Читать книгу Im Reiche des silbernen Löwen II - Karl May - Страница 2

Zweites Kapitel: Vor Gericht

Оглавление

Als wir Hilleh erreicht hatten, ritten wir zunächst nach der Wohnung des Wirtes, vor welcher angehalten wurde.

»Ich habe euch, meiner Weisung nach, wieder zurückgebracht,« sagte der Kol Agasi zu ihm; »ihr könnt also in dein Haus gehen. Aber ich werde einen Posten an die Thür stellen, welcher euch zu verwehren hat, es zu verlassen, bis ihr nach der Mehkeme geholt werdet, wo ihr eure Anklage vorzubringen und ihre Wahrheit zu beweisen habt. Ich mache euch darauf aufmerksam, daß ihr euch also auch jetzt noch als Gefangene zu betrachten habt. Unterlaßt darum jeden Versuch, euch ohne Erlaubnis von hier zu entfernen!«

Sie gefangen, wir aber frei! Das ärgerte sie gewaltig; sie waren aber klug geworden und sagten nichts dazu. Wir ritten unter Zurücklassung eines Postens weiter, der sogenannten Makarri ikamet[60] des Sandschaki zu.

Im Hofe derselben angelangt, wurden wir von dem Kol Agasi aufgefordert, abzusteigen. Es gehörte nicht viel Scharfsinn dazu, den Grund dieser Aufforderung zu erraten und uns über unsere gegenwärtige Lage klar zu sein. Wie wir uns dazu zu verhalten hatten, das wollte ich nicht von den hiesigen Verhältnissen, sondern von unserm eigenen Willen abhängig machen. Darum fragte ich ihn, ruhig im Sattel sitzend bleibend:

»Warum absteigen?«

»Weil man doch nicht sitzen bleibt, wenn man nicht weiter reitet.«

»Hm! Was das betrifft, so kommt es bei uns zuweilen vor, daß wir zwar anhalten, aber doch nicht absteigen.«

Ach habe euch aber abzuliefern!«

»Das kannst du auch thun, indem wir uns im Sattel befinden.«

»Aber, Emir, ihr könnt doch unmöglich zu Pferde in das Gefängnis kriechen!«

»Ah! Ins Gefängnis sollen wir?«

»Natürlich! Ihr seid ja gefangen!«

»Ich spüre nichts davon!«

»Weil ihr nicht gebunden seid? Ich habe euch ja arretiert und euch nur darum ohne Fesseln hierhergebracht, weil ihr mir versprochen habt, mir gutwillig hierher zu folgen. Nun aber muß ich euch in das Gefängnis bringen.«

»Du? Ich denke, du bist Offizier, aber nicht ein gemeiner Sindandschi,[61] welcher Verbrecher zu bedienen hat!«

»Fyrtyna! Ich wollte es keinem Menschen raten, mich für einen solchen Kerl zu halten! Ich bin Offizier des Beherrschers aller Gläubigen, aber kein Gefängnisdiener!«

»So zürne auf dich selbst! Denn soeben hast du gesagt, daß du die Obliegenheiten eines solchen Kerls« ausüben willst. Ich werde das leider mit in den Bericht an den Seraskier aufzunehmen haben!«

»Allah, Wallah, Tallah! Du kannst es getrost weglassen, denn ich werde es nicht thun, wenn du mir die Bitte erfüllst, welche ich jetzt aussprechen werde.«

»Ich werde sie erfüllen, wenn ich kann.«

»Du kannst.«

»So sprich sie aus!«

»Ich gehe jetzt zum Sandschaki, um ihm zu melden, daß ich euch gebracht habe und euch ihm übergebe. Bis das geschehen ist, macht ihr keinen Versuch, den Hof hier zu verlassen. Was dann geschieht, das geht mich nichts mehr an. Seid ihr einverstanden?«

»Wenn du mir einige Fragen beantwortest.«

»Welche?«

»Wie ist dein Name?«

»Amuhd Mahuli.«

»Ich muß ihn wissen, weil ich ihn doch in dem Berichte zu erwähnen habe und es ungewiß ist, ob ich wieder Gelegenheit finde, mit dir zu sprechen. Du kennst die Umgebung dieses Gebäudes?«

»Ja.«

»In welchem Teile wohnt der Sandschaki?«

»Grad vor dir. Da befinden sich auch die Stuben seiner Mamuhrin.«[62]

»Wo ist das Gefängnis?«

»Zur ebenen Erde rechts, wo du die kleinen Löcher in der Mauer siehst.«

»Ich danke! Das sind keine Wohnungen für uns! Da drüben wird der Hof von einer Mauer abgeschlossen. Was liegt hinter ihr?«

»Eine freie Gasse.«

»Wie breit ist sie?«

»Es können fünf oder sechs Personen an dieser Stelle nebeneinander gehen. Warum fragst du das?«

»Weil wir zwar gute Reiter sind, aber aus gewohnter Vorsicht uns stets vorher zu erkundigen pflegen, wenn es gilt, die Hälse zu riskieren.«

»Die Hälse? Ich verstehe dich nicht!«

»Ist auch nicht notwendig. Und nun höre, was ich dir sage! Wir werden genau zehn Minuten auf dich warten. Das ist Zeit genug, dem Sandschaki deine Meldung zu machen. Bist du dann noch nicht wieder da, so reiten wir fort.«

»Kann ich mich wirklich auf dieses dein Versprechen verlassen?«

»Ich breche nie mein Wort.«

»So will ich gehen, denn ich vertraue dir. Ihr braucht nicht zehn Minuten zu warten, denn ich werde schon eher wiederkommen.«

Er ging, indem ich darüber lächeln mußte, daß er mir mein Wort abgenommen hatte. Seine Leute waren ja da! Warum hatte er sie nicht aufgefordert, uns zu bewachen und jeden Fluchtversuch zu verhindern? Traute er ihnen weniger als meinem Versprechen? Der Eindruck, den wir auf ihn gemacht hatten, schien ein für uns noch günstigerer zu sein, als ich gedacht hatte. Er glaubte nicht, daß wir uns trotz ihrer Überzahl von ihnen halten lassen würden, und da hatte er auch recht!

Das Gebäude bestand, wie alle Häuser der Stadt, aus Ziegeln, welche den Trümmern des einstigen, großen Babylon entnommen waren; es sah sehr schmutzig und baufällig aus. Der Hof war nicht groß, bot uns aber hinreichend Platz zu den Bewegungen, welche später vielleicht nötig wurden. Die Mauer, von welcher ich gesprochen hatte, besaß etwas über Manneshöhe, zeigte aber einige Stellen, wo die oberen Ziegellagen, weil verwittert, herabgefallen waren, und es erschien mir ganz und gar nicht als ein Wagnis, an einer dieser Stellen mit unsern Pferden über sie hinwegzukommen. Das war es, warum ich gefragt hatte, was hinter ihr liege.

Eigentlich hätte mir bange sein können. Ein Christ, gefangen, in Hilleh, dem Hauptorte schiitischer Unduldsamkeit, der Schuld am Tode eines Menschen und an der Verletzung eines andern, vielleicht auch des Schmuggels angeklagt –das waren Gründe genug, besorgt zu sein. War hier doch schon allein der Umstand, ein Christ zu sein, höchst gefährlich für mich! Aber ich sah dem Kommenden mit größter Seelenruhe entgegen, und als ich mein Auge auf Halef richtete, lächelte er mich getrost und zuversichtlich an und fragte:

»Hast du schon einen Plan, Sihdi?«

»Nein,« antwortete ich, indem ich mich, um von den Soldaten nicht verstanden zu werden, des moghrebinischen Dialektes bediente. »Um einen Plan zu haben, müßte ich wissen, was sich nun ereignen wird; da ich das aber nicht weiß, können wir nichts thun, als ruhig warten.«

»Aber wie wir uns im allgemeinen zu verhalten haben, das kannst du mir mitteilen?«

»Ja. Ich werde nicht leugnen, daß ich Christ bin, hier am allerwenigsten; ich bin das mir und meinem Glauben schuldig, du hast dich ganz nach mir zu richten und alles so zu thun, wie ich es thue. Ich vermute, daß wir über die Mauer setzen werden. Das muß, da die dahinterliegende Gasse nicht breit ist und um nicht jenseits anzurennen, in schiefer Richtung, und zwar von rechts nach links geschehen, sodaß wir beidem Sprunge nördlich schauen. Das mußt du dir merken, damit wir keinen Augenblick auseinanderkommen und du nicht etwa umzuwenden brauchst.«

»Allah! Bin ich etwa blind, Sihdi? Traust du mir zu, in der Weise über die Mauer zu kommen, daß wir uns draußen mit den Rücken anschauen?«

»Nein; aber es war nicht unnötig, davon zu sprechen.«

»So meinst du, daß wir gar nicht absteigen?«

»Wir werden wahrscheinlich doch herunter müssen; aber ins Gebäude gehen wir auf keinen Fall, und von den Pferden trennen wir uns keinen Augenblick, sondern behalten die Zügel stets in den Händen.«

»Aber wir sind angeklagt; man will uns verhören, und wir können die Pferde doch nicht mit hinein ins – — – ah, du willst ja gar nicht hinein in die Mehkeme!«

»Nein. Wer uns verhören will, der muß zu uns herauskommen.«

»Muß herauskommen, muß! Ob er will oder nicht! 0, Sihdi, lieber Sihdi, wie freue ich mich darauf! Das ist doch endlich wieder einmal ein Fall, eine Begebenheit, bei welcher wir zeigen, daß wir gewohnt sind, stets nur das zu thun, was uns beliebt. Ich bin neugierig, außerordentlich neugierig, was alles sich dabei ereignen wird. Vielleicht kommt es dazu, daß wir die Waffen brauchen!«

»Auch das müssen wir gewärtig sein, obgleich ich es nicht wünsche. Anfassen darf uns niemand, denn wenn wir es einmal dazu kommen lassen, so haben wir das Spiel schon halb verloren. Wir können noch so kräftig sein, wenn uns die Überzahl zusammendrückt, so daß wir keinen Raum mehr zur Verteidigung haben, werden wir überwältigt. Sieh dort an der Thorseite die vielen Menschen! Der gestrige Vorfall ist in der Stadt bekannt geworden; jetzt hat man erfahren, daß wir eingeliefert worden sind, und nun kommen die Neugierigen, um zu erfahren, was mit uns geschieht.«

»Das können wir ihnen jetzt schon sagen: Wir reiten fort und lachen Hilleh aus.«

»Sei nicht allzu sicher! Es ist ganz und gar nicht ausgeschlossen, daß diese Angelegenheit eine ganz andere, eine schlimmere Wendung nimmt, als wir denken. Schau, die Entscheidung beginnt; man kommt!«

Wir sahen den Kol Agasi aus der Thür treten; ihm folgte eine ganze Anzahl von Personen. Hinter ihm kam ein Offizier in der Uniform eines Mir Alai,[63] der wohl zufälligerweise grad jetzt bei dem Sandschaki gewesen war. Dann traten Diener heraus, welche einen Stuhl und verschiedene Kissen trugen, dann Beamte der Mehkeme, einer von ihnen mit einem monströsen Tintenfasse, Feder und Papier. Das war jedenfalls der Protokollant, woraus wir schlossen, daß das Verhör sofort und zwar sonderbarer-, uns aber sehr willkommenerweise hier im Hofe stattfinden sollte. Wie wir einigen später fallenden Äußerungen entnahmen, war heut überhaupt öffentlicher Gerichtstag, und da unser Fall ein eklatanter war, hatte der Sandschaki beschlossen, ihn gleich zuerst vorzunehmen und, ohne uns erst in einer langen Untersuchungshaft schmachten zu lassen, uns eine desto strengere, exemplarische Strafe zu diktieren. Bei einer Anklage, wie die gegen uns gerichtete war, konnte er sich einmal in seinem ganzen Glanze zeigen; Zuschauer waren ja genug vorhanden.

Hinter diesen Beamten sahen wir mehrere Personen in sehr würdevoller Haltung schreiten, die Beisitzer des Gerichtes, wie ich später erfuhr. Und nun kam er selbst, der Herr und Gebieter Hillehs und des Sandschak, in welchem es liegt. Man sah es ihm beim ersten Blicke an, daß er ein Alttürke war, also ein Herr, von welchem ich als Christ keine Spur von Wohlwollen oder Schonung zu erwarten hatte. Seine Gestalt war klein und schmächtig, desto größer sein Turban, der mir aber trotz seines Umfanges nicht im mindesten imponierte. Zu seiner Linken ging ein Mann, dem ich zunächst keine Aufmerksamkeit schenkte, dafür aber später um so größere. Er war persisch gekleidet.

Alle diese Personen kamen, den Kol Agasi ausgenommen, nicht etwa auf uns zu, sondern sie schritten am Gebäude hin bis zu einer Stelle, wo eine alte, ziemlich zerfetzte Markise an der Mauer niederhing, welche von einem schnell vorausgesprungenen Diener aufgeschoben wurde. Sie bildete das Sonnendach der Stelle, an welcher die öffentlichen Gerichtssitzungen abgehalten wurden.

Der schon erwähnte Stuhl wurde unter ihren segensreichen Schutz gestellt, und der Sandschaki nahm auf ihm wie auf einem Throne Platz. Zu seiner Rechten und Linken legte man die Kissen nieder, um den hervorragenden juridischen Koryphäen, Gelegenheit zu bieten, mit untergeschlagenen Beinen so weich wie möglich zu sitzen; die geistig weniger begabten Koryphäen nahmen den Platz, wo und wie sie welchen fanden. Der persisch gekleidete Mann hatte sich unmittelbar neben dem Stuhle niedergelassen. Als sich die Mehkeme in dieser Weise entwickelt hatte, kam die Menge der Zuschauer herbei, um den Mahill el Adl[64] in einem Halbkreis zu umschließen.

Mittlerweile hatte der Kol Agasi uns erreicht. Sein Gesicht war sehr ernst, und seine Stimme klang bedenkenschwer, als er uns mitteilte:

»Ich habe euch gemeldet, und da die Mehkeme zur heutigen Sitzung versammelt war, beschloß der Sandschaki, sogleich über euch Gericht zu halten. Ihr werdet mit größter Strenge behandelt werden und habt keine Nachsicht zu erwarten.«

»Weiß er, daß ich ein Christ bin?« erkundigte ich mich.

»Ja; ich habe es ihm gesagt. Ich habe ihm auch mitgeteilt, wer ihr seid.«

»Was sagte er dazu?«

»Wer ihr seiet, daß gehe ihn gar nichts an; er brauche weiter nichts zu wissen, als daß er es mit Schmugglern und Mördern zu thun habe, und solche Menschen dürfe man nicht schonen.«

»Ich danke dir für diese Mitteilung. Du siehst, daß wir Wort gehalten haben und hier geblieben sind. Von jetzt an ist es dir also gleichgültig, was wir thun?«

»Nein.«

»Du sagtest es doch vorhin!«

»Ich wußte nicht, was kommen werde. Der Mir Alai meines Regimentes war bei dem Sandschaki; er befahl mir, mit meinen Leuten das Thor zu besetzen, damit jeder etwa von euch unternommene Fluchtversuch vergeblich sei; mit Mördern könne man nicht vorsichtig genug verfahren. Ich muß natürlich gehorchen. Ich hoffe, daß du mir nicht darüber zürnst, Emir!«

»Du besitzest mein Wohlwollen in noch ganz demselben Maße wie vorher.«

»Aber wenn ihr fliehen wollt und ich verhindere euch daran, was wird da aus deinem Bericht an den Seraskier?«

»Ich schreibe ihn und schicke ihn auch ab. Wenn du unsere Flucht unmöglich machst, verdienst du ja das Lob, welches ich dir erteile, doppelt.«

»Aber wenn ihr hingerichtet werdet, kannst du den Bericht nicht schreiben!«

»Mach dir in dieser Beziehung keine Sorge! Ehe der Sandschaki uns hinrichten läßt, hängen wir ihn am ersten, besten Stricke auf!«

»Du kannst bei so ernsten Dingen scherzen?! Aber steigt ab, und kommt mit mir! Ich soll euch vor die Richter bringen.«

Ehe ich hierauf antworten konnte, ließ Halef einen unterdrückten Ruf der Überraschung hören.

»Was ist‘s?« fragte ich.

»Schau den Mann, der jetzt bei dem Perser steht und mit ihm spricht!« antwortete er.

»Er steht mit von uns abgewendetem Gesichte; ich sehe es nicht.«

»Aber ich habe es gesehen!«

»Kennst du ihn?«

»Ja. Auch du wirst ihn sofort erkennen, wenn er sich herumdreht.«

»Wer ist‘s?«

»Safi.«

»Was? Wer? Etwa Safi, der Sill, der uns dem Pädär in die Hände liefern wollte?«

»Und den du begnadigt hast, obgleich ich ihm so gern meine Peitsche hätte schmecken lassen. ja, er ist es.«

»Du irrst dich nicht?«

»Nein. Paß nur auf! jetzt, jetzt dreht er sich herum!«

Ich sah das Gesicht und erkannte ihn. Es war allerdings der Mann aus Mansurijeh. Er hatte uns jedenfalls auch erkannt. Was wollte er hier in Hilleh? War er in Angelegenheiten der Sillan hier? Warum sprach er mit dem Perser? Kannte er ihn? Dann gehörte dieser jedenfalls auch zu dem Geheimbunde. Hatte der Verräter ihm gesagt, daß wir diejenigen seien, von denen der Pädär durch Prügel gezüchtigt worden war? Wer war dieser Perser? Welchen Grund oder welchen Zweck hatte seine Anwesenheit? War er nur persisch gekleidet, oder war er persischer Unterthan? Fand dies letztere statt, so hatte er doch wohl kein Recht, in einer Mehkeme zu sitzen, welche den uns betreffenden Fall behandeln wollte!

Während mir alle diese Fragen durch den Kopf gingen, drängte der Kol Agasi zum Absteigen.

»Wir bleiben sitzen!« antwortete ich.

»Aber ihr könnt doch unmöglich zu Pferde vor der Mehkeme erscheinen!«

»Warum nicht?«

»Es ist verboten.«

»Von wem?«

»Im Gesetze.«

»Es giebt kein Gesetz, welches bestimmt, daß man nur zu Fuß vor den Richtern zu erscheinen hat!«

»Wenn es kein Gesetz darüber giebt, so ist ein solches Beginnen doch gegen allen Brauch!«

»Du irrst. Es ist ein bei mir alter Brauch, von dem ich niemals lasse. So oft ich in einer Mehkeme zu erscheinen habe, komme ich nicht anders als zu Pferde angeritten.«

»Ich auch,« stimmte Halef bei. »Ich bin der oberste Scheik der Haddedihn, bei denen man einen Mörder nur dann zum Tode verurteilen darf, wenn er im Sattel sitzt.«

»Aber eure Gebräuche haben doch hier in Hilleh keine Geltung!«

»So wird es endlich Zeit, daß wir ihnen Geltung verschaffen!« entschied der kleine Hadschi in seinem bestimmtesten Tone.

»Ich kann es nicht verantworten! Denkt, wie es mir vom Mir Alai, dem Obersten meines Regimentes, ergehen wird, wenn ich euch geführt bringe, während ihr auf euern Pferden sitzt! Ich kann das unmöglich wagen!«

»Das muten wir dir auch gar nicht zu; wir können auf deine Begleitung verzichten,« antwortete ich. »Komm, Halef!«

Es wäre mir wohl unmöglich gewesen, mich zu erinnern, jemals in einer solchen Stimmung, wie meine jetzige war, gewesen zu sein. Es lag etwas in mir, was mich nicht dazu kommen ließ, diese Mehkeme ernst zu nehmen. Und Halef schien bei ganz derselben guten Laune zu sein. Er lachte am ganzen Gesicht, als er meine Aufforderung hörte, und antwortete in heiterem Tone:

»Wollen wir nicht auf das Verhör verzichten und lieber gleich sofort mitten hineinreiten, so daß die weisen Herren nach allen Seiten auseinanderfliegen?«

»Fast hätte ich Lust dazu. Aber ich denke, es ist besser, wenn wir von dieser Tollheit absehen. Wir würden doch nur um den Genuß kommen, den uns der Wortsieg über diese scharfsinnigen Männer des Gesetzes bereiten wird. Also seien wir vernünftig! Komm, vorwärts!«

»Ja, vorwärts, Sihdi! Wir wollen in der Weise mit ihnen sprechen, wie wohl noch niemand mit einer Mehkeme gesprochen hat. Komm!«

Es folgte nun eine Scene, welche mir unvergessen geblieben ist und auch ferner bleiben wird, eine Gerichtsverhandlung, welche ich für unmöglich halten würde, wenn ich sie nicht selbst erlebt hätte. Kenner der dortigen und damaligen Verhältnisse werden allerdings, wenn sie diese Zeilen lesen, nicht in Verwunderung geraten. Der interessante Vorgang ist nur dadurch ungewöhnlich, daß die beiden Angeklagten Männer waren, denen weder eine der beisitzenden Personen noch infolgedessen der ganze hohe Gerichtshof imponieren konnte. Der einzige Grund, bedenklich zu sein, hätte in dem Umstande gelegen, daß wir uns mitten in einer hochfanatischen Bevölkerung befanden und der von dem Publikum gebildete Halbkreis von Minute zu Minute sich vergrößerte. Diese durch das offene Thor hereinströmenden Menschen waren alle bewaffnet, und es gab keinen Grund zu der Annahme, daß die famose Mehkeme gegebenen Falles die erforderliche Macht oder auch nur Bereitwilligkeit besitzen werde, uns gegen Gewaltthätigkeiten in Schutz zu nehmen. Es galt, zu bedenken, daß Halefs sunnitisches und nun gar mein christliches Bekenntnis sehr leicht zu Pulver auf die Pfanne jeder hier vorhandenen Pistole werden konnte. Auf der andern Seite aber kannten wir gar wohl den Eindruck, den ein furchtloses Auftreten grad auf so leicht erregte Menschen zu machen pflegt. Wir sahen also dem uns erwartenden Vorgange zwar mit lebhafter Spannung aber keineswegs ängstlich entgegen und ritten auf den erwähnten Halbkreis zu, welcher sich, als wir ihn erreichten, öffnete, um uns hindurchzulassen. Der Kol Agasi folgte uns nicht, sondern begab sich nach dem Thore zu seinen dort postierten Soldaten, weiche die Aufgabe hatten, unserer etwaigen Flucht entgegenzutreten. Die Lücke der Zuschauer wurde hinter uns sogleich wieder geschlossen.

Der Herr Vorsitzende hatte sich unser Erscheinen vor seinen Schranken ganz anders gedacht. Er sah uns aus weit geöffneten, erstaunten Augen an und rief uns zornig zu:

»Wie könnt ihr es wagen, zu Pferde und bewaffnet vor uns zu erscheinen! Herunter von den Pferden, und weg mit euern Waffen!«

»Ich halte es für besser, daß wir sitzen bleiben,« antwortete ich in ruhigem Tone.

»Es ist euch hier keine eigene Meinung gestattet; ihr habt nur zu gehorchen!« entgegnete er in demselben befehlenden Tone wie vorher.

»Wir sind ja gehorsam, und zwar grad indem wir sitzen bleiben. Wir gehorchen nämlich der Notwendigkeit.«,

»Was ist das für eine Ausrede? Ich verstehe dich nicht. Sprich deutlicher!«

»Wenn meine Vermutung richtig ist, hat man dir von unsern Pferden erzählt?« fragte ich.

»Natürlich! Diese Bestien sind es ja, wegen deren wir euch wahrscheinlich das Todesurteil sprechen werden!«

»Wir können diesem Urteile vom Sattel aus ruhig entgegensehen. Stiegen wir aber ab, so könnte leicht etwas geschehen, was euch den Stoff zu einer neuen Anklage gäbe.«

»Was meinst du? Was könnte geschehen?«

»Du siehst, daß unsere Pferde Radschi Pack sind; sie werden, wie jedes reine Blut, gefährlich, wenn man sie von ihren Herren trennt. Sähen sie, daß man uns zwingt, sie zu verlassen, so würden sie uns dennoch hierher folgen und dabei aber jeden, der sie daran hindern wollte, mit den Hufen niederschlagen. Wir haben sie also, um Unglück zu vermeiden, mit hierhergebracht.«

»Ihr könnt aber absteigen und sie an den Zügeln halten; das gebietet die Achtung, welche ihr der Mehkeme schuldig seid. Man sitzt nicht vor den Richtern, sondern man steht vor ihnen. Ich verlange, daß auch ihr das thut!«

Ich wollte eine verweigernde Antwort geben; da kam mir aber Halef zuvor, indem er den Sandschaki fragte:

»Kannst du die Folgen dessen, was du verlangst, verantworten?«

Sein Gesicht zeigte dabei jenen pfiffig lauernden Ausdruck, welcher stets dann bei ihm zu beobachten war, wenn ihn ein Hintergedanken leitete.

»Was ich befehle, verantworte ich,« lautete die Antwort.

»So werden wir nach deinem Willen thun.«

Er sprang aus dem Sattel, und ich folgte seinem Beispiele, denn ich wußte, was er beabsichtigte. Nämlich wenn wir die Zügel lang hielten und unsere Pferde also die Köpfe frei hatten, standen sie still; nahmen wir ihnen aber diese Freiheit, indem wir sie kurz hielten, so wehrten sie sich höchst energisch und versuchten alles, um sich loszureißen. Halef gab seinem Hengste beim Absteigen die wohlberechnete Stellung, daß sich grad hinter ihm Safi, der Sill aus Mansurijeh, befand, und rief ihm und seinen Nachbarn warnend zu.-

»Geht zurück! Dieses Pferd duldet nicht, daß man ihm so nahe steht!«

Es fiel niemandem ein, diesem Rufe zu gehorchen. Er faßte die Zügel nahe am Maule, worauf sein Nedjedi den Kopf hochzuwerfen versuchte, um sich loszureißen. Als ihm dies nicht gelang, schlug er hinten aus und traf den Sill, glücklicherweise nicht gefährlich, aber doch so, daß der Geschlagene zurückgeworfen wurde und einige andere mit niederriß. Mein Ben Rih verhielt sich ganz ebenso, denn es war selbstverständlich, daß ich ihn auch kurz genommen hatte. Er traf sogar zwei Männer, welche weit fortgeschleudert wurden, und während sich darüber ein großes Geschrei erhob, ließen wir die unaufhörlich ausschlagenden Pferde im Kreise um uns tanzen, bis der Halbkreis der in allen Tonarten schimpfenden Zuschauer soweit zurückgewichen war, daß niemand von den drohenden Hufen mehr erreicht werden konnte. Die Verletzten wurden noch weiter fortgeschafft, und soviel Köpfe es gab, soviele Stimmen riefen uns alle möglichen Flüche und Verwünschungen zu. Halef aber brüllte, sich an den Sandschaki wendend, noch lauter, sodaß er sie alle überschrie:

»Da hast du die Folgen! Nun verantworte sie auch! Wer kein Pferdekenner ist, soll nicht Befehle erteilen, von deren Wirkungen er nichts versteht!«

Man, sah es dem Beamten an, daß er diese Beleidigung zornig zurückweisen wollte; aber der Oberst machte eine beruhigende Handbewegung und warf ihm einige Worte zu, welche wir des Lärmes wegen nicht verstanden. Hierauf wurde uns der sehr willkommene und allerdings auch beabsichtigte Befehl:

»Steigt wieder auf! Es sei euch einstweilen gestattet. Später werden wir euch samt euern Bestien zu zähmen wissen.«

»Wir werden es thun,« nickte ihm Halef in gütiger Weise zu; »aber wir geben dir zu bedenken, daß Reiter und Pferd sich ähnlich zu sein pflegen. Auch wir haben die Gewohnheit, uns nicht nach einem fremden, sondern nach unserm eigenen Willen zu richten. Das darfst du nicht vergessen!«

Leider, oder vielleicht auch glücklicherweise, achtete der Sandschaki nicht sehr auf diese Worte, denn er war damit beschäftigt, seinen Dienern diejenigen Befehle zu geben, deren Ausführung nötig war, um den Lärm zu stillen und die Aufregung der Anwesenden zu beruhigen. Sie mischten sich unter die Schreienden und wütend Gestikulierenden, und es gelang ihnen auch, ihre Aufgabe zu erreichen.

Nur einer schien sich nicht so schnell wie die andern beherrschen zu können; das war der persisch gekleidete Mann, mit welchem Safi vorhin, als wir noch nicht nahe waren, gesprochen hatte. Der letztere war ein Stück fortgetragen worden; da saß er wimmernd und mit den Händen die Körperstelle streichend, an welcher er getroffen worden war. Der Perser stand bei ihm, focht, immer nach uns deutend, mit den Armen drohend in der Luft und war von allen der letzte, welcher seinen vorher innegehabten Platz aufsuchte. Ehe er sich dort niedersetzte, sagte er so laut, daß jedermann es hörte, zu dem Sandschaki:

»Du siehst, o Pascha, daß drei Personen schwer verletzt worden sind! Das darf nicht unbestraft geschehen sein, denn nicht die Pferde sind schuld daran, sondern es ist von den Reitern beabsichtigt worden. Dort sitzt Safi, ein treuer Unterthan des Padischah; er ist ein Bekannter von mir und steht unter meinem Schutze; ich hoffe, daß der Huftritt, der ihn getroffen hat, so streng wie möglich geahndet werde. Nur wenn dies geschieht, kann ich in so lobender Weise, wie du es wünschest, von dir zu meinem Herrn, dem königlichen Sillullah[65], sprechen, dessen Sa‘id[66] ich bin. «

Erst jetzt, indem er sprach, fand ich Zeit, den Mann genauer, als vorher möglich gewesen war, anzusehen. Er war, wie bereits gesagt, nach persischer Weise gekleidet und nicht hoch, aber desto breiter gewachsen. Seine Stimme klang gebieterisch, und zwar so, als ob er gewohnt sei, zu befehlen, und dabei eigentümlich schnarrend. Wangen und Kinn waren rasiert; dafür trug er einen um so längeren Schnurrbart, durch dessen linke Hälfte eine feuerrote Narbe ging, welche von der Stirn bis herab zur Mundspitze reichte. Die Augenhöhle, über welche sie lief, war leer. Der Hieb, dessen Spur diese Narbe war, hatte ihm das linke Auge gekostet. Ich beobachtete, daß er, während er sprach und auch später sehr oft die Hand hob, um die Barthaare über die Narbenlücke zu streichen.

Man wird mir glauben, wenn ich sage, daß ich überrascht war. So, wie dieser Mann da vor uns neben dem Sandschaki stand, hatte der Bagdader Bimbaschi uns den Säfir beschrieben. Die ganze Erscheinung war so charakteristisch, daß an einen Zweifel gar nicht gedacht werden konnte. Er war es, der unserm alten Gastfreunde und seinem dicken Kepek im Birs Nimrud den Schwur abgenommen hatte. Der Säfir, der Anführer der Schmuggler, den ich so gern hatte sehen wollen, stand also vor mir!

Ihn hier, bei dem Statthalter zu treffen, das hatte ich freilich nicht erwartet. Es war eine Kühnheit oder vielmehr eine Frechheit von ihm, die Stadt und das Haus aufzusuchen, wohin er eigentlich als verurteilter Verbrecher, als Strafgefangener gehörte. Wer diesen Mann zum Feinde hatte, der konnte nicht behaupten, daß er es mit einem schwachen, verächtlichen Gegner zu thun hatte. Aus dem von ihm gebrauchten Worte Sa‘id war zu schließen, daß er sich für einen hohen Beamten des persischen Schah ausgegeben hatte; wahrscheinlich behauptete er, im Auftrage desselben unterwegs und hier anwesend zu sein. Welche spezielle Absicht er dabei verfolgte, das konnte mir gleichgültig sein; sie betraf wahrscheinlich die Schmuggelei, welche mich nichts anging. Aber aus der Gegenwart Safis und aus dem Umstande, daß er diesen in seinen Schutz nahm, war zu schließen, daß er zu den Sillan gehöre. jedenfalls war er nicht ein gewöhnliches, sondern ein hervorragendes Mitglied dieses geheimen Bundes, und nun ich das wußte, stand es bei mir fest, daß ich Hilleh nicht verlassen würde, ohne den Birs Nimrud wieder aufzusuchen, um an Stelle unsers Bimbaschi mit diesem angeblichen oder auch wirklichen Perser abzurechnen. Grad daß er ein so verwegener Mensch war, vor dem man sich zehnfach in acht zu nehmen hatte, das machte mir erst recht Lust, mit ihm anzubinden. Halef hatte, als wir mit dem Polen auf dessen Dache saßen und dieser uns seine Erlebnisse erzählte, zu ihm gesagt: »Ich wollte, wir würden einmal von dem Säfir in den Turm gesperrt,« und dann hinzugefügt: »Ich würde niemals ohne Peitsche in den Birs Nimrud steigen!« jetzt fand sich für ihn vielleicht die Gelegenheit, zu beweisen, daß diese seine Worte nicht prahlerisch, sondern ernst gemeint gewesen seien.

Aber diesen Gedanken im gegenwärtigen Augenblicke nachzuhängen, dazu gab es keine Zeit, denn wir hatten auf den Perser zu achten, welcher in seiner Anklage fortfuhr.

»Diese beiden Menschen sind überhaupt gewaltthätige Personen, welche schon längst verdient haben, totgepeitscht zu werden.«

»Kennst du sie?« fragte der Statthalter.

»Ja. Ich könnte dir sehr viel von ihnen erzählen; es genügt aber vollständig, wenn ich dich über eine ihrer Missethaten unterrichte. Sie sind auf einem Kellek den Tigris herabgekommen und haben des Nachts einige Freunde von mir, welche am Ufer gelandet waren und ruhig schliefen, überfallen, gebunden, ausgeraubt und dann noch beinahe totgeschlagen.«

»Allah! Weißt du das gewiß?«

»Ja, Es ist sogar ein Zeuge anwesend, der es beschwören kann.«

»Wer?«

»Safi, der dort sitzt. Er ist dabei gewesen.«

»Wo ist es geschehen?«

»Oberhalb Bagdad.«

»So liegt der Thatort nicht in meinem Bereiche, und ich habe leider nicht darüber abzuurteilen.«

»Das weiß ich gar wohl; aber ich bin überzeugt, daß diese That als Verschärfung der Strafe heut mit angerechnet werden kann.«

»Das versteht sich ganz von selbst. Ich werde dafür sorgen, daß es diesen Hunden unmöglich ist, noch irgend welchen Schaden anzurichten.«

»So bitte ich dich, den Umstand, daß der eine von ihnen ein Christ ist, ganz besonders zu beherzigen! Der andere giebt sich für einen Scheik der Haddedihn aus, eine Lüge, wie man sich keine größere denken kann. Du brauchst ihn nur anzuschauen, um sogleich im klaren über ihn zu sein. Ich behaupte, daß er ein von seinem Stamme ausgestoßener Pferdedieb ist. Auf welche andere Weise kämen solche Schufte zu solchen Pferden?! Wer weiß, welchem hohen Herrn sie sie gestohlen haben, denn nur sehr reiche und sehr hochstehende Leute können so reines Blut« besitzen. Wenn du sie ihnen abnimmst und nachforschest, so wirst du sehr bald erfahren, wem sie eigentlich gehören, und dir durch die Rückgabe ein Verdienst erwerben, welches man dir sehr hoch anrechnen wird.«

Das leuchtete dem Sandschaki sofort ein; er antwortete schnell: »Ich bin ganz deiner Ansicht und werde diese Halunken solange auf die Fußsohlen schlagen lassen, bis sie ein Geständnis ablegen und mir sagen, wo ich den oder die rechtmäßigen Besitzer der Pferde zu suchen habe. Setz dich jetzt wieder nieder, denn es verlangt mich, ihnen so schnell wie möglich zu zeigen, daß ihre verbrecherische Laufbahn hier vor diesem Gerichte ein ebenso gerechtes wie gewaltsames Ende nimmt. – Es mag der Bastonnadschi mit seinen Leuten kommen!«

Auf diesen laut ausgerufenen Befehl entfernte sich ein Diener, welcher bald darauf den Genannten brachte. Der Bastonnadschi, ein Wort, welches am besten mit »Stockmeister« übersetzt wird, bekleidet ein Amt, dessen Ausübung für diejenigen, welche ihm übergeben werden, eine sehr schmerzhafte ist, denn wenn er sich auch mit noch anderen Handlungen zu beschäftigen hat, welche mit der irdischen Gerechtigkeit im Zusammenhange stehen, so richtet sich doch seine Lieblingsbeschäftigung vorzugsweise auf Körperteile, welche im höchsten Grade gefühlvoll zu sein pflegen, nämlich auf die Fußsohlen. Es hat zwar nie einen Bastonnadschi gegeben, welchem Gelegenheit geworden ist, die Empfindlichkeit der meinigen einer eingehenden und liebevollen Prüfung zu unterwerfen, aber ich kann mich trotzdem in die Lage eines armen Teufels versetzen, dem es vergönnt ist, einen solchen Akt des orientalischen Strafvollzuges an sich vornehmen zu lassen. Es ist wirklich kein Wunder, daß der Herr Bastonnadschi dort überall in einem ebenso hohen wie gefürchteten Ansehen steht.

Dieser hier kam, wohl über ein Dutzend Stöcke unter dem Arme, in würdevoller Haltung herbeigeschritten.

Ihm folgten seine Untergebenen, die »Stockknechte«. Sie trugen eine hölzerne Vorrichtung, welche einer Bank glich, der zwei Beine fehlten, an deren Stelle zwei Riemen angebracht waren. Diese Bank wird von arabisch sprechenden Sachkundigen Dschamal ‚l Alahm[67] genannt. Die Anwendung dieses sehr praktischen Werkzeuges geschieht in folgender Weise: Die Bank wird so auf die Erde gelegt, daß die beiden, an der einen Schmalseite befindlichen Beine emporstehen; dann bekommt der Delinquent die Einladung, Platz zu nehmen. Er thut dies entweder freiwillig oder gezwungen in der Weise, daß er sich auf die Bank legt, und zwar mit dem Rücken, welcher dieses Mal nichts zu befürchten hat, nach oben. Hierauf wird ihm der eine Riemen über das Genick und der andere über den Leib und die fest anliegenden Arme geschnallt, die er also nicht bewegen kann. Die Unterschenkel werden aufwärts gebogen und an den Bankbeinen festgebunden, wodurch die Sohlen der nackten Füße in diejenige horizontale Lage kommen, welche in der freundlichen Absicht des Bastonnadschi liegt. Sobald diese Hal el Kabil[68] erreicht worden ist, sind die wichtigen Vorbereitungen beendet, und der Meister verteilt die Stöcke unter die Knechte, welche die Hiebe auf die Fußsohlen in der vorgeschriebenen Weise zu verabreichen haben, während er darüber wacht, daß nichts an der bestimmten Zahl und Stärke fehlt.

Also auch für uns wurde so ein trautes »Kamel der Schmerzen« gebracht und vor uns hingelegt, worauf die zur Ausübung Berufenen einige Schritte zurücktraten und dann in erwartungsvoller Haltung stehen blieben. Ich sah, wie die Augen der Umstehenden glänzten und ihre Gesichter einen festlich frohen Ausdruck annahmen. Der Sandschaki deutete mit der Hand auf die Marterbank und richtete an uns die Verwarnung:

»Ihr seht, was euch erwartet, wenn ihr leugnet. Ich werde euch so lange hauen lassen, bis ihr alles eingesteht. Erspart euch die Hiebe, und gebt mir aufrichtige Antworten auf meine Fragen!«

Er machte eine Kunstpause, während welcher er sich einen neugestopften Tschibuk geben ließ. Hierbei muß ich bemerken, daß natürlich sämtliche Beisitzer des Gerichtes rauchten, was ich ihnen übrigens gar nicht übelnahm, weil ich selbst auch ein außerordentlich tapferer Raucher bin. Hierauf trat er der vorliegenden Angelegenheit nicht eigentlich näher, sondern er fiel gleich mitten in den vorhandenen juridischen Stoff hinein, indem er die Frage an uns richtete:

»Ihr seid Mörder?«

Weil er dabei mich ansah, war ich es, welcher antwortete:

»Nein.«

»Ihr seid Schmuggler?«

»Nein.«

»Ihr habt diese Pferde gestohlen?«

»Nein.«

»Mensch, sag Ja«, sonst bekommt ihr sofort die Bastonnade! Habt ihr oberhalb Bagdad am Ufer des Flusses die Leute, von denen vorhin gesprochen wurde, überfallen?«

»Nein.«

»Sie beraubt?«

»Nein.«

»Ihnen Schläge gegeben?«

»Ja.«

»Endlich, endlich ein Geständnis! Das ist euer Glück, denn es wären nur fünf Minuten vergangen, so hättet ihr die Knochen aus dem Fleische eurer Füße hervorragen sehen. Antworte weiter! Du bist ein Christ?«

»Ja.«

»Dieses Eingeständnis bringt dich um, denn daß du ein Giaur, ein von Allah verfluchter Giaur bist, das ist schlimmer als alles, dessen du außerdem beschuldigt wirst. Hast du gewußt, daß ein Christ sein Leben wagt, wenn er die Gegend der hiesigen heiligen Orte betritt?«

»Ja.«

»Und das hat dich nicht abgehalten, hierher zu kommen? Wie unrettbar mußt du der Laufbahn des Verbrechens verfallen sein, da du ihr willig bis hierher gefolgt bist, wo dir schon als Christ dein Leben keinen Augenblick sicher ist! Dich erwartet hier ein schreckliches Ende und dort die Verdammnis in alle Ewigkeit, denn die Rache Allahs ist fürchterlich; er vergiebt nie!«

»Woher weißt du das?« »Der Kuran sagt es.« »Der Kuran sagt grad das Gegenteil!«

»Was kannst du, der Giaur, vom heiligen Buche der Gläubigen wissen!«

»Dieses Buch sagt in der 110. Sure: Preise das Lob des Herrn, und bitte ihn um Vergebung, denn er vergiebt gern!« Du scheinst die Sure aber nicht zu kennen.«

Er warf den Kopf empor, sah mich eine Weile überrascht an und rief mir dann zornig zu:

»Schweig! Ein gläubiger Sohn des Propheten muß sein Buch besser kennen, als du, ein Christ, es kennen kannst. Was du sagst, ist Lüge, muß Lüge sein, weil ihr Isa[69] verehrt, der ein Sohn der Unwahrheit ist!«

»Ein Sohn der Unwahrheit? Nimm dieses Wort zurück, denn du schändest damit eure eigene Lehre, deine eigene Religion!«

»Hund! Beleidige mich nicht! Beweise, was du gesagt hast!«

»Nimm den Kuran, und schlag die neunzehnte Sure auf! Da wirst du lesen: Das ist Jesus, Mariens Sohn, das Wort der Wahrheit!« Und du bezeichnest den, den eure Offenbarung das Wort der Wahrheit nennt, als einen Sohn der Unwahrheit?«

»Schweig!.« herrschte er mich an.

»Ich schweige nicht! Meinen Christenglauben brauche ich nicht zu verteidigen; er ist so herrlich und erhaben, daß er meiner schwachen Worte nicht bedarf. Aber hier stehen zahlreiche Moslemim, welche ruhig dulden, daß du den Islam schändest. Gehe in die Dschawahmi[70] und in die Medahris[71], so wirst du hören, daß Jesus am jüngsten Tage herniedersteigen wird, um alle Lebendigen und Toten zu richten! Und den, welchen der Islam den Gebieter des jüngsten Tages nennt, wagst du, einen Sohn der Unwahrheit zu heißen? Ist diese Beleidigung des Islam etwa dadurch möglich, daß du ein Anhänger der Sunna bist, während die Schia die Wahrheit lehrt?«

Diese Frage war, um mich so auszudrücken, ein rednerischer Handstreich von mir, den ich unternahm, weil die meisten der Anwesenden Schiiten waren. Die Wirkung zeigte sich sofort in einem beifälligen Gemurmel, welches sich hören ließ. Dadurch ermutigt, fuhr ich fort:

»Du hast mich einen Hund und einen von Allah verfluchten Christen genannt. Den Hund verzeihe ich dir; wo aber steht im Kuran oder in einer seiner Auslegungen zu lesen, daß Allah die Christen verflucht habe? Wo steht geschrieben, daß wir Ungläubige, daß wir Heiden seien? Muhammed giebt uns, weil wir an denselben Gott glauben, zwar nicht alle sieben, aber doch auch einen Himmel. Wer sind die eigentlichen Feinde des Islam? Sind wir Christen es, oder seid ihr es selbst? Wer hat euch entzweit? Etwa wir? Wer hat gegen Ali, den Kalifen, gestritten, und von wessen Hand wurde Hussein getötet? Sind das Christen oder Muhammedaner gewesen?«

Jetzt wurden so zahlreiche Beifallsrufe laut, daß der Sandschaki einsah, er dürfe mich unmöglich in dieser Weise fortfahren lassen. Er sprang auf, warf die Arme abwehrend in die Luft und rief:

»Wer hat dir, dem Christen, befohlen, vom heiligen Islam zu sprechen? Wir sind hier versammelt, um über eure Schandthaten zu Gericht zu sitzen, und ihr seid die Angeklagten. Du hast nicht ohne meine Erlaubnis zu sprechen, sondern nur meine Fragen kurz und bündig zu beantworten!«

»Und du,« antwortete ich, »lässest mich nicht weitersprechen, weil du dich vor den hier anwesenden Bekennern der Schia fürchtest. Ich sage dir, wenn ein Christ in die Gegend von Meschhed Ali oder Kerbela kommt, so ist darin nichts Besonderes zu sehen, denn er ist ein für die Schiiten gleichgültiger Mann, dessen Herz weder an Abu Bekr, Omar und Osman, noch an der Dynastie der Omajjaden hängt, auch hat er den traurigen Tag von Kerbela nicht verschuldet. Betritt aber ein Sunnit, wie du einer bist, diese Stätten, so ist das eine Beleidigung, eine Schändung der heiligen Orte, denn er bekennt sich zu denen, welche damals Husseins Blut vergossen und seinem Vater das Recht der direkten Nachfolge des Propheten verweigerten. Darum habe ich geglaubt, keine Sünde zu begehen, indem ich hierher komme, und darum bin ich überzeugt, daß für die wahren und verständigen Anhänger des Islam mein Glaube kein Grund dazu ist, mich feindlich zu behandeln.«

Da stand einer der Beisitzer, ein silberhaariger, ganz in Seide gekleideter Greis, von seinem Sitze auf, erhob den Arm zum Zeichen, daß er sprechen wolle, und sagte:

»Dieser Christ hat Worte gesprochen, die wie die Worte eines wahren Gläubigen klingen, und ich erkläre, daß ich ihnen meinen Beifall spende. Solche Worte pflegt kein Mörder, kein Dieb zu sprechen. Ich habe gehört, daß er in die Tiefen des Kuran eingedrungen ist. Wer das gethan hat, darf nicht Giaur genannt werden, denn seine Seele ist der unserigen verwandt, weil sie uns in den heiligen Suren begegnete. Wenn er als Angeklagter ebenso spricht, wie er als Christ gesprochen hat, werden wir ihn so frei entlassen, wie er ungefesselt hierhergekommen ist.«

Er setzte sich wieder nieder. Dieser Mann war, wie ich später erfuhr, einer der reichen Indier, welche im Alter nach Hilleh ziehen, um ihre letzten Tage in der Nähe von Kerbela und Meschhed Ali zu verleben, ohne von der dortigen muhammedanischen Geistlichkeit bis auf die letzte Rupie ausgesaugt zu werden. Hinter uns und zu beiden Seiten hörten wir »afak, afarim« und »jißlaho«[72] rufen, Beifallsworte, welche uns in erfreulicher Weise bewiesen, daß er nicht der einzige war, der nicht dieselbe Meinung wie der Sandschaki hatte.

Dieser machte ein verlegenes Gesicht; man sah ihm an, daß er nach Worten suchte und doch keine für den Augenblick passenden fand. Da kam ihm der Perser zu Hilfe, indem er laut erklärte:

»Wir befinden uns nicht hier, um über den Kuran und seine Auslegungen zu sprechen, sondern um über Mörder, Schmuggler und Diebe zu Gericht zu sitzen. Was dieser Christ für Ansichten über die Sunna und Schia hat, gehört nicht hierher; wir haben es mit den Verbrechen zu thun, die er mit seinem Begleiter begangen hat, und dürfen uns von seiner Kenntnis der Suren nicht blenden lassen. Ich bitte dich, o Pascha, den Wirt und den unverletzten Ghasai kommen zu lassen, welche die Schuld dieser beiden Kerls beweisen werden.«

Dieser Mensch verhielt sich ganz so, als ob er Mitglied der Mehkeme sei, was doch keineswegs der Fall war. Ich hob mir eine Bemerkung darüber für später auf; jetzt war ich still.

Es wurde fortgeschickt, und wir hatten Pause, bis die Zeugen kamen. Halef füllte diese Zeit mit Bemerkungen aus, welche er über die einzelnen Persönlichkeiten machte; sie waren oft so komisch, daß ich laut lachen mußte, worüber der Sandschaki und besonders der Perser in Zorn gerieten, doch ohne ihm durch Worte Ausdruck zu geben.

Endlich wurden die beiden Genannten vom Kol Agasi herbeigebracht und von dem Vorsitzenden ausgefragt. Sie stellten den Vorgang natürlich höchst ungünstig für uns dar. Wenn es nach ihren Verdrehungen und Ausschmückungen gegangen wäre, hätten wir freilich auf keine Nachsicht rechnen können.

Als sie ihre Aussage über das Ereignis im Hofe des Wirtes gemacht hatten, erzählten sie auch unsere Gefangennahme am gestrigen Abend und was darauf gefolgt war. Sie stellten auch das in einer Weise dar, daß wirklich nicht viel Phantasie dazu gehörte, uns für Verbündete oder gar für die Anführer der Schmuggler zu halten.

Mit großem Vergnügen hörten wir dann zu, als der Perser sich Mühe gab, aus den von ihnen angegebenen Punkten den unumstößlichen Beweis zu ziehen, daß wir diejenigen seien, der eigentlich doch er nur war.

»Man weiß,« sagte er, »daß der Schmuggel in großartiger Weise betrieben wird; man weiß, daß sowohl dem Schah-in-Schah als auch dem Padischah dadurch große Summen verloren gehen; man hält bei Tag und Nacht die Augen offen, um zu entdecken, auf welchem Wege und in welcher Weise diese Menge von Waren herüber und hinüber geschafft werden, doch ist alle diese Mühe und Aufmerksamkeit bisher vergeblich gewesen, weil man nicht auf den Gedanken gekommen ist, daß man die Fäden nur deshalb nicht entdecken kann, weil sie sich in der Hand eines Fremden, eines Christen vereinigen. Und nun es endlich durch einen Zufall oder vielmehr infolge der gestrigen Verunglückung zweier Menschen, die er auch verschuldet, gelungen ist, ihn zu ergreifen, ihn und den gefährlichsten seiner Leute, dürfen wir uns auf keinen Fall durch seine spitzfindigen Reden irre machen lassen, sondern müssen sie beide durch die Bastonnade zwingen, alles einzugestehen. Das ist meine Meinung, und wer eine andere Ansicht hegt, der gilt für mich als ein Verräter an der Gerechtigkeit.«

Das war wirklich mehr als dreist, frech und unverschämt! Dieser Mensch war selbst der Anführer der Schmuggler und mußte als solcher von unserer Unschuld überzeugt sein; dennoch wagte er es, uns offen in die Augen zu sehen. Hätte er gewußt, daß wir ihn besser kannten, als er ahnte! Wie gern hätte ich ihm den Beweis seiner Verworfenheit entgegengeschleudert, wenn es mir nicht grad dadurch unmöglich geworden wäre, den Coup, welcher mir jetzt vorschwebte, gegen ihn auszuführen. Er konnte durch die leiseste Andeutung meinerseits gewarnt werden und sich mir dann so entziehen, daß er nicht zu fassen war. ich begnügte mich also damit, ihn ruhig lächelnd anzusehen und, als er gesprochen hatte, dem Sandschaki zu sagen, daß der Kol Agasi beweisen werde, daß wir mit den Paschern in keine Beziehung zu bringen seien.

Der Genannte zeigte sich sofort bereit dazu; er beschrieb die Spuren, erklärte mit ihrer Hilfe, daß uns nur der Zufall an die Feuer der Schmuggler geführt habe und endete schließlich mit der gewiß zutreffenden Bemerkung.

»Sie gaben mir ihr Wort, nicht zu fliehen; sie hätten sich sehr leicht entfernen können, haben es aber nicht gethan. Ein Schmuggler hält kein solches Versprechen heilig, und daß sie ohne allen Zwang mit hierhergeritten sind, muß uns ein Beweis ihrer völligen Unschuld sein.«

Er hatte seine Sache wirklich gut gemacht, sah mich dann aber auch mit einem Blicke an, welcher ebenso deutlich wie in gesprochenen Worten fragte: »Du kannst mit mir zufrieden sein: wirst du denn aber diese meine Rede auch mit in deinen Bericht an den Seraskier aufnehmen?« Ich nickte ihm eine stille Bejahung zu und mußte dann meine Aufmerksamkeit dem Statthalter schenken, welcher im Zorne über die uns so günstige Aussage des Kol Agasi sich an den Vorgesetzten desselben, den Oberst wendete:

»Was sagst du dazu, oh Mir Alai, daß dein Untergebener es wagt, diese schon völlig überführten Verbrecher zu verteidigen und für unschuldig zu erklären? Ich hoffe, daß du ihn dafür in Strafe nimmst!«

Der Oberst, welcher schon einmal zu unsern Gunsten eingegriffen hatte, antwortete:

»Er hat als Zeuge gesagt, was er für wahr und für richtig hält; wie kannst du verlangen, daß ich ihn dafür bestrafe?«

»Ich befehle es dir!«

»Du irrst dich über den Bereich deiner Macht. Du bist der Verwalter deiner Statthalterschaft, und ich bin der Kommandant meines Regimentes. Ich bin für gewisse, genau vorgeschriebene Fälle verpflichtet, dir militärischen Beistand zu leisten, aber persönlich zu befehlen haben wir einander nichts. Der Kol Agasi hat ausgesagt, was ihm von seinem Gewissen vorgeschrieben wurde; ich an seiner Stelle hätte ganz dasselbe gethan.«

»Aber du mußt doch einsehen, daß er Schuldige verteidigt! Es ist erwiesen, daß diese beiden Angeklagten den Tod eines Menschen und den Beinbruch eines anderen verschuldet haben. Es ist erwiesen, daß sie Schmuggler sind und gestern bei ihrem verbotenen Gewerbe eine himmelschreiende Leichenschänderei begangen haben. Dies sind zwei todeswürdige Verbrechen. Und drittens ist es erwiesen, daß sie am Tigris mehrere Personen überfallen, beraubt und mißhandelt haben. Es ist mir unbegreiflich, wie man da noch zu ihren Gunsten sprechen kann!«

»Ist das wirklich alles erwiesen?«

»Natürlich! Du hast es ja gehört!«

»Erlaube mir, anderer Meinung zu sein! Um einen Angeklagten zu überführen, muß man ihn doch wohl vor allen Dingen verhören?«

»Das habe ich ja gethan!«

»Nein. Du hast Fragen gestellt; aber ein Verhör war das nicht zu nennen. Es ist ja nicht einmal eine Mazbata[73] aufgenommen worden. Du weißt ebenso wie ich, daß ein Verhör ohne Mazbata nur ein gewöhnliches Gespräch und also nicht gültig ist. Hier sitzt der Schreiber; aber seine Feder ist noch trocken; er hat sie noch nicht einmal in die Tinte getaucht. Und doch ist es vorgeschrieben, daß wir alle die Mazbata zu unterschreiben haben, wenn das Verhör Geltung haben soll. Übrigens habe ich weder richtige, unanfechtbare Beweise gesehen, noch liegt ein Geständnis der Angeklagten vor. Auch muß ich dich darauf aufmerksam machen, daß nur die Mehkeme in ihrer Gesamtheit über Schuld oder Unschuld zu bestimmen hat, nicht du allein. Wir sitzen nicht als stumme Zuhörer hier, sondern wir sind versammelt, um unter deinem Vorsitze Recht zu sprechen!«

Das klang scharf. Dieser Offizier besaß Ehrgefühl. Nahm er sich unser nur darum an, weil dieses Gefühl beleidigt worden war? Oder waren es nebenbei auch persönliche Gründe, die ihn veranlaßten, zu opponieren? Ich bemerkte bei ihm, während er sprach, einen ganz eigenen Gesichtsausdruck, und es waren so seltsame Blicke, welche dabei aus seinen Augen zu uns herüberschweiften.

Der Sandschaki konnte die ihm gewordenen Vorwürfe nicht entkräften; er kämpfte vergeblich mit seinem Ärger und stieß zornig hervor:

»Bei so ungewöhnlichen Fällen, wie der vorliegende ist, habe ich das Recht, auch zu ungewöhnlichen Mitteln zu greifen. Diese Menschen werden bestraft!«

»Wenn sie überführt worden sind!«

»Ich habe sie überführt!«

Da lachte der Mir Alai so halblaut vor sich hin und sagte:

»Sie werden nicht bestraft, gleichviel, ob ihre Schuld zu beweisen ist oder nicht.«

»Das klingt unklar. Sprich deutlicher!«

»So will ich deutlich sein: Diese beiden Männer werden sich nicht bestrafen lassen.«

»Wie? Was?«

»Auf keinen Fall!«

»Ich begreife dich nicht!«

»Schau sie an! Sehen sie so aus, als ob sie mit sich machen lassen werden, was dir beliebt?«

»Maschallah! Sie sollen sofort andere Gesichter machen! Da du es verlangst, werde ich ein regelrechtes Verhör anstellen und eine Mazbata anfertigen lassen. jede Frage und jede Antwort soll niedergeschrieben werden, und wenn die Kerle nur eine einzige Frage verneinen, bekommen sie ohne Gnade die Bastonnade.«

»Werden sie absteigen?«

»Sie müssen!«

»Wer aber wird es wagen, inzwischen ihre Pferde zu halten?«

»Die werden einstweilen weggejagt; sie mögen laufen, Wohin sie wollen, wenn sie nur nicht hier im Hofe bleiben. Also, es wird begonnen!«

Es wird begonnen! Es war auch wirklich Zeit dazu. Denn was es bis jetzt gegeben hatte, das war nur Kinderei gewesen. Der Katib[74] tauchte mit gerunzelter Stirn und wichtiger Miene seine Feder in die Tinte, und der Vorsitzende warf uns zum zweitenmal die schreckliche Frage zu:

»Ihr seid Mörder? Ich rate euch, es sofort zu gestehen, denn wenn ihr es nicht thut, werdet ihr ohne Säumen dort angeschnallt!«

Er zeigte bei diesen Worten auf das »Kamel der Schmerzen«. Ich antwortete:

»Hamdulillah! Endlich scheint der Scherz zu Ende zu sein und der Ernst zu beginnen! Darum frage ich dich: Hast du schon einmal einem Verhöre beigewohnt?«

»Bist du verrückt? Mir eine solche Frage vorzulegen!«

»Du hast keinen Grund, dich darüber zu wundern. Vielmehr haben wir alle Veranlassung, erstaunt zu sein, daß du ein Verhör anstellen willst, ohne zu wissen, welche Fragen dabei zunächst vorzulegen sind.«

»Welche Fragen?« donnerte er mich an.

»Vor allen Dingen mußt du doch wissen, wer wir sind!«

»Das weiß ich: Mörder seid ihr!«

»Ich verbiete dir, uns so zu nennen! Du darfst diesen Ausdruck nicht eher auf uns anwenden, bis bewiesen ist, daß wir ihn verdienen. Wenn du nicht weißt, was sich – — —«

»Schweig!« befahl er mir. »Wenn du mich beleidigest, bekommst du soviel Hiebe, daß – — —«

»Still!« unterbrach ich ihn in meinem kräftigsten Tone. »Jetzt spreche endlich ich einmal und du hast ruhig zuzuhören, bis ich fertig bin! Ich gebe dir mein Wort: Wenn du mich noch einmal unterbrichst, ohne von mir gefragt worden zu sein, reite ich dich vom Stuhle herab und unter die Füße meines Pferdes! Du willst uns verurteilen, ohne gefragt zu haben, wer wir sind; ich aber frage dich: Wer bist denn du? Doch nicht etwa der hiesige Sandschaki? Wenn du der wärest, müßtest du doch wenigstens die geringen Kenntnisse besitzen, welche dazu gehören, ein ganz gewöhnliches Verhör zu leiten. Da du das aber nicht verstehst, halte ich dich für alles andere, nur nicht für einen so hohen Verwaltungsbeamten. Was sollte aus dem Reiche des Padischah werden, wenn er seine Provinzen von so unerfahrenen Leuten regieren ließe. Beweise mir also, wer und was du bist, ehe du verlangst, daß wir auf deine Fragen Antwort geben! So, jetzt bin ich einstweilen fertig. Nun kannst du auch einmal sprechen, bis ich wieder anfange!«

60

Residenz.

61

Gefangenwärter.

62

Beamten.

63

Oberst.

64

Platz der Gerechtigkeit.

65

»Schatten Gottes« = der Schah von Persien.

66

»Unterarm«.

67

Kamel der Schmerzen.

68

Lage des Empfangens.

69

Jesus.

70

Moscheen.

71

Universitäten.

72

Bravo.

73

Protololl.

74

Schreiber.

Im Reiche des silbernen Löwen II

Подняться наверх