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Viertes Kapitel: Eine Entfuehrung

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Da es sehr spät geworden war, als wir schlafen gingen, so wunderte ich mich nicht darüber, daß ich am andern Morgen auch sehr spät erwachte. Ich hätte vielleicht noch länger fortgeschlafen, wenn ich nicht durch den Gesang des Barbiers erweckt worden wäre. Dieser lehnte draußen am Eingangstore und schien mir zu Ehren seinen ganzen Vorrat an deutschen Liedern erschöpfen zu wollen.

Ich ließ den Sänger hereinkommen, um mich ein Weilchen mit ihm zu unterhalten, und fand in ihm einen recht gutmütigen aber leichtsinnigen Burschen, den ich trotz aller Landsmannschaft sicherlich nicht mit meinem braven Halef vertauscht hätte. Ich ahnte damals nicht, unter was für bösen Verhältnissen ich später mit ihm zusammentreffen würde.

Am Vormittage besuchte ich den Abu el Reïsahn auf seinem Schiffe, und als ich kaum das Mittagsmahl verzehrt hatte, erschien das Boot, welches mich abholen sollte. Halef hatte schon längst fleißigen Ausguck nach demselben gehalten.

»Effendi, fahre ich mit?« fragte er.

Ich schüttelte mit dem Kopfe und antwortete scherzend:

»Heute brauche ich dich nicht.«

»Wie? Du brauchst mich nicht?«

»Nein.«

»Wenn dir nun etwas begegnet!«

»Was soll mir begegnen?«

»Du kannst in das Wasser fallen.«

»So schwimme ich.«

»Oder Abrahim-Mamur kann dich töten. Ich habe es ihm angesehen, daß er dein Freund nicht ist.«

»So könntest du mir auch nicht helfen.«

»Nicht? Sihdi, Halef Agha ist der Mann, auf den du dich allzeit verlassen kannst!«

»So komm!«

Es war ihm natürlich sehr um sein Backschisch[27] zu tun.

Der Weg wurde ganz in derselben Weise zurückgelegt, doch war ich heute natürlich aufmerksamer auf alles, was mir von Nutzen sein konnte. Im Garten, den wir durchschreiten mußten, lagen mehrere starke und ziemlich lange Stangen. Sowohl das Außen— wie auch das Innentor wurden immer mit breiten, hölzernen Riegeln verschlossen, deren Konstruktion ich mir genau merkte. Einen Hund sah ich nirgends, und von dem Bootssteurer erfuhr ich, daß außer dem Herrn, der Kranken und einer alten Wärterin elf Fellahs zu dem Hause gehörten und nachts auch in demselben schliefen. Der Herr selbst schlief auf dem Diwan seines Selamlück.

Als ich dort eintrat, kam er mir mit einer sichtlich freundlicheren Miene entgegen, als diejenige war, mit welcher er mich gestern entlassen hatte.

»Sei mir willkommen, Effendi! Du bist ein großer Arzt.«

»So!«

»Sie hat bereits gestern schon gegessen.«

»Ah!«

»Sie hat mit der Wärterin gesprochen.«

»Freundlich?«

»Freundlich und viel.«

»Das ist gut. Vielleicht ist sie bereits in weniger als fünf Tagen vollständig gesund.«

»Und heute früh hat sie sogar ein wenig gesungen.«

»Das ist noch besser. Ist sie schon lange dein Weib?«

Sogleich verfinsterte sich sein Gesicht.

»Die Aerzte der Ungläubigen sind sehr neugierig!«

»Wißbegierig nur: aber diese Wißbegierde rettet vielen das Leben oder die Gesundheit, denen eure Aerzte nicht helfen könnten.«

»War deine Frage wirklich notwendig?«

»Ja!«

»Sie ist noch ein Mädchen, obgleich sie mir gehört.«

»So ist die Hilfe sicher.«

Er führte mich wieder nur bis in das Zimmer, in welchem ich gestern warten mußte und in welchem ich auch heute zurückblieb. Ich sah mich genauer um. Fenster gab es nicht; die Lichtöffnungen waren vergittert. Das hölzerne Gitterwerk war so angebracht worden, daß man es öffnen konnte, indem man ein langes, dünnes Riegelstäbchen herauszog. Schnell entschlossen zog ich es heraus und steckte es so hinter das Gitter, daß es nicht bemerkt werden konnte. Kaum war ich damit fertig, so erschien Abrahim wieder. Hinter ihm trat Senitza ein.

Ich ging auf sie zu und legte ihr meine Fragen vor. Unterdessen spielte ich wie im Eifer für die Sache mit dem Ringe, den mir Isla mitgegeben hatte, und ließ ihn dabei aus den Fingern gleiten. Er rollte hin bis an ihre Füße; sie bückte sich schnell und hob ihn auf. Sofort aber trat Abrahim auf sie zu und nahm ihr ihn aus der Hand. So schnell das ging, sie hatte doch Zeit gehabt, einen Blick auf den Ring zu werfen – sie hatte ihn erkannt, das sah ich an ihrem Zusammenzucken und an der unwillkürlichen Bewegung ihrer Hand nach ihrem Herzen. Nun hatte ich für jetzt weiter nichts mehr hier zu tun.

Abrahim fragte, wie ich sie gefunden habe.

»Gott ist gut und allmächtig,« antwortete ich; »er sendet den Seinen Hilfe, oft ehe sie es denken. Wenn er es will, so ist sie morgen bereits gesund. Sie mag die Medizin nehmen, die ich ihr senden werde, und mit Vertrauen warten, bis ich wiederkomme.«

Heute entließ sie mich, ohne ein Wort zu wagen. Im Selamlück harrte Halef bereits mit der Apotheke. Ich gab nichts als ein Zuckerpulver, wofür der kleine Agha ein noch größeres Backschisch als gestern erhielt. Dann ging es wieder stromabwärts zurück. Der Kapitän erwartete mich bereits bei dem Kaufherrn.

»Hast du sie gesehen?« rief mir dieser entgegen.

»Ja.«

»Erkannte sie den Ring?«

»Sie erkannte ihn.«

»So weiß sie, daß ich in der Nähe bin!«

»Sie ahnte es. Und wenn sie meine Worte richtig deutet, so weiß sie, daß sie heute Nacht errettet wird.«

»Aber wie?«

»Hassan el Reïsahn, bist du mit deinem Lecke fertig?«

»Ich werde fertig bis zum Abend.«

»Bist du bereit, uns aufzunehmen und nach Kairo zu bringen?«

»Ja.«

»So hört mich! In das Haus führen zwei Türen, welche aber von innen verriegelt sind; durch sie können wir nicht eindringen. Aber es gibt noch einen zweiten Weg, wenn er auch schwierig ist. Isla Ben Maflei, kannst du schwimmen?«

»Ja.«

»Gut. Es führt ein Kanal aus dem Nil unter den Mauern hinweg nach einem Bassin, welches in der Mitte des Hofes sich befindet. Kurz nach Mitternacht, wenn alles schläft, treffen wir dort ein, und du dringst durch den Kanal und das Bassin in den Hof. Die Türe, welche du sofort finden wirst, ist durch einen Riegel verschlossen, der sehr leicht zurückzuschieben ist. Indem du öffnest, kommst du in den Garten, dessen Türe auf gleiche Weise sich öffnen läßt. Sobald die Türen offen sind, trete ich ein. Wir holen eine Stange aus dem Garten und lehnen sie an die Mauer, um zu dem Gitter emporzusteigen, hinter welchem die Frauengemächer liegen. Ich habe es bereits von innen geöffnet.«

»Und dann?«

»Was dann geschehen soll, muß sich nach den Umständen richten. Wir fahren mit einem Boote bis an Ort und Stelle, wo unsere erste Arbeit sein muß, das Boot Abrahim-Mamurs zu versenken, so daß er uns nicht verfolgen kann. Unterdessen macht der Reïs seine Dahabië segelfertig.«

Ich nahm einen Stift zur Hand und zeichnete den Riß des Hauses auf ein Blatt Papier, so daß Isla Ben Maflei vollständig orientiert war, wenn er heute abend aus dem Bassin stieg. Der Tag verging vollends unter den notwendigen Vorbereitungen; der Abend kam, und als es Zeit wurde, rief ich Halef herein und gab ihm die nötigen Weisungen für das bevorstehende Abenteuer.

Halef packte rasch unsere Habseligkeiten zusammen. Die Wohnungsmiete war schon voraus bezahlt.

Ich begab mich zu Hassan, und Halef kam sehr bald mit den Sachen nach. Das Schiff war bereit zur Fahrt und brauchte nur noch vom Ufer gelöst zu werden. Nach einiger Zeit stellte sich auch Isla mit seinem Diener ein, der von ihm unterrichtet worden war, und nun stiegen wir in das lange, schmale Boot, welches zur Dahabië gehörte. Die beiden Diener mußten rudern, und ich lenkte das Steuer.

Es war eine jener Nächte, in denen die Natur in so tiefem Vertrauen ruht, als gäbe es auf dem ganzen weiten Erdenrunde kein einziges drohendes Element.

Die leisen Lüfte, welche mit dem Schatten der Dämmerung gespielt hatten, waren zur Ruhe gegangen; die Sterne des Südens lächelten freundlich aus dem tiefblauen Dunkel des Himmels herab, und die Wasser des ehrwürdigen Stromes fluteten ruhig und lautlos dahin in ihrer breiten Bahn. Diese Ruhe herrschte auch in meinem Innern, obgleich es schwer scheint, dies zu glauben.

Es war nichts Leichtes, was wir zu vollbringen gedachten, aber man bebt ja vor einem Ereignisse; ist dasselbe jedoch einmal angebahnt oder gar bereits eingetreten, so hat man mit den Chancen abgeschlossen und kann ohne innere Kämpfe handeln. Eine nächtliche Entführung wäre vielleicht gar nicht notwendig gewesen; wir hätten vielmehr Abrahim-Mamur vor Gericht angreifen können. Aber wir wußten ja nicht, wie die Verhältnisse lagen und welche rechtlichen und unrechtlichen Mittel ihm zu Gebote standen, sein Anrecht auf Senitza geltend zu machen. Nur von ihr erst konnten wir erfahren, was wir wissen mußten, um gegen ihn aufzutreten, und das konnten wir nur dann erfahren, wenn es uns gelang, sie hinter seinem Rücken in unsere Hände zu bekommen.

Nach einer kleinen Stunde hoben sich die dunklen Umrisse des Gebäudes aus ihrer grauen, steinigen Umgebung hervor. Wir legten eine kurze Strecke unterhalb der Mauer an, und ich stieg zunächst ganz allein aus, um zu rekognoszieren. Ich fand in der ganzen Umgebung des Hauses nicht die geringste Spur von Leben, und auch innerhalb der Mauern schien alles in tiefster Ruhe zu liegen. Am Kanale lag das Boot Abrahims mit den Rudern. Ich stieg ein und brachte es neben unsern Kahn.

»Hier ist das Boot,« sagte ich zu den beiden Dienern. »Fahrt es ein wenig abwärts, füllt es mit Steinen und laßt es sinken. Die Ruder aber können wir gebrauchen. Wir nehmen sie in unser Boot herein, welches ihr nachher nicht anhängen laßt, sondern so bereit haltet, daß wir abstoßen können, sobald wir einsteigen. Isla Ben Maflei, folge mir!«

Ich verließ das Boot, und wir schlichen zum Kanale. Dessen Wasser blickten uns nicht sehr einladend entgegen. Ich warf einen Stein hinein und erkannte dadurch, daß der Kanal nicht tief sei. Isla zog seine Kleider aus und stieg hinein. Das Wasser reichte ihm bis an das Kinn.

»Wird es gehen?« fragte ich ihn.

»Mit dem Schwimmen besser als mit dem Gehen. Der Kanal hat so viel Schlamm, daß er mir fast bis an die Kniee reicht.«

»Bist du noch entschlossen?«

»Ja. Bringe meine Kleider mit zum Tore. Haidi, wohlan!«

Er hob die Beine empor, stieß die Arme aus und verschwand unter der Maueröffnung, durch welche das Wasser führte.

Ich verließ die Stelle nicht sofort, sondern ich wartete noch eine Weile, da es ja sehr leicht möglich war, daß etwas Unvorhergesehenes geschehen konnte, was meine Gegenwart wünschenswert erscheinen ließ. Ich hatte das Richtige getroffen, denn eben wollte ich mich wenden, als der Kopf des Schwimmers in der Oeffnung wieder erschien.

»Du kehrst zurück?«

»Ja. Ich konnte nicht weiter.«

»Warum?«

»Effendi, wir können Senitza nicht befreien!«

»Weshalb nicht?«

»Die Mauer ist zu hoch – — —«

»Es würde auch nichts helfen, wenn sie niedriger wäre, denn das Haus ist fest verschlossen.«

»Und der Kanal auch.«

»Verschlossen?«

»Ja.«

»Womit?«

»Mit einem starken Holzgitter.«

»Konntest du es nicht entfernen?«

»Es widersteht aller meiner Kraft.«

»Wie weit ist der Ort von hier?«

»Das Gitter muß sich grad bei der Grundmauer des Hauses befinden.«

»Ich werde einmal nachsehen. Ziehe dich an; halte meine Kleider und erwarte mich hier.«

Ich warf nur das Obergewand ab und stieg in das Wasser. Mich auf den Rücken legend, schwamm ich vorwärts. Der Kanal war auch im Garten nicht offen, sondern mit steinernen Platten bedeckt. Als ich nach meiner Berechnung das Haus erreicht haben mußte, stieß ich an das Gitter. Es war so breit und hoch wie der Kanal selbst, bestand aus starken, gut eingefügten Holzstangen und war mit eisernen Klammern an die Mauer befestigt. Die Vorrichtung hatte jedenfalls den Zweck, Tiere wie etwa Ratten, Wassermäuse usw. vom Bassin fernzuhalten. Ich rüttelte daran; es gab nicht nach, und ich mußte einsehen, daß es im ganzen nicht zu entfernen sei. Ich faßte einen einzelnen Stab mit beiden Händen, stemmte die hoch emporgezogenen Kniee hüben und drüben gegen die Mauer – ein Ruck aus allen Kräften, und die Stange zerbrach. Jetzt war eine Bresche da, und in Zeit von zwei Minuten hatte ich noch vier Stäbe herausgerissen, so daß eine Oeffnung entstanden war, durch welche ich mich zwängen konnte.

Sollte ich zurückkehren, um Isla das weitere zu überlassen? Nein, denn das wäre Zeitverschwendung gewesen. Ich befand mich nun einmal im Wasser und kannte ja auch die Oertlichkeit genauer als er. Ich passierte also die Oeffnung, welche ich mir gemacht hatte, und schwamm weiter fort in dem Wasser, welches durch den aufgewühlten Schlamm ganz dick war. Als ich mich nach meiner ungefähren Berechnung unter dem inneren Hofe befinden mußte, senkte sich plötzlich die Wölbung bis auf die Oberfläche des Wassers herunter, und ich wußte nun, daß ich mich in der Nähe des Bassins befand. Der Kanal glich von hier aus nur noch einer Röhre, welche so vollständig mit Wasser gefüllt war, daß die zum Atmen nötige Luft fehlte. Die noch übrige Strecke mußte ich also unter Wasser durchkriechen oder tauchend durchschwimmen, was nicht nur höchst unbequem und anstrengend, sondern auch mit größter Gefahr verbunden war. Wie nun, wenn sich ein zweites, unvorhergesehenes Hindernis in den Weg stellte und ich auch nicht so weit zurückkehren konnte, um den nötigen Atem zu holen? – — Oder wenn ich beim Emportauchen bemerkt wurde? Es war doch immerhin möglich, daß sich jemand in dem Hofe befand.

Diese Bedenken durften mich nicht irre machen. Ich sog die Lunge voll Atem, bog mich unter das Wasser und schob mich, halb schwimmend und halb gehend, mit möglichster Schnelligkeit vorwärts.

Eine ziemliche Strecke legte ich so zurück, und schon verspürte ich den eintretenden Luftmangel, als ich mit der Hand wirklich an ein neues Hindernis stieß. Es war, wie ich fühlte, ein aus einem durchlöcherten Blech bestehendes Siebgitter, welches die ganze Lichte der Kanalröhre einnahm und jedenfalls, so zu sagen, als Seiher oder Filter des schlammigen, trüben Wassers dienen sollte.

Bei dieser Entdeckung bemächtigte sich eine wirkliche Aengstlichkeit meiner.

Zurück konnte ich nicht mehr, denn ehe ich die Stelle zu erreichen vermochte, wo die höhere Wölbung des Kanals mir gestattet hätte, emporzutauchen und Atem zu schöpfen, war ich jedenfalls schon erstickt, und doch schien das ziemlich starke Siebwerk sehr haltbar befestigt zu sein. Hier gab es freilich nur zwei Fälle: entweder es gelang mir, hindurchzukommen, oder ich mußte elend ertrinken. Es war kein Augenblick zu verlieren.

Ich stemmte mich gegen das Blech – vergebens; ich drückte und preßte mit aller Gewalt dagegen, doch ohne Erfolg. Und wenn ich hindurch kam und hinter ihm nicht sofort das Bassin sich befand, so war ich dennoch verloren. Ich hatte nur noch Luft und Kraft für eine Sekunde; es war mir, als wolle eine fürchterliche Gewalt mir die Lunge zerbersten und den Körper zersprengen – noch eine letzte, die allerletzte Anstrengung; Herr Gott im Himmel, hilf, daß es mir gelingt! Ich fühle den Tod mit nasser, eisiger Hand nach meinem Herzen greifen; er packt es mit grausamer, unerbittlicher Faust und drückt es vernichtend zusammen; die Pulse stocken; die Besinnung schwindet; die Seele sträubt sich mit aller Gewalt gegen das Entsetzliche; eine krampfhafte, tödliche Expansion dehnt die erstarrenden Sehnen und Muskeln aus – ich höre keinen Krach, kein Geräusch, aber der Kampf des Todes hat vermocht, was dem Leben nicht gelingen wollte – das Sieb weicht, es geht aus den Fugen, ich fahre empor. Ein langer, langer, tiefer Atemzug, der mir augenblicklich das Leben wiederbrachte, dann tauchte ich wieder unter. Es konnte ja jemand im Hofe sein und meinen Kopf bemerken, der grad in der Mitte der kleinen Wasserfläche sichtbar geworden war. Am Rande derselben kam ich vorsichtig wieder auf und blickte mich um.

Es schien kein Mond, aber die Sterne des Südens verbreiteten ein genügendes Licht, um alle Gegenstände unterscheiden zu können. Ich stieg aus dem Bassin und wollte mich leise an die Mauer schleichen, als ich ein leises Knacken vernahm. Ich blickte empor zu den Gittern, hinter denen die Frauengemächer lagen. Hier, rechts über mir, war die Stelle, an welcher ich den Riegelstab entfernt hatte, und links davon bemerkte ich eine Spalte in der Vergitterung desjenigen Zimmers, in welches ich nicht hatte treten dürfen. Es war jedenfalls das Schlafzimmer Senitzas. War sie wach geblieben, um mich zu erwarten? Kam das Knacken von dem Gitter, welches sie auch in ihrer Stube geöffnet hatte? War dies der Fall, so hatte sie mich aus dem Wasser steigen sehen und sich jetzt wieder zurückgezogen, da sie mich unmöglich erkennen konnte. Ich schlich näher und legte die Hände rund um den Mund.

»Senitza!« flüsterte ich leise.

Da wurde die Spalte größer und ein dunkles Köpfchen erschien.

»Wer bist du?« hauchte es herab.

»Der Hekim, welcher bei dir war.«

»Du kommst, mich zu retten?«

»Ja. Du hast es geahnt und meine Worte verstanden?«

»Ja. Bist du allein?«

»Isla Ben Maflei ist draußen.«

»Ach! Er wird getötet werden!«

»Von wem?«

»Von Abrahim. Er schläft nicht des Nachts; er wacht. Und die Wärterin liegt in dem Raume neben mir. Halt – horch! Oh, fliehe schnell!«

Dort hinter der Tür, welche zum Selamlük führte, ließ sich ein Geräusch vernehmen. Die Spalte oben schloß sich, und ich eilte augenblicklich zum Bassin zurück. Dort war der einzige Ort, wo ich Zuflucht finden konnte. Vorsichtig, damit das Wasser keine Wellen werfen sollte, die mich verraten hätten, glitt ich hinein.

Kaum war dies geschehen, so öffnete sich die Tür, und es erschien die Gestalt Abrahims, der langsam und spähend den Hof umschritt. Ich stand bis zum Munde im Wasser, und mein Kopf war hinter der Einfassung verborgen, so daß mich der Aegypter nicht gewahr werden konnte. Dieser überzeugte sich, daß das Tor noch verschlossen sei, und verschwand, nachdem er die Runde vollendet hatte, wieder in dem Selamlük.

Jetzt stieg ich wieder aus dem Wasser, glitt zum Tore, schob den Riegel zurück und öffnete. Ich stand im Garten. Rasch eilte ich quer über denselben hinweg, um nun auch das Mauertor zu öffnen, und dann wollte ich um die Ecke biegen, Isla Ben Maflei zu holen, als dieser eben erschien.

»Hamdulillah, Preis sei Gott, Effendi! Es ist dir gelungen.«

»Ja, Aber ich kämpfte mit dem Tode. Gib mir mein Gewand!«

Hose und Weste trieften mir von Wasser; ich warf nur die Jacke über, um nicht in meinen Bewegungen gehindert zu sein, und sagte ihm:

»Ich sprach bereits mit Senitza.«

»Ist es wahr, Effendi?«

»Sie hatte mich verstanden und erwartete uns.«

»O komm! Schnell, schnell!«

»Warte noch!«

Ich ging in den Garten, um eine der Stangen zu holen, welche ich erst bei meiner zweiten Anwesenheit bemerkt hatte. Dann traten wir in den Hof. Die Spalte oben im Gitterwerke hatte sich bereits wieder geöffnet.

»Senitza[28], mein Stern, mein – —« rief Isla mit unterdrückter Stimme, als ich emporgezeigt hatte. Ich unterbrach ihn: »Um alles in der Welt, still! Hier ist keine Zeit zu Herzensergüssen. Du schweigst, und nur ich rede!«

Dann wandte ich mich empor zu ihr:

»Bist du bereit, mit uns zu gehen?«

»Oh, ja!«

»Durch die Zimmer geht es nicht?«

»Nein. Aber drüben hinter den hölzernen Säulen liegt eine Leiter.«

»Ich hole sie!«

Wir brauchten also weder die Stange noch den mitgebrachten Strick. Ich ging und fand die Leiter. Sie war fest. Als ich sie angelehnt hatte, stieg Isla empor. Ich schlich unterdessen nach der Tür zum Selamlük, um zu horchen.

Es dauerte einige Zeit, ehe ich die Gestalt des Mädchens erscheinen sah. Sie stieg herab, und Isla unterstützte sie dabei. In dem Augenblicke, in welchem sie den Boden erreichten, erhielt die Leiter einen Stoß; sie schwankte und stürzte mit einem lauten Krach zu Boden.

»Flieht! Schnell nach dem Boote!« warnte ich.

Sie eilten nach dem Tore, und zu gleicher Zeit hörte ich Schritte hinter der Tür. Abrahim hatte das Geräusch vernommen und kam herbei. Ich mußte den Fliehenden den Rückzug decken und folgte ihnen also mit nicht zu großer Schnelligkeit. Der Aegypter bemerkte mich, sah auch die umgestürzte Leiter und das geöffnete Gitter.

Er stieß einen Schrei aus, der von allen Bewohnern des Hauses gehört werden mußte.

»Chirsytz, hajdut, Dieb, Räuber, halt! Herbei, herbei, ihr Männer, ihr Leute, ihr Sklaven! Hilfe!«

Mit diesen laut gebrüllten Worten sprang er hinter mir her. Da der Orient keine Betten nach Art der unseren kennt und man meist in den Kleidern auf dem Diwan schläft, so waren die Bewohner des Hauses alsbald auf den Beinen.

Der Aegypter war hart hinter mir. Am Außentore blickte ich mich um. Er war nur zehn Schritte von mir entfernt, und dort an dem inneren Tore erschien bereits ein zweiter Verfolger.

Draußen bemerkte ich nach rechts Isla Ben Maflei mit Senitza fliehen; ich wandte mich also nach links. Abrahim ließ sich täuschen. Er sah nicht sie, sondern nur mich und folgte mir. Ich sprang um die eine Ecke, in der Richtung nach dem Flusse zu, oberhalb des Hauses, während unser Boot unterhalb desselben lag. Dann rannte ich um die zweite Ecke, das Ufer entlang.

»Halt, Bube! Ich schieße!« erscholl es hinter mir.

Er hatte also die Waffen bei sich gehabt. Ich eilte weiter. Traf mich seine Kugel, so war ich tot oder gefangen, denn hinter ihm folgten seine Diener, wie ich aus ihrem Geschrei vernahm. Der Schuß krachte. Er hatte im Laufen gezielt, statt dabei stehen zu bleiben; das Geschoß flog an mir vorüber. Ich tat, als sei ich getroffen, und warf mich zur Erde nieder.

Er stürzte an mir vorbei, denn er hatte nun das Boot bemerkt, in welches Isla eben mit Senitza einstieg. Gleich hinter ihm sprang ich wieder auf. Mit einigen weiten Sprüngen hatte ich ihn erreicht, packte ihn im Nacken und warf ihn nieder.

Das Geschrei der Fellatah erscholl aber jetzt hinter mir, sie waren mir sehr nahe, da ich mit dem Niederwerfen Zeit und Raum verloren hatte; aber ich erreichte den Kahn und sprang hinein. Sofort stieß Halef vom Ufer, von welchem wir bereits mehrere Bootslängen entfernt waren, als die Verfolger dort ankamen.

Abrahim hatte sich wieder emporgerafft. Er überblickte die ganze Situation.

»Geri,« brüllte er: »geri erkekler – zurück, zurück, ihr Männer! – Zurück, nach dem Boote!«

Alle wandten sich um in der Richtung nach dem Kanale, wo ihr Kahn gelegen hatte. Abrahim kam zuerst an und stieß einen Schrei der Wut aus. Er sah, daß das Boot verschwunden war.

Wir hatten unterdessen die ruhigeren Gewässer des Ufers verlassen und das schneller strömende Wasser erreicht, Halef und der Barbier aus Jüterbog ruderten; auch ich nahm eines der aus dem Boote Abrahims genommenen Ruder; Isla tat dasselbe, und so schoß unser Kahn sehr schnell stromabwärts.

Es wurde kein Wort gesprochen; unsere Stimmung war nicht danach, in Worte gefaßt zu werden.

Während des ganzen Abenteuers war doch eine längere Zeit vergangen, so daß jetzt bereits sich der Horizont rötete und man die nebellosen Wasser des Niles weithin zu überblicken vermochte. Noch immer sahen wir Abrahim mit den Seinigen am Ufer stehen, und weiter oben erschien ein Segel, welches in dem Morgenrot erglühte.

»Ein Sandal!« meinte Halef.

Ja, es war ein Sandal, eine jener lang gebauten, stark bemannten Barken, welche so schnell segeln, daß sie fast mit einem Dampfer um die Wette gehen.

»Er wird den Sandal anrufen und uns auf demselben verfolgen,« sagte Isla.

»Hoffentlich ist der Sandal ein Kauffahrer, der nicht auf ihn hört!«

»Wenn Abrahim dem Reïs eine genügende Summe bietet, wird dieser sich nicht weigern.«

»Auch in diesem Falle würden wir einen guten Vorsprung gewinnen. Ehe der Sandal anlegt und der Reïs mit Abrahim verhandelt hat, vergeht einige Zeit. Auch muß sich Abrahim, ehe er an Bord gehen kann, mit allem versehen, was zu einer längeren Reise notwendig ist, da er nicht wissen kann, welche Ausdehnung die Verfolgung haben wird.«

Das Segel entschwand jetzt unseren Blicken, und wir machten eine so schnelle Fahrt, daß wir nach kaum einer halben Stunde die Dahabië zu Gesicht bekamen, welche uns weiter tragen sollte.

Der alte Abu el Reïsahn lehnte an der Brüstung des Sternes. Er sah, daß eine weibliche Person im Boote saß, und wußte also, daß unser Unternehmen gelungen sei, wenigstens gelungen bis zu diesem Augenblick.

»Legt an,« rief er. »Die Treppe ist niedergelassen!«

Wir stiegen an Bord, und das Boot wurde am Steuer befestigt. Dann ließ man die Seile gehen und zog die Segel auf. Das Fahrzeug drehte den Schnabel vom Land ab; der Wind legte sich in das Leinen, und wir strebten der Mitte des Stromes zu, welcher uns nun abwärts trug.

Ich war zum Reïs getreten.

»Wie ging es?« fragte er mich.

»Sehr gut. Ich werde es dir erzählen; doch sage mir vorher, ob ein guter Sandal dein Fahrzeug einholen könnte.«

»Werden wir verfolgt?«

»Ich glaube es nicht, doch ist es möglich.«

»Meine Dahabië ist sehr gut, aber ein guter Sandal holt jede Dahabië ein.«

»So wollen wir wünschen, daß wir unverfolgt bleiben!«

Ich erzählte nun den Hergang unseres Abenteuers und ging dann nach der Kajüte, um meine noch immer feuchten Kleider zu wechseln. Sie war in zwei Teile geteilt, einen kleinen und einen größeren. Der erstere war für Senitza und der letztere für den Kapitän, Isla Ben Maflei und mich bestimmt.

Es waren vielleicht zwei Stunden seit unserer Abfahrt vergangen, als ich oberhalb unseres Schiffes die Spitze eines Segels bemerkte, welches sich immer mehr vergrößerte. Als der Rumpf sichtbar wurde, erkannte ich den Sandal, welchen wir in der Frühe gesehen hatten.

»Siehst du das Schiff?« fragte ich den Reïs.

»Allah akbar, Gott ist groß, und deine Frage ist auch groß,« antwortete er mir. »Ich bin ein Reïs und sollte ein Segel nicht sehen, welches so nahe hinter dem meinigen steuert!«

»Ob es ein Fahrzeug des Khedive ist?«

»Nein.«

»Woraus erkennst du dies?«

»Ich kenne diesen Sandal sehr genau.«

»Ah!«

»Er gehört dem Reïs Chalid Ben Mustapha.«

»Kennst du diesen Chalid?«

»Sehr; aber wir sind keine Freunde.«

»Warum?«

»Ein ehrlicher Mann kann nicht der Freund eines Unehrlichen sein.«

»Hm, so ahnt mir etwas.«

»Was?«

»Daß sich Abrahim-Mamur an seinem Bord befindet.«

»Werden es sehen!«

»Was wirst du tun, wenn der Sandal sich an die Dahabië legen will?«

»Ich muß es zugeben. Das Gesetz sagt es so.«

»Und wenn ich es nicht zugebe?«

»Wie wolltest du dies anfangen? Ich bin der Reïs meiner Dahabië und habe nach den Vorschriften des Gesetzes zu handeln.«

»Und ich bin der Reïs meines Willens.«

Jetzt trat Isla zu uns. Ich wollte ihm keine zudringliche Frage vorlegen, aber er begann selbst:

»Kara Ben Nemsi, du bist mein Freund, der beste Freund, den ich gefunden habe. Soll ich dir erzählen, wie Senitza in die Hände des Aegypters gekommen ist?«

»Ich möchte es sehr gerne hören, doch zu einer solchen Erzählung gehört die Ruhe und Sammlung, welche wir jetzt nicht haben können.«

»Du bist unruhig? Weshalb?«

Er hatte das hinter uns segelnde Fahrzeug noch nicht bemerkt.

»Drehe dich um, und siehe diesen Sandal.«

Er wandte sich um, sah das Schiff und fragte:

»Ist Abrahim an Bord?«

»Ich weiß es nicht, aber es ist sehr leicht möglich, weil der Kapitän ein Schurke ist, der sich von Abrahim erkaufen lassen wird.«

»Woher weißt du, daß er ein Schurke ist?«

»Abu el Reïsahn sagt es.«

»Ja,« bestätigte dieser; »ich kenne diesen Kapitän und kenne auch sein Schiff. Selbst wenn es weiter entfernt wäre, würde ich es an seinem Segel erkennen, welches dreifach ausgebessert und zusammengeflickt ist.«

»Was werden wir tun?« fragte Isla.

»Zunächst abwarten, ob Abrahim sich an Bord befindet.«

»Und wenn er da ist?«

»So kommt er nicht zu uns herüber.«

Unser Schiffsführer prüfte den Fortgang des Sandal und denjenigen, den wir selbst machten, und meinte dann:

»Er kommt uns immer näher. Ich werde eine Triketha[29] beisetzen lassen.«

Dies geschah, aber ich merkte bereits nach einigen Minuten, daß die Entscheidung dadurch höchstens verzögert, nicht aber aufgehoben werde. Der Sandal kam uns immer näher; endlich war er nur noch eine Schiffslänge von uns entfernt und ließ das eine Segel fallen, um seine Schnelligkeit zu vermindern. Wir sahen Abrahim-Mamur auf dem Deck stehen.

»Er ist da!« sagte Isla.

»Wo steht er?« fragte der Reïs.

»Ganz vorn am Buge.«

»Dieser? Kara Ben Nemsi, was tun wir? Sie werden uns ansprechen, und wir müssen ihnen antworten.«

»Wer hat nach deinen Gesetzen zu antworten?«

»Ich, der Inhaber meiner Dahabië.«

»Merke auf, was ich dir sage, Abu el Reïsahn. Bist du bereit, mir dein Schiff von hier bis Kahira zu vermieten?«

Der Kapitän sah mich erstaunt an, begriff dann aber gleich, was ich für einen Zweck verfolgte.

»Ja,« antwortete er.

»Dann bin also ich der Inhaber?«

»Ja.«

»Und du als Reïs mußt tun, was ich will?«

»Ja.«

»Und bist für nichts verantwortlich?«

»Nein.«

»Gut. Rufe deine Leute zusammen!«

Auf seinen Ruf kamen alle herbei, und der Kapitän erklärte ihnen:

»Ihr Männer, ich sage euch, daß dieser Effendi, welcher Kara Ben Nemsi heißt, unsere Dahabië von hier bis nach Kahira gemietet hat. Ist es nicht so?«

»Ja, es ist so,« bestätigte ich.

»Ihr könnt mir also bezeugen, daß ich nicht mehr Herr des Schiffes bin?« fragte er die Leute.

»Wir bezeugen es.«

»So geht an eure Plätze. Das aber müßt ihr wissen, daß ich die Leitung des Schiffes behalte, denn Kara Ben Nemsi hat es mir befohlen.«

Sie entfernten sich, sichtlich befremdet über die sonderbare Mitteilung, welche ihnen geworden war.

Mittlerweile war der Sandal in gleiche Linie mit uns gekommen. Der Kapitän desselben, ein alter langer, sehr hagerer Mann mit einer Reiherfeder auf dem Tarbusch, trat an die Bordung und fragte herüber:

»Ho, Dahabië; welcher Reïs?«

Ich neigte mich vor und antwortete:

»Reïs Hassan.«

»Hassan Abu el Reïsahn?«

»Ja.«

»Schön, kenne ihn,« antwortete er mit schadenfroher Miene. »Ihr habt ein Weib an Bord?«

»Ja.«

»Gebt es heraus!«

»Chalid Ben Mustapha, du bist verrückt!«

»Wird sich finden. Wir werden bei euch anlegen.«

»Das werden wir verhindern.«

»Wie willst du dies anfangen?«

»Das will ich dir sofort zeigen. Merke auf die Feder an deinem Tarbusch!«

Ich erhob sehr schnell die Büchse, welche ich, ohne daß er sie gesehen hatte, bereit gehalten hatte, zielte und drückte los. Die Feder flog herab. Selbst das entsetzlichste Unglück hätte den würdigen Ben Mustapha nicht so in Aufregung versetzen können, wie dieser Warnungsschuß. Er fuhr so hoch in die Luft, als beständen seine hageren Gliedmaßen aus elastischem Gummi, hielt sich den Kopf mit beiden Händen und floh hinter den Mast.

»Jetzt weißt du, wie ich schieße, Ben Mustapha,« rief ich hinüber. »Wenn dein Sandal noch eine einzige Minute bei uns backseits fährt, so schieße ich dir nicht die Feder vom Tarbusch, sondern die Seele aus dem Leibe; darauf kannst du dich verlassen!«

Diese Drohung hatte eine augenblickliche Wirkung. Er eilte an das Steuer, riß es aus den Händen dessen, der es bisher regiert hatte, und drehte ab. In zwei Minuten befand sich der Sandal in einer solchen Entfernung von uns, daß ihn meine Kugel nicht erreichen konnte.

»Jetzt sind wir für den Augenblick sicher,« meinte ich.

»Er wird nicht wieder so nahe kommen,« stimmte Hassan bei; »aber er wird uns auch nicht aus dem Auge lassen, bis wir irgendwo an das Ufer legen, wo er die Hilfe des Gesetzes in Anspruch nehmen wird. Die fürchte ich freilich nicht; aber ich fürchte etwas anderes.«

»Was?«

»Das da!«

Er deutete mit der Hand hinaus auf das Wasser, und wir verstanden sogleich, was er meinte.

Schon seit einiger Zeit hatten wir bemerkt, daß die Wogen mit größerer Gewalt und Schnelligkeit vorwärts strebten als vorher und die jetzt felsig gewordenen Ufer einander immer näher traten. Wir näherten uns nämlich einer jener Stromschnellen, welche, mehr oder weniger gefahrdrohend für den Schiffer, dem Verkehre auf dem Nile fast unüberwindliche Hindernisse entgegenstellen. Jetzt mußte die Feindschaft der Menschen schweigen, damit sich die ungeteilte Aufmerksamkeit aller auf das drohende Element richten konnte. Die Stimme des Reïs tönte laut schallend über das Deck:

»Blickt auf, ihr Männer, der Schellahl kommt, der Katarakt! Tretet zusammen und betet die heilige Fatcha!«

Die Leute folgten seinem Gebote und begannen:

»Behüte uns, o Herr, vor dem von dir gesteinigten Teufel!«

»Im Namen des Allbarmherzigen!« intonierte der Reïs.

Darauf fielen die andern ein und beteten die Fatcha, die erste Sure des Koran.

Ich muß gestehen, daß dieses Gebet auch mich ergriff, aber nicht aus Furcht vor der Gefahr, sondern aus Ehrfurcht vor der tief im Herzen wurzelnden Religiosität dieser halbwilden Menschen, welche nichts tun und beginnen, ohne sich dessen zu erinnern, der in dem Schwachen mächtig ist.

»Wohlan, ihr jungen Männer, ihr mutigen Helden, geht an euere Plätze,« gebot nun der Führer; »der Strom hat uns ergriffen.«

Das Kommando eines Nilschiffes läuft nicht so ruhig und exakt ab, wie die Führung eines europäischen Fahrzeuges. Das heiße Blut des Südens rollt durch die Adern und treibt in der Gefahr den Menschen von dem Extreme der ausschweifendsten Hoffnung herab auf dasjenige der tiefsten Niedergeschlagenheit und Verzweiflung. Alles schreit, ruft, brüllt, heult, betet oder flucht im Augenblicke der Gefahr, um im nächsten Momente, wenn diese Gefahr vorübergegangen ist, noch lauter zu jubeln, zu pfeifen, zu singen und zu jauchzen. Dabei arbeitet ein jeder mit Anspannung aller seiner Kräfte, und der Schiffsführer springt von einem zum andern, um jeden anzufeuern, tadelt die Säumigen in Ausdrücken, wie sie nur ein Araber sich auszusinnen vermag, und belohnt die andern mit den süßesten, zärtlichsten Namen, unter denen sich das Wort »Held« am meisten wiederholt. Hassan hatte sich auf das Passieren der Stromschnelle vorbereitet und Reservemannschaft eingenommen. Jedes Ruder war doppelt besetzt, und am Steuer standen drei Barkenführer, welche jeden Fußbreit des Stromes hier an dieser gefährlichen Stelle kannten.

Mit furchtbarer Gewalt rauschten die Wogen jetzt über die von dem Wasser kaum bedeckten Felsblöcke; die Wellen stürzten schäumend über das Deck, und der Donner des Kataraktes übertäubte jedes, auch das lauteste Kommandowort. Das Schiff stöhnte und krachte in allen Fugen; die Ruder versagten ihre Dienste und, dem Steuer vollständig ungehorsam, tobte die Dahabië durch die kochenden Gewässer.

Da treten die schwarzen, glänzenden Felsen vor uns eng zusammen und lassen nur noch ein Tor offen, welches kaum die Breite unseres Schiffes besitzt. Die Wogen werden förmlich durch dasselbe hindurchgepreßt und stürzen sich in einem dicken, mächtigen Strahle nach unten in ein Becken, welches übersäet ist von haarscharfen und nadelspitzen Steinblöcken.

Mit sausender Hast schießen wir dem Tore zu. Die Ruder werden eingezogen. Jetzt befinden wir uns in dem furchtbaren Loche, dessen Wände uns zu beiden Seiten so nahe sind, daß wir sie fast mit den Händen erreichen können. Als wolle sie uns hinaustreiben in die Luft, so schleudert uns die rasende Gewalt der Strömung über die sprühenden, gischtspritzenden Kämme des Falles hinaus, und wir stürzen hinab in den Schlund des Kessels. Es brodelt, spritzt, rauscht, tobt, donnert und brüllt um uns her. Da packt es uns wieder mit unwiderstehlicher Macht und reißt uns eine schief abfallende Ebene hinab, deren Wasserfläche glatt und freundlich vor uns liegt, aber grad unter dieser Glätte die gefährlichste Tücke birgt, denn wir schwimmen nicht, nein, wir fallen, wir stürzen mit rapider Vehemenz die abschüssige Bahn hinab und – — —

»Allah kerihm, Gott ist gnädig!« ertönt Hassans Stimme jetzt so schrill, daß sie gehört werden kann. »Allah il Allah, an die Ruder, an die Ruder, ihr Jünglinge, ihr Männer, ihr Helden, ihr Tiger, Panther und Löwen! Der Tod liegt vor euch. Seht ihr es denn nicht? Amahl, amahl, ïa Allah amahl, macht, macht, bei Gott, macht, ihr Hunde, ihr Feiglinge, ihr Schurken und Katzen, arbeitet, arbeitet, ihr Wackern, ihr Guten, ihr Helden, ihr Unvergleichlichen, Erprobten und Auserwählten!«

Wir schießen einer Schere zu, welche sich grad vor uns öffnet und uns im nächsten Augenblicke vernichten wird. Die Felsen sind so scharf, und der Fall des Stromes ist so reißend, daß von dem Schiffe kein Handgroß von Holz beisammen bleiben kann, wie es scheint.

»Allah ïa Sahtir, o du Bewahrer, hilf! Links, links, ihr Hunde, ihr Geier, ihr Rattenfresser, ihr Aasverdauer, links, links mit dem Steuer, ihr Braven, ihr Herrlichen, ihr Väter aller Helden! Allah, Allah, Maschallah – Gott tut Wunder, ihm sei Dank!«

Das Schiff hat den fast übermenschlichen Anstrengungen gehorcht und ist vorübergeflogen. Für einige Augenblicke befinden wir uns im ruhigen Fahrwasser, und alles stürzt sich auf die Kniee, um dem Allmächtigen zu danken.

»Esch‘hetu inu la il laha il Allah!« tönt es jubelnd über das Deck hin – »bezeuge, daß es nur einen Gott gibt! Sellem aaleïna baraktak, begnadige uns mit deinem Segen!«

Da kommt es hinter uns hergeschossen, wie von der Sehne eines Bogens geschnellt. Es ist der Sandal, welcher dieselben Gefahren hinter sich hat, wie wir. Seine Schnelligkeit ist jetzt wieder größer als die unserige, und er muß daher an uns vorüber. Aber das offene Fahrwasser ist so schmal, daß wir nur mit Mühe auszuweichen vermögen, und fast Bord an Bord rauscht er vorüber. Am Maste lehnt Abrahim-Mamur, die Rechte hinter sich versteckend. Mir grade gegenüber reißt er die verborgen gehaltene, lange arabische Flinte an die Wange – ich werfe mich nieder – die Kugel pfeift über mir weg, und im nächsten Augenblick ist der Sandal uns weit voran.

Alle haben den Mordversuch gesehen, aber niemand hat Zeit zur Verwunderung oder zum Zorne, denn die Strömung packt uns wieder und treibt uns in ein Labyrinth von Klippen.

Da erschallt vor uns ein lauter Schrei. Der Sandal wurde von der Macht des Schellahl an einen Felsen geworfen; die Schiffer schlagen die Ruder in die Flut, und das nur leicht beschädigte Fahrzeug schießt, von den Wogen wieder gefaßt, befreit davon. Aber bei dem Stoße ist ein Mensch über Bord gefallen; er hängt im Wasser, sich verzweiflungsvoll an die Klippe klammernd. Ich ergreife einen der vorhandenen Dattelbaststricke, eile an das Seitenbord und werfe ihn dem Bedrohten zu. Er faßt danach – ergreift ihn – wird emporgezogen – es ist – Abrahim-Mamur.

Sobald er das Verdeck glücklich erreicht hatte, schüttelte er das Wasser aus seinen Kleidern und stürzte dann mit geballten Fäusten auf mich zu.

»Hund, du bist ein Räuber und Betrüger!«

Ich erwartete ihn stehenden Fußes, und meine Haltung bewirkte, daß er vor mir stehen blieb, ohne seine Fäuste in Anwendung zu bringen.

»Abrahim-Mamur, sei höflich, denn du befindest dich nicht in deinem Hause. Sagst du nur noch ein Wort, welches mir nicht gefällt, so lasse ich dich an den Mast binden und durchpeitschen!«

Die größte Beleidigung für einen Araber ist ein Schlag, und die zweitgrößte ist die Drohung, ihn zu schlagen. Abrahim machte eine Bewegung, bezwang sich aber augenblicklich.

»Du hast mein Weib an Bord!« rief er.

»Nein.«

»Du sagst mir nicht die Wahrheit!«

»Ich sage sie, denn die ich an Bord habe, ist nicht dein Weib, sondern die Verlobte dieses jungen Mannes, welcher neben dir steht.«

27

Trinkgeld.

28

Senitza ist serbisch und heißt deutsch Augapfel.

29

Kleineres Segel.

Durch die Wüste

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