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2. Kapitel. Auf dem Colorado.

Der nordamerikanische Bürgerkrieg war beendet, und der Vereinigte-Staaten-Congreß fand nun Zeit, sich wieder mit dem Auslande zu beschäftigen. Die Aufmerksamkeit des Cabinetes von Washington richtete sich nach Süden, nach Mexico, welches Land noch jetzt unter den blutigen Wirren des Kampfes zwischen der Republik und dem Kaiserthume litt.

Benito Juarez war von den Vereinigten-Staaten als Präsident der Republik von Mexico anerkannt worden, und die Ersteren weigerten sich ganz entschieden, ihn gegen Maximilian fallen zu lassen. Sie betrachteten den Kaiser nach wie vor als Usurpator und begannen, auf Napoleon jenen Druck auszuüben, welcher ihn dann zu der erzwungenen Erklärung veranlaßte, seine Truppen aus Mexico zurückzuziehen. Durch die Erfolge Preußens im deutschen Kriege indirect gezwungen, hielt er auch Wort, und von da an war der Untergang Maximilians besiegelt.

Texas hatte sich beim Ausbruche des Bürgerkrieges für die Secession erklärt und sich also an die Seite der Sklavenstaaten gestellt. Die Niederwerfung dieser Letzteren hatte keineswegs eine schnelle Beruhigung der Bevölkerung zur Folge. Man war erbittert gegen den Norden und verhielt sich in Folge dessen feindselig gegen dessen Politik. Eigentlich war die Bevölkerung von Texas gut republikanisch gesinnt. Man schwärmte für Juarez, den »indianischen Helden«, welcher sich nicht gescheut hatte, es mit Napoleon und einem Sprossen des mächtigen Hauses Habsburg aufzunehmen. Aber weil die Regierung von Washington es mit diesem »Helden« hielt, conspirirte man im Stillen gegen denselben. So ging ein tiefer Riß durch die Bevölkerung von Texas. Die Einen traten offen für Juarez auf; die Andern erklärten sich gegen denselben, nicht aus Ueberzeugung, sondern nur aus reiner Widerstandslust. In Folge dieses Zwiespalts war es nicht leicht, durch das Land zu reisen. Alle Vorsicht des Einzelnen, seine politische Farbe verbergen zu wollen, war vergeblich; man wurde förmlich gezwungen, mit derselben hervorzutreten.

Was die in Texas ansässigen Deutschen betrifft, so waren sie mit sich selbst uneins. Als Deutsche sympathisirten sie mit Maximilian, doch entsprach es ihrem Patriotismus nicht, daß er unter der Aegide Napoleons nach Mexico gekommen war. Sie hatten genug republikanische Luft eingeathmet, um zu glauben, daß der Einfall der Franzosen im Lande Montezuma’s ein ungerechter sei und nur den Zweck verfolge, durch Auffrischung der französischen Gloire den Blick der Franzosen von den eigenen unheilbaren Gebrechen abzulenken. Aus diesem Grunde verhielten sich die Deutschen schweigend und standen jeder politischen Demonstration fern, zumal sie es während des Secessionskrieges mit den Nordstaaten und gegen die Sklavenbarone gehalten hatten.

So standen die Verhältnisse, als wir die flache, langgestreckte Nehrung zu Gesicht bekamen, welche die Matagorda-Bai von dem mexicanischen Golfe trennt. Wir segelten durch den Paso Caballo ein, mußten dann aber schnell Anker fallen lassen, da die Bai so seicht ist, daß tiefer gehende Schiffe Gefahr laufen, auf den Grund zu gerathen.

Hinter der Nehrung ankerten kleinere Fahrzeuge, vor derselben in See mehrere große Schiffe, Dreimaster, und auch ein Dampfer. Ich ließ mich natürlich sofort nach Matagorda rudern, um mich zu erkundigen, ob es eine baldige Gelegenheit nach Quintana gebe. Leider hörte ich, daß erst nach Verlauf von zwei Tagen ein Schooner dorthin gehen werde. Ich saß also fest und ärgerte mich, denn Gibson erhielt nun einen Vorsprung von vier Tagen, welchen er benutzen konnte, spurlos zu verschwinden. Ich hatte nur den einen Trost, Alles gethan zu haben, was unter den obwaltenden Verhältnissen möglich gewesen war.

Da mir nichts Anderes übrig blieb, als geduldig zu warten, so suchte ich mir ein Gasthaus und ließ mein Gepäck vom Schiffe holen.

Matagorda war damals ein kleinerer Ort als jetzt. Er liegt im östlichen Theile der Bai und ist ein Hafenplatz von weit geringerer Bedeutung als zum Beispiel Galveston. Wie überall in Texas, so besteht auch hier die Küste aus einer sehr ungesunden Niederung, welche zwar nicht gerade morastig genannt werden kann, aber doch sehr wasserreich ist. Man kann sich da sehr leicht das Fieber holen, und so war es mir gar nicht lieb, hier so lange verweilen zu müssen.

Mein »Hôtel« glich einem deutschen Gasthofe dritten oder vierten Ranges, mein Zimmer einer Schiffskoje, und das Bett war so kurz, daß ich beim Schlafen entweder den Kopf oben oder die Beine unten hinaushängen lassen mußte.

Nachdem meine Sachen untergebracht waren, ging ich aus, um mir den Ort anzusehen. Aus meiner Stube tretend, mußte ich, um zur Treppe zu gelangen, an einer jetzt offen stehenden Thüre vorüber. Ich warf einen Blick in den Raum und sah, daß derselbe genau so wie der meinige möbliert war. An der Wand lag ein Sattel auf dem Boden und über demselben hing ein Zaum. In der Ecke, nahe beim Fenster, lehnte eine lange Kentuckybüchse. Ich mußte unwillkürlich an Old Death denken, doch konnten diese Gegenstände auch irgend einem Andern gehören.

Aus dem Hause getreten, schlenderte ich langsam die Gasse hinab. Als ich um die Ecke biegen wollte, wurde ich von einem Manne angerannt, welcher von der andern Seite kam und mich nicht gesehen hatte.

»Thunderstorm!« schrie er mich an. »Paßt doch auf, Sir, bevor Ihr in dieser Weise um die Ecken stürmt!«

»Wenn Ihr meinen Schneckengang für ein Stürmen haltet, so ist die Auster ein Missisippisteamer,« antwortete ich lachend.

Er fuhr einen Schritt zurück, sah mich an und rief:

»Das ist ja der deutsche Greenfisch, welcher nicht zugeben wollte, daß er ein Detective sei! Was habt Ihr denn hier in Texas und gar in Matagorda zu suchen, Sir?«

»Euch nicht, Master Death!«

»Glaube es wohl! Ihr scheint zu den Leuten zu gehören, welche niemals finden, was sie suchen, dafür aber mit allen Leuten zusammenrennen, mit denen sie nichts zu schaffen haben. Jedenfalls habt Ihr Hunger und Durst. Kommt, wir wollen uns irgendwo vor Anker legen, wo es ein gutes Bier zu trinken gibt. Euer deutsches Lagerbier scheint sich überall breit zu machen. In diesem elenden Neste ist es auch bereits zu finden, und ich calculire, daß dieses Bier das Beste ist, was man von Euch haben kann. Habt Ihr schon Logis?«

»Ja, da unten im »Uncle Sam«.«

»Sehr schön! Da habe ich auch mein Wigwam aufgeschlagen.«

»Etwa in der Stube, in welcher ich ein Reitzeug und die Büchse bemerkte, eine Treppe hoch?«

»Ja. Ihr müßt nämlich wissen, daß ich von diesem Zeug nicht lasse. Es ist mir lieb geworden. Ein Pferd ist überall zu bekommen, ein guter Sattel nicht. Aber kommt, Sir! Soeben war ich in einer Bude, wo es ein kühles Bier gibt, an diesem Junitage ein wahres Labsal. Bin gern bereit, noch eins oder einige zu trinken.«

Er führte mich in ein kleines Local, in welchem Flaschenbier zu einem übrigens sehr hohen Preise ausgeschenkt wurde. Wir waren die einzigen Gäste. Ich bot ihm eine Cigarre an; er lehnte sie aber ab. Dafür zog er eine Tafel Kautabak aus der Tasche und schnitt sich von derselben ein Primchen ab, welches für fünf Vollmatrosen ausgereicht hätte. Dieses schob er in den Mund, brachte es liebevoll in der einen Backe unter und sagte dann:

»So, jetzt stehe ich Euch zu Diensten. Ich bin begierig, zu hören, welcher Wind Euch so schnell hinter mir hergetrieben hat. War es ein günstiger?«

»Im Gegentheile, ein sehr widriger.«

»So wolltet Ihr wohl gar nicht hierher?«

»Nein, sondern nach Quintana. Da es aber dorthin keine schnelle Gelegenheit gab, so bin ich hierher gekommen, weil man mir sagte, daß ich hier leicht ein Schiff finden werde, welches nach dem genannten Ort bestimmt sei. Leider muß ich zwei volle Tage warten.«

»Tragt das in Geduld, Master, und tröstet Euch mit der süßen Ueberzeugung, daß Ihr eben ein Pechvogel seid!«

»Schöner Trost! Meint Ihr, daß ich Euch für denselben eine Dankesadresse überreichen lassen soll?«

»Bitte,« lachte Old Death. »Gebe meinen Rath stets unentgeltlich. Uebrigens geht es mir grad so wie Euch; sitze auch so nutzlos hier, weil ich zu langsam gewesen bin. Wollte hinauf nach Austin und dann weiter, ein wenig über den Rio grande del Norte hinüber. Die Jahreszeit ist günstig. Es hat geregnet, und so besitzt der Colorado genug Wasser, um flache Dampfboote nach Austin zu tragen. Der Fluß ist nämlich den größten Theil des Jahres über sehr wasserarm.«

»Ich habe gehört, daß eine Barre die Schiffahrt hindere.«

»Das ist keine eigentliche Barre, sondern eine Raft, eine gewaltige Anschwemmung von Treibholz, welche ungefähr acht englische Meilen oberhalb von hier den Fluß zwingt, sich in mehrere Arme zu spalten. Hinter dieser Raft gibt es dann ein stetig freies Wasser, bis Austin und darüber hinaus. Da durch die Raft die Fahrt unterbrochen wird, so thut man klug, von hier aus bis hinauf zu ihr zu gehen, und erst dann an Bord zu steigen. Das wollte ich auch; aber Euer deutsches Lagerbier hatte es mir angethan. Ich trank und trank, verweilte mich in Matagorda zu lange, und als ich bei der Raft ankam, pfiff das Dampfboot eben ab. Habe also meinen Sattel wieder zurücktragen müssen und muß nun warten bis morgen früh, wo das nächste Boot abgeht.«

»So sind wir Leidensgefährten, und Ihr könnt Euch mit demselben Troste beruhigen, welchen Ihr vorhin mir zugesprochen habt. Ihr seid eben auch ein Pechvogel.«

»Der bin ich nicht. Ich verfolge Niemanden, und bei mir ist es sehr gleichgültig, ob ich heute oder in einer Woche in Austin eintreffe. Aber ärgerlich ist es doch, ganz besonders weil jener dumme Greenfrog mich auslachte. Er war schneller gewesen als ich und pfiff mich vom Verdeck herüber an, als ich mit meinem Sattel am Ufer zurückbleiben mußte. Treffe ich diesen Kerl irgendwo, so erhält er noch eine ganz andere Ohrfeige, als diejenige war, welche er am Bord unseres Dampfers einstecken mußte.«

»Ihr habt eine Prügelei gehabt, Sir?«

»Prügelei? Was meint Ihr damit, Sir? Old Death prügelt sich nie. Aber es war da ein Kerl vorhanden, welcher sich über meine Gestalt moquirte und lachte, so oft er mich sah. Da fragte ich ihn denn, was ihn so lustig mache, und als er mir antwortete, daß mein Gerippe ihn so heiter stimme, da erhielt er einen Slap in the face, daß er sich niedersetzte. Nun wollte er mit dem Revolver auf mich los, doch der Capt’n kam dazu und befahl ihm, sich von dannen zu trollen; es sei ihm recht geschehen, da er mich beleidigt habe. Darum lachte mich der Schelm aus, als ich zu spät gekommen war. Schade um den Gefährten, mit welchem er reiste! Schien ein veritabler Gentleman zu sein, nur immer traurig und düster; starrte stets wie ein geistig Gestörter vor sich hin.«

Diese letzteren Worte erregten meine Aufmerksamkeit im höchsten Grade.

»Ein geistig Gestörter?« fragte ich. »Habt Ihr vielleicht seinen Namen gehört?«

»Er wurde vom Capt’n Master Ohlert genannt.«

Es war mir, als hätte ich einen Schlag ins Gesicht erhalten. Hastig fragte ich weiter:

»Ah! Und sein Begleiter?«

»Hieß Clinton, wenn ich mich recht entsinne.«

»Ist’s möglich, ist’s möglich?« rief ich, von meinem Stuhle aufspringend. »Diese Beiden sind an Bord mit Euch gewesen?«

Er sah mich staunend an und fragte:

»Habt Ihr einen Raptus, Sir? Ihr fahrt ja auf wie eine Rakete! Gehen Euch diese zwei Männer Etwas an?«

»Viel, sehr viel! Sie sind es ja, die ich finden will!«

Wieder ging jenes freundliche Grinsen, welches ich wiederholt bei ihm gesehen hatte, über sein Gesicht.

»Schön, schön!« nickte er. »Ihr gebt also endlich zu, daß Ihr zwei Männer sucht? Und grad diese Zwei? Hm! Ihr seid wirklich ein Greenhorn, Sir! Habt Euch selber um den schönen Fang gebracht.«

»Wieso?«

»Dadurch, daß Ihr in New-Orleans nicht aufrichtig mit mir waret.«

»Ich durfte ja nicht,« antwortete ich kleinlaut.

»Der Mensch darf Alles, was ihn zum guten Ziele führt. Hättet Ihr mir Eure Angelegenheit offenbart, so befänden sich die Beiden jetzt in Euren Händen. Ich hätte sie erkannt, sobald sie an Bord des Dampfers kamen, und Euch sofort geholt oder holen lassen. Seht Ihr das nicht ein?«

»Wer konnte denn wissen, daß Ihr dort mit ihnen zusammentreffen würdet! Uebrigens haben sie nicht nach Matagorda, sondern nach Quintana gewollt.«

»Das haben sie nur so gesagt. Sie sind dort gar nicht an’s Land gekommen. Wollt Ihr klug sein, so erzählt mir Eure Geschichte. Vielleicht ist es mir möglich, Euch behilflich zu sein, die Kerls zu erwischen.«

Der Mann meinte es aufrichtig gut mit mir. Es fiel ihm gar nicht ein, mich kränken zu wollen, und doch fühlte ich mich beschämt. Gestern hatte ich ihm die Auskunft verweigert, und heute wurde ich von den Verhältnissen gezwungen, sie ihm zu geben. Mein Selbstgefühl flüsterte mir zu, ihm nichts zu sagen; aber der Verstand behielt doch die Oberhand. Ich zog die beiden Photographien hervor, gab sie ihm und sagte:

»Bevor ich Euch eine Mittheilung mache, betrachtet Euch einmal diese Bilder. Sind das die Personen, welche Ihr meint?«

»Ja, ja, sie sind es,« nickte er, als er einen Blick auf die Photographien geworfen hatte. »Es ist gar keine Täuschung möglich.«

Ich erzählte ihm nun aufrichtig den Sachverhalt. Er hörte mir aufmerksam zu, schüttelte, als ich geendet hatte, den Kopf und sagte nachdenklich:

»Was ich da von Euch gehört habe, ist Alles glatt und klar. Nur Eins leuchtet mir nicht ein. Ist dieser William Ohlert denn vollständig wahnsinnig?«

»Nein. Ich verstehe mich zwar nicht auf Geisteskrankheiten, möchte hier aber doch nur von einer Monomanie reden, weil er, abgesehen von einem Punkte, vollständig Herr seiner geistigen Thätigkeiten ist.«

»Um so unbegreiflicher ist es mir, daß er diesem Gibson einen so unbeschränkten Einfluß auf sich einräumt. Er scheint diesem Menschen in Allem zu folgen und zu gehorchen. Jedenfalls geht dieser schlau auf die Monomanie des Kranken ein und bedient sich derselben zu seinen Zwecken. Nun, hoffentlich kommen wir hinter all’ seine Schliche.«

»Ihr seid also überzeugt, daß sie auf dem Wege nach Austin sind? Oder haben sie die Absicht, unterwegs auszusteigen?«

»Nein, Ohlert hat dem Capt’n des Dampfers gesagt, daß er nach Austin wolle.«

»Sollte mich wundern. Er wird doch nicht sagen, wohin zu gehen er beabsichtigt.«

»Warum nicht? Ohlert weiß vielleicht gar nicht, daß er verfolgt wird, daß er sich auf Irrwegen befindet. Er ist wohl in dem guten Glauben, ganz recht zu handeln, lebt nur für seine Idee, und das andere ist Gibsons Sache. Der Irre hat es nicht für unklug gehalten, Austin als Ziel seiner Reise anzugeben. Der Capt’n sagte mir es wieder. Was gedenkt Ihr zu thun?«

»Natürlich muß ich ihnen nach und zwar schleunigst.«

»Bis morgen früh müßt Ihr trotz aller Ungeduld doch warten; es geht kein Schiff eher ab.«

»Und wann kommen wir an?«

»Unter den gegenwärtigen Wasserverhältnissen erst übermorgen.«

»Welch eine lange, lange Zeit!«

»Ihr müßt bedenken, daß die Beiden wegen der Wasserarmuth des Flusses eben auch spät ankommen. Es ist gar nicht zu vermeiden, daß das Schiff zuweilen auf den Grund fährt, und da dauert es stets eine geraume Weile, bevor es wieder loskommt.«

»Wenn man nur wüßte, was Gibson eigentlich beabsichtigt, und wohin er Ohlert schleppen will?«

»Ja, das ist freilich ein Räthsel. Irgend eine bestimmte Absicht hat er ja. Die Gelder, welche bisher erhoben worden sind, würden ausreichen, ihn zum wohlhabenden Manne zu machen. Er braucht sie nur an sich zu nehmen und Ohlert einfach sitzen zu lassen. Daß er das nicht thut, ist ein sicheres Zeichen, daß er ihn noch weiter ausbeuten will. Ich interessire mich außerordentlich für diese Angelegenheit, und da wir, wenigstens einstweilen, den gleichen Weg haben, so stelle ich mich Euch zur Verfügung, Wenn Ihr mich braucht, so könnt Ihr mich haben.«

Die Hilfe Old Death’s, die ich ein paar Tage vorher verschmäht hatte, nahm ich jetzt mit Dank an.

»Euer Anerbieten wird mit großem Danke acceptirt, Sir. Ihr flößt mir ein aufrichtiges Vertrauen ein, und Euer Wohlwollen ist mir angenehm. Ihr habt mich ein Greenhorn genannt, und ich wollte Euch deßhalb zürnen; aber ich habe nachgerade eingesehen, daß Ihr nicht Unrecht habt, und so wird mir Eure Hilfe jedenfalls von großem Vortheile sein.«

Wir schüttelten uns die Hände und leerten unsere Gläser. Hätte ich mich diesem Manne doch bereits gestern anvertraut!

Wir bekamen eben die Gläser neu gefüllt, als sich draußen ein wüster Lärm hören ließ. Johlende, menschliche Stimmen und heulendes Hundegebell kamen näher. Die Thüre wurde ungestüm aufgerissen, und sechs Männer traten ein, die alle schon ein beträchtliches Quantum getrunken haben mochten; Keiner von ihnen war mehr nüchtern zu nennen. Rohe Gestalten und Gesichter, südlich leichte Kleidung und prächtige Waffen fielen an ihnen sofort auf. Jeder von ihnen war mit Gewehr, Messer, Revolver oder Pistole versehen, außerdem hatten alle eine wuchtige Niggerpeitsche an der Seite hängen, und Jeder führte an starker Leine einen Hund bei sich. Alle diese Hunde von ungeheurer Größe waren von jener sorgfältig gezüchteten Rasse, welche man in den Südstaaten zum Einfangen flüchtig gewordener Neger verwendete, und Bluthunde oder Menschenfänger nannte.

Die Strolche starrten uns, ohne zu grüßen, mit unverschämten Blicken an, warfen sich auf die Stühle, daß diese krachten, legten die Füße auf den Tisch und trommelten mit den Absätzen auf ihm herum, womit sie an den Wirth das höfliche Ersuchen richteten, sich zu ihnen zu bemühen.

»Mensch, hast Du Bier?« schrie ihn Einer an. »Deutsches Bier?« Der geängstigte Wirth bejahte.

»Das wollen wir trinken. Aber bist Du auch selbst ein Deutscher?«

»Nein.«

»Das ist Dein Glück. Das Bier der Deutschen wollen wir trinken; sie selbst aber sollen in der Hölle braten, diese Abolitionisten, weiche dem Norden geholfen haben und schuld sind, daß wir unsere Stellen verloren!«

Der Wirth zog sich schleunigst zurück, um seine noblen Gäste so rasch wie möglich zu bedienen. Ich hatte mich unwillkürlich umgedreht, um den Sprecher anzusehen. Er bemerkte es. Ich bin überzeugt, daß in meinem Blicke gar nichts für ihn Beleidigendes lag; aber er hatte einmal keine Lust, sich ansehen zu lassen, vielleicht große Sehnsucht, mit mir anzubinden, und schrie mir zu:

»Was starrst Du mich an! Habe ich etwa nicht wahr gesprochen?«

Ich wendete mich ab und antwortete nicht.

»Nehmt Euch in Acht!« flüsterte Old Death mir zu. »Das sind Rowdies der schlimmsten Sorte. Jedenfalls entlassene Sklavenaufseher, deren Herren durch die Abschaffung der Sklaverei bankerott geworden sind. Die haben sich nun zusammengethan, um allerlei Unfug zu treiben. Es ist besser, wir beachten sie gar nicht. Trinken wir rasch aus, um dann zu gehen.«

Aber grad dieses Flüstern gefiel dem Manne nicht. Er schrie zu uns herüber:

»Was hast Du Heimliches zu reden, altes Gerippe? Wenn Du von uns sprichst, so thu’ es laut, sonst werden wir Dir den Mund öffnen!«

Old Death setzte sein Glas an den Mund und trank, sagte aber nichts. Die Leute bekamen Bier und kosteten. Das Gebräu war wirklich gut; die Gäste befanden sich aber in ächter Rowdylaune und gossen es in die Stube. Derjenige, welcher vorhin gesprochen hatte, hielt sein volles Glas noch in der Hand und rief:

»Nicht auf den Boden! Dort sitzen zwei, denen dieses Zeug sehr gut zu bekommen scheint. Sie sollen es haben.«

Er holte aus und goß sein Bier über den Tisch herüber auf uns Beide aus. Old Death fuhr sich ruhig mit dem Aermel über das naßgewordene Gesicht; ich aber brachte es nicht fertig, so ruhig wie er die schändlichsten Beleidigungen einzustecken. Mein Hut, mein Kragen, mein Rock, alles tropfte an mir, da mich der Hauptstrahl getroffen hatte. Ich drehte mich um und sagte:

»Sir, ich bitte Euch sehr, das nicht zum zweiten Male zu thun! Treibt Euern Spaß mit Euern Kameraden; wir haben nichts dagegen; uns aber laßt gefälligst in Ruhe.«

»So! Was würdet Ihr denn thun, wenn ich Lust empfände, Euch nochmals zu begießen?«

»Das wird sich finden.«

»Sich finden? Nun, da müssen wir doch gleich einmal sehen, was sich finden wird. Wirth, neue Gläser!«

Die Andern lachten und johlten ihrem Matador Beifall zu. Es war augenscheinlich, daß er seine Unverschämtheit wiederholen werde.

»Um Gotteswillen, Sir, bindet nicht mit den Kerlen an!« warnte mich Old Death.

»Fürchtet Ihr Euch?« fragte ich ihn.

»Fällt mir nicht ein! Aber sie sind mit den Waffen schnell bei der Hand, und gegen eine tückische Kugel vermag auch der Muthigste nichts. Bedenkt, daß sie Hunde haben!«

Die Strolche hatten ihre Hunde an die Tischbeine gebunden. Um nicht wieder von hinten getroffen zu werden, verließ ich meinen bisherigen Platz und setzte mich so, daß ich den Rowdies die rechte Seite zukehrte.

»Ah! Er setzt sich in Positur!« lachte der Wortführer. »Er will sich wehren, aber sobald er nur eine Bewegung macht, laß ich Pluto auf ihn los. Der ist auf Menschen dressirt.«

Er band den Hund los und hielt ihn an der Schnur bei sich. Noch hatte der Wirth das Bier nicht gebracht; noch war es Zeit für uns, ein Geldstück auf den Tisch zu legen und zu gehen, doch glaubte ich nicht, daß uns die Bande erlauben werde, uns zu entfernen, und sodann widerstrebte es mir, vor diesen verachtenswerthen Menschen die Flucht zu ergreifen. Denn solche Prahlhänse sind im Grund ihrer Seele Feiglinge.

Ich griff in die Tasche und spannte meinen Revolver. Im Ringen stellte ich meinen Mann; das wußte ich, doch war mir zweifelhaft, ob es mir gelingen werde, die Hunde zu bewältigen. Aber ich hatte Thiere, welche auf den Mann dressirt gewesen waren, unter den Händen gehabt, und brauchte mich wenigstens vor einem einzelnen Packer nicht zu fürchten.

Jetzt kam der Wirth. Er stellte die Gläser auf den Tisch und sagte in bittendem Tone zu seinen streitsüchtigen Gästen:

»Gentlemen, Euer Besuch ist mir sehr angenehm; aber ich bitte Euch, die beiden Männer dort in Ruhe zu lassen. Sie sind ebenfalls meine Gäste.«

»Schurke!« brüllte ihn Einer an. »Willst Du uns gute Lehren geben? Warte, wir werden Deinen Eifer gleich abkühlen.« Und der Inhalt von zwei oder drei Gläsern ergoß sich über den armen Wirth, der es für das Klügste hielt, die Stube schnell zu verlassen.

»Und nun der Großsprecher dort!« rief mein Gegner. »Er soll es haben!«

Den Hund mit der Linken haltend, schleuderte er den Inhalt seines Glases mit der Rechten nach mir. Ich fuhr vom Stuhle auf und zur Seite, so daß ich nicht getroffen wurde. Dann erhob ich die Faust, um zu ihm hinzuspringen und ihn zu züchtigen. Er aber kam mir zuvor.

»Pluto, go on!« rief er, indem er den Hund losließ und auf mich deutete.

Ich hatte grad noch Zeit, an die Wand zu treten, da that das gewaltige Thier einen wahrhaft tigerähnlichen Satz auf mich zu. Der Hund war ungefähr fünf Schritte von mir entfernt gewesen. Diesen Raum durchmaß er mit einem einzigen Sprunge. Dabei war er seiner Sache so gewiß, daß er mich mit den Zähnen bei der Gurgel fassen mußte, wenn ich stehen blieb. Aber eben als er mich packen wollte, wich ich zur Seite und er flog mit der Schnauze an die Mauer. Der Sprung war so kräftig gewesen, daß der Bluthund durch den Anprall fast betäubt wurde. Er stürzte zu Boden. Blitzschnell hatte ich ihn bei den Hinterläufen, schwang seinen Körper und schleuderte ihn mit dem Kopf voran gegen die Mauer, daß der Schädel zerbrach.

Nun erhob sich ein entsetzlicher Lärm. Die Hunde heulten und zerrten an ihren Leinen die Tische von der Stelle; die Männer fluchten, und der Besitzer des todten Hundes wollte sich auf mich werfen. Da aber rief Old Death, der sich erhoben hatte und den Kerls seine beiden Revolver entgegenhielt:

»Stop! Jetzt ist’s nun gerade genug, Boys. Noch einen Schritt oder einen Griff nach Euern Waffen, so schieße ich. Ihr habt Euch in uns geirrt. Ich bin Old Death, der Pfadfinder. Ich hoffe, daß Ihr von mir gehört habt. Und dieser Sir, mein Freund, fürchtet sich ebenso wenig vor Euch wie ich. Setzt Euch nieder, und trinkt euer Bier in Bescheidenheit! Keine Hand nach der Tasche, oder bei meiner Seele, ich schieße!«

Diese letzte Warnung war an einen der Sklavenaufseher gerichtet, welcher seine Hand der Tasche genähert hatte, wohl in der Absicht, nach einem Revolver zu greifen. Auch ich hatte den meinen gezogen. Wir Beide hatten achtzehn Schüsse. Ehe einer der Kerle zu seiner Waffe kam, mußte er von unserer Kugel getroffen sein. Der alte Pfadfinder schien ein ganz anderer Mensch geworden zu sein. Seine sonst gebeugte Gestalt hatte sich hoch aufgerichtet; seine Augen leuchteten, und in seinem Gesichte lag ein Ausdruck überlegener Energie, der keinen Widerstand aufkommen ließ. Spaßhaft war es, zu sehen, wie kleinlaut die vorher so frech auftretenden Menschen auf einmal wurden. Sie brummten zwar einige halblaute Bemerkungen vor sich hin, doch setzten sie sich nieder, und selbst der Herr des todten Hundes wagte es nicht, zu dem Thiere zu treten, da er sonst ganz in meine Nähe gekommen wäre.

Noch standen wir beide da, die Revolver drohend in den Händen, als ein weiterer Gast eintrat – – ein Indianer.

Es gibt Menschen, welche gleich im ersten Augenblicke der Begegnung, noch ehe sie ein Wort gesprochen haben, einen tiefen, unauslöschlichen Eindruck auf uns machen. Ohne daß eine solche Person sich freundlich oder feindselig verhalten hat, fühlt man deutlich, ob man sie hassen oder lieben werde. Ein solcher Mensch war dieser Indianer.

Er trug ein weißgegerbtes und mit rother, indianischer Stickerei verziertes Jagdhemde. Die Leggins waren aus demselben Stoffe gefertigt und an den Nähten mit dicken Fransen von Scalphaaren besetzt. Kein Fleck, keine noch so geringe Unsauberkeit war an Hemd und Hose zu bemerken. Seine kleinen Füße steckten in mit Perlen gestickten Moccassins, welche mit Stachelschweinsborsten geschmückt waren. Um den Hals trug er den Medizinbeutel, die kunstvoll geschnitzte Friedenspfeife und eine dreifache Kette von Krallen des grauen Bären, welche er mit größter Lebensgefahr dem gefürchtetsten Raubthiere der Felsengebirge abgewonnen hatte. Um seine Taille schlang sich ein breiter Gürtel, aus einer kostbaren Santillodecke bestehend. Aus demselben schauten die Griffe eines Messers und zweier Revolver hervor. In der Rechten hielt er ein doppelläufiges Gewehr, dessen Holztheile dicht mit silbernen Nägeln beschlagen waren. Den Kopf trug der Indianer unbedeckt. Sein langes, dichtes, blauschwarzes Haar war in einen hohen, helmartigen Schopf geordnet und mit einer Klapperschlangenhaut durchflochten. Keine Adlerfeder, kein Unterscheidungszeichen schmückte diese Frisur, und dennoch sagte man sich gleich beim ersten Blicke, daß dieser noch junge Mann ein Häuptling, ein berühmter Krieger sein müsse. Der Schnitt seines ernsten, männlichschönen Gesichtes konnte römisch genannt werden; die Backenknochen standen kaum merklich vor; die Lippen des vollständig bartlosen Gesichtes waren voll und doch fein geschwungen, und die Hautfarbe zeigte ein mattes Hellbraun mit einem leisen Bronzehauch.

Er blieb einen Augenblick an der Thüre stehen. Ein forschender scharfer Blick seines dunklen Auges flog durch den Raum und über die in demselben befindlichen Personen; dann setzte er sich in unserer Nähe nieder, von den ihn anstarrenden Rowdies möglichst entfernt.

Man sah es ihm an, daß er die Situation sofort begriffen hatte. Seine Augen zogen sich ein ganz klein wenig und wie verächtlich zusammen, als er einen zweiten, kurzen Blick auf unsere Gegner warf, und als wir uns nun niedersetzten und die Revolver wieder einsteckten, zeigte sich ein kaum bemerkbares und, wie es schien, wohlwollendes Lächeln auf seinen Lippen.

Die Wirkung seiner Persönlichkeit war so groß, daß sich bei seinem Eintreten eine wahre Kirchenstille einstellte. Diese Geräuschlosigkeit mochte den Wirth überzeugen, daß die Gefahr vorüber sei. Er steckte den Kopf zur halb geöffneten Thüre herein und zog dann, als er sah, daß er nichts zu fürchten brauche, die übrige Gestalt vorsichtig nach.

»Ich bitte um ein Glas Bier, deutsches Bier!« sagte der Indianer mit wohlklingender, sonorer Stimme und im schönsten, geläufigen Englisch.

Das war den Rowdies merkwürdig wie mir. Sie steckten die Köpfe zusammen und begannen zu flüstern. Die versteckten Blicke, mit denen sie den Indianer musterten, ließen errathen, daß sie nichts Vortheilhaftes über ihn sprachen.

Er erhielt das Bier, hob das Glas gegen das Fensterlicht, prüfte es mit einem behaglichen Kennerblicke und trank.

»Well!« sagte er zum Wirthe, indem er mit der Zunge schnalzte. »Euer Bier ist gut. Der große Manitou der weißen Männer hat sie viele Künste gelehrt, und das Bierbrauen ist nicht die geringste unter denselben.«

Er sprach so geläufig und mit so richtigem Accent, daß ich mich leise zu Old Death wendete:

»Sollte man glauben, daß dieser Mann ein Indianer sei!«

»Er ist einer, und zwar was für einer!« antwortete mir der Alte ebenso leise, aber mit Nachdruck.

»Kennt Ihr ihn? Habt Ihr ihn schon einmal getroffen oder gesehen?«

»Gesehen noch nicht. Aber ich erkenne ihn an seiner Gestalt, seiner Kleidung, seinem Alter, am meisten aber an seinem Gewehre. Es ist die berühmte Silberbüchse, deren Kugel niemals ihr Ziel verfehlt. Ihr habt das Glück, den berühmtesten Indianerhäuptling Nordamerika’s kennen zu lernen, Winnetou, den Häuptling der Apachen. Er ist der hervorragendste unter allen Indianern. Sein Name lebt in jedem Palaste, in jeder Blockhütte, an jedem Lagerfeuer. Gerecht, klug, ehrlich, treu, stolz, tapfer bis zur Verwegenheit, Meister im Gebrauche aller

Waffen, ohne Falsch, ein Freund und Beschützer aller Hilfsbedürftigen, gleichviel, ob sie roth oder weiß von Farbe sind, ist er bekannt über die ganze Länge und Breite der Vereinigten Staaten und weit über deren Grenzen hinaus als der ehrenhafteste und berühmteste Held des fernen Westens.«

»Aber wie kommt er zu diesem Englisch und zu den Manieren eines weißen Gentleman?«

»Er verkehrt sehr viel im Osten, und man erzählt sich, ein europäischer Gelehrter sei in die Gefangenschaft der Apachen gerathen und von ihnen so gut behandelt worden, daß er sich entschlossen habe, bei ihnen zu bleiben, sich eine Tochter des Stammes zum Weibe zu nehmen und die Indianer zum Frieden zu erziehen. Er ist der Lehrer Winnetou’s gewesen, wird aber mit seinen philanthropischen Ansichten nicht durchgedrungen und nach und nach verkommen sein.«

Das war sehr, sehr leise gesprochen worden; kaum hatte ich es verstehen können. Und doch wendete sich der über fünf Ellen von uns entfernte Indianer zu meinem neuen Freunde:

»Old Death hat sich geirrt. Der weiße Gelehrte kam zu den Apachen und wurde freundlich von ihnen aufgenommen. Er liebte die Schwester von Winnetou’s Vater, welche die »Taube des Westens« genannt wurde, und nahm sie zum Weib. Er wurde der Lehrer seines Neffen Winnetou und hat ihn unterrichtet, gut zu sein und die Sünde von der Gerechtigkeit, die Wahrheit von der Lüge zu unterscheiden. Er ist nicht verkommen, sondern er war hochgeehrt und hat sich niemals nach den weißen Männern zurückgesehnt. Als er starb, wurde ihm ein Grabstein errichtet, wie ihn gleich prächtig kein Häuptling jemals empfing, und mit Lebenseichen und schneeweiß blühenden Magnolien umpflanzt. Er ist hinüber gegangen in die ewig grünenden Savannenländer, wo die Seligen sich nicht zerfleischen und vom Angesichte Manitou’s wonniges Entzücken trinken. Dort wird Winnetou ihn wiedersehen und allen Haß vergessen, den er hier auf Erden schaut.«

Was für ein feines Ohr mußte dieser Mann besitzen! Jetzt glaubte ich, was ich früher bezweifelt hatte, daß ein im Grase liegender Indianer im Stande sei, die an einem Halme emporkletternde Ameise zu hören.

Old Death hatte keine Zeit, sich wie ich zu wundern; er war unendlich glücklich, von diesem Manne erkannt worden zu sein. Sein Gesicht strahlte vor Freude, als er ihn fragte:

»Wie, Sir, Ihr kennt mich? Wirklich?«

»Ich habe Euch noch nicht gesehen, aber dennoch sofort erkannt, als ich hereintrat. Ihr seid ein Scout, dessen Name bis hinüber zum las Animas erklingt.«

Nach diesen Worten wendete er sich wieder ab. Während seiner Rede hatte sich kein Zug seines ehernen Gesichtes bewegt – jetzt saß er still und scheinbar in sich selbst versunken da; nur seine Ohrmuscheln zuckten zuweilen, als ob sie sich mit etwas außer ihm Vorgehenden beschäftigten.

Indessen flüsterten die Rowdies immer unter sich weiter, sahen sich fragend an, nickten einander zu, und schienen endlich zu einem Entschlusse zu kommen. Sie kannten den Indsman nicht, hatten auch aus seiner Rede nicht geschlossen, wer er sei, und wollten nun wohl die Niederlage, welche sie uns gegenüber erlitten hatten, dadurch ausgleichen, daß sie ihn fühlen ließen, wie sehr sie einen rothhäutigen Menschen verachteten. Dabei mochten sie der Ansicht sein, daß es mir und Old Death nicht einfallen werde, uns seiner anzunehmen, denn wenn nicht wir es waren, welche beleidigt wurden, so hatten wir uns nach den herrschenden Regeln ruhig zu verhalten und zuzuschauen, wie ein harmloser Mensch moralisch mißhandelt wurde. Also stand Einer von ihnen auf, derselbe, welcher vorher mit mir angebunden hatte, und schritt langsam und in herausfordernder Haltung auf den Indsman zu.

Ich war sofort dazu entschlossen, Letzterem nöthigenfalls beizustehen, und zog meinen Revolver aus der Tasche, um ihn so vor mich auf den Tisch zu legen, daß ich ihn bequem erreichen konnte.

»Ist nicht nothwendig,« flüsterte Old Death mir zu. »Ein Kerl wie Winnetou nimmt es mit der doppelten Anzahl dieser Buben auf.«

Der Rowdy pflanzte sich breitspurig vor den Apachen hin, stemmte die Hände in die Hüften und sagte:

»Was hast Du hier in Matagorda zu suchen, Rothhaut? Wir dulden keine Wilden in unserer Gesellschaft.«

Winnetou würdigte den Mann keines Blickes, führte sein Glas an den Mund, that einen Schluck und setzte es dann, behaglich mit der Zunge schnalzend, wieder auf den Tisch.

»Hast Du nicht gehört, was ich sagte, verwünschte Rothhaut?« fragte der Rowdy. »Ich will wissen, was Du hier treibst. Du schleichst umher, um uns auszuhorchen, den Spion zu spielen. Die Rothhäute halten es mit dem Hallunken Juarez, dessen Fell ja auch ein rothes ist; aber wir sind auf Seiten des Imperators Max und werden jeden Indianer aufknüpfen, welcher uns in den Weg kommt. Wenn Du nicht sofort in den Ruf einstimmst: »Es lebe Kaiser Max«, legen wir Dir den Strick um den Hals!«

Auch jetzt sagte der Apache kein Wort. Kein Zug seines Gesichtes bewegte sich.

»Hund, verstehst Du mich? Antwort will ich haben!« schrie ihn der Andere jetzt in offenbarer Wuth an, indem er ihm die Faust auf die Achsel legte.

Da richtete sich die geschmeidige Gestalt des Indianers blitzschnell in die Höhe.

»Zurück!« rief er in befehlendem Tone. »Ich dulde nicht, daß ein Cojote mich anheult.«

Cojote wird der feige Prairiewolf genannt, der allgemein als ein verächtliches Thier angesehen wird. Die Indianer bedienen sich dieses Schimpfwortes, sobald sie Jemandem ihre höchste Geringschätzung ausdrücken wollen.

»Ein Cojote?« rief der Rowdy. »Das ist eine Beleidigung, für welche ich Dich zur Ader lassen werde, und zwar augenblicklich!«

Er zog seinen Revolver. Da aber geschah Etwas, was weder er noch ich erwartet hatten: Der Apache schlug ihm die Waffe aus der Hand, faßte ihn an den Hüften, hob ihn empor und schleuderte ihn gegen das Fenster, welches natürlich in Stücke und Scherben ging und mit ihm hinaus auf die Straße flog.

Das war viel schneller geschehen, als man es erzählen kann. Das Klirren des Fensters, das Heulen der Hunde, das zornige Aufbrüllen der Genossen des auf diese Weise an die Luft Beförderten, das Alles verursachte einen Heidenscandal, welcher aber von Winnetou’s Stimme übertönt wurde. Er trat auf die Burschen zu, deutete mit der Hand nach dem Fenster und rief:

»Will noch einer von Euch dort hinaus? Er mag es sagen!«

Er war einem der Hunde zu nahe gekommen. Dieser fuhr nach ihm, erhielt aber von dem Apachen einen Fußtritt, daß er sich winselnd unter den Tisch verkroch. Die Sklavenaufseher wichen scheu zurück und schwiegen. Winnetou hielt keine Waffe in der Hand. Seine Persönlichkeit allein war es, welche allen imponirte. Keiner der Angegriffenen antwortete. Der Indianer glich einem Thierbändiger, wenn er in den Käfig tritt und die Wildheit der Katzen mit dem Blick seines Auges niederhält.

Da wurde die Thüre aufgerissen, und der durch das Fenster Geworfene, dessen Gesicht durch die Scherben des Glases leicht beschädigt worden war, trat herein. Er hatte das Messer gezogen und sprang unter einem wüthenden Schrei auf Winnetou los. Dieser machte nur eine kleine Seitenbewegung und packte mit schnellem Griffe die Hand, welche das Messer hielt. Dann faßte er ihn grad so wie vorhin bei den Hüften, hob ihn empor und schmetterte ihn auf den Boden, wo der Rowdy besinnungs- und bewegungslos liegen blieb. Keiner der Gefährten des letzteren machte Miene, sich an dem Sieger zu vergreifen. Dieser griff so ruhig, als ob gar nichts geschehen sei, nach seinem Biere und trank es aus. Dann winkte er dem Wirth, welcher sich angstvoll nach der in sein Kabinet führenden Thüre zurückgezogen hatte, zu sich, nahm einen Lederbeutel aus dem Gürtel und legte ihm aus demselben einen kleinen gelben Gegenstand in die Hand, dabei sagend:

»Nehmt das für das Bier und für das Fenster, Master Landlord! Ihr seht, daß der »Wilde« seine Schuld bezahlt. Hoffentlich erhaltet Ihr auch von den Civilisirten Euer Geld. Sie wollen keine »Rothhaut« bei sich dulden. Winnetou, der Häuptling der Apachen, aber geht nicht, weil er sich vor ihnen fürchtet, sondern weil er erkannt hat, daß nur die Haut, nicht aber die Seele dieser Bleichgesichter von heller Farbe ist. Es gefällt ihm nicht bei ihnen.«

Er verließ das Local, nachdem er seine Silberbüchse ergriffen hatte, ohne noch irgend wem auch nur einen Blick zuzuwerfen; auch mich sah er nicht an.

Jetzt kam wieder Leben in die Rowdies. Ihre Neugierde aber schien größer zu sein als ihr Zorn, ihre Beschämung und auch ihre Sorge um den bewußtlosen Gefährten. Sie fragten vor allen Dingen den Wirth, was er erhalten habe.

»Ein Nugget,« antwortete er, indem er ihnen das über haselnußgroße Stück gediegenen Goldes zeigte. »Ein Nugget, welches wenigstens zwölf Dollars werth ist. Da ist das Fenster reichlich bezahlt; es war alt und morsch und hatte mehrere Sprünge in den Scheiben. Er schien den ganzen Beutel voll solcher Nuggets zu haben.«

Die Rowdies äußerten ihren Aerger darüber, daß eine Rothhaut sich im Besitze einer solchen Menge Goldes befinde. Das Goldstück ging von Hand zu Hand und wurde nach seinem Werthe abgeschätzt. Wir benutzten die Gelegenheit, um unsere Zeche zu bezahlen und uns zu entfernen.

»Nun, was sagt Ihr zu dem Apachen, Master?« fragte mich Old Death, als wir uns glücklich draußen befanden. »Kann es einen zweiten solchen Indsman geben?«

»Wohl kaum. Ich habe mir die berüchtigten Apachen freilich ganz anderes vorgestellt.«

»Glaube es. Doch dürft Ihr nicht vergessen, daß er der Einzige seiner Art ist, eine Ausnahme, welche vergeblich ihres Gleichen sucht. Die Schurken wichen vor ihm zurück, wie die Sperlinge beim Anblicke eines Falken. Wie schade, daß ich ihn nicht mehr sehe! Wir hätten ihm ein wenig nachgehen können, denn ich möchte gar zu gern wissen, was er hier treibt, ob er außerhalb der Stadt lagert oder in einem Gasthause sich niedergelassen hat. Er muß sein Pferd irgendwo eingestellt haben, denn ohne Roß ist nie ein Apache, und auch Winnetou nicht zu denken. Uebrigens, Sir, habt auch Ihr Eure Sache gar nicht übel gemacht. Beinahe wäre mir Angst geworden, denn es ist immer gefährlich, mit solchen Leuten anzubinden; aber die kühne und gewandte Art, mit welcher Ihr die Hundebestie bedientet, läßt vermuthen, daß Ihr nicht allzu lange Zeit ein Greenhorn bleiben werdet. Aber nun sind wir in der Nähe unseres Logementes ange kommen. Gehen wir hinein? Ich denke nicht. Ein alter Trapper wie ich, klemmt sich nicht gern zwischen Mauern ein, und ich habe am liebsten den freien Himmel über mir. Laufen wir also noch ein wenig in diesem schönen Matagorda umher. Ich wüßte nicht, wie wir die Zeit anders todtschlagen wollten. Oder liebt Ihr es vielleicht, ein Spielchen zu machen?«

»Nein. Ich bin kein Spieler und habe auch nicht die Absicht, einer zu werden.«

»Recht so, junger Mann! Hier aber spielt fast Jedermann, und nach Mexico hinein wird es noch viel schlimmer; da spielt Mann und Weib, Katze und Maus, und die Messer sitzen nicht sehr fest. Erfreuen wir uns an einem Spaziergange! Dann essen wir und legen uns bei Zeiten auf das Ohr. In diesem gesegneten Lande weiß man ja niemals, ob, wie oder wo man sich des andern Abends zur Ruhe legen kann.«

»So schlimm wird es doch wohl nicht sein!«

»Ihr dürft nicht vergessen, Sir, daß Ihr Euch bisher nur in den Oststaaten befunden habt. Jetzt aber sind wir in Texas, welches bereits zum Westen gezählt werden muß, und dessen Verhältnisse noch bei Weitem nicht geordnet sind. Wir haben zum Beispiel vor, nach Austin zu gehen. Es ist aber sehr fraglich, ob wir dorthin kommen. Die Ereignisse in Mexico haben ihre Wogen auch über den Rio grande herübergewälzt. Da geschieht Manches, was sich sonst nicht zu ereignen pflegt, und überdies haben wir mit den Einfällen dieses Gibson zu rechnen. Wenn es ihm in den Sinn gekommen ist, die Fahrt nach Austin zu unterbrechen und irgendwo auszusteigen, sind wir natürlich gezwungen, dasselbe zu thun.«

»Aber wie erfahren wir, ob er von Bord gegangen ist?«

»Durch Nachfrage. Der Dampfer nimmt sich hier auf dem Colorado Zeit. Man hastet noch nicht so wie auf dem Missisippi und anderwärts. Es bleibt uns an jedem Orte ein kleines Viertelstündchen übrig, unsere Nachforschungen zu halten. Wir können uns sogar darauf gefaßt machen, irgendwo an das Land gehen zu müssen, wo es weder Stadt noch irgend ein Hôtel gibt, in welchem wir uns pflegen können.«

»Aber was geschieht in diesem Falle mit meinem Koffer?«

Er lachte laut auf bei meiner Frage.

»Koffer, Koffer!« rief er. »Einen Koffer mit zu nehmen, das ist noch ein Rest längst vergangener vorsintfluthlicher Verhältnisse. Welcher vernünftige Mensch schleppt ein solches Gepäckstück mit sich! Wenn ich Alles, was ich jemals während meiner Reisen und Wanderungen gebrauchte, hätte mitnehmen wollen, so wäre ich niemals weit gekommen. Nehmt mit, was für den Augenblick nothwendig ist; alles Uebrige kauft Ihr Euch zu seiner Zeit. Was habt Ihr denn in Eurem alten Kasten für wichtige Dinge?«

»Kleider, Wäsche, Toilettengegenstände, Verkleidungsstücke und so weiter.«

»Das sind alles ganz schöne Sachen, die man aber überall haben kann. Und wo sie nicht zu haben sind, da ist eben kein Bedürfniß dafür vorhanden. Man trägt ein Hemde, bis man es nicht mehr braucht, und kauft sich dann ein neues. Toilettensachen? Nehmt es nicht übel, Sir, aber Haar- und Nagelbürsten, Pomaden, Bartwichse und dergleichen schänden bloß den Mann. Verkleidungsgegenstände? Die mögen da, wo Ihr jetzt gewesen seid, ihre Dienste leisten, hier aber nicht mehr. Hier braucht Ihr Euch nicht hinter einer falschen Haartour zu verstecken. Solch romantischer Unsinn führt Euch nicht zum Ziele. Hier heißt es, frisch zugreifen, sobald Ihr Euern Gibson findet. Und – – –«

Er blieb stehen, betrachtete mich von oben bis unten, zog eine lustige Grimasse und fuhr dann fort:

»So, wie Ihr hier vor mir steht, könnt Ihr im Zimmer der anspruchvollsten Lady oder im Parkett irgend eines Theaters erscheinen. Texas aber hat mit einem Boudoir oder einer Theaterloge nicht die mindeste Aehnlichkeit. Leicht kann es geschehen, daß bereits nach zwei oder drei Tagen Euer feiner Anzug in Fetzen um Euch hängt und Euer schöner Cylinderhut die Gestalt einer Ziehharmonika erhalten hat. Wißt Ihr denn, wohin Gibson sich wenden wird? In Texas zu bleiben, kann unmöglich seine Absicht sein; er will verschwinden und muß also die Grenze der Vereinigten Staaten hinter sich haben. Daß er die Richtung hierher eingeschlagen hat, macht es über allen Zweifel erhaben, daß er nach Mexico will. Er kann in den Wirren dieses Landes untertauchen, und kein Mensch, auch keine Polizei wird Euch helfen, ihn empor zu ziehen.«

»Vielleicht habt Ihr Recht. Ich denke aber, wenn er wirklich nach Mexico wollte, so würde er direct nach einem dortigen Hafen gegangen sein.«

»Unsinn! Er hat New-Orleans so schnell verlassen müssen, daß er sich des ersten abfahrenden Schiffes bedienen mußte. Ferner befinden sich die mexicanischen Häfen im Besitze der Franzosen. Wißt Ihr denn, ob er von diesen etwas wissen will? Er hat keine Wahl; er muß den Landweg einschlagen und ist jedenfalls klug genug, sich an den größeren Orten nicht all zu viel sehen zu lassen. So ist es möglich, daß er auch Austin vermeidet und bereits vorher ausgestiegen ist. Er geht nach dem Rio grande, zu Pferde natürlich, durch wenig angebautes Land. Wollt Ihr ihm dorthin mit Eurem Koffer, Eurem Cylinderhute und in diesem eleganten Anzuge folgen? Wenn das Eure Absicht wäre, so müßte ich Euch auslachen.«

Ich sah freilich ein, daß er nicht Unrecht hatte. Vielleicht war der Blick, mit welchem ich an mir niedersah, ein wenig kläglich, denn er lachte abermals laut auf, klopfte mir auf die Achsel und sagte:

»Laßt es Euch nicht leid thun; trennt Euch getrost von diesem unpraktischen Anzuge. Geht hier zu einem Händler, um all Euern unnützen Krimskrams zu verkaufen, und schafft Euch dafür andere Kleider an. Ihr müßt unbedingt einen festen, dauerhaften Trapperanzug haben. Ich calculire, daß man Euch mit genug Geld versehen hat?« Ich nickte. »Nun, so ist ja alles recht. Weg also mit dem Schwindel! Ihr könnt doch reiten und schießen?« Ich bejahte mit vielem Nachdruck.

»Ein Pferd müßt Ihr auch haben, aber hier an der Küste kauft man sich keins. Hier sind die Thiere teuer und schlecht. Drin im Lande aber läßt Euch jeder Farmer eins ab, doch nicht auch einen Sattel dazu. Den müßt Ihr hier kaufen.«

»O weh! Soll ich etwa so laufen wie Ihr, mit dem Sattel auf dem Rücken?«

»Ja. Warum nicht? Genirt Ihr Euch etwa vor den Leuten? Wen geht es etwas an, daß ich einen Sattel trage? Keinen Menschen! Wenn es mir beliebt, so schleppe ich ein Sopha mit mir herum, um mich in der Prairie oder im Urwalde gelegentlich darauf ausruhen zu können. Wer da über mich lacht, dem gebe ich einen Nasenstüber, daß ihm alle möglichen Fixsterne vor den Augen funkeln. Man hat sich nur dann zu schämen, wenn man ein Unrecht oder eine Albernheit begeht. Gesetzt, Gibson ist mit William irgendwo ausgestiegen, hat Pferde gekauft und ist davon geritten, so sollt Ihr sehen, wie vortheilhaft es für Euch ist, sofort einen Sattel zur Hand zu haben. Thut, was Ihr wollt. Wenn Ihr aber wirklich wünscht, daß ich bei Euch bleibe, so folgt meinem Rathe. Entscheidet Euch also schnell!«

Er sagte das, ohne aber meine Entscheidung abzuwarten, faßte mich vielmehr am Arme, drehte mich um, deutete auf ein Haus mit einem großen Laden, über welchem in ellenhohen Buchstaben zu lesen war: »Store for all things«, und zog mich fort nach dem Eingang, gab mir einen Stoß, daß ich in den Laden und an ein offenstehendes Häringsfaß schoß, und schob sich dann schmunzelnd hinterdrein.

Die Firmenschrift enthielt keine Lüge. Der Laden war sehr groß und enthielt wirklich Alles, was man unter den hiesigen Verhältnissen nöthig haben konnte, sogar Sattel und Gewehre.

Die nun folgende Scene war einzig in ihrer Art. Ich glich geradezu einem Schulbuben, welcher mit seinem Vater vor der Jahrmarktsbude steht, seine Wünsche nur unter Zagen äußern darf und vielmehr das nehmen muß, was der erfahrene Vater für ihn aussucht. Old Death stellte gleich Anfangs die Bedingung, daß der Besitzer des Ladens meinen gegenwärtigen Anzug und auch den ganzen Inhalt meines Koffers mit an Zahlungsstatt anzunehmen habe. Der Mann ging gern darauf ein und schickte sofort seinen Storekeeper fort, den Koffer zu holen. Als derselbe ankam, wurden meine Sachen taxirt, und nun begann Old Death, für mich auszusuchen. Ich erhielt: eine schwarze Lederhose, ein Paar hohe Stiefel, natürlich mit Sporen, ein rothwollenes Leibhemd, eine Weste von derselben Farbe mit unzähligen Taschen, ein schwarzwollenes Halstuch, einen hirschledernen Jagdrock, ungefärbt, einen ledernen Gürtel, zwei Hände breit und innen natürlich hohl, Kugelbeutel, Tabaksblase, Tabakspfeife, Compaß und zwanzig andere nothwendige Kleinigkeiten, Fußlappen anstatt der Strümpfe, einen riesigen Sombrero, eine wollene Decke mit einem Schlitze in der Mitte, um den Kopf hindurch zu stecken, einen Lasso, Pulverhorn, Feuerzeug, Bowiemesser, Sattel, mit Taschen und Zaumzeug. Dann ging es zu den Gewehren. Old Death war kein Freund von Neuerungen. Er schob Alles, was neueren Datums war, bei Seite und griff nach einer alten Rifle, die ich jedenfalls gar nicht beachtet hätte. Nachdem er sie mit der Miene eines Kenners untersucht hatte, lud er sie, trat vor den Laden hinaus und schoß nach der Giebelverzierung eines sehr entfernten Hauses. Die Kugel saß.

»Well!« nickte er befriedigt. »Die wird’s thun. Dieses Schießeisen hat sich in famosen Händen befunden und ist mehr werth als aller Krimskrams, den man jetzt mit dem Namen Büchse beehrt. Ich calculire, daß dieses Gewehr von einem sehr tüchtigen Meister angefertigt worden ist, und will hoffen, daß Ihr ihm Ehre macht. Nun noch eine Kugelform dazu. Dann sind wir fertig. Blei können wir hier auch haben; so gehen wir nach Hause und gießen einen Kugelvorrath, vor welchem die da drüben in Mexico erschrecken sollen.«

Nachdem ich mir noch einige Kleinigkeiten, wie Taschentücher u. s. w., welche Old Death natürlich für ganz überflüssig hielt, ausgesucht hatte, mußte ich in einen kleinen Nebenraum treten, um mich umzuziehen. Als ich in den Laden zurückkehrte, betrachtete der Alte mich wohlgefällig.

Im Stillen hatte ich mich der Hoffnung hingegeben, daß er den Sattel tragen werde; aber das fiel ihm gar nicht ein; er packte mir die Geschichte auf und schob mich hinaus.

»So!« schmunzelte er draußen. »Jetzt seht einmal, ob Ihr Euch wirklich zu schämen habt! Jeder verständige Mensch wird Euch für einen sehr vernünftigen Gentleman halten, und was die unverständige Welt sagt, das geht Euch den Teufel an.«

Jetzt hatte ich nichts mehr vor Old Death voraus und mußte mein Joch geduldig nach dem Gasthofe schleppen, während er stolz nebenher schritt und es ihm jedenfalls heimlichen Spaß machte, mich als meinen eigenen Packträger in Thätigkeit zu sehen.

Am andern Morgen mietheten wir zwei Maulthiere, auf denen wir hinaus nach der Raft ritten, wo der Dampfer auf die Passagiere wartete. Die Thiere erhielten unsere Sättel aufgelegt, wodurch es glücklicherweise vermieden wurde, daß wir dieselben tragen mußten.

Der Steamer war ein sehr flachgehendes Boot und ganz nach amerikanischer Manier gebaut. Es befanden sich bereits zahlreiche Passagiere auf demselben. Als wir, nun allerdings die Sättel tragend, über die Planke schritten und an Deck kamen, rief eine laute Stimme:

»Bei Jove! Da kommen ein paar zweibeinige, gesattelte Maulesel! Hat man schon so Etwas gesehen? Macht Platz, Leute! Laßt sie hinab in den Raum! Solch Viehzeug darf doch nicht unter Gentlemen verweilen!«

Wir kannten diese Stimme. Die besten Plätze des mit einem Glasdache versehenen ersten Platzes waren von den Rowdies eingenommen, welche wir gestern kennen gelernt hatten. Der laute Schreier von gestern, welcher überhaupt ihren Anführer zu machen schien, hatte uns mit dieser neuen Beleidigung empfangen. Ich richtete mich nach Old Death. Da er die Worte ruhig über sich ergehen ließ, that auch ich so, als ob ich sie gar nicht vernommen hätte. Wir nahmen den Kerlen gegenüber Platz und schoben die Sättel unter unsere Sitze.

Der Alte machte es sich bequem, zog seinen Revolver hervor, spannte ihn und legte ihn neben sich hin; ich folgte aber seinem Beispiele und legte den meinen auch bereit. Die Kerls steckten die Köpfe zusammen und zischelten unter sich, wagten es aber nicht, wieder eine laute Beleidigung hören zu lassen. Ihre Hunde, von denen nun freilich einer fehlte, hatten sie auch heute bei sich. Der Sprecher betrachtete uns mit ganz besonders feindseligen Blicken. Seine Haltung war gebeugt, jedenfalls in Folge des Fluges durch das Fenster und der nachfolgenden nicht eben sanften Behandlung durch Winnetou. Sein Gesicht zeigte die noch frischen Spuren der Fensterscheiben.

Als der Conductor kam, uns zu fragen, wie weit wir mitfahren wollten, gab Old Death den Ort Columbus an, bis wohin wir bezahlten. Wir konnten ja dort weitere Passage nehmen. Er war der Ansicht, daß Gibson nicht ganz bis Austin gefahren sei.

Die Glocke hatte bereits das zweite Zeichen gegeben, als ein neuer Passagier kam –Winnetou. Er ritt einen auf indianische Weise gezäumten Rapphengst, ein prachtvolles Thier, stieg erst an Bord aus dem Sattel und führte sein Pferd nach dem Vordertheile des Deckes, wo für etwa mitzunehmende Pferde ein schulterhoher Bretterverschlag angebracht worden war. Dann setzte er, scheinbar ohne Jemand zu beachten, sich daneben auf die Brüstung des Schiffsgeländers. Die Rowdies nahmen ihn scharf in die Augen. Sie räusperten sich und husteten laut, um seine Blicke auf sich zu lenken, doch vergebens. Er saß, sich auf die Mündung seiner Silberbüchse stützend, halb abgewendet von ihnen und schien kein Ohr für sie zu haben.

Jetzt läutete es zum letzen Male; noch einige Augenblicke des Wartens, ob vielleicht noch ein Reisender kommen werde; dann drehten sich die Räder, und das Schiff begann die Fahrt.

Unsere Reise schien ganz gut verlaufen zu wollen. Es herrschte vollständige Ruhe an Bord bis Wharton, wo ein einziger Mann ausstieg, dafür aber zahlreiche Passagiere an Bord kamen. Old Death ging für einige Minuten an das Ufer, wo der Commissioner stand, um sich bei demselben nach Gibson zu erkundigen. Er erfuhr, daß zwei Männer, auf welche seine Beschreibung paßte, hier nicht ausgestiegen seien. Dasselbe negative Resultat hatte seine Erkundigung auch in Columbus, weßhalb wir dort bis La Grange weiter bezahlten. Von Matagorda bis Columbus hat das Schiff einen Weg von vielleicht fünfzig Gehstunden zurückzulegen. Es war also nicht mehr zeitig am Nachmittage, als wir uns am letzteren Orte befanden. Während dieser langen Zeit hatte Winnetou seinen Platz nur ein einziges Mal verlassen, um seinem Pferde Wasser zu schöpfen und ihm Maiskörner zu geben.

Die Rowdies schienen ihren gegen ihn und uns gerichteten Aerger vergessen zu haben. Sie hatten sich, sobald neue Passagiere anlangten, mit diesen beschäftigt, waren aber meist abweisend behandelt worden. Sie brüsteten sich mit ihrer antiabolitionistischen Gesinnung, fragten einen Jeden nach der seinigen und schimpften auf alle, die nicht ihrer Meinung waren. Ausdrücke wie »verdammter Republikaner«, »Niggeronkel«, »Yankeediener« und andere noch schlimmere flossen nur so von ihren Lippen, und so kam es, daß man sich von ihnen zurückzog und nichts von ihnen wissen wollte. Das war jedenfalls auch der Grund, daß sie es unterließen, mit uns anzubinden. Sie durften nicht hoffen, von Andern gegen uns unterstützt zu werden. Hätten sich jedoch mehr Secessionisten an Bord befunden, so wäre es ganz gewiß um den Schiffsfrieden geschehen gewesen.

In Columbus nun stiegen viele von den friedlichgesinnten Leuten aus, und es kamen dafür Andere an Bord, welche das gerade Gegentheil zu denken schienen. Unter Anderen taumelte eine Bande von vielleicht fünfzehn bis zwanzig Betrunkenen über die Planke, welche nichts Gutes ahnen ließen und von den Rowdies mit stürmischer Freude bewillkommnet wurden. Andere der neu Eingestiegenen schlossen sich ihnen an, und bald konnte man sehen, daß das unruhige Element sich jetzt in der Uebermacht befand. Die Unholde flegelten sich auf die Sitze, ohne zu fragen, ob sie andern unbequem wurden oder nicht, stießen sich zwischen den ruhigen Passagieren hin und her und thaten Alles, um zu zeigen, daß sie sich als Herren des Platzes fühlten. Der Kapitän ließ sie ruhig rumoren; er mochte meinen, daß es das Beste sei, sie nicht zu beachten. So lange sie ihn nicht in der Leitung des Schiffes störten, überließ er es den Reisenden, sich gegen Uebergriffe selbst zu schützen. Er hatte keinen einzigen Yankeezug im Gesichte. Seine Gestalt war voll, wie man es beim Amerikaner selten sieht, und über sein rothwangiges Gesicht breitete sich ein immerwährendes gutmüthiges Lächeln, welches, ich hätte darauf wetten wollen, ächt germanischer Abstammung sein mußte.

Die meisten Sezessionisten waren nach der Schiffsrestauration gegangen. Von dort her erscholl wüstes Gejoll. Flaschen wurden in Scherben geschlagen, und dann kam ein Neger schreiend gerannt, jedenfalls der Kellner, kletterte zum Kapitän hinauf und jammerte ihm seine uns fast unverständlichen Klagen vor. Nur so viel hörte ich, daß er mit der Peitsche geschlagen worden sei und später am Rauchschlot aufgehangen werden solle.

Jetzt machte der Kapitän ein bedenklicheres Gesicht. Er schaute aus, ob das Schiff den richtigen Kurs habe, und stieg dann herab, um sich nach der Restauration zu begeben. Da kam der Conductor ihm entgegen. Ganz in unserer Nähe trafen die beiden zusammen. Wir hörten, was sie sprachen.

»Capt’n,« meldete der Conductor, »wir dürfen nicht länger ruhig zusehen. Die Leute planen Arges. Laßt den Indianer dort an das Land! Sie wollen ihn aufhängen. Er hat sich gestern an einem von ihnen vergriffen. Außerdem sind zwei Weiße hier, ich weiß nur nicht, welche, die auch gelyncht werden sollen, weil sie gestern dabei waren. Sie sollen Spione von Juarez sein.«

»Alle Teufel! Das wird Ernst. Welche beiden Männer werden das sein!« Sein Auge schweifte forschend umher.

»Wir sind es, Sir,« antwortete ich, indem ich aufstand und zu ihnen trat.

»Ihr? Na, wenn Ihr Spione von Juarez seid, so will ich mein Steamboot als Frühstück verzehren!« meinte er, indem er mich musterte.

»Fällt mir nicht ein! Ich bin ein Deutscher und bekümmere mich nicht im mindesten um Eure Politik.«

»Ein Deutscher? Da sind wir ja Landsleute! Ich habe mein erstes fließendes Wasser im Neckar gesehen. Euch darf ich nichts thun lassen. Ich werde sofort am Ufer anlegen, damit Ihr Euch in Sicherheit bringen könnt.«

»Da mache ich nicht mit. Ich muß unbedingt mit diesem Boote weiter und habe keine Zeit zu verlieren.«

»Wirklich! Das ist unangenehm. Wartet einmal!«

Er ging zu Winnetou und sagte ihm etwas. Der Apache hörte ihn an, schüttelte verächtlich mit dem Kopfe und wendete sich ab. Der Kapitän kehrte zu uns zurück und meldete mit verdrießlicher Miene:

»Dachte es mir! Die Rothen haben eiserne Köpfe. Er will auch nicht ans Land gesetzt werden.«

»Dann ist er mit diesen beiden Herren verloren, denn die Kerle werden Ernst machen,« meinte der Conductor besorgt. »Und wir paar Mann vom Steamer können gegen eine solche Uebermacht nichts thun.«

Der Kapitän blickte sinnend vor sich nieder. Dann zuckte es lustig über sein gutmüthiges Gesicht, als ob er einen vortrefflichen Einfall habe, und er wendete sich zu uns:

»Ich werde diesen Sezessionisten einen Streich spielen, an den sie noch lange denken sollen. Ihr müßt Euch aber genau so verhalten, wie ich es von Euch verlange. Macht vor allen Dingen keinen Gebrauch von der Waffe. Steckt Eure Büchsen da unter die Bank zu den Sätteln. Gegenwehr würde die Sache verschlimmern.«

»All devils! Sollen wir uns ruhig lynchen lassen, Master?« rief Old Death verdrießlich.

»Nein. Haltet Euch an passive Gegenwehr! Im richtigen Augenblicke wird mein Mittel wirken. Wir wollen diese Hallunken durch ein Bad abkühlen. Verlaßt Euch auf mich! Habe keine Zeit zur Explication. Die Kerle nahen schon.«

Wirklich kam grad jetzt die Rotte aus der Restauration gestiegen. Der Kapitän wendete sich schnell von uns ab und ertheilte dem Conductor einige leise Befehle. Dieser eilte zum Steuermanne, bei welchem die zwei zum Boote gehörigen Deckhands standen. Kurze Zeit später sah ich ihn beschäftigt, den ruhigeren Passagieren heimliche Weisungen zuzuflüstern, konnte aber nicht weiter auf ihn achten, da ich mit Old Death von den Sezessionisten in Anspruch genommen wurde. Nur so viel bemerkte ich im Verlaufe der nächsten zehn Minuten, daß die erwähnten friedlichen Reisenden sich möglichst eng am Vorderdeck zusammenzogen.

Kaum hatten die betrunkenen Sezessionisten die Restauration verlassen, so waren wir Beide von ihnen umringt. Wir hatten nach der Weisung des Kapitäns die Gewehre weggelegt.

»Das ist er!« rief der Sprecher von gestern, indem er auf mich deutete. »Ein Spion der Nordstaaten, die es mit Juarez halten. Gestern noch ging er als feiner Gentleman gekleidet; heute hat er einen Trapperanzug angelegt. Warum verkleidet er sich? Meinen Hund hat er mir getötet, und Beide haben uns mit ihren Revolvern bedroht.«

»Ein Spion ist er, ja, ein Spion!« riefen die Andern wirr durch einander. »Das beweist die Verkleidung. Und er ist ein Deutscher. Bildet eine Jury! Er muß am Halse baumeln! Nieder mit den Nordstaaten, mit den Yankees und ihren Geschöpfen!«

»Was treibt Ihr da unten, Gentlemen?« rief in diesem Augenblicke der Kapitän von oben herab. »Ich will Ruhe und auch Ordnung an Bord. Laßt die Passagiere ungeschoren!«

»Schweigt, Sir!« brüllte einer aus der Rotte hinauf. »Auch wir wollen Ordnung, und wir werden sie uns jetzt verschaffen. Gehört es zu Euren Obliegenheiten, Spione an Bord zu nehmen?«

»Es gehört zu meinen Obliegenheiten, Leute zu befördern, welche die Passage bezahlen. Kommen Führer der Sezessionisten zu mir, so sollen sie mitfahren dürfen, vorausgesetzt, daß sie zahlen und anständig sind. Das ist meine Loyalität. Und wenn Ihr mir mit der Eurigen das Geschäft verderbt, so setze ich Euch an’s Ufer und Ihr mögt zu Lande nach Austin schwimmen.«

Ein höhnisches, wieherndes Gelächter antwortete ihm. Man drängte Old Death und mich so eng zusammen, daß wir uns nicht rühren konnten. Wir protestirten natürlich, doch wurden unsere Worte durch das fast thierische Geschrei dieser rohen Bande verschlungen. Man stieß uns vom ersten Platze fort, hinaus, bis an die rauchende Esse, an welcher wir aufgeknüpft werden sollten. Dieselbe war oben mit eisernen Oesen versehen, durch welche Taue liefen, also eine wunderbar schöne und praktische Vorrichtung, um Jemanden aufzuhängen. Man brauchte die Taue nur schlaff zu lassen und uns mit der empfindlichen Gegend des Halses an dieselben zu befestigen, um uns dann gemächlich emporzuhissen. Hier also wurde ein Kreis um und ein Gerichtshof über uns gebildet. Das Letztere war eine reine Lächerlichkeit. Ich glaube, die Schufte sind gar nicht dazu gekommen, sich zu fragen, warum wir gar nicht Miene machten, uns zur Wehr zu setzen; sie sahen doch, daß wir im Besitz von Messern und Revolvern waren, uns derselben aber nicht bedienten. Das mußte doch einen Grund haben.

Old Death mußte sich gewaltige Mühe geben, ruhig zu erscheinen. Seine Hand zuckte öfters nach dem Gürtel; aber sobald dann sein Blick nach dem Kapitän flog, winkte dieser verstohlen ab.

»Na,« meinte er zu mir, und zwar deutsch, um nicht verstanden zu werden, »ich will mich noch fügen. Aber wenn sie mir es zu toll treiben, so haben sie in einer einzigen Minute unsere vierundzwanzig Kugeln im Leibe. Schießt nur gleich, wenn ich anfange!«

»Hört Ihr es!« rief der ofterwähnte Rowdy. »Sie reden deutsch. Es ist also erwiesen, daß sie verdammte Dutchmen sind und zu den Schuften gehören, welche den Südstaaten am meisten zusetzen. Was wollen sie hier in Texas? Sie sind Spione und Verräther. Machen wir es kurz mit ihnen!«

Seinem Vorschlage wurde brüllend beigestimmt. Der Kapitän rief ihnen eine strenge Mahnung zu, wurde aber wieder ausgelacht. Dann warf man die Frage auf, ob man nun den Indianer prozessiren oder uns vorher hängen solle, und man entschied sich für das Erstere. Der Vorsitzende schickte zwei Männer ab, den Rothen herbei zu holen.

Da wir rundum von Menschen umgeben waren, konnten wir Winnetou nicht sehen. Wir hörten einen lauten Schrei. Winnetou hatte einen der Abgesandten niedergeschlagen und den andern über Bord geschleudert. Dann war er in die aus Eisenblech gefertigte Cabine des Conductors geschlüpft, welche sich am Radkasten befand. Diese hatte ein kleines Fensterchen, durch welches jetzt die Mündung seiner Doppelbüchse schaute. Natürlich erregte der Vorfall einen fürchterlichen Lärm. Alles rannte an die Schiffsbrüstung, und man schrie dem Kapitän zu, einen Mann in’s Boot zu senden, um den in das Wasser Expedirten aufzufischen. Er kam diesem Rufe nach und gab einem der Deckhands einen Wink. Der Mann sprang in das am Hintertheile befestigte Boot, löste das Tau, an welchem es gehalten wurde, und ruderte nach dem Betreffenden, welcher glücklicherweise ein wenig schwimmen konnte und sich alle Mühe gab, über Wasser zu bleiben.

Ich stand mit Old Death allein. Von Hängen war einstweilen keine Rede mehr. Wir sahen die Augen des Steuermanns und der übrigen Schiffsleute auf den Kapitän gerichtet, welcher uns näher winkte und mit unterdrückter Stimme sagte:

»Paßt auf, Mesch’schurs! Jetzt geb’ ich ihnen das Bad. Bleibt nur ruhig an Bord, es mag geschehen, was da wolle. Macht aber so viel Lärm wie möglich!«

Er hatte stoppen lassen, und das Schiff wurde langsam abwärts getrieben, dem rechten Ufer zu. Dort gab es eine Stelle, über welche sich das Wasser brach, eine seichte Bank. Der Fluß war von da bis zum Ufer überhaupt nicht tief. Ein Wink vom Kapitän – der Steuermann nickte lächelnd und ließ das Boot gerade gegen die Bank treiben. Ein kurzes Knirschen unter uns, ein Stoß, daß Alle taumelten, Viele aber niederstürzten – wir saßen fest. Das lenkte die allgemeine Aufmerksamkeit vom Kahne auf das Schiff. Die ruhigen Passagiere waren alle vom Conductor unterrichtet worden, schrieen aber laut Verabredung, als ob sie die höchste Todesangst auszustehen hätten. Die Andern, welche an einen wirklichen Unfall glaubten, stimmten natürlich mit ein. Da tauchte einer der Deckhands hinten auf, kam scheinbar voller Entsetzen zum Kapitän gerannt und schrie:

»Wasser im Raume, Capt’n! Das Riff hat den Kiel mitten entzwei geschnitten. In zwei Minuten sinkt das Schiff.«

»Dann sind wir verloren!« rief der Kapitän. »Rette sich, wer kann! Das Wasser ist seicht bis zum Ufer. Schnell hinein!«

Er eilte von seinem Platze herab, warf den Rock, die Weste und die Mütze von sich, zog in höchster Eile die Stiefel aus und sprang über Bord. Das Wasser ging ihm nur bis an den Hals.

»Herunter, herunter!« schrie er. »Jetzt ist es noch Zeit. Wenn das Schiff sinkt, begräbt es in seinem Strudel Alle, die sich noch an Bord befinden!«

Er hatte die Kleider von sich geworfen, um sie nicht naß zu machen. Daß der Kapitän der Erste war, der sich rettete, daß er sich vorher halb entkleidete, darüber dachte keiner der Sezessionisten nach. Das Entsetzen hatte sie ergriffen. Sie sprangen über Bord und arbeiteten sich schleunigst nach dem Ufer, ohne darauf zu achten, daß der Kapitän nach der andern, dem Ufer abgekehrten Seite des Schiffes schwamm und dort am schnell niedergelassenen Fallreep an Bord stieg. Das Schiff war nun gesäubert, und wo eine Minute vorher der bleiche Schrecken geherrscht hatte, ertönte jetzt ein lautes lustiges Lachen.

Eben als die ersten der sich Rettenden an das Land stiegen, gab der Kapitän den Befehl, vorwärts zu dampfen. Das seicht gehende, unten breit und sehr stark gebaute Fahrzeug hatte nicht den mindesten Schaden gelitten, und gehorchte willig dem Drucke der Räder. Seinen Rock wie ein Flagge schwenkend, rief der Kapitän zum Ufer hinüber:

»Farewell, Gentlemen! Habt Ihr wieder einmal Lust, eine Jury zu bilden, so hängt Euch selber auf. Eure Sachen, welche sich noch an Bord befinden, werde ich in La Grange abgeben. Holt sie Euch dort ab.«

Es läßt sich denken, welchen Eindruck diese höhnischen Worte auf die Gefoppten machten. Sie erhoben ein wüthendes Geheul, forderten den Kapitän auf, sie augenblicklich wieder aufzunehmen, drohten mit Anzeige, Tod und anderen Schreckmitteln, ja schossen ihre Gewehre, soweit dieselben nicht naß geworden waren, auf den Steamer ab, doch ohne irgend welchen Schaden anzurichten. Endlich brüllte Einer in ohnmächtiger Wuth zu dem Kapitän herüber:

»Hund! Wir warten hier auf Deine Rückkehr und hängen Dich an Deiner eigenen Esse auf!«

»Well, Sir! Kommt dann gefälligst an Bord! Bis dahin aber laßt mir die Generale Mejia und Marquez grüßen!« Jetzt hatten wir volle Kraft und dampften in beschleunigtem Tempo weiter, um die versäumte Zeit einzuholen.

Der Scout

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