Читать книгу Im Reiche des silbernen Löwen I - Karl May - Страница 2

Zweites Kapitel: Am Makik-Natun

Оглавление

Zunächst und vor allen Dingen mußte ich darauf bedacht sein, keine sichtbaren Fußeindrücke zu hinterlassen. Bis zum Walde hin brauchte ich mir in dieser Beziehung keine große Mühe zu geben, denn ich suchte die kahlen, graslosen Stellen auf, welche es da gab; sie waren von der Sonne hartgebrannt, so fest wie Stein, und nahmen keine Spur auf. Uebrigens stand fast mit Sicherheit zu erwarten, daß die Indianer nicht nach dieser Seite kommen würden.

Aber dann im Walde wurde die Sache schwieriger. Der Boden war weich, und ich sah mich gezwungen, auf allen Vieren zu gehen, das heißt aber nicht auf den Händen und Füßen, sondern auf den Finger- und Zehenspitzen. Was das heißt und wie außerordentlich anstrengend das ist, das weiß freilich bloß Der, der es ausgeführt hat. Ich kenne keine körperliche Anstrengung, welche soviel Kraft und Ausdauer erfordert, wie dieses Gehen auf den Zehen und Fingern. Dazu kam, daß ich diese Bewegung rückwärts machen mußte, weil es nötig war, die Eindrücke, welche ich doch nicht vermeiden konnte, sogleich wieder auszulöschen. Ich ging also mit den Fußspitzen voran und mit den Fingern hinterdrein, trat mit den letzteren stets genau in die Spur der ersteren und wischte nach jedem Schritte diese Spur mit der Hand wieder aus. Es ist selbstverständlich, daß diese Fortbewegung darum eine höchst langsame war.

Wohin ich mich zu wenden hatte, darüber war ich nicht im Zweifel. Ich wußte die Richtung, aus welcher die Comantschen kamen, und kannte also die Stelle, an welcher sie den Wald erreichen mußten. Von dieser aus suchten sie höchst wahrscheinlich geraden Weges das Regenbette auf, um Wasser zu haben, und dort war es, wo ich mich zu verstecken hatte.

Diese Stelle hätte ich nach höchstens fünf Minuten erreichen können, wenn es mir erlaubt gewesen wäre, in gewöhnlicher Weise zu gehen, so aber brachte ich über eine Stunde zu, ehe ich an das Wasser kam. Dort sah ich mich um; ich mußte mich verstecken, aber wo? Ich brauchte nicht lange zu suchen. Ich sah eine Baumleiche liegen, welche ganz von wildem Epheu übersponnen war. Der Epheu bedeckte nicht nur den Baum, sondern er wucherte weiter und hatte auch das benachbarte Gesträuch so um- und überrankt, daß es abzusterben begann und er eine dichte, grüne Decke bildete, unter welcher ich mich sehr gut verstecken konnte.

Freilich war anzunehmen, daß ich nicht das erste Wesen sein würde, welches da eine Zuflucht suchte. Ich kroch hin und stocherte mit dem Bärentöter hinein; wirklich stöberte ich da allerlei Viehzeug auf; ich sah sogar zwei Klapperschlangen, welche die Flucht ergriffen. Das wäre eine sehr schlimme Gesellschaft für mich gewesen, und es war nur gut, daß sie nicht angriffsweise gegen den Ruhestörer vorgingen. Sie hatten wohl vor kurzem gefressen gehabt, und wenn diese Tiere gesättigt sind, hat man sie nicht so sehr zu fürchten, wie wenn sie Hunger haben.

Nun schob ich mich soweit wie möglich unter den Epheu hinein, hütete mich dabei aber sehr, irgend eine Ranke abzureißen, was mich den Roten sehr leicht hätte verraten können. Da vorauszusehen war, daß mein Aufenthalt an dieser Stelle kein kurzer sein werde, machte ich es mir möglichst bequem und wartete dann der Dinge, welche kommen würden. Ganz selbstverständlich sorgte ich dafür, daß ich durch den Epheu sehen und alles beobachten konnte.

Ein anderer wäre im Zweifel darüber gewesen, ob die Roten überhaupt kommen würden; ich aber war überzeugt, daß meine Vermutung richtig sei. Leider lag ich im Walde und nicht am Rande desselben, wo ich sie schon von weitem hätte sehen können.

Die Zeit vergeht einem unter solchen Umständen sehr langsam; die Minuten werden zu Stunden. Es war auch möglich, daß die Indsmen nicht die gerade Richtung einhielten und also den Wald an einer andern Stelle betraten. Wenn das der Fall sein sollte, so wurde mir die Ausführung meines Vorhabens erschwert.

Darum war ich herzlich froh, als ich endlich ein Geräusch hörte, welches sich mir näherte. Sie kamen, Erst sah ich zwei Rote, welche vorausgeritten waren, um nach einem geeigneten Platze zu suchen. Sie sahen sich um, und der eine sagte zum andern:

»Hier ist eine gute Stelle. Mein Bruder kann absteigen; ich werde die andern holen.«

Er ritt zurück, während sein Kamerad aus dem Sattel stieg und sein Pferd nach dem Wasser führte, um es trinken zu lassen. Nach kurzer Zeit kam der ganze Trupp, doch ohne den Häuptling. Ich sah die zwei Diener und die zwei Führer des Persers, welche gebunden waren, und ich sah zu meiner Freude auch die beiden Snuffles. Sie waren unverletzt und ritten ihre Maultiere. Meine List war also gelungen; man hatte diese beiden Tiere gefunden. Nur fragte es sich, ob die Snuffles so klug gewesen waren, nicht zu verraten, daß sie sich in Gesellschaft befunden hatten.

Die Gefangenen wurden aus den Sätteln gehoben und auf die Erde gelegt. Auch die Roten setzten sich und ließen ihre Pferde im Buschwerke nach Laub und Gras suchen. Erst jetzt durfte ich sicher sein, daß meine Spur unentdeckt bleiben werde.

Daß der Häuptling nicht gleich mitgekommen war, bekümmerte mich nicht im geringsten; es war mir im Gegenteile sehr lieb. To-kei-chun fühlte seine Würde und hielt es für derselben angemessen, nicht unter den gewöhnlichen Kriegern zu reiten, sondern ein Stück zurückzubleiben. Wenn er dies später ebenso that, stand zu erwarten, daß er nicht zu gleicher Zeit mit den andern aufbrechen, sondern noch einige Minuten warten werde. In diesem Falle bekam ich dadurch Gelegenheit, ihn in meine Gewalt zu bringen, wenn sich nicht schon vorher eine andere dazu fand.

Endlich kam er, wohl eine volle Viertelstunde später als die andern. Er stieg ab und setzte sich ganz nahe an den umgestürzten Baum, unter dessen Epheudecke ich lag. Er stopfte sich seine Friedenspfeife und rauchte sie in langsamen Zügen aus, ohne ein Wort zu sprechen. Seine Leute Waren ebenso schweigsam. Als er den letzten Zug gethan hatte, hing er sich die Pfeife wieder um den Hals und sagte zu den beiden Roten, welche zuerst gekommen waren:

»Mein Brüder mögen mir die beiden Bleichgesichter herbringen, welche Snuffles genannt werden.«

Jim und Tim wurden wie Säcke herbeigeschleppt und vor To-kei-chun niedergelegt. Dieser fixierte eine Zeitlang ihre Gesichter und sagte dann:

»Die beiden Snuffles mögen hören, was ich ihnen zu sagen habe, und mir endlich eine wahre Antwort geben. Sie sollen am Makik-Natun den Tod des Marterpfahles erleiden; aber wenn sie offen und ehrlich sprechen, werden wir ihnen die Freiheit geben. Haben sie den weißen Mann gekannt, der unser Gefangener war und gestern abend auf so unbegreifliche Weise verschwunden ist?«

Jim antwortete:

»Du legst uns diese Frage nun zum fünftenmal vor, und ich antworte zum fünftenmal ganz dasselbe: Wir haben ihn nicht gekannt.«

»Aber ihr wißt, wohin er ist?«

»Nein.«

»Er war gebunden, so fest gebunden, daß er sich nicht selbst losmachen konnte!«

»Du wirst dich irren; er wird eben nicht fest gebunden gewesen sein und hat sich selbst befreit.«

»Ich habe kurz vorher selbst seine Fesseln untersucht; sie waren gut.«

»So ist er wahrscheinlich ein Zauberer. Die Bleichgesichter haben ja auch ihre Medizinmänner und Tausendkünstler. So einem ist es sehr leicht, sich aus den festesten Banden zu befreien.«

»Nein. Es muß jemand dagewesen sein, der ihm die Riemen geöffnet hat.«

»Ganz unmöglich! Er lag ja mitten unter euch und wurde von euch allen bewacht.«

»Als wir dich und deinen Bruder fingen, gaben wir nicht auf ihn acht; in diesem Augenblicke ist er fort.«

»Trotzdem ihm die Hände und Füße gefesselt waren?«

»Ja. Es ist ein Bleichgesicht in der Nähe gewesen, welches den Augenblick benutzt und ihn fortgeschafft hat.«

»Einen Gefangenen aus siebzig Indianern herausgeholt? Das müßte ein verwegener, ja ein tollkühner Mann sein. Es gibt keinen vernünftigen Menschen, der dies wagen würde.«

»Es gibt einen, aber auch nur einen einzigen.«

»Wer wäre das?«

»Old Shatterhand. Ich kenne diesen weißen, räudigen Hund; ich weiß alles, was er gethan und gewagt hat. Er war einst mein Gefangener und hat uns gezwungen, ihn loszulassen. Das, was gestern abend geschah, ist ganz genau so, als ob er es gethan hätte. Wenn ich nicht wüßte, daß er weit von hier im Norden ist, um den Tod Winnetous, seines ebenso räudigen Bruders, zu rächen, so glaubte ich, er sei hier. Du hast mit deinem Bruder unser Lager beschlichen, als uns der Gefangene abhanden kam; ihr müßt den kennen, der ihn befreit hat.«

»Wir wissen nichts.«

»Das ist eine Lüge, welche euch das Leben kosten wird. Wenn ihr uns die Wahrheit sagtet, würden wir euch die Freiheit schenken.«

»Das ist auch eine Lüge!«

»Es ist keine!«

»Ich weiß, daß es nicht wahr ist und daß du uns durch dieses Versprechen zum Reden bringen willst.«

»Was To-kei-chun verspricht, das hält er!«

»Pshaw! Wenn du mit uns das Kalumet darauf rauchst, wollen wir es glauben.«

»To-kei-chun raucht mit keinem Gefangenen die Pfeife des Friedens.«

»Da hast du es; du willst uns täuschen! Ihr habt das Beil des Krieges ausgegraben; folglich ist jeder Weiße verloren, der in eure Hände fällt. Selbst wenn das wahr wäre, was du denkst, und wir es dir geständen, würdest du dein Wort nicht halten und uns hinrichten lassen.«

»So wollt ihr also nicht reden?«

»Nein.«

Der Häuptling hatte bis jetzt in ruhigem Tone gesprochen; er war der Meinung gewesen, daß er Jim zum Reden bringen werde. Nun sah er sich getäuscht und fuhr zornig auf:

»Was sagt der andere Snuffle dazu? Will auch er nichts gestehen?«

»No,« antwortete Tim in seiner kurzen, wortkargen Weise.

»So will ich euch sagen, daß ihr allerdings richtig gedacht habt: Ich hätte euch nicht freigegeben; ihr hättet dennoch sterben müssen; aber wir hätten euch eine Kugel gegeben, so daß euer Tod ein schneller gewesen wäre. Doch da eure Mäuler das Sprechen verlernt haben, werden wir sie euch zum Heulen und jammern, zum Klagen und Stöhnen öffnen. Ihr werdet alle Qualen erleiden, welche wir uns aussinnen können!«

»Pshaw, das werden wir nicht!«

»Ihr werdet es! Ich sage es euch, und in solchen Dingen halte ich Wort!«

»Ja, wenn du kannst; diesmal aber kannst du nicht!«

»Wer will mir verwehren, zu thun, was ich will?«

Jim sah ihm mit einem schlau forschenden Blicke in das Gesicht und antwortete dann:

»Nicht wahr, das möchtest du gern wissen? Das glaube ich! Die beiden Snuffles so am Marterpfahl schinden, das wäre für euch so das höchste der Gefühle; aber so wohl wird es euch nicht werden; dafür ist schon gesorgt!«

»Das sagst du nur aus Furcht vor uns!«

»Ich mich fürchten? Jim Snuffle und Furcht? Hahahaha! Ich sage dir, wenn ihr uns nur ein Haar krümmt, so seid ihr alle verloren!«

»Uff, uff! Kann so ein stinkender Hund, wie du bist, uns drohen?«

»Das kann ich, obgleich ich kein Hund bin. Es ist einer hinter euch her, der unsern Tod blutig rächen würde.«

»Wer?«

»Der, den du vorhin genannt hast.«

»Wen meinest du? Wen habe ich genannt?«

»Du erwähntest seinen Namen und daß er allein fähig sei, den verschwundenen Gefangenen befreit zu haben.«

»Meinst du etwa Old Shatterhand?«

»Ja.«

»Der soll hier sein?«

»Ganz in der Nähe!«

»Uff, uff! Glaubst du wirklich, mich betrügen zu können?«

»Ich will dich nicht täuschen, sondern was ich sage, das ist wahr.«

»To-kei-chun blickt in dein Herz und errät deine Gedanken. Was du sagst, hast du dir soeben erst ausgesonnen. Ich erwähnte vorhin Old Shatterhand; nur dadurch bist du auf den Gedanken gekommen, zu sagen, daß er sich in der Nähe befinde.«

»Nein, er ist wirklich da!«

»Wer hat es dir erzählt?«

»Niemand brauchte es mir zu sagen. Ich habe ihn gesehen.«

»Pshaw!« antwortete der Häuptling in verächtlichem Tone.

»Und mit ihm gesprochen!«

»Pshaw!«

»Ist es nicht wahr, alter Tim?«

»Yes,« nickte der Gefragte.

»Ihr lügt beide!«

»Nein!« beharrte Jim auf seiner Aussage. »Wir haben ihn nicht nur gesehen und mit ihm gesprochen, sondern wir sind sogar mit ihm geritten.«

»Früher, aber nicht jetzt!«

»Jetzt! Er war auch gestern abend bei uns und stieg mit mir zu euch hinab, um euch zu belauschen. Da stürzte mein Bruder von oben herunter und ich sprang vor, um ihn zu befreien. Das war eine große Dummheit von mir. Old Shatterhand war klüger; er blieb im Dunkeln. Da sah er eure Verwirrung und war so kühn, dieselbe zur Befreiung des Gefangenen zu benutzen.«

Dies war wahr und klang so wahr, daß der Häuptling doch stutzte. Ich stutzte nicht nur auch, sondern ich wußte gar nicht, was ich von diesem Jim Snuffle denken sollte. Er konnte alles, alles verderben. Wenn ihm der Häuptling Glauben schenkte und schnell seine Maßregeln darnach einrichtete, war nicht nur die Ausführung meines Vorhabens unmöglich, sondern es konnte sogar um mich geschehen sein. Es konnte für Jim nur einen Grund geben, meine Anwesenheit zu verraten, nämlich den Roten Furcht vor mir einzuflößen und sie dadurch abzuhalten, die Gefangenen zu töten.

To-kei-chun sah ihm eine ganze Weile still und forschend in das Gesicht; dann machte er eine wegwerfende Handbewegung und fragte:

»Old Shatterhand ist also wirklich bei euch gewesen?«

»Ja.«

»Und mit dir von der Höhe zu uns herabgestiegen?«

»Ja.«

»Kröte, die du bist! Glaubst du denn wirklich, To-kei-chun den ältesten und erfahrensten Häuptling der Comantschen, betrügen zu können? Wäre das wahr, was du sagest, so hätte Old Shatterhand nicht diesen Mann, der ihm fremd war, sondern dich oder deinen Bruder oder euch beide herausgeholt!«

»Das war nicht möglich!«

»Das andere war ebenso unmöglich! Und weißt du nicht, daß zwanzig meiner Krieger nach Spuren gesucht haben, als der Tag anbrach?«

»Sie waren blind!«

»Sie waren sehr sehend, denn sie haben eure Maultiere gefunden, aber keine Spur von Old Shatterhand und dem Gefangenen.«

»Grad das sollte dir beweisen, daß Old Shatterhand dagewesen ist. Die Spur eines jeden andern Mannes hättet ihr entdeckt; er aber versteht es, wie kein zweiter, die seinige zu verwischen.«

»Des Nachts? Soll ich über dich lachen? Wer eine Spur auswischt, muß dieselbe sehen können; aber selbst diesem weißen Hund ist es in der Finsternis nicht möglich, seine eigene Fährte zu erkennen. Aus dir spricht die Angst vor dem Martertode. Um dich zu retten, willst du uns auch in Angst versetzen. Old Shatterhand ist weit, sehr weit von hier. Ja, wie würde ich mich freuen, wenn das wahr wäre, was du dir ausgesonnen hast! Ich würde dieses Stinktier ergreifen und ihm das Fell bei lebendigem Leibe vom Körper ziehen. Leider aber ist es Lüge und Erfindung, durch die du dich retten willst.«

»Es ist die Wahrheit; ich kann es beschwören.«

»Schweig, Feigling! Ich bin mit dir fertig. Der Gefangene ist fort, wir können sein Verschwinden nicht begreifen; mag es sein! Wir haben an seiner Stelle euch beide erwischt und also nichts eingebüßt. Heute abend kommen wir nach dem Makik-Natun, und morgen früh werdet ihr dort an den Marterpfahl gebunden.«

»Wenn dies wirklich geschähe, würdet ihr alle es mit dem Leben bezahlen!«

»Pshaw! Diese Drohung ist das Angstgeschrei eines Vogels, der sich in den Krallen des Adlers befindet. Ich lache darüber und mag nichts mehr hören.«

Er stand auf, um sich stolz zu entfernen, befahl aber, bevor er dies that, mit lauter Stimme:

»Meine roten Brüder können aufbrechen, denn ihre Pferde haben getrunken. Ich werde bald nachfolgen.«

Als Jim Snuffle mich erwähnte, hatte ich mein Messer gezogen. Hätte der Häuptling ihm geglaubt und in Beziehung auf mich irgend eine Vorkehrung getroffen, so wäre ich aus meinem Verstecke hervorgesprungen, hätte ihn gepackt und ihm das Messer an die Gurgel gelegt. Seine Leute hätten aus Rücksicht auf ihn und sein Leben es sehr wahrscheinlich nicht gewagt, sich an mir zu vergreifen, und dann wäre ich daran gewesen, meine Bedingungen zu stellen. Verwegen wäre dies allerdings gewesen, und so fühlte ich mich sehr erleichtert, als ich hörte, daß der Rote dem Snuffle keinen Glauben schenkte. Diese Erleichterung verwandelte sich sogar in Freude, als der Häuptling den Befehl zum Aufbruche gab. Er wollte nachkommen, blieb also noch hier, und ich hatte allen Grund, anzunehmen, daß mein Unternehmen einen guten Ausgang nehmen werde.

Die Gefangenen wurden wieder auf die Pferde gebunden; die Comantschen stiegen auf und ritten fort.

Der Häuptling war nicht zu sehen; sein Pferd stand hinter meinem Verstecke und fraß das Laub von den Zweigen. Falls er aus der Richtung zurückkehrte, in welcher er sich entfernt hatte, und zu ihm hinwollte, mußte er bei mir vorüber.

Ich wartete in großer Spannung fünf Minuten, zehn Minuten, fast eine Viertelstunde; da kam er, ganz so, wie ich es wünschte, von da her, wohin er gegangen war. Er hatte sein Gewehr in der rechten Hand und hielt mit der linken die Decke vorn zusammen, die er um die Schultern geworfen hatte. Ich ließ ihn vorbei; er griff nach seinem Pferde; diesem schmeckte das saftige Laub; es verweigerte den Gehorsam; das Geräusch der stampfenden Hufe übertönte dasjenige, welches dadurch entstand, daß ich unter dem Epheu hervorkroch. Einige Schritte brachten mich hinter ihn. Er riß das Pferd am Zügel an sich und hob den linken Fuß, um in den Bügel zu steigen, da legte ich ihm die linke Hand, während ich ihm mit der rechten den Revolver entgegenstreckte, auf die Schulter und sagte:

»To-kei-chun mag noch warten; ich habe mit ihm zu sprechen.«

Er fuhr herum. Wegen meines sonderbaren Anzuges erkannte er mich im ersten Augenblicke nicht, dann aber flog der Ausdruck des Schreckes über sein Gesicht und er rief:

»Old Shatterhand! Old – — Old – — —!«

»Ja, Old Shatterhand ist‘s,« nickte ich; »der räudige Hund, den du im fernen Norden glaubtest. Bewege dich nicht, sonst schieße ich!«

Aber er war kein Mann, der sich länger als nur einen Augenblick vom Schreck beherrschen ließ; sein Gesicht nahm schnell den Ausdruck des Gleichmutes an, und er sagte im Tone der größten Ruhe:

»Uff! Du bist es wirklich. Ich höre, daß du uns belauscht hast. Was wünschest du, mit mir zu reden?«

Mit mir zu kämpfen wagte er nicht, denn erstens war ich ihm da weit überlegen; das wußte er gar wohl, und zweitens sah er die Mündung des Revolvers und mußte annehmen, daß ich bei der geringsten Bewegung, die auf einen Angriff deutete, schießen würde. Ich blickte ihm fest in das Gesicht, denn sein Auge mußte mir seine Gedanken verraten. Es glitt von mir ab; er drehte den Kopf ein wenig um und sah nach hinten. Ah, er wollte entwischen, mit einem schnellen Sprunge ins Gebüsch hinein! Sollte ich mir den Spaß machen und ihn fortlassen? Ja! Er war mir ja auf alle Fälle sicher. Darum that ich keinen Griff, um ihn festzuhalten, und antwortete:

»Ich will mit dir über deine Gefangenen sprechen, die du freigeben sollst.«

»Freigeben? Welch ein Verlangen! Was gehen sie dich an?«

»Sie sind meine Freunde.«

»Aber meine Feinde. Wir haben den Tomahawk des Krieges gegen die Bleichgesichter ausgegraben, und jeder Weiße, den wir einfangen, wird von uns an den – — – «

Weiter sprach er nicht; vielmehr drehte er sich bei dem letzten Worte blitzschnell um und sprang in das Gebüsch. Ich ging ihm nach, nicht schnell, sondern langsam, schlug dabei, um Geräusch zu machen, mit den Händen in das Gesträuch und rief, als ob ich in höchster Eile sei:

»Halt, halt! Bleib stehen, sonst schieße ich dich nieder!«

Meine Schläge in die Büsche, die er hören mußte, sollten in ihm den Glauben erwecken, daß ich hinter ihm herlaufe; dann aber ging ich zu seinem Pferde zurück und zog einen von den Riemen aus der Tasche, die ich gestern abend nach der Befreiung Dschafars eingesteckt hatte. Mit diesem Riemen band ich den einen Hinterfuß des Pferdes an der nächsten Buschwurzel fest und kroch hierauf schnell in mein Versteck zurück. Das Pferd stand ruhig und knupperte an dem Laube weiter.

Ich hätte To-kei-chun sehr leicht am Entweichen hindern können, aber es machte mir nun einmal Spaß, ihn nochmals zu überlisten. Ich nahm an, daß er eine Strecke fliehen und dann vorsichtig zurückkehren werde, um sein Pferd zu holen, denn dieses war ihm unentbehrlich und trug seine Medizin am Halse, für die ein Indianer hundertmal sein Leben wagt. Und selbst wenn diese Annahme eine irrige gewesen wäre und er auf das Pferd verzichtet hätte, so mußte er seinen Leuten zu Fuß nach und ich konnte auf seinem eigenen Tiere hinter ihm her und ihn einholen.

Ich lag also wieder unter dem Epheu und hatte zwischen den Blättern eine Oeffnung, welche mir erlaubte, nach allen Seiten zu blicken. Natürlich kam er nicht von derjenigen, in welcher er geflohen war und mich hinter sich glaubte; diese ließ ich also unbeachtet. Desto schärfer spannte ich nach den andern drei Seiten.

Da, nach ungefähr fünf Minuten, sah ich, daß sich gerade vor mir ein Busch bewegte, leise, sehr leise. Die Zweige teilten sich, und sein Gesicht erschien zwischen ihnen. Er blickte nach dem Pferde, sah mich nicht am Platz, glaubte also, daß ich noch nach ihm suche, und sprang nun eiligst herbei, um sich aus dem Staube zu machen.

Er gewahrte den Riemen nicht, stieg auf und wollte fort; das Pferd konnte nicht gehorchen; er forschte nach dem Grunde, bemerkte, daß es mit dem Beine festhing, und stieg wieder ab, um das Hindernis genauer zu betrachten. Als er sich dabei bückte, stand ich schon hinter ihm und sagte:

»Ich wußte es doch, daß To-kei-chun nur spazierengehen wolle; drum ließ ich ihn fort und folgte ihm nicht, sondern wartete auf seine Rückkehr.«

Jetzt war sein Schreck noch größer, als das erste Mal. Er fuhr empor und starrte mich ganz fassungslos an. Ich sah ihm lächelnd in das verzerrte Gesicht und fuhr fort:

»Damit er aber nicht wieder spazieren gehe, will ich ihm zeigen, daß er sich bei Old Shatterhand befindet.«

Er hatte sein Gewehr aus der Hand gleiten lassen, griff aber jetzt nach dem Gürtel, um das Messer zu ziehen; da traf ihn meine Faust an den Kopf; er stürzte nieder. Ein zweiter Hieb raubte ihm vollends das Bewußtsein; ich hatte ihn.

Nun band ich zunächst sein Pferd los und stieg auf, um zu sehen, ob es mir gehorchen werde. Mit den drei Gewehren und dem Indianer in den Armen konnte ich mich auf keine Reiterkünste einlassen. Es weigerte sich nur kurze Zeit; dann sah es ein, daß Widerstreben nutzlos sei. Ich stieg also wieder ab, hing mir meine Gewehre und das seinige auf den Rücken, hob ihn selbst hoch und legte ihn dann, als ich wieder aufsaß, quer vor mir auf das Pferd, um in dieser Weise zu Dschafar und Perkins zurückzukehren.

Erst ging es schwierig durch die Büsche; als ich dann den Wald hinter mir hatte, ritt ich Galopp. Die beiden sahen mich kommen. Sie saßen auf der Erde, sprangen aber auf und kamen mir entgegen.

»Gott sei Dank! Da seid Ihr wieder,« rief mir Perkins schon von weitem zu. »Ah, Ihr habt einen Roten auf dem Pferde! Wohl gar ein Gefangener? Wer ist‘s?«

»Seht ihn an,« antwortete ich, bei ihnen angekommen.

»Allah, Allah!« stieß Dschafar hervor. »Das ist ja der Häuptling mit dem weißen Haar, der uns ermorden wollte!«

»Natürlich der! Den wollte ich doch haben. Ein anderer könnte uns nichts nützen. Nehmt ihn mir ab, damit ich aus dem Sattel kann! Wir müssen ihn binden.«

Sie hoben ihn herunter und legten ihn auf die Erde nieder. Dabei sagte Perkins:

»Wahrhaftig, er hat ihn gefangen! Und sogar sein Pferd bringt er! Das ist ein Streich, den Euch nicht gleich ein anderer nachmacht, Mr. Shatterhand! Wie habt Ihr denn das angestellt?«

»Sehr einfach. Es ist ganz leicht gewesen.«

»Einfach! Leicht! Siebzig Indianer! Und er holt ihren Häuptling aus ihrer Mitte! Wer nicht dabei war, glaubt es nicht!«

Während wir den Comantschen fesselten, erzählte ich, wie mir seine Gefangennahme gelungen war. Sie ergingen sich in allen möglichen Ausrufungen, denen ich ein Ende machen mußte, weil ich sah, daß To-kei-chun wieder zu sich kam. Er öffnete die Augen, sah uns einen nach dem andern an und schloß sie dann wieder; er mußte sich besinnen; bald aber riß er sie plötzlich wieder auf, bohrte einen Blick des unversöhnlichsten Hasses in mein Gesicht und stieß zwischen den knirschenden Zähnen hervor:

»Der Hund hat mich ergriffen, doch meine Krieger werden mich befreien, indem sie zurückkehren und ihn mit Knütteln totschlagen!«

Auf diese Beleidigung antwortete ich in ruhiger Weise:

»Es wäre sehr klug von dem alten Häuptling der Comantschen, wenn er sich einer höflicheren Rede bediente. Sein Leben liegt in meinen Händen.«

»Du nimmst es mir nicht, denn meine Leute werden kommen und dich zwingen, mich freizugeben!«

»Deine paar Comantschen? Pshaw!«

»Es sind ihrer zehnmal sieben!« donnerte er mich wütend an.

»Das weiß ich.«

»Sie werden euch zermalmen!«

»Pshaw! Was sind siebzig Comantschen gegen Old Shatterhand!« entgegnete ich, mich der selbstbewußten Ausdrucksweise bedienend, welche gegenüber diesen Leuten ganz am Platze ist, weil sie dieselbe selbst so oft in Anwendung bringen.

»Siebzig starke Büffel gegen einen kranken Hund!« fuhr er fort.

»Soll ich über dich lachen, der auf dem Kopfe den Schnee des Alters trägt? Die Wut der Ohnmacht spricht aus dir. Ich habe mitten unter diesen siebzig Comantschen gelegen, ohne mich zu fürchten, ohne daß mein Herz einen einzigen Schlag mehr gethan hat, drei Schritte nur von dir; der kranke Hund unter siebzig Büffeln! Sie haben ihm nichts anhaben können; er aber hat den größten und stärksten Büffel in seinen Zähnen davongetragen. Wie muß es unter deinen grauen Haaren aussehen! Da sollte der Verstand der reifen Jahre wohnen, doch giebt es da nichts als den Unverstand der Knabenzeit. Warum hast du nicht geglaubt, was dir Jim Snuffle sagte? Es ist wahr.«

»Ich glaubte dich nicht hier,« zischte er mich an.

»Und doch sagtest du, daß der Verschwundene nur von Old Shatterhand befreit worden sein könne! Du widersprichst dir also selbst. Du wünschtest, daß meine Anwesenheit Wahrheit sei; dann würdest du das Stinktier, nämlich mich, ergreifen und ihm bei lebendigem Leibe das Fell vom Körper ziehen, Jetzt zieh‘ einmal; du hast mich ja.«

Er antwortete nicht; er war beschämt und sah finster vor sich hin. Ich benützte diese Pause, die Taschen zu untersuchen, welche zu beiden Seiten seines Pferdes hingen. Die eine enthielt getrocknetes Fleisch und andern Proviant, auch Munition und verschiedene Gegenstände, welche dem Indianer auf Kriegszügen unentbehrlich sind. In der zweiten steckten ganz andere Sachen. Zuerst zog ich eine Brieftasche hervor.

»Die gehört mir,« rief Dschafar. »Die Indianer haben mir alle Taschen ausgeleert. Diese Brieftasche enthält wichtige Notizen, Papiergeld und Anweisungen.«

»So seht einmal nach, ob alles noch vorhanden ist!«

Ich gab sie ihm; er untersuchte den Inhalt und fand zu seiner Freude, daß nichts fehlte. Hierauf brachte ich seine Börse und seine Uhr zum Vorscheine. Dann kamen allerlei Dinge, welche seinen Dienern, den Führern und zuletzt den beiden Snuffles abgenommen worden waren. Der Häuptling hatte diesen ganzen Raub für sich behalten, ob für stets oder nur einstweilen, um ihn später zu verteilen, das fragten wir ihn natürlich nicht. Die Blicke, mit denen er uns zusah, verrieten den Grimm, der in ihm kochte. Er konnte sich schließlich nicht länger beherrschen und schrie mich an:

»Nehmt es immer! Sobald meine Krieger kommen, müßt Ihr es doch wieder hergeben!«

»Deine Krieger werden nicht zu uns kommen,« antwortete ich ihm.

»Sie kommen! Wenn sie merken, daß ich ihnen nicht folge, kehren sie um.«

»Pshaw! Sie kommen nicht, sondern ich reite zu ihnen.«

»Reite hin, so zerreißen sie dich, wie wachsame Hunde einen Coyoten zerfleischen!«

»Sie werden mir ebensowenig thun wie damals, als ich dein Gefangener war und ihr, so viele hundert Krieger, es doch nicht wagtet, euch an mir zu vergreifen.«

»Damals hattest du meinem Sohne das Leben geschenkt, und er bat für dich; dadurch wurde das deinige gerettet.«

»Das ist unwahr. Ja, dein Sohn war mir dankbar; aber das Leben habe ich mir und uns dadurch gerettet, daß ich dich gefangen nahm. Wären wir nicht freigegeben worden, so hätte ich dich getötet, und viele deiner Krieger hätten ihr Leben lassen müssen. Du kennst ja die Gewehre, mit denen ich schieße. So ähnlich wie damals ist es heute. Du bist mein Gefangener, und ich werde dir sagen, was du zu thun hast.«

»Ich gehorche nicht! Ich bin To-kei-chun, der Häuptling der Comantschen, und gehorche keinem Bleichgesichte.«

»Dann bist du verloren!«

»Pshaw! Du wirst es doch nicht wagen, mir das Leben zu nehmen!«

»Rede nicht von einem Wagnisse! Wer kann und will mich hindern, es zu thun?«

»Du selbst.«

»Ich?«

»Ja, du,« nickte er mir mit höhnischem Grinsen zu. »Ich sehe, daß du das nicht glauben willst?«

»Ich glaube es allerdings nicht.«

»Dann ist Old Shatterhand, welcher glaubt, wunder welche Berühmtheit er besitze, kurzsichtig oder gar blind, wenn es seine eigene Person gilt. Bist du denn nicht stolz auf den Ruhm, daß du niemals ohne Not einen Menschen tötest?«

»Stolz zwar nicht, aber ich freue mich, daß man dies von mir sagt.«

»So bin ich also sicher vor dir, denn du wirst nicht den Vorwurf auf dich laden, daß du To-kei-chun, den Häuptling der Comantschen, ermordet habest.«

»Du irrst, denn von einer Ermordung kann hier nicht die Rede sein.«

»Doch!«

»Nein! Wenn ich dir eine Kugel gebe, so habe ich dich bestraft, aber nicht ermordet.«

»Bestraft? Wofür?«

»Daß du Bleichgesichter fängst und töten willst.«

»Das ist nicht wahr!«

»Willst du es etwa leugnen?«

»Ja.«

»So lache ich darüber.«

»Nicht du hast, sondern ich habe zu lachen. Du kannst mich nach den Gesetzen der Prairie nur dann töten, wenn ich Blut vergossen habe. Habe ich das?«

»Du willst es thun.«

»Ich will es thun, hahahaha!« Er stieß ein höhnisches Gelächter aus, dem man es anhörte, wie sicher er darauf rechnete, sich bei mir nicht in Lebensgefahr zu befinden. Dann fuhr er fort: »Was ich will, das gilt hier nichts. Gieb Beweise, daß ich es gethan habe!«

»Du hast den Gefangenen mit dem Martertode gedroht. Ich selbst habe es gehört.«

»Das war eben eine Drohung, und du hast zu warten, bis sie ausgeführt worden ist.«

»Nun gut, wenn du die Gefangenen wirklich nicht töten lassen willst, so gieb sie frei!«

»Das thue ich nicht; sie bleiben meine Gefangenen.«

»So kommst auch du nicht frei!«

»Habe ich dich denn schon gebeten, mir die Freiheit zu geben? Behalte mich immerhin!«

Das vorige höhnische Grinsen trat wieder auf sein Gesicht. Ich sagte im ruhigsten Tone, obwohl er glaubte, mich geärgert zu haben:

»Du hältst dich jedenfalls für einen außerordentlich pfiffigen Patron und glaubst, mich überlistet zu haben. Ihr behaltet eure weißen Gefangenen, die Euch keine Last sind, und ich soll dich behalten, was mir gar nicht möglich ist, da ich dich doch nicht mit mir schleppen kann. Also gebe entweder ich dich frei oder deine Leute finden bald Gelegenheit, dich loszumachen. Das ist dein Gedanke, deine Berechnung – — – «

Ich wollte weitersprechen; aber er hatte die Frechheit, mich mit dem mehr als offenen Bekenntnisse zu unterbrechen:

»Ja, das denke und das hoffe ich! Old Shatterhand ist kein Mörder. Selbst wenn er strafen will, thut er dies nur dann, wenn vollständige Beweise vorhanden sind. Und diese fehlen dir.«

Es war ein außerordentlich überlegener Ton, in welchem er sprach. Er pochte auf meinen guten Ruf, denn er war überzeugt, daß ich alles unterlassen würde, was geeignet sei, denselben zu schädigen. Er warf mir einen triumphierenden Blick zu wie einer, der dem andern eine sehr schwere Partie Schach abgewonnen hat. Ich aber blieb trotzdem bei meiner bisherigen Ruhe, als ich ihm entgegnete:

»Du irrst dich allerdings nicht und irrst dich doch. Du irrst dich nämlich nicht in mir, aber du irrst dich in der Lage, in welcher du dich befindest. Ich kann freilich nicht behaupten, daß du einen Weißen getötet habest; aber du hast mehrere gefangen genommen.«

»Darauf steht aber nicht der Tod!«

»Was denn?«

»Das Gesetz der Prairie erwähnt dazu gar nichts.«

»O doch, wenn auch nicht direkt. Wie wird der Diebstahl, der Raub eines Pferdes bestraft?«

»Mit dem Tode.«

»Und der Raub eines Menschen? Soll der etwa gelinder oder vielleicht gar nicht bestraft werden?«

»To-kei-chun treibt keinen Menschenraub.«

»Was denn?«

»Ich habe die Bleichgesichter gefangen genommen, aber nicht geraubt!«

»Pshaw! Ueber den Sinn von Worten streite ich mich nicht mit dir. Wenn ich ein Pferd, welches nicht mir gehört, fange und fortschaffe, so ist dies Pferderaub; du hast die Bleichgesichter gefangen und fortgeschafft, das ist Menschenraub. Du hast ihnen sogar alle Taschen geleert und damit bewiesen, daß du sie und ihre Habe als dein Eigentum betrachtest. Auf Menschenraub aber steht bei mir der Tod. Wenn ich dich dafür mit einer Kugel bestrafe, kann mich nicht der leiseste Vorwurf treffen. Du hast dich also sehr verrechnet, als du auf meine Gerechtigkeit pochtest. Du hast den Tod verdient.«

»Und du wirst mich doch nicht töten!« behauptete er beharrlich.

»Irre dich ja nicht länger! Meine Kugel wird dich unbedingt treffen, wenn du nicht auf den Vorschlag eingehst, den ich dir jetzt machen werde.«

»Ich kenne ihn. Du brauchst ihn mir gar nicht zu sagen.«

Auch aus diesen Worten klang dieselbe Unverfrorenheit wie vorher; ich freute mich darüber, anstatt mich über sie zu ärgern, denn die Festigkeit, mit welcher er meinem guten Rufe vertraute, war ja eigentlich eine Ehre für mich.

»Welcher Vorschlag wird es sein?« fragte ich.

»Du willst die gefangenen Bleichgesichter zurückhaben und dafür mich freigeben.«

»Das ist allerdings richtig. Was sagst du dazu?«

»Was ich schon gesagt habe: Du behältst mich, und wir behalten sie.«

»Ist das dein letztes Wort?«

»Ja.«

»So bist du verloren!«

»Nein!«

»Pshaw! Du verrechnest dich eben. Auf Menschenraub steht der Tod; sie aber haben nichts gethan, was euch berechtigt, ihnen das Leben zu nehmen. Wenn ich dich nicht begnadige, so töte ich dich. Rechne ja nicht darauf, daß ich dich mit mir herumschleppen werde! Die Comantschen aber dürfen sich nicht an dem Leben der Bleichgesichter vergreifen.«

»Sie würden es aber doch thun, denn sie hätten meinen Tod zu rächen.«

»Das wäre ein Verbrechen, denn du hast ihn verdient. Und noch eins: Glaubst du denn, daß ich sie in den Händen deiner Krieger lassen würde? Ich hätte im Gegenteile nichts Eiligeres zu thun, als sie zu befreien.«

»Pshaw!« antwortete er in wegwerfendem Tone.

»Pshaw? Verstelle dich nicht! Du täuschest mich nicht. Du bist innerlich überzeugt, daß mir ihre Befreiung gelingen würde. Ich hätte eigentlich gar nicht so viele Worte mit dir machen sollen; aber ich bin – — —«

»Du bist Old Shatterhand,« unterbrach er mich, »der kein Blut vergießen wird. Und eben diese deine vielen Worte beweisen, in welcher Verlegenheit du dich befindest. Du magst und wirst mir nicht das Leben nehmen und weißt also nicht, wie du es anzufangen hast, uns die Bleichgesichter aus den Händen zu locken. Sie bleiben in unserer Gewalt.«

Er glaubte, mir überlegen zu sein, doch war ich meiner Sache zu gewiß. Perkins aber fühlte sich empört über diese freche Beharrlichkeit und konnte nicht länger schweigen. Er sagte in zornigem Tone:

»Es ist ganz richtig, Sir. Die vielen Worte, welche Ihr mit ihm macht, bestärken ihn in seiner Unverschämtheit. Faßt Euch also kürzer! Er bekommt die wohlverdiente Kugel, und dann eilen wir seinen Leuten nach, um die Weißen zu befreien. Ist es Euch eine Leichtigkeit gewesen, ihn aus ihrer Mitte herauszuholen, so wird es uns nicht viel schwerer fallen, ihnen die Freiheit zu verschaffen. Geschehen kann ihnen nun auf keinen Fall etwas; ihres Lebens sind sie vollständig sicher. Wir brauchen die Roten nur zu benachrichtigen, daß wir ihren Häuptling ergriffen haben; dann sind sie gezwungen, die Gefangenen um seinetwillen zu schonen. Daß wir ihm inzwischen eine Kugel durch den harten Schädel gejagt haben, brauchen sie natürlich nicht zu wissen. Also, ich bitte Euch, Sir, macht kurzen Prozeß mit dem Kerl!«

Ich nickte zustimmend und wendete mich zu dem Häuptlinge:

»Du hast gehört, was dieser Weiße sagte. Er hat vollständig recht, und ich werde thun, was er begehrte.

Ich frage dich also zum letztenmal: Gehst du auf die Auswechslung der Gefangenen ein?«

»Nein,« antwortete er spöttisch. »Schießt mich immer tot!«

»Das werden wir thun, obgleich du es nicht glaubst. Wir werden dich überhaupt noch viel toter machen, als du denkst.«

»Thue es! Schieß, und rede nicht! Old Shatterhand ist ein altes, schwatzhaftes Weib geworden!«

»Warte mit deinem Urteile nur noch einen Augenblick! Ich kenne deine Gedanken. Du glaubst, daß ich zwar drohen und die Waffe auf dich richten, aber doch nicht schießen werde; aber – — – «

»Ja, ja,« fiel er mir triumphierend in die Rede, »so wird es geschehen, genau so, wie du jetzt gesagt hast.«

»Das dachte ich mir! Du kennst Old Shatterhand genau, aber doch noch nicht ganz. Du meinst, daß ich dich nicht erschießen werde, und hast sehr recht damit; aber das ist gar kein Grund für dich, so höhnisch dreinzublicken, wie du es thust. Ich habe ja gesagt, daß ich dich viel toter machen werde, als du denkst. Du kennst meine Menschlichkeit, aber Old Shatterhands List scheint dir noch unbekannt zu sein. Du glaubst, mich jetzt besiegt zu haben, und bist doch selbst besiegt. Ich werde dich töten, aber nicht deinen Leib, sondern deine Seele.«

»Meine Seele?« fragte er erstaunt. »Wie kann man der Seele eines Menschen eine Kugel geben!«

»Das weißt du nicht? Ich werde es dir zeigen. Man kann die Seele eines roten Mannes so zerschießen und zerfetzen, daß sie für die ewigen Jagdgründe vollständig tot und verloren ist. Mr. Perkins, ich möchte mir den Spaß machen, ein wenig mit dem Revolver zu knallen. Wollt Ihr wohl so gut sein, das Ding zu halten, nach welchem ich schießen werde?«

»Well,« antwortete er. »Wenn Ihr wollt, werde ich es thun, Sir. Möchte Euch aber fragen, ob wir jetzt Zeit zu solcher Spielerei haben.«

»Ihr werdet gleich erfahren, ob es Spielerei ist oder nicht. Stellt Euch hierher, und streckt den Arm hübsch aus, damit ich Euch nicht in den Leib treffe.«

»Pshaw! Von Old Shatterhand hat man keinen Fehlschuß zu befürchten,« sagte er, indem ich ihn ungefähr dreißig Schritte seitwärts von dem Häuptling postierte und seinen Arm in wagrechte Haltung brachte. Dann ging ich zum Pferde des Häuptlings, nahm den Medizinbeutel weg, trug ihn zu Perkins, dem ich ihn in die Hand gab, und sagte:

»So, Mr. Perkins. In dieser Medizin steckt die Seele, der Geist To-kei-chuns, des Häuptlings der Comantschen. Ich werde sie erst mit meinen Kugeln durchbohren und dann den Beutel gar verbrennen, um ganz sicher zu sein, daß der Häuptling die ewigen Jagdgründe nie betreten wird. Dann lassen wir ihn laufen. Seinem Körper ist dann nichts geschehen; er kann nicht sagen, daß Old Shatterhand ihn ermordet habe; aber er darf nicht zu den Seinen zurückkehren, denn sein Name ist in den Fluten der Schande erloschen, und er kann ihn nicht dadurch wiedererlangen, daß er sich eine neue Medizin verschafft; er hat die alte ja nicht im Kampfe verloren, sondern sie ist ihm durch List abgenommen und so beschimpft worden, daß die Ehre ihres Besitzers niemals wiederhergestellt werden kann.«

Ich that, als ob ich bei diesen Worten den Häuptling gar nicht ansähe, warf aber einen verstohlenen Blick auf ihn und bemerkte zu meiner großen Genugthuung, daß meine Berechnung richtiger gewesen war, als die seinige. Seine Augen nahmen vor Entsetzen einen starren, gläsernen Ausdruck an; er wollte reden, brachte aber zunächst nichts hervor; dann entquoll seinem Munde ein heiserer, gurgelnder Schrei; er versuchte, sich in den Fesseln aufzubäumen, und rief dann endlich, als ich den Revolver hob und auf den Medizinbeutel zielte, in furchtbarer Angst und mit schriller Stimme:

»Halt, halt ein! Weg mit der Waffe! Ich bitte dich um des guten Manitou willen, schieß nicht – schieß nicht – schieß ja nicht!«

Ich ließ die Hand nicht sinken, sondern behielt den Revolver im Anschlage, wendete dem Häuptlinge aber das Gesicht zu und fragte:

»Du giebst also zu, daß deine Ehre und deine Seele für immer und ewig verloren wäre, wenn ich jetzt schösse?«

»Ja, ja, ja!«

»Und bittest mich, dies nicht zu thun?«

»Ja.«

»Du giebst ganz ausdrücklich zu, daß du mich darum bittest?«

»Ja doch, ja! Aber nimm doch die Waffe weg!«

Da ließ ich die Hand mit dem Revolver sinken und erklärte:

»Du siehst wohl ein, daß du Old Shatterhand doch noch nicht vollständig kanntest; aber in meiner Güte hast du dich nicht getäuscht. Ich bin bereit, Gnade walten zu lassen, wenn du das thust, was ich verlange.«

»Ich thue es; ich thue es. Die Bleichgesichter sollen freigegeben und gegen mich ausgewechselt werden!«

»Pshaw! Das war es, was ich vorhin forderte; jetzt aber verlange ich mehr.«

»Was denn, was?« erkundigte er sich, aufs neue erschrocken.

»Du glaubtest, klüger zu sein, als ich, und hast meinen gerechten und billigen Vorschlag zurückgewiesen und Worte des Hohnes und Spottes zu mir gesprochen; ich bin ruhig dazu geblieben, denn ich wußte, daß du unterliegen würdest. Nun dies geschehen ist, verzichte ich zwar darauf, den Spott meinerseits zu erwidern, verlange aber, daß er gesühnt werde. Old Shatterhand ist nicht der Mann, den man übertölpeln kann und auslachen darf. Meine Forderung geht jetzt weiter als vorhin.«

»Was willst du von mir? Doch nichts weiter, als die Gefangenen?«

»Ja, weiter nichts; aber die Bedingung ist eine andere geworden, zur Strafe und zur Warnung für dich. Auch müssen die Beleidigungen gutgemacht werden, welche du gegen mich ausgesprochen hast. Also, gieb schnell die Antworten, welche ich von dir verlange, sonst schieße ich dennoch!«

Ich legte den Revolver wieder auf den Medizinbeutel an, den Perkins noch hochhielt, und fuhr fort:

»Du giebst also zu, jetzt ein Bittender zu sein?«

Man muß die Heiligkeit kennen, in welcher die Medizin bei den Indianern steht, um die große Angst zu begreifen, mit welcher To-kei-chun schnell antwortete:

»Ja, ich bitte!«

»Du hast mich einen stinkenden Hund und auch noch anders genannt; jetzt aber sag, wer und was ich bin!«

»Du bist Old Shatterhand, der tapferste unter den weißen Männern!«

»Ferner hast du das Andenken meines toten Bruders Winnetou geschändet, indem du sagtest, auch er sei ein Hund. Wer war Winnetou? Sag es rasch, sonst drücke ich los!«

»Warte doch, warte! Winnetou war der größte und berühmteste Häuptling der Apatschen.«

»Füg hinzu, daß er ein edler Mensch gewesen sei und im Kampfe nie einem Comantschen den Rücken gezeigt habe!«

»Ich sage es; ich gebe es zu!«

»Du bist einverstanden, daß die gefangenen Bleichgesichter sofort freigegeben werden und ihr Eigentum bis auf den kleinsten Gegenstand zurückerhalten?«

»Ja,«

»Du fertigst mir jetzt und hier ein Totem aus, welches ich nur vorzuzeigen brauche, um sie ohne alle Gefahr für mich ausgeliefert zu erhalten und mich mit ihnen entfernen kann, wobei jede Verfolgung von eurer Seite ausgeschlossen ist?«

»Ich werde es thun.«

»Du wirst gegen keinen dieser Männer und auch gegen mich nie wieder etwas Feindseliges unternehmen?«

»Uff! Du verlangst zuviel!«

»Sag ja! Ich warte nicht. Eins – zwei – dr – —!«

»Halt, nicht schießen! Ich verspreche auch das.«

»Das bloße Versprechen genügt mir nicht. Was wir jetzt bestimmen, werden wir mit der Pfeife des Friedens besiegeln.«

»Der große Geist hat seine Hand gewendet und mich in deine Gewalt gegeben; ich muß thun, was du von mir verlangst. Wann giebst du mich frei?«

»Frei? Davon haben wir jetzt nicht zu sprechen.«

»Nicht? Du bekommst die Bleichgesichter; also muß doch ich wissen, wann ich meiner Bande ledig werde.«

»Davon ist eben keine Rede. Ich machte dir den Vorschlag, dich gegen sie auszuwechseln; du gingst in deiner Verblendung nicht auf denselben ein, sondern gabst mir die Antworten des Hohnes und des Spottes; darum sage ich dir dann, daß meine Forderung nun anders geworden sei. Du giebst die Gefangenen dafür frei, daß ich deine Medizin nicht beschimpfe und vernichte, bleibst aber mein Gefangener. Was ich mit dir thue und ob ich dich später freilasse, das kommt ganz auf meine Güte und Gnade an.«

»Uff, uff, uff!« rief er erschrocken. »Darauf kann ich nicht eingehen. Ihre Freiheit gegen die meinige; das ist nicht richtig; sie sind sechs Männer, und ich bin einer; ich gebe also so schon mehr als du.«

»Das sagst du, der da glaubt, daß er der größte Häuptling der Comantschen sei? Ich würde nicht zögern, meine Freiheit gegen diejenige von einigen hundert roten Kriegern einzutauschen. Und du hältst dich für weniger wert als sechs! Ich erfahre da zu meinem Erstaunen, wie tief ein Comantschenhäuptling im Preise steht.«

Diese Worte mußten ihn tief beschämen; darum versuchte er, den begangenen Fehler dadurch zu verbessern, daß er sagte:

»Du weißt ebensogut, wie ich, daß es nicht gewöhnliche Bleichgesichter sind, die wir ergriffen haben; es sind sehr hervorragende Krieger unter ihnen.«

»Grad darum mußt du dich dadurch geehrt fühlen, daß mir dein Besitz höher steht, als meiner Ansicht nach euch der ihrige stehen kann. Ich gehe auf keinen Fall von dieser meiner letzten Forderung ab.«

»Und ich kann nicht auf sie eingehen, sondern fordere Freiheit gegen Freiheit.«

»Das hätte ich vorhin gelten lassen; dein Verhalten aber hat meine Ansprüche erhöht. Du selbst bist schuld daran. Old Shatterhand läßt sich nicht ungestraft verhöhnen. Also, bist du einverstanden oder nicht?«

»Nein.«

»So sieh zu, was geschieht. Mr. Perkins, haltet hoch!«

Er that es, und ich drückte ab. Der Medizinbeutel bekam einen Stoß; meine Kugel hatte ihn durchbohrt. Da schrie der Häuptling nicht, sondern er brüllte förmlich:

»Halt, schieß nicht! Ich bitte dich um des großen Manitou willen, schieß nicht weiter!«

»Ergiebst du dich in meine Wünsche?«

»Ja, ja!«

»Well! Hättest du das eher gethan, so hätte meine Kugel dein Heiligtum nicht berührt. Du willst also das Totem ausstellen?«

»Ja.«

»Und alles niederschreiben, was ich verlangt habe, so daß es deine Krieger lesen können?«

»Ja. Aber ich habe nichts da, worauf ich die Schrift malen kann. Hast du etwas?«

»Ja. Ihr pflegt eure Zeichen in Leder einzuschneiden und mit roter Farbe einzureiben. Leder ist da, nämlich die beiden Hasenfelle, welche hier liegen; aber es fehlt die Farbe, ohne welche die Schrift nicht zu erkennen ist. Darum werde ich dir Papier und Bleistift geben.«

»Ich habe nicht gelernt, nach der Art der Weißen zu schreiben; ich kann kein »sprechendes Papier«[6] machen.«

»Das ist auch nicht nötig, denn nicht Weiße, sondern deine Krieger sollen es lesen. Ich gebe dir ein Blatt oder einige Blätter aus meinem Notizbuche; auf sie kannst du mit dem Bleistifte deine Figuren noch viel leichter malen, als sie sich in Leder schneiden lassen.«

Er sah mich nachdenklich an; es ging ein Zug von Befriedigung über sein Gesicht, für welchen mir leider erst später das Verständnis kam; dann bemerkte er:

»Ganz wie du willst; ich werde es versuchen; aber jetzt kann ich es nicht thun, weil ich gefesselt bin.«

»Ich werde dich losbinden und dir nicht nur die Hände, sondern auch die Füße freigeben, denn du wirst stehend schreiben müssen.«

»Warum stehend? Man muß doch sitzen, wenn man Figuren macht.«

»Auf Leder, ja. Aber du weißt nicht mit Papier umzugehen und mußt eine Unterlage haben, und weil es hier keine andere oder bequemere, als den Sattel eines Pferdes giebt, so wirst du bei deinem Pferde stehen und das Papier auf den Sattel legen.«

Wieder ging ein Zucken über sein Gesicht, welches ich aber dieses Mal gleich verstand. Er sollte die Arme und Beine frei bekommen und bei seinem Pferde stehen; wie leicht war es da, einen schnellen Sprung in den Sattel zu thun und zu fliehen! Er sagte sich, daß er dabei wenigstens nicht sein Leben wage, weil mir sein Tod nichts nützen werde, denn nur wenn er lebte, konnte ich die gefangenen Weißen gegen ihn auswechseln. Es stand also zu erwarten, daß ich nicht auf ihn schießen, sondern besorgt sein werde, ihn unverletzt wieder zu ergreifen, und da erschien es ihm als sehr wahrscheinlich, daß er uns entkommen werde. Er hatte ein gutes Pferd; seine plötzliche Flucht mußte uns überraschen, und ehe wir uns besannen und uns an seine Verfolgung machten, mußte er einen Vorsprung gewinnen, den wir wohl schwerlich einholen würden.

Diese Gedanken gingen ihm durch den Kopf; wenigstens vermutete ich das und traf meine Vorkehrungen darnach. Ich band ihn los, gab ihm mehrere Papierblätter, die ich aus meinem Notizbuche riß, und einen Bleistift in die Hand und zeigte ihm, wie beides zu gebrauchen sei. Dann trat er zu seinem Pferde, nahm den Sattel als Unterlage und begann zu zeichnen. Ich brauchte mich nur mit hinzustellen und die Zügel in die Hand zu nehmen, so konnte er nicht fort; aber ich hatte gar nichts dagegen, daß er den Fluchtversuch unternahm; ich wollte ihn nämlich gern abermals beschämen.

Darum beaufsichtigte ich ihn gar nicht, und als Perkins zu ihm treten wollte, um ihn im Auge zu behalten, winkte ich ihm, dies nicht zu thun. Ich entfernte mich vielmehr von ihm, schlenderte scheinbar sorglos zu meinem Schwarzschimmel hin und legte mich in das Gras. Dort that ich, als ob ich nicht die geringste Besorgnis hegte, beobachtete ihn aber sehr scharf und war bereit, in jedem Augenblicke empor- und auf mein Pferd zu springen.

Er mochte wohl zwei oder drei Minuten gezeichnet haben, da warf er einen forschenden Blick zu mir herüber; ich that, als ob meine Aufmerksamkeit gar nicht auf ihn gerichtet sei. Da ließ er Papier und Stift fallen, ergriff den Zügel, schwang sich auf und stieß seinem Pferde mit einem schrillen Jubelschrei die Fersen in die Weichen. Es schoß mit ihm fort.

»Alle Teufel, da jagt er hin!« rief Perkins. »Welche Dummheit, es ihm so leicht zu machen, Sir! Schnell ihm nach!«

Er wollte aufs Pferd steigen, Dschafar ebenso; ich saß bereits im Sattel, trieb meinen Schwarzschimmel fort und befahl den beiden:

»Bleibt getrost hier! Ich bringe ihn.«

Das war so schnell gegangen, daß der Häuptling beim ersten Sprunge meines Pferdes nicht mehr als höchstens zwanzig Meter Vorsprung besaß. Ich nahm den Lasso vor, hakte das eine Ende an den Sattelknopf, legte die Schlingen zum Werfen locker und rief dem Roten zu:

»To-kei-chun mag schneller reiten, sonst hole ich ihn!«

Er blickte sich um; schon war ich nur fünfzehn Meter hinter ihm, denn mein Pferd war doch ein besserer Renner, als das seinige. Daß die Verfolgung eine so schnelle sein werde, das hatte er nicht gedacht; dennoch stieß er ein höhnisches Lachen aus und trieb sein Tier zu größerer Eile an; ich kam ihm aber bei jedem Sprunge näher. Als er sich zum zweitenmal umdrehte, hatte ich ihn nur noch zehn Meter vor mir und schwang den Lasso zum Wurfe. Da warf er sich nach Indianerart halb aus dem Sattel, so daß er nur noch mit der Kniekehle des einen Beines in diesem hing und sich mit einer Hand an dem Halsriemen seines Gaules festhielt. Er lag also am Leibe seines Pferdes lang hin, und ich konnte ihm infolgedessen den Lasso nicht überwerfen.

Sobald ein Indianer sich in dieser Weise eng an die Seite seines Pferdes hängt, weiß dieses, daß Gefahr vorhanden ist und entwickelt ganz von selbst die möglichste Schnelligkeit.

Dies that auch sein Tier, und da er es außerdem durch Schläge und Geschrei antrieb, so wurde sein Vorsprung für den Augenblick ein größerer. Da aber ließ ich meinem Schimmel die Sporen fühlen, und sofort schoß er in solchen Sätzen weiter, daß ich den Raumverlust rasch einholte.

Der Häuptling war vor meiner Schlinge sicher, aber nicht sein Pferd. Ich hielt mich darum nicht gerade, sondern seitwärts hinter ihm, wirbelte die Schlingen über dem Kopfe, ersah den geeigneten Augenblick und ließ den Lasso fliegen. Ich hatte gut gezielt. Der Gaul schoß förmlich mit dem Kopfe in die Schleife hinein, die sich ihm um den Hals legte. Mein Schimmel war auf das Lassowerfen ausgezeichnet dressiert; er wußte, was geschehen mußte, und verminderte seine Schnelligkeit; ein leiser Schenkeldruck von mir genügte; da warf er sich herum und stemmte sich fest ein. Dadurch wurde der Lasso straff angezogen; wir bekamen einen starken Ruck, welchen der Schimmel aushielt; das Pferd des Roten aber stürzte nieder, und To-kei-chun wurde weit fortgeschleudert.

Ich schnellte mich von meinem Sitze herunter, sprang zu ihm hin und erreichte ihn grad in dem Augenblicke, als er sich aufrichten wollte. Mit der rechten Hand mein Messer ziehend, drückte ich ihn mit der linken nieder und gebot ihm:

»Rühre dich nicht, sonst steche ich!«

Er nahm, wie schon gesagt, an, daß sein Tod mir nichts nützen könne, und beachtete darum diese Drohung nicht, sondern antwortete:

»Hund, mich sollst du doch nicht halten; ich erwürge dich!«

Bei diesen Worten krallte er mir die beiden Hände um den Hals. Da ließ ich allerdings das Messer fallen, legte ihm das Knie auf die Brust, riß mich mit einem kräftigen Rucke los, ergriff seine beiden Hände, hielt sie mit der Linken fest und legte ihm die Rechte an die Kehle. Er wollte sich aufbäumen, es gelang ihm aber nicht; er schlug und stieß mit den Beinen um sich, doch ohne mich zu treffen; sein Widerstand erlahmte um so mehr, je fester ich ihm die Kehle zusammendrückte – — zuletzt ein gurgelndes Röcheln, dann lag er still und bewegungslos.

Nun stand ich auf und sah zurück. Dschafar und Perkins waren doch nicht am Platze geblieben, sondern uns nachgeritten; da sie meine Gewehre mitbrachten, konnte ich ihnen keine Vorwürfe darüber machen. Als sie herankamen, rief der erstere aus:

»Allah sei Dank, daß wir ihn wieder haben! Welch ein Schaden für uns, wenn er uns entkommen wäre!«

»Daran war gar nicht zu denken,« antwortete ich.

»Oho!« fiel Perkins ein. »Es konnte irgend ein Zufall eintreten, welcher – — – «

»Pshaw!« unterbrach ich ihn. »Was für einen Zufall hätte es hier geben können? Ich wußte, daß er fliehen wollte.«

»Und habt ihn nicht gehindert? Ihr ließet mich ja gar nicht hin zu ihm! Ich hätte ihn festgehalten.«

»Das habe ich nun hier gethan. Ihr habt die Riemen mitgebracht, wie ich sehe?«

»Ja. Wir binden ihn natürlich wieder!«

»Nein, jetzt noch nicht; er muß doch erst das Totem schreiben.«

»Und wieder ausreißen!«

»Wird ihm nicht einfallen. Holt sein Pferd und das meinige her!«

Das Comantschenpferd hatte, da der Lasso nicht mehr angespannt war, Luft bekommen und war aufgesprungen, hing aber noch mit dem Schwarzschimmel zusammen. Perkins nahm ihm die Schlinge vom Halse, rollte den Lasso auf und brachte dann beide her. Unterdessen kam der Häuptling wieder zu sich. Er holte laut rasselnd Atem, öffnete die Augen, stierte uns an, bewegte wie probierend die Glieder und stand dann langsam auf, woran ich ihn nicht hinderte.

»To-kei-chun ist ein sonderbarer Krieger,« sagte ich zu ihm. »Da drüben an dem Regenbette ging er spazieren, um mir wieder in die Hände zu laufen, und jetzt ist er spazieren geritten, um meinen Lasso kennen zu lernen.

Vielleicht kommt es ihm gar noch in den Sinn, einmal spazieren zu fliegen! Wenn er das thut, wird er sicher freikommen, denn ich habe das Fliegen nicht gelernt.«

Er stand unbeweglich und sah zur Erde nieder; die Scham verbot ihm, ein Wort zu sagen.

»Der Häuptling der Comantschen wird da fortfahren, wo er aufgehört hat,« fügte ich hinzu. »Er mag an seinem Totem weitermalen, nun aber keinen Scherz mehr treiben, denn von jetzt an ist‘s mir Ernst!«

Dschafar hatte die weggeworfenen Blätter und den Bleistift aufgehoben und mitgebracht; er hielt sie dem Häuptlinge hin; dieser nahm sie stumm und ohne sich zu weigern, trat zu seinem Pferde und setzte die unterbrochene Arbeit fort, wobei ihm Perkins mit gezücktem Messer zur Seite stand. Es dauerte ziemlich lange, bis er fertig war; dann gab er mir die Papiere, ohne ein Wort dazu zu sagen.

Es galt natürlich, das Totem genau zu studieren, denn wenn ich ein einziges hinterlistiges Zeichen nicht verstand, brachte ich uns in Gefahr; aber ich fand nichts, was Argwohn erregen konnte; das Totem war ehrlich. Es bestand aus kleinen Figurengruppen, ähnlich denen, welche kleine Kinder mit ihren ungeübten Händen zeichnen. Die erste Gruppe zeigte einen am Boden liegenden Mann mit einer Feder am Kopfe, einen Indianerhäuptling also. Er war gebunden; darüber sah man das Zeichen To-kei-chuns. Neben ihm stand eine Figur, welche in jeder Hand ein Gewehr hatte; ihre Hände waren im Verhältnisse ungeheuer groß gezeichnet, und über ihrem Kopfe gab es noch eine, auch sehr große Hand. Damit war ich, Old Shatterhand, gemeint. Zu meiner Seite saßen zwei Figuren; die eine hatte eine hohe, runde Mütze auf; das sollte Dschafar sein; die andere war einfach durch hohe Stiefel als Weißer bezeichnet. Diese Gruppe sollte sagen: Old Shatterhand, Dschafar und noch ein Bleichgesicht haben To-kei-chun gefangen genommen.

In ähnlicher Weise waren auch die übrigen Gruppen gehalten, mit denen der Häuptling sagen wollte und auch wirklich sagte, was nach unserer Vereinbarung zu geschehen hatte. Freilich gehörte, da die Figuren unendlich kindlich gezeichnet waren, mehr als gewöhnlicher Scharfsinn dazu, zu enträtseln, was jede einzelne vorstellen sollte; hatte man aber das entziffert, so ergab sich die Bedeutung ganz von selbst. Die Hauptsache dabei war, daß ich nichts fand, was auf die Absicht, uns zu betrügen, hätte schließen lassen.

To-kei-chun hatte sich niedergesetzt und wartete auf die Beurteilung seines Kunstwerkes; ich gab ihm dieselbe mit den Worten:

»Ich bin mit diesem Totem zufrieden; es enthält alles, was ich wünsche. Wir werden den Häuptling der Comantschen auf sein Pferd binden und dann weiterreiten.«

»Wohin?« fragte er.

»Wir folgen seinen Kriegern.«

»Weiß Old Shatterhand, wohin sie reiten?«

»Nach dem Makik-Natun. Vielleicht holen wir sie ein, ehe sie dort ankommen.«

»Du wirst sie nicht einholen, denn sie reiten sehr schnell.«

»Ich denke, daß sie sich zunächst nicht zu sehr beeilen werden, damit du sie einholen kannst.«

»Sie warten nicht auf mich; sie wissen, daß ich gern zurückbleibe und gern allein reite. Du wirst nicht eher als am Makik-Natun mit ihnen sprechen können.«

Die Offenheit, mit welcher er mir dies sagte, war zwar ungewöhnlich, aber ich hatte keinen Grund, sie für unwahr zu halten. Schaden konnte es uns nichts, wenn wir uns nach dieser Mitteilung richteten; darum sagte ich:

»So müssen wir uns beeilen. Ich will die gefangenen Bleichgesichter wo möglich noch heut frei haben und wünsche darum, daß ich noch vor der Dunkelheit des Abends mit den Kriegern der Comantschen reden kann.«

Er ließ sich ohne allen Widerstand auf sein Pferd binden; dann suchten wir die Fährte seiner Leute auf, um ihr möglichst schnell zu folgen. Als wir sie erreichten, untersuchte ich sie und fand, daß die Indsmen allerdings ziemlich rasch geritten waren. Ihr Häuptling hatte also die Wahrheit gesagt.

Er ritt mit Perkins voran und ich mit Dschafar hinterdrein, weil ich ihn stets im Auge haben wollte.

Der Perser sprach über unser heutiges Erlebnis und über unsere Hoffnung, die Gefangenen zu erlösen. Dabei meinte er:

»Der Häuptling versteht das Englische; er hört, was wir hinter ihm sprechen; er braucht aber nicht zu wissen, was wir reden. Wollen wir uns nicht lieber einer andern Sprache bedienen«?«

»Mir recht; aber welcher?«

»Da Ihr der Emir Kara Ben Nemsi Effendi seid, ist Euch das Arabische geläufig. Nehmen wir also dieses.«

»Warum nicht das Persische?«

»Versteht Ihr auch dieses?«

»Leidlich. Wenigstens denke ich, daß ich mich Euch verständlich machen kann.«

Wie erfreut war er, sich seiner Muttersprache bedienen zu können! Er wurde außerordentlich lebhaft, wie er sonst gar nicht zu sein schien, und sprach natürlich vorzugsweise von seinem Vaterlande und den Verhältnissen desselben. Ich wartete darauf, daß er auch die seinigen in Erwähnung bringen werde; er that es indessen nicht, schien aber doch eine Ahnung von dieser meiner Neu- oder Wißbegierde zu haben, denn er sagte im Laufe des Gespräches.

»Du wirst erwarten, daß ich auch von mir spreche; aber was soll ich von mir hier in diesem Lande sagen, wo ich fremd und gar nichts bin?«

Man hört, daß er mich mit dem vertraulichen orientalischen Du anredete; das war mir ganz recht; ich freute mich darüber, obgleich ich in der Heimat kein Freund desselben bin; ich habe nie mit irgend jemandem Brüderschaft gemacht. Als ich auf diese seine Worte nichts bemerkte, hielt er es für angezeigt, fortzufahren:

»Ich will dir aber mitteilen, daß ich unter dem Schutze unsers Herrschers stehe. Er ist ein Freund abendländischer Bildung und sendet zuweilen einige seiner jungen Unterthanen nach dem Occidente, um sich dort Kenntnisse zu erwerben.«

»Natürlich sucht er sich da nur begabte Personen aus.«

»Kann Old Shatterhand auch Komplimente machen? Ich fand die Gnade, die Augen des Beherrschers auf mich gerichtet zu sehen, und wurde nach Stambul, Paris und London gesandt. Dort, in England, war ich längere Zeit. Vielleicht hast du gehört, daß der Schah vor kurzer Zeit in London war?«

»Ich habe in Zeitungen darüber gelesen.«

»Bei dieser seiner Anwesenheit in der Hauptstadt Englands erinnerte er sich meiner, und ich bekam den Befehl, vor seinem Angesichte zu erscheinen. Die Folge dieser Audienz war, daß ich die Weisung erhielt, auch die Vereinigten Staaten kennen zu lernen. Als ich herüberkam, ahnte ich nicht, daß ich das Glück haben würde, hier den mutigen Kara Ben Nemsi kennen zu lernen, von dem mir Hadschi Halef Omar so viel berichtet hat. Und noch weniger hätte ich geträumt, daß ich dir meine Freiheit und mein Leben zu verdanken haben würde. Ich sehe, daß es sehr gefährlich ist, hier zu reisen; ich wollte es erst nicht glauben. Wird die Gefahr aufhören, wenn wir den Bereich der Prairie hinter uns haben?«

»Nein; sie wird sich im Gegenteile in den Felsenbergen jenseits derselben eher steigern als verringern.«

Da er nun dieses Thema festhielt, erfuhr ich über ihn nichts weiter als das Wenige, was er mir jetzt gesagt hatte. Ich mußte ihm Auskunft über den Westen geben; sich selbst erwähnte er nicht mehr.

Warum diese Verschwiegenheit? Sie war mir gegenüber auffällig, denn er kannte mich schon längst, wenn auch nur vom Hörensagen, und war mir, wie er ja soeben auch zugegeben hatte, zu Dank verbunden. Hatte er irgend eine Mission zu erfüllen, von welcher er nichts sagen durfte? Das war nicht wahrscheinlich, denn welche Mission konnte einen Perser quer durch Amerika führen? Oder befand er sich nur auf einer Art von Studienreise? Sollte er vielleicht hier sein Wissen bereichern, um es dann in seinem Vaterlande in irgend einer Anstellung zu verwerten? Dann hatte er es nicht nötig, so heimlich zu thun. Oder war er so zurückhaltend, um sich ein Relief zu geben, sich wichtig zu machen? Das wäre mir gegenüber wenn nicht lächerlich, doch auch nicht verständig gewesen. Wenn ein Orientale fünfundzwanzighundert geographische Meilen von seiner Heimat entfernt einen Mann trifft, mit dem er sich in seiner Muttersprache unterhalten kann, so ist es wohl thöricht von ihm, sich gegen diesen Mann zuzuknöpfen. Ich nahm mir vor, ihn ja nicht wieder zur Sprache auf sich selbst zu bringen.

Unser Ritt nahm einen raschen Verlauf. Die Fährte der Comantschen war stets deutlich und hielt uns also gar nicht auf. Die Indsmen waren wenigstens ebenso rasch geritten, wie wir ihnen folgten, und schienen, da sie nicht auf ihren Häuptling gewartet hatten, für die Sicherheit desselben gar keine Besorgnis zu hegen. Wir hatten noch zwei Stunden bis zum Abende, als ich den beiden Gefährten mitteilte, daß wir in der Nähe des »gelben Berges« angekommen seien. Da fragte mich Perkins:

»Werden wir direkt hinreiten?«

»Nein. Das hieße ja unser Spiel verloren geben!«

»Wieso?«

»Weil der Häuptling bei uns ist. Den dürfen die Roten nicht eher zu sehen bekommen, als bis sie ihre Gefangenen freigegeben haben, vielleicht auch dann noch nicht einmal, denn ich habe ihm die Freiheit nicht versprochen.«

»Sie müssen aber doch erfahren, daß er unser Gefangener ist!«

»Natürlich!«

»Wer soll es ihnen sagen?«

»Ihr, Mr. Perkins,« antwortete ich in ernstem Tone, obgleich ich es scherzhaft meinte.

»Ich?« rief er erschrocken aus. »Ich soll etwa das Totem hinschaffen?«

»Ja.«

»Warum ich? Kann das nicht Mr. Dschafar thun?«

»Nein, denn er kennt den Westen und die Indianer nicht, während Ihr nicht leugnen könnt, in dieser Beziehung Erfahrung zu besitzen.«

»Was das betrifft, so giebt es einen, der viel mehr Erfahrung hat als ich!«

»So?«

»Ja. Wißt Ihr, wen ich meine, Mr. Shatterhand?«

»Nun?«

»Euch selbst. Wenn es darauf ankommt, so seid Ihr der richtige Mann, die Comantschen aufzusuchen.«

»Nein, der bin ich nicht.«

»Möchte wissen, warum!«

»Weil ich bei dem Häuptling bleiben muß. Der ist mir so wichtig, daß ich ihn keinem andern anvertrauen darf.«

»Da muß ich Euch widersprechen. Ihn gut zu bewachen ist zehnmal leichter als seine Krieger aufzusuchen, um mit ihnen zu verhandeln. Ich fürchte sehr, daß ich da Dummheiten machen würde, durch die ich Euch in Gefahr brächte.«

»Hm, das befürchte ich freilich auch!«

»Nicht wahr? Ich halte es also für das Beste, daß Ihr es selbst übernehmt, die Roten zu benachrichtigen. Wir werden inzwischen irgendwo auf Eure Rückkehr warten.«

»Well! Wollte nur sehen, wieviel Mut Ihr habt.«

»O, Mut habe ich! Hierzu aber gehört außer dem Mute auch eine Klugheit, eine Verschlagenheit, welche – — welche – — welche – — – «

»Welche Ihr nicht besitzt? So! Das ist einmal so ehrlich aufrichtig gesprochen, wie ich es gern habe. Aber wenn Ihr so wenig klug seid, wie kann ich Euch da den Häuptling anvertrauen? Ich muß gewärtig sein, daß er nicht mehr bei Euch ist, wenn ich zurückkehre.«

»Nein, das habt Ihr doch nicht zu befürchten, Sir! Wir werden doch nicht so dumm sein, ihn loszubinden und laufen zu lassen!«

»Das wäre freilich nicht nur unklug, sondern geradezu verrückt. Aber es kann noch anderes passieren. Ich denke zwar, daß die Roten, wenn sie einmal bei den Gräbern ihrer Häuptlinge angekommen sind, sich heut nicht mehr von dort entfernen werden; aber es können doch einige von ihnen aus irgend einem Grunde die Gegend durchschwärmen und Euch entdecken.«

»Die schießen wir nieder!«

»Und wenn sie Euch überraschen?«

»Wir lassen uns nicht überraschen. Wir passen auf! Wir werden uns doch wohl eine Stelle aussuchen, wo es unmöglich ist, uns zu beschleichen.«

»Well! Aber wenn so viele kommen, daß sie Euch überlegen sind?«

»So brauchen wir uns dennoch nicht zu fürchten, denn wir thun das, was wir von Euch gelernt haben.«

»Was?«

»Wir drohen ihnen, den Häuptling sofort zu erschießen, wenn sie uns angreifen.«

»Das würde allerdings das Richtige sein. Ich weiß freilich recht gut, daß ich keinen von Euch beiden zu den Comantschen schicken kann; ich muß selbst zu ihnen und will hoffen, daß ich mich unterdes auf Euch verlassen kann.«

»Das könnt Ihr, Sir!« beteuerte er erleichtert. »Wir werden Euch den Häuptling bei Eurer Rückkehr genau so übergeben, wie Ihr ihn bei uns gelassen habt.«

»Ja, das werden wir,« bestätigte Dschafar. »Ich bin kein Feigling und auch nicht das, was man hier einen Dummkopf nennt. Sollten da einige Rote kommen, so stehe ich dafür, daß sie uns ihren Häuptling weder durch List noch durch Gewalt entreißen.«

Ja, er war wohl weder dumm noch feig; zu ihm hatte ich mehr Vertrauen als zu Perkins. Und was hätte ich auch machen wollen? Einer von uns mußte zu den Indianern, und das war keine Kleinigkeit, sondern ein Wagnis, zu dem ein ganzer Mann gehörte. Dazu paßte weder der Perser, dem es vollständig an Kenntnis der Verhältnisse mangelte, noch Perkins, welcher keinen Mut besaß. Ich war also gezwungen, ihnen den Häuptling anzuvertrauen.

Ich kannte die Stelle, an welcher sich die Häuptlingsgräber befanden. Der Makik-Natun hat an seiner Südseite eine Einbuchtung, deren Wände ziemlich steil ansteigen. Die Gräber, vier an der Zahl, lagen nebeneinander an der Westseite der Bucht, in welcher es keine Bäume, sondern nur Büsche gab. Im Hintergrunde der Bucht rieselte ein Quell aus dem gelben Gestein; dort hatten sich die Indsmen wahrscheinlich gelagert. Der Platz war in der Nähe der Gräber frei; die einst dortstehenden Sträucher waren infolge der öfters da stattfindenden Totenfeierlichkeiten verschwunden. Dagegen lief das Gebüsch noch außerhalb der Bucht nach rechts und links, also nach Osten und nach Westen am Fuße des Berges weiter, ein Umstand, welcher, wie man sehen wird, mir großen Vorteil bot. Diese Eintiefung oder Einbuchtung des Makik-Natun also war es, wo das Schicksal der Gefangenen heut entschieden werden sollte. Natürlich hing dabei mein Leben auch nur an einem einzigen Haare, denn selbst wenn der Indianer an jedem anderen Orte zum Frieden geneigt wäre, an den Gräbern seiner im Kampfe gefallenen Anführer regiert ihn nur der Haß, erfüllt ihn nur das Gefühl der Rache, und darum war dieser Ort eigentlich für unser Vorhaben schlecht gewählt. Freilich gab es keine andere Wahl, denn wir konnten nicht bis später warten, weil vorauszusehen war, daß die Gefangenen morgen hingerichtet würden.

Wir folgten der Fährte der Comantschen soweit, bis wir den »gelben Berg« genau nördlich vor uns liegen und vielleicht noch eine halbe Stunde zu reiten hatten, um ihn zu erreichen. Da wichen wir von ihr westlich ab, ritten zunächst parallel mit dem Berge und lenkten dann auf ihn zu, hielten aber an, ehe wir ihn erreichten.

»Sollen wir etwa hier schon absteigen?« fragte Perkins.

»Ja,« antwortete ich.

»Und hier auf Euch warten?«

»Ja.«

»Aber, Sir, nehmt es mir nicht übel, das ist ja der größte Fehler, den wir machen können!«

»Warum?«

»Wir sind in der Nähe der Feinde, und da so auf offenem Felde kampieren, ist doch wohl eine Unvorsichtigkeit?«

»Es ist im Gegenteile eine Klugheit, welche mir als sehr geboten erscheint. Wenn wir bis hinüber zum Berge reiten, wo es Büsche und Bäume giebt, könnt Ihr während meiner Abwesenheit beschlichen und ganz unversehens überfallen werden. Es genügt da ein einziger Roter, um Euch beide aus dem Hinterhalte zu erschießen und den Häuptling zu befreien.«

»Hm, das ist vielleicht richtig!«

»Nicht nur vielleicht! Wir haben uns ja schon vorgenommen, jeden Ort zu vermeiden, an dem Ihr überrumpelt werden könnt. Hier ist die Gegend frei, und Ihr könnt jeden Menschen, der sich Euch nähert, schon von weitem sehen; von einem plötzlichen Ueberfalle kann also keine Rede sein. Und sollten mehrere Rote kommen, was gar nicht zu erwarten steht, so könnt ihr Eure Gewehre nach allen Seiten richten und sie in Schach halten. Selbst den schlimmsten Fall gesetzt, daß Ihr Euch ihrer großen Ueberzahl wegen ihrer nicht erwehren könntet, so genügt die Drohung, ihren Häuptling zu töten, sie von Euch abzuhalten. Ihr selbst habt das vorhin zugegeben.«

»Well! Ich sehe ein, daß Ihr recht habt, Sir. Bleiben wir also hier an diesem Orte! Wann sucht Ihr die Roten auf?«

»Sobald ich den Häuptling sicher weiß.«

»Werdet Ihr gehen oder reiten?«

»Reiten.«

»Euch also nicht anschleichen?«

»Nein. Es ist am hellen Tage, und die Oertlichkeit eignet sich nicht dazu. Uebrigens komme ich als Parlamentär, als Abgesandter ihres Häuptlings und mit dem Totem desselben zu ihnen; das kann Old Shatterhand nur zu Pferde thun.«

»Und Eure Gewehre nehmt Ihr mit?«

»Ja.«

»Das ist viel gewagt. Es ist möglich, daß sie sie Euch abnehmen.«

»Pshaw! Ohne die Gewehre würde ich wahrscheinlich nichts, gar nichts ausrichten; jedenfalls sind sie in meinen Händen sicherer als anderswo. Jetzt herunter von den Pferden!«

Wir stiegen ab und nahmen To-kei-chun aus dem Sattel. Dann fesselte ich selbst ihn so, daß ich mich unbesorgt um ihn entfernen konnte. Als Dschafar und Perkins ihre Pferde angepflockt und sich zu dem Comantschen gesetzt hatten, ermahnte ich sie, eigentlich wohl ganz überflüssigerweise:

»Also haltet gut Wache! Hört auf keine Reden, Bitten und Versprechungen des Gefangenen, und laßt keinen Menschen zu Euch heran.«

»Macht Euch keine unnützen Gedanken, Sir!« antwortete Perkins. »Ich wollte, wir brauchten um Euch so wenig Sorge zu haben, wie Ihr um uns!«

»Umgekehrt, Mr. Perkins! Mir sollen die Roten nichts anhaben. Also Ihr wißt, wie Ihr Euch in jedem Falle zu verhalten habt?«

»In einem noch nicht.«

»Welchen meint Ihr?«

»Den, daß sie Euch festnehmen und Ihr nicht wiederkommt.«

»Dieser Fall tritt nicht ein, denn ich werde sagen, daß der Häuptling getötet wird, wenn ich nicht in einer bestimmten Zeit zurück bin. Ich wiederhole noch einmal: Laßt keinen Menschen zu Euch heran, ganz gleich, ob er es mit Gewalt oder mit List versucht! Der Häuptling darf nur durch mich selbst losgebunden und freigegeben werden!«

»Schon gut! Wir wissen nun alles. Wir wünschen Euch für Euer Vorhaben genau so großes Glück, wie groß hier unsere Wachsamkeit sein wird.«

Solche Reden hätten mich zwar beruhigen sollen, aber als ich mich nun wieder auf das Pferd setzte und weiterritt, geschah es doch nicht ohne alle Sorge.

Die Frist bis zum Anbruche der Dunkelheit betrug nun nur noch anderthalbe Stunde. In dieser Zeit mußte ich die Weißen frei haben; da ich aber wußte, wie langsam und bedächtig die Indianer bei solchen Verhandlungen zu sein pflegen, mußte ich mich jetzt sputen. Ich hielt also im Trabe auf die Häuptlingsgräber zu und untersuchte dabei vorsichtigerweise meine Gewehre und Revolver; ich mußte mich auf sie verlassen können, falls es zu Feindseligkeiten kommen sollte, was ich aber keineswegs erwartete.

Ich erwähnte vorhin, daß sich das Gebüsch auch westwärts an dem Berge hinzog. Um so spät wie möglich bemerkt zu werden, hielt ich mich zwischen den Ausläufern desselben, wo jeder einzelne Strauch mir Deckung bieten mußte. So kam ich an die Einbuchtung und bog um die Ecke derselben. Den Platz rasch überblickend, sah ich die Roten im Hintergrunde am Wasser lagern, also so, wie ich es vermutet hatte. Nur einige von ihnen befanden sich links bei den vier Gräbern; sie waren beschäftigt, diese für die morgende Feier dadurch zu schmücken, daß sie an da eingesteckten Lanzen ihre Medizinen aufhingen. Ihre Pferde weideten im Vordergrunde.

Natürlich wurde ich gesehen, sobald ich um die Ecke gebogen war. Ein Weißer hier an dieser ihnen so heiligen Stelle! Jetzt, wo sie das Kriegsbeil ausgegraben hatten! Das war geradezu unerhört, so unerhört, daß zunächst ein tiefe, tiefe Stille eintrat; dann aber brach die Rotte in ein um so wilderes, wahrhaft markerschütterndes Gebrüll aus. Die Kerle sprangen auf, ergriffen ihre Waffen und kamen auf mich zugesprungen. Sie zückten ihre Messer, schwangen ihre Flinten und Lanzen und umringten mich in allen möglichen drohenden Stellungen.

»Still, seid still!« überschrie ich ihr Geheul. »Hört, was ich euch zu sagen habe!«

Dabei wirbelte ich den schweren Bärentöter nach rechts und links, nach hinten und vorn, um einige Bursche, welche sich zu nahe an mich machten, von mir abzuhalten. Dadurch kam der eine und der andere mit dem Kolben in unangenehme Berührung; sie verstärkten ihr Geschrei und machten Miene, im Ernst auf mich einzudringen; da überbrüllte ein alter Kerl alle die andern:

»Uff, uff, uff! Schweigt, ihr Krieger der Comantschen! Der gute Manitou hat uns einen großen Fang gesandt. Dieser Mann ist das berühmteste unter allen Bleichgesichtern; er wird morgen mit denen, die dort hinten liegen, am Marterpfahle sterben.«

Ich sah über die Roten hinweg nach dem Hintergrunde; dort lagen die sechs weißen Gefangenen.

Als die Roten dem Alten gehorchten und schwiegen, fuhr er in triumphierendem Tone fort:

»Ich habe diesen weißen Mann nicht sogleich erkannt, weil er nicht den Anzug eines Jägers trägt. Hört seinen Namen, ihr Krieger der Comantschen! Es ist Old Shatterhand!«

»Old Shatterhand – — Old Shatterhand!« ertönte es rundum in erstauntem, aber auch drohendem Tone, aber die mir zunächst standen, wichen unwillkürlich zurück.

»Ja, ich bin Old Shatterhand, der Freund und Bruder aller roten Männer, welche das Gute lieben und das Böse hassen,« ließ ich mich nun wieder hören. »Hier bei euch am Marterpfahle sterben, das werde ich nicht, denn To-kei-chun, euer Häuptling, hat mich zu euch gesandt. Ich komme als sein Bote, und wer es wagen sollte, sich an mir zu vergreifen, den brauche ich nicht zu töten, denn To-kei-chun wird ihn bestrafen.«

Das klang so wahr und so zuversichtlich, daß es den beabsichtigten Eindruck nicht verfehlte. Sie wichen noch weiter zurück und flüsterten sich leise Bemerkungen zu. Die Augen waren zwar feindselig auf mich gerichtet, aber wie auf einen Feind, den man nicht anzugreifen wagt. Nur der Alte trat einen Schritt näher und rief mir zu:

»To-kei-chun hat dich gesendet? Das ist eine Lüge!«

»Wer kann sagen, daß Old Shatterhand jemals gelogen habe?« fragte ich.

»Ich!« antwortete er.

»Wann und wo?«

»Damals als du unser Gefangener warst und uns doch entkamst.«

»Das lügest du selbst! Sprich, welche Lüge soll ich damals gesagt haben?«

»Nicht mit Worten, sondern durch die That hast du damals gelogen. Du gebärdetest dich als unser Freund und handeltest doch als unser Feind!«

»Dein Mund ist voller Unwahrheit. Hatte ich nicht den Sohn To-kei-chuns in meiner Gewalt? Sollte er nicht sterben? Habe ich ihm nicht das Leben geschenkt und ihn sicher zu euch geführt? Aber welchen Lohn bekam ich dafür? Ihr behandeltet mich als Gefangenen! Wessen Thun war da verwerflich? Das meinige oder das eurige?«

»Du durftest fort und befreitest auch die andern Gefangenen!« antwortete er, schon weniger zuversichtlich.

»Sie waren meine Gefährten, und die Versammlung eurer weisen Männer gab sie frei.«

»Weil du sie durch deine Faust und mit deinen Gewehren dazu zwangst. Du bist nicht unser Freund und Bruder, und To-kei-chun hat dich nicht zu uns gesandt!«

»Es ist genau so, wie ich sage: er schickt mich her!«

»Kannst du es beweisen?«

»Ja.«

»Uff! Wie will die Klapperschlange beweisen, daß sie nicht giftig ist! Oeffne deinen Mund, und erfahre dann, ob wir dir Glauben schenken!«

»Ihr werdet mir glauben, denn ich habe euch ein Totem zu übergeben.«

»Ein Totem? Von To-kei-chun? Er ist zurückgeblieben. Warum sendet er einen Boten? Warum kommt er nicht selbst?«

»Weil er nicht kann.«

»Warum kann er nicht? Gieb das Totem her!«

»Wer ist in seiner Abwesenheit der Anführer? Der soll es erhalten.«

»Ich bin es.«

»Kannst du ein Totem lesen?«

»Ja. Mehrere von uns können das.«

»Da hast du es.«

Ich zog die Blätter aus der Tasche und gab sie ihm. Er nahm sie und gebot seinen Leuten:

»Umringt dieses Bleichgesicht, und laßt es nicht von der Stelle! Es will uns betrügen. Ein Totem wird auf Leder gemacht, aber nicht auf so ein Ding, was die Weißen Papier nennen. So ein Papier kann nie als Totem gelten.«

Ah! Nie als Totem gelten! Also darum der befriedigte Blick des Häuptlings, als ich ihm sagte, er solle auf Papier schreiben! Diese Zeichnung galt nicht als Totem; sie schützte mich nicht! Nun, ich hatte trotzdem des Schutzes genug. Infolge der Aufforderung drängten sich seine Leute wieder näher an mich. Da nahm ich den Stutzen zur Hand und rief:

»Zurück von mir! Habt ihr nicht von diesem Zaubergewehre gehört, mit welchem ich ohne Aufhören schießen kann, ohne zu laden? Wer seine Hand nach einer Waffe oder gar nach mir selbst ausstreckt, der bekommt eine Kugel! Macht Platz! Ich will nicht fort, aber ich gehe dahin, wohin es mir gefällt!«

Ich spannte den Hahn des Stutzens, nahm das Repetiergewehr par pistolet in die rechte Hand, ließ meinen Schwarzschimmel, um mir Raum zu machen, mit ausschlagenden Hufen im Kreise springen und lenkte ihn dann nach dem Hintergrunde, wo die Gefangenen lagen.

Ich wußte wohl, was ich that, was ich riskieren durfte. Es gab wohl keinen unter den Comantschen, der nicht von diesem meinem »Zaubergewehre« gehört hatte. Ihr Aberglaube ließ ihnen den Stutzen als eine Waffe erscheinen, welcher gegenüber es keinen Widerstand gab. Sie sahen ihn schußfertig in meiner Hand und wichen zurück. Erst als ich durch ihren Haufen war, kamen sie hinter mir her, doch in für mich genügender Entfernung. Nur der Alte wagte sich näher und rief mir zu:

»Wo willst du hin? Zu den gefangenen Bleichgesichtern?«

»Ja.«

»Das darfst du nicht!«

»Wer will es mir untersagen?«

»Ich.«

»Pshaw!«

Ich antwortete nur dieses eine Wort und ritt weiter. Da kam er noch näher, streckte die Hand nach meinem Zügel aus und schrie:

»Nicht weiter, sonst nehme ich dich gefangen!«

»Versuche es! Wer wagt es noch von euch, Old Shatterhand etwas zu verbieten, was ihm zu thun gefällt?«

Ich hielt mein Pferd an und richtete den Lauf des Stutzens auf den Alten.

»Uff, uff!« erscholl da sein Angstruf, mit welchem er im Haufen der Seinen verschwand. Ein anderer an meiner Stelle wäre von den Comantschen vom Pferde gerissen und sofort getötet oder wenigstens gefesselt worden; mir geschah dies nicht. Warum? Das hatte mehrere Gründe. Erstens wußten sie nun doch, daß ich von ihrem Häuptling gesandt worden war. Zweitens wirkte die Furcht vor meinem Gewehre. Drittens stand ich überhaupt bei ihnen in einem Rufe, der mir ein solches Wagnis ermöglichte. Was bei einem andern Tollkühnkeit hätte genannt werden müssen, war bei mir nur einfache Berechnung und Ausnützung dieser Umstände. Und endlich viertens wußte ich, daß mein Auftreten geradezu verblüffend wirken mußte. Ich zeigte, um den richtigen Ausdruck zu gebrauchen, eine Frechheit, die ihnen aber als etwas ganz anderes erschien. Das, was ich that, war in ihren Augen nicht das Verhalten eines verwegenen Menschen, sondern die Handlung einer mit einer »höhern Medizin« ausgestatteten und vom »großen Manitou« bevorzugten Persönlichkeit.

Ich lenkte mein Pferd wieder nach dem Hintergrunde, von woher mir der laute Ruf entgegenscholl:

»Old Shatterhand! Gott sei Dank! Euch hier zu sehen, ist das höchste der Gefühle!«

Ich hatte für diese Worte Jim Snuffles keine Erwiderung, weil ich die Roten nicht noch mehr aufregen wollte, hielt in der Nähe der Weißen an der Felswand an, stieg vom Pferde und setzte mich so nieder, daß ich an der Wand lehnte und den Rücken also frei hatte. Die Indianer bildeten einen Halbkreis um mich, doch in respektvoller Entfernung, weil ich den Stutzen noch immer schußfertig hielt. Ich befand mich, wenigstens einstweilen, in vollständiger Sicherheit.

Der vorhin eingeschüchterte Alte ließ sich jetzt wieder sehen; ich winkte ihm zu und forderte ihn auf:

»Mein roter Bruder mag nun das Totem lesen! Er wird aus demselben ersehen, daß ich gekommen bin, To-kei-chun, den Häuptling der Comantschen, vom Tode zu erretten.«

»Vorn Tode?« fragte er schnell und erschrocken. »Befindet er sich in Gefahr?«

»In einer sehr großen. Wenn ich nicht von jetzt an in der Zeit, welche wir Weißen eine halbe Stunde nennen, zu ihm zurückgekehrt bin, muß er sterben.«

»Uff – uff – uff – — uff!« ertönte es erschrocken im Halbkreise.

Der Alte setzte sich mir grad gegenüber nieder und nahm die Blätter vor, um sie zu entziffern. Ich betrachtete dabei sein Gesicht aufmerksamer, als ich es bisher gethan hatte; er wohl ein kluger, vielleicht gar ein pfiffiger Kerl. Schon nach kurzer Zeit hob er schnell den Kopf empor und warf einen langen, stechenden Blick auf mich. Er hatte die erste Figurengruppe enträtselt und wußte nun, daß sein Häuptling sich in meiner Gefangenschaft befand. Dann setzte er das mühsame Studium des Totems fort.

Von jetzt an verzog er keine Miene mehr; er verstand es, den Eindruck, den das, was er erfuhr, auf ihn machte, vollständig zu verbergen. Als er das letzte Blatt weglegte, blickte er lange und nachdenklich zur Erde nieder; er überlegte; ich hielt es nicht für gut, ihn dabei zu stören. Dann sah er mich wieder an, und zwar in einer Weise, welche, wenn ich meiner Sache nicht so sicher gewesen wäre, mich wohl um mich besorgt gemacht hätte.

Hierauf winkte er einen Roten herbei, einen starken, gewandt aussehenden Kerl, der sich zu ihm setzen mußte. Sie sprachen leise, sehr leise miteinander, wobei weder der eine noch der andere zu mir herübersah. Das dauerte eine ziemliche Weile, bis der zweite aufstand und wieder in den Halbkreis zurücktrat.

Diese sonderbare Wirkung des Totems wollte mir gar nicht gefallen. Ich hatte große Aufregung mit wütender Bedrohung meiner Person erwartet, und nun diese Ruhe! Sie wurde mir nachgerade unheimlich, zumal sie solange anhielt; denn der Alte sagte noch immer nichts, sondern blickte wieder wortlos und still vor sich nieder, und die Roten standen um uns her und hingen mit verlangenden Blicken an ihm, ohne daß er ihrer gespannten Wißbegierde ein Ende machte. Da mußte ich ihn denn doch nun fragen:

»Hat mein roter Bruder das Totem des Häuptlings verstanden?«

»Ja,« antwortete er.

Und nun stand er langsam auf und richtete an die Seinen die mir wieder sonderbare Aufforderung:

»Es ist etwas geschehen, was man für unmöglich halten sollte. Meine Brüder werden es sogleich hören; sie mögen aber nichts sagen, sondern sich ganz ruhig dabei verhalten; dies ist mein Befehl und geschieht um unsers Häuptlings willen!«

Hierauf wendete er sich mir wieder zu und fragte:

»Old Shatterhand hat To-kei-chun gefangen genommen?«

»Ja,« antwortete ich.

»Ist der Häuptling dabei verletzt worden?«

»Nein.«

»Es ist kein Blut geflossen?«

»Nein.«

»Es waren zwei Weiße dabei, darunter derjenige, der uns gestern am Flusse so heimlich entkommen ist?«

»Ja.«

»Was wird mit To-kei-chun geschehen?«

»Er muß sterben, wenn ich nicht in einer Viertelstunde bei ihm bin. Also bedenke wohl die Befehle, welche er dir auf seinem Totem giebt.«

»Er sagt mir, daß du ihn freilassen willst. Wofür?«

»Für die sechs Gefangenen hier. Doch ist es eigentlich anders. Um seine Medizin zu retten, will er mir diese sechs Weißen geben. Wann auch er die Freiheit erhält, das soll auf meine Güte ankommen.«

»So ist es; es steht auf dem Totem. Aber wir brauchen diesem Totem nicht zu gehorchen, weil es nicht von Leder ist; das weiß er gar wohl.«

»Dann verliert er das Leben!«

»Er wird nicht sterben. Old Shatterhand ist sonst ein kluges Bleichgesicht; diesmal aber hat er sich verrechnet.«

6

So nennen die Indianer unsere Briefe.

Im Reiche des silbernen Löwen I

Подняться наверх