Abteilung französischer Truppen aus aufgehäuften Steinen ein einfaches Monument errichtet. Ich ließ halten.
»Hast du von Gérard, dem Löwentöter gehört, Josef?« fragte ich den Staffelsteiner.
»Versteht sich, Herr!« antwortete er. »Er war aan Franzos' und is endlich halt in das Wasser gestürzt und drin elend versoffn.«
»Kennst du den Emir-el-Areth, den ›Herrn des Löwen‹, Hassan?« fragte ich auch den Kubbaschi.
»Er war ein Ungläubiger, aber beinahe so tapfer wie Hassan el Kebihr,« antwortete er stolz. »Er hat den ›Herrn mit dem dicken Kopf‹ (den Löwen) des Nachts und ganz allein aufgesucht, um ihn zu töten; aber der Wangil-el-Uah (König der Oasen) hat ihn doch noch zerrissen und verzehrt, denn er war kein Moslem, sondern ein Mannaus dem Darharb (nicht muselmännisches Land).«
»Du irrst, Hassan. Der Emir-el-Areth wurde nicht von dem Löwen zerrissen, der eher hundert Moslemin als einen Christen erwürgt, sondern er starb hier in den Fluten des Wed-el-Kantara, und seine Brüder haben ihm dieses Denkmal erbaut. Nehmt eure Gewehre, ihr Männer; ihre Stimmen sollen seinem Geiste verkünden, daß der Wanderer den Gebieter des ›Herrn mit dem dicken Kopfe‹ kennt!«
»Soll meine Büchse zu den Ohren eines Geistes klingen, der den Er-Rait nicht kennt, Sihdi?« fragte Hassan.
»Auch der Christ lebt im Er-Rait (Anblick Gottes), wenn er gestorben ist, Hassan, denn Gott ist überall, auf allen Sternen und in allen Himmeln. Oder spricht nicht dein Prophet von Aissa (Jesus) und Marryam, Imrams Tochter (die heilige Jungfrau), die im Himmel wohnen und Gott sehen von Angesicht zu Angesicht?«
»Sihdi, warum bist du nicht ein Sayd (Abkömmling von Hassan und Hossein)! Du kennst den Fuhm-el-Kuran (Mund des Korans), die Hand-el-Ard (Rinnen der Erde) und die Battn-el-Djinne (Berge des Paradieses). Deine Stimme ist wie die Stimme des Khatib (Vorbeter in der Moschee), die nur die Wahrheit spricht. Ich werde thun, was du von mir forderst!«
Aus vier Läufen – denn auch der Führer fügte sich in meinen Willen – erklang eine dreimalige Salve zu Ehren des Löwenjägers, ein von den Felswänden wiederhallender Totengruß, welchen ein › Rifleman‹ dem andern brachte; dann ging der Ritt weiter nach dem Paß von Kantara.
Hier traten die Steinwände bis an die Ufer des Flusses heran, der die ganze Breite des Engpasses ausfüllte. Wir mußten fast eine Viertelstunde lang in den schäumenden Wellen reiten und gelangten dann in einen Thalkessel von wild-großartigem Charakter.
Steil, schroff und himmelhoch stiegen die schwarzgelben Schieferwände, an dem Fuße mit wirren Steinmurren bedeckt, ringsum empor und bildeten im Süden mit einer gigantischen Felsenmauer eine kolossale Schlucht, die einer klaffenden Wunde im Haupt des Gebirges glich.
Das war der Fuhm-es-Sahar; er führte hinab nach den Oasen des Siban. Die schroffen Felsen zur Rechten gehörten den Höhenzügen des Auresgebirges an; die dunklen Schieferwände zur Linken bildeten den Anfang des Dschebel Sultan. Zwischen ihnen lag das Karawanserai EI Kantara, wo wir für die Nacht Einkehr hielten.
Der Seraidschi bereitete uns einen echt türkischen Kawuah, und nachdem wir unser frugales Abendbrot verzehrt hatten, wurden die Pfeifen angebrannt, und ich lehnte mich zurück, um den Gesprächen der anwesenden Reisenden zu lauschen, welche außer uns und zwei von Tolga kommenden Juden sämtlich Araber waren, deren Weg sich hier am ›Munde der Wüste‹ begegnete.
Der Hauptsprecher war mein guter Hassan el Kebihr, welcher sich die größte Mühe gab, seinen Zuhörern einzuprägen, daß er Djezzar-Bei, der Menschenwürger, genannt werden müsse. Josef Korndörfer dagegen saß still neben mir und hielt, gelangweilt, seine Augen geschlossen. Nur zuweilen öffnete er sie, und dann vernahm ich entweder einen müden Seufzer oder ein zorniges Maschallah über die Selbstverherrlichung des Kubbaschi vom Ferkah en Nurab.
Da kam die Rede auf einen Gegenstand, der mich außerordentlich interessierte. Der Seraidschi besaß nämlich eine kleine Hammelherde, von welcher, obgleich er sie während des Nachts in der Nähe des Serai eingepfercht hielt, schon einige Nächte hintereinander sich der Panther jedesmal ein Stück ohne Bezahlung geholt hatte.
»Seraidschi!« befahl ich.
»Sihdi!« antwortete er, näher tretend.
»Weißt du gewiß, daß es ein Panther war?«
»ja, Sihdi. Ich habe seine Spur gesehen. Sie ist groß und scharf; es ist ein Weibchen, das Allah verdammen möge! Ich bin ein armer Kawedschi (Kaffeewirt) und habe nur dreiundzwanzig Schafe. Kann die Mörderin nicht zu einem Reicheren gehen? Ein Männchen würde die Herde eines Armen nicht berauben!«
Der zornige Moslem schien von dem Rechts- und Schicklichkeitsgefühle des weiblichen Teils des Tierreiches keine allzu galante Meinung zu hegen.
»Warum tötest du sie nicht?« fragte ich ihn.
»Das Weib des schwarzen Panthers töten, Sihdi? Weißt du nicht, daß unter ihrem Felle der Scheitan wohnt, der jeden zerreißt, der es beschädigen will?«
»Und weißt du, daß unter deiner Haut el Schubak wohnt, der Satan der Angst, der dein Herz verschlungen und dein Blut getrunken hat? Du bist ein Gläubiger und fürchtest dich vor einem Weibe! Allah schütze dein Haus, sonst kommt die Sultana des Panthers ins Serai, um auf deinem Diwan zu schlafen und aus deinem Schädel Kawuah zu trinken!«
»Sie wird meine Herde verspeisen, aber meinem Hause fern bleiben, Sihdi! Weißt du nicht, daß vor jedem wilden Tiere geschützt ist, wer täglich dreimal das Surat el ikhlass betet?«
»Das Surat el ikhlass ist gut, denn der Prophet hat es euch gelehrt, und so lange du es täglich dreimal betest, hat dich die schwarze Katze noch nicht gefressen; ich aber habe ein Surat, welches mächtiger ist, als alle Ayat eures heiligen Buches; es vernichtet jeden Feind, wenn ich es bete.«
»Sage mir es vor, damit ich es beten lerne, Sihdi!«
»Nicht vorsagen, sondern zeigen werde ich es dir!«
Ich nahm meine Büchse und schlug auf ihn an.
»Dies ist mein Surat gegen alle Feinde.«
Er sprang erschrocken zur Seite.
»Be issm billahi radjal, um Gottes willen, auf, ihr Männer, flieht! Dieser Sihdi hat den Verstand verloren. Er hält seine Flinte für das Surat el ikhlass und will uns ermorden!«
Ich legte die Büchse wieder zur Seite.
»Bleibt ruhig sitzen, ihr Männer! Mein Verstand ist noch bei mir, denn ich halte das Weib des Panthers nicht für einen Scheitan, sondern für eine Katze, die ich mit meinem Surat töten werde.« Und mich erhebend, fügte ich hinzu: »Seraidschi, zeige mir die Hürde, in welcher sich deine Schafe befinden!«
»Bist du toll, Sihdi, daß du verlangst, ich soll mit dir zur Hürde gehen? Die Nacht ist finster, und dieses Weib des Panthers kommt nicht gegen den Morgen, wie die andern Tiere, welche Fleisch stehlen, sondern sie naht stets um Mitternacht. Sie mag meine Schafe fressen, mich aber soll sie nicht zerreißen!«
»So beschreibe mir den Ort, wo ich die Hürde finde!«
»Du findest sie hundert Schritte vom Serai, grad gegen Norden, wo die Steine liegen.«
Ich hing die Büchse über und griff zum Henrystutzen. Das Messer stak bereits im Gürtel. Mit dem Stutzen hatte ich zwar keinen so weiten und sichern Schuß, wie mit dem Bärenrohre, aber er war mir nötig, wenn der Büchsenschuß ja nicht sofort tödlich sein sollte.
Ich hatte kaum den Fuß erhoben, so sprang Hassan auf.
»Allah akbar, Gott ist groß, Sihdi; er kann den Löwen töten und den Panther vernichten. Du aber bist ein Mensch, dessen Fleisch den Katzen schmeckt. Bleib hier, sonst verzehren sie dich, und wir finden am Morgen nichts von dir als die Sohlen deiner Schuhe!«
»Du wirst am Morgen nicht nur die Schuhe, sondern auch den Mann unverletzt sehen, der sie trägt. Nimm deine Waffen, und folge mir!«
Der große Mann sprang erschrocken zurück; er spreizte alle zehn Finger aus und hielt sie mir mit ausgestreckten Armen abwehrend entgegen.
»Hamdullilah, Preis sei Gott, daß ich am Leben bin; ich werde es nie einem wilden Tiere schenken!«
»Fürchtet sich Hassan el Kebihr vor einer Katze?«
»Ich bin Djezzar-Bei, der Menschenwürger, aber nicht Hassan, der Pantherfresser, Sihdi. Verlange, daß ich gegen hundert Feinde kämpfe: ich werde sie alle schlachten, aber der Gläubige verschmäht es, des Nachts mit einem Weibe zusammenzukommen, welches noch dazu die Sultana eines wilden Tieres ist!«
»So bleib'!«
Ich hatte ihn ja nur auf die Probe stellen wollen und schritt nun dem Ausgange zu. Da hörte ich, daß mir jemand folgte. Der Staffelsteiner war es.
»Darf ich halt mit, Herr?«
»Warum?«
»Warum! Maschallah, tausend Schwerebrett, soll ich vielleicht gar zuschau'n, daß Sie von der Katz' zerrissen werd'n? Wozu hab' ich die Flint' und das Messer? Wo mein Herr is, dort bin ich auch, das versteht sich halt ganz von selber!«
»Ich danke dir, Josef, aber ich kann dich nicht brauchen!«
»Warum nit, wenn ich fragen darf?«
»Weil du kein Jäger bist. Du würdest dich unnütz in Gefahr begeben und günstigen Falles mir nur das Tier verscheuchen.«
Ich hatte wirklich Mühe, den treuen und beherzten Mann von seinem Vorhaben abzubringen, und trat dann in die Nacht hinaus, um die Hürde aufzusuchen.
In der angegebenen Richtung und Entfernung vom Serai lag ein Gewirr hoher, gewaltiger Felsblöcke. An diese lehnte sich die Hürde, welche an den drei andern Seiten aus Pfählen bestand, die durch Stricke, aus Leff (Dattelfaser) gedreht, verbunden waren. Die Schafe lagen ruhig innerhalb dieser einfachen Umzäunung und ließen sich auch durch mein Nahen nicht im mindesten stören. Die Nacht war sternenhell, und ich konnte die Umrisse der Felsen deutlich erkennen. Zwischen zweien derselben befand sich ein oben geschlossener Spalt, grad so breit, daß ein nicht zu starker menschlicher Körper darin Platz finden konnte. Das war der geeignetste Ort für mich, das Raubtier zu erwarten. Er bot mir von drei Seiten sichern Schutz und gewährte mir nach der vierten hin die freieste Aussicht über die Hürde. Wenn der Panther wirklich kam, so konnte ich, ohne für mich etwas befürchten zu müssen, ihn hier in aller Gemütsruhe auf das Korn nehmen. Eine Heldenthat war seine Erlegung jedenfalls nicht.
Ich nahm in dem Spalte Platz und machte mir es darin so bequem wie möglich. Mit der Büchse in der Hand und mit dem Stutzen am Knie wartete ich und horchte auf jedes Geräusch der allerdings höchst schweigsamen Steppe. Mitternacht ging vorüber; wenn das Tier heute kam, so mußte es bald erscheinen.
Da bemerkte ich eine Bewegung der Schafe; sie steckten die Köpfe zusammen und krochen unter allen Zeichen der Angst so nahe wie möglich an den Felsen heran. Ich strengte mein Gesicht an, um die Ursache zu erspähen, konnte aber nichts bemerken. Doch jetzt, jetzt vernahm ich über mir ein beinahe unhörbares, schleichendes Geräusch. Das Tier befand sich auf dem Felsen, um von da aus seine Beute im Sprunge zu erreichen. Jetzt hörte ich, wie es seine Krallen an dem Steine wetzte, dann – ein Sprung – ein dunkler Körper schnellte herab unter die Schafe – ein kurzer, blökender Todesschrei – und der Panther stand hochaufgerichtet inmitten der Hürde, unter seiner rechten Vordertatze lag das getötete Schaf. Es war ein ungewöhnlich großes, gewaltiges Exemplar, wie ich fast keinen Jaguar gesehen hatte, und, wie ich sofort bemerkte, allerdings ein Weibchen.
Den Kopf erhebend, stieß jetzt das Raubtier seinen Siegesruf aus, jenes in fürchterlichen Kehltönen erschallende, zusammengezogene A – uuhh – a – oorrrr, welches in einem tiefen, grollenden Schnurrlaute zu endigen pflegt. Noch aber war der Ruf nicht ausgeklungen, so krachte meine Büchse. Die weit geöffneten, in grünlichem Lichte rollenden Augen hatten mir ein sicheres Ziel geboten. Mit dem Schusse verklang das Brüllen; das Tier machte einen jähen Satz nach dem Spalte zu und brach da hart vor meinen Füßen zusammen. Wie ich später sah, war ihm meine Kugel in das Auge gedrungen.
Der Schuß hatte aber noch einen andern Erfolg. In der Ferne ertönte ein heiserer, wilder Schrei und nach wenigen Sekunden ein kurzes abgerissenes Brüllen aus größerer Nähe. Das Männchen nahte, durch meine Büchse zur Hilfe herbeigerufen.
Ich hatte schon – der Vorsicht wegen – den Henrystutzen in die Hand genommen, um die zweite Kugel des Bärentöters für diesen Fall zu sparen. Rasch nahm ich den letzteren wieder auf und legte an. Ein schlanker, geschmeidiger Tierkörper kam in langen Sätzen herbeigeschnellt und hielt außerhalb der Hürde an, grad mir und dem gefallenen Weibchen gegenüber. Der Panther mußte trotz des zweifelhaften Sternenlichtes uns beide bemerken, denn er duckte sich unter einem grimmigen Schnaufen zur Erde nieder, um zum Sprunge auszuholen. Noch sah ich jetzt seine Augen glühen, im nächsten Augenblick mußten sie sich im Momente des Sprunges schließen. Ich drückte los. Mitten in der blitzenden Beleuchtung durch den Schuß flog das Tier empor und kam hart am Spalte zum Boden nieder. Aber schon hatte ich den Stutzen ergriffen; ich konnte aus seinem Laufe, ohne zu laden, fünfundzwanzig Schüsse hinter einander abgeben. Ich hielt die Mündung grad an den Kopf des Panthers und drückte ein-, zwei-, dreimal los. Schon der erste Schuß war, wenn auch nicht sofort, tödlich gewesen; ein konvulsivisches Zittern ging durch den Körper des Tieres, dann lag es regungslos gestreckt zu meinen Füßen.
Ich lud zunächst wieder und trat dann hinaus. Die beiden Raubtiere lagen aufeinander und waren, besonders das weibliche, so groß und schwer, daß ich sie nur mit Anstrengung zu bewegen vermochte. In einiger Entfernung bellte ein Schakal sein heulendes ›ia – ou, ia – ou‹; er wußte die Panther in der Nähe und glaubte, sich Hoffnung auf den Nachtisch machen zu dürfen. Er ist ein treuer, aber furchtsamer Begleiter der großen Räuber des Tierreiches und nimmt gern fürlieb mit den Brosamen, die von des Reichen Tische fallen.
Als ich im Serai ankam, fand ich alle Gäste noch wach. Es war für sie ein unglaublicher Gedanke, daß ein einziger Mensch mitten in finsterer Nacht sich an den Panther wage, der beinahe noch gefürchteter ist, als der Löwe. Die mit Angst gepaarte Neugierde hatte sie wach erhalten, doch mußten sie meine Schüsse vernommen und also gemerkt haben, daß ich mich wenigstens nicht ohne Gegenwehr von dem ›fürchterlichen Weibe‹ verschlingen ließ.
Bei meinem Eintritte sahen sie mich an, als sei ich ein Gespenst.
»Maschallah, tausend Schwerebrett, da is er, wie er leibt und lebt!« rief Josef Korndörfer, indem er voll Freude auf mich zugesprungen kam.
»Marhaba, Sihdi, willkommen Herr,« meinte der große Hassan; »du hast klug gehandelt. Wir haben deine Schüsse gehört, und die Frau des Panthers, die sie vernommen hat, wird diese Nacht von der Hürde bleiben.«
»Ich danke dir, Sihdi,« stimmte auch der Seraidschi ein, »daß du meine Herde beschützt hast. Die Räuber werden heute nicht kommen, denn du hast dich in die Finsternis gewagt und sie durch die Stimme deines Gewehres gewarnt!«
Man war also der Meinung, daß ich geschossen hatte, bloß um die Raubtiere abzuschrecken.
»Die Frau des Panthers ist mit ihrem Manne gekommen, Kawedschi,« antwortete ich, »und hat dir ein Schaf getötet. Du mußt es holen, denn der Schakal ist in der Nähe, der es sonst verzehren wird.«
»Er mag es verzehren, denn Allah behüte meinen Fuß, daß er hinaustrete in das Reich des Todes, wo ich zerrissen werde!«
»Du wirst nicht zerrissen werden, denn die Sultana des schwarzen Panthers ist tot, und ihr Herr liegt bei ihr mit zerschmetterter Stirn.«
»Allah kehrim, Gott ist gnädig! Sagst du die Wahrheit, Sihdi?«
»Mein Wort ist wahr! Siehe diese Schuhe, Hassan; sie sind unversehrt, und kein Haar ist mir gekrümmt; aber mein Surat ist erklungen, und nun liegen die Panther niedergestreckt durch die Faust des Todes. Kommt, ihr Männer, und helft, sie herbeizuschaffen!«
Diese Worte brachten eine außerordentliche Aufregung unter den Leuten hervor. Sie wollten mir nicht glauben, und es kostete mich nicht wenig Ueberredungsgabe, sie endlich zum Mitgehen zu bewegen.
Man brannte Fackeln aus Palmenfaser an und folgte mir. Als wir der Hürde nahten, drängten sich die Schafe, vom lodernden Brande erschreckt, ängstlich zusammen. Die jetzt folgende Scene ist unmöglich zu beschreiben. Kaum erblickten die Araber die beiden erlegten Tiere, so stürzten sie sich auf sie, schlugen sie mit den Fäusten, traten sie mit den Absätzen und schimpften sie mit allen möglichen Schandwörtern, von denen die arabische Sprache einen beinahe unerschöpflichen Vorrat besitzt. Hassan el Kebihr war der lauteste von allen. Er wandte sich schließlich auch an mich:
»Sihdi, du bist der größte Jäger, den meine Augen gesehen haben; du bist noch größer als der Emir-el-Areth (G6rard), welcher der Herr des Löwen war. Wenn ich singe von den Siret el modschaheddin (Thaten der Kämpfer) und wenn ich erzähle von den Siret el behluwan (Thaten der Helden), so werde ich deinen Namen nicht vergessen, sondern ihn rühmen vor den Ohren der Gläubigen!«
Der Araber spricht gern fulminant und liebt es, seine Gefühle im Superlativ auszudrücken. Auch der Staffelsteiner konnte sein. Erstaunen nicht verbergen.
»Maschallah, tausend Schwerebrett, is dos aan Schuß gewes'n. Die Katz' is grad ins Aug' getroff'n und die andre halt auch nit schlechter! Ich hob' noch gar kaan solch Viehzeug geseh'n und nit geglaubt, was der Panther für aan Bursch' sein kann. Meine Büchs' hätt' wohl gewankt, wenn ich dabei gewes'n wär!«
Die Tiere wurden im Triumphe nach dem Serai fortgeschleift, wo ich ihnen das Fell abstreifte; dann gingen wir zur Ruhe.
Am andern Morgen erhob sich vor dem Aufbruche ein heißer Streit zwischen Hassan el Kebihr und dem Staffelsteiner, und ich eilte hinaus, um den Zank zu schlichten. Josef Korndörfer hatte das Fell des Pantherweibchens unter meinen und dasjenige des Männchens unter seinen Sattel gelegt, eine Manipulation, mit welcher sich der Kubbaschi nicht einverstanden erklärte.
»Du bist ein Franke, der noch nie eine Moshia betreten hat,« meinte der letztere, »und willst mich um das Recht der Gläubigen betrügen? Hast du jemals einen Ungläubigen gesehen, der auf dem Felle des Panthers reitet?«
»Hast du ihn erlegt, Djezzar-Bei, du Menschenwürger?« lachte der frühere Chasseur d'Afrique.
»Der Sihdi hat ihn erlegt, weil Hassan el Kebihr, vor dem die Tiere zittern, bei ihm ist. Das Fell gehört unter meinen Sattel, denn was bist du gegen den Kubbaschi en Nurab? Bin ich nicht Diener gewesen an der berühmten Universität der Moshia EI Azhar zu Cahira, das ihr Kairo nennt? Ich habe die weisen Männer gesehen, die dort ein- und ausgingen; wen aber hast du gesehen, und an welcher Schule bist du gewesen?«
»Ich habe gesehen unsern Sihdi, in dessen Kopf mehr Weisheit steckt, als in eurer ganzen Moshia EI Azhar in Cahira, und bin gewesen in der Schule zu Kaltenbrunn bei Staffelstein, wo deine gelehrten Männer auf die letzte Bank zu sitzen kämen,« verteidigte sich der Bayer unter fortwährendem Lachen.
»Nun wohl! Aber kennst du meinen Namen? Ich heiße Hassan-Ben-Abulfeda-Ibn-Haukal al Wardi-Jussuf-lbn-Abul-Foslan-Ben-Ishak al Duli. Wie aber heißt du? Mein Name ist lang wie der Fluß, der durch die Berge rollt; der deinige aber klein wie der Tropfen, der schmutzig von dem Blatte fällt.«
»Beschmutze meinen Namen nit, denn er is auch der deinige! Ich heiße Jussuf wie du.«
»Weißt du, daß Jussuf nur ein Gläubiger heißen darf? Du bist ein Franke und wirst Jussef genannt. Merke dir das! Und du hast nur diesen einen Namen!«
»Oho! Hast du nit gehört, daß ich auch Korndörfer heiße?«
»Aber wo bleibt der Name deines Vaters?«
»Der hieß auch Korndörfer.«
»Und dessen Vater?«
»Auch Korndörfer.«
»Und dessen Vater?«
»Immer wieder Korndörfer.«
»Und wo lebte dieser?«
»In Kaltenbrunn.«
»In Kah-el-brunn? So heißest du Jussef Koh-er-darb-Ben-Koh-er-darb-Ibn-Koh-er-darb-Abu-Koh-er-darb el Kah-elbrunn. Mußt du nicht lachen über deinen eigenen Namen? Und du verweigerst mir das Fell? Gieb es her!«
»Höre, Hassan! Jussef Koh-er-darb, Ben, Ibn und Abu Koh-er-darb aus Kah-el-brunn wird das Fell behalten! Dort kommt der Sihdi; wende dich an ihn!«
Der Kubbaschi that dies auch. Der grobe Hassan wollte mit der Schabracke vor den uns Begegnenden glänzen; dies gab mir Gelegenheit, ihn für seine gestrige Feigheit zu strafen.
»Jussuf,« entschied ich, mit Fleiß Jussuf statt Jussef sagend, »wollte mit mir den Panther schießen, du aber hattest Angst vor der Katze. Ihm gebührt das Fell und nicht dir!«
Murrend mußte er sich in diesen Bescheid ergeben, und murrend folgte er uns, als wir das Serai verließen.
Wir befanden uns bald inmitten der Schluchten und Steinklüfte des Auresgebirges, dessen Längenrichtung wir bis gegen Abend einhielten, um dann über seinen Kamm in die Sahara herabzusteigen. An seinem Fuße lag das Zeltdorf, welches das Ziel unserer heutigen Wanderung war. Wir wurden von den Arabern gastfreundlich aufgenommen, und noch ehe es Nacht ward, befand ich mich in dem Besitze von drei Reit- und ebenso vielen Packkamelen nebst allen Gegenständen und Vorräten, welche zur Reise nach dem Bab-elGhud oder wenigstens nach Ain-es-Salah erforderlich waren.
Am andern Morgen folgten wir dem Fuße des Gebirges, um, Biscara nun vermeidend, die Karawanenstraße von dort nach Ain es Salah aufzusuchen.
Es war ein heißer Tag, und um die Mittagszeit brannte die Sonne mit solcher Vollglut auf uns nieder, daß ich beschloß, auch gegen den Gebrauch für einige Zeit Rast zu halten. Wir suchten nach einem geeigneten, schattigen Orte; da blieb der voranreitende Hassan, welcher mit Josef noch immer wegen der Schabracke schmollte, halten und deutete abwärts.
»Schau, Sihdi, eine Sobha!«
Wir befanden uns noch immer auf hohem Terrain, welches von den Ausläufern des Gebirges gebildet wurde. Am Fuße eines solchen Höhenzuges glänzte von unten die blitzende Fläche eines Wassers zu uns herauf, an dessen Ufer ich einiges spärliche Lentiskengesträuch bemerkte.
»Das ist keine Sobha, Hassan, sondern ein Schott oder Birket, welcher hinter dem Hügel liegt und von dem wir hier nur eine Bucht sehen können. Ich werde dir gleich seinen Namen nennen!«
Ich schlug die stets bereite Karte auf und fand den See verzeichnet. Es war eines jener leblosen Gewässer ohne Farbe und Bewegung, die kein Fisch, kein Lurch durchrudert und in deren Wasser man höchstens jene häßlichen Würmer zu Myriaden erblickt, welche der Beduine Thud nennt.
»Es ist der Birket el fehlatn (tote See). Laßt uns zu ihm hinunter!«
»Das ist ein Befehl, Sihdi, der mehr wert ist, als der Preis von zehn Kamelen. Mein Serdj, was du Sattel nennst, brennt unter mir, als säße ich auf einem abgerissenen Zipfel von der Tschehenna (Hölle). Ich werde mich entkleiden und meinem Körper durch einen Ghusl (Bad) neue Kräfte geben.«
Wir hielten auf das Wasser zu, welches wir nach einer Viertelstunde erreichten. Es war, wie ich richtig bemerkt hatte, kein Schott, sondern der Birket el fehlatn. Hassan war uns voraus; er konnte das Bad nicht erwarten. Am Ufer angekommen, wandte er sich mit einer Gebärde der Enttäuschung zurück.
»Sihdi, das ist kein Wasser zum Ghusl, sondern ein Bahr el Thud (Würmermeer), und siehe, dort liegt ein Duar von über zwanzig Zelten, die uns Schatten geben werden!«
Wirklich sah ich zwischen dem oberen Teile des Sees und dem Hügel eine Reihe von Zelten stehen, zwischen denen zahlreiche Pferde und Kamele lagen. Eine andere Truppe von fünf Kamelen weidete seitwärts die fleischigen Blätter der Salzkräuter ab, welche der dürftige Boden durch den Einfluß des Wassers hervorbrachte. Ich erkannte auf den ersten Blick, daß es nicht gewöhnliche Lastkamele seien, die man für vierhundert Piaster das Stück bekommt, sondern ohne Ausnahme Reitkamele, echte Hedjihn, deren jedes man mit mehreren tausend Piastern bezahlt. Vielleicht waren es gar Bischarinhedjihn, diese edelste Rasse der Kamele, denen man bei aller Enthaltsamkeit wohl eine ganze Woche lang täglich einen Weg von vierzehn bis sechzehn deutschen Meilen zutrauen kann. ja, bei den Tuareg trifft man Kamele, welche noch mehr zu leisten vermögen. Ich erkannte diese Rasse an den zierlichen Formen, dem verständigen Auge, der breiten Stirn, den herabhängenden Unterlippen, den kurzen, stehenden Ohren, dem kurzen, glatten Haare und der Farbe desselben, welche bei dem Bischarin entweder weiß oder lichtgrau, manchmal auch falb und zuweilen gefleckt ist wie bei der Giraffe.
Diese kostbaren Tiere gehörten jedenfalls nicht in das arme Zeltdorf, sondern sie waren wohl das Eigentum von fremden Beduinen, welche im Duar als Gäste weilten.
Wir eilten auf das Duar zu.
Es wäre eine ganz unverzeihliche Beleidigung für den Besitzer des ersten Zeltes gewesen, wenn wir an diesem vorübergeritten wären, um in einem der folgenden Aufnahme zu suchen. Der Bewohner der Steppe ist ein geborener Dieb und Räuber, aber das Gastrecht hält er noch ebenso hoch und heilig, wie es den biblischen Erzvätern galt, von denen er ja seine Abstammung herleitet.
Als wir hielten, wurde das alte, vielfach zerfetzte Tuch, welches den Eingang bedeckte, bei Seite geschoben, und ein Mädchen trat heraus, um uns zu begrüßen. Sie war unverschleiert; die Frauen der Wüstenaraber sind weniger difficil als die Weiber und Töchter der Mauren (Städtearaber). Ihr Haar war in dichte Dafira (Flechten) geordnet, welche mit roten und blauen Bändern durchflochten waren. Um die Hüften trug sie den Rahad, einen schmalen Gürtel, von welchem eine große Anzahl Lederstränge bis über das Knie herabfiel und so einen Rock bildete, welcher mit Korallen, Bernsteinstücken und Kaurimuscheln verziert war. Um den Hals trug sie den Kharaz, eine vielfache Schnur von Glasperlen und allerlei Münzen. Von den Schultern hing ein leichter Ueberwurf bis zu dem Gürtel herab. In den kleinen Ohren hingen goldene Ringe von enormer Größe; an den Füßen oberhalb der Knöchel glänzten silberne Spangen, und um die Gelenke der feinen Händchen, deren Fingernägel mit Hennah gefärbt waren, wanden sich starke Ringe von Elfenbein, deren weißer Glanz sehr hübsch gegen die warmen Töne der braunen Haut abstach, welche der schönsten florentinischen Bronze nichts nachgab.
»Marhaba ia Sihdi, du sollst willkommen sein, o Herr,« klang ihr Gruß, und zugleich reichte sie zur Bekräftigung desselben meinem Kamele ein Handvoll Waëdydatteln dar.
Hinter ihr kam ein alter Mann zum Vorschein, der uns mit neugierigen und verwunderten Blicken musterte. Sein sonnegebräuntes Gesicht war voller Falten und seine ausgedorrte Gestalt tief gebeugt. Er mochte wohl an die neunzig Jahre zählen.
»Sallam aaleikum,« grüßte ich ihn, die Hand zur Brust erhebend. »Hast du ein wenig Raum für uns, wo wir das Haupt zu einer kurzen Ruhe niederlegen können?«
»Marhaba ia Sihdi, willkommen, o Herr! Unser armes Zelt hat der Gäste bereits drei, doch ist noch Platz für dich. Steige ab, und erlaube mir, dir einen Hammel zu schlachten!«
»Dein Herz ist voller Wohlthat, und dein Zelt steht offen dem Wanderer; du bist ein guter Sohn des Propheten und ein Liebling Allahs, der dir viele Jahre des Lebens geschenkt hat; doch sollen deine Gäste die Güte deiner Seele ganz besitzen. Erlaube mir, zu einem andern Zelt zu gehen!«
»Willst du mich beschimpfen, Sihdi? Was habe ich dir gethan, daß du mein Zelt verschmähest? Steig herab vom Tiere, welches bereits ein Gast der Tochter meines Sohnes ist, und lege dich bei mir zur Ruhe!«
Er ergriff das Halfter des Kameles und gebot ihm durch das gebräuchliche, kehllautende »khe, khe,« niederzuknieen.
Ich stieg ab und wurde in das Zelt geführt, wohin auch Josef und Hassan bald nachfolgten. Längs der Wand desselben zog sich das Serir herum, ein sich nur wenig vom Boden erhebendes gitterartiges Gerüste aus leichtem Holze, welches mit Matten und Hammelfellen bedeckt war. Das bildete den Diwan und das Bett für die ganze Familie nebst den etwaigen Gästen. Im Hintergrunde des Zeltes waren Sättel und Schilde aufbewahrt; an den Pfählen hingen Waffen, Schläuche, lederne Eimer und allerlei wirtschaftliches Geräte, und die Wände selbst waren mit künstlich geflochtenen Bechern, Giraffenhäuten, Bouquets von Straußenfedern und vorzüglich mit Schellen und Klingeln geschmückt. Diese letzteren sind in arabischen Zelten sehr gebräuchlich und machen in stürmischen Nächten eine dem ermüdeten Wanderer sehr unwillkommene Musik. Der Wind bewegt das ganze Zelt, das Metall der Schellen erklingt und bildet die Begleitung zum Krachen des Donners, zu dem Stöhnen der Kamele, dem Blöken der Schafe, dem Gebell der Hunde und dem Heulen der wilden Tiere.
Ich nahm auf den Matten Platz. Der Alte hatte die Pantherfelle gesehen; das Gesetz der Gastfreundschaft verbot ihm, nach meinem Namen und Herkommen zu fragen, aber wissen durfte er, wie ich in den Besitz dieser kostbaren Beute gekommen war. Mit der dem uncivilisierten Menschen eigenen Schlauheit wußte er das Gespräch auf diesen Gegenstand zu bringen.
»Ruhe dich aus, Sihdi, bis Fleisch und Kuskussu bereitet sind.«
Kuskussu ist ein aus grob gemahlenem Weizenmehl bereitetes Lieblingsgericht der Araber.
»Ich danke dir, Vater,« entgegnete ich. »Ich esse Fleisch und Kuskussu nur des Abends, wenn ich die Reise des Tages beendet habe. Gieb mir und meinen Dienern Wasser und ein wenig Bsissa (Brot, von Mehl und getrockneten Datteln gebacken)
Das Mädchen brachte mir das Bsissa.
»Das Wasser des Birket ist schlecht, Sihdi. Willst du nicht einen Becher Kamelsmilch oder Lagmi (Dattelsaft) trinken?« fragte sie.
»Eddini Lagmi, gieb mir Lagmi, Ambr el Banat, du Zierde der Mädchen!«
Sie brachte mir einen Lederbecher voll des erquickenden Getränkes. Der Alte wartete, bis ich getrunken hatte, und fragte dann:
»Du wirst bleiben viele Tage in der Hütte deines Freundes?«
»Ich werde sie verlassen, sobald ich ausgeruht habe.«
»So willst du reiten des Nachts, wenn die Stimmen der wilden Tiere erschallen und der Panther Mensch und Djemmel zerreißt? Bleib bei uns, Sihdi, denn dein Tod würde auf meine Seele fallen!«
Ich mußte dem guten Alten sein Verhör erleichtern.
»Der Panther wird mich nicht zerreißen. Hast du nicht sein Kleid auf meinen Tieren gesehen?«
»Ich habe es gesehen, das Kleid des Panthers und seiner Sultana.«
»Nun wohl, ich habe ihn und sie getötet beim Sternenscheine am Fuhm-es-Sahar.«
»Den fürchterlichen Panther am Fuhm-es-Sahar, der schrecklicher war, als alle Panther der Steppe? Sihdi, du bist ein Held, ein großer Krieger! Wie viele Männer sind bei dir gewesen?«
»Keiner. Ich habe ganz allein mit dem Panther und seiner Frau gesprochen.«
»Ganz allein? Allah akbar, Gott ist groß, und du bist ein Akhu (Bruder, Genosse) des großen Emir-el-Areth, der im Wed-el-Kantara ertrank!«
»Ich bin ein Franke, wie er, und habe eine Büchse, welche dieselben Worte spricht, wie die seinige.«
»Ein Franke bist du und ein Jäger, wie der Emir-el-Areth? Dann muß ich dir etwas sagen, was deine Seele erfreuen wird!«
Er war plötzlich sehr ernst geworden und trat mit geheimnisvoller Miene ganz nahe zu mir heran. Die zwei hohl gebogenen Hände wie ein Sprach- oder Hörrohr an meine Ohren haltend, legte er den Mund an sie und flüsterte so leise, daß ich es kaum zu verstehen vermochte:
»Kennst du Assad, den Aufruhrerregenden?«
Ich nickte und blickte ihn erwartungsvoll an.
»Kennst du Assad-Bei, den Herdenwürger?« fragte er in derselben Weise.
Ich nickte zum zweiten Mal bejahend mit dem Kopfe, und er fuhr fort:
»Er ist unserer Herde gefolgt schon lange Zeit und hat uns die besten Tiere geraubt; erst in der vergangenen Nacht holte er wieder ein Rind für sich und seine Frau, aaib aaleihu, Schande über ihn!«
Der leise Flüsterton war mir nicht unbegreiflich. Der Araber hat einen außerordentlichen Respekt vor dem Löwen; so lange das gewaltige Tier noch lebt, nennt er es mit den hochtrabendsten und ehrendsten Namen, um es ja nicht zu beleidigen und zur Rache herauszufordern; ist es aber getötet, so bewirft er es mit den demütigendsten Schimpfworten und thut ihm alle möglichen Beleidigungen an. Er fürchtet die Stärke und Zähigkeit des Königs der Tiere und läßt sich lange Zeit von ihm berauben, ehe er sich zu einem Angriffe entschließt, der bei der gebräuchlichen Weise der Araber meistens mehrere Menschenleben kostet.
Der sonst so tapfere und unerschrockene Sohn der Wüste wagt es nämlich nie, wie der kühne europäische Jäger zu thun stets vorzieht, den Löwen allein anzugreifen. Es treten sämtliche waffenfähige Männer des Duars oder der Dachera (Gebäudedörfer) zusammen, suchen das Lager des Tieres auf, locken es durch lärmendes Rufen, Brüllen, Pfeifen, Schießen und Klappern aus demselben hervor und jagen ihm, sobald es erscheint, aus ihren langen, unsicher treffenden Flinten so viele Kugeln wie möglich in den Leib. Selbst wenn es zum Tode verwundet ist, besitzt es noch so viel Lebenszähigkeit und Kraft, sich auf einen oder mehrere zu werfen, um sich vor seinem Verenden blutig zu rächen.
Die Furcht, welche man vor ihm hegt, geht sogar so weit, daß man bei dem Entschlusse und der Vorbereitung eines Angriffes nur leise spricht; man meint, er könne es hören und dem Angriffe begegnen. Darum sprach der Alte so heimlich; Assad Bei, der Aufruhrerregende, der Herdenwürger, hätte ja sonst seine Worte vernehmen können.
Jetzt fiel es mir auch auf, daß ich keinen einzigen waffenfähigen Mann in dem Duar bemerkt hatte. Nur einige neugierige Frauenköpfe waren zwischen den Vorhängen der Zelte zu sehen gewesen.
»Eure Männer sind gegangen, ihn zu töten?«
»Alle unsere Männer und Jünglinge samt unsern Gästen, welche kühne Söhne des Uëlad Sliman sind.«
Bei dieser Nachricht war alle Müdigkeit und Erschöpfung von mir gewichen.
»So werde auch ich gehen, um den Sihdi-el-salssali, den Herrn des Erdbebens, aufzusuchen!« Ich wußte, daß der Löwe wegen der Macht seiner Stimme so genannt wird.
»Be issm lillahi, um Gottes willen, sprich leise!« bat der Alte ängstlich. »Wenn er es hört, so bist du verloren. Er kommt herbei und reißt dich in Stücke.«
»Bist du toll, Sihdi,« lamentierte Hassan-el-Kebihr, »daß du dein Fleisch zerreißen und deine Knochen zermalmen lassen willst durch den ›Herrn mit dem dicken Kopfe‹, der mehr Kraft hat als zehn Scheitans, als hundert Teufel zusammengenommen? Du hast den Panther und sein Weib getötet, Assad-Bei aber spottet der Kugel und lacht deines Messers; sein Fell ist härter als der Schild des Nurab-a-Torel-Khadra.«
»Aus deinem Munde spricht die Angst, und deine Rede trieft von Furcht, Hassan. Allah hat ein Weib geschaffen und ihm deine Gestalt gegeben!«
»Sihdi, wenn mir dies ein anderer sagte, so würde ich ihn auf der Stelle erwürgen. Hassan-Ben-Abulfeda-Ibn-Haukal al Wardi-Jussuff-lbn-Abul-Foslan-Ben-Ishak al Duli kennt weder Angst noch Furcht, denn er ist Djezzar-Bei, der Menschenwürger. Aber er ist nicht jung und auch nicht fett genug; der Löwe mag ihn gar nicht fressen!«
»Er soll dich auch nicht fressen; du bleibst mit Jussuf hier bei unseren Tieren,« tröstete ich ihn.
Er schien mit diesem Befehle außerordentlich zufrieden zu sein, nicht so aber der Staffelsteiner.
»Dos kann nix sein, Herr,« appellierte dieser gegen meinen Bescheid. »Ich geh' halt mit. Ich hab' nit mit auf den Panther gedurft, drum will ich wenigstens heut meine Büchs' probier'n. Wenn der Löwe Sie nit frißt, so mag er seh'n, wie ich ihm schmeck'. Ich bin Ihr Diener und gehör' halt dahin, wo sich mein Herr befindet.«
»So magst du mitgeh'n,« entschied ich, erfreut über diesen Beweis von Mut.
Hassan suchte mich noch immer abzuhalten; er erging sich in den kräftigsten Schilderungen der Gefahr, welche uns erwartete. Es half ihm nichts.
»Hamdulillah, Preis sei Gott,« meinte dagegen unser Wirt. »Allah ist barmherzig und gnädig; er hat dich zu uns gesendet und wird deine Waffe segnen, daß du unsere Männer errettest von den Klauen des Tieres, welches der Herr des Erdbebens ist!«
Der Morgenländer hält jeden Franken, welcher ein Gewehr trägt, für einen ausgezeichneten Schützen, und die Freude des Alten gründete sich jedenfalls auch mit auf die stille Hoffnung, daß der Löwe statt einen der Seinigen mich und Josef zerreißen werde.
»Wo ist der Löwe?« fragte ich ihn.
»Komm heraus vor das Zelt, Sihdi; ich werde es dir zeigen!«
Ich nahm meine Waffen und folgte ihm.
Vom See aus zog sich eine immer breiter werdende Vertiefung den Hügel hinan; es war ein jetzt trockener Wadi. Noch immer flüsternd, zeigte der Alte auf die mit Felsen übersäte Rinne des Wadi.
»Ganz oben in diesem Battn el Hadjar, in diesem Bauch der Steine, hat der Emir-el-Areth sein Lager. Die Männer sind hinauf, um ihn hervorzutreiben. Lauf schnell, Sihdi, daß du nicht zu spät kommst, ihn in die Tschehenna, in die Hölle, zu schicken!«
»Komm, Josef!«
Ich war meiner Büchse sicher; sie hatte mir niemals versagt, und jede der aus ihr geschossenen konischen Kugeln hatte bisher ihre Schuldigkeit gethan. Ich war überzeugt, daß sie mich auch heute nicht verlassen werde.
Um den obern Teil der Schlucht so bald wie möglich zu erreichen, vermied ich die Windungen, welche sie machte, und schritt von den Zelten aus gleich direkt den Berg hinan. Am oberen Wadi angekommen, vernahm ich einen ganz entsetzlichen Lärm, welcher aus der Tiefe der Schlucht emporscholl. Rasch eilte ich dem vor mir liegenden Rande zu, von welchem aus ich die Situation vollständig überblicken konnte.
Die steile Böschung grad mir gegenüber zog sich ein Gebüsch von Wacholder und stacheligen Mimosen hinan, welches von den Arabern umzingelt war. Es mußte den Löwen verbergen, denn die oberhalb des Gestrüppes Befindlichen rollten große Steine in dasselbe, um das Tier herauszutreiben. Die Männer schwangen ihre Flinten und tanzten dabei vor Aufregung und suchten sich durch kreischende Zurufe zu ermutigen. Ich empfing einen eigentümlichen Eindruck von dieser untaktischen Art und Weise, ein Wild zu jagen, welches sich am besten des Nachts, Auge in Auge und ohne Lärm erlegen läßt.
Da bemerkte ich inmitten des Gebüsches eine leise Bewegung; sie wurde stärker, und jetzt trat er hervor, nicht plötzlich, nicht nach Katzenart springend und schnellend, sondern langsam, mit sicheren, majestätischen Schritten. Die reiche, dunkle Mähne hing ihm wirr um Kopf und Vorderleib; den stark bequasteten Schwanz zog er lang gestreckt hinter sich her; es war wirklich ein prachtvoller Anblick, das edle, gewaltige Tier so selbstbewußt und ruhig inmitten der schnell auf seinen Leib gerichteten Gewehre stehen zu sehen und es wollte mir wirklich scheinen, als bemerke ich ein verächtliches Funkeln der großen rollenden Augen. Ich hatte viel von dem Fürsten der Tiere gehört und noch mehr von ihm gelesen, gesehen aber hatte ich nur einige Exemplare in Menagerien und zoologischen Gärten. Sie alle hielten keinen Vergleich aus mit diesem prächtigen, machtvollen Sihdi-el-salssali, dessen Anblick meine Erwartungen weit übertraf. Dieser charaktervolle, hoch- und breitstirnige Kopf, dessen langsames Schütteln ein Zeichen der Verwunderung über das verwegene Beginnen der Araber zu sein schien; dieser ungebeugte Nacken, dieser kurze, breite Rücken, diese mächtigen Flanken, diese Pranken, denen man es ansah, daß ein einziger Schlag von ihnen genügend sei, ein Rind niederzustrecken; dieses drohende Oeffnen der Lefzen – die Natur hatte hier alles vereinigt, um die wilde, physische Kraft in all ihrer Majestät zur Darstellung zu bringen. Und jetzt hob er den Kopf und ließ jene furchtbaren Töne erschallen, derentwegen ihn der Sohn der Wüste den ›Herrn des Erdbebens‹ nennt, und von welchen der Dichter schreibt:
Da liegt der Maure unter Palmen,
Vom Sonnenbrand herbeigeführt,
Das Dromedar nascht von den Halmen,
Die noch der Samum nicht berührt;
Da trinkt das Gnu sich an der Quelle,
Der frischen, lebensvollen, satt,
Da naht verschmachtend die Gazelle,
Vom wilden Jagen todesmatt;
Da geht der Löwe nach der Beute,
Der König, kampfesmutig aus,
Und in die unbegrenzte Weite
Brüllt er den Herrscherruf hinaus.
Und Mensch und Tier, Gnu und Gazelle,
Sie zittern vor dem wilden Ton
Und jagen mit Gedankenschnelle,
Entsetzt, von Furcht gepackt, davon.
Es war mir wirklich, als zittere der Boden unter mir bei dem leise beginnenden, dann zu unbeschreiblicher Stärke anwachsenden und sich endlich in einem grimmigen Rollen verlierenden Gebrüll, welches der Araber so treffend mit dem Worte ›Rad‹, Donner, bezeichnet.
Da blitzte es aus allen Läufen auf; der Löwe wurde von mehreren Kugeln, aber nur leicht, getroffen. Er duckte sich nieder und fuhr dann mit einem einzigen, weiten Satze mitten unter die Angreifer hinein. Zwei von ihnen lagen unter seinen Tatzen. Länger durfte ich nicht zögern. Mehr gleitend als steigend warf ich mich, gefolgt von Korndörfer, den steilen Abhang des Wadi hinunter. Die Araber, welche ein beinahe betäubendes Geschrei erhoben, bemerkten mein Kommen nicht. Einer von ihnen hatte seine Flinte noch nicht abgeschossen. Mutiger als die anderen, deren größter Teil sich nach der Salve zur Flucht gewandt hatte, blieb er stehen, zielte und drückte los. Die Kugel traf, doch nicht zum Tode. Das Tier zuckte zusammen, schnellte im nächsten Augenblick durch die Luft und riß den Schützen nieder. Ihm die beiden Vordertatzen auf die Brust setzend, stieß es ein zweites, wo möglich noch erschreckenderes Brüllen aus als vorher. Im folgenden Momente mußte der Mann zerrissen sein.
In eiligen Sprüngen lief ich hinzu und kniete nur wenige Schritte von dem Löwen nieder. Dieser bemerkte mich und trat von seinem Opfer zurück, ein Umstand, welcher nur außerordentlich selten vorzukommen pflegt. Ich legte an. Es war nicht Furcht und nicht Angst, was ich in diesem Augenblick empfand; es giebt keine Bezeichnung für das Gefühl, welches jede Faser in mir anspannte. Die rollenden Augen glühten mir vernichtend entgegen, der Schwanz krümmte sich verräterisch; die kraftvollen Pranken zogen sich zum Sprunge zusammen, ein kurzes Zucken ging über den sich niederduckenden Leib – ich drückte los und sprang sofort zurück, das Messer aus der Scheide ziehend.
Der Löwe hatte sich im Augenblick des Schusses emporgeschnellt; er stürzte mitten im Sprunge zur Erde, wälzte sich einige Male hin und her und blieb dann unbeweglich liegen. Meine Kugel war ihm in das Auge gedrungen – er war verendet.
»Hamdulillah, Allah akbar, Preis sei Gott, der Herr ist groß!« erscholl es aus allen Kehlen. »Hasa nessieb, das hat Gott geschickt; der Kelb, der Hund, der Sohn von einem Hunde, der Enkel von einem Hundesohne ist tot; er ist schmachvoll gefallen, gestürzt und gestorben wie ein Ungläubiger, ohne Ruhm und Ehre. EI Thibb, der Schakal, und el Tabäa, die Hyäne, werden ihn fressen; el Büdj, der gewaltige Bartgeier, mag ihm das feige Herz zerhacken, und el Rhassahl, die Gazelle, mag ihn und seine Väter beschimpfen, ihn, der ohne Kampf und Gegenwehr aus dem Lande der Lebendigen gegangen ist. Er, der sich el Jawuhs, den Grausamen, nennen ließ, muß aus seinem Felle steigen. Holt die Hariri, die Musikanten, herbei; sie mögen auf der Nogara seine Schande trommeln und ihm mit der Rababa seine Schmach vorpfeifen!«
So klang es jubelnd und verhöhnend von allen Seiten. Man trat den toten Körper mit den Füßen; man schlug ihn mit den Fäusten, stieß ihn mit den Kolben und spie ihn verächtlich an. Die Spannung hatte mich verlassen; es war mir, als sei ich einer unvermeidlichen Todesgefahr entgangen, und tief atmend sah ich dem Treiben der heißblütigen Söhne einer glutüberfluteten Länderstrecke zu, die mich in ihrem Eifer um das gefallene Tier vollständig übersahen.
»Maschallah, tausend Schwerebrett,« meinte der Staffelsteiner, »is dos aan Gejauchz' und Gelärm'! Ich werd' nur schaun, ob sie sich halt auch bedanken werd'n!«
»Ama di bacht, welch ein Glück, daß du noch zur rechten Zeit gekommen bist!« klang es da neben mir.
Es war der, der zuletzt unter dem Löwen gelegen hatte. Von langer, hagerer, aber sehniger Figur, besaß er ein Gesicht, welches die Sonne beinahe schwarz gebrannt hatte. Seine großen, scharfen, dunklen Augen hatten ein eigentümliches Licht. Ein zorniger Blick aus ihnen konnte wohl auch einen beherzten Mann aus dem inneren Gleichgewichte bringen, das war ihnen leicht anzumerken.
»Gieb nicht mir, sondern dem Herrn die Ehre, der dich errettet hat!« antwortete ich, vielleicht etwas unfreundlicher als ich selbst beabsichtigte. Ich hätte diesem Manne nie mein Vertrauen schenken mögen.
»Ja, Allah die Ehre und dir den Dank!« stimmte er bei, indem sein Auge scharf und forschend über mich glitt. »Du bist fremd unter den Kindern der Wüste?«
»Ich komme aus Frankhistan, um Assad-Bei, den Herdenwürger, zu töten.«
»Du hast ihn getötet; Allah gab dir Heil und Gnade.«
Er wandte sich jetzt zu den noch immer schreienden und jubilierenden Arabern.
»Laßt ihn gehen, den Herrn mit dem dicken Kopfe! Er hat seine Schande genugsam vernommen, und seine Seele wird in die Haut eines Flohes fahren. Auf, ihr Männer, laßt uns Allah danken, der uns errettet hat. Knieet nieder und betet mit mir die heilige Fathha!«
EI Fathha (die Eröffnung) ist das erste Kapitel des Kuran, welches bei allen religiösen Handlungen der Moslemin eine Hauptrolle spielt. Die Männer knieten, das Angesicht gegen Morgen gewandt, nieder und beteten eintönig:
»Lob und Preis dem Weltenherrn, dem Allerbarmer, der da herrscht am Tage des Gerichts. Dir allein wollen wir dienen, und zu dir wollen wir flehen, auf daß du uns führest den rechten Weg, den Weg derer, die deiner Gnade sich freuen, und nicht den Weg derer, denen du zürnest, und nicht den der Irrenden!«
Nach Beendigung des Gebetes wandten sie nun auch mir ihre volle Aufmerksamkeit zu. Die Fragen und Lobpreisungen wollten kein Ende nehmen, bis endlich einer von ihnen meine Hand ergriff und mich ihnen entzog.
»Du hast nur ruhen wollen unter dem Dache des Arabers, aber du mußt bei uns bleiben viele Tage! Ich bin der Bei-el-Urdi, der Vorsteher des Lagers, und du sollst mein Zelt haben, so lange es dir bei uns gefällt.«
»Ich danke dir, du Freund des Wanderers, doch ist mein Weg lang und mein Ziel noch weit. Ich werde das Fell des Löwen nehmen und dann weiter ziehen.«
»Wie heißt dein Ziel?« fragte der, welcher zuerst mit mir gesprochen hatte.
»Timbuktu,« antwortete ich, da ich es nicht für notwendig hielt, Bab-el-Ghud anzugeben.
»So könntest du mit mir reisen, denn ich gehöre zu den Kriegern der U8lad Sliman, die gegen Mittag wohnen. Doch muß ich hier warten auf einen unserer Männer, welcher mit einer Botschaft in die Stadt der Franken geritten ist.«
Diese letzten Worte erregten meine Aufmerksamkeit. Er war einer der Gäste, von denen der Alte gesprochen hatte.
»Ich kann nicht warten. Du aber reitest bessere Kamele als ich und wirst mich einholen.«
»Wie viele Männer sind bei dir?«
»Zwei.«
»Und du fürchtest dich nicht, mit so wenigen in das Bahr billa ma, in das ›Meer ohne Wasser‹ (Wüste) zu gehen?«
»Ich fürchte mich nie.«
»Fürchtest du auch Hedjahn-Bei, den Karawanenwürger, nicht? Du kannst seiner Gum gar leicht begegnen!«
»Er wird mich friedlich ziehen lassen, denn sonst geht es ihm wie Assad-Bei, dem Herdenwürger.«
Es war ein eigentümliches Aufleuchten seines stechenden Auges, welches mir bei diesen Worten entgegenblitzte.
»Du hast Assad-Bei getötet, Fremdling; der Hedjahn-Bei aber würde dich zermalmen. Er ist fürchterlicher als Areth, der Donnerstimmige.«
»Kennst du ihn?«
»Ihn kennt jeder Tuareg und Tebu; warum sollte ich ihn nicht kennen? Spricht nicht jedermann von ihm?«
»So kennst du wohl auch Mahmud Ben Mustafa Abd Ibrahim Jaakub Ibn Baschar, den Imoscharh?« fragte ich, es möglichst verbergend, daß ich sein Gesicht scharf beobachtete.
Er entfärbte sich trotz seines dunklen Teints.
»Wer ist dieser Mann?«
»Er ist kein Mann, sondern ein Weib, dessen Zunge nicht zu schweigen weiß. Ich traf ihn, und er sagte mir, daß er ein Bote des Hedjahn-Bei sei und zu einem Franken gehe, um ein Lösegeld zu fordern.«
Die Brauen des Arabers zogen sich finster zusammen.
»Allah inhal el Kelb, Gott verderbe den Hund! Und du bist zu dem Franken gegangen, um ihn zu warnen?«
»Warum ich? Der Imoscharh wird schon selbst mit ihm sprechen!«
»Sihdi, du hast klug und weise gehandelt, denn Reden ist Silber, Schweigen aber Gold!«
Ich wußte genug. Dieser Araber war jedenfalls einer der Leute des Hedjahn-Bei und wartete hier auf die Rückkehr des Boten, der in Algier gefangen gehalten wurde, und der Bei el Urdi war wohl ein geheimer Verbündeter des Karawanenwürgers. Ich konnte die Gastfreundschaft dieser Leute, denen ich vielleicht noch feindlich gegenübertreten mußte, nicht in Anspruch nehmen und beschloß, sofort wieder aufzubrechen.
Mit Hilfe Josefs schälte ich den Löwen schnell aus seinem Felle und kehrte dann unter der jubelnden Begleitung sämtlicher Männer nach dem Duar zurück. Die glückliche Jagd hatte kein Menschenleben gekostet, denn auch die zwei, welche der Löwe niedergerissen hatte, waren nur verwundet worden, allerdings so schwer, daß sie in das Dorf getragen werden mußten.
Hassan der Große kam mir freudig entgegen geeilt.
»Du lebst, Sihdi, du bist wieder da und hast den Herrn mit dem dicken Kopfe getötet? Hamdulillah, Preis und Ruhm sei dem Herrn, der dein Schutz gewesen ist! Ich habe um dich gezittert, wie der Halm des Grases, wenn der Smum über die Oase geht.«
»Maschallah, tausend Schwerebrett, is dos aan Vergleich: aan Grashalm und Djezzar-Bei, der Menschenwürger!« antwortete Josef statt meiner. »Schämst du dich nit, Hassan el Kebihr, zu deutsch der große Haas'? Mach dich rasch aufs Kamel, denn die Reis' geht wieder vorwärts!«
Als ich im Begriffe stand, Abschied zu nehmen, führte mich der Uëlad Sliman zu seinen Kamelen.
»Sihdi, du hast kein Djemmel, wie du es brauchst. Deine Hand hat mich vom Tode errettet. Sieh dieses Tier an! Es ist ein Hedjihn, ein Bischarinhedjihn, wie es in der ganzen Sahel kein zweites giebt; maktub ala salamtek, es ist auf deinen Namen geschrieben; ich schenke es dir!«
Es war ein kostbares Geschenk. Hatte dieser Mann die Mittel dazu? Ich wollte widersprechen, weil ich ihn als meinen Feind betrachten mußte; er aber winkte mit einem wahrhaft gebieterischen Ausdrucke zum Schweigen und zog dann ein eigentümlich geformtes Korallenstück hervor.
»Du hast gelernt, den Mund verschlossen zu halten. Nimm diese Anaia (Zeichen), und wenn du der Gum des Hedjahn-Bei begegnest, so zeige sie vor. Sie wird dir Schutz gewähren, denn du hast einen Gläubigen aus den Klauen des Sihdi-el-salssali errettet. Steige auf, und reise ohne Furcht!«
Um ihn nicht zu erzürnen oder gar sein Mißtrauen zu erwecken, mußte ich das Tier annehmen. In der Ecke der Satteldecke sah ich eine Arabeske, in welcher sich die Buchstaben A. L. eingestickt befanden. Es waren die Anfangsbuchstaben des Namens André Latréaumont.
Ich sagte dem Alten und seiner Tochter, in deren Zelte ich Aufnahme gefunden hatte, Dank und wurde dann vom Bei el Urdi und von einigen seiner Leute eine Strecke weit begleitet. Als er von mir schied, meinte er:
»Sihdi, du bist ein tapferer Krieger, doch der Hedjahn-Bei ist mächtiger als du. Aber ich habe gesehen, daß du seine Anaia bekommen hast. Du wirst sicher sein, so weit die Wüste reicht. Sallam aaleikum, Friede und Heil sei mit dir!« –-