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Nach dem Rocky-Ground

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Lieber Leser, hast du einmal von dem »weißen Mustang« gehört? Berufene und nicht berufene Schriftsteller haben über ihn geschrieben; Leute, welche den wilden Westen genau kennen gelernt hatten, und Leute, deren Füße niemals die amerikanische Erde betraten, erzählten von ihm. Ich selbst habe wie oft mit weißen Jägern und roten Männern beisammengesessen, welche behaupteten und darauf schworen, den »weißen Mustang« gesehen zu haben, und es ist mir nicht eingefallen, dieser Versicherung einen Zweifel entgegenzusetzen, denn sie hatten ihn gesehen und doch auch wieder – — nicht gesehen; der »weiße Mustang« war eine Sage, ein Märchen, ein Phantom, ein Gebild der Phantasie, welchem allerdings wirklich Gesehenes zu Grunde lag.

Zur Zeit, als noch Büffel— und Pferdeherden zu tausend und abertausend Stück die weiten Prairien bevölkerten und während des Frühlings nord-, zur Herbstzeit aber südwärts zogen, konnte es einem vorsichtigen Jäger glücken, den »weißen Mustang« zu Gesicht zu bekommen, aber nur einem vorsichtigen, der sich anzuschleichen verstand, und auch da nur von weitem, aus der Ferne. Denn der »weiße Mustang« war der erfahrenste und klügste unter allen Leithengsten, die jemals an der Spitze einer wilden Pferdeherde gestanden haben. Sein Auge durchdrang den dichtesten Busch; sein Ohr hörte das leise Schleichen des Wolfes Tausende von Schritten weit, und seine tiefroten Nüstern erfaßten den Geruch des Menschen aus noch viel größeren Entfernungen. Aus einer von dem »weißen Mustang« angeführten und bewachten Herde hat sich nie ein Jäger ein gesundes Pferd mit dem Lasso herausholen können; wenn ihm je eines zur Beute fiel, so war es krank und für ihn unbrauchbar. Nie hat man den »weißen Mustang« grasen sehen. Er hatte keine Zeit dazu.

Stets und stets und ohne Unterlaß flog er in graziösen und doch so kräftigen Sprüngen rund um seine ruhig weidende Herde, um beim geringsten Anzeichen der Gefahr jenes schrille, trompetenartige Wiehern hören zu lassen, auf welches augenblicklich alles wie im Sturme von dannen stob.

Einigemal soll es gelungen sein, ihn von der Herde abzuschneiden; man wollte ihn fangen, nur ihn allein. Er entwich nur im Galopp; die Verfolger ritten in Carriere, konnten ihn aber trotzdem nicht einholen, und als er dann endlich, sich lang streckend, wie ein Pfeil entflog und fern am Horizonte verschwand, sahen sie ein, daß er sie nur geäfft hatte, um sie von seiner Herde fortzulocken. Ein kühner Vaquero [Berittener Hirt.], ein Meister im Reiten, wollte ihn einmal allein getroffen und auf einen tiefen Cañon [Senkrecht abfallende Schlucht.] zugejagt haben; der »weiße Mustang« soll ohne Bedenken in die mehrere hundert Fuß tiefe Schlucht hinabgesprungen und unten ruhig weitergetrabt sein. Der Vaquero beteuerte es bei allen ihm geläufigen Schwüren und Flüchen, und alle, die es hörten, glaubten es. In einer Gesellschaft sehr ernster und erfahrener Westmänner erzählte ein Haziendero aus der Sierra, er habe einmal das ungeheure Glück gehabt, den »weißen Mustang« mit einer ganzen Tropa wilder Pferde in einen Corral [Hohe Umzäunung zum Einfangen wilder Pferde und Rinder.] zu locken, aber der wunderbare Schimmel sei wie ein Vogel über die zwanzig Fuß hohe Umzäunung hinweg— und hinausgeflogen, niemand zweifelte daran.

So erzählten die Alten, und so erzählten die jungen; der »weiße Mustang« schien nicht nur unverletzlich, sondern sogar unsterblich zu sein, bis er schließlich mit der letzten Pferdeherde, die man beisammen sah, von der Savanne verschwand. Die unerbittliche »Kultur« hat die Büffel und die Mustangs hingemordet, doch noch heut taucht hier oder da irgend ein alter Westmann auf, um zu behaupten, daß der nie erreichbare Schimmel keine Erfindung sei, denn er selbst habe ihn auch gesehen.

Ja, er war keine Erfindung, und dennoch ein Produkt der Einbildungskraft; es hat ihn nie gegeben, und doch ist er vorhanden gewesen; die ihn gesehen haben, haben sich nicht getäuscht, aber doch geirrt, denn der »weiße Mustang« ist nicht ein Pferd, sondern mehrere, viele Pferde gewesen.

Jede wilde Mustangherde hatte einen Anführer, der stets ein Hengst, und zwar der kräftigste und klügste von allen war, denn er mußte diese Stelle mit Gewalt und List erkämpfen und sich erhalten. Hatte er alle seine Mitbewerber aus dem Felde geschlagen, so gehorchte ihm die ganze Truppe bis zum jüngsten Fohlen herab. Wenn man nun schon bei uns behauptet, daß die Schimmel die härtesten Pferde seien, so galt das in der Prairie erst recht. Dazu kam, daß die hellen Mustangs von den Jägern geschont wurden; es fiel keinem Menschen ein, sich einen Schimmel zum Reiten zu fangen, weil ein solches Tier weithin sichtbar ist und den Reiter in Gefahr bringt. Diese Pferde konnten sich also zur vollen Kraft auswachsen. Ferner liegt oder lag es im Instinkte jedes heller gefärbten Pferdes, vorsichtiger zu sein als ein dunkleres. Sodann braucht eine Herde einen Anführer, der sich durch seine Färbung unterscheidet und mit dem Auge leicht zu finden ist. Je höher der Offizier steht, desto glänzender die Abzeichen seiner Würde. Was der Mensch durch Kunst erreicht, das bietet dem Tiere die Natur. Aus diesen und andern Gründen und Ursachen mag es gekommen sein, daß, wie jeder Westmann weiß, fast jede größere wilde Pferdeherde von einem Schimmel angeführt wurde.

Wenn nun diese hellen Leithengste die kräftigsten, schnellsten, ausdauerndsten und bissigsten Tiere waren, so mußte es ihnen leichter als jedem andern Pferde werden, einer etwaigen Nachstellung zu entgehen. Jeder Westmann hatte einen solchen Schimmel gesehen und seine Schnelligkeit und Klugheit bewundert; er erzählte davon und hörte andre dasselbe erzählen; das Leben auf der unendlichen Savanne erregt die Phantasie; es waren viele Schimmel gewesen, aber nach und nach schuf die Einbildungskraft aus ihnen einen einzigen, den – — »weißen Mustang«, der allüberall gesehen worden, aber nie zu fangen gewesen war. Dieser »eine« lebte nur in der Einbildung; die »einzelnen« aber hatte es wirklich gegeben.

Zur Zeit Winnetous und Old Shatterhands gab es auch einen »schwarzen Mustang«, mit dem es fast dieselbe und doch auch wieder eine andre Bewandtnis hatte. Es war kein wildes, sondern ein geschultes, ein sogar außerordentlich gut dressiertes Pferd, welches sich im Besitze des Häuptlings der Naiini-Komantschen befand. Auch von ihm erzählte man sich die wunderbarsten Dinge. Es besaß alle guten Eigenschaften in bisher noch nie dagewesenem Maße; es war noch in keinem Kampfe verwundet worden, noch nie gestolpert oder gar gefallen, noch nie von einem Verfolger eingeholt worden und – man verzeihe den Trapperausdruck! – noch nie gestorben. Das Pferd hatte schon zur Zeit der Ahnen gelebt; es war mit dem Großvater aus allen Kämpfen unverletzt hervorgegangen; es hatte dann den Vater heil durch Not und Tod getragen, und bewährte sich nun bei dem jetzigen Häuptling in so vorzüglicher Weise, daß er, um sich und das Tier zugleich zu ehren, den Namen desselben, Tokvi Kava, der »schwarze Mustang«, angenommen hatte.

Wie die Indsmen fest überzeugt waren, daß der Henrystutzen Old Shatterhands eine Zauberflinte sei, so fest behaupteten sie auch, natürlich die Angehörigen des Naiinistammes ausgenommen, die es besser wußten, daß der »schwarze Mustang« ein Medizinpferd sei, das Wort Medizin als Zauber, als Bezeichnung von etwas Übersinnlichem, Unbegreiflichem genommen. Dieser Glaube nun brachte dem Besitzer des Pferdes Ansehen und Vorteile. Man hütete sich, mit ihm persönlich oder mit seinem Stamme anzubinden, denn man hielt ihn für ebenso unverletzlich, wie sein Pferd; er war nicht zu besiegen. Er war ein kluger Mann und nützte das in schlauer Weise aus; die Erfolge stellten sich ein und machten ihn dadurch immer zuversichtlicher. Sein Stolz und seine Rücksichtslosigkeit wuchsen; er wurde der grausamste Feind aller Weißen und gegnerischen Roten und glaubte schließlich selbst daran, daß es keinen Menschen gebe, der sich mit ihm messen könne.

Natürlich hatte man sich unter diesem »schwarzen Mustang« auch nicht ein, sondern mehrere Pferde zu denken; sie waren Abkömmlinge voneinander, gleich gezeichnet und von gleicher Vortrefflichkeit. Das letztere, nämlich die Vortrefflichkeit, konnte nicht geleugnet werden, und so war es begreiflich, daß der Häuptling, als er im Firwood-Camp die beiden Rappen Old Shatterhands und Winnetous stahl, so stolz behauptete: »Wenn mein Mustang nicht wäre, so würden sie die besten Pferde von einem großen Wasser bis zum andern sein.« Er meinte damit den Atlantischen und den Stillen Ozean, also nach seiner Ausdrucksweise ganz Nordamerika. Ob er damit recht hatte, das sollten die spätern Ereignisse zeigen; aber schon heut abend mußte er einsehen, daß er sich wenigstens in einer Beziehung in den beiden Hengsten getäuscht hatte. Sie waren nicht so leicht zu stehlen, wie er dachte.

Im Camp wurde an diesem Abende nicht so zeitig wie sonst schlafen gegangen. Die Anwesenheit solcher Gäste, wie jetzt da waren, hielt die Leute auch nach dem Essen wach. Der Engineer saß mit Winnetou, Old Shatterhand und den beiden Timpes an dem einen Tische, wo Erzählung auf Erzählung folgte. An dem andern saßen der Aufseher und der Verwalter, meist still zuhörend und nur zuweilen ein Wort mit in die Unterhaltung werfend. Zu ihnen hatte sich der Mestize wieder gefunden, der sich vollständig stumm verhielt, doch um so schärfer auf alles lauschte, was gesprochen wurde. Winnetou und Old Shatterhand schienen von seiner Anwesenheit nicht die geringste Notiz zu nehmen; er bemerkte keinen einzigen Blick, den sie zu ihm herübersendeten, und doch hatten sie ihn so scharf im Auge, daß ihnen keine seiner Bewegungen und Mienen entgehen konnte.

Eben erzählte Kas eines seiner Abenteuer, als Winnetou ihn plötzlich mit der Hand aufforderte, zu schweigen.

»Was ist‘s?« fragte er. »Warum soll ich nicht weiter erzählen?«

»Still!« antwortete der Häuptling der Apatschen. »Es kommen Reiter.«

Sie lauschten und hörten wirklich schnelle Hufschläge näher kommen, die ganz vernehmlich den tiefen Schlamm hoch spritzten und dann draußen vor der Thür anhielten. Ein eigentümliches, freudiges Schnauben erklang.

»Uff!« rief Winnetou, indem er rasch aufstand. »Das sind keine fremden Pferde.«

Old Shatterhand erhob sich ebenso schnell von seinem Sitze und stimmte bei.

»Nein, keine fremden, das sind unsre Pferde. Wie kommen sie hierher? Habt Ihr nicht eine Wache zu ihnen gethan, Mister Engineer?«

»Noch nicht.«

»Warum nicht? Ich habe Euch doch darum gebeten! Wenn ich mich nicht irre, so habt Ihr, als wir von dem Schuppen fortgingen, die Thür desselben selbst verriegelt?«

»Ja, das habe ich gethan, und darum glaubte ich, daß es mit dem Posten nicht so eilig sei.«

»Wir befinden uns im Westen, wo es keinen Grund gibt, irgend eine Vorsicht aufzuschieben!«

»Es muß jemand, irgend ein Arbeiter, die Thür geöffnet haben; da sind die Pferde entwichen.«

»Entwichen? Sie waren fest angebunden, Sir! Dieser Jemand hat nicht nur die Thür geöffnet, sondern auch die Tiere losgebunden, und das ist jedenfalls ein Verhalten, welches mir sonderbar vorkommen muß. Erlaubt, Sir, daß ich mir einmal dieses Windlicht nehme.«

Diese Worte waren an den Shopman gerichtet, der an seinem Ladentische hockte. Über ihm hing eine gläserne Windlaterne, welche Old Shatterhand vom Nagel nahm und anbrannte, um dann mit Winnetou hinauszugehen. Die andern folgten neugierig, auch der Mestize, der freilich nichts davon wußte, daß sein roter Großvater vorhin die beiden Hengste gestohlen hatte.

Diese standen wirklich draußen und bewillkommten ihre Herren mit den Zeichen großer Aufregung. Sie schnaubten, wehten mit den Schwänzen, ließen die Ohren spielen, gingen mit den Vorderbeinen hoch, grad wie Hunde, die ihren Besitzer freudig begrüßen. Old Shatterhand leuchtete sie an und rief dann betroffen aus:

»Alle Wetter! Was ist das? Die Pferde kommen nicht aus dem Schuppen! Seht doch den Schmutz und Schlamm, der hier sogar dick auf dem Rücken liegt! Sie sind galoppiert; sie sind weit fortgewesen! Aber wo und mit wem?«

»Mit wem?« fragte der Engineer. »Mit niemandem, natürlich. Wem sollte es einfallen, in solchem Wetter und solcher Finsternis mit fremden Pferden spazieren zu reiten?«

»Reiten? Möchte wissen, wer es fertig brächte, sich auf eines dieser Pferde zu setzen! Es hat niemand darauf gesessen, denn seht, die Sitze sind mit Koth bespritzt.«

»Also habe ich ja recht! Es hat jemand den Schuppen aufgemacht; da rissen sich die Pferde los und echappierten. Sie sind ein Stück herumgerannt und nun wiedergekommen; das ist alles. Ich werde aber untersuchen, wer hieran die Schuld trägt. Es hat des Nachts kein Mensch im Schuppen etwas zu suchen.«

»Unsre Pferde reißen sich nicht los, wenn wir sie angebunden haben, und ebensowenig rennen sie ohne unsre Erlaubnis spazieren!«

Da sagte Winnetou in seiner ruhigen Weise, indem er auf den Zügel seines Pferdes, den er in die Hand genommen hatte, zeigte:

»Mein weißer Bruder hat recht; aber dennoch haben sie sich losgerissen, doch nicht im Schuppen dort, sondern unterwegs.«

An dem Zügel hing ein fest angeknoteter Riemen, der wahrscheinlich eine Schleife gebildet hatte, nun aber zerrissen war. Old Shatterhand untersuchte ihn, warf einen bedeutungsvollen Blick auf den Apatschen und sagte dann zu dem Engineer:

»Ihr habt recht, Sir, und Winnetou irrt sich, was bei ihm freilich selten ist. Die Pferde haben sich im Schuppen losgerissen. Kommt mit! Wir müssen sie fester anbinden. Die andern Gentlemen brauchen sich nicht weiter zu bemühen. Es ist gut!«

Er sagte das in einem solchen Tone der Ruhe und Überzeugung, daß die damit beabsichtigte Wirkung nicht ausblieb. Der Aufseher und der Verwalter kehrten mit dem Mestizen an ihre Plätze in den Shop zurück. Kas und Has wollten ihnen folgen; da flüsterte ihnen Old Shatterhand zu:

»Fangt mit dem Halbblut ein Gespräch an, und laßt ihn nicht eher heraus, als bis wir wiedergekommen sind!«

»Warum, Mister Shatterhand?« fragte Kas.

»Das werdet Ihr später erfahren. Nur haltet ihn fest; aber seid freundlich und zutraulich mit ihm!«

»Aber wenn er partout heraus will? Sollen wir da Gewalt anwenden?«

»Nein. Das soll vermieden werden. Aber es kann Euch doch nicht schwer fallen, ihn durch eine interessante Geschichte festzuhalten!«

»Denke es auch. Werde einige famose Sachen erzählen und dabei gute Witze machen, genau so, wie bei Timpes Erben. Komm, alter Has!«

Sie gingen hinein. Winnetou nahm die Pferde bei den Zügeln, um sie zu führen. Old Shatterhand leuchtete voran; der Engineer ging neben ihm und sagte, indem er mit dem Kopfe schüttelte:

»Ich verstehe Euch nicht, Sir. Erst thut Ihr plötzlich so ruhig und gebt mir recht, und dann erteilt Ihr diesen beiden Gentlemen Aufträge, als ob man Yato Inda gar nicht trauen dürfe.«

»Ich habe mich verstellt, denn es gilt, vorsichtig zu sein. Die Pferde sind gestohlen und fortgeschafft worden, haben sich aber unterwegs losgerissen.«

»Unmöglich!«

»Es ist so; ich versichere es Euch!«

»Und wenn es so wäre, könnte der Yato Inda der Dieb gewesen sein?«

»Nein; aber er ist sein Helfershelfer.«

»Ich behaupte, daß er ehrlich ist!«

»Und ich behaupte, daß er nicht Yato Inda, sondern lk Senanda heißt und der Enkel des ›schwarzen Mustangs‹ ist. Kommt nur erst nach dem Schuppen, da werden wir erfahren, wer den Diebstahl ausgeführt hat!«

»Wie wollt Ihr das erfahren?«

»Der weiche Erdboden wird es mir sagen. Selbst wenn ein Geist der Dieb gewesen wäre, müßte man da die Spuren sehen.«

»Ich nicht, denn ich verstehe von diesen Dingen nichts. Ihr habt da freilich mehr Übung; dennoch denke ich, daß Ihr einsehet, wie unrecht Ihr meinem Mestizen thut.«

»Wartet es ab, Sir!«

Sie waren während dieses Wortwechsels in die Nähe des Schuppens gekommen. Der Engineer wollte schnell vollends hin. Old Shatterhand hielt ihn am Arme zurück und warnte:

»Nicht so rasch! Ihr könnt uns sonst alles verderben.«

»Was?«

»Die Spuren, die ich sehen will. Wenn Ihr hineintretet, sind sie nicht deutlich zu erkennen.«

»Ganz wie Ihr wollt. Wir haben ja Zeit.«

Old Shatterhand machte einen Bogen, um nicht direkt, sondern von rückwärts an die Thür zu kommen und dadurch die mutmaßlichen Spuren zu schonen. Dann ging er bis zur Thür und leuchtete nieder. Winnetou ließ die Pferde stehen, kam zu ihm hin und bückte sich mit nieder.

»Uff!« rief er aus. »Das sind indianische Mokassins gewesen!«

»Dachte es mir!« nickte Old Shatterhand. »Es waren Rote hier. Aber wie viele?«

»Das wird mein Bruder sehen, wenn wir die Fährte von dem Schuppen weg verfolgen. Hier sind die Menschen— mit den Pferdespuren vermischt.«

»Jetzt noch nicht fort. Wollen noch hier bleiben! Die Hufstapfen zeigen deutlich, daß die Pferde langsam gegangen sind. Das hätten sie nicht gethan, wenn sie entflohen wären, nachdem sie sich losgerissen hatten. Sie sind sehr vorsichtig aus dem Schuppen geführt worden.«

»Er ist verriegelt,« bemerkte Winnetou, indem er auf die Thür zeigte.

»Ein weiterer Beweis, daß ein Diebstahl vorliegt. Pferde können keine Thür verriegeln.«

»Aber Menschen!« fiel der Engineer ein. »Und ein Mensch, natürlich ein Arbeiter, ist es gewesen, der sich im Schuppen heimlich etwas zu schaffen gemacht hat. Dabei haben sich die Pferde losgerissen.«

»Da wäre der Mann erschrocken zu uns gerannt gekommen, um es uns zu melden!«

»Nein. Er hat das freilich nicht gethan, weil er die Vorwürfe fürchtete.«

» Pshaw! Die Fährte wird uns ja sagen, wer recht hat, Ihr oder ich. Wieviel weiße Arbeiter habt Ihr, Sir?«

»So viele, wie Ihr im Shop gesehen habt.«

»Sie waren alle da?«

»Alle.«

»Schön! Ich mache Euch darauf aufmerksam, daß keiner von diesen Weißen den Shop verlassen hat. War wirklich ein Arbeiter hier, so muß es ein Chinese gewesen sein.«

»Das meine ich auch.«

»Was haben diese Himmelssöhne für Schuhwerk an den Füßen?«

»Schwere chinesische Schlappen mit dicken Sohlen.«

» Well! Das gibt einen so ausgeprägten, eigenartigen Stapfen, daß man sich gar nicht irren kann. Werden nachher sehen. Jetzt treten wir zunächst hier ein.«

Sie öffneten die Thür und gingen hinein. Es war nichts zu sehen. Die Diebe hatten keine Spur zurückgelassen. Darum wurden nun die Pferde hineingeschafft und wieder angebunden, worauf die drei Männer die Untersuchung draußen fortsetzten, indem sie die Fährte vom Schuppen weg verfolgten. Nach wenigen Schritten schon teilten sie sich. Nach rechts führten Menschen— und Tierschritte, von links her gab es nur Menschenspuren.

»Da sind sie gekommen,« sagte Old Shatterhand. »Sieht mein Bruder Winnetou, wie viele es gewesen sind?«

Der Apatsche betrachtete die Eindrücke genau und antwortete dann:

»Diese roten Männer waren so unvorsichtig, nicht hintereinander zu gehen, darum ist ganz deutlich zu sehen, daß es vier Männer waren. Gehen wir noch weiter! Die Fährte geht nach der hinteren Seite des Shop.«

Nach kurzer Zeit gelangten sie an die Stelle, wo die beiden Chinesen mit den Indianern zusammengetroffen waren. Sie war bereits ausgetreten und wurde von Old Shatterhand sorgfältig beleuchtet.

»Uff !« rief Winnetou. »Hier haben die roten Männer einige Zeit gestanden und mit zwei gelben Männern gesprochen. Man sieht die Spur der dicken, geraden Sohlen ganz genau.«

»Sagte ich es nicht!« meinte da der Engineer. »Es sind Arbeiter im Schuppen gewesen!«

»Unsinn!« widersprach Old Shatterhand, ziemlich unwillig darüber, daß der Beamte noch immer nicht von seinen falschen Gedanken abzubringen war. »Im Schuppen waren sie nicht, denn ihre Spuren führen nicht bis hin. Ihr seht ja, daß sie bloß hierher und dann wieder zurückgehen. Ich bitte Euch sehr, Eure irrige Ansicht aufzugeben! Es sind Indianer hier gewesen, Komantschen jedenfalls. Das ist keine Kleinigkeit für Euch!«

» Pshaw! Jedenfalls arme Teufel, die vielleicht Eßwaren stehlen wollten und unglücklicherweise an eure Pferde geraten sind.«

»Wenn es so wäre, wollte ich es loben. Ich fürchte aber, daß es noch ganz anders kommen wird. Diese Roten scheinen mit Euren Chinesen im geheimen Einverständnisse zu stehen.«

»Oho!«

»Ja! Ihr seht ja, daß sie hier miteinander gesprochen haben. Wenn kein Einverständnis zwischen ihnen vorläge, würden die Indianer die Chinesen ausgelöscht haben.«

»Meint Ihr, Sir?«

»Gewiß! Und seht: erst haben nur drei Rote hier gestanden, der vierte ist aus der Richtung des Shop zu ihnen gekommen. Erratet Ihr, welcher das war?«

»Etwa dieser Juwaruwa, den Ihr nicht fortlassen wolltet?«

»Ja, der war es.«

»So möchte ich nur wissen, welche von meinen Chinesen diese beiden hier gewesen sind!«

»Fragt Eure Langzöpfe, ob Ihr etwas erfahren werdet! Ganz gewiß nicht!«

»Die Betreffenden werden sich freilich hüten, es einzugestehen.«

»Wir werden es trotzdem erfahren.«

»Meint Ihr?«

»Ja.«

»Aus den Spuren?«

»Vielleicht, vielleicht auch nicht; dann aber jedenfalls auf eine andre Weise. Einstweilen wollen wir von ihnen absehen und uns nur mit den Roten beschäftigen. Kommt!«

Sie folgten der jetzt nicht mehr vier— sondern nur noch dreifachen Fährte, bis sie an den Ort kamen, an welchem Tokvi Kava mit dem Mestizen zuletzt gesprochen hatte und von dem aus dieser nach dem Shop zurückgegangen war. Dann wurden sie von der Spur nach der vorderen Seite des Shop geleitet, dorthin, wo die Komantschen auf den Mestizen gewartet hatten. Als auch diese Stelle einer Untersuchung unterworfen worden war, sagte Old Shatterhand:

»Jetzt ist mir alles klar. Es kamen vier Komantschen hierher. Drei warteten, und der vierte ging in den Shop, um dem Mestizen ein Zeichen zu geben, daß er herauskommen solle. Dieser Mensch ging hierher; da sie sich aber hier nicht sicher fühlten, wendeten sie sich nach der Hinterseite des Shop. Darum hat mein Bruder Winnetou hier vergeblich gesucht und nichts gefunden. Der Mestize besprach sich mit den drei Roten und kehrte dann zu uns zurück; sie aber gingen nach der Stelle, wo sie Juwaruwa erwarteten. Dieser kam, und als sie sich nun ganz entfernen wollten, stießen sie auf die beiden Chinesen.«

»Was die aber dort zu suchen hatten?« fragte der Engineer.

»Das werden sie uns sagen,« antwortete Old Shatterhand zuversichtlich.

»Wir wissen aber doch gar nicht, welche zwei von meinen vielen chinesischen Arbeitern es waren!«

»Wir werden es erfahren. Verlaßt Euch darauf!«

»Wollen wir ihre Spur nicht auch untersuchen?«

»Jetzt noch nicht. Wir müssen vorher zu dem Mestizen. Er soll fliehen.«

»Fliehen?« fragte der Engineer, im höchsten Grade erstaunt. »Welch ein Gedanke!«

»Wieso?«

»Entweder ist er der bravste Mensch, für den ich ihn halte, und da braucht er nicht zu fliehen, oder er ist ein Schurke, der uns an die Indianer verraten will, und da darf ich ihn nicht entkommen lassen.«

»So denkt Ihr, ich aber denke anders. Er ist der Enkel des Komantschenhäuptlings Tokvi Kava und hat sich unter ehrlicher Maske bei Euch eingeschmeichelt, um Euch seinem roten Großvater zu überliefern. Dieser hat heut vier Boten zu ihm geschickt oder ist vielleicht gar selbst mit hier gewesen, um die Zeit und Art des Überfalles zu bestimmen. Ich möchte behaupten, daß Tokvi Kava mit hier gewesen ist. Was sagt mein Bruder Winnetou dazu?«

»Der ›schwarze Mustang‹ war da,« antwortete der Apatsche mit einer solchen Bestimmtheit, als ob er ihn gesehen hätte.

»Gewiß! Denn nur so ein Krieger wie er konnte auf den Gedanken kommen, unsre Pferde zu stehlen. Er hat gehört, daß wir hier sind, und wird den Überfall des Camp einstweilen aufgeben, bis wir dieses verlassen haben. Zu Eurer Sicherheit aber ist unbedingt erforderlich, zu erfahren, was gegen Euch im Werke liegt, und wann es ausgeführt werden soll. Das könnt Ihr aber nicht hören, wenn der Mestize hier bleibt.«

»Sir,« antwortete der Engineer ungläubig, »ich weiß, wer Ihr seid, und was ich von Euch zu halten habe, aber Ihr redet für mich in Rätseln. Ich muß Euch zu meinem großen Schrecken glauben, daß die Roten etwas gegen uns vorhaben, denn sonst hätten sie keine Kundschafter hergeschickt; aber was ich darüber wissen muß, kann ich doch am besten und am sichersten von dem Mestizen erfahren, wenn er wirklich, wie Ihr behauptet, der Verbündete der Roten ist.«

»Ihr denkt, er sagt es Euch?«

»Ich zwinge ihn dazu!«

» Pshaw! Ich wüßte nicht, wie Ihr das anfangen wolltet!«

»Ihr werdet mir dabei helfen, Sir!«

»Das kann ich nicht, denn er würde mir eben so wenig sagen wie Euch. Es gibt nur das eine sichere Mittel, alles zu erfahren: wir müssen ihm Angst einjagen, daß er sich aus dem Staube macht.«

»Aber, wenn er fort ist, erfahren wir erst recht nichts, Mister Shatterhand!«

»Im Gegenteil. Habt Ihr nicht gehört, daß wir morgen nach dem Alder-Spring wollen?«

»Ja.«

»Der Mestize hat es auch gehört und wird es den Roten mitgeteilt haben. Ich bin überzeugt, daß sie hinreiten, um uns aufzulauern und zu fangen. Wir werden uns aber nicht erwischen lassen, sondern im Gegenteil sie belauschen.«

»Sir, das ist unendlich gefährlich!«

»Für uns nicht, und für Euch hat es den Zweck, daß Ihr dann wißt, woran Ihr seid.«

»Wie werde ich es denn erfahren? Wollt Ihr etwa wiederkommen?«

»Wenn wir erfahren, daß Ihr Euch in Gefahr befindet, kommen wir ganz gewiß zurück, um Euch beizustehen. Nur müßt Ihr heut den Mestizen laufen lassen.«

»Und wenn er nicht läuft?«

»Er läuft! Wo pflegt er zu schlafen? Etwa bei den Arbeitern?«

»Nein. Er hat sich da hinten an dem Gebüsch ein halbindianisches Wigwam errichtet.«

»Um nicht beobachtet zu werden. Ganz richtig! Er hat ein Pferd?«

»Ja. Es ist stets in der Nähe dieses Wigwams angepflockt.«

»Gut! Mein Bruder Winnetou wird sich jetzt dorthin begeben und sich verstecken, um ihn zu beobachten, damit wir wirklich wissen, ob er fort ist oder nicht. Ich aber gehe in den Shop, um ihm die nötige Angst einzujagen. Macht aber ja keinen Fehler, Sir! Er soll denken, wir wissen nicht, daß die Pferde von Indianern gestohlen worden sind, sondern vielmehr glauben, wir nehmen an, daß sie sich im Schuppen losgerissen haben.«

»Well. Darf ich mit Euch gehen?«

»Ja. Vorher aber beschreibt Ihr Winnetou genau, wo das Wigwam liegt.«

Winnetou hatte zu der ganzen Unterhaltung nur wenige Worte beigetragen; er hörte jetzt die Beschreibung des Platzes auch ganz ruhig an und ging dann fort. Das war so seine Art und Weise und für Old Shatterhand der Beweis, daß er mit allem, was dieser gesagt und geplant hatte, einverstanden war. Als er sich entfernt hatte, gingen die beiden nach dem Shop. Sie fanden den Mestizen in reger Unterhaltung mit den beiden Timpes, denen es gelungen war, ihn vollständig zu fesseln. Er warf einen heimlich sein sollenden, mißtrauisch forschenden Blick auf den weißen Jäger, und dieser that so, als ob er ihn nicht bemerkt hätte. Der gute Kas hielt in der Erzählung, die er eben vortrug, inne und erkundigte sich:

»Nun, Mister Shatterhand, wie habt Ihr es im Schuppen gefunden? Wer hatte recht, Ihr oder Winnetou?«

»Ich. Von einem Pferdediebstahl war keine Rede. Wir hatten vergessen, die Thür zu verriegeln, und da muß irgend ein Tier hineingeraten sein und die Hengste ängstlich gemacht haben. Sie haben sich losgerissen und das Weite gesucht, sich aber glücklicherweise wieder hierhergefunden. Darüber können wir also beruhigt sein, umsoweniger aber über einen andern Umstand.«

»Über welchen?«

»Es sind Rote hier gewesen.«

»Einer doch wohl nur? Ich meine diesen sogenannten Juwaruwa, der da im Shop war.«

»Er war nicht allein. Es gehörten noch drei andre Rote zu ihm, die draußen auf ihn warteten.«

»Alle Wetter!« rief Kas, indem er seinen Strohhut weit aus der Stirn schob. »Noch drei andre! So ist dieser elende Halunke also wohl doch noch ein Spion gewesen?«

»Ich bin überzeugt davon und behaupte, daß sich hier im Camp ein Verbündeter von den Roten befindet.«

» All devils! Wenn das wahr wäre! Wer könnte das sein?«

»Ich weiß es; aber fragt einmal Yato Inda danach, der da neben Euch sitzt; der weiß es ebenso gut wie ich.«

Da drehte sich der Mestize langsam nach Old Shatterhand um, blitzte ihn mit zornig funkelnden Augen an und fragte in feindseligem Tone:

»Was soll ich wissen, Sir?«

»Was ich diesem Gentleman hier gesagt habe.«

»Ich weiß gar nichts.«

»So kommt, Mesch‘schurs; ich will euch etwas zeigen. Yato Inda mag auch mitgehen!«

»Wo ist Mr. Winnetou?« fragte Kas, indem er mit den andern aufstand.

»Im Schuppen bei den Pferden, um zu wachen, daß sie nicht wieder aufgeregt werden.«

Sie gingen alle hinaus, auch die weißen Arbeiter mit; der Mestize aber blieb sitzen. Da wendete Old Shatterhand unter der Thür sich nach ihm um und sagte:

»Ich habe alle aufgefordert, mitzugehen. Wer zurückbleibt, der bekommt es mit mir zu thun. Ich scherze nicht.«

Old Shatterhands drohendes Auge sagte noch mehr, als diese Worte enthielten. Der Mestize stand auf und kam hinterher. Old Shatterhand trug die Laterne wieder und führte die Männer zu der Fährte, welche der Mestize gemacht hatte, als er aus dem Shop zu den auf ihn wartenden Komantschen gegangen war. Er leuchtete auf dieselben nieder und sagte:

»Seht euch diese Stapfen genau an, Mesch‘schurs! Es sind die Spuren eines Halunken, der euch alle ins Verderben führen will. Ich werde euch nachher die Füße zeigen, die ganz genau in diese Eindrücke passen. Den Kerl lynchen wir!«

»Ins Verderben führen?« fragte der Aufseher erschrocken. »Wieso?«

»Er verkehrt mit feindlichen Indianern, die wahrscheinlich das Camp überfallen wollen, und hat sich unter einem falschen Namen bei euch eingeschmuggelt, um ihnen die Sache leicht zu machen.«

»Indianer? Ist das möglich?«

»Ja, der Rote, welcher vorhin hier war, war ein Spion von ihnen, der ihn hinausschicken sollte. Wir sahen, daß sie Zeichen miteinander auswechselten.«

»Wer ist der Schuft? Sagt es, Sir, sagt es!«

»Später! Erst will ich euch Beweise geben. Ihr seht, daß ich seinen Stapfen folge, und werdet bald erfahren, wohin sie führen.«

Old Shatterhand ging auf der Spur weiter, und sie folgten ihm, bis er stehen blieb, auf den Boden leuchtete und sagte:

»Seht her! Hier haben drei Indianer gestanden und auf ihn gewartet, während der vierte, der sich Juwaruwa nannte, sich bei uns im Shop befand und ihm heimlich zuwinkte. Überzeugt euch genau, daß diese Eindrücke von Indianern strammen!«

Da sagte Has, indem er seinen langen, schwarzen Schnurrbart grimmig auseinanderzog:

»Das bedarf gar keiner besonderen Überzeugung, Sir. Man sieht es doch gleich mit dem ersten Blick, daß es sich um Rote handelt. Alle Wetter! Das Camp steht in Gefahr. Zeigt uns den Burschen, damit wir ihn ein wenig aufhängen! Es gibt hier Bäume genug, die hübsche, starke Äste haben.«

»Wartet nur noch ein kleines Weilchen! Wir müssen der Spur noch weiter folgen. Ihr sollt ganz genau sehen, wie er gegangen ist.«

Der Mestize stand dabei und hörte natürlich alles, was gesprochen wurde. Old Shatterhand ließ den Schein der Laterne zuweilen über sein Gesicht gleiten und sah dabei den irren, ängstlichen Blick, mit dem das dunkle Auge um sich sah.

Es ging weiter, hinter den Shop herum, wo Old Shatterhand wieder stehen blieb und erklärte:

»Dann sind sie hierher gegangen und lange hier stehen geblieben, wie ihr aus den Spuren erseht. Denn dort, auf der Vorderseite fühlten sie sich nicht sicher, weil Winnetou und ich hier waren. Sie glaubten, wir würden sie beschleichen. Hier haben sie von uns und von dem Überfalle gesprochen, den sie planen. Dann sind die drei Roten ein Stück weiter gegangen, um auf Juwaruwa zu warten, der da zu ihnen stieß. Der Verräter aber ist von hier nach dem Shop zurückgekehrt. Ich bin kein Freund von solchen Schauspielen, hier aber haben wir es mit einem Schurken zu thun, der unbedingt gelyncht werden muß.«

»Wer ist es, wer, wer, wer?« wurde rund im Kreise gefragt. Nur der Mestize war still.

»Sogleich, sogleich werdet ihr es erfahren! Nur wollen wir der Fährte noch ein Stückchen folgen, bis sie so deutlich wird, daß ich euch zeigen kann, wie genau sein Fuß hineinpaßt. Kommt, Mesch‘schurs.«

Indem er die Männer wieder nach der vorderen Seite des Shop führte, paßte er mit scharfem Blicke auf den Mestizen auf. Dieser folgte langsam nur noch einige Schritte und that dann einige schnelle Sprünge auf die Seite; er war nicht mehr zu sehen. Nun war es Zeit. Der Mischling durfte nicht zu Atem und noch viel weniger auf den Gedanken kommen, hier zu bleiben und sich zu verstecken, um zu belauschen, was die Bewohner des Camps vornehmen würden. Darum blieb Old Shatterhand schon nach kurzer Zeit stehen und sagte:

»Hier ist die Stelle, wo ihr es erfahren sollt. Yato Inda mag her zu mir kommen und – ah,« unterbrach er sich, »wo ist der Mestize?«

»Der Mestize?« wurde gefragt. »Ist er es etwa? Ist er es?«

»Natürlich der! Ich glaubte, ihr würdet es erraten. Er heißt nicht Yato Inda, sondern Ik Senanda und ist ein Enkel des ›schwarzen Mustang‹. Dieser will das Camp überfallen und hat ihn hergeschickt, um die beste Gelegenheit dazu auszuspähen.«

Da erhob sich ein Schreien, Brüllen und Rufen nach dem Entflohenen, welches weithin durch das Thal erschallte. Old Shatterhand aber überrief sie noch mit seiner mächtigen Stimme:

»Wozu dieser unnütze Lärm! Er ist nach seinem Wigwam gelaufen, um sein Pferd zu holen und zu fliehen. Eilt ihm nach, damit er nicht entkommt!«

»Nach seinem Wigwam?« rief einer immer lauter als der andre. »Ja, nach seinem Wigwam! Ihm nach, dorthin, dorthin, daß wir ihn fangen!«

Sie rannten fort und Old Shatterhand blieb mit dem Engineer allein zurück.

»Nun, was sagt Ihr dazu?« fragte lächelnd der erstere den letzteren. »Ist es nicht gelungen?«

»Ja, wenn Ihr Euch in dem Mestizen nicht dennoch irrt. Es wird mir wirklich schwer, ihn für einen so schlechten Menschen zu halten.«

»Würde er geflohen sein, wenn er es nicht wäre?«

»Das ist freilich wahr. Aber dann müssen wir Gott heilig danken, daß er Euch zu uns geführt hat. Was wäre aus uns geworden! Die Roten hätten uns alles, alles abgenommen, sogar das Leben, denke ich!«

»Das Leben und die Skalpe, wohl auch die Vorräte und alles andre außer dem Gelde; das hat der Mestize jedenfalls für sich ausbedungen. Ich kenne das und habe es wiederholt erlebt. Doch horcht! Hört Ihr nichts, Sir?«

»Ja, dort drüben rennt ein Pferd.«

»Es ist das seinige; er reitet fort, getrieben von der Angst vor dem Richter Lynch. Es wird ihm nicht einfallen, sich hier zu verstecken, um uns zu belauschen. Wir sind ihn los.«

»Aber für wie lange! Er wird zu den Komantschen reiten und mit ihnen wiederkommen.«

»Dann reiten wir ihm nach und sind noch vor ihm wieder hier. Ihr braucht keine Sorge zu haben. Hört Ihr das Brüllen Eurer Leute? Sie suchen noch nach ihm und finden ihn nicht. Ah, nun lassen sie ihren Ärger an seinem Wigwam aus!«

Sie sahen drüben am Gebüsch eine erst kleine Flamme aufzüngeln, welche aber trotz der vom Regen zurückgebliebenen Nässe bald größer und größer wurde. Die Arbeiter hatten das Wigwam angebrannt. Beim Scheine des Feuers sahen die beiden Winnetou auf sich zukommen. Als er sie erreichte, blieb er stehen und sagte:

»Winnetou lag auf der Lauer und hörte den Mestizen gelaufen kommen und in sein Wigwam treten. Da erschallte das Rachegeschrei der Männer, und das Halbblut stürzte vor Angst wieder hinaus, rannte zu seinem Pferde, stieg auf und ritt davon.«

»Wird er weit reiten oder heimlich doch hier bleiben?« fragte Old Shatterhand, um zu hören, was Winnetou über diesen Punkt dachte.

»Er wird weit, weit reiten und nicht eher anhalten, als bis er von uns heut nicht mehr erreicht werden kann. Ich habe das Sausen seines Atems gehört und daraus vernommen, daß seine Angst eine so große war, daß es ihm gewiß nicht einfällt, hier zu bleiben.«

»Das denke ich auch. Wir können also unsre unterbrochene Forschung wieder aufnehmen, ohne befürchten zu müssen, dabei heimlich von ihm beobachtet zu werden.«

»Welche Forschung?«

»Nach den Spuren der beiden Chinesen, die wir noch nicht ausgekundschaftet haben.‹,

»Dürfen die andern dabei sein?«

»Höchstens die beiden Timpe. Wenn mehr mitgehen, können sie nur die Fährte leicht verderben.«

Die Arbeiter kehrten jetzt von der ergebnislosen Verfolgung des Mestizen zurück. Sie wollten von Old Shatterhand Auskunft über seinen Verdacht und was mit diesem zusammenhing, haben; er forderte sie auf, in den Shop zu gehen und dort eine kurze Zeit zu warten; er werde bald nachkommen und ihnen alles erklären. Dann wendete er sich mit Winnetou, dem Engineer und den beiden Timpes wieder nach der Hinterseite des Shop, wo er vorhin die Spuren der zwei Chinesen gesehen hatte, ohne ihnen zu folgen. Sie fanden sie beim Scheine der Laterne leicht wieder und gingen ihnen nach.

Sie hatten angenommen, daß diese Fährte um zwei Ecken des Gebäudes nach dem Eingange zum Shop führen werde, sahen aber bald, daß dies nicht der Fall war, denn sie ging weiter bis zur Wohnung des Engineers, und zwar nach der hinteren Seite derselben. Dort lehnte eine Leiter, die bis zum Dache ging, an der Mauer.

»Uff!« rief der Apatsche dem Engineer zu. »Lehnt diese Leiter immer hier?«

»Nein,« antwortete der Gefragte, indem er bedenklich mit dem Kopfe schüttelte.

»Lehnte sie aber vielleicht schon da, als wir vorhin im Innern dieses Hauses waren?«

»Ich weiß nichts davon. Die Sache kommt mir außerordentlich verdächtig vor. Wer mag das gewesen sein?«

»Die Chinesen natürlich!« antwortete Old Shatterhand. »Ihr seid wahrscheinlich bestohlen worden, Sir, und wir mit!«

»Uff, uff!« stimmte der Apatsche bei. »Unsre Gewehre sind verschwunden.«

»Seid Ihr, – nehmt es mir nicht übel, Mister Winnetou, aber seid Ihr nicht recht gescheidt?« rief der Engineer erschrocken.

»Sie sind fort,« wiederholte der Häuptling.

»Ja, das sage ich auch,« erklärte Old Shatterhand ohne alle Aufregung.

»Und das sagt Ihr in einem so ruhigen Tone, als ob es sich nur um einige Zündhölzer anstatt um die drei kostbarsten Gewehre des wilden Westens handelte!«

»Was könnte die Aufregung nützen? Sie würde nur schaden. Je ruhiger wir die Sache hinnehmen, desto eher und sicherer bekommen wir unsre Gewehre wieder.«

»Ich kann es mir nicht denken, aber wenn es wirklich so ist, dann müssen die Spitzbuben die Gewehre sofort herausgeben, und ich jage sie fort, nachdem ich sie habe halb oder dreiviertel tot prügeln lassen!«

»Sie können sie nicht herausgeben.«

»Nicht? Warum?«

»Weil sie sie nicht mehr haben.«

»Wer denn?«

»Die Komantschen.«

»Zum Kuckuck! Das wäre schlimm, sehr schlimm für Euch! Wie kommt Ihr denn auf diesen unglückseligen Gedanken?«

»Auf die einfachste Weise. Die Spuren der beiden Chinesen stoßen mit denen der Komantschen zusammen und gehen dann gleich wieder zurück. Die Roten haben die Gewehre erhalten.«

»So denkt Ihr, daß die Flinten extra für die Indianer gestohlen worden sind?«

»Nein! Vorhin freilich, als ich die Fährten zum erstenmal beisammen sah, war ich geneigt, anzunehmen, daß die Indsmen mit diesen zwei Chinesen im geheimen Einverständnisse seien, jetzt aber bin ich überzeugt, daß dem nicht so ist. Die Chinesen haben den Diebstahl für sich ausgeführt; als sie dann fortgingen, um die Gewehre zu verstecken, sind sie auf die Indianer gestoßen und von diesen gezwungen worden, die Waffen herzugeben.«

»Das ist freilich möglich, aber wir haben ja noch gar keine Sicherheit. Wir können noch gar nicht behaupten, daß es sich wirklich um eure Gewehre handelt. Kommt, wir wollen hineingehen und nachsehen! Hoffentlich habt Ihr Euch getäuscht.«

»Wir täuschen uns nicht. Haben Eure Chinesen Gewehre?«

»Nein.«

»Also! Seht hier diese drei Eindrücke im schlammigen Boden! Sie können nur von Gewehrkolben herrühren. Die Diebe haben, als sie von der Leiter kamen, sich die Hände auf einen Augenblick frei gemacht und die Büchsen an die Mauer gelehnt. Drei Stück, ein großer, ein mittlerer und ein kleinerer Eindruck; das ist der Bärentöter, die Silberbüchse und der Henrystutzen. Weitere Beweise brauchen wir nicht.«

»Es ist wahr; es ist wirklich wahr!« rief der Engineer aus, als er die drei Löcher im Schlamm angesehen hatte. »Wahrhaftig, das sind Chinesen gewesen! Ich lasse sie zu Tode peitschen! Welche zwei aber mögen es unter so vielen gewesen sein?«

»Wir werden sie entdecken. Wir haben hier ihre Spuren, was freilich nicht viel sagen will. Vielleicht finden wir drin im Hause einen Anhaltspunkt. Und wenn das nicht sein sollte, so gibt es im Kopfe eines guten Westmannes noch andre Haken, an denen man dergleichen Spitzbuben aufhängen kann.«

»Wollen es hoffen, Sir! Donner und Doria! Es ist eigentlich eine ganz und gar armselige Blamage für mich und unser Camp. Erst diese Freude und Ehre, so berühmte Westmänner bei uns zu sehen, und nun stellt es sich heraus, daß Ihr auf eine so raffinierte und freche Weise bestohlen worden seid! Ich möchte nur wissen, wie die Halunken auf diesen Gedanken gekommen sind: sie brauchen diese Waffen doch gar nicht; sie können gar nicht mit ihnen umgehen. Welchen Zweck hatten sie eigentlich dabei?«

»Das ist mir freilich auch ein Rätsel, welches sich aber schon noch lösen lassen wird.«

Da sagte Kas, der Blonde:

»Ich weiß nicht, ob es ein guter oder ein alberner Gedanke von mir ist, Sir, aber mir ist soeben eine Art von Erklärung eingefallen.«

»Welche?«

»Ehe Ihr kamt, war die Rede von Euch. Wir sprachen da natürlich auch von Euren Gewehren, und daß sie von einem so hohen Werte sind, daß man ihn eigentlich gar nicht bestimmen kann. Sollten einige von diesen gelben Zopfmännern das gehört haben und dadurch auf den Gedanken geraten sein, die kostbaren Waffen zu stehlen, um sie später zu einem hohen Preise zu verkaufen?«

»Hm! Dieser Gedanke ist gar nicht dumm, Mister Timpe. Vielleicht habt Ihr das Richtige getroffen. Die beiden Abteilungen des Shops sind nur durch einen dünnen Verschlag voneinander getrennt, durch welchen das, was gesprochen worden ist, leicht gehört werden konnte. Und wenn ich mich nicht irre, saßen zwei Chinesen ganz nahe an diesem Verschlage auf einer Bank allein.«

»Das ist richtig,« stimmte der Engineer bei. »Das waren die beiden Firsthands [Vorarbeiter.], deren wir uns als Vermittler bedienen.«

»Muß man da nicht annehmen, daß sie ehrliche Leute sind?« fragte Old Shatterhand.

»Das nicht, Sir! Diese Burschen sind alle Halunken, vom ersten bis zum letzten. Sie stehlen nur dann nicht, wenn es nichts zu stehlen gibt, und ihr Hauptgrundsatz ist der, daß es keine Sünde und Schande, sondern vielmehr ein gutes Werk und eine Ehre ist, den Weißen so viel wie möglich zu übervorteilen. Daß ein Chinese es bis zum Firsthand gebracht hat, ist gar kein Grund, darauf zu schließen, daß er ehrlicher als die andern sei, sondern grad im Gegenteile: er ist intelligenter, und also darf man ihm noch weniger trauen. Wollen wir uns die beiden einmal gründlich vornehmen?«

Der schwarze Mustang

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