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El Kanz el A‘da

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Unser heutiger Ritt hatte den Bir Hilu (süßer Brunnen) zum Ziele, weicher nicht auf dem nordsüdlichen Karawanenwege, sondern weit seitwärts von demselben liegt. Daß er auch von El Ghani genannt worden und ihm also bekannt war, lieferte mir den Beweis, daß dieser Mekkaner sich nicht immer nur in der Stadt des Propheten aufgehalten, sondern auch die Wüste ziemlich genau kennen gelernt haben mußte.

Die Wüste!

Ich habe sie und ihre verschiedenen Arten schon sooft beschrieben, daß ich mich nicht wiederholen darf. Ihre Physiographie ist bekannter als die bisher noch kaum gewürdigte Bedeutung, welche sie als Erzieherin des sie betretenden oder ihre Wahat (Oasen) bewohnenden Menschen besitzt. Wie die Prärie ein nur ihr eigenartiges Leben und die nur auf ihr möglichen Gestalten entwickelt, so hat auch die Wüste ihre besonderen Pflanzen-, Tier-, Menschen— und überhaupt Lebensformen, welche man in anderen Gegenden vergeblich suchen würde. Damit würde Freiligrath, wenn er es mit seinem ,.Wüstenkönig ist der Löwe« ernstgemeint hätte, allerdings nicht einverstanden sein, denn »der Löwe kommt auch in anderen Gegenden als nur in der Wüste vor«, würde er sagen; aber ich habe trotzdem recht, denn wenn der Löwe wirklich einmal in der Wüste vorkommt, so ist es doch nur am Rande derselben, und er hat sich verlaufen. Er braucht als Fleischfresser viel Wasser und ist also nichts weniger als ein Wüstentier, wie ja auch die Giraffe, auf welcher er seinen berühmten »Löwenritt« ausführt, es in der Wüste nicht viel länger als einen Tag aushalten würde.

Der Mensch hat die Gabe, sich den Naturverhältnissen des von ihm zum Aufenthalte gewählten Landes anzubequemen; er wird je länger desto mehr ein Sohn desselben, indem er die Eigenart des Bodens annimmt, der seine Wohnung trägt, mag diese nun eine festgegründete oder ambulante sein. So auch der Wüstenbewohner. Ich gestatte mir nämlich dieses eigentlich grundfalsche Wort, weil es sich nun einmal eingebürgert hat. Die Wüste ist ja unbewohnt, und, wenn sie von Karawanenpfaden durchzogen wird, kann doch nur von Wanderern, nicht aber von Bewohnern gesprochen werden.

Die Wüste liegt weit und flehend ausgebreitet wie ein endloses Gebet zu Gott um Gnade und Barmherzigkeit. Sie ist ein tief ergreifendes Bild irdischer Armut und Hilflosigkeit. Sonnendurchglüht, kahl und nackt ragen ihre Felsen empor, oft grotesk, phantastisch geformt, oft kühn vereinzelt, oft zu gemeinschaftlichen, wilden Zügen vereint, bald in seltsamen Gliederungen aufgebaut, so daß man zerfallene Städte, verödete Schlösser und Burgen oder prächtige Säulenhallen in der Ferne zu erblicken meint, bald wieder wie von der Faust eines unerbittlichen Schicksales niedergeschmettert, breitgedrückt, zerrissen und zerklüftet, von gähnenden Abgründen durchzogen, in deren Tiefe selbst die Glut der äquatorialen Sonne nicht zu dringen vermag. Gleicht dieses Bild nicht ganz genau der Geschichte dieses scheinbar, aber eben auch nur scheinbar von Gott verlassenen Landes?

Diesen oft gen Himmel ragenden Reliefs folgt das Warr, jene von zerstampften, wild durcheinander geworfenen Felsenmassen bedeckte Wüste, welche das Aussehen hat, als ob der Teufel im Zorne über seine Verstoßung hier eine ganze Weit zerschmettert und dann die Trümmerbrocken umhergewirbelt habe. In allen Größen liegen sie da, diese Steinblöcke, hier nur einer, nur zwei oder drei, dort hoch aufeinander getürmt, als ob der Böse dann »Markenumgang« in seinem Innern gehalten und jede einzelne Sünde, jedes einzelne Laster desselben mit einem aus zermalmten Bergen bestehenden Schandmale bezeichnet habe. Rundum bis an den Horizont, so weit das Auge reicht, sind diese Zeichen zu sehen, und je weiter er sich dehnt, desto größer wird ihre Menge. Zwischen ihnen liegen die Felsenbrocken gesäet wie unzählbare Körner von tausend Höllenfrüchten, die in der Wüstensonne nachreifen und sich schwärzen sollen. Den einsamen Wanderer durchschauert es trotz der glühenden Hitze; er treibt sein Kamel an, um schnell weiter zu kommen, und ruft: »Allah beschütze und behüte mich!«

Dann kommt die Wüste, in weicher der Sand sich mit dem Wasser vermählt. Dort im Westen, Tagereisen weit von hier, liegt die glatte Ebene des Sandes. Der stets vorherrschende Westwind streicht über sie und nimmt die feinsten, leichtesten Körnchen mit, um sie an jedem festeren Punkte, an jeder noch so kleinen Erhöhung abzusetzen. Die Erhöhung wird größer; sie wächst von Tag zu Tag. Der West baut höher auf, und die mit der Sonne gehenden Nebenwinde helfen ihm. Der von ihm getriebene Sand wird bis zur Spitze gehoben, und was nicht da liegen bleibt, fällt jenseits herab. Das gibt ein leises, süßes, metallisches Klingen und Tönen. »Die Engel flüstern«, sagt der Beduine, wenn er, halb schlafend und halb wachend, es während der Nacht hört. Das ist die Wüste der Sandhügel. Die feinen, klingenden Körner wandern weiter und immer weiter; sie erreichen das Warr; sie füllen seine Löcher und Vertiefungen, seine Zwischenräume aus; sie steigen an seinen Trümmern empor und hüllen sie, die harten, mit weichem Mantel ein, geben seinen scharfen Linien Milderung und verwandeln die rohen Trümmerhaufen nach und nach in sanfte Hügelwellen: Die flüsternden Engel decken das Teufelswerk in liebevoller, nie ruhender Arbeit zu.

Und weit, weit draußen endlich dehnt sich die von keiner Erhöhung unterbrochene, ewig gleiche Sahar, die Wüste des toten Sandes. Die Tageshitze liegt in sichtbarer Verdichtung manneshoch auf ihr; der Himmel zieht sich wie flüssiges Blei darüber hin und scheint sich am Horizonte mit einem Meere von glühendem Erze zu vereinigen; eine Grenzlinie zwischen beiden gibt es tagelang nicht. Das Auge brennt, der Sehnerv versagt ermüdet seine Tätigkeit, denn der sehnsüchtige Blick findet keinen Punkt, an dem er ruhen könnte. Der Sinn für die Entfernung geht verloren; man glaubt, inmitten einer halt— und gestaltlosen Ewigkeit zu reiten, und verliert in ihr den eigenen Halt. Die Tatkraft schwindet; der Wille wird verzehrt; die Schärfe der Sinne nimmt ab, und an die Stelle fehlender Wahrnehmungen treten Haluzinationen, welche das, was man wünscht, vortäuscht und vorgaukeln. Darum ist diese Wüste das eigentliche Gebiet der Fata morgana, wie sie auch den Hauptbereich der verderblichen Sandstürme bildet, denen schon mancher einzelne Wanderer und manche vollzählige Karawane zum Opfer gefallen ist. Weiches Entzücken dann der Anblick einer wirklichen, nicht vorgespiegelten Oase hervorbringt, das zu beschreiben, fehlen die Worte!

Und genau so, wie die Wüste ist, ist auch ihr Bewohner. In seinem Innern wohnt dieselbe Glut, unter welcher die Gebilde seiner Seele zu seltsamen, oft ungeheuerlichen, oft zauberischen, zuweilen auch wohl anmutigen Formen erstarren. Hilflos, hungrig und dürstend wie das steile Warr und der brennende Sand breitet sich sein Leben vom ersten bis zum letzten Tage dem Himmel entgegen, stets der Barmherzigkeit Allahs gewärtig. Daher seine tiefe Religiosität, deren äußerer Eindruck aber an tote, ermüdende Formeln gebunden ist. Die unerbittliche Strenge der Wüste macht ihn äußerlich ernst und innerlich hart; wie sie grausam ist gegen ihn, so ist auch er rücksichtslos gegen andere, ihm nicht nahestehende Wesen. Genau so unbeugsam, wie ihre Gesetze sind, besteht auch er auf der Unfehlbarkeit seiner Meinungen und auf der Überlegenheit seines Willens. Ihre Temperaturunterschiede sprechen sich in seinen Regungen aus; was ihn am Tage begeisterte, kann er am Abende schon kalt und verächtlich von sich werfen. Das Weib, welches er jetzt glühend liebt, kann er schon nach einigen Stunden durch die gesetzlich gültige Formel »Du bist geschieden« von sich jagen. Liebe, besonders Nächstenliebe, die zweite große Forderung der Christuslehre, kennt er überhaupt nicht, wie ja auch die Wüste nichts weniger als liebreich gegen ihn ist. Wie sie nichts gibt, sondern nur Opfer fordert, so ist auch er nur Egoist und will sogar den Himmel für sich allein haben. Hat sie den ganzen Tag gedürstet, so saugt sie den Tau der Nacht bis auf den letzten Tropfen auf; in derselben Weise unterwirft auch er sich geduldig allen Entbehrungen, um sich dann dem Genusse ohne Maß und Selbstbeherrschung zu ergeben. Da sein ganzes inneres Leben ein, nur von einigen Brunnen unterbrochenes, Wandern durch die Öde ist, schmückt er sich das Jenseits in den glühendsten Farben als paradiesische Oase aus, wo er ununterbrochen in Freuden schwelgt, von denen ihm das irdische Leben nur zuweilen einen leisen, kurzen Vorgeschmack bietet. Wie seine Leiden und Entbehrungen materielle sind, so sind auch die Ziele seiner Wünsche und Bestrebungen meist materieller Art; der Wüstensohn hat kein Gemüt; darum kann er sich weder ein irdisches Glück noch seine einstige Seligkeit rein herzlich denken. Der Boden seiner Seele gleicht der Felsen, der Trümmer und der Tiefsandwüste. Seltsam, verworren, abenteuerlich steigt es, oft mit elementarer Gewalt, von da unten auf; der heiße Samum (Wüstenwind) fegt darüber hin und wirbelt tödliche, wie von höllischem Feuer gefärbte Sandwolken vor sich her. Aber wie die Wüste ist auch diese Seele nicht ohne Tau, und wie sich unter der Wüstendecke genug befruchtendes Wasser befindet, nach weichem man nur zu bohren braucht, um es klar und heil hervorsprudeln zu sehen, so sind auch ihr die geistigen Vorbedingungen der wirtschaftlichen, ethischen und religiösen Gesittung nicht versagt. Wo aber sind die rechten Pioniere, welche den wirklichen, echten, selbstlosen Beruf in sich tragen, nach diesem Wasser zu bohren? Wer hier durch artesische Brunnen helfen will, der darf dies nicht von der Berechnung abhängig machen, zu welchem Prozentsatze sich das dabei angelegte Kapital verzinsen wird, auch muß er zunächst auf diejenige religiöse Aggressivität verzichten, weiche dort den sofortigen, fanatischesten Widerstand hervorrufen und alles verderben, wenigstens das Gelingen auf unabsehbare Zeit hinausschieben würde. Es gibt Kapitalanlagen, welche der Herrgott in sein Buch einträgt, um erst am großen Tage der Abrechnung Soll und Haben zu vergleichen, und derjenige Mann oder dasjenige Volk ist der beste Missionar, weicher den Andersgläubigen mehr durch sein Leben als durch seine Lehren zu überzeugen sucht. Ein Gott wohlgefälliges und den Mitmenschen nützliches Leben ist die einzig richtige Vorbereitung des Bodens zu der Saat, die dann allerdings durch die Predigt in Worten zu geschehen hat.

Komm mit mir im Geiste in die Wüste, lieber Leser! Du hast gelernt, die Bedürfnisse deines Körpers auf das allergeringste Maß herabzumindern. Der Hunger ficht dich nicht mehr an, und auch den Durst hast du bis zum gebotenen Grade zu beherrschen gelernt. Du bist auf Fasten gestellt und wirst nun die Erfahrung machen, daß jetzt die Tätigkeit des Geistes diejenige des Körpers überragt. Das ist der Grund, weshalb selbst bei halb oder gar nicht zivilisierten Völkern vor wichtigen Wendepunkten im Leben des Einzelnen oder auch der Gesamtheit ein Fasten vorgeschrieben ist. Sogar der Indianer fastet längere Zeit vor der Zeremonie des Namengebens oder vor der Wahl der Medizin. Es ist, als ob die Seele freier geworden und in ihren Funktionen weniger gehemmt sei als vorher. Deine geistigen Sinne scheinen doppelte Schärfe und deine Gedanken Flügel bekommen zu haben. Du lebst mehr innerlich als äußerlich. Du hast dich an den schaukelnden Gang des Kamels gewöhnt; er stört dich nicht mehr. Im hohen Sattel des Hedschihn sitzend, achtest du nicht auf die Bewegungen des Tieres, dessen weiche, elastische Schritte nicht bis zu dir heraufwirken . Reitest du durch die Hochfelsenwüste oder durch das Warr, so fühlst du dich als körperliches Individuum so klein, so nichtig, so verlassen in diesem überwältigenden Stein und Trümmermeere; reitest du über den glatten Sandozean, so siehst du ihn nicht hinter dir verschwinden, während er sich aber vor dir immer weiter und weiter ausbreitet. Es gibt keinen Anfang und kein Ende, keine Grenze hier, denn der Horizont ist zur Vermählung des Himmels mit der Erde geworden, die zwischen beiden keine Linie mehr kennt. Du weißt nicht, wo das Unten aufhört und das Oben beginnt, und hast das Gefühl, als ob die über dir glühende Sonne die Erde und dich mit ihr immer auf und stetig aufwärts ziehe. Und wie du Himmel und Erde nicht mehr zu trennen vermagst, so schaust du zu gleicher Zeit nach außen und nach innen. Die Endlosigkeit vor deinem körperlichen Auge ist gleich der unmeßbaren Weite, welche vor deinem geistigen liegt. Dein Leib wird fortgetragen, ohne daß du es fühlst, und deine Seele fliegt. Dein Leib? Du hast keinen Leib mehr; du bist nur Seele, nichts als Seele. Der Leib ist in dieser Grenzenlosigkeit immer leichter und leichter, immer nichtiger und nichtiger geworden, bis er als ein Nichts in der Unendlichkeit dir aus den Gedanken schwand. Aber daß deine Seele besteht, bestehen muß und auch fortbestehen wird, das ist dir zu einer Klarheit geworden, gegen die kein Hauch des Zweifels möglich ist. Du selbst bist ja diese Seele und kannst kein Ende nehmen, wie es hier überhaupt kein Ende gibt! Der Zweifel kann nur auf der Erde wohnen, und du befindest dich ja nicht mehr auf ihr. Du bist jetzt überirdisch und atmest im seligen Reiche der Zuversicht zu dem, der da ist das ewige Leben und dessen Eigentum du bist. Du fühlst es, und du weißt es, daß es von jetzt an keine Macht mehr gibt, der es gelingen kann, dich in der Überzeugung deiner Unsterblichkeit irre zu machen.

Da hörst du Worte; sie klingen wie aus weiter, weiter Ferne zu dir, aber sie rufen dich doch zur Erde zurück. Du bist nicht mehr jenseits, sondern diesseits unserer Grenzen und siehst, daß der Schech el Dschemali (Karawanenführer) es ist, der gesprochen hat. Er deutet vorwärts, und indem du diesem Fingerzeige mit dem Auge folgst, bemerkst du eine Karawane, welche weit draußen in der Wüste vorüberzieht. Ihr Führer trennt sich von ihr und der eurige von euch. Beide reiten einander entgegen, um Frage und Antwort auszutauschen, während beide Karawanen ihres Weges weiterziehen. Du staunst über den Anblick dieser fremden Wanderer; du fragst dich, ob das die Wirklichkeit oder eine Phantasmagorie sei. Die Gestalten sind von zwei horizontalen Linien durchschnitten, zwischen denen sich nichts befindet; unter ihnen siehst du die langen, weiterschreitenden Beine und die halben Leiber der Kamele, während über ihnen die oberen Leibeshälften mit den Reitern in der Luft zu schweben scheinen; der eine Teil des Bildes ist senkrecht; der andere schräg. Die Ursache davon hast du in den von der Erde zurückgeworfenen Sonnenstrahlen zu suchen; das sagt dir das eigentümliche Zittern der zerschnittenen Gestalten. Wer sind sie? Wo kommen sie her, wo gehen sie hin? Der Schech el Dschemali wird es erfahren und euch sagen. Aber wer sie auch sein mögen, sie befinden sich in derselben Wüste und haben ganz dasselbe empfunden und gedacht wie du. Es gibt unter ihnen keinen, der an dem Dasein Gottes und an dem ewigen Leben Zweifel hegt, denn die Seele jedes von ihnen ist da oben gewesen, wo jetzt auch die deine war.

Der Tag vergeht, und um die Zeit des Moghreb wird Halt gemacht. Das Lager wird gebildet und dann das Wasser ausgeteilt. Wie erhebend klingt dann der Ruf:

»Hai‘alas Salah, hai‘alal Felah; Allah akbar; la Ilaha il Allah – — – auf zum Gebete, auf zum Heil; Gott ist sehr groß; es gibt keinen Gott außer Gott!«

Nach dem raschen Hereinbruche der Dunkelheit wird noch das Abendgebet gesprochen; dann hüllt ihr euch in eure Decken; die Beduinen schlafen; du aber hast die Augen offen, denn die Sterne Gottes sind aufgegangen, hier in größerer Pracht und Herrlichkeit als anderswo. Sie ziehen mit magischer Gewalt deinen Blick zu sich hinauf und mit ihm deine Seele mit allen ihren Gedanken.

Du denkst zunächst des heimatlichen Himmels, der andere Bilder hat als dieser südlichere. Das liebe Vaterhaus mit allen, die in ihm wohnen, kommt dir in den Sinn. Dein Herz eilt hin zu ihnen, denen deine Liebe gehört. Du hältst Heimkehr aus der Wüste, aus der fernen Fremde in die Heimat, die dich geboren hat. Aber der Glanz der Sterne zieht dich wieder her, ohne daß du das Gefühl, daheim zu sein, verlierst. Bist du nicht auch hier daheim, an der Seite des himmlischen Vaters, von welchem Jesaias sagt: »Kann denn ein Weib ihres Kindes vergessen, daß sie sich nicht erbarmte des Sohnes ihres Leibes? Und wenn sie es vergäße, so wollte doch ich dich nicht vergessen!« So wird dir selbst die Wüste zum Heim, und auch die Sterne grüßen dich nicht fremd. Es ist, als ob sie liebe, verheißungsvolle Worte herniederflimmerten von den Wohnungen im Hause des Vaters, welche Christus uns bereitet hat. Ist es nicht wunderbar, daß diese Sonnen und Welten, millionenmal größer als unsere winzige Erde, dich nicht erschrecken, sondern vielmehr deinen Glauben und dein Vertrauen stärken? Es drückt dich nicht nieder, daß sie schon Milliarden von Jahren bestanden haben und noch Billionen von Jahren bestehen werden, während dein Leben höchstens siebzig Jahre währt, und wenn es hoch kommt, so sind es achtzig Jahre. Und du tust wohl daran, so zuversichtlich zu sein, denn Christus sagt: »Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen!« Und diese Worte, welche ewig bleiben, sind die Worte von der Liebe, von der Liebe des Vaters, dessen Kinder wir sind für Zeit und Ewigkeit. Bist du ein guter Mensch, so schau hinauf zum Himmel und sag: Hast du nicht jeden einzelnen dieser lichten Sterne lieb? Sag »Nein«, wenn du es vermagst! Höre die Worte, welche einst nach meinem Tode mit meinen andern Gedichten veröffentlicht werden:

Ich fragte zu den Sternen

Wohl auf in stiller Nacht,

Ob dort in jenen Fernen

Die Liebe mein gedacht.

Da kam ein Strahl hernieder,

Helleuchtend, in mein Herz

Und nahm alle meine Lieder

Zu dir, Gott, himmelwärts.


Ich fragte zu den Sternen

Wohl auf in stiller Nacht,

Warum in jene Fernen

Er sie emporgebracht.

Da kam die Antwort nieder:

»Denk nicht an irdschen Ruhm;

Ich lieh dir diese Lieder;

Sie sind mein Eigentum!«


Ich fragte zu den Sternen

Wohl auf in stiller Nacht:

»Gilt denn in jenen Fernen

Auch mir die Himmelspracht?«

Da klang es heilig wieder:

»Du gingst von mir einst aus

Und kehrst wie deine Lieder

Zurück ins Vaterhaus!«

Schau, so fest und sicher ist mein Glaube, so unerschütterlich und freudig mein Vertrauen, daß diese Sterne wohl leichter ihr Licht verlieren, obgleich ihr Dasein nach Jahrmillionen zählt, als daß ich, das noch nicht sechzig kurze Jahre alte Menschenkind, von meiner Zuversicht zum Vater lassen würde, in dessen Haus auch mir ein Platz bereitet ist, wenn ich mich seiner nicht unwürdig mache!

Sieh die Wüste im Glanze dieser Sterne liegen! Geht er nicht vom Vater aus? Oder denkst du, daß er einen andern Urquell habe, den du mit Hilfe deiner sogenannten Wissenschaft erreichen und chemisch begutächteln kannst, um ihn dann in Flaschen mit patentiertem Gummiverschluß per Reklame zum Verkaufe en gros und en detail auszubieten? Ich sage dir, die einzige, untrügliche, also wahre Wissenschaft ist Gottes Allweisheit, und der Glanz, welcher von dieser Weisheit aus über alle Welten strahlt, kann von keines Menschen Sohn auf dem Wege der Wissenschaft bis an seinen Quell zurückverfolgt werden. Wenn Camille Flammarion, der bekannte französische Astronom, mit Hilfe des elektrischen Lichtes mit den Bewohnern des Mars sprechen will, so sind erst Vorfragen zu erledigen, die vielleicht in Jahrtausenden noch nicht beantwortet sind, und selbst wenn ihm dies gelänge, so hätte die Wissenschaft eine Linie nur bis zum nächsten äußern Planeten gezogen, was den unzählbaren Fixsternen und ihren unmeßbaren Entfernungen gegenüber nicht einmal als Anfang bezeichnet werden könnte. Es würde das ungefähr dasselbe sein, wie wenn der kleine, bewegliche Goldfisch in meinem Aquarium auf den Gedanken käme, den fernen Titicacasee einer ichthyographischen Untersuchung zu unterwerfen. Mein Halef nennt die Sterne am liebsten Ujun es Sema, Himmelsaugen, und als ich ihn einmal nach dem Grunde fragte, antwortete er: »Wenn ich in stiller Nacht unter dem glänzenden Firmamente liege, ist es mir, als schaue Allah mit tausend hellen, lieben, gütigen Sternenaugen aus dem Himmel auf mich hernieder, um mir zu sagen, daß ich in seinem Schutze ruhig und sicher schlafen könne. 0 Sihdi, ich habe diese freundlichen Ujun es Sema so herzlich lieb!«

Wenn dann der Mond erscheint und seinen lichten Schein mit ihren Strahlen vermählt, so liegt es wie ein durchsichtiges Meer von flüssigem Silber, dessen Kräuselungen im herrlichsten Perlmutterglanze flimmern, über die Wüste ausgebreitet. Ein so magisches, zauberisches Licht besitzt der Mond nirgend anderswo. In der bewegten Luft schweben seine Strahlen hin und her. Es geht die Fee der Wüste durch die helle Nacht. Der Saum ihres Gewandes streift leise über den Sand; ein Heer von Elfen fliegt umher, die Mondesstrahlen einzufangen, um die Gebieterin mit ihnen zu schmücken. Da werden spinnenfeine Lamettafäden zu glitzernden Shawls verwoben und mit sternleuchtenden Flimmern besetzt; smaragdene Kette und diamantener Einschlag bilden den Schleier, lang nachwehend wie ein schimmernder Duft. Aus brillantenen Szintillen entsteht das Diadem, funkelnd in märchenhafter Pracht. So schwebt sie dahin über lunarisch mild funkelnden Filigran, schöner noch als Scheheresades herrlichster Traum. Die am Tage so öde, todesstarre Wüste ist jetzt ein herrliches, geheimnisvolles Gedicht, von dessen Versen du nur den immer wiederkehrenden Refrain verstehst: »Lobe den Herrn, meine Seele, und alles, was in mir ist, seinen heiligen Namen! Lobet den Herrn, ihr seine Engel, all seine Heerscharen, die ihr gewaltig seid an Kraft; vollziehet seinen Willen, die ihr seine Stimme hört!« Vernimmst du die Lobgesänge dieser Engel? Schließe die Augen, und lausche in dein Herz hinab! Auch dort sind leuchtende Sterne aufgegangen, und das Licht der Gottesnähe breitet sich über die erkenntnishungrige Einsamkeit. Es werden Stimmen laut in dir; beachte sie nur! Sie rufen dich von deinem bisherigen Pfade ab zum Karawanenwege der Gläubigen, der nach dem Lande der Verheißung führt. Deine Seele bricht auf, ihnen zu gehorchen; deinen müden Körper aber nimmt der Schlaf in seine Arme. Allah jebarik sik; Allah jatik nuro; leletak sa‘ide —

Allah segne dich, er spende dir sein Licht; gute Nacht!

– — – — – — – — – — – — – — —

Die Wüste, durch welche wir heut kamen, war ein südöstlicher Ausläufer der arabischen Nefud, weiche selbst von den Eingeborenen sehr gefürchtet ist. Wir hatten Mühe, die Richtung beizubehalten. Sie besteht nämlich aus langgestreckten Sandhügeln, weiche oft parallel, oft divergierend voneinander liegen und durch unregelmäßige Querreihen miteinander verbunden sind. Dadurch entstehen zwischen ihnen tiefer liegende Vierecke, und das Ganze würde, aus der Vogelschau gesehen, jener Art von Back und Webwaren gleichen, welche man Waffeln nennt. Es läßt sich denken, daß es dafür uns ein sehr schwieriges Fortkommen gab, weil keine zusammenhängende, ebene Strecke vorhanden war und wir, um von einem Vierecke nach dem andern zu kommen, die zwischen ihnen liegende Höhe überwinden, also aus der einen Waffel heraus und hinauf und dann jenseits wieder in die andere hinunterreiten mußten. Das ermüdete die Kamele, zumal sie keine guten Kletterer sind, außerordentlich, denn die Abhänge waren oft sehr steil, so daß die Waffeltiefen wahre Abgründe bildeten, weiche um so schwer ergangbar waren, als die Wände aus lockerem Sande bestanden, weicher keinen festen Halt bot und bei jedem Schritte unter den Füßen der Hudschuhn wich.

Es war da sehr leicht, auf unnütze oder gar verderbliche Umwege zu verfallen, aber erstens besaßen wir ja Erfahrung genug, zweitens war der Ben Harb ein wirklich guter Führer, und drittens folgten wir den Spuren der Mekkaner, welche durch die Wahl ihres Weges bewiesen, daß sie diese Gegend ausgezeichnet kannten und ganz gewiß schon öfters durch sie geritten waren. Wenigstens galt dies von demjenigen von ihnen, weicher die Richtung zu bestimmen hatte. Wie wir später erfuhren, war das El Ghani selbst.

Diese Wüste war nicht ganz unbelebt. Es gab zuweilen einen einsamen, manneshohen Strauch, eine Eidechse und Spuren von kleinen Füchsen. Auch die Fährte eines Panthers entdeckten wir, doch gehörte er zur kleinen, weniger seltenen Art.

El Münedschi verhielt sich vollständig still; er bewegte sich kaum einmal und schien in einem immerwährenden Halbschlummer zu liegen. Wir hatten keine Ursache, ihn zu stören.

Es war noch nicht Mittag, als wir, indem wir uns auf einem der beschriebenen Hügelrücken befanden, im Zurückblicken bemerkten, daß es außer uns auch noch andere Menschen in dieser Gegend gab. Wir sahen auf einem der links seitwärts hinter uns liegenden Hügel eine Schar von Kamelreitern erscheinen, weiche sehr gut beritten sein mußten und große Eile verrieten. Ich zählte zweiundzwanzig Mann. Wir ritten unsern Schritt weiter. Sie kamen uns näher, und da sahen wir, daß zwanzig Mann von ihnen Uniformen trugen; sie waren also Soldaten. Türkische Soldaten hier in der arabischen Wüste! Das mußte einen ganz außerordentlichen Grund haben. Der arabische Beduine weist die Botmäßigkeit des großherrlichen Militärs mit aller Energie von sich ab. Auch uns ging die Sache jedenfalls nichts an, und so setzten wir also unsern Ritt ruhig fort.

Nach einiger Zeit holten sie uns ein. Die zwei Nichtmilitärs ritten voran; der eine von ihnen sprach uns an. Er war ein Perser; das sah ich ihm mit dem ersten Blicke an. Seine Kleidung bestand ganz aus Seide, und seine Waffen waren ausgesucht schön und von hohem Werte. Gradezu einzig aber war das Hedschihn, weiches ihn trug. Ein so fehlerlos gebautes, wunderbar gezeichnetes Reitkamel hatte ich noch nicht gesehen. Es war hellgrau gefärbt und fein fliegenschimmelartig dunkelbläulich getüpfelt, eine nicht älter als fünfjährige Stute mit leucotisch hellroten Augen. Und sonderbar, diese Augen schienen von dem hellen Tageslichte nicht im geringsten angegriffen zu werden, und ihr Blick war so treu, so intelligent, wie ich es noch bei keinem einzigen Kamele gesehen hatte. Die Füße waren außerordentlich klein und die Formen, ich möchte fast sagen, weiblich voll und rund. Bei einem Kamele kann natürlich von Schönheit nicht die Rede sein; hier aber möchte ich doch eine Ausnahme machen und behaupten, daß dieses schön gewesen sei. Ich gestehe, daß ich ganz entzückt über dieses Tier war.

Einen ebenso guten Eindruck machte der Reiter auf mich, doch nicht etwa seiner reichen Kleidung und Bewaffnung wegen, denn solche Äußerlichkeiten können mir niemals imponieren. Aber er saß im hohen Sattel aufrecht und stolz wie ein König, welcher gewohnt ist, zu gebieten und sofortigen Gehorsam zu finden. Und dieser Stolz war kein gemachter, sondern ein natürlicher; er kam von innen heraus. Auch war es kein dummer, hohler, kein mit Verachtung gepaarter Stolz, denn sein von einem dunkeln, wohlgepflegten Barte umrahmtes Gesicht trug die Kennzeichen geistiger Tätigkeit, und seine Augen hatten einen mildfreundlichen Blick, der aber erraten ließ, daß ihm das Feuer der Energie oder des Zornes auch nicht fremd sei. Alles in allem machte dieser Mann den Eindruck wirklicher Vornehmheit. Die Soldaten hatten respektvoll einen Zwischenraum zwischen ihm gelassen, und der andere Zivilist, wenn ich dieses Wort hier gebrauchen darf, welcher wohl der Khabir, der Führer der Truppe war, hielt sich jetzt auch seitwärts hinter ihm, ein unwillkürlich gegebenes Zugeständnis, daß dieser Mann der Herr sei und jetzt allein zu sprechen habe.

»Ässälam ‚aleikum!« grüßte er mit persischem Anklange in höflichem Tone, indem er seinen Blick forschend über uns gleiten und dann in bewunderndem Ausdrucke auf unsern Pferden haften ließ.

»Vä‘aleikum ässälam!« antwortete ich ebenso höflich und in demselben persischen Dialekte.

Halef hatte schon den Mund geöffnet, um zu sprechen; ich war ihm aber zuvorgekommen, denn seine vorschnelle Art und Weise war einem solchen Manne gegenüber nicht gut angebracht. Über die Züge des letzteren ging bei meiner Antwort ein freundliches Lächeln, und er fragte:

»Du verstehst und sprichst persisch?«

»Ja«, nickte ich.

»Bist du Perser?«

»Nein, aber ich war wiederholt und längere Zeit in diesem Lande, habe es liebgewonnen und besitze treue Freunde dort.«

»Muhäbbät-i-tu käm nä schäwäd – deine Freundschaft möge nicht abnehmen! Ich bin Khutub Agha, der Basch Nazyr (Oberwächter, Oberaufseher) des Heiligtums von Meschhed Ali. Allah segne und beschütze diese Stätte!«

Auch wenn er mich nun nicht so fragend angesehen hätte, wie er es jetzt tat, hätte die Höflichkeit es mir geboten, ihm meinen Namen auch zu nennen. Ich tat dies also:

»Ich heiße Hadschi Akil Schatir Effendi und bin aus dem fernen Lande des Moghreb gekommen, um die Reiche des Ostens zu sehen und ihre Bewohner kennen zu lernen.«

Das war aber meinem kleinen Halef viel, viel zu bescheiden ausgedrückt. Ich hatte das letzte Wort noch nicht ganz ausgesprochen, so fiel er schnell und außerordentlich eifrig ein:

»Das ist aber nur der Anfang seines Namens; den glorreichen Fortgang und das herrliche Ende desselben pflegt er leider aus falscher Demut zu verschweigen. Er heißt mit seinem vollständigen Namen, der aber trotzdem noch viel, viel länger gemacht werden könnte, Hadschi Akil Schatir el Megarrib Ben Hadschi Alim Schadschi er Rani Ibn Hadschi Dajim Maschhur el Azami Ben Hadschi Taki Abu Fadl el Mukarram Effendi. Seine Geburtsstätte ist das große Wadi Draha, aus welchem nur berühmte Männer kommen, und in seinem Kopfe sind die Seiten, Zeilen und Paragraphen sämtlicher Wissenschaften aufgestapelt. Allah erhalte ihm diese Vorzüge seines Geistes!«

Khutub Agha wartete geduldig und lächelnd, bis dieser lange Riemen abgewickelt worden war, und erkundigte sich dann:

»Und du? Wer bist du, und wer sind die andern?«

»Ich bin Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah, der oberste Scheik der Haddedihn vom großen Stamme der Schammar. Diese Männer sind einige meiner Krieger, welche mit uns nach Mekka pilgern, wo wir die heiligen Stätten sehen und verehren wollen.«

Das bei der Nennung meines Namens etwas ironisch gewordene Lächeln des Persers verlor jetzt diesen Ausdruck.

»Ich habe von den Haddedihn gehört«, sagte er. »Sie sind sehr brave und ruhige Leute, welche die Ehrlichkeit und den Frieden lieben. Sie besitzen einen Freund aus dem Abendlande, weicher Kara Ben Nemsi Effendi heißt und ihr Lehrer in allen nützlichen Künsten des Krieges und des Friedens gewesen ist.«

»Das ist richtig; das ist wahr! Woher weißt du das? Von wem hast du es erfahren?«

»Von einem Manne, der mir mitgeteilt hat, daß auch du ihn kennst, wenn du wirklich Hadschi Halef bist.«

»Ich bin es. Wie heißt dieser Mann?«

»Mirza Dschafar, mein bester Freund.«

Mirza Dschafar! Der bei meiner letzten Reise mit Halef durch Persien eine für uns so bedeutende Rolle gespielt hatte! Der Perser nannte ihn Mirza Dschafar, nicht Dschafar Mirza, gab ihm also nicht den prinzlichen, sondern den gewöhnlichen Titel. Diese vorsichtige Art, diesen Namen zu nennen, gab mir den Beweis, daß er von Dschafar mehr wußte, als er hier sagen konnte. ich war überrascht. Khutub Agha bezeichnete Dschafar als seinen besten Freund, aber die eigentümlichen Verhältnisse des letzteren geboten uns doch, vorsichtig zu sein. Das beste war, gar nicht weiter auf diese Bekanntschaft einzugehen; leider aber war es dem sanguinischen Hadschi Halef gradezu unmöglich, in solchen Fällen, wie der gegenwärtige einer war, die von mir gewünschte Zurückhaltung zu üben. Ich wollte die Fortsetzung des Gespräches selbst übernehmen und ihm winken, zu schweigen; er sah mich aber in seinem Eifer gar nicht an und rief unmittelbar nach der Nennung des Namens, so daß ich gar keine Zeit fand, das Wort zu ergreifen, in froherstauntem Tone aus:

»Mirza Dschafar! Unser persischer Freund! Den kennst du auch? Ja, du nennst ihn ebenso Freund, wie wir ihn nennen?

Schau hin, und sieh den Chandschar (Dolch), welcher dort im Gürtel meines Effendi steckt! Diese Waffe ist ein Geschenk von Mirza Dschafar, welches für ihn und uns einen großen Wert besitzt!«

O wehe! Welch eine Unvorsichtigkeit! Mit diesen Worten verriet Halef, ohne es zu wissen, daß ich gar nicht der Mann war, für den wir mich soeben ausgegeben hatten. Hanneh hustete warnend von ihrem Tachtirwahn herab; er sah zu ihr hinauf, ohne sie zu verstehen. Khutub Agha ließ sein Auge langsam über mich gleiten. Kein Zug seines Gesichtes sagte mir, ob er hinter unser Geheimnis gekommen sei oder nicht; aber er sprach von jetzt an nicht mehr zu Halef, sondern ausschließlich nur zu mir:

»Erlaube, daß ich dich nach dem Wege frage, den ihr bis hierher geritten seid! Den Grund, welcher mich diese Bitte aussprechen läßt, werde ich dir nachher gleich mitteilen.«

»Wir kommen aus der oberen Dschesireh«, antwortete ich, »und sind südwärts von Hit über den Euphrat gegangen.«

»Habt ihr den Nedschef-See berührt?«

»Nein.«

»Also auch nicht den Karawanenweg, welcher von Hilleh und Meschhed Ali nach Mekka führt?«

»Nein. Der hat stets weit links von unserem Pfade gelegen.«

»Wie schade!«

»Warum schade?«

»Wäret ihr diesen Weg geritten, so könntet ihr mir wahrscheinlich Auskunft über eine kleine Karawane geben, nach weicher wir suchen.«

»Suchen? Ihr sucht? Sonderbar!«

»Sonderbar? Warum nennst du unser Suchen so?«

»Weil du nach ihr suchst und mir doch sagst, wo sie zu finden ist, nämlich auf dem Wege von Meschhed Ali nach Mekka.«

»So will ich dir mitteilen, daß diese Karawane allen Grund hat, sich vor uns zu verstecken.«

»Wenn sie sich vor euch verbergen muß, hat sie auch alle Ursache, sich von andern, die sie an euch verraten könnten, nicht sehen zu lassen.«

Er nickte leise vor sich hin, ließ ein befriedigtes Lächeln um seine Lippen spielen, als ob bei ihm ein heimlicher Gedanke Bestätigung gefunden habe, und fuhr dann weiter fort:

»Ich sehe jetzt, daß du wirklich ein außerordentlich kluger Effendi aus dem Moghreb bist, denn du hast in einigen Augenblicken und in ganz wenigen Worten mehr durchdacht und mehr gesagt, als ein anderer Mann nach tagelangem Nachdenken erforschen würde und in einer stundenlangen Rede ausdrücken könnte. ich errate darum deine Gedanken und weiß also, daß du dich wunderst, uns hier an dieser Stelle zu sehen.

»Du irrst. Ein anderer würde sich wundern, daß ihr hier seid, während du doch selbst sagst, daß die von euch Gesuchten den weit von hier liegenden Karawanenweg eingeschlagen haben. Ich aber schließe aus eurem Hiersein darauf, daß diese Leute von dem Karawanenwege abgewichen sind. Ihr werdet, denke ich, die Spuren dieses Abweichens gefunden haben.«

»Effendi, du bist noch scharfsinniger, als ich dachte! Ja, du hast recht. Wir haben entdeckt, daß sie von dem Meschhed-Ali-Wege nach Westen abgewichen sind.«

»Wußten sie sich verfolgt?«

»Nein. Aber sie mußten sich allerdings sagen, daß man ihnen sofort nachjagen werde, falls ihre Tat zur Entdeckung käme.«

»Darf ich fragen, was für eine Tat es ist?«

»Dir sage ich es. Man hat das Heiligtum von Meschhed Ali bestohlen. Kannst du das glauben?«

»Warum nicht? Ich kenne Menschen, welche noch viel Schlimmeres getan haben.«

»Etwas Schlimmeres gibt es nicht! Wer das Heiligtum bestiehlt, der bestiehlt Allah!«

»Ein Faulenzer, ein Tagedieb bestiehlt Allah auch, denn die Tage des Lebens gehören nicht ihm, sondern Gott, und ein Lebenstag ist wenigstens ebenso wichtig wie irgend ein Gegenstand in den heiligen Mauern von Meschhed Ali oder Kerbelah.«

»Ich kann darüber nicht mit dir streiten, denn als ein Mann aus Fran— – — » er hielt einen Augenblick inne und verbesserte sich dann, indem er fortfuhr, »als ein Mann aus dem fernen Moghreb mußt du anderer Meinung sein als ich. Wir entdeckten vier Tage, nachdem die Diebe fort waren, den Raub, und ich als Hüter und Bewahrer der Schätze des Heiligtumes bin ihnen ohne Verweilen nach, um sie zu ergreifen und zu bestrafen.«

»Fran – — —« hatte er gesagt; sollte das Frankistan, das Land der Franken, der Christen heißen? Wenn dies der Fall war, so hatte Halefs Unvorsichtigkeit es allerdings verraten, daß ich Kara Ben Nemsi, nicht aber ein Mann aus dem Wadi Draha war. Nun kam es darauf an, klug zu sein und die Folgen dieser Entdeckung zu verhüten.

Am Jenseits

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