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Zweites Kapitel. Die Tramps

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»Die Vereinigten Staaten von Nordamerika sind trotz oder vielmehr infolge ihrer freisinnigen Institutionen der Herd ganz eigenartiger sozialer Landplagen, welche in einem europäischen Staate vollständig unmöglich sein würden.«

Der Kenner der dortigen Zustände wird zugeben, daß diese Behauptung eines neueren Geographen ihre guten Gründe habe. Man könnte die Plagen, von denen er spricht, in chronische und akute einteilen. In ersterer Beziehung wären vor allen Dingen die händelsuchenden Loafers und Rowdies, und sodann die sogenannten Runners, welche es vorzugsweise auf die Einwanderer abgesehen haben, zu nennen. Das Runner-, Loafer- und Rowdytum ist stabil geworden und wird, wie es allen Anschein hat, noch verschiedene Jahrzehnte überdauern. Anders ist es bei der zweiten Art der Plagen, welche sich schneller entwickeln und von kürzerer Dauer sind. Dahin gehörten die rechtlosen Zustände des fernen Westens, infolge deren sich förmliche Räuber- und Mörderbanden bildeten, welche Master Lynch nur durch das energischeste Vorgehen zu vernichten vermochte. Ferner wären hier die Kukluxes zu erwähnen, welche während des Bürgerkrieges und auch noch nach demselben ihr Wesen trieben. Zur schlimmsten und gefährlichsten Landplage aber entwickelten sich die Tramps als Vertreter des rohesten und brutalsten Vagabundentums.

Als zu einer gewissen Zeit ein schwerer Druck auf Handel und Wandel lag, Tausende von Fabriken stillstanden und Zehntausende von Arbeitern beschäftigungslos wurden, begaben sich die Arbeitslosen auf die Wanderung, welche vorzugsweise in westlicher Richtung erfolgte. Die am und jenseits des Mississippi liegenden Staaten wurden von ihnen förmlich überschwemmt. Dort trat bald ein Scheideprozeß ein, indem die Ehrlichen unter ihnen Arbeit nahmen, wo sie dieselbe fanden, selbst wenn die Beschäftigung nur eine wenig lohnende und dabei anstrengende war. Sie traten meist auf Farmen an, um bei der Ernte zu helfen, und wurden deshalb gewöhnlich Harvesters, Erntearbeiter genannt.

Die arbeitsscheuen Elemente aber vereinigten sich zu Banden, welche von Raub, Mord und Brand ihr Leben fristeten. Die Mitglieder derselben sanken schnell auf die tiefste Stufe sittlicher Verkommenheit herab und wurden von Männern angeführt, welche die Zivilisation meiden mußten, weil die Faust des Strafgesetzes sich verlangend nach ihnen ausstreckte.

Diese Tramps erschienen gewöhnlich in größeren Haufen, zuweilen bis dreihundert Köpfe stark und darüber. Sie überfielen nicht bloß einzelne Farmen, sondern selbst kleinere Städte, um sie vollständig auszurauben. Sie bemächtigten sich sogar der Eisenbahnen, überwältigten die Beamten und bedienten sich der Züge, um schnell in ein andres Gebiet zu gelangen und dort dieselben Verbrechen zu wiederholen. Dieses Unwesen nahm so überhand, daß in einigen Staaten die Gouverneurs gezwungen waren, die Miliz einzuberufen, um den Strolchen förmliche Schlachten zu liefern. Für solche Tramps hatten der Kapitän und der Steuermann des »Dogfish«, wie bereits erwähnt, den Cornel Brinkley und seine Leute gehalten. Diese Vermutung konnte, selbst wenn sie richtig war, keinen Grund zu direkten Befürchtungen bieten. Die Gesellschaft war nur ungefähr zwanzig Mann stark und also viel zu schwach, um mit den übrigen Passagieren und der Schiffsbesatzung anzubinden, doch konnten Vorsicht und Aufmerksamkeit keineswegs als überflüssig gelten.

Der Cornel hatte seine Aufmerksamkeit natürlich auch auf die wunderliche Gestalt gerichtet, welche sich dem Schiffe auf so zerbrechlichem Flosse näherte und, nur so wie beiläufig, das mächtige Raubtier erlegte. Er hatte gelacht, als Tom den sonderbaren Namen Tante Droll aussprach. Aber jetzt, als der Fremde das Verdeck betrat und er das Gesicht desselben deutlicher erkennen konnte, zogen sich seine Brauen zusammen, und er wies seine Leute an, mit ihm zu kommen. Er führte sie nach der Spitze des Vorderdecks und antwortete, als man ihn nach dem Grunde dieses Rückzuges fragte: »Dieser Kerl ist gar nicht so lächerlich, wie er erscheinen will; ich sage euch sogar, daß wir uns vor ihm in acht zu nehmen haben.«

»Warum? Kennst du ihn? Ist er eine Frau oder ein Mann?« antwortete einer.

»Natürlich ein Mann.«

»Warum dann diese Maskerade?«

»Es ist keine Maskerade. Dieser Mensch ist in Wirklichkeit ein Original, dabei aber einer der gefährlichsten Polizeispione, die es geben kann.«

»Pshaw! Tante Droll und Polizeispion! Der Mann soll alles sein, was dir beliebt, ich will es glauben, aber nur Detektive nicht!«

»Und doch ist er es. Ich habe von Tante Droll gehört; sie soll ein halbverrückter Fallensteller sein, der mit allen Indianerstämmen seiner Lustigkeit wegen auf bestem Fuße steht. Nun ich sie aber jetzt gesehen habe, kenne ich sie besser. Dieser dicke Mensch ist ein Detektive, wie er im Buche steht. Ich bin ihm droben in Fort Sully am Missouri begegnet, wo er einen Kameraden mitten aus unsrer Gesellschaft holte und an den Strick lieferte, er allein, und wir waren über vierzig Mann!«

»Das ist unmöglich. Ihr konntet ihm doch wenigstens vierzig Löcher in den Leib stechen!«

»Nein, das konnten wir nicht. Er arbeitet mehr mit Verschlagenheit als mit Gewalt. Seht euch nur einmal seine kleinen, listigen Maulwurfsäuglein an! Denen entgeht keine Ameise im dicksten Grase. Er macht sich mit der größten, unwiderstehlichsten Freundlichkeit an sein Opfer und klappt die Falle zu, bevor es möglich ist, an eine Überrumpelung auch nur zu denken.«

»Kennt er denn dich?«

»Das halte ich für unmöglich. Er hat mich damals nicht beachten können; es ist eine lange Zeit her, und ich habe mich inzwischen sehr verändert. Dennoch bin ich der Meinung, daß es geraten ist, uns still und unbefangen zu verhalten, daß wir seine Aufmerksamkeit nicht erregen. Ich denke, daß wir hier einen guten Streich ausführen können, und möchte nicht haben, das er uns dabei im Wege steht. Old Firehand ist nebst Old Shatterhand der berühmteste Jäger des Westens. Der schwarze Tom hat sich auch als ein Mann gezeigt, mit dem man rechnen muß, aber weit gefährlicher noch als diese beiden ist Tante Droll. Nehmt euch vor ihr in acht, und thut lieber so, als ob ihr sie gar nicht bemerkt.«

So gefährlich, wie Droll von dem Cornel geschildert wurde, sah er freilich nicht aus, vielmehr mußten sich die Anwesenden alle Mühe geben, bei seinem Erscheinen nicht in ein verletzendes Gelächter auszubrechen. Nun, da er auf dem Decke stand, ließ sich erkennen und sagen, welcher Art seine Kleidung war.

Seine Kopfbedeckung war weder Hut noch Mütze noch Haube, und doch konnte man sie mit jedem dieser Worte bezeichnen. Sie bestand aus fünf verschieden geformten Lederstücken. Das mittlere, welches auf dem Kopfe saß, hatte die Gestalt eines umgestülpten Napfes; das vordere beschattete die Stirn, und sollte jedenfalls eine Art von Schirm oder Krempe sein; das vierte und fünfte waren breite Klappen, welche die Ohren bedeckten. Der Rock war sehr lang und außerordentlich weit. Er war aus lauter ledernen Flicken und Flecken zusammengesetzt, einer immer auf und über den andern genäht. Keiner dieser Flecken trug das gleiche Alter; man sah ihnen vielmehr an, daß sie so nach und nach, zu den verschiedensten Zeiten, vereinigt worden waren. Vorn waren die Ränder dieses Rockes mit kurzen Riemen versehen, welche zusammengebunden waren, auf welche Weise die mangelnden Knöpfe ersetzt wurden. Da die große Länge und Weite dieses außerordentlichen Kleidungsstückes das Gehen erschwerte, hatte der Mann dasselbe hinten vom unteren Saume an bis an den Leib aufgeschnitten und die beiden Hälften sich in der Weise um die Beine gebunden, daß sie eine Pumphose bildeten, welche den Bewegungen der Tante Droll ein geradezu lächerliches Aussehen erteilte. Diese improvisierten Hosenbeine reichten bis auf den Knöchel herab. Zwei Lederschuhe bildeten die Vervollständigung nach unten hin. Die Ärmel dieses Rockes waren auch ungewöhnlich weit und dem Manne viel zu lang. Er hatte sie vorn zugenäht und weiter nach hinten zwei Löcher angebracht, aus denen er die Hände streckte. In dieser Weise bildeten die Ärmel nun zwei herabhängende Ledertaschen, in denen allerhand untergebracht werden konnte.

Die Figur des Mannes bekam durch dieses Kleidungsstück das Aussehen der Unförmlichkeit, und die Lachlust geradezu herausfordernd wirkte dazu das volle, rotwangige, ungemein freundliche Gesicht, dessen Äuglein nicht eine Sekunde lang stillstehen zu können schienen, sondern fortgesetzt in Bewegung waren, damit ihnen ja nichts entgehen möge.

Dergleichen Erscheinungen sind im Westen gar nicht etwa selten. Wer sich jahrelang in der Wildnis aufhält, hat weder Zeit noch Gelegenheit noch auch Geld, seine abgerissenen Kleidungsstücke anders als durch das zu ersetzen, was ihm durch das abgeschiedene Leben an die Hand gegeben wird, und man trifft da häufig auf berühmte Leute, deren Anzug ein solcher ist, daß anderwärts die Kinder schreiend und lachend hinterherlaufen würden. In der Hand hatte der Mann ein doppelläufiges Gewehr, welches jedenfalls ein sehr ehrwürdiges Alter besaß. Ob er außerdem noch Waffen bei sich habe, das konnte man nur vermuten, nicht aber sehen, da der Rock die Gestalt wie ein zugebundener Sack umschloß, in dessen Inneren allerdings gar mancher Gegenstand verborgen sein konnte.

Der Knabe, welcher sich in der Gesellschaft dieses Originals befand, konnte vielleicht sechzehn Jahre zählen. Er war blond, starkknochig und schaute sehr ernst, ja trotzig drein, wie einer, welcher seinen Weg schon selbst zu gehen weiß. Sein Anzug bestand aus Hut, Jagdhemd, Hose, Strümpfen und Schuhen, alles aus Leder gefertigt. Außer der Flinte war er noch mit einem Messer und einem Revolver bewaffnet.

Als Tante Droll das Deck betrat, streckte sie dem schwarzen Tom die Hand entgegen und rief mit ihrer hohen, dünnen Fistelstimme: »Welcome, alter Tom! Welch eine Überraschung! Eine wirkliche Ewigkeit, daß wir uns nicht gesehen haben. Woher des Weges und wohin?«

Sie schüttelten sich die Hände in der herzlichsten Weise, wobei Tom antwortete: »Vom Mississippi herauf. Will ins Kansas hinein, wo ich meine Rafters in den Wäldern habe.«

»Well, so ist alles richtig. Wir haben ganz dieselbe Route. Will auch dorthin und gar noch weiter. Können also noch einige Zeit beisammen sein. Doch vor allen Dingen die Passage, Sir. Was haben wir zu zahlen, nämlich ich und dieser kleine Mann, wenn‘s nötig ist?«

Diese Frage war an den Kapitän gerichtet.

»Es fragt sich, wie weit ihr mitfahrt und welchen Platz ihr wollt,« antwortete dieser.

»Platz? Tante Droll fährt stets auf dem ersten, also Kajüte, Sir. Und wie weit? Sagen wir einstweilen Fort Gibson. Können das Lasso ja zu jeder Zeit länger machen. Nehmt Ihr Nuggets?«

»Ja, ganz gern.«

»Aber wie steht‘s da mit der Goldwage? Seid Ihr ehrlich?«

Diese Frage kam so drollig heraus, und die beiden Äuglein zwinkerten dabei so eigenartig, daß sie gar nicht übelgenommen werden konnte. Dennoch gab der Kapitän sich den Anschein, als ob er sich ärgere, und antwortete: »Fragt ja nicht noch einmal, sonst werfe ich Euch auf der Stelle über Bord!«

»Oho! Meint Ihr, daß Tante Droll so leicht ins Wasser zu bringen sei? Da irrt Ihr Euch gewaltig. Versucht‘s einmal!«

»Na,« wehrte der Kapitän ab, »gegen Damen muß man höflich sein, und da Ihr eine Tante seid, so gehört Ihr ja zum schönen Geschlechte. Ich will also Eure Frage nicht so scharf nehmen. Übrigens hat es mit dem Zahlen keine große Eile. Wendet Euch gelegentlich an den Offizier!«

»Nein, ich borge nicht, keine Minute lang; das ist so mein Prinzip, wenn‘s nötig ist.«

»Well! So kommt also mit zur Office.«

Die beiden entfernten sich und die andern tauschten gegenseitig ihre Ansichten über den sonderbaren Menschen aus. Der Kapitän kehrte schneller zurück als Droll. Er sagte in erstauntem Tone: »Mesch‘schurs, die Nuggets hättet ihr sehen sollen, die Nuggets! Er fuhr mit der einen Hand in seinen Ärmel zurück, und als er sie dann wieder aus dem Loche streckte, hatte er sie voller Goldkörner, erbsengroß, haselnußgroß und sogar noch größer. Dieser Mann muß eine Bonanza entdeckt und ausgenommen haben. Ich wette, er ist viel, viel reicher, als er aussieht.«

Droll bezahlte indessen in der Office das Passagegeld und sah sich dann in der Nähe um. Er erblickte zunächst die Leute des Cornels. Da er nicht derjenige war, der sich auf einem Schiffe befand, ohne zu erfahren, welche Mitpassagiere er habe, so schlenderte er langsam nach dem Vorderdecke zu und sah sich die Männer an. Sein Auge ruhte für einige Augenblicke auf dem Cornel, dann fragte er ihn: »Verzeihung, Sir, haben wir uns nicht schon einmal gesehen?«

»Nicht daß ich wüßte,« antwortete der Gefragte.

»O, mir ist genau so, als ob wir uns schon begegnet seien. Wart Ihr vielleicht schon einmal oben am Missouri?«

»Nein.«

»Auch nicht in Fort Sully?«

»Kenne es gar nicht.«

»Hm! Darf ich vielleicht Euren Namen erfahren?«

»Warum? Wozu?«

»Weil Ihr mir gefallt, Sir. Und sobald ich mein Wohlgefallen an einem Menschen habe, so läßt es mir nicht eher Ruhe, als bis ich erfahre, wie er heißt.«

»Was das betrifft, so gefallt Ihr mir auch,« antwortete der Cornel in scharfem Tone; »trotzdem aber möchte ich nicht so unhöflich sein, Euch nach Eurem Namen zu fragen.«

»Warum? Ich halte das für keine Unhöflichkeit und würde Eure Frage sofort beantworten. Ich habe keine Veranlassung, meinen Namen zu verschweigen. Nur derjenige, der keine ganz ehrlichen Gründe hat, verschweigt es, wie er heißt.«

»Das soll wohl eine Beleidigung sein, Sir?«

»Fällt mir gar nicht ein! Ich beleidige niemals ein Menschenkind, wenn‘s nötig ist. Adieu, Sir, und behaltet Euren Namen für Euch! Ich mag ihn nicht haben.«

Er drehte sich um und ging von dannen.

»Mir das!« knirschte der Rote. »Und ich muß es so hinnehmen!«

»Warum leidest du es?« lachte einer seiner Leute. »Ich hätte diesem Ledersacke mit der Faust geantwortet.«

»Und den kürzern gezogen!«

»Pshaw! Diese Kröte sah nicht nach großer Körperstärke aus.«

»Aber ein Mann, der einen schwarzen Panther bis auf den Handgriff herankommen läßt und ihm dann so kaltblütig die Ladung gibt, als ob er ein Prairiehuhn vor sich habe, der ist nicht zu mißachten. Übrigens handelt es sich nicht um ihn allein. Ich würde sofort noch andre gegen mich haben, und wir müssen alles Aufsehen vermeiden.«

Droll war wieder nach hinten gegangen und stieß unterwegs auf die beiden Indianer, welche sich auf einen Tabakballen gesetzt hatten. Als sie ihn erblickten, erhoben sie sich wie Leute, welche erwarten, angeredet zu werden. Droll hemmte seinen Schritt, als er sie sah, ging dann eilig auf sie zu und rief aus: »Mira, el oso viejo y el oso mozo — siehe da, der alte Bär und der junge Bär!«

Das war spanisch. Er mußte also wissen, daß die beiden Roten das Englisch nicht gut, das Spanisch aber geläufiger sprachen und verstanden.

»Que sorpresa, la tia Droll — welche Überraschung, die Tante Droll,« antwortete der alte Indsman, obgleich er ihn schon gesehen hatte, als er noch auf dem Floße saß.

»Was thut ihr hier im Osten und auf diesem Schiffe?« fragte Droll, indem er beiden die Hand reichte.

»Wir waren mit mehreren roten Brüdern in New Orleans, um Sachen einzukaufen, und befinden uns auf dem Heimwege, während die andern die Sachen nachbringen. Es sind viele Monde vergangen, seit wir das Angesicht der Tante Droll nicht gesehen haben.«

»Ja, der junge Bär ist indessen doppelt so groß und lang geworden, als er damals war. Leben meine roten Brüder mit ihren Nachbarn in Frieden?«

»Sie haben ihre Kriegsbeile in die Erde gelegt und wünschen nicht, sie ausgraben zu müssen.«

»Wann werdet ihr zu den Eurigen kommen?«

»Das wissen wir nicht. Wir glaubten, einen halben Mond zuzubringen, nun aber wird es länger währen.«

»Nun aber? Was haben diese beiden Worte zu bedeuten?«

»Daß der alte Bär nicht eher heimkehren kann, bis er sein Messer in das Blut des Beleidigers getaucht hat.«

»Wer ist das?«

»Der weiße Hund dort mit dem roten Haar. Er hat den alten Bär mit der Hand in das Gesicht geschlagen.«

»Alle Teufel! Ist dieser Kerl bei Sinnen gewesen! Er muß doch wissen, was es heißt, einen Indianer mit der Hand zu schlagen, zumal den alten Bären.«

»Er scheint nicht zu wissen, daß ich dieser bin. Ich habe meinen Namen in der Sprache meines Volkes gesagt und bitte meinen weißen Bruder, ihm denselben nicht ins Englische zu übersetzen.«

»Wenn ich ihm jemals etwas übersetze, so wird es jedenfalls etwas andres sein, als der Name meines Bruders. Jetzt will ich fort, zu den andern, welche gern mit mir reden wollen; ich werde noch oft zu euch kommen, um eure Stimmen zu vernehmen.«

Er setzte den unterbrochenen Gang nach hinten fort. Dort war jetzt der Vater des geretteten Mädchens aus der Kajüte angekommen, um zu melden, daß seine Tochter aus ihrer Ohnmacht erwacht sei, sich verhältnismäßig wohl fühle und nun nur der Ruhe bedürfe, um sich vollständig zu erholen. Dann eilte er zu den Indianern, um dem mutigen Knaben Dank für die verwegene That zu sagen. Droll hatte seine Worte gehört und erkundigte sich nach dem, was geschehen war. Als Tom es ihm erzählt hatte, sagte er: »Ja, das traue ich diesem Knaben zu, er ist kein Kind mehr, sondern ein voller, ganzer Mann.«

»Kennt Ihr ihn und seinen Vater? Wir sahen, daß Ihr mit ihnen gesprochen.«

»Ich bin ihnen einigemal begegnet.«

»Begegnet? Er nannte sich ein Tonkawa, und dieser fast ausgestorbene Stamm befindet sich nie auf Wanderung, sondern ist auf seinen elenden Reservationen im Thale des Rio Grande seßhaft.«

»Der große Bär ist nicht seßhaft geworden, sondern den Gewohnheiten seiner Vorfahren treu geblieben. Er streift umher, gerade wie der Apachenhäuptling Winnetou. Es steht zwar zu erwarten, daß er einen bestimmten Ort hat, an welchem er von seinen Strapazen ausruht, aber er hält ihn geheim. Er spricht zuweilen von »den Seinigen«, und so oft ich ihm begegne, erkundige ich mich, ob es denselben wohlgehe; aber wer, was und wo sie sind, das habe ich nicht erfahren können. Er wollte auch jetzt zu ihnen, sieht sich aber durch die Rache aufgehalten, welche er gegen den Cornel hat.«

»Sprach er davon?«

»Ja. Er will nicht eher ruhen, als bis sie vollzogen ist. Der Cornel ist also in meinen Augen ein verlorener Mann.«

»Das habe ich auch gesagt,« meinte Old Firehand. »Wie ich die Indianer kenne, ließ er sich den Hieb nicht aus Feigheit gefallen.«

»So?« fragte Droll, indem er den Riesen musternd anblickte. »Ihr habt die Indsmen auch kennen gelernt, wenn‘s nötig ist? Ihr seht mir aber gar nicht danach aus, obgleich Ihr ein wirklicher Goliath zu sein scheint. Ich denke, Ihr paßt viel besser in den Salon als in die Prairie.«

»O weh, Tante!« lachte Tom. »Da habt Ihr einen gewaltigen Pudel geschossen. Ratet einmal, wer dieser Sir ist!«

»Fällt mir gar nicht ein. Vielleicht seid Ihr so gut, es mir lieber gleich zu sagen.«

»Nein, so leicht werde ich es Euch doch nicht machen. Ihr sollt dabei Euren Kopf wenigstens einigermaßen anstrengen. Dieser Herr gehört nämlich zu unsern berühmtesten Westmännern.«

»So. Nicht zu den berühmten, sondern den berühmtesten?«

»Ja.«

»Von dieser Sorte gibt es nach meiner Ansicht nur zwei, denn kein dritter verdient es so wie sie, daß man den Superlativ auf sie anwendet.«

Er machte eine Pause, kniff das eine Auge zusammen, zwinkerte Old Firehand mit dem andern an, ließ ein kurzes Lachen hören, welches wie ein auf der Klarinette geblasenes »Hihihihi« klang, und fuhr dann fort: »Diese beiden sind nämlich Old Shatterhand und Old Firehand. Da ich den ersteren kenne, wenn‘s nötig ist, so könnte dieser Sir kein andrer als Old Firehand sein. Ist‘s erraten?«

»Ja, ich bin es,« nickte der Genannte.

»Egad?« fragte Droll, indem er zwei Schritte zurücktrat, und ihn nochmals mit dem einen offenen Auge betrachtete. »Ihr seid wirklich dieser Mann, vor welchem jeder Halunke zittert. Die Gestalt habt Ihr ganz so, wie er beschrieben wird, aber — — vielleicht macht Ihr doch nur Spaß!«

»Nun, ist das auch Spaß?« fragte Old Firehand, indem er mit der Rechten Droll am Kragen seines Rockes packte, ihn emporhob, dreimal rund um sich schwenkte und dann auf eine nahestehende Kiste stellte.

Das Gesicht des also Gemaßregelten war dunkelrot geworden. Er schnappte nach Atem und rief dabei in einzelnen kurz abgerissenen Sätzen: »Zounds, Sir, haltet Ihr mich für einen Perpendikel oder einen Zentrifugalregulator! Bin ich dazu erschaffen worden, im Kreise um Euch durch die Luft zu tanzen! Ein wahres Glück, daß mein Sleeping-gown von starkem Leder ist, sonst wäre er zerrissen und Ihr hättet mich in den Fluß geschleudert! Aber die Probe war gut, Sir; ich sehe, daß Ihr wirklich Old Firehand seid. Ich muß es schon aus dem Grunde glauben, weil Ihr sonst im Stande seid, diesen Gentlemen den Umlauf des Mondes um die Erde noch einmal mit mir zu demonstrieren. Habe oft, wenn von Euch die Rede war, gedacht, wie sehr ich mich freuen würde, wenn ich Euch einmal zu sehen bekäme. Ich bin nur ein einfacher Trapper, weiß aber sehr genau, was ein Mann Eures Schlages zu bedeuten hat. Hier ist meine Hand, und wenn Ihr mich nicht tief betrüben wollt, so weist sie nicht zurück!«

»Zurückweisen? Das wäre die reine Sünde. Ich gebe jedem braven Manne gern die Hand, um wie viel mehr also einem, der sich bei uns in so ausgezeichneter Weise eingeführt hat.«

»Eingeführt? Wieso?«

»Indem Ihr den Panther erschossen habt.«

»Ach so. Das war keine That, über welche man viele Worte macht. Dem Tiere war nicht allzu wohl im Wasser, es hat mir gar nichts thun, sondern sich nur auf mein Floß retten wollen. Bin da leider nicht sehr gastfreundlich gewesen.«

»Das war klug von Euch, denn der Panther hatte es in Wahrheit auf Euch abgesehen. Vor dem Wasser fürchtet er sich nicht, er ist ein ausgezeichneter Schwimmer und hätte das Ufer ohne alle Anstrengung erreichen können. Welch ein Unglück, wenn ihm das gelungen wäre. Indem Ihr Ihn tötetet, habt Ihr jedenfalls vielen Menschen das Leben gerettet. Ich schüttle Euch die Hand und wünsche, daß wir uns näher kennen lernen.«

»Ganz auch mein Wunsch, Sir. Aber nun schlage ich vor, auf diese Bekanntschaft einen Trunk zu thun. Ich bin nicht auf diesen Steamer gekommen, um zu verdursten. Gehen wir also in den Salon.«

Man folgte dieser Aufforderung. Tom mußte, um sich anschließen zu können, für die Kajüte nachzahlen, was er aber sehr gern that.

Als die Gentlemen vom Deck verschwunden waren, kam der Neger, welcher den Panther nicht mit hatte ansehen dürfen, aus dem Maschinenraume. Er war dort von einem andern Arbeiter abgelöst worden und suchte sich nun ein schattiges Plätzchen für den Mittagsschlaf. Langsam und verdrossen nach vorn schlendernd, zeigte er ein Gesicht, welchem deutlich anzusehen war, daß er sich in keiner guten Stimmung befand. Das sah der Cornel; er rief ihn an und winkte näher zu kommen.

»Was soll‘s sein, Sir?« fragte der Schwarze, als er herangekommen war. »Habt Ihr einen Auftrag, so wendet Euch an den Steward. Ich bin nicht für die Passagiere da.«

Er sprach sein Englisch wie ein Weißer.

»Das kann ich mir denken,« antwortete der Cornel. »Ich wollte Euch nur fragen, ob es Euch beliebt, ein Glas Brandy mit uns zu trinken.«

»Wenn‘s das ist, so bin ich Euer Mann. Im Feuerraume unten trocknet die Gurgel und die Leber aus. Aber ich sehe ja keinen einzigen Schluck hier!«

»Hier habt Ihr einen Dollar; holt, was Euch beliebt, dort am Board, und setzt Euch mit zu uns!«

Der Ausdruck der Verdrossenheit verschwand sofort vom Gesichte des Negers, auch war er jetzt viel beweglicher als vorher. Er brachte zwei volle Flaschen nebst einigen Gläsern und setzte sich dann neben den Cornel, welcher bereitwillig zur Seite rückte. Als das erste Glas über seine Zunge gelaufen war, goß er sich noch ein zweites voll, leerte es und fragte darauf: »Das ist eine Erquickung, Sir, die unser einer sich nicht oft gewähren kann. Aber wie kommt Ihr, auf den Gedanken, mich einzuladen. Ihr Weißen seid doch sonst nicht so zuvorkommend gegen uns Schwarze.«

»Bei mir und meinen Freunden ist ein Neger ebensoviel wert, wie ein Weißer. Ich habe bemerkt, daß Ihr beim Kessel angestellt seid. Das ist eine schwere und durstige Arbeit, und da ich mir denke, daß der Kapitän Euch nicht mit Hundertdollarnoten bezahlen wird, so sagte ich mir, daß Euch ein guter Schluck so gerade recht sein würde.«

»Da habt Ihr einen vortrefflichen Gedanken gehabt. Der Kapitän zahlt freilich schlecht; man kann es zu keinem rechten Trunke bringen, zumal er keinen Vorschuß gibt, wenigstens mir nicht, sondern erst am Schlusse der Fahrt in den Beutel greift — damn!«

»So hat er es wohl auf Euch abgesehen?«

»Ja, gerade auf mich.«

»Warum?«

»Er sagt, mein Durst sei zu groß; den andern zahlt er täglich, mir aber nicht. Da ist‘s dann kein Wunder, wenn der Durst größer und immer größer wird.«

»Nun, es soll ganz auf Euch ankommen, ob Ihr ihn heute werdet stillen können oder nicht.«

»Wieso?«

»Ich bin bereit, Euch einige Dollar zu geben, wenn Ihr mir dafür einen Gefallen thut.«

»Einige Dollar? Huzza! Dafür bekäme ich so mehrere Flaschen voll! Nur heraus mit Eurem Wunsche, Sir. Den Gefallen werde ich Euch gut und gern erweisen.«

»Die Sache ist nicht so leicht. Ich weiß nicht, ob Ihr der richtige Mann sein werdet.«

»Ich? Wenn‘s gilt, einen Brandy zu verdienen, so bin ich stets der richtige Mann.«

»Möglich. Aber es muß schlau angefangen werden.«

»Schlau? Es ist doch nicht etwa etwas, was meinem Rücken Schaden bringen kann? Der Kapitän duldet keine Unregelmäßigkeit.«

»Keine Sorge; es ist nichts derartiges. Ihr sollt nur ein wenig lauschen, ein wenig horchen.«

»Wo? Bei wem?«

»In dem Salon.«

»So? Hm?« brummte er nachdenklich. »Warum denn, Sir?«

»Weil — nun, ich will aufrichtig mit Euch sein.« — Er schob dem Neger ein volles Glas hin und fuhr in vertraulichem Tone fort: »Da ist ein großer, riesenhaft gebauter Sir, den sie Old Firehand nennen, ferner ein dunkelbärtiger Kerl, welcher Tom heißt, und endlich eine Fastnachtsmaske in einem langen Lederrocke, welche auf den Namen Tante Droll hört. Dieser Old Firehand ist ein reicher Farmer, und die beiden andern sind seine Gäste, welche er mit zu sich nimmt. Zufälligerweise wollen auch wir nach dieser Farm, um dort Arbeit zu nehmen. Es versteht sich da ganz von selbst, daß es da eine gute Gelegenheit gibt, zu erfahren, was für Leute die sind, mit denen wir es zu thun haben werden. Ich denke, sie werden von ihren Angelegenheiten sprechen, und wenn Ihr die Ohren offen haltet, kann es Euch gar nicht schwer fallen, uns zufrieden zu stellen. Ihr seht und hört, daß ich gar nichts Unrechtes und Verbotenes von Euch verlange.«

»Ganz richtig, Sir! Kein Mensch hat mir verboten, zuzuhören, wenn andre hier sprechen. Die nächsten sechs Stunden gehören mir; ich bin arbeitsfrei und kann thun, was mir beliebt.«

»Aber wie wollt Ihr es anfangen?«

»Das ist eine Frage, über welche ich soeben nachdenke.«

»Dürft Ihr in den Salon?«

»Untersagt ist es mir gerade nicht; aber ich habe nichts darin zu suchen.«

»So macht Ihr Euch einen Vorwand!«

»Aber welchen? Ich könnte etwas hineintragen, etwas herausholen. Das ist aber in so kurzer Zeit geschehen, daß ich meinen Zweck dabei nicht zu erreichen vermag.«

»Gibt es denn nicht irgend eine Arbeit, mit welcher Ihr Euch länger darin beschäftigen müßt?«

»Nein — — oder doch! Da fällt mir etwas ein. Die Fenster sind schmutzig; ich könnte sie putzen.«

»Wird das nicht auffallen?«

»Nein. Da der Salon stets besetzt ist, so kann diese Arbeit nicht zu einer Zeit vorgenommen werden, in welcher niemand da ist.«

»Aber Ihr seid es nicht, der sie zu verrichten hat.«

»Das schadet nichts. Sie ist eigentlich des Stewards Sache; diesem aber thue ich den größten Gefallen, wenn ich sie ihm abnehme.«

»Aber er kann Verdacht fassen.«

»Nein. Er weiß, daß ich kein Geld habe und doch gern einen Brandy trinke. Ich sage, daß ich Durst habe, und an seiner Stelle für ein Glas die Fenster putzen will. Da wird er kein Mißtrauen fassen. Ihr braucht keine Sorge zu haben, Sir, ich werde es gewiß ermöglichen. Also wie viele Dollar versprecht Ihr mir?«

»Ich zahle nach dem Werte der Nachricht, welche Ihr mir bringt, zum wenigsten aber drei Stück.«

»All right; es wird gemacht. Schenkt mir noch einmal ein, dann will ich gehen.«

Als er sich entfernt hatte, wurde der Cornel gefragt, was er eigentlich mit dem erteilten Auftrage bezwecke. Er antwortete: »Wir sind arme Tramps und müssen überall sehen, wo wir bleiben. Wir haben hier Passage zahlen müssen, und so will ich wenigstens den Versuch machen, zu erfahren, ob wir dieses Geld nicht auf irgend eine Weise wieder bekommen können. Für den weiten Marsch, welchen wir vorhaben, müssen wir Vorbereitungen treffen, welche viel Geld kosten, und ihr wißt, daß unsre Beutel ziemlich leer geworden sind.«

»Wir wollen sie ja aus der Eisenbahnkasse füllen!«

»Wißt ihr so genau, daß uns dieser Plan gelingen wird? Wenn wir schon hier Geld machen können, so wäre es die größte Thorheit, die Gelegenheit unbenutzt vorübergehen zu lassen.«

»Also, daß ich es gerade heraussage, Diebstahl hier an Bord? Das ist gefährlich. Man kann doch nicht dann augenblicklich fort, und wenn der Betreffende den Verlust entdeckt, so gibt es ganz sicher ein schauderhaftes Hallo, dem eine Durchsuchung sämtlicher Personen und aller Winkel des Schiffes folgen wird. Gerade wir werden die ersten sein, auf welche der Verdacht fällt.«

»Du bist der größte Kindskopf, der mir vorgekommen ist. So eine Sache ist gefährlich und auch nicht, ganz je nachdem, wie sie angefaßt wird. Und ich bin nicht derjenige, der sie bei der falschen Seite faßt. Wenn ihr mir in allem folgt, so muß uns alles, auch dann der letzte große Coup gelingen.«

»Der droben am Silbersee? Hm! Wenn man dir da nur nicht einen Bären aufgebunden hat.«

»Pshaw! Ich weiß, was ich weiß. Es kann mir nicht einfallen, euch jetzt schon einen ausführlichen Bericht zu geben. Wenn wir an Ort und Stelle sind, werde ich, euch unterrichten. Bis dahin müßt ihr mir vertrauen schenken und mir glauben, wenn ich euch sage, daß es da oben Reichtümer gibt, welche für uns alle lebenslang ausreichen. Jetzt wollen wir alles unnötige Geschwätz vermeiden und lieber ruhig abwarten, was der dumme Nigger uns für einen Bericht bringt.«

Er lehnte sich an die Schanzverkleidung und schloß die Augen zum Zeichen, daß er nun nichts mehr hören wolle und nichts mehr sagen werde. Auch die andern machten es sich so bequem wie möglich. Die einen gaben sich Mühe, einzuschlafen, ohne aber diesen Zweck zu erreichen, die andern flüsterten leise miteinander über den großen Plan, zu dessen Ausführung sie sich auf Leben und Tod verbunden hatten.

Der »dumme Nigger« schien seiner Aufgabe doch gewachsen zu sein. Hätte er ein unüberwindliches Hindernis gefunden, so wäre er gewiß zurückgekehrt, um es zu melden. So aber war er erst nach dem Bedienungsraume gegangen, wohl um mit dem Steward zu sprechen, und dann im Eingange zum Salon verschwunden, ohne wieder gesehen zu werden. Es verging weit über eine Stunde, ehe er auf dem Deck erschien. Er hatte mehrere Wischtücher in der Hand, trug diese fort und kam dann zu der sogleich munter werdenden Gesellschaft, bei welcher er sich niederließ, ohne die vier Augen zu sehen, von denen er und die Tramps scharf beobachtet wurden. Diese vier Augen gehörten den beiden Indianern, dem alten und dem jungen Bär.

»Nun?« fragte der Cornel gespannt. »Wie habt Ihr Euch meines Auftrages entledigt?«

Der Gefragte antwortete mißgestimmt: »Ich habe mir alle Mühe gegeben, glaube aber nicht, daß ich für das, was ich gehört habe, mehr als die ausgemachten drei Dollar bekommen werde.«

»Warum?«

»Weil mein Lauschen vergeblich gewesen ist. Ihr habt Euch nämlich geirrt, Sir.«

»Worin?«

»Der Riese heißt allerdings Old Firehand, ist aber gar nicht Farmer und kann also diesen Tom und die Tante Droll auch nicht zu sich eingeladen haben.«

»Das wäre!« fuhr der Cornel auf, indem er den Ton der Enttäuschung nachahmte.

»Ja, es ist so,« bekräftigte der Neger. »Der Riese ist ein berühmter Jäger und will weit hinauf ins Gebirge.«

»Wohin?«

»Das sagte er nicht. Ich habe alles gehört und es ist mir kein einziges Wort des Gesprächs entgangen. Die drei Männer saßen mit dem Vater des Mädchens, welches der Panther fressen wollte, beisammen, abseits von den übrigen.«

»Will er allein hinauf?«

»Nein. Dieser Vater heißt Butler und ist ein Ingenieur; auch er will mit.«

»Ein Ingenieur? Was werden diese beiden in den Bergen wollen!«

»Vielleicht wurde eine Mine entdeckt, welche Butler untersuchen soll.«

»Nein, denn Old Firehand versteht das selbst besser als der klügste Ingenieur.«

»Sie wollen erst den Bruder Butlers aufsuchen, welcher in Kansas eine großartige Farm besitzt. Dieser Bruder muß ein sehr reicher Mann sein. Er hat Vieh und Getreide nach New Orleans geliefert und der Ingenieur hat das Geld dafür jetzt einkassiert, um es ihm mitzubringen.«

Das Auge des Cornels leuchtete auf; aber weder er noch einer der Tramps verriet durch eine Bewegung oder Miene, wie wichtig diese Mitteilung war.

»Ja, in Kansas gibt es steinreiche Farmer,« bemerkte der Anführer in gleichgültigem Tone. »Dieser Ingenieur aber ist ein unvorsichtiger Mensch. Ist die Summe groß?«

»Er flüsterte von neuntausend Dollar in Papier; ich habe es aber dennoch verstanden.«

»So eine Summe trägt man doch nicht mit sich herum. Wozu wären denn die Banken da. Wenn es den Tramps in die Hände fällt, so ist das Geld verloren.«

»Nein; sie würden es nicht finden.«

»O, die sind verschlagene Kerls.«

»Aber da, wo er es hat, werden sie gewiß nicht suchen.«

»So kennt Ihr das Versteck?«

»Ja. Er zeigte es den andren. Er that zwar heimlich dabei, weil ich zugegen war. Ich wendete ihnen den Rücken zu, und so glaubten sie, daß ich die Fingerzeige nicht sehen werde; aber sie dachten nicht an den Spiegel, in welchen ich blickte und in dem ich alles sah.«

»Hm, ein Spiegel ist trügerisch. Wer vor demselben steht, der sieht bekanntlich seine rechte Seite links und die linke rechts.«

»Das habe ich noch nicht beobachtet und verstehe nichts davon; aber was ich gesehen habe, das habe ich gesehen. Der Ingenieur hat nämlich ein altes Bowiemesser mit einem hohlen Griffe, in welchem die Noten stecken. Die Tramps mögen, falls er ihnen in die Hände fiele, ihn immerhin ausrauben. So ein altes, schlechtes Messer nimmt selbst der ärgste Räuber seinem Opfer nicht, weil er es eben nicht selbst braucht und dem Beraubten doch wenigstens eine Waffe, ein Werkzeug lassen muß, ohne welches er im Westen verloren wäre.«

»Das ist freilich sinnreich. Aber wo hat er denn das Messer? Er trägt keinen Jägeranzug, keinen Gürtel.«

»Er hat den Gürtel unter der Weste, und von demselben hängt die Ledertasche, in welcher es steckt, an der linken Seite unter dem Rockschoße herab.«

»So! Nun, das kann uns freilich nicht interessieren. Wir sind keine Tramps, sondern ehrliche Erntearbeiter. Es thut mir nur leid, daß ich mich in dem Riesen geirrt habe. Die Ähnlichkeit mit dem Farmer, den ich meine, ist sehr groß, und er führt auch ganz denselben Namen.«

»Vielleicht ist er ein Bruder von ihm. Übrigens hat nicht bloß der Ingenieur so viel Geld bei sich. Der Schwarzbärtige sprach auch von einer bedeutenden Summe, welche er erhalten habe und an seine Kameraden, welche Rafters sind, verteilen müsse.«

»Wo befinden sich denn die?«

»Sie fällen ihre Bäume jetzt am Black-bear-Flusse, den ich freilich nicht kenne.«

»Ich kenne ihn. Er mündet unterhalb Tuloi in den Arkansas. Ist die Gesellschaft zahlreich?«

»Gegen zwanzig Mann, lauter tüchtige Boys, sagte er. Und der lustige Kerl in dem ledernen Schlafrocke hat eine ganze Menge von Nuggets bei sich. Auch er will nach dem Westen. Möchte wissen, wozu er das Gold mitnimmt. Das schleppt man doch nicht mit in der Wildnis umher!«

»Warum nicht? Auch im Westen hat der Mensch Bedürfnisse. Da gibt es Forts, Sommerstores und herumziehende Krämer, bei denen man genug Geld und Nuggets los werden kann. Also diese Leute sind mir nun vollständig gleichgültig. Ich begreife nur nicht, daß dieser Ingenieur hinauf in das Felsengebirge will und doch ein junges Mädchen bei sich hat.«

»Er hat nur dieses eine Kind. Die Tochter liebt ihn sehr und hat sich nicht von ihm trennen wollen. Da er nun beabsichtigt, eine ungewöhnlich lange Zeit in den Bergen zu bleiben, wozu es sogar notwendig sein wird, Blockhäuser zu bauen, so hat er sich endlich entschlossen, sie und die Mutter mitzunehmen.«

»Blockhäuser? Hat er das gesagt?«

»Ja.«

»Für ihn und seine Tochter würde doch eine einzige Blockhütte genügen. Es steht also zu vermuten, daß sie nicht allein sein, sondern sich in Gesellschaft befinden werden. Ich möchte wissen, welchen Zweck sie verfolgen.«

»Das wollte auch der Schwarzbärtige wissen, aber Old Firehand sagte ihm, daß er es später erfahren werde.«

»Also wird es geheim gehalten. Es muß sich also doch wahrscheinlich um eine Bonanza, eine reiche Erzader handeln, welche man heimlich untersuchen und günstigen Falls ausbeuten will. Möchte doch den Ort erfahren, nach dem sie wollen.«

»Der wurde leider nicht genannt. Wie es scheint, wollen sie den Schwarzbärtigen und auch die Tante Droll mitnehmen. Sie haben großen Gefallen aneinander gefunden, einen so großen, daß sie hier in nebeneinander liegenden Kabinen schlafen.«

»In welchen? Wisset Ihr das?«

»Ja, denn sie verhandelten laut darüber. In Nummer eins schläft der Ingenieur; Nummer zwei hat Old Firehand, Nummer drei Tom, Nummer vier die Tante Droll und Nummer fünf der kleine Fred.«

»Wer ist das?«

»Der Boy, den die Tante mitgebracht hat.«

»Ist er Drolls Sohn?«

»Nein, soviel ich erraten habe.«

»Wie ist sein Familienname und weshalb befindet er sich bei Droll?«

»Darüber wurde kein Wort gesprochen.«

»Liegen die Kabinen eins bis fünf rechts oder links?«

»Auf der Steuerbordseite, von hier aus also links. Das Mädchen des Ingenieurs schläft natürlich mit ihrer Mutter in einer Damenkabine. Doch brauche ich nicht davon zu reden, denn das alles kann Sie ja gar nicht interessieren.«

»Das ist freilich richtig. Da ich mich in diesen Leuten geirrt hatte, kann es mir sehr gleichgültig sein, wo sie liegen und schlafen. Ich beneide sie übrigens nicht um ihre engen Kabinen, in denen sie fast ersticken müssen, während wir hier auf dem offenen Deck so viel Luft haben, wie wir nur verlangen können.«

»Well! Aber gute Luft haben auch die Kajütenherren, da die Fenster herausgenommen werden und an deren Stelle Gazeflächen eingesetzt werden. Am allerschlimmsten sind natürlich wir daran. Wir müssen, wenn wir des Nachts nicht zu arbeiten haben, eigentlich da unten schlafen« — er zeigte auf eine Luke, welche nicht weit von ihnen unter das Deck führte — »und es ist nur eine ganz besondere Gunst, wenn der Offizier erlaubt, uns hier zu den Passagieren zu legen. Durch die enge Luke kommt keine Luft hinab, und aus dem Unterraum steigt ein Moderdunst herauf. Es ist an warmen Tagen geradezu zum Ersticken.«

»Euer Schlafraum steht mit dem Kielraum in Verbindung?« fragte der Cornel angelegentlich.

»Ja. Es geht eine Treppe hinab.«

»Könnt Ihr diese nicht verschließen?«

»Nein, denn das würde zu umständlich sein.«

»So seid Ihr allerdings zu bedauern. Doch genug von diesen Geschichten; wir haben ja noch Brandy in der Flasche.«

»Recht so, Sir! Auch vom Sprechen wird die Kehle trocken. Ich will noch einmal trinken und mich dann in den Schatten machen, um ein Schläfchen zu thun. Wenn meine sechs Stunden vorüber sind, muß ich wieder an die Kessel. Wie aber steht es nun mit meinen Dollars?«

»Ich halte Wort, obgleich ich sie vollständig umsonst bezahle. Aber da mein eigener Irrtum daran schuld ist, so sollt nicht Ihr die Folge tragen. Hier sind also die drei Dollar. Mehr könnt Ihr nicht verlangen, da Eure Gefälligkeit uns keinen Nutzen gebracht hat.«

»Ich begehre auch nicht mehr, Sir. Für diese drei Dollar bekomme ich so viel Brandy, daß ich mich tottrinken kann. Ihr seid ein nobler Gentleman. Habt Ihr wieder einen Wunsch, so wendet Euch nur an mich und nicht etwa an einen andern. Ihr könnt auf mich rechnen.«

Er trank noch ein volles Glas aus und begab sich dann zur Seite, wo er sich in den Schatten eines großen Ballens niederlegte.

Die Tramps sahen ihren Anführer neugierig an. In der Hauptsache wußten sie, woran sie waren, aber sie konnten einige seiner Fragen und Erkundigungen nicht in den richtigen Zusammenhang bringen.

»Da schaut ihr mich nun um Auskunft an,« sagte er, indem sein Gesicht ein überlegenes, selbstgefälliges Lächeln zeigte. »Neuntausend Dollar in Banknoten, also bares Geld und nicht etwa Cheks oder Wechsel, bei deren Präsentation man in Gefahr geraten kann, festgenommen zu werden! Das ist eine tüchtige Summe, die uns willkommen sein wird.«

»Wenn wir sie haben!« fiel derjenige ein, welcher für die andern den Sprecher zu machen pflegte.

»Wir haben sie!«

»Noch lange nicht!«

»Oho! Wenn ich es sage, so ist es so.«

»Nun, wie bekommen wir sie denn? Wie wollen wir das Messer erhalten?«

»Ich hole es.«

»Aus der Schlafkabine?«

»Ja.«

»Du selbst?«

»Natürlich. So eine wichtige Arbeit überlasse ich keinem andern.«

»Und wenn man dich erwischt?«

»Das ist unmöglich. Mein Plan ist fertig, und er wird gelingen.«

»Wenn‘s wahr ist, soll es mir lieb sein. Aber der Ingenieur wird sein Messer beim Erwachen vermissen. Dann geht der Teufel los!«

»Ja, dann geht freilich der Teufel los; aber wir sind fort.«

»Wohin?«

»Welche Frage! An das Ufer natürlich.«

»Sollen wir etwa hinüberschwimmen?«

»Nein. Das mute ich weder mir noch euch zu. Ich bin kein übler Schwimmer, aber des Nachts möchte ich mich doch diesem breiten Strome, dessen Ufer man kaum sieht, nicht anvertrauen.«

»So meinst du, daß wir uns eines der beiden Boote bemächtigen?«

»Auch das nicht. Unmöglich wäre es zwar nicht, dies zu thun, ohne daß es gesehen wird, aber ich will lieber mit Umständen rechnen, welche mir bekannt sind, als mit solchen, die ganz unerwartet eintreten und die Ausführung meines Plans unmöglich machen können.«

»So sehe ich nicht ein, in welcher Weise wir ans Land kommen sollen, bevor der Diebstahl entdeckt ist.«

»Das ist eben ein Beweis, daß du ein Kindskopf bist. Warum habe ich mich denn so angelegentlich nach dem Kielraum erkundigt?«

»Das kann ich nicht wissen!«

»Wissen freilich nicht, aber erraten. Schau dich um! Was steht dort neben der Ankertaurolle?«

»Das scheint ein Werkzeugkasten zu sein.«

»Erraten! Ich habe gesehen, daß er Hammer, Feilen, Zangen und mehrere Bohrer enthält, unter denen einer ist, dessen Gewinde einen Durchmesser von anderhalb Zoll hat. Nun vereinige einmal beides, den Kielraum und diesen Bohrer!«

»Thunder-storm! Willst du etwa das Schiff anbohren?« fuhr der andre auf.

»Allerdings will ich das.«

»Daß wir alle ersaufen.«

»Pshaw! Mache dich nicht lächerlich! Vom Ertrinken ist keine Rede. Ich will nur den Kapt‘n zwingen, ans Ufer zu legen.«

»Ah so! Aber wird das gelingen?«

»Jedenfalls. Wenn das Schiff Wasser zieht, muß ein Leck da sein, und wenn ein Leck da ist, fährt man an das Ufer, um der Gefahr zu entgehen und das Schiff mit Muße zu untersuchen.«

»Aber wenn man es zu spät bemerkt!«

»Sei doch nicht so ängstlich. Wenn das Schiff sinkt, was sehr langsam geschieht, so steigt die Wasserlinie außen. Das muß der Offizier oder Steuermann bemerken, wenn er nicht blind ist. Es wird das einen solchen Lärm und Schreck geben, daß der Ingenieur zunächst gar nicht an sein Messer denken wird. Wenn er dann den Verlust entdeckt, sind wir längst fort.«

»Und wenn er doch an das Messer denkt und zwar am Ufer anlegt, aber keinen Menschen aussteigen läßt? Man muß alles überlegen.«

»So wird man auch nichts finden. Wir binden das Messer an eine Schnur, lassen es an derselben ins Wasser hinab und befestigen das andre Ende draußen am Schiffe. Wer es da findet, der muß geradezu allwissend sein.«

»Dieser Gedanke ist freilich nicht übel. Was aber dann, wenn wir vom Schiffe sind? Wir wollten doch eigentlich so weit wie möglich mit demselben fahren.«

»Für neuntausend Dollar läuft man gern eine Strecke. Wenn wir teilen, kommt auf den Kopf eine Summe von weit über vierhundert Dollar. Übrigens werben wir uns nicht zu lange auf unsre Beine zu verlassen brauchen. Ich denke, daß wir bald eine Farm oder ein Indianerlager treffen, wo wir uns Pferde kaufen können, ohne sie zu bezahlen.

»Das lasse ich gelten. Und dann reiten wir wohin?«

»Zunächst nach dem Black-bear-Flusse.«

»Etwa zu den Rafters, von denen der Nigger sprach?«

»Ja. Es ist sehr leicht, ihr Lager auszukundschaften. Natürlich lassen wir uns dort nicht sehen, sondern lauern den Schwarzbärtigen ab, um auch ihm sein Geld abzunehmen. Ist das geschehen, so haben wir genug, um uns für unsern weiten Ritt ausrüsten zu können.«

»Auf die Eisenbahnkasse wollen wir also dann verzichten?«

»Keineswegs. Sie wird viele, viele Tausende enthalten, und wir werden uns dieses Geld holen. Wir wären aber Thoren, wenn wir nicht schon vorher alles mögliche mitnähmen. Und nun wißt ihr, woran ihr seid. Heute abend gibt‘s zu thun, und an Schlaf ist nicht zu denken. Darum legt euch jetzt aufs Ohr, damit ihr dann frisch seid und gut marschieren könnt.«

Dieser Weisung wurde Folge geleistet. Es herrschte überhaupt infolge der großen Hitze auf dem Schiffe eine ganz ungewöhnliche Stille und Ruhe. Die Landschaft rechts und links des Flusses bot nichts, was die Aufmerksamkeit der Passagiere auf sich zu ziehen vermochte, und so verbrachte man die Zeit schlafend oder wenigstens in jenem Hindämmern, welches das Mittelding zwischen Schlafen und Wachen ist und weder dem Körper noch dem Geiste eine wirkliche Erholung gewährt.

Erst gegen Abend, als die Sonne sich dem Horizonte näherte, gab es wieder Bewegung auf dem Deck. Die Hitze hatte nachgelassen und ein leidlich frischer Luftzug war wach geworden. Die Ladies und Gentlemen kamen aus ihren Kabinen, um diese Frische zu genießen. Auch der Ingenieur befand sich unter ihnen. Er hatte seine Frau und Tochter mit, welch letztere sich von ihrem Schrecken und dem unfreiwilligen Wasserbade vollständig erholt hatte. Diese drei Personen suchten die Indianer auf, da die beiden Damen denselben noch nicht gedankt hatten.

Der alte und der junge Bär hatten den ganzen Nachmittag mit echt indianischer Ruhe und Unbeweglichkeit auf derselben Kiste zugebracht, auf welcher sie schon gesessen hatten, als sie von Tante Droll begrüßt worden waren. Sie saßen auch jetzt noch da, als der Ingenieur mit Frau und Tochter zu ihnen kam. »He — el bakh schai — bakh matelu makik — jetzt werden sie uns Geld geben,« sagte der Vater in der Tonkawasprache zu seinem Sohne, als er sie kommen sah.

Sein Gesicht verfinsterte sich, da die von ihm angegebene Art und Weise der Dankbarkeit für einen Indianer eine Beleidigung ist. Der Sohn hielt die rechte Hand, mit dem Rücken nach oben gerichtet, vor sich hin und ließ sie dann rasch sinken, was soviel bedeutet, daß er mit seinem Vater nicht derselben Ansicht sei. Sein Auge ruhte mit Wohlgefallen auf dem Mädchen, welches er gerettet hatte. Dieses kam mit raschen Schritten auf ihn zu, nahm seine Hand zwischen die ihrigen beiden, drückte sie herzlich und sagte: »Du bist ein guter und mutiger Knabe. Schade, daß wir uns nicht nahe wohnen, ich würde dich lieb haben.«

Er sah ihr ernst in das rosige Gesichtchen und antwortete: »Mein Leben würde dir gehören. Der große Geist diese Worte hören, er wissen, daß sie wahr sind.«

»So will ich dir wenigstens ein Andenken geben, damit du dich meiner erinnerst. Darf ich?«

Er nickte nur. Sie zog einen dünnen Goldring von ihrem Finger und steckte ihm denselben an den linken kleinen Finger, an welchen er gerade paßte. Er blickte auf den Ring und dann auf sie, griff unter seine Zunidecke, nestelte etwas vom Halse los und gab es ihr. Es war ein kleines, starkes, viereckiges Lederstück, weiß gegerbt und glatt gepreßt, auf welches einige Zeichen eingepreßt waren.

»Ich dir auch geben Andenken,« sagte er. »Es ist Totem von Nintropan-homosch, nur Leder, kein Gold. Aber wenn du kommen in Gefahr bei Indianer und es vorzeigen, dann Gefahr gleich zu Ende. Alle Indianer kennen und lieben Nintropan-homosch und gehorchen sein Totem.«

Sie verstand nicht, was ein Totem sei und welch einen großen Wert es unter Umständen haben kann. Sie wußte nur, daß er ihr für den Ring ein Stück Leder als Gegengabe schenkte; aber sie zeigte sich nicht enttäuscht. Sie war zu mild- und gutherzig, als daß sie es über das Herz gebracht hätte, ihn durch die Zurückweisung seiner scheinbar armseligen Gabe zu kränken. Darum band sie sich das Totem um den Hals, wobei die Augen des jungen Indianers vor Vergnügen leuchteten, und antwortete: »Ich danke dir! Nun besitze ich etwas von dir und du hast etwas von mir. Das erfreut uns beide, obgleich wir uns auch ohne diese Gaben nicht vergessen würden.«

Jetzt bedankte sich auch die Mutter des Mädchens und zwar durch einfachen Händedruck. Dann sagte der Vater: »Wie soll nun ich die That des kleinen Bären belohnen? Ich bin nicht arm; aber alles, was ich habe, wäre zu wenig, für das, was er mir erhalten hat. Ich muß also sein Schuldner bleiben, aber auch sein Freund dazu. Nur ein Andenken kann ich ihm geben, mit welchem er sich gegen seine Feinde schützen kann, wie er meine Tochter gegen den Panther verteidigt hat. Wird er diese Waffen nehmen? Ich bitte ihn darum.«

Er zog zwei neue, sehr gut gearbeitete Revolver, deren Kolben mit Perlmutter ausgelegt waren, aus der Tasche und hielt sie ihm entgegen. Der junge Indianer brauchte sich keinen Augenblick über das, was er zu thun habe, zu besinnen. Er trat einen Schritt zurück, richtete sich kerzengerade auf und sagte: »Der weiße Mann bietet mir Waffen; das große, große Ehre für mich, denn nur Männer erhalten Waffen. Ich nehmen sie an und sie nur brauchen dann, wenn verteidigen gute Menschen und schießen auf böse Menschen. Howgh!«

Er nahm die Revolver und steckte sie unter der Decke in seinen Gürtel. Jetzt konnte sein Vater sich nicht länger halten. Man sah es seinem Gesichte an, daß er mit seiner Rührung kämpfte. Er sagte zu Butler: »Auch ich weißem Mann danken, daß nicht geben Geld wie an Sklaven oder Menschen, die keine Ehre haben. So sein es großer Lohn, den wir nie vergessen. Wir stets Freunde des weißen Mannes, seiner Squaw und seiner Tochter. Er gut bewahren Totem von jungem Bär; es sein auch das meinige. Der große Geist ihm stets schicken Sonne und Freude!«

Der Danksagungsbesuch war zu Ende; man reichte sich nochmals die Hände und trennte sich dann. Die beiden Indianer setzten sich wieder auf ihre Kiste. »Tua enokh — gute Leute!« sagte der Vater.

»Tua — tua enokh — sehr gute Leute!« stimmte der Sohn bei. Das waren die einzigen Herzensergüsse, welche ihre indianische Schweigsamkeit ihnen nun noch gestattete. Der Vater fühlte sich ganz besonders dadurch geehrt, daß man nicht auch ihn, sondern nur seinen Sohn, auf welchen er so stolz war, beschenkt hatte.

Daß der Dank des Ingenieurs nach indianischen Begriffen mit solcher Zartheit ausgefallen war, hatte seinen Grund nicht in ihm selbst. Er war mit den Ansichten und Gebräuchen der Roten zu wenig vertraut, als daß er hätte wissen können, wie er sich in diesem gegebenen Falle zu verhalten habe. Darum hatte er Old Firehand um Rat gefragt und war von ihm unterrichtet worden. Jetzt kehrte er zu ihm zurück, der mit Tom und Droll vor der Kajüte saß, und erzählte ihm von der Aufnahme, welche die Geschenke gefunden hatten. Als er das Totem erwähnte, konnte man aus seinem Tone hören, daß er die Bedeutung desselben nicht ganz zu schätzen wisse. Darum fragte ihn Old Firehand: »Ihr wißt, was ein Totem ist, Sir?«

»Ja. Es ist das Handzeichen eines Indianers, etwa wie bei uns das Petschaft oder Siegel, und kann in den verschiedensten Gegenständen und aus den verschiedensten Stoffen bestehen.«

»Diese Erklärung ist richtig, aber nicht ganz gründlich. Nicht jeder Indianer darf ein Totem führen, sondern nur berühmte Häuptlinge haben es. Daß dieser Knabe schon eins besitzt, ist, auch abgesehen davon, daß es zugleich dasjenige seines Vaters ist, ein Beweis, daß er bereits Thaten hinter sich hat, welche selbst von den roten Männern für ungewöhnliche gehalten werden. Sodann sind die Totems je nach ihrem Zwecke verschieden. Eine gewisse Art wird allerdings nur zum Zwecke der Legitimation und Bekräftigung benutzt, also allerdings wie bei uns das Siegel oder die Unterschrift. Diejenige Art aber, welche für uns Bleichgesichter die wichtigste ist, gilt als eine Empfehlung dessen, der es erhalten hat. Die Empfehlung kann je nach ihrer Art und Weise, also nach dem Grade ihrer Wärme, eine verschiedene sein. Laßt mich doch einmal das Leder sehen.«

Das Mädchen gab es ihm und er betrachtete es genau.

»Könnt Ihr denn diese Zeichen enträtseln, Sir?« fragte Butler.

»Ja,« nickte Old Firehand. »ich bin so oft und so lange bei den verschiedensten Stämmen gewesen, daß ich nicht nur ihre Dialekte spreche, sondern auch ihre Schriftzeichen verstehe. Dieses Totem ist ein höchst wertvolles, wie selten eins verschenkt wird. Es ist im Tonkawa abgefaßt und lautet: ›Schakhe-i-kauvan-ehlatan, henschon-schakin hen-schon-schakin schakhe-i-kauvan-ehlatan, he-el ni-ya.‹ Diese Worte heißen, genau übersetzt: ›Sein Schatten ist mein Schatten, und sein Blut ist mein Blut; er ist mein älterer Bruder.‹ Und darunter steht das Namenszeichen des jungen Bären. Die Bezeichnung »älterer Bruder« ist noch ehrenvoller als bloß »Bruder«. Das Totem enthält eine Empfehlung, wie sie wärmer nicht gedacht werden kann. Wer dem Besitzer desselben etwas zuleide thut, hat die strengste Rache des großen und des kleinen Bären und aller ihrer Freunde zu erwarten. Wickelt das Totem gut ein, Sir, damit die rote Farbe der Zeichen sich erhält. Man weiß nicht, welche großen Dienste es Euch erweisen kann, da wir in die Gegend wollen, wo die Verbündeten der Tonkawa wohnen. An diesem kleinen Lederstückchen kann das Leben vieler Menschen hängen.« —

Der Steamer hatte während des Nachmittags Ozark, Fort Smith und Van Buren passiert und erreichte jetzt den Winkel, in welchem das Bett des Arkansas eine entschiedene Bewegung nach Norden macht. Der Kapitän hatte verkündet, daß man ungefähr zwei Stunden nach Mitternacht Fort Gibson erreichen werde, wo er bis morgen liegen bleiben müsse, um sich nach dem weiteren Wasserstande zu erkundigen. Um bei der Ankunft dort munter zu sein, legten sich die meisten Reisenden sehr zeitig schlafen, denn es stand zu erwarten, daß man in Fort Gibson gleich bis zum Morgen wach bleiben werde. Das Deck leerte sich gänzlich von den Kajütenpassagieren, und auch der Salon enthielt nur wenige Personen, welche bei Schach und andern Spielen saßen. In dem daranstoßenden Rauchsalon saßen nur drei Personen, nämlich Old Firehand, Tom und Droll, welche sich ungestört von andren, über ihre Erlebnisse unterhielten. Der erstere wurde von den andren beiden mit einer an Ehrfurcht grenzenden Hochachtung behandelt, welche aber nicht verhinderte, daß er über die Verhältnisse und nächsten Absichten der Tante Droll noch nichts Genaues hatte erfahren können. Jetzt erkundigte er sich, wie Droll zu der sonderbaren Bezeichnung Tante gekommen sei. Der Befragte antwortete. »Ihr kennt ja die Gewohnheit der Westmänner, jedem einen Spitz- oder Kriegsnamen zu geben, welcher sich auf eine hervorragende Eigentümlichkeit des Betreffenden bezieht. Ich sehe in meinem Sleeping-gown allerdings einem Frauenzimmer ähnlich, zu welchem Umstande auch meine hohe Stimme paßt. Früher sprach ich im Basse, aber eine riesige Erkältung hat mich um die tiefen Töne gebracht. Da ich nun ferner die Gewohnheit habe, mich eines jeden braven Kerls wie eine gute Mutter oder Tante anzunehmen, so hat man mir den Namen Tante Droll gegeben.«

»Aber Droll ist doch nicht etwa Euer Familienname?«

»Nein. Ich bin gern lustig, vielleicht auch ein wenig drollig. Daher der Name.«

»Darf man nicht vielleicht Euren wirklichen hören. Ich heiße Winter, und Tom heißt Großer; Ihr habt schon gehört, daß wir eigentlich Deutsche sind. Ihr scheint Eure Herkunft aber in tiefes Dunkel hüllen zu wollen.«

»Ich habe freilich Gründe, nicht davon zu sprechen, aber nicht etwa, weil ich mich über irgend etwas zu schämen hätte. Diese Gründe sind mehr — — geschäftlicher Art.«

»Geschäftlich? Wie soll ich das verstehen?«

»Davon vielleicht später. Ich weiß wohl, daß Ihr gern wissen wollt, was ich jetzt im Westen treiben will und warum ich mich dabei mit einem sechzehnjährigen Buben schleppe. Es kommt schon noch die Zeit, in welcher ich es Euch sage. Was nun meinen Namen betrifft, so würde ein Dichter über denselben erschrecken; er ist nämlich ungeheuer unpoetisch.«

»Schadet nichts. Niemand ist schuld an seinem Namen. Also heraus damit!«

Droll machte das eine Auge zu, drückte und schluckte, als ob ihn etwas würge, und stieß dann die drei Worte hervor: »Ich heiße — — Pampel.«

»Was, Pampel?« lachte Old Firehand. »Poetisch ist dieses Wort freilich nicht, und wenn ich lache, so geschieht dies nicht wegen des Namens, sondern wegen des Gesichtes, welches Ihr bei demselben macht. Es sah ja gerade aus, als ob es einer Dampfmaschine bedürfe, um ihn herauszutreiben. Übrigens ist dieser Name, gar nicht selten. Ich habe einen Geheimrat Pampel gekannt, welcher ihn mit großer Würde trug. Aber das Wort ist deutsch, Ihr seid wohl auch von deutscher Abstammung?«

»Ja.«

»Und in den Vereinigten Staaten geboren?«

Da machte Droll sein listigstes und lustigstes Gesicht und antwortete in deutscher Sprache: »Nee, das is mer damals gar nich eingefalle; ich habe mer e deutsches Elternpaar herausgesucht!«

»Was? Also ein geborener Deutscher, ein Landsmann?« rief Old Firehand.

»Wer hätte das gedacht!«

»Das ham Se sich nich denke könne? Und ich habe gemeent, mer sieht mersch sofort an, daß ich als Urenkel der alten Germanen gebore bin. Könne Se vielleicht errate, wo ich meine erschten Kinderschtiefel angetrete und abgeloofe habe?«

»Natürlich! Ihr Dialekt sagt es mir.«

»Sagt ersch wirklich noch? Das kann mich außerordentlich freue, denn grad off unsern schönen Dialekt bin ich schtets geradezu versesse gewese, was mer leider schpäter meine ganze Carrière verdorbe hat, wenn‘s nötig is. Nu also, sage Se mal, wo bin ich denn gebore?«

»Im schönen Herzogtume Altenburg, wo die besten Quarkkäse gemacht werden.«

»Richtig, im Altenburgschen; Se habe es sofort errate! Und das mit de Käse is ooch sehr wahr; se werde Quärcher genannt, und in Deutschland gibt‘s nich ihresgleiche. Wisse Se, ich hab‘ Se überrasche wolle und darum nich gleich gesagt, daß ich ooch e Landsmann von Ihne bin. Jetzt aber, wo mer so hübsch alleene beisamme sitze, is mersch endlich herausgefahre, und nun wolle mer von unsrer schönen Heimat schpreche, die mer nich aus dem Sinne kommt, obgleich ich schon so lange hier im Lande bin.«

Es hatte allen Anschein, daß sich nun eine sehr animierte Unterhaltung entwickeln werde, leider aber war das nicht der Fall, denn einige der im Salon gewesenen Herren waren des Spielens satt geworden und kamen jetzt herein, um noch einen tüchtigen »Smoke« zu thun. Sie verwickelten die Anwesenden in ihr Gespräch und nahmen sie so in Anspruch, daß dieselben es aufgeben mußten, ihr Thema festzuhalten. Als man sich später trennte, um schlafen zu gehen, verabschiedete sich Droll von Old Firehand mit den Worten: »Das war jammerschade, daß mer nich weiter rede konnte, doch morgen is noch e Tag, wo mer unser Gespräch fortsetze könne. Gute Nacht, Herr Landsmann, schlafe Se wohl und e bißche rasch, denn nach Mitternacht müsse mer schon wieder off!«

Jetzt waren alle Kabinen besetzt, und in den Salons wurden die Lichter verlöscht. An Deck brannten nur die beiden vorgeschriebenen Laternen, die eine vorn an der Bugspitze und die andre hinten. Die erstere beleuchtete den Fluß so hell und so weit, daß ein am Ausguck stehender Matrose etwaige im Wasser liegende Hindernisse noch rechtzeitig sehen und melden konnte. Dieser Mann, der Steuermann und der auf dem Deck hin und her spazierende Offizier waren die einzigen Menschen, welche wach zu sein schienen, die Bedienung der Maschine ausgenommen.

Auch die Tramps lagen da, als ob sie schliefen, in ziemlicher Entfernung von den Matrosen, welche der unten herrschenden Wärme wegen auch oben lagen. Der Cornel hatte schlauerweise seine Leute rund um die nach unten führende Luke plaziert, so daß niemand, ohne gesehen zu werden, zu derselben konnte. Natürlich schlief kein einziger von ihnen.

»Eine verteufelte Geschichte!« flüsterte er demjenigen zu, welcher neben ihm lag. »Ich habe doch nicht daran gedacht, daß des Nachts hier vorn ein Mann steht, um das Fahrwasser zu beobachten. Der Kerl ist uns im Wege.«

»Nicht so, wie du denkst. In dieser Dunkelheit kann er nicht bis her zur Luke sehen. Es ist Rabennacht; kein einziger Stern steht am Himmel. Überdies hat er scharf in den Lichtkreis der Laternen zu sehen und ist also geblendet, wenn er sich umdreht. Wann beginnen wir?«

»Sofort. Wir haben keine Zeit zu verlieren, denn vor Fort Gibson müssen wir fertig sein.«

»Natürlich holst du zuerst das Geld.«

»Nein, das würde eine Dummheit sein. Wenn der Ingenieur erwacht und den Diebstahl bemerkt, bevor das Schiff ans Ufer muß, kann alles fehlschlagen. Hingegen wenn mir anlegen müssen, ehe ich das Geld habe, ist noch gar nichts verloren, denn es wird ganz leicht sein, ihm in der Verwirrung des Landens das Messer zu entreißen und mit demselben zu verschwinden. Den Bohrer habe ich schon; ich steige jetzt hinab. Solltest du mich warnen müssen, so huste laut. Ich werde es wohl hören.«

Er schob sich, von der dichten Finsternis begünstigt, an die Luke und setzte die Füße auf die schmale Treppe, welche hinabführte. Die zehn Stufen, welche sie hatte, waren schnell zurückgelegt. Nun untersuchte er die Diele, indem er sie betastete. Er fand die Luke, welche weiter nach unten führte, und stieg die zweite Treppe hinab, welche mehr Stufen als die obere besaß. Unten angekommen, strich er ein Zündholz an und leuchtete um sich. Um sich genau zu orientieren, mußte er weiter gehen und noch mehrere Hölzer verbrennen.

Der Raum, in welchem er sich befand, war mehr als manneshoch und führte fast bis in die Mitte des Schiffes. Durch keine Zwischenwand getrennt, hatte er die ganze Breite des untern Schiffskörpers von einer Seite zur andern. Einige kleine Gepäckstücke lagen umher.

Jetzt trat der Cornel an die Backbordseite und setzte den Bohrer, natürlich unter der Wasserlinie, an die Schiffswand. Unter dem kräftigen Drucke seiner Hand griff das Werkzeug ein und fraß schnell in dem Holze weiter. Dann gab es einen harten Widerstand — das Blech, mit welchem der unter Wasser stehende Teil des Schiffes bekleidet war. Dieses mußte mit dem Bohrer durchschlagen werden. Aber es waren zur schnelleren Füllung des Raumes wenigstens zwei Löcher nötig. Der Cornel bohrte also zunächst möglichst weit hinten ein zweites, auch bis auf das Blech. Dann hob er einen der harten Steine auf, welche als Ballast dalagen, und schlug damit so lange auf den Griff des Bohrers, bis dieser durch das Blech gedrungen war. Sofort drang das Wasser herein und benetzte ihm die Hand; aber als er den Bohrer mit einiger Anstrengung zurückgezogen hatte, traf ihn ein starker, kräftiger Wasserstrahl, so daß er schnell weichen mußte. Das Klopfen war bei dem Geräusch, welches die Maschine machte, ganz unmöglich zu hören gewesen. Nun schlug er auch das Blech des ersten Loches, welches der Treppe näher war, durch und kehrte nach oben zurück. Er hatte den Bohrer in der Hand behalten und warf ihn erst, als er sich vor der oberen Treppe befand, weg. Warum sollte er ihn erst noch mit hinaufnehmen!

Bei den Seinen angekommen, wurde er leise gefragt, ob es gelungen sei. Er antwortete bejahend und erklärte, nun sofort nach der Kabine Nummer eins zu schleichen.

Der Salon und das daran stoßende Rauchzimmer lagen auf dem Hinterdeck, an beiden Seiten die Kabinen. Jede derselben hatte eine eigene, in den Salon führende Thür. Die Außenwände, aus leichtem Holzgetäfel bestehend waren mit ziemlich großen Fenstern versehen, deren Öffnungen jetzt nur mit Gaze verschlossen waren. Zwischen jeder Kabinenseite und dem betreffenden Schiffsborde führte ein schmaler Gang hin, der leichteren Passage wegen. Nach dem Gange linker Hand, also Steuerbord, hatte sich der Cornel zu wenden. Die Kabine Nummer eins war die erste, lag also an der Ecke. Er legte sich auf den Boden und kroch vorsichtig nach vorn, hart an der Reiling, also am Schiffsrande, um von dem hin und her spazierenden Offizier nicht bemerkt zu werden. Er erreichte sein Ziel glücklich. Durch die Gaze des ersten Fensters fiel ein leiser Schein heraus. Es brannte Licht in der Kabine. Sollte Butler noch wach sein, vielleicht lesen? Aber der Cornel überzeugte sich, daß auch in den andern Kabinen Licht war, und das beruhigte ihn. Vielleicht erleichterte gerade diese Beleuchtung die Ausführung seines Vorhabens, welche im Dunkel ziemlich schwierig war. Er zog sein Messer und zerschnitt die Gaze geräuschlos von oben bis unten. Ein Vorhang verhinderte ihn, durch das Fenster in die Kabine zu sehen; er schob denselben leise zur Seite. Er hätte vor Freude über das, was er sah, laut aufjubeln mögen.

An der linken Wand hing über dem Bette ein brennendes, nach unten, um den Schläfer nicht zu stören, verhülltes Nachtlämpchen. Darunter lag, fest schlafend, mit dem Gesichte nach der Wand gekehrt, der Ingenieur. Auf einem Stuhle lagen seine Kleidungsstücke. An der rechten Wand befand sich ein Klaptischchen, auf welchem die Uhr, die Börse und — — das Messer des Schläfers lagen, von außen ganz leicht mit der Hand zu erreichen. Der Cornel griff hinein und nahm das Messer fort, ließ aber Uhr und Börse liegen. Er zog es aus dem Futterale und probierte den Griff. Dieser ließ sich wie eine Nadel- oder Federbüchse aufdrehen. Das genügte.

»Alle Teufel, ging das leicht!« hauchte der Dieb. »Ich hätte einsteigen und ihn unter Umständen gar erwürgen müssen!«

Niemand hatte diesen Vorgang gesehen; das Fenster führte steuerbords nach dem Wasser. Der Cornel warf das Futteral über Bord, steckte das Messer in den Gürtel und legte sich wieder nieder, um zu seinen Leuten zurückzukriechen. Er gelangte glücklich an dem Lieutenant vorüber. Wenige Ellen weiter fiel sein Blick nach links; da war es ihm, als sehe er zwei leise phosphoreszierende Punkte, die sofort wieder verschwanden. Das waren Augen; er wußte es. Er schnellte sich mit einer kräftigen Bewegung, aber ganz leise, vorwärts und rollte sich dann ebenso rasch zur Seite, um aus der Linie zu kommen, auf welcher er sich befunden hatte. Richtig! Von der Stelle her, von welcher aus er die Augen gesehen hatte, erscholl ein Geräusch, wie wenn jemand sich auf einen andern werfen will. Der Offizier hatte es gehört und trat hinzu.

»Wer ist da?« fragte er.

»Ich, Nintropan-Hauey,« antwortete es.

»Ach, der Indianer. Schlafe doch!«

»Hier ein Mann geschlichen; hat etwas Böses gethan; ich ihn gesehen; er aber schnell fort.«

»Wohin?«

»Nach vorn, wo Cornel liegen; er vielleicht selbst gewesen.«

»Pshaw! Wozu sollte er oder ein andrer hier schleichen! Schlafe und störe die andern nicht.«

»Ich schlafe, aber dann auch nicht schuld, wenn Böses geschehen.«

Der Offizier horchte nach vorn, und da sich dort nichts hören ließ, beruhigte er sich. Er war überzeugt, daß der Rote sich geirrt habe.

Es verging eine lange, lange Zeit; da wurde er von dem Ausguck nach dem Buge gerufen.

»Sir,« sagte der Mann, »ich weiß nicht, woran es liegen mag, aber das Wasser kommt schnell höher; das Schiff sinkt.«

»Unsinn!« lachte der Offizier.

»Kommt her und seht.«

Er blickte hinab, sagte nichts und eilte fort nach der Kajüte des Kapitäns. Nach zwei Minuten kam er mit diesem wieder auf das Deck. Sie hatten eine Laterne mit und leuchteten mit derselben über Bord. Eine zweite Laterne wurde geholt. Der Lieutenant stieg in die Hinter- und der Kapitän in die Vorderluke, um den Kielraum zu untersuchen. Die Tramps hatten sich von derselben entfernt. Nach schon kurzer Zeit kam er herauf und begab sich mit eiligen Schritten nach hinten zum Steuermann.

»Er will nicht Lärm schlagen,« flüsterte der Cornel den Seinen zu. »Aber paßt auf, daß der Steamer ans Ufer gehen wird!«

Er hatte recht. Die Matrosen und Arbeiter wurden heimlich geweckt, und das Schiff veränderte seine Richtung. Ohne einige Unruhe konnte das nicht geschehen; die Deckpassagiere erwachten, und einige Kajütenreisende kamen aus ihren Kabinen.

»Es ist nichts, Mesch‘schurs; es hat keine Gefahr,« rief ihnen der Kapitän zu. »Wir haben etwas Wasser im Raume und müssen es auspumpen. Wir legen an, und wer Angst hat, kann einstweilen ans Ufer gehen.«

Er wollte beruhigend wirken; aber es fand das Gegenteil statt. Man schrie; man rief nach Rettungsgürteln; die Kabinen entleerten sich. Alles rannte durcheinander. Da fiel der Schein der Vorderlaterne auf das hohe Ufer. Das Schiff machte eine Wendung, daß es parallel zu demselben kam, und ließ den Anker fallen. Die beiden Landebrücken erwiesen sich als lang genug, sie wurden ausgelegt und die Ängstlichen drängten sich an das Land. Allen voran waren natürlich die Tramps, welche schnell im Dunkel der Nacht verschwanden.

An Bord geblieben waren außer den Schiffsleuten nur Old Firehand, Tom, Droll und der alte Bär. Der erstere war in den Raum gestiegen, um das Wasser zu sehen. Mit dem Lichte in der Rechten und dem Bohrer in der Linken kam er wieder herauf und fragte den Kapitän, welcher das Herbeischaffen der Pumpen beaufsichtigte: »Sir, wo hat dieser Bohrer seinen Platz?«

»Dort im Werkzeugkasten,« antwortete ein Matrose. »Er lag am Nachmittage noch drin.«

»Jetzt lag er im Zwischendeck. Die Spitze hat sich an den Schiffsplatten umgebogen. Ich wette, daß das Schiff angebohrt worden ist.«

Man kann sich den Eindruck, den diese Worte hervorbrachten, denken. Es kam ein Neuer dazu. Der Ingenieur hatte vor allen Dingen Frau und Tochter ans Ufer gebracht; dann war er auf das Schiff zurückgekehrt, um seinen Anzug zu vervollständigen. Jetzt kam er aus seiner Kabine und rief, daß alle es hörten: »Ich bin bestohlen! Neuntausend Dollar. Man hat das Gazefenster zerschnitten und sie mir vom Tische genommen!«

Und da rief der alte Bär noch lauter: »Ich wissen, Cornel hat gestohlen und Schiff angebohrt. Ich ihn sehen; aber Offizier nicht glauben. Fragen schwarzen Feuermann! Er trinken mit Cornel; er gehen fort in Salon und wischen Fenster; er kommen und trinken wieder; er sagen müssen alles.«

Sofort scharten sich der Kapitän, der Offizier, der Steuermann und die Deutschen um den Indianer und den Ingenieur, um sie genauer zu vernehmen. Da ertönte vom Lande, unterhalb der Stelle, an welcher das Schiff lag, ein Schrei.

»Das sein junger Bär,« rief der Indianer. »Ich ihn nachgeschickt dem Cornel, welcher schnell ans Land; er sagen wird, wo Cornel sein.«

Und da kam der junge Bär in eiligstem Laufe über die Landebrücke gesprungen und rief, auf den Fluß deutend, welcher von den vielen inzwischen angebrannten Lichtern des Schiffes weit hinaus erleuchtet wurde: »Dort rudern hinaus! Ich nicht gleich finden Cornel, dann aber sehen großes Boot, welches haben abgeschnitten hinten und hinein, um hinüber ans andre Ufer.«

Jetzt war die Hauptsache, wenn auch nicht alles klar. Man sah das entfliehende Boot. Die Tramps jubelten und schrieen höhnisch herüber, die Schiffsleute und ein großer Teil der Passagiere antworteten ihnen wütend. In der allgemeinen Aufregung achtete man nicht auf die Indianer, welche verschwunden waren. Endlich gelang es, der mächtigen Stimme Old Firehands, Ruhe herzustellen, und da hörte man auch eine andre Stimme unten vom Wasser herauf: »Der alte Bär kleines Boot geborgt. Er hinter dem Cornel her, um zu rächen. Kleines Boot drüben lassen und anbinden, Kapitän wird es finden. Häuptling der Tonkawa nicht lassen entkommen Cornel. Großer Bär und kleiner Bär müssen haben sein Blut. Howgh!« — Die beiden hatten sich das Vorderboot genommen und ruderten nun hinter den Flüchtigen her. Der Kapitän fluchte und schimpfte gewaltig, doch umsonst.

Während nun die Deckhands mit dem Auspumpen des Schiffes begannen, wurde der schwarze Feuermann verhört. Old Firehand trieb ihn mit scharfen Fragen so in die Enge, daß er alles gestand und jedes Wort berichtete, welches gesprochen worden war. Daraus erklärte sich nun alles. Der Cornel war der Dieb und hatte das Schiff angebohrt, um noch vor der Entdeckung des Diebstahles mit seinen Leuten an das Land entkommen zu können. Dem Neger sollte sein Verrat nicht ungestraft hingehen. Er wurde angebunden, damit er nicht entfliehen, sondern am Morgen die ihm vom Kapitän zu bestimmenden Hiebe erhalten könne. Gerichtlich war er freilich nicht zu belangen.

Es stellte sich sehr bald heraus, daß die Pumpen das Wasser leicht bewältigten und das Schiff sich nicht in Gefahr befand, sondern in kurzer Zeit die Fahrt fortsetzen konnte. Die Passagiere kehrten also von dem unwirtlichen Ufer an Bord zurück und machten es sich bequem. Der Zeitverlust kümmerte sie nicht, ja, viele freuten sich sogar über die interessante Unterbrechung der langweiligen Reise.

Am wenigsten Interesse konnte freilich der Ingenieur dieser Unterbrechung abgewinnen. Er war da um eine bedeutende Summe Geldes gekommen, welche er ersetzen mußte. Old Firehand tröstete ihn, indem er ihm sagte: »Noch ist Hoffnung vorhanden, das Geld wieder zu erhalten. Fahrt in Gottes Namen mit Eurer Frau und Tochter weiter. Ich treffe bei Eurem Bruder wieder mit Euch zusammen.«

»Wie? Ihr wollt mich verlassen?«

»Ja, ich will diesem Cornel nach, um ihm seinen Raub abzujagen.«

»Aber das ist doch gefährlich!«

»Pshaw! Old Firehand ist nicht der Mann, sich vor diesen Tramps, denn das sind sie gewiß, zu fürchten.«

»Und dennoch bitte ich Euch, es zu unterlassen. Ich will die Summe lieber verlieren.«

»Sir, es handelt sich nicht bloß um Eure neuntausend Dollar, sondern um mehr. Die Tramps haben durch den Neger erfahren, daß auch Tom Geld bei sich hat, auf welches seine Gefährten am Black-bear-Flusse warten. Ich täusche mich gewiß nicht, wenn ich meine, daß sie sich dorthin wenden, um ein neues Verbrechen auszuführen, bei welchem es sich um Menschenleben handeln kann. Die beiden Tonkawa sind wie gute Schweißhunde hinter ihnen her und beim Anbruche des Tages folgen wir ihrer Fährte, nämlich ich, Tom, Droll und dessen Knabe Fred. Nicht wahr, Mesch‘schurs?«

»Ja,« antwortete Tom einfach und ernst.

»Jawohl,« stimmte auch Droll bei. »Der Cornel muß unser werden, auch schon um andrer willen. Erwischen wir ihn, dann genade ihm, wenn‘s nötig ist!«

Der Schatz im Silbersee

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