Читать книгу Die Sklavenkarawane - Karl May - Страница 1
Ein Dschelabi
Оглавление»Haï es sala« – rief der fromme Schech el dschemali, der Anführer der Karawane – »auf zum Gebete! El Asr ist da, die Zeit der Kniebeugung, drei Stunden nach Mittag!«
Die Männer kamen herbei, warfen sich auf den sonnendurchglühten Boden nieder, ließen den Sand durch die Hände gleiten und rieben sich denselben an Stelle des fehlenden, zur vorgeschriebenen Waschung nötigen Wassers sanft gegen die Wangen. Dabei sprachen sie laut die Worte der Fathha, der ersten Sure des Korans:
»Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Lob und Preis dem Weltenherrn, dem Allerbarmer, der da herrschet am Tage des Gerichts. Dir wollen wir dienen und zu dir wollen wir flehen, auf daß du uns führest den rechten Weg, den Weg derer, die sich deiner Gnade freuen, und nicht den Weg derer, über welche du zürnest, und nicht den der Irrenden!«
Dabei knieten die Betenden in der Kibbla, das heißt mit dem Gesichte nach der Gegend von Mekka gerichtet. Sie fuhren unter fortgesetzten Verbeugungen fort, sich mit dem Sande zu waschen, bis der Schech sich erhob und ihnen damit das Zeichen gab, daß die gottesdienstliche Handlung zu Ende sei. Das Gesetz gestattet dem Reisenden, in der wasserarmen Wüste, die bei den täglichen Gebeten stattzuhabende Reinigung mit Hilfe des Sandes bildlich vorzunehmen, und diese Milde verstößt keineswegs gegen die Anschauung des Wüstenbewohners. Er nennt die Wüste Bahr bala moïje lakin miljan nukat er raml, das Meer ohne Wasser, aber voller Sandtropfen, und vergleicht also den Sand der endlos scheinenden Einöde mit den Wassern des ebenso unendlich sich darstellenden Meeres.
Freilich war es nicht die große Sahara, auch nicht die mit ihren welligen Sandhügeln einer bewegten See gleichende Hammada, in welcher sich die kleine Karawane befand, aber ein Stück Wüste war es doch, welches rundum vor dem Auge lag, so weit dasselbe nur zu blicken vermochte. Sand, Sand und nichts als Sand! Kein Baum, kein Strauch, nicht einmal ein Grashalm war zu sehen. Dazu strahlte die Sonne wahrhaft glühend vom Himmel hernieder, und es gab nirgends Schatten als hinter der zerklüfteten, zackigen Felsengruppe, welche sich aus der Sandebene erhob und den Ruinen einer alten Zwingburg glich.
In diesem Schatten hatte die Karawane seit einer Stunde vor Mittag bis jetzt gelagert, um den Kamelen während der heißesten Tagesstunden Ruhe zu gönnen. Nun war die Zeit des Asr vorüber, und man wollte aufbrechen. Der Moslem und ganz besonders der Bewohner der Wüste tritt seine Reisen überhaupt fast stets zur Stunde des Asr an. Nur die Not kann ihn veranlassen, davon eine Ausnahme zu machen, und wenn dann die Wanderung nicht den gehofften günstigen Verlauf nimmt, so schiebt er sicher die Schuld auf den Umstand, daß er nicht zur glückverheißenden Stunde aufgebrochen sei.
Die Karawane war nicht groß. Sie bestand aus nur sechs Personen mit ebenso vielen Reit- und fünf Lastkamelen. Fünf von den Männern waren Homr-Araber, welche als sehr bigotte Muselmänner bekannt sind. Daß dieser Ruf ein wohlverdienter sei, zeigte sich jetzt nach dem Gebete; denn, als die fünf sich erhoben hatten und sich zu ihren Tieren begaben, murmelte der Schech den andern leise zu:
»Allah jenahrl el kelb, el nusrani – Gott verderbe den Hund, den Christen!«
Dabei warf er einen verborgenen, bösen Blick auf den sechsten Mann, welcher hart am Felsen saß und damit beschäftigt war, einen kleinen Vogel auszubalgen.
Dieser Mann hatte nicht die scharfgeschnittenen Gesichtszüge und die Glutaugen der Araber, auch nicht ihre schmächtige Gestalt. Als er sah, daß sie aufbrechen wollten, und sich nun erhob, zeigte sich seine Figur so hoch, stark und breitschulterig wie diejenige eines preußischen Gardekürassiers. Sein Haar war blond, ebenso der dichte Vollbart, der sein Gesicht umschloß. Seine Augen waren von blauer Farbe und seine Gesichtszüge von einer bei den männlichen Semiten ganz ungewöhnlichen Weichheit.
Er war genau so wie seine arabischen Gesellschafter gekleidet; das heißt, er trug einen hellen Burnus mit über den Kopf gezogener Kapuze. Doch, als er sein Kamel jetzt bestieg und sich dabei der Burnus vorn öffnete, war zu sehen, daß er hohe Wasserstiefel anhatte, eine gewiß seltene Erscheinung hier in dieser Gegend. Aus seinem Gürtel blickten die Griffe zweier Revolver und eines Messers, und an dem Sattel hingen zwei Gewehre, ein leichteres zur Tötung von Vögeln und ein schwereres zur Erlegung größerer Tiere, beide aber Hinterlader. Vor den Augen trug er eine Schutzbrille.
»Reiten wir jetzt weiter?« fragte er den Schech el dschemali im Dialekte von Kahira (Kairo).
»Ja, wenn es dem Abu ‚l arba ijun gefällig ist,« antwortete der Araber.
Seine Worte waren höflich: aber er bemühte sich vergeblich, seinem Gesichte dabei einen freundlichen Ausdruck zu geben. Abu ‚l arba ijun bedeutet »Vater der vier Augen.« Der Araber liebt es, andern und zumal Fremden, deren Namen er nicht aussprechen und sich nicht gut merken kann, eine Bezeichnung zu geben, welche sich auf irgend einen ihm auffälligen Umstand oder auf eine in die Augen springende Eigenschaft beziehen, welche der Betreffende besitzt. Hier war es die Brille, welcher der Reisende den sonderbaren Namen verdankte.
Diese Namen beginnen gewöhnlich mit Abu oder Ben und Ibn, mit Omm oder Bent, das heißt mit Vater oder Sohn, Mutter oder Tochter. So gibt es Namen wie Vater des Säbels ein tapferer Mann, Sohn des Verstandes – ein kluger Jüngling, Mutter des Kuskussu – eine Frau, welche diese Speise gut zuzubereiten versteht, Tochter des Gespräches – ein klatschhaftes Mädchen. Auch in andern, nicht orientalischen Ländern hat man eine ähnliche Gewohnheit, so zum Beispiele in den Vereinigten Staaten bezüglich des Wortes Old. Old Firehand, Old Shatterhand, Old Coon sind dort bekannte Namen berühmter Prairiejäger.
»Wann werden wir den Bahr el abiad erreichen?« erkundigte sich der Fremde.
»Morgen, noch vor dem Einbruch des Abends.«
»Und Faschodah?«
»Zu derselben Zeit, denn wenn Allah will, so werden wir gerade an der Stelle, auf welcher diese Stadt liegt, auf den Fluß stoßen.«
»Das ist gut! Ich kenne diese Gegend nicht genau. Hoffentlich wißt Ihr besser Bescheid als ich und werdet Euch nicht verirren!«
»Die Beni-Homr verirren sich nie. Sie kennen das ganze Land zwischen der Dschesirah, Sennar und dem Lande Wadai. Der Vater der vier Augen braucht keine Sorge zu haben.«
Er sprach diese Worte in einem sehr selbstbewußten Tone aus, und warf aber dabei einen heimlichen, höhnischen Blick auf seine Gefährten, welcher, wenn der Fremde ihn gesehen hätte, demselben wohl verdächtig vorgekommen wäre. Dieser Blick sagte mit größter Deutlichkeit, daß der Reisende weder den Nil noch Faschodah erreichen solle.
»Und wo übernachten wir heute?« fragte der Fremde weiter.
»Am Bir Aslan, den wir eine Stunde nach dem Mogreb erreichen werden.«
»Dieser Name hat keinen beruhigenden Klang. Wird der Brunnen durch Löwen unsicher gemacht?«
»Jetzt nicht mehr. Aber vor vielen Jahren hatte sich der ‚Herr mit dem dicken Kopfe‘ samt seiner Frau und seinen Kindern niedergelassen. Es fielen ihm viele Menschen und Tiere zum Opfer, und alle Krieger und Jäger, welche auszogen, um ihn zu töten, kamen mit zerrissenen Gliedern zurück oder wurden gar von ihm gefressen. Allah verdamme seine Seele und die Seelen aller seiner Vorfahren und Nachkommen! Da kam ein fremder Mann aus Frankhistan, der wickelte ein Gift in ein Stück Fleisch und brachte es in die Nähe des Brunnens. Am andern Tage lag der Fresser tot am Wasser. Sein Weib war darüber so erschrocken, daß sie mit ihren Kindern davonzog, wohin, das erfuhr man nicht, doch Allah weiß es. Möge sie mit ihren Söhnen und Töchtern im Elende erstickt sein! Seit jener Zeit hat es nie wieder einen Löwen an diesem Brunnen gegeben, aber den Namen hat er behalten.«
Der arabische Bewohner der Wüste spricht in einem so schlechten Tone nur dann von einem Löwen, wenn dieser nicht mehr lebt und ihm also keinen Schaden mehr bereiten kann. Einem lebenden Löwen gegenüber aber hütet er sich, solche beleidigende Ausdrücke oder gar Verwünschungen zu gebrauchen. Er vermeidet es sogar, das Wort Saba, Löwe, zu gebrauchen, und wenn er sich desselben je bedient, so spricht er es nur flüsternd aus, damit das Raubtier es nicht hören könne. Er meint, der Löwe höre das Wort stundenweit und komme herbei, sobald es ausgesprochen wird.
Wie die Negervölker des Sudan, so sind auch viele Araber der Ansicht, daß im Löwen die Seele irgend eines verstorbenen Scheichs stecke. Darum dulden sie seine Räubereien lange Zeit, bis er zu große Opfer von ihnen fordert. Dann ziehen sie in Masse aus, um ihn zu vernichten, wobei sie den Kampf durch hochtrabende Rede, welche sie ihm halten, einleiten.
Während der kühne europäische Jäger sich nicht scheut, dem Löwen ganz allein gegenüber zu treten, während er das fürchterliche Raubtier sogar am liebsten des Nachts an der Tränke aufsucht, um es mit der sicheren Kugel zu erlegen, hält der Araber das nicht nur für eine außerordentliche Kühnheit, sondern geradezu für Wahnsinn. Hat der Löwe die Herden eines arabischen Duar so gelichtet, daß den Leuten endlich doch die Geduld vergeht, so machen sich alle wehrfähigen Individuen auf, ihn zu erlegen. Das geschieht natürlich am hellen Tage. Man rüstet sich mit allen möglichen Waffen, sogar mit Steinen, betet die heilige Fathha und rückt dem Löwen vor sein Lager, welches gewöhnlich sich zwischen Felsen befindet, die von dornigem Gestrüpp umgeben sind.
Nun beginnt einer, welcher sich durch besondere Sprachgewandtheit auszeichnet, dem Tiere in höflichen Ausdrücken mitzuteilen, daß man wünscht, er möge die Gegend verlassen und die Rinder, Kamele und Schafe eines andern Dorfes verspeisen. Das ist natürlich ohne Erfolg. Es wird ihm der Beschluß der Dorfältesten nun in dringenderer, ernsterer Weise zu Gehör gebracht – ebenso umsonst. Darauf erklärt der Sprecher, daß man jetzt gezwungen sei, gewaltsame Maßregeln zu ergreifen, und man beginnt, so lange mit Steinen nach dem Dickicht zu werfen, bis der aus seinem Tagesschlummer aufgescheuchte Löwe erscheint, indem er stolz und majestätisch hinter den Felsen und aus dem Gestrüppe hervortritt. In diesem Augenblicke schwirren alle Pfeile, sausen alle Wurfspeere und krachen alle Flinten. Dabei ertönt ein Schreien und Heulen, daß der Löwe, wenn er nur ein wenig musikalisches Gehör hätte, augenblicklich davonrennen würde.
Keiner hat sich Zeit genommen, richtig zu zielen. Die meisten Geschosse gehen an dem Tiere vorüber; nur einige treffen, indem sie ihn leicht verwunden. Da sprühen seine Augen Feuer – ein Sprung, und er hat einen der Jäger unter sich liegen. Wieder krachen die Schüsse. Der Löwe, jetzt schwerer verwundet, holt sich noch ein zweites, ein drittes Opfer, bis er von den Geschossen, von denen keins wirklich tödlich traf, ganz durchlöchert tot zusammenbricht.
Nun aber ist es aus mit dem Respekte, mit welchem er vorher angeredet wurde, denn er ist tot und kann keine Beleidigung mehr rächen. Man wirft sich auf ihn; man tritt ihn mit Füßen und schlägt ihn mit Fäusten; man speit ihn an und besudelt sein Andenken, seine Vorfahren und Verwandten mit Schimpfworten, von denen die arabische Sprache einen fast unerschöpflichen Schatz besitzt.
Der Fremde lächelte ein wenig über den Bericht des Schechs. Es war ein Lächeln, welches bekundete, daß er sich gewiß nicht von dem »Herrn mit dem dicken Kopfe« und seiner Familie hätte »auffressen« lassen.
Diese kurze Unterhaltung hatte stattgefunden während man aufbrach. Dies geschieht nicht so leicht, wie der Europäer denken mag. Hat man Pferde als Reittiere, nun, so steigt man einfach in den Sattel und reitet davon. Bei den Kamelen aber ist es anders, besonders bei den Lastkamelen. Diese sind keineswegs die geduldigen Tiere, als welche sie in zahlreichen Büchern beschrieben werden. Sie sind vielmehr faul, bösartig und heimtückisch, ganz abgesehen von ihrer natürlichen Häßlichkeit und dem unangenehmen Geruch, den sie verbreiten. Dieser letztere ist so widerlich, daß es Pferde verschmähen, eine Nacht neben Kamelen zuzubringen. Das »Schiff der Wüste« ist ein bissiges Vieh; es schlägt vorn und hinten aus, hat keine Anhänglichkeit und besitzt eine Indolenz, welche nur von seiner Rachsucht noch übertroffen wird. Es gibt Tiere, denen sich kein Europäer nahen darf, ohne in Gefahr zu geraten, gebissen oder unter die Füße getreten zu werden.
Wahr ist‘s freilich, daß das Kamel sehr genügsam und ausdauernd ist, aber die außerordentlichen Leistungen, von denen man in dieser Beziehung gefabelt hat, beruhen auf Übertreibung. Kein Kamel vermag länger als drei Tage zu dürsten. So lange hält der Wasservorrat seines Magens aus, nicht länger. Wird es nach dieser Zeit nicht getränkt, so legt es sich nieder und ist selbst durch die grausamste Behandlung nicht wieder auf die Beine zu bringen. Es bleibt liegen, um zu verschmachten.
Ebenso ist es eine Lüge, daß der Beduine, wenn ihm das Wasser ausgeht, sein Leben rettet, indem er sein Kamel ersticht, um das in dem Magen desselben befindliche Wasser zu trinken. Der Magen eines geschlachteten Kamels enthält kein Wasser sondern eine blutwarme, dicke, mit Futterresten vermischte und schlimmer als ein Düngerhaufen nach allen möglichen Ammoniumsalzen riechende, dem Inhalte unserer Senkgruben ähnliche Jauche. Selbst ein Mensch, welcher vor Durst im Verschmachten liegt, wird keinen Schluck dieses entsetzlichen Zeuges trinken können.
Die schlechten Eigenschaften des Kamels zeigen sich während der Reise besonders nach der Ruhezeit, wenn es wieder beladen werden soll. Da wehrt es sich nach Leibeskräften mit dem Maule und den Beinen; da stöhnt und röchelt, da ächzt und brüllt es aus Leibeskräften. Dazu kommt dann das Zanken, Schreien und Fluchen der Männer, welche an ihm und der Ladung herumzerren. Es gibt das stets eine Scene, daß man davonlaufen möchte.
Von etwas edlerem Charakter sind die Reitkamele, Hedschin genannt. Es gibt da Tiere, welche sehr teuer bezahlt werden. Man hat für ein graues Bischarihnhedschin zehntausend Mark bezahlen sehen. Der Sattel des Lastkamels ist ein dachförmiges Gestell mit erhöhten Giebeln, welche den vordern und hintern Sattelknopf bilden. Er wird Hauiah genannt. Dagegen heißt der Sattel des schlanken, hohen Hedschin Machlufah. Er ist so eingerichtet, daß der Reiter in eine bequeme Vertiefung zu sitzen kommt, so daß er die beiden Beine vor dem vordern Sattelknopfe auf dem Halse des Kamels kreuzt. Wenn der Reiter aufsteigt, muß das Kamel am Boden liegen. Kaum hat er mit der Hand den Sattel berührt, so schnellt das Kamel erst hinten und dann vorn empor, so daß der Mann erst nach vorn und dann wieder nach hinten geworfen wird. Er muß gut Balance halten, um nicht abgeschleudert zu werden.
Ist das Kamel dann einmal im Gange, so hat selbst das Lasttier einen so steten und ausgiebigen Schritt, daß man mit demselben verhältnismäßig große Strecken zurücklegt.
Die Beni Homr hatten genug zu thun, den Kamelen die Lasten wieder aufzuschnallen. Während das geschah, war der Fremde auf sein Hedschin gestiegen und langsam vorausgeritten. Er kannte zwar die Gegend nicht, wußte aber die Richtung, nach welcher er sich zu wenden hatte.
»Dieser Hund hat sich nicht bewegt, während wir beteten,« sagte der Schech. »Er hat weder die Hände gefaltet noch die Lippen bewegt. Möge er im tiefsten Loche der Dschehenna braten!«
»Warum hast du ihn nicht längst dahin geschickt!« brummte einer seiner Leute.
»Wenn du das nicht begreifst, so hat Allah dir kein Gehirn gegeben; hast du denn nicht die Waffen dieses Christen gesehen? Hast du nicht bemerkt, daß er mit jeder kleinen Pistole, deren er zwei hat, sechsmal schießen kann ohne zu laden? Und in seinen Flinten hat er vier Schüsse. Das macht zusammen sechzehn; wir aber sind nur fünf Personen.«
»So müssen wir ihn töten, während er schläft.«
»Nein, ich bin ein Krieger, aber kein Feigling. Ich töte keinen Schlafenden. Aber gegen sechzehn Kugeln können wir nichts machen, und darum habe ich Abu el Mot gesagt, daß wir heute den Bir Aslan erreichen werden. Dort mag er thun, was ihm gefällt, und wir werden mit ihm teilen.«
»Wenn es etwas gibt, was des Teilens wert ist! Was hat dieser Christ denn bei sich? Häute von Tieren und Vögeln, welche er ausstopfen will, Flaschen voller Schlangen, Molche und Skorpionen, mit denen Allah ihn braten möge! Ferner Blumen, Blätter und Gräser, welche er zwischen Papier zerquetscht. Ich glaube, er bekommt zuweilen den Besuch des Schetan, den er mit diesen Dingen füttern will.«
»Und ich glaube, daß du wirklich den Verstand verloren hast. Oder hast du noch nie welchen gehabt! Warst du denn taub, als dieser Ungläubige uns erklärte, was er mit diesen Sachen machen will?«
»Ich kann das alles nicht gebrauchen, und also habe ich nicht acht gegeben, als er davon sprach.«
»Aber was eine Medresse ist, das weißt du?«
»Ja, ich habe davon gehört.«
»Nun, an so einer Medresse ist er Lehrer. Er unterrichtet von allen Pflanzen und Tieren der Erde und ist zu uns gekommen, um unsre Gewächse und Tiere mit heim zu nehmen und seinen Schülern zu zeigen. Auch will er große Kisten und Körbe voll davon seinem Sultan schenken, welcher besondere Häuser hat, in denen dergleichen Dinge aufbewahrt werden.«
»Was aber kann das uns nützen?«
»Sehr viel! Weit mehr als du denkst. Einem Sultan darf man doch nur kostbare Geschenke machen; also müssen die Tiere und Pflanzen, welche dieser Giaur bei uns geholt hat, in seinem Lande sehr hohen Wert besitzen. Siehst du das nicht ein?«
»Ja, Allah und du, ihr beide erleuchtet mich,« spottete der Mann.
»Ich habe darum daran gedacht, sie ihm abzunehmen und dann nach Chartum zu verkaufen. Man könnte dort einen guten Preis erzielen. Und hast du ferner nicht beobachtet, was er noch weiter bei sich hat?«
»Ja, eine ganze Ladung von Stoffen und Zeugen, Glasperlen und andern Gegenständen, mit denen man bei den Negern viel Elfenbein und viele Sklaven eintauschen könnte.«
»Und weiter!«
»Weiter weiß ich nichts.«
»Weil deine Augen verdunkelt sind. Sind seine Waffen, seine Ringe, seine Uhr nichts wert?«
»Sehr viel sogar. Und dann hat er ein Ledertäschchen unter seiner Weste. Ich sah, als er es einmal öffnete, große Papiere darin mit fremder Schrift und einem Stempel. Ich habe einmal in Chartum bei einem reichen Kaufmann so ein Papier gesehen, und da erfuhr ich, daß man sehr, sehr viel Geld bekommt, wenn man dieses Papier demjenigen gibt, dessen Namen darauf geschrieben steht. Diese Papiere werde ich bei der Teilung beanspruchen, dazu seine Waffen, seine Uhr und alles, was er bei sich trägt, auch die Kamellast mit den Zeugen und Tauschsachen. Wir werden dadurch reich werden. Das andre alles, die Kamele mit der Sammlung der Tiere und Pflanzen aber wird Abu el Mot bekommen.«
»Wird er damit einverstanden sein?«
»Ja, er ist bereits darauf eingegangen und hat mir sein Wort gegeben.«
»Und wird er gewiß kommen? Heute ist der letzte Tag. Der Giaur hat uns gemietet, ihn auf unsern Kamelen nach Faschodah zu bringen. Kommen wir morgen dort an, so ist es aus mit unserm Plane, denn er wird ohne uns weiter reisen.«
»Er wird nicht dort ankommen. Ich bin überzeugt, daß Abu el Mot uns auf dem Fuße folgt. Heute in der Nacht, kurz vor dem Morgengrauen, soll der Überfall geschehen. Zwei Stunden nach Mitternacht soll ich sechshundert Schritte weit gerade westwärts von dem Brunnen gehen und den Alten dort finden.«
»Davon hast du uns noch nichts gesagt. Wenn ihr euch in dieser Weise besprochen habt, so kommt er sicherlich, und die Beute wird unser. Wir sind Beni Arab, wohnen in der Wüste und leben von ihr. Alles, was auf ihr lebt, ist unser Eigentum, also auch dieser räudige Giaur, der sich nicht einmal mit verneigt, wenn wir zu Allah beten.«
Damit hatte er die allgemeine Ansicht der Wüstenbewohner ausgesprochen, welche den Raub für ein so ritterliches Gewerbe halten, daß sie sich dessen sogar öffentlich rühmen.
Während dieses Gespräches hatten sie ihre Tiere in Bewegung gesetzt, um dem Fremden nachzufolgen. Als sie ihn erreichten, ahnte er nicht, daß sein Tod eine von ihnen fest beschlossene Sache sei. Er hatte seine Aufmerksamkeit nicht auf sie, sondern auf einen ganz andern Gegenstand gerichtet. Plötzlich rief er seinem Kamele ein lautes »Khe khe!« zu, das Zeichen zum Anhalten und Niederknieen. Es gehorchte; er stieg aus dem Sattel und griff nach seinem Gewehre.
»Allah!« rief der Schech. »Gibt es einen Feind?«
Dabei blickte er sich ängstlich nach allen Seiten um.
»Nein,« antwortete der Reisende, indem er in die Luft deutete, »es gilt nur einem dieser Vögel.«
Die Araber folgten mit ihren Augen seinem Fingerzeige.
»Das ist ein Hedj mit seiner Frau,« sagte der Schech. »Gibt es ihn nicht auch in Eurem Lande?«
»Ja, aber von einer andern Art. Er wird bei uns Weihe, Corvus, genannt. Ich will auch einen Hedj haben.«
»Du willst ihn schießen?«
»Ja.«
»Das ist unmöglich, das bringt kein Mensch fertig, mit dem besten Gewehre nicht!«
»Wollen sehen!« lächelte der Fremde.
Die beiden Weihen waren der Karawane nach Art der Raubvögel gefolgt, immer gerade über derselben schwebend. Sie senkten sich jetzt, als die Reiter hielten, langsam weiter nieder, indem sie hintereinander eine regelmäßige Spirale beschrieben. Der Fremde setzte die Brille zurecht, stellte sich mit dem Rücken gegen die Sonne, um nicht geblendet zu werden, zielte einige Sekunden lang, mit der Mündung des Hinterladers dem Fluge der Vögel folgend, und drückte dann ab.
Das voran fliegende Männchen zuckte, legte die Flügel zusammen, spannte sie wieder auf, aber nur für wenige Augenblicke, dann konnte er sich nicht mehr in der Luft erhalten; er stürzte zur Erde nieder. Der Fremde eilte der Stelle zu, an welcher der Vogel lag, hob ihn auf und betrachtete ihn. Die Araber kamen herbei, nahmen ihm den Hedj aus der Hand und untersuchten denselben.
»Allah akbar – Gott ist groß!« rief der Schech erstaunt, »du hattest eine Kugel geladen?«
»Ja, eine kleine Kugel, keinen Schrot.«
»Und ihn doch getroffen!«
»Wie du siehst!« nickte der gute Schütze. »Das Geschoß ist ihm in die Brust gedrungen, mitten in das Leben, was freilich nur Zufall ist; aber auf den Leib hatte ich doch gezielt. Es freut mich, daß der Schuß so gut gelungen ist, denn so ist der Balg ganz unverletzt.«
»Einen Hedj zu schießen, mit einer Kugel, aus solcher Höhe! Und ihn auch an dieser Stelle zu treffen! Effendi, du bist ein ausgezeichneter Schütze, bei uns verstehen die Lehrer an den Medressen nicht zu schießen. Wo hast du das gelernt?«
»Auf der Jagd.«
»So hast du schon früher solche Vögel gejagt?«
»Vögel, Bären, wilde Pferde, wilde Büffel und viele andre Tiere.«
»Gibt es die in deinem Vaterlande?«
»Nur die ersteren. Die letzteren schoß ich in einem andern Weltteile, welcher Amerika heißt.«
»Von diesem Lande habe ich noch nichts gehört. Sollen wir den Hedj in das Gepäck stecken?«
»Ja. Ich werde ihn heute abend am Lagerfeuer abbalgen, wenn es überhaupt ein Feuer geben wird.«
»Es gibt eins, denn an dem Bir Aslan wachsen viele und dichte Sträucher.«
»So hebt ihn bis dahin auf! Es ist das Männchen, welches wertvoller als das Weibchen ist.«
»Ja, es ist das Männchen; auch ich kenne es. Seine Witwe ist davon geflogen und wird um ihn trauern und klagen, bis ein andrer Hedj sie tröstet. Allah sorgt für alle Geschöpfe, selbst für den kleinsten Vogel, am allerbesten aber für die Dijur ed djiane, welche er jährlich in sein Paradies aufnimmt, wenn sie von uns gehen.«
Dieser Glaube ist in Ägypten viel verbreitet. Der gewöhnliche Mann weiß nicht, daß die Schwalben, welche er eigentlich »Snunut« nennt, ihre wirkliche Heimat in Europa haben und nur während unsrer Winterszeit nach Süden gehen. Da sie im Frühling verschwinden, ohne daß er erfährt, wohin, so erklärt er sich, wohl meist auch infolge ihres traulichen, menschenfreundlichen Wesens, diese Erscheinung in der Weise, daß er annimmt, sie fliegen nach dem Paradiese, um bei Allah zu nisten und ihm die Gebete der Gläubigen vorzuzwitschern.
Nachdem der unterbrochene Ritt fortgesetzt worden war, sah man nach einiger Zeit einzelne kahle Berge, welche sich im Süden und Norden der eingeschlagenen Richtung erhoben. Dies gab dem Fremden Veranlassung, auch nach rückwärts zu blicken. Sein Auge blieb an einigen winzig kleinen Punkten hangen, welche dort scheinbar unbeweglich in der Luft schwebten. Er zog sein Fernrohr aus der Satteltasche und beobachtete dieselben einige Zeit. Dann schob er das Rohr wieder in die Tasche zurück und fragte:
»Ist der Weg, den wir reiten, ein vielbesuchter Handelsweg?«
»Nein,« antwortete der Schech. »Wenn wir den Karawanenweg hätten einschlagen wollen, so hätten wir einen Bogen reiten müssen, auf welchem uns zwei Tage verloren gegangen wären.«
»Hier ist also keine Karawane zu erwarten?«
»Nein, weil es in der trockenen Jahreszeit auf dem Pfade, den wir ritten, kein Wasser gibt. Das unsrige ist auch bereits zur Neige gegangen. Die Schläuche sind leer.«
»Aber am Bir Aslan werden wir sicher welches finden?«
»Ganz gewiß, Effendi.«
»Hm! Sonderbar!«
Er machte dabei ein so bedenkliches Gesicht, daß der Schech ihn fragte:
»Woran denkst du, Herr? Gibt es etwas, was dir nicht gefällt?«
»Ja.«
»Was?«
»Du behauptest, daß wir uns auf keinem Karawanenwege befinden, und doch reiten hinter uns Leute.«
»Hinter uns? Unmöglich! Dann müßten wir sie ja sehen!«
»Das ist nicht notwendig.«
»Wie kannst du es dann für so gewiß behaupten?«
»Weil ich zwar nicht sie, aber doch ihre Spur sehe.«
»Effendi, du scherzest!« meinte der Schech in überlegenem Tone.
»O nein. Es ist im Gegenteil mein vollständiger Ernst.«
»Wie ist es einem Menschen möglich, die Spuren von Personen, die Darb und Ethar von Personen zu sehen, welche hinter ihm reiten!«
»Du denkst nur an die Spuren, welche durch die Füße der Menschen und die Hufe der Tiere dem Sande eingedrückt werden. Aber es gibt auch Spuren, welche sich in der Luft befinden.«
»In der Luft? Allah akbar – Gott ist groß; er kann alles, denn ihm ist alles möglich. Aber daß er es uns erlaubt hat, Spuren in der Luft zurückzulassen, davon habe ich noch nichts gehört.«
Er musterte den Fremden mit einem Blicke, als ob er ihn nicht für ganz zurechnungsfähig halte.
»Und doch ist es so. Die Spuren sind da. Man muß nur Augen für sie haben. Denk an den Hedj, welchen ich geschossen habe!«
»Was hat er mit den Darb und Ethar zu thun?«
»Sehr viel, denn er selbst konnte unter Umständen die Ethar von uns sein. Hast du ihn schon bemerkt, bevor ich ihn schoß?«
»Ja. Das Pärchen folgte uns seit dem Morgen. Und als wir am Steine ruhten, schwebte es immer über uns. Der Hedj hält sich, wenn er kein andres Futter findet, zu den Kamelen, um dann alles, was die Reiter während der Ruhe beim Essen fallen lassen, aufzuzehren. Auch lauert er auf die Vögel, auf die Madenhacker, welche den Karawanen folgen, um den Tieren das Ungeziefer abzulesen.«
»Also du gibst zu, daß an der Stelle, über welcher der Hedj schwebt, sich eine Karawane befindet?«
»Ja.«
»Nun, da hinter uns fliegt ein zweites Paar, zu welchem sich jetzt unser verwitwetes Weibchen gesellt hat. Siehst du sie?«
Der Schech blickte rückwärts. Seinen scharfen, wohlgeübten Augen konnten die Vögel nicht entgehen.
»Ja, ich sehe sie,« antwortete er.
»Dort muß eine Karawane sein?«
»Wahrscheinlich .«
»Und doch befinden wir uns auf keinem Wege. Das hast du selbst gesagt. Die hinter uns reitenden Leute folgen unsren Spuren .«
»Sie werden den Weg nicht kennen und sich also an unsre Fährte halten.«
»Eine Karawane hat stets einen Schech el Dschemali und auch noch andre Männer bei sich, welche den Weg genau kennen.«
»Aber der beste Khabir kann sich einmal verirren!«
»In der großen Sahara, ja, aber nicht hier in dieser Gegend, südlich von Dar Fur, wo von einer wirklichen Wüste streng genommen gar nicht die Rede sein kann. Der Schech der Karawane, welcher hinter uns kommt, kennt die Gegend ebenso gut wie du; er muß sie kennen. Wenn er trotzdem vom Karawanenwege abgewichen ist, um uns zu folgen, so hat er es auf uns abgesehen.«
»Auf uns abgesehen! Effendi, welch ein Gedanke! Du denkst doch nicht etwa, daß diese Leute zu einer . . .«
Er sprach das Wort nicht aus. Er hatte Mühe, seine Verlegenheit zu verbergen.
»Daß sie zu einer Gum gehören, wolltest du wohl sagen?« fuhr der Fremde fort. »Ja, das ist meine Meinung.«
»Allah kerihm – Gott ist gnädig! Welch ein Gedanke, Effendi! Hier in dieser Gegend gibt es keine Gum. Die ist nur im Norden von Dar Fur zu suchen.«
»Pah! Ich traue diesen Leuten nicht! Warum folgen sie uns?«
»Sie folgen uns, aber verfolgen wollen sie uns nicht. Können sie nicht denselben Zweck haben wie wir?«
»Den Weg abzukürzen? Das ist freilich möglich.«
»Das ist nicht nur möglich, sondern es wird wirklich sein. Mein Herz ist ferne davon, Befürchtungen zu hegen. Ich kenne diese Gegend und weiß, daß man in derselben so sicher ist wie im Schoße des Propheten, den Allah segnen wolle.«
Der Fremde warf ihm einen forschenden Blick zu, welcher dem Schech nicht gefallen wollte, denn er fragte:
»Warum blickst du mich an?«
»Ich sah dir in die Augen, um in deiner Seele zu lesen.«
»Und was findest du darin? Doch die Wahrheit?«
»Nein.«
»Allah! Was denn? Etwa die Lüge?«
»Ja.«
Da griff der Schech nach dem Messer, welches in seinem Gürtel steckte, und rief:
»Weißt du, daß du soeben eine Beleidigung ausgesprochen hast? So etwas darf ein braver und tapferer Ben Arab nicht dulden!«
Das Gesicht des Fremden hatte plötzlich einen ganz andern Ausdruck bekommen. Es schien, als ob die Züge schärfer, gespannter geworden seien. Es glitt ein stolzes Lächeln über sein männlich schönes Gesicht, und er sagte in fast wegwerfendem Tone:
»Laß das Messer stecken! Du kennst mich nicht. Ich vertrage es nicht, wenn ein andrer mit der Hand am Messer von Beleidigung spricht. Läßt du die Klinge sehen, so erschieße ich euch binnen einer Minute!«
Der Schech nahm die Hand vom Gürtel. Er war ebenso zornig wie verlegen und antwortete:
»Soll ich es mir gefallen lassen, daß du mich der Lüge zeihst?«
»Ja, denn ich habe wahr gesprochen. Erst machte mich die uns folgende Karawane besorgt, jetzt aber traue ich auch dir nicht mehr.«
»Warum ?«
»Weil du die Gum, wenn es eine ist, gegen mich verteidigst und dir Mühe gibst, mich in Sicherheit zu lullen.«
»Allah yak fedak – Gott schütze dich, Effendi, denn deine Gedanken gehen irr. Was gehen mich die Leute an, welche hinter uns kommen!«
»Sehr viel, wie es scheint, sonst hättest du es nicht unternommen, das Mißtrauen, welches ich gegen sie hege, durch eine Unwahrheit zu zerstreuen.«
»Aber ich sage dir, daß ich mir keiner Lüge bewußt bin!«
»Nicht? Behauptetest du nicht, diese Gegend sei so sicher wie der Schoß des Propheten?«
»Ja, und so ist es auch.«
»Das sagst du, weil du weißt, daß ich ein Fremder bin. Du bist der Überzeugung, daß ich die Verhältnisse des Landes nicht kenne. Ja, die Reitpfade desselben sind mir unbekannt, obwohl ich sie mit Hilfe meiner Karten wahrscheinlich ohne deine Hilfe auch finden würde, aber das übrige kenne ich jedenfalls besser als du. In meiner Heimat gibt es Bücher und Bilder über alle Länder und Völker der Welt. Durch diese lernt man die Völker zuweilen besser kennen als diejenigen, welche zu ihnen gehören. So weiß ich auch ganz genau, daß man hier keineswegs so sicher ist wie im Schoße des Propheten. Hier ist viel, viel Blut geflossen. Hier, wo wir uns befinden, haben die Nuehr-, Schilluk- und Denkavölker miteinander gestritten. Hier sind die Dschur und Luoh, die Tuitsch, die Bahr, Eliab und Kiëtsch, die Abgalang, die Agehr, Abugo und Dongiol aufeinander getroffen, um sich zu ermorden, zu zerfleischen und auch gar wohl – aufzufressen.«
Der Schech war ganz steif vor Erstaunen.
»Effendi,« rief er von seinem Kamele herüber, »das weißt du; diese Völker kennst du, sie alle!«
»Ja, genauer jedenfalls als du! Und ich weiß auch noch mehr. Ich weiß, daß gerade da, wo wir jetzt reiten, zu nächtlicher Zeit sich die entsetzliche Ghasuah vorüberschleppt, um dem Pascha zu entgehen, welcher in Faschodah ein Auge auf die Sklavenjäger hat. Da ist mancher arme Schwarze ermattet niedergesunken und durch einen Hieb, eine Kugel für immer stumm gemacht worden. Unten am Mokren el Bohur werden die Ärmsten aus den Schiffen geladen und quer über das Land geschafft, um oberhalb Faschodahs wieder eingeladen und vor Chartum verkauft zu werden. Da hat mancher seinen letzten Seufzer ausgehaucht; mancher hat hier den Todesschrei in die finstere Nacht hinausschallen lassen. Und das nennst du eine Gegend, welche man mit dem Schoße des Propheten vergleichen kann? Ist es möglich, eine größere Lüge auszusprechen?«
Der Schech blickte finster vor sich nieder. Er fühlte sich geschlagen und durfte es doch nicht eingestehen. Darum antwortete er nach einigen Augenblicken:
»An die Ghasuah dachte ich nicht, Effendi. Ich dachte nur an dich und daran, daß du hier sicher bist. Du befindest dich in unserm Schutze, und ich möchte den sehen, welcher es wagen wollte, ein Haar auf deinem Haupte zu krümmen!«
»Ereifere dich nicht! Ich sehe klar und weiß genau, was ich zu denken habe. Sprich nicht von Schutz! Ich habe euch gemietet, damit ihr meine Sachen auf euern Kamelen nach Faschodah bringen möchtet; auf euern Schutz aber habe ich nicht gerechnet. Ihr selbst bedürft vielleicht des Schutzes mehr als ich.«
»Wir?«
»Ja. Hast du vielleicht die Schillukneger gezählt, welche die Leute deines Stammes hier raubten und als Sklaven nach Dar Fur brachten? Besteht etwa nicht deshalb ein unersättlicher Haß, ja eine Blutrache zwischen euch und ihnen? Befinden wir uns jetzt nicht auf dem Gebiete der Schilluk, welche, wenn sie euch sähen, sofort über euch herfallen würden? Warum habt ihr den Karawanenweg verlassen und mich durch einsame Gegenden gebracht? Um den Weg abzukürzen, wie du vorhin sagtest? Nein, sondern um nicht auf die Schilluk zu treffen. Vielleicht gibt es auch noch einen andern Grund.«
»Welchen?« fragte der Schech, der sich durchschaut sah, ziemlich kleinlaut.
»Den, mich hier umzubringen.«
»Allah, Wallah, Tallah! Welche Gedanken werden in deiner Seele laut!«
»Du selbst bist schuld daran. Denke an die Karawane, welche uns folgt! Es ist vielleicht die Gum, welche mich überfallen soll. Es gelüstet euch nach meiner Habe, welche ihr nicht erhalten könnt, so lange ich lebe. Auf euerm Gebiete könnt ihr mich nicht töten, der Verantwortung wegen, die euch sicherlich nicht erspart bleiben würde. Darum führt ihr mich durch unwegsame Gegenden nach dem einsamen Bir Aslan, wo die That geschehen soll, ohne daß ein Zeuge die Mörder verraten kann. Findet man dann meine Leiche, so geschah der Mord auf dem Gebiete der Schilluk und wird diesen zur Last gelegt. Auf diese Weise habt ihr dann zwei Vorteile zugleich erreicht, nämlich meine Habe und die Rache an den Schilluk.«
Er hatte das in einem so gleichmütigen, ja sogar freundlichen Tone gesagt, als ob es sich um etwas ganz Alltägliches und Angenehmes handle. Seine Worte machten einen ungeheuren Eindruck auf die Araber. Nach ihren Waffen zu greifen wagten sie nicht. Was waren ihre langen Feuersteinflinten gegen seine Waffen! In dieser Beziehung war er, der einzelne, ihnen überlegen. Aber sie mußten doch etwas thun, um sich den Anschein zu geben, als ob sie sich durch seine Anklage ganz unschuldig beleidigt fühlten. Darum hielten sie ihre Kamele an und erklärten, daß sie keinen Schritt weiterreiten, sondern die Lasten abladen und heimkehren würden.
Der Fremde lachte laut auf.
»Das werdet ihr nicht thun,« meinte er. »Wie wollt ihr ohne Wasser zurückkehren? Ihr müßt unbedingt nach dem Brunnen des Löwen. Übrigens habe ich euch mit Absicht nicht vorher bezahlt. Ihr sollt erst in Faschodah euer Geld erhalten, und wenn ihr mich nicht bis dorthin bringt, so bekommt ihr keinen einzigen Piaster. Was meinen Verdacht betrifft, so habe ich denselben ehrlich ausgesprochen, um euch zu beweisen, daß ich euch nicht fürchte. Ich habe es mit weit schlimmeren Gesellen zu thun gehabt, als ihr seid, und es ist euch gar nichts als der kleine Fehler vorzuwerfen, daß ihr mich nicht kennt. Ist meine Vermutung falsch, so bitte ich euch um Verzeihung. Aus Erkenntlichkeit werde ich in Faschodah ein Rind schlachten lassen und es unter euch allein verteilen. Und zu der Bezahlung, welche wir für eure Dienste festgesetzt haben, werde ich ein Bakschisch fügen, welches ihr zum Schmucke eurer Frauen und Töchter verwenden könnt.«
Das war eine nach hiesigen Verhältnissen sehr gute Aussicht, welche er ihnen eröffnete; aber ihr Groll wurde durch dieselbe keineswegs beseitigt, obgleich sie sich den Anschein gaben, als ob sie sein Versprechen mit ihm versöhnt habe. Sie wußten ja genau, daß er den kommenden Morgen nicht erleben werde. Um ihn sicher zu machen, erklärten sie, ihn weiterbegleiten zu wollen, wenn er seinen Verdacht fallen lasse und sein Versprechen zu halten beabsichtige. Er war damit einverstanden, bewies aber schon im nächsten Augenblicke, daß sein Mißtrauen noch fortbestehe, denn er ritt von jetzt an als letzter in der Reihe, während er sich bisher mit dem Schech stets an der Spitze befunden hatte.
Sie thaten, als ob sie das nicht beachteten, aber einige Zeit, nachdem der Zug sich wieder in Bewegung gesetzt hatte, that der Schech so, als ob er dem jetzt an seiner Seite reitenden Homr die Gegend erkläre; er deutete mit dem erhobenen Arme bald nach vorn, bald nach rechts oder links, sagte aber dabei in verbissenem Tone:
»Dieser Hund ist weit klüger, als es den Anschein hatte. Er kennt dieses ganze Land, alle Bewohner desselben und auch alle Ereignisse, welche hier geschehen sind.«
»Und hat alles, was wir beabsichtigen, ganz genau erraten,« fügte der andre hinzu. »Möge der Schetan ihn beim Schopfe nehmen!«
»Am liebsten möchte ich das thun!«
»Wer verwehrt es dir?«
»Seine Waffen.«
»Kann nicht einer von uns zurückbleiben und ihm von hinten eine Kugel in das Herz jagen?«
»Versuche es! Das Beste wäre es. Wir brauchten nicht bis früh zu warten und hätten die Beute nicht mit Abu el Mot zu teilen. Seine Leiche ließen wir liegen, ritten nach dem Brunnen, füllten unsere Schläuche und kehrten während der Nacht zurück. Morgen wären wir schon weit von hier, und kein Mensch wüßte, wessen Kugel den Hund getroffen hat.«
»Soll ich ihn erschießen?«
»Ich wollte nicht, daß er von uns getötet werde; nun er uns aber das Gesicht in solcher Weise schamrot gemacht hat, mag er von deiner Kugel sterben.«
»Was erhalte ich dafür?«
»Die goldene Kette an seiner Uhr.«
»Natürlich außer dem Beuteanteil, welcher überhaupt auf mich kommt?«
»Natürlich.«
»So mag es geschehen. Ich drücke das Gewehr so nahe hinter ihm ab, daß ihm die Kugel zur Brust herauskommt.«
Er hielt sein Kamel an und stieg ab; dann schnallte er an dem Sattelgurte herum, als ob derselbe sich gelockert habe. Die andern ritten an ihm vorüber. Der Fremde aber hielt bei ihm an und sagte in freundlich mahnendem Tone:
»Du mußt dir merken, daß man das stets vor dem Aufbruche thut. Durch das Absteigen verminderst du unsre Eile. Folge uns also, wenn du fertig bist, schnell nach. Dein Tüfenk ist fast unter das Kamel geraten; es könnte leicht zerbrochen werden, und ich will es lieber einstweilen an mich nehmen.«
Er langte von seinem hohen Sitze mit dem Metrek herab, steckte denselben unter den Riemen der am Sattelknopfe hängenden Flinte und hob dieselbe zu sich herauf. Dann ritt er lächelnd weiter.
Der Araber machte ein unbeschreiblich enttäuschtes Gesicht. Die Flinte war fort und eine Pistole hatte er nicht. Ein Überfall mit dem Messer vom hohen Kamelsattel aus war aber ganz unmöglich.
»Ob er es ahnt, dieser Sohn und Enkel des Teufels!« knirschte er. »Dieser Versuch ist mißglückt; aber bald wird es Nacht. Dann sieht er es nicht, wenn man auf ihn zielt, und ich kann ihn doch noch erschießen, ehe wir den Brunnen erreichen.«
Er folgte, nachdem er wieder aufgestiegen war, den Vorangerittenen. Als er an dem Fremden vorüberkam, reichte ihm dieser die Flinte mit den Worten zurück:
»Der Feuerstein ist ja zerbrochen und ausgefallen. Du kannst also heute nicht schießen. Morgen aber werde ich dir einen neuen geben. Ich habe welche im Gepäck.«
Es war klar, daß er den Stein heraus geschraubt hatte. Der Schech erkannte nun abermals, daß er durchschaut sei, und brannte nun förmlich darauf, dem Giaur die tödliche Kugel geben zu lassen oder auch selbst zu geben. Dieser aber ritt mit dem gleichmütigsten Gesicht hinterdrein, doch hatte er das eine Gewehr, welches vorher am Sattelknopfe hing, schußbereit in der Hand und beobachtete jede Bewegung seiner Begleiter mit scharfem Auge.
Die Zeit verging, und das Land wurde hügelig. Eine wenn auch unbedeutende Höhenkette zog sich hier von Norden nach Süden und brachte einige Abwechselung in das Landschaftsbild. Als sie durchquert war, kamen die Reiter wieder in die Ebene, wo, wie sie sahen, ein spärliches Gras gestanden hatte, welches aber von der Sonne vollständig versengt war. Mehr und mehr neigte sich diese dem Horizonte zu. Als sie ihn erreichte, hielt der Schech sein Tier an und rief im Tone eines Muezzin:
»Haï es sala – auf zum Gebete! Die Sonne taucht in das Meer des Sandes, und die Zeit des Moghreb ist gekommen!«
Sie stiegen alle ab und beteten in der bereits beschriebenen Weise. Fünfmal täglich hat der Moslem seine Andacht zu verrichten und sich dabei zu waschen, mag er sich nun zu Hause oder sonstwo befinden. Diese Gebete sind: el Fagr früh beim Aufgange der Sonne, el Deghri um die Mittagszeit, el Asr drei Stunden später, die Aufbruchszeit aller strenggläubigen Reisenden, el Moghreb beim Sonnenuntergange und endlich el Aschia eine Stunde später.
Es versteht sich, daß diese Zeiten nicht stets und überall streng eingehalten werden, und je weiter die abendländische Kultur im Osten vorschreitet, desto schwerer wird es dem Muselmann, diesen Vorschriften Folge zu leisten.
Als die Fathha gesprochen worden war, stiegen alle wieder auf, und der Ritt wurde fortgesetzt. Der Fremde war im Sattel geblieben. Es war ihm nicht zuzumuten, an ihrem Gebete teilzunehmen oder auch nur nach europäischer Sitte durch Entblößung des Hauptes ein Zeichen der Ehrfurcht zu geben. Er hätte sich damit entehrt, da der Mohammedaner es für eine Schande hält, den Kopf unbedeckt sehen zu lassen. Nur allein der Mezaijin hat das Vorrecht, den Anblick frommer, kahl geschorener Schädel, auf denen nur die mittelste Locke stehen bleiben darf, zu genießen. Diese Locke ist für den Muselmann sehr notwendig, weil ihn, wenn er auf dem Pfade strauchelt, welcher nach dem Tode in das Paradies führt und der nur so breit ist wie die Schärfe eines Barbiermessers, der Engel Gabriel bei diesem Haarschopfe faßt, um ihn fest zu halten und nicht in die Hölle hinabstürzen zu lassen.
Wenn die Sonne in südlichen Gegenden hinter dem Horizonte verschwunden ist, so tritt die Nacht sehr schnell herein. Eine Dämmerung wie bei uns ist dort unbekannt. Darum trieb Abu ‚l arba ijun, der Vater der vier Augen, die Araber jetzt zu größerer Eile an. Noch waren sie nicht weit gekommen, so sahen sie einen kleinen Reiterzug von Norden her sich im spitzen Winkel auf ihre Richtung zu bewegen. Es war eine Dschelaba, eine Handelskarawane, und zwar eine der anspruchslosesten, ja ärmlichsten Art.
Die acht Männer, aus denen sie bestand, saßen nicht etwa auf stolzen Rossen, auf hohen, langbeinigen Hedschins oder wenigstens auf gewöhnlichen, ordinären Lastkamelen, o nein, sondern sie hingen in den verschiedensten und keineswegs eleganten Stellungen auf jener Art von Tieren, deren Abbild früher unfleißigen Schuljungen als abschreckende Auszeichnung auf Holz gemalt um den Hals gehängt wurde – auf Eseln .
Der Zug glich also keiner jener großen, aus mehreren hundert Kamelen bestehenden Handelskarawanen, welche die Mittelmeerstaaten mit den großen Oasen der Sahara verbinden; es war vielmehr eine echt sudanesische Dschelaba, deren Anblick meist geeignet ist, Mitleid zu erwecken. Diese Handelszüge entstehen folgendermaßen:
Der Sudanese ist kein Freund der Arbeit und Anstrengung. Hat er sich als Matrose, als Diener oder in irgend einer andern leichten und vorübergehenden Stellung einige Mariatheresiathaler verdient, so wird er Handelsherr, welcher schöne Beruf ihm am meisten zusagt. Dazu ist vor allem andern der Ankauf eines Esels notwendig, welcher nur einen Teil des Kapitals verschlingt. Dann müssen zwei Gurab, lederne Säcke, angeschafft werden, welche die Handelsartikel aufzunehmen haben und auf der Reise zu beiden Seiten des Esels am Sattel hangen. Und drittens werden die im Lande gangbarsten Waren, durch welche der Handelsherr Millionär werden will, eingekauft. Diese bestehen in Khol, der bekannten Augenschwärze, in kleinen Stücken Rindstalg, mit denen sich die Stutzer des Sudans die Adonisgestalt einschmieren, um ein glänzendes Aussehen zu erhalten, in ebenso kleinen Salzwürfeln, die in Gegenden, wo es kein Salz gibt, eine sehr gesuchte und gut bezahlte Ware bilden, in einigen Stecknadeln, dem höchsten Schatze der Negerinnen, in wohlriechenden Sächelchen, bei deren Duft wir uns aber die Nase zuhalten würden, in andern ähnlichen Kleinigkeiten und vor allen Dingen in einigen Ellen Baumwollenzeug, da dies im Süden als Münze gilt. Je weniger man zu bezahlen hat, desto kleiner ist das Stückchen, welches von dieser Münze abgeschnitten wird.
Zum Schutze dieses Kauf- und Spezereiladens ebenso wie zum Schutze seines hoffnungsvollen Besitzers wird nun irgend eine fürchterliche Waffe angekauft, ein Schleppsäbel ohne Schneide, eine alte, entsetzlich weite Luntenpistole, welche in der Rumpelkammer des Trödlers von Mäusen bewohnt wurde, die vergnügt zum Zündloche herausschauten, oder gar ein flintenähnliches Mordinstrument, welches neben unzählichen andern guten Eigenschaften auch diejenige hat, nicht loszugehen, selbst wenn man sie ganz mit Pulver füllt und in einen glühenden Ofen steckt. Notabene nimmt an diesem Erfolge das Pulver ebenso großen Anteil wie die Mordmaschine selbst. Diese Waffen werden von ihrem Besitzer natürlich für unbeschreiblich wertvoll gehalten, aber nie im Ernst gebraucht. Er ist ein Anhänger der Abschreckungstheorie und wünscht, daß der etwaige Feind beim Anblicke dieser lebensgefährlichen Gegenstände die Flucht ergreife; geschieht dies nicht, nun, so reißt er einfach selber aus, was in neunundneunzig unter hundert Fällen mit aller Energie geschieht.
Nun ist die Ausrüstung beendet und der Dschelabi, der Händler fertig. Er könnte beginnen; aber sich allein in die weite, schlimme Welt zu wagen, das fällt ihm gar nicht ein. Er sucht nach gleichgestimmten Herzen und gleichgesinnten Seelen, die er auch unschwer findet. Bald sind sechs, acht, zehn solcher zukünftigen Kommerzienräte beisammen. Jeder hat einen Esel, aber was für einen! Viel haben die Tiere nicht kosten sollen, und darum sind sie alle mehr oder weniger lädiert und ramponiert. Dem einen fehlt ein Ohr, dem andern der Schwanz, den dritten haben die Ratten angefressen, und der vierte wurde blind geboren. Diese äußerlichen Mängel werden aber durch innerliche, durch Seelen- und Charaktereigenschaften reichlich aufgewogen, welche den Besitzer zur Verzweiflung bringen können. Trotzdem ist er stolz auf sein Reittier und belegt es mit den schmeichelhaftesten Namen und Stockhieben.
Um die Reise antreten zu können, werden die berühmtesten Fuqara aufgesucht und um wunderthätige Amulette angegangen. Die Welt ist schlecht, und es hausen böse Geister überall in Menge; da muß man an Brust und Armen mit Amuletten behangen sein, um allen Gefahren ruhig entgegensehen und im geeigneten Augenblicke mutig den Rücken kehren zu können.
Nun werden die beiden Gurab dem Esel aufgeladen. Der Dschelabi nimmt einen tüchtigen Knüppel in die Hand, um mit demselben dem Langohr zuweilen einen beherzigenswerten Wink geben zu können, und steigt auch mit auf. Das Schwert wird mittelst eines Kamelstrickes umgeschnallt oder die Pistolenhaubitze beigesteckt, und dann setzt sich der imposante Zug in Bewegung, von sämmtlichen Freunden und Anverwandten bis vor den Ort hinaus begleitet.
Thränen fließen, Herzen zerrinnen. »Be ism lillahi – in Allahs Namen!« erklingen die schluchzenden Segenswünsche. Der Zug kommt zehn und hundertmal ins Stocken, denn hier bockt ein Esel und wirft Ladung und Reiter ab; ein andrer wälzt sich im tiefen Kote, um sich von der Last zu befreien, und ein dritter stemmt sich mit allen Vieren ein, schreit wie am Spieße und ist weder durch Liebkosungen noch durch Schläge von der Stelle zu bringen, bis sich zehn Anverwandte vorn anspannen, um ihn am Maule zu ziehen, und zehn Freunde hinten am Schwanze schiebend und schwitzend nachhelfen. So gelangt die Dschelaba endlich glücklich ins Freie und bockt, stolpert, rennt, schreit, heult und flucht ihrem Glücke entgegen.
Sie trennt sich von Zeit zu Zeit, um sich an gewissen Orten wieder zusammenzufinden. Glänzende Geschäfte werden gemacht, großartige Abenteuer erlebt; manche gehen auch zu Grunde, während andre ihr kleines Anlagekapital durch Schlauheit und Ausdauer schnell vervielfältigen und wirklich zu reichen Männern werden.
Mancher Dschelabi wagt sich in den tiefsten Sudan hinein und kommt erst nach Jahren als ein gemachter Mann zurück. Mancher andre ist früher vielleicht ein angesehener Beamter gewesen und hat zum Esel greifen müssen, um im Sumpflande am Fieber oder anderswo am Hunger zu Grunde zu gehen. Niemand erfährt, wo seine Gebeine und diejenigen seines Esels bleichen. Vielleicht hat er den letztern vorher noch aufgezehrt.
Eine solche Dschelaba war es, welche der Karawane jetzt begegnete. Sie kam den Arabern höchst ungelegen, und der Schech murmelte einen Fluch zwischen die Lippen. Dem Fremden aber waren diese Leute sehr willkommen. Er ritt auf sie zu, rief ihnen einen freundlichen Gruß entgegen und fragte:
»Wohin geht euer Weg? Die Sonne ist gesunken. Wollt ihr nicht bald Lager machen?«
Die Leute waren nur sehr notdürftig gekleidet. Die meisten trugen nichts als nur die Lendenschürze; aber alle waren guten Mutes. Sie schienen gute Geschäfte gemacht zu haben. Sie gehörten nicht einer und derselben Rasse an. Es gab mehrere Schwarze unter ihnen. Voran ritt ein kleiner, dünner und, so viel man bei dem scheidenden Tageslichte sehen konnte, blatternarbiger Bursche, dessen Schnurrbart aus nur einigen Haaren bestand. Er hatte Hosen an, war sonst unbekleidet und trug ein riesiges Schießgewehr am Riemen auf dem Rücken. Eine Kopfbedeckung schien für ihn überflüssig zu sein; sein Haar hing ihm dick und voll vom Haupte bis auf den Rücken herab, fast ganz in der Weise, wie die in Deutschland als Blechwarenhändler und Drahtbinder umherziehenden Slowaken das ihrige zu tragen pflegen. Er war es, der die Antwort übernahm:
»Wir kommen vom Dar Takala herab und wollen nach Faschodah.«
»Aber nicht heute?«
»Nein, sondern erst morgen. Heute bleiben wir am Bir Aslan.«
»Das wollen wir auch. So können wir uns also Gesellschaft leisten.«
»Herr, wie könnten wir armen Dschelabi es wagen, den Hauch deines Atems zu trinken? Wir machen uns ein Lager fern von Euch. Erlaube uns nur ein wenig Wasser für uns und unsre Tiere?«
»Alle Menschen sind vor Allah gleich. Ihr sollt bei uns schlafen. Ich wünsche es.«
Das sagte er in bestimmtem Tone. Dennoch fragte der Dschelabi:
»Du scherzest, Herr, nicht wahr?«
»Nein. Es ist mein Ernst. Ihr seid mir willkommen.«
»Und deinen Leuten auch?«
»Warum diesen nicht?«
»Ihr seid Beni Arab. Darf ich erfahren, von welchem Stamme?«
»Von dem der Homr.«
»Allah kerihm – Gott ist gnädig, aber die Homr sind es nicht. Erlaube, daß wir fern von Euch bleiben.«
»Warum ?«
»Weil wir euch nicht trauen dürfen.«
Er hielt den Fremden auch für einen Homr, ja für den Anführer derselben. Um so mutiger war es von ihm, daß er so aufrichtig sprach. Der Europäer antwortete:
»Hältst du uns für Diebe?«
»Die Homr sind Feinde der Schilluk, in deren Gebiete wir uns hier befinden,« meinte der Dschelabi ausweichend. »Wie leicht kann es zu einem Kampfe kommen, und da ziehen wir es vor, fern zu bleiben.«
»Dein Herz scheint keinen großen Mut zu besitzen. Wie ist dein Name?«
Der Kleine richtete sich im Sattel höher auf und antwortete:
»Ob ich furchtsam bin, das geht dich gar nichts an. Wenn du meinen Namen wissen willst, so steige ab und hole dir ihn!« Er sprang von seinem Esel, warf das Gewehr weg und zog das Messer. Die Homr waren weiter geritten. Die Dschelaba hielt noch am Platze. Hinter dem bisherigen Sprecher befand sich ein ebenso kleiner Bursche, welcher befürchten mochte, daß die Scene sich zum Schlimmen wenden könne. Er wollte dem vorbeugen, indem er sagte:
»Verzeihe, Herr, dieser Mann hat stets einen großen Mund und ist doch nur ein kleiner Mensch, der nichts versteht. Er wird von uns Ibn el dschidri oder wohl auch Abu el hadaschtscharin genannt.«
»Warum dieser letztere Name?« erkundigte sich der Fremde.
»Weil sein Schnurrbart nur aus elf Haaren besteht, rechts sechs und links fünf. Und doch ist er außerordentlich stolz auf ihn, so daß er ihn gerade so sorgfältig pflegt wie eine Nuer-Negerin ihr Durrhafeld.«
Er bemühte sich, dem drohenden Konflikte eine heitere Bahn zu brechen, kam aber bei seinem Kollegen schlecht an, denn dieser rief ihm zornig zu:
»Schweig, du Vater des Unverstandes! Mein Schnurrbart ist hundertmal mehr wert als dein ganzer Kopf. Du selbst hast den großen Mund. Du rühmst dich deines Stammbaumes, aber niemand glaubt an ihn!«
Das war eine Beleidigung, welche den andern nun auch in Harnisch brachte. Er antwortete:
»Was weißt du von meinem Stammbaum! Wie lautet mein Name, und wie klingt der deine!«
Und sich zu dem Fremden wendend, fuhr er fort:
»Herr, erlaube mir, dir zu sagen, wer ich bin! Ich heiße nämlich Hadschi Ali ben Hadschi Ishak al Faresi Ibn Hadschi Otaiba Abu ‚l Ascher ben Hadschi Marwan Omar el Gandesi Hafid Jacub Abd‘ Allah el Sandschaki.«
Je länger der Name eines Arabers, desto mehr ehrt ihn derselbe. Von berühmten Vätern abzustammen, geht ihm über alles. Darum reiht er ihre Namen bis ins dritte und vierte Glied aufwärts aneinander und bringt so eine Riesenschlange fertig, über welche der Europäer heimlich lächelt.
Dieser Hadschi Ali blickte den Fremden erwartungsvoll an, was er zu dem berühmten Namen sagen werde.
»Also Hadschi Ali heißt du?« fragte der ‚Vater der vier Augen‘. »Dein Vater war Hadschi Ishak al Faresi?«
»Ja. Hast du von ihm gehört?«
»Nein. Dein Großvater hieß also Hadschi Otaiba Abu ‚l Oscher?«
»So ist es. Ist dieser dir bekannt?«
»Auch nicht. Und dein Urgroßvater war Hadschi Marwan Omar el Gandesi?«
»So ist es. Von ihm hast du doch jedenfalls vernommen?«
»Leider nicht! Und endlich war dieser letztere der Urenkel und Nachkomme von Jacub Abd‘ Allah el Sandschaki, also des Fahnenträgers?«
»Ja, er trug den Sandschak des Propheten in den Kampf.«
»Diesen Namen habe ich allerdings gelesen. Jacub Abd‘ Allah soll ein mutiger Streiter gewesen sein.«
»Ein Held war er, von dem noch heute die Lieder erzählen!« stimmte Ali stolz bei.
»Aber dein Ahne ist er nicht!« fiel der erste Dschelabi ein. »Du hast ihn dir unrechtmäßigerweise angeeignet!«
»Bringe mir nicht immer diesen Vorwurf! Ich muß doch besser als du wissen, von wem ich stamme!«
»Und mit eben solchem Unrechte nennst du dich Hadschi Ali. Wer da sagt, daß er ein Hadschi sei, der muß doch Mekka zur Zeit der Pilgerfahrt besucht haben. Du aber warst nie dort!«
»Etwa du?«
»Nein. Ich rühme mich dessen nicht, denn ich mache keine Lügen.«
»Du könntest dich auch gar nicht rühmen, denn du bist ein Christ, und Christen ist der Zutritt in Mekka bei Todesstrafe verboten!«
»Wie? Du bist ein Christ?« fragte der Fremde den ersten Dschelabi.
»Ja, Herr,« antwortete dieser. »Ich mache kein Hehl daraus, denn es ist eine Sünde, seinen Glauben zu verleugnen. Ich bin allerdings Christ und werde es bleiben bis an mein Ende.«
Bis jetzt hatte der »Vater der vier Augen« dem Konflikte der beiden mit stillem Behagen zugehört. Sie schienen sich in den Haaren zu liegen und doch die besten Freunde zu sein. Jetzt aber wurde er plötzlich ernst, und es lag eine tiefe Betonung auf seinen Worten, als er sagte:
»Daran thust du ganz recht. Kein Christ soll seinen Glauben aus irgend einem Grunde verleugnen. Das wäre eine Sünde wider den heiligen Geist, von welcher das Kitab el mukkadas sagt, daß sie nicht vergeben werden könne.«
»Sünde wider den heiligen Geist?« fragte der Dschelabi erstaunt. »Davon hast du gehört?«
»Jawohl.«
»Und die heilige Schrift kennst du also auch?«
»Ein wenig.«
»Und als Moslem rätst du mir, fest an meinem Glauben zu halten!«
»Ich bin kein Moslem, sondern auch ein Christ.«
»Auch ein Christ! Wohl ein koptischer?«
»Nein.«
»Aber was sonst für einer? Ich hätte es nie für möglich gehalten, daß ein Beni Homr ein Christ sein könne.«
»Ich bin kein Homr, auch kein Araber, überhaupt kein Orientale, sondern ein Europäer.«
»Mein Gott, ist‘s möglich! Ich auch, ich auch!«
»Aus welchem Lande?«
»Aus Ungarn. Ich bin Magyar. Und —«
»Davon später. Meine Begleiter sind mir weit voran und ich habe alle Veranlassung, ihnen nicht zu trauen. Ich muß ihnen schnell nach. Nun du gehört hast, daß ich auch ein Europäer bin, wirst du wohl bereit sein, bei mir zu lagern?«
»Von ganzem Herzen gern! Welch eine Freude, welch eine Wonne für mich, dich hier getroffen zu haben! Nun können wir von der Heimat sprechen. Laßt uns schnell reiten, damit wir die Homr einholen und den Brunnen schnell erreichen!«
Es ging vorwärts, so schnell die Esel laufen konnten, und sie liefen sehr gut. Diese Tiere sind in südlichen Gegenden ganz andre Geschöpfe als bei uns. Ein ägyptischer Esel trägt den stärksten Mann und galoppiert mit ihm so lange Zeit, als ob er gar keine Last zu tragen habe. Nach einer Viertelstunde waren die Araber erreicht. Sie sagten zu den Dschelabi kein Wort, nicht einmal eine Silbe der Begrüßung. Da diese acht Männer jetzt zugegen waren, war es unmöglich, den Fremden niederzuschießen, wie man vorher gewillt gewesen war.
Still ging es weiter. Der kleine Ungar machte keinen Versuch, sich mit dem »Vater der vier Augen« zu unterhalten. Es wäre das nicht gut gegangen, da der eine auf dem hohen Hedschin und der andre auf dem kleinen Esel saß.
Die Sterne des Äquators waren aufgegangen, und ihr intensives Licht leuchtete fast so hell wie der Mond, welcher jetzt nicht zu sehen war, da er in der Phase der Verdunkelung stand.
Nach einiger Zeit sah man eine Bodenerhebung liegen, welche schroff aus der Erde stieg. Der Sternenschimmer verlieh ihr ein gespenstiges Aussehen.
»Dort ist der Bir Aslan,« sagte der Ungar. »In fünf Minuten werden wir dort sein.«
»Schweig, Dschelabi!« fuhr der Schech ihn an. »Wann du dort sein willst, das kommt allein auf uns an. Noch haben wir dich nicht eingeladen, uns zu begleiten!«
»Dessen bedarf es gar nicht. Wir gehen ohne Einladung hin.«
»Wenn wir es euch erlauben!«
»Ihr habt gar nichts zu erlauben. Der Brunnen ist für alle da, und übrigens befindet ihr euch in Feindes Land.«
»Allah iharkilik – Gott verbrenne dich!« murmelte der Homr, sagte aber weiter nichts.
Der Dschelabi schien von Haus aus kein furchtsames Kerlchen zu sein, und seit er wußte, daß der erst für einen mohammedanischen Schech gehaltene Fremde ein europäischet Christ sei, fühlte er sich noch weniger geneigt, sich von den Arabern bevormunden zu lassen.
Sie langten bei dem Felsen an, an dessen Fuß sich der Bir befand. Dieser war kein laufendes Wasser; er bestand in einem kleinen, von dichtem Mimosengebüsch umgebenen Weiher, welchen eine nicht sichtbare Wasserader speiste. Man stieg ab. Während einige die von ihren Lasten befreiten Tiere tränkten, sammelten die andern dürres Geäst, um ein Feuer zu machen. Als es brannte, setzten sich die Homr so um dasselbe, daß für die Dschelabi kein Platz blieb. Der Ungar verlor kein Wort darüber. Er trug Holz nach der andern Seite des Wassers, brannte dort ein Feuer an und rief dem »Vater der vier Augen« zu:
»Nun magst du dich entscheiden, bei wem du sitzen willst, bei ihnen oder bei uns.«
»Bei euch,« antwortete er. »Nehmt dort die Satteltasche, welche meinen Proviant enthält! Ihr seid meine Gäste. Wir können alles aufessen, da wir morgen nach Faschodah kommen.«
»Da irrt er sich,« flüsterte der Schech den Seinen zu. »Er verachtet uns und zieht diese Erdferkel vor. Wir wollen so thun, als ob wir es nicht beachteten. Aber beim Anbruche des Tages wird er in der Dschehenna heulen. Mag er jetzt noch einmal, zum letztenmal im Leben, essen!«
Er suchte auch seine Vorräte vor, dürres Fleisch und trockenen Durrhakuchen, wozu das Wasser des Bir mit den Händen geschöpft wurde.
Indessen rekognoszierte der Fremde die Umgebung des Brunnens. Der kleine Berg stand vollständig isoliert in der Ebene. Er war mit Gras bewachsen, eine Folge der Verdunstung des Brunnenwassers. Auf seiner nördlichen und westlichen Seite gab es kein Strauchwerk; aber am östlichen und südlichen Fuße, wo der Brunnen lag, kletterten die Mimosen ein Stück am ausgewitterten Felsen empor und liefen auch eine ganze Strecke in die Ebene hinein. Menschliche Wesen waren nicht zu sehen; die Gegend schien vollständig sicher zu sein, auch in Beziehung auf wilde Tiere, falls nicht der Geist des hier vergifteten »Herrn mit dem dicken Kopfe« hier in nächtlicher Stunde sein Wesen trieb.
Als er nach der Quelle zurückkehrte, hatten die Kamele und Esel sich satt getrunken und fraßen von den jungen Zweigen der Mimosen. Er ließ sein ganzes Gepäck in die Nähe des zweiten Feuers tragen und dort am Felsen niederlegen, so daß er es im Auge haben konnte.
Der Ungar hatte die Tasche geöffnet und den Inhalt derselben vor sich ausgebreitet. Derselbe bestand aus Durrhabrot, Datteln und mehreren Perlhühnern, welche der »Vater der vier Augen« gestern früh jenseits der Sandstrecke geschossen hatte.
Es gibt im Sudan ganze Stämme, welche keinen Vogel essen. Die Dschelabi gehörten nicht zu diesen Verschmähern eines guten Geflügels. Sie rupften die Hühner, nahmen sie aus und zerlegten das Fleisch in kleine viereckige Stücke, welche, an zugespitzte Äste gespießt, über dem Feuer gebraten wurden. In dieser Form und Weise zubereitet, wird das Fleisch Kebab genannt.
Während dies geschah, zog der Ungar die ihm am Herzen liegenden Erkundigungen ein. Bei dem Ritte hatte er nur notgedrungen geschwiegen, nun aber fragte er, als der Fremde sich neben ihm am Feuer niedergelassen hatte, immer noch in arabischer Sprache, wie bisher:
»Darf ich nun erfahren, Herr, aus welchem Lande du bist? Bitte!«
»Sage mir vorher erst, aus welcher Gegend Ungarns du stammst!«
»Ich bin ein Magyar aus Nagy Mihaly bei Ungvar.«
»Von dort? Dann aber bist du wohl kein Magyar, sondern ein Slowak. Du hast dich dessen jedoch gar nicht zu schämen.«
»Ich schäme mich auch nicht; aber da ich in Ungarn geboren bin, bin ich doch auch Magyar. Du kennst meine Heimatsgegend? Warst du dort?«
»Ja.«
»Sprichst du ungarisch? Ich bin auch des Slowenischen mächtig.«
»Mir ist beides fremd, also können wir uns leider nicht in deiner Muttersprache unterhalten. Aber wie bist du nach Afrika, nach Ägypten und gar nach dem Sudan gekommen?«
»Durch meinen Herrn.«
»Wer war das?«
»Matthias Wagner, auch ein Ungar aus dem Eisenstädter Komitat.«
»Den kenne ich, wenn auch nicht persönlich. Er hat sehr viel erlebt. Er ging nach Ägypten, Arabien und Abessinien, war Begleiter des Herzogs von Gotha, bereiste später den ganzen Ostsudan und ist vor ungefähr einem Jahre gestorben, ich glaube in Chartum. Nicht?«
»Ja, Herr, so ist es. Du kennst alle seine Erlebnisse. Ich war zuletzt mit ihm nach Kordofan, um Straußfedern zu handeln. Nach unsrer Rückkehr mußten wir uns trennen. Er starb, und über mich brach ein Unfall nach dem andern herein, so daß ich endlich gezwungen war, das Leben eines armen Dschelabi zu führen.«
»Hast du da Glück gehabt?«
»Was nennst du Glück? Ich begann vor sechs Monaten mit fünf Mariatheresienthalern, und was ich jetzt besitze, ist vielleicht dreißig wert. Großwesier wird man nicht dabei.«
»Dazu hat Allah dir ja auch den Verstand gar nicht gegeben,« fiel der zweite Dschelabi jetzt ein.
»Schweig, Abu Dihk!« fuhr der Ungar ihn an. »Mich hat Allah für so einen hohen Posten eigentlich ausgerüstet. Du aber könntest nicht einmal Hamal werden, trotz deines falschen Stammbaumes!«
»Er ist echt und nicht gefälscht. In mir fließt das Blut vom Fahnenträger des Propheten. Hör‘ meinen Namen an! Soll ich ihn dir nennen?«
»Um Allahs willen, nein! Du trompetest ihn so unaufhörlich aus, daß ihn bereits im ganzen Sudan jeder Vogel pfeifen kann.«
»Das darf ich wohl, da er ein hoch berühmter ist. Höre ihn an, und höre auch, was meine Ahnen thaten! Wie aber heißt du? Ich habe es vergessen?«
»Uszkar.«
»Wie lautet das auf Arabisch?«
»Kelb.«
»Welch ein Name! Wie kann ein Mensch sich nach einem so verachteten Tiere nennen! Wie hieß dein Vater?«
»Auch Uszkar oder Kelb.«
»Dein Großvater?«
»Ebenso.«
»Und deine andern Ahnen?«
»Auch nicht anders.«
»Allah, welch ein Stammbaum ist das! Kelb ben Kelb Ibn Kelb Hafid Kelb, Kelb und nichts als Kelb! Es ist ein Wunder, daß du nicht bellst, sondern sprichst. Mein Name aber lautet Hadschi Ali ben Hadschi Ishak el Faresi Ibn Otaiba Abu – — —«
»Still, still, still!« rief der Ungar, indem er mit beiden Armen den ewig langen Namen abwehrte. »Ich mag ihn nicht mehr hören. Wenn ich ihn einatme, wird er sich als Bandwurm in meine Eingeweide legen und mich von innen heraus aufzehren. Was kann dein Name gegen meine Erfahrungen und Kenntnisse bedeuten! Ihn hast du ohne alles Verdienst von deinen Vorfahren; sie aber habe ich mir selbst angeeignet. Wisse, daß ich sogar die Sprache aller Weisheit, das Latein, verstehe! Ich habe es von meinem Herrn gelernt.«
»Und wisse,« schrie der andre, welcher sich ernstlich zu ereifern begann, »daß ich alle Länder und Völker der Erde, alle Städte und Dörfer des Weltalls kenne und beim Namen nenne.«
»Das ist Geographie, deine Leidenschaft. Wo aber willst du sie studiert haben?«
»Bei meinem Oheim, welcher erst in Stambul wohnte und dann in das Land der Nemtsche nach Lipsik ging, wo er an einer Straßenecke viele Jahre lang mit Asal ‚l abiad handelte. Dort wurde er wohlhabend und kehrte heim, mich zu belehren. Als ich ausstudiert hatte, ging ich nach Ägypten als Asker und bin so nach und nach bis in den Sudan gekommen.«
»O du Vater des Gelächters,« lachte der Slowak, »willst du dir darauf etwas einbilden, daß dein Oheim Honig verkaufte? Hat er in Leipzig auch Latein studiert?«
»Alles, alles, was es geben kann! Und ich hab‘s dann von ihm. Allah allein kennt die Millionen Länder und Dörfer, welche sich in meinem Kopfe befinden. Du aber weißt gar nichts. Du bist der Sohn der Blattern und der Vater der elf Haare. Du hast meinen Namen gehört. Wie kannst du mich den Vater des Gelächters nennen?«
Sie waren beide zornig geworden und griffen sich bei ihren gegenseitigen körperlichen Schwächen an. Die Spitznamen, welche man ihnen gegeben hatte, waren sehr bezeichnend. Das Gesicht des Slowaken war geradezu abschreckend pockennarbig, und es mußte fast als ein Wunder erscheinen, daß die zerstörende Krankheit ihm die wenigen Haarkeime übrig gelassen hatte. Freilich zählte sein Schnurrbart mehr als elf Haare, aber über dreißig waren es gewiß nicht. Und diese zerstreut und unregelmäßig über die Oberlippe verteilten Männlichkeitsbeweise hatte er so lieb, daß seine Hände während jedes freien Augenblickes bemüht waren, sie zu sammeln und ihnen die Form eines echt ungarischen Schnurrwichses zu geben.
Was den »Vater des Gelächters« betraf, so litt er an einer Krankheit, welche sein Gesicht in fast regelmäßigen Pausen, besonders aber bei Seelenerregungen und wenn er sprach, zur schrecklichen Fratze verunstaltete, nämlich am Gesichtskrampfe. Diese Verzerrungen brachten nie einen ernsten, sondern stets nur einen solchen Ausdruck des Gesichtes hervor, daß man meinte, Ali wolle sich über irgend etwas totlachen. Es ist ganz gewiß höchst verwerflich, sich über körperliche Gebrechen eines andern lustig zu machen, aber die Gesichter des Mannes, welcher Millionen Länder und Dörfer in seinem Kopfe hatte, wirkten so unwiderstehlich, daß der ärgste Melancholikus, der rücksichtsvollste Mensch geradezu gezwungen war, mitzulachen. Übrigens genierte ihn das keineswegs; er schien sich im Gegenteile ganz glücklich zu fühlen, stets lustige Gesichter um sich zu sehen.
»Und wenn du alle Völker und Inseln der Erde im Kopfe hast, so kennst du doch gewiß nicht ein einziges Wort Latein!« behauptete der Slowak. »Herr, verstehst vielleicht auch du lateinisch?«
»Ja, ein wenig,« nickte der »Vater der vier Augen« lächelnd. »Wo hast du es denn gelernt?«
»Auch in Leipzig.«
»Aber doch nicht an der Ecke bei dem Honigkasten?«
»Nein, sondern von meinen Professoren.«
»Professoren? Hast du etwa studiert?«
»Ja.«
»Was?«
»Medizin.«
»So bist du Doktor?«
»Allerdings. Auch war ich drei Jahre lang Lehrer an einer deutschen Medresse.«
Da sprang der Kleine auf und rief:
»So bist du ein Deutscher?«
»Ja. Wenn du deutsch verstehst, können wir uns dieser Sprache bedienen.«
»Natürlich verstehe ich es, und zwar ganz ausgezeichnet! Allah! Ein Ra-is et tibb! Und ich habe dich du genannt! Wo habe ich da meine Augen gehabt! Das soll sofort gut gemacht werden; ich werde höflicher sein. Darf ich deutsch reden?«
»Das versteht sich!« antwortete der Gelehrte, sehr neugierig darauf, wie der Ungar, welcher des Magyarischen, des Slowakischen und sogar des Lateinischen mächtig sein wollte und wirklich gar nicht übel arabisch sprach, sich im Deutschen ausdrücken werde. »Versuchen Sie es, und sagen Sie mir da einmal gleich, was Ihr Vater gewesen ist!«
Der Gefragte antwortete mit strahlendem Gesichte, nun in deutscher Sprache:
»Vatterr meiniges hatt Musika gewest. Macht dilideldum, dilideldei.«
»Auf welchem Instrumente?« fragte der Arzt, der sich nur schwer des Lachens erwehren konnte.
»Hatt blaste Klarniett: Viviviva viviviva!«
Er hielt die beiden Hände vor den Mund und ahmte die Klänge der Klarinette täuschend nach.
»Da haben Sie wohl auch ein Instrument zu blasen gelernt?«
»Nein. Mund meiniger hatt nicht paßte dazu.«
»Und wie ist Ihr eigentlicher Name?«
»Hab ich heißte Uszkar Istvan.«
»Also zu deutsch Stephan Pudel, wenn ich mich nicht irre, da ich zufälligerweise das Wort Pudel kenne. Ein ominöser Name hier in einem mohammedanischen Lande, wo das Wort Hund als größte Beschimpfung gilt. Sie hätten dieses Uszkar Ihren Gefährten nicht übersetzen sollen.«
»Serr richtig! Aber wie heißten Sie, Pane Doktorrr?«
»Ich heiße Emil Schwarz und bin hier, um die Fauna und Flora des Landes zu studieren und in möglichst vielen Präparaten mit nach Hause zu nehmen.«
»Fauna und Florrra! O, das seinte gut Latein! Auch ich verstehnte Latein. Latein meiniges ich hatt lernte bei Pane Wagner. Fauna heißte Pflanz, und Flora heißte Vieh.«
»Oder umgekehrt,« lachte Schwarz.
»Umkehrte auch richtig, beides richtig! Ich bin viel geweste in Sudan. Ich hatt sehnte das ganze Florrra und Fauna. Wenn Sie brauchte ein Dienerrr, ich sehr gern wernte Dienerrr Ihriges.«
»Wirklich?«
»Ja, Pane Doktorrr. Ich nicht willnte mehr handeln im Sudan, und ich nicht mehr magte sein ein Dschelabi. Sie mich könnte brauchte sehr gut. Ich Sie wollte unterrrstützte mit Latein meiniges und machte kleb an die Etiquetten an Präparaten Ihrige.«
»Dieses Anerbieten ist mir nicht unwillkommen, und ich werde – — —«
Er hielt inne. In der Ferne war ein Ton erklungen, welcher sofort die Aufmerksamkeit aller in Anspruch nahm.
»Was war das?« fragte Schwarz, sich in arabischer Sprache an die Dschelabi wendend. »Doch unmöglich Donner! Jetzt im Sef gibt es doch wohl keine Gewitter.«
»Nein, Donner war es nicht,« antwortete der Slowak, auch in arabischer Sprache, welche er nicht so schlimm radebrechte wie die deutsche.
»Was war es sonst?«
»Es war Aslan, der Herr der Herden.«
»Der Löwe? Also gibt es hier doch welche!«
»Es scheint so, und der Herr mit dem dicken Kopfe wird hierher kommen, denn er hat unsre Feuer gesehen.«
»So zeitig? Ich habe geglaubt, daß er erst um oder gar nach Mitternacht sein Lager verlasse.«
»Wenn er Hunger hat, geht er früher aus.«
Diese Fragen und Antworten waren mit lauter, vernehmlicher Stimme gegeben worden. Da kam der Schech vom andern Feuer herbeigeeilt und sagte mit leiser Stimme und in ängstlichem Tone:
»Um Allahs willen, sprecht nicht so laut, sonst hört er es und kommt herbei. Dann sind wir alle verloren. Horcht!«
Es erscholl derselbe Laut wieder. Er klang dem Rollen eines schweren Wagens, welcher über eine hölzerne Brücke fährt, sehr ähnlich. Die Kamele zitterten und die Esel drängten sich zusammen.
»Das also, das ist der Löwe!« sagte Schwarz, mehr zu sich als zu den andern. »Endlich, endlich höre ich seine Stimme in der Freiheit.«
»O, das ist seine volle und richtige Stimme noch nicht,« meinte der Slowak. »Er versucht sie erst. Er hat Hunger und ist mißmutig; er knurrt einstweilen.«
»Hast du ihn auch schon gehört?«
Er bediente sich, dem arabischen Sprachgebrauche angemessen, wieder des Du.
»Gehört und auch gesehen, und zwar sehr oft.«
»Ohne von ihm angefallen zu werden?«
»Er hat mir nie etwas gethan. Es gibt viel feige und wenig wirklich stolze und kühne Löwen. Die feigen kommen heimlich geschlichen und führen den Raub so leise aus, daß man erst am Morgen den Tod oder das Fehlen seines Opfers bemerkt. Ein kühner Löwe aber tritt gleich laut aus seinem Lager. Er sagt es aufrichtig, daß er Hunger hat und jetzt auf Raub ausgehen will. Er nähert sich dem Orte, dem er seinen Besuch zugedacht hat, nur langsam und brüllt dabei von Zeit zu Zeit, damit man sich genau berechnen könne, wann er erscheinen wird. Einen Löwen, der das thut, hält keine Gefahr ab, den Überfall auszuführen.«
»Wir haben es höchst wahrscheinlich mit so einem zu thun!«
»Ja. Wenn er wieder brüllt, werden wir hören, ob er zu uns oder nach einem andern Orte will.«
Zum drittenmal erklang die Stimme des Raubtieres, halb knurrend und halb heulend. Man hörte deutlich, daß sie aus größerer Nähe kam. Die Homr-Araber waren jetzt alle an das zweite Feuer gekommen. Sie fürchteten sich.
»Er kommt zu uns, er kommt wirklich,« flüsterte der Schech mit vor Angst heiserer Stimme.
»Du hast dich also geirrt,« antwortete Schwarz, »als du behauptetest, es sei kein Löwe hier an dieser Quelle zu erwarten.«
»Konnte ich wissen, daß sich einer eingefunden hat? Er haust wohl erst seit wenigen Tagen hier. Wären wir nicht in der Dunkelheit gekommen, so hätten wir wohl die Spuren seiner Tatzen gesehen. Der Bir ist seine Tränke, denn es gibt von hier bis zum Flusse kein andres Wasser.«
»So kampiert er auf der offenen Ebene?«
»O nein, Herr. Dreiviertel Stunden von hier gibt es ein Felsgewirr, welches er sich zur Wohnung ausersehen hat, denn seine Stimme erklang genau aus jener Gegend. Ich habe schon viele Löwen beobachtet und weiß, in welcher Weise sie sich nahen. Dieser kommt sehr langsam herbei, denn das Feuer macht ihn bedenklich; aber in einer halben Stunde wird er in der Nähe sein und unser Lager umkreisen.«
»Um den Raub auch wirklich auszuführen?«
»Ganz gewiß, Effendi. Er hat es uns laut gesagt und wird sein Wort halten. Beladen wir also schnell unsre Tiere, um diesen bösen Ort augenblicklich zu verlassen!«
»Fliehen sollen wir?«
»Ja, und zwar so schnell wie möglich.«
»Vierzehn Männer? Vor dieser Katze?«
»Effendi, es ist keine Katze!«
»Es ist eine, wenn auch eine sehr große. Wer fliehen will, der mag es thun. Aber die Kamele bleiben hier, denn ich habe sie gemietet.«
»Er wird mir eins zerreißen!«
»So bezahle ich es dir!«
»Er kann auch gar mich selbst zerreißen!«
»In diesem Falle kommst du noch heute in Allahs Paradies; also freue dich darauf.«
»Ich gehe. Ich will noch leben!«
»So mache dich von dannen; aber indem du dich von den Feuern entfernst, die auch der Löwe scheut, begibst du dich in eine noch viel größere Gefahr. In der Dunkelheit draußen vermagst du das Tier nicht zu erkennen, und es fällt über dich her, ohne daß du es geahnt hast.«
»Allah, Allah! Also sollen wir hier bleiben und ruhig warten, wen von uns er sich holen werde?«
»Nein, denn ich werde ihn töten.«
»Du? Niemand wird dir beistehen.«
»Das fordere ich gar nicht.«
»Also du allein willst dich ihm entgegenstellen? Effendi, bist du toll?«
»Nein. Ich habe Tiere erlegt, welche ebenso gefährlich wie der Löwe sind. Mit ihm habe ich zwar noch nie gesprochen, aber er wird mit sich reden lassen. Dabei werde ich dafür sorgen, daß er euch nichts thun kann.«
Jetzt erhob der Löwe seine Stimme wieder. Es war kein Grollen oder Knurren mehr, sondern ein wenn auch nur kurzer, aber doch fürchterlicher Ton, welcher auf die Hörer ganz den Eindruck machte, als ob er ihnen die Kopfhaut empor ziehen wolle.
»Er ist wieder näher!« jammerte der Schech. »Er hat schon die Hälfte seines Weges zurückgelegt. In einer Viertelstunde ist er da. Meine Kamele, meine schönen Kamele!«
»Du selbst Kamel! Treffen wir schnell die nötigen Anstalten! Wir müssen ihn zwingen, sich nach der Stelle zu wenden, an welcher ich ihn erwarten werde. Durch das Wasser kommt er nicht, also muß er entweder von rechts oder von links zu uns, weil wir uns mit den Tieren zwischen der Quelle und dem Felsen befinden. Macht hier das Feuer breiter und facht es höher an, so wird er es vermeiden, hier herein zu brechen. Bindet die Tiere fest an die Zweige, daß sie nicht fliehen können. Und dann könnt ihr euch meinetwegen hinter das Gepäck verstecken.«
»Und du, was wirst du thun, Herr?« fragte der Slowak.
»Ich gehe auf die andre Seite, lösche dort das Feuer aus, so daß er nicht abgeschreckt wird, und warte, bis er kommt.«
»Du wirklich ganz allein?«
»Ja, ich bedarf wahrscheinlich der Unterstützung andrer nicht.«
Er gab diese Befehle und Antworten mit der Ruhe und Kaltblütigkeit eines Unteroffiziers, welcher auf dem Kasernenhofe seine Leute instruiert.
Die Araber und auch die Dschelabi hatten sich sehr beeilt, das Feuer zu vergrößern und die Tiere anzubinden. Nun drängten sie sich alle mit Ausnahme des Ungarn und Alis zwischen den Gepäckstücken und der Felswand zusammen. Die beiden Genannten aber waren bei Schwarz geblieben; sie halfen ihm das andre Feuer auszulöschen. Eben, als sie damit fertig waren, ließ sich der Löwe wieder hören, aber dieses Mal in ganz andrer Weise als bisher.
Ja, das war ein wirkliches Gebrüll, erst dumpf rollend wie ein unter den Füßen hingehendes Erdbeben, dann anschwellend bis zum mächtigen, in der stillen Nacht wohl meilenweit hörbaren Brusttone, welcher in einen durch Mark und Bein schneidenden, wahrhaft satanischen Kehllaut überging, um in einem langgezogenen und nach und nach ersterbenden Donner, unter welchem die Erde zu erzittern schien, wie in weiter Ferne zu verhallen.
Das war der wirkliche Macht- und Kampfesruf des Königs der Tiere gewesen, und Schwarz erkannte nun, warum die Araber ihm so oft den Namen Abu Rad, Vater des Donners, geben.
»Er ist höchstens nur noch tausend Schritte entfernt,« hörte man den Schech sagen. »Allah il Allah we Muhammed rassuhl Allah! Betet leise die heilige Fatha und dann laut die Sure der ‚Zerreißung‘, welche die vierundachtzigste des Korans ist! Das Verderben wird nur noch fünf oder sechs Minuten lang das Lager umschleichen und dann über uns hereinbrechen.«
Die Kamele zitterten und stöhnten vor Angst. Sie lagen eng nebeneinander auf der Erde, die Hälse lang und fest an den Boden geschmiegt. Die Esel schlugen um sich und versuchten, sich loszureißen.
Schwarz hatte seinen größeren Hinterlader zur Hand genommen, der Ungar seine Riesenbüchse und Ali einen langen, starken, eisenbeschlagenen Spieß, welcher seine einzige Waffe bildete.
»Zieht euch jetzt zurück!« flüsterte der erstere den beiden andern zu.
»Herr, du allein vermagst es nicht,« antwortete der Slowak.
»Sorge dich nicht um mich! Zu deiner Beruhigung will ich dir sagen, daß ich auf den Jagdgefilden Nordamerikas noch größere Gefahren glücklich überstanden habe.«
»Das mag sein; aber ich habe dich liebgewonnen und werde dich nicht verlassen.«
»Du wirst mir mit deinem Feuerprügel nur Schaden machen!«
»O nein, Herr. Es ist mein Katil elfil, dessen Kugel dem Löwen durch den ganzen Körper gehen wird. Sag, was du willst, ich bleibe bei dir!«
Sein Ton war ein so entschlossener, daß Schwarz einsah, der treue, mutige kleine Kerl lasse sich gewiß nicht abweisen. Der Augenblick der Entscheidung nahte, es durfte keine Sekunde durch zwecklose Reden vergeudet werden. Darum sagte der Doktor:
»Nun gut, so halte dich an meine Seite, aber schieß ja nicht eher, als bis ich selbst zwei Kugeln abgegeben habe!«
Er untersuchte sein Gewehr noch einmal, trat um vielleicht zehn Schritte vor und legte sich da lang auf den Boden nieder, den linken Ellbogen auf die Erde gestemmt, um in dem Vorderarme einen festen Stützpunkt für den Lauf zu haben.
Als der Slowak sich in gleiche Stellung neben ihm niedergelassen hatte, hörten sie hinter sich ein leises Geräusch. Sie sahen sich um und erblickten Ali, den »Vater des Gelächters«, welcher hart hinter ihnen auf einem Knie ruhte, in beiden Händen die Lanze, mit der Spitze nach vorn gerichtet, das andre Ende fest in den Boden gestoßen, so daß sie selbst durch einen starken Anprall nicht aus ihrer die an der Erde Liegenden beschützenden Lage gebracht werden konnte.
»Was willst denn du?« fragte Schwarz fast zornig.
»Wenn Ihr ihn nicht sofort tötet, wird er durch die Luft nach euch springen,« antwortete der Gefragte. »Dann schnellt euch von hier fort, und ich fange ihn mit der Lanze auf, daß er sich spießt.«
Schwarz wollte antworten, wurde jedoch durch ein abermaliges Brüllen des Raubtieres daran verhindert. Es klang jetzt fast noch schrecklicher als vorher, und ganz nahe. Der Löwe war gewiß nicht mehr hundert Schritte von ihnen entfernt.
Da mußte selbst den Kühnsten ein Grauen überlaufen, doch die Nähe der Entscheidung macht das Auge und den Arm des Mutigen sicher und läßt sein Herz noch ruhiger als vorher schlagen.
»Zitterst du?« fragte der Ungar.
»Nein,« antwortete Schwarz.
»Ich auch nicht. Er kann kommen!«
Die drei hatten hinter sich das Lager. Dort brach der Löwe höchst wahrscheinlich nicht ein, da das Feuer ihn zurückschreckte. Zu ihrer Linken lag der Weiher und zur Rechten stieg der Fels empor. Zwischen diesen beiden lag ein vielleicht fünfzehn Fuß breiter Raum, in dessen Mitte sie sich befanden. Bewährte sich ihre Voraussetzung, daß das Raubtier von dieser Seite kommen werde, so konnte es ihnen nicht entgehen; es mußte an ihnen vorüber oder über sie hinweg.
Schwarz hatte seine Schutzbrille abgenommen und hielt das vor ihm liegende Terrain scharf im Auge. Da – sie schraken wirklich zusammen – ertönte das Brüllen jenseit des Wassers, hart am Rande desselben, nicht zwanzig Schritte von ihnen entfernt.
»Jetzt aufgepaßt!« flüsterte der Slowak.
Die Gefahr verdoppelte die Schärfe ihrer Augen. Das Gehör war ihnen nichts mehr nütze, denn infolge des letzten Gebrülles fing der Schech jetzt an, mit lauter Stimme die vorhin von ihm bezeichnete Sure zu beten:
»Im Namen des allbarmherzigen Gottes. Wenn der Himmel zerreißt, pflichtgezwungen und seinem Herrn gehorchend, wenn die Erde sich ausdehnt und herauswirft, was in ihr ist, dann, o Mensch, wirst du dich bemühen, zu deinem Herrn zu gelangen – — —«
Während er in jammerndem Tone fortfuhr, hätte Schwarz ihn am liebsten niederschlagen mögen. Seine laute Stimme machte die leisen Schritte des Löwen unhörbar und konnte infolgedessen sehr leicht die Ursache des Verderbens der drei mutigen Männer sein.
Nun mußten die Augen doppelt angestrengt werden. Aber nicht sie waren es, welche den mächtigen Feind zuerst bemerkten, sondern der Geruch überzeugte die peinlich Wartenden, daß der Augenblick der Entscheidung gekommen sei. Jene scharfe, penetrante Ausdünstung, welche den Raubtieren eigen ist und in jeder Menagerie beobachtet werden kann, erfüllte plötzlich die Luft, und da – — da trat er um das dichte Gestrüpp, nicht schleichend nach Tiger- oder Pantherart, sondern stolz aufgerichtet, langsamen und sichern Schrittes wie ein Herrscher, der sich in seinem Reiche weiß und es verschmäht, das, was er durch offenen Befehl erlangen kann und muß, durch niedrige Heimlichkeit zu erreichen.
Seine weitgeöffneten Augen durchforschten den Rand des dichten Buschwerkes nach einem Durchweg zu der gesuchten Beute. Da fiel sein Blick auf die drei bewegungslosen Gestalten. Er zuckte und warf sich schnell auf die Erde nieder, um den Feinden nicht die leicht verletzliche Brust zu bieten. Dann musterte er sie mit einem großen, mächtigen Blicke.
Schwarz empfand ein Gefühl, als ob man ihm mit einem Eiszapfen über das Rückgrat streiche, doch gelang es seiner Willenskraft, dasselbe zu überwinden. Er hatte die Berichte berühmter Löwenjäger gelesen, und er kannte daher das Benehmen des Tieres in einer Situation wie die gegenwärtige.
Thut der Löwe den Sprung nicht sofort, nachdem er den Feind erblickt hat, so legt er sich nieder, die hintern Pranken eingezogen und die vordern nach vorn gestreckt. Er schließt die Augen fast ganz und betrachtet den Feind durch einen dünnen Spalt der Lider. Hat er seinen Entschluß gefaßt, so hebt er den Hinterkörper ein wenig empor, um dadurch die Schnellkraft seiner Schenkelmuskeln zu erhöhen; seine Augen öffnen sich langsam, und in dem Momente, wo die Lider ganz emporgezogen sind und die sich wie ein Feuerrad bewegende Pupille voll zu sehen ist, thut er den verderblichen Sprung.
Der Schütze muß auf eins der geöffneten Augen zielen und kurz vor dem Momente des Sprunges abdrücken. Der Löwe thut, durch das Auge in das Gehirn getroffen, seinen letzten Sprung und erhält dabei den zweiten Schuß, noch während er in der Luft schwebt, in das Herz. In demselben Augenblicke muß sich der Jäger weit zur Seite werfen, um nicht von den Tatzen des verendenden Tieres noch ergriffen und verwundet zu werden.
Ganz entgegengesetzt dieser Theorie hielt dieses Tier die Augen geöffnet und sandte einen so langen, langen Blick herüber, als könne es sich ganz und gar nicht erklären, was für Geschöpfe es vor sich habe.
Das wollte Schwarz benutzen. Er richtete den Lauf seines Gewehres nach dem Kopfe des Löwen, um demselben einen Schuß in das Licht zu geben. Aber da schloß das Tier die Augen und knurrte grimmig, als ob es die Absicht des Schützen ganz genau kenne.
Es dauerte eine lange Zeit, bevor es die Lider wieder öffnete, aber nur ganz wenig. Dennoch glühte es zwischen denselben in einem Scheine hervor, welcher demjenigen einer hellgrünen Papierlaterne glich.
Die Sterne leuchteten so hell hernieder, daß man den Löwen ganz deutlich sah. Er lag hart auf dem Boden, den Kopf auf die beiden Vorderpranken gesenkt und den langen Schwanz gerade ausgestreckt. Schwarz sah ein, daß er mit dem Schusse nun noch warten müsse, bis das Raubtier die Augen weiter öffnete und den Hinterleib erhob. um sich zum Sprunge anzuschicken. Dieser Meinung schien der »Vater der elf Haare« aber nicht zu sein, denn er raunte ihm zu:
»Jetzt ist die richtige Zeit. Schieß nun!«
»Nein; noch warten!« antwortete Schwarz.
»So schieße ich, denn dann ist es zu spät.«
»Um Gottes willen noch nicht, weil —«
Er konnte nicht weiter reden; seine Warnung kam zu spät, denn zugleich mit seinen Worten hatte der Slowak den Lauf seines »Elefantenmörders« auf den Kopf des Löwen gerichtet. Das alte Mordgewehr war nicht gut gehalten worden. Wer weiß, wenn der jetzige Besitzer den letzten Schuß aus demselben abgegeben hatte. Darum bewegten sich die Teile des Schlosses nur schwer. Der »Sohn der Blattern« mußte alle Kraft seines Zeigefingers anwenden, um abzudrücken, und dadurch kam der Lauf aus der Lage. Der Schuß krachte, und der Kolben der hochbejahrten Donnerbüchse schlug dem Kleinen mit solcher Gewalt gegen den Kopf, daß der Getroffene das Gewehr fallen ließ und in seiner slowakischen Muttersprache ausrief:
»Jakowa bezotschiwortj! Idi do tscherta – welche Unverschämtheit! Geh zum Henker!«
Mit der einen Hand den Kopf haltend, stieß er mit der andern den Elefantentöter weit von sich fort. Der Schlag schmerzte ihn so, daß er nur an die »Unverschämtheit« des Gewehres, nicht aber an den Löwen dachte.
Dieser war, als der Schuß krachte, aufgesprungen. Seine Augen weit öffnend, stieß er ein markerschütterndes Brüllen aus und setzte zum Sprunge an. Schwarz hatte glücklicherweise seine Geistesgegenwart nicht verloren. Er drückte auf das linke Auge des Löwen ab und rief zu gleicher Zeit dem Ungarn zu:
»Wirf dich zur Seite! Schnell, schnell!«
Der Genannte folgte diesem Gebote, indem er sich augenblicklich bis an die Wand des Felsens schnellte. Ob die Kugel in das Auge gedrungen sei, konnte Schwarz nicht sehen, denn kaum hatte sein Schuß gekracht, so befand der Löwe sich schon mitten im Sprunge in der Luft. Schwarz zielte kaltblütig nach der Gegend des Herzens, drückte ab und warf sich sofort mit solcher Gewalt nach links, daß er mit dem halben Körper zwischen die dichten Büsche hineinflog.
Die ungeheure und schier unglaubliche Sprungkraft des Löwen trug ihn von der Stelle, an welcher er gelegen hatte, genau bis dahin, wo die beiden Schützen sich soeben noch befunden hatten. Wären sie noch da gewesen, so hätte er sicherlich beide erfaßt. Jetzt kniete nur noch Abu Dihk, der »Vater des Gelächters«, dort. So klein die Gestalt dieses wackern Händlers, so groß war seine Unerschrockenheit. Es war ihm gar nicht eingefallen, die letzte Warnung des Deutschen auf sich zu beziehen und sich auch in Sicherheit zu bringen. Auch er hatte keinen Blick von dem Löwen gewendet. Er sah ihn springen; er sah ferner, daß das Tier zwei Schritte vorwärts, da wo die Schützen gelegen hatten, die Erde berühren werde. Schnell avancierte er, stemmte seinen Spieß von neuem ein, richtete die Spitze desselben auf den Leib des Löwen und ließ in dem Augenblicke, als sie sich einbohrte, die Lanze los und wälzte sich behend nach links, wo Schwarz lag oder vielmehr gelegen hatte, denn dieser war sofort wieder aufgesprungen und hatte das lange Messer gezogen, welches in seinem Gürtel steckte, um sein Leben Auge in Auge mit dem Raubtiere zu verteidigen, falls dasselbe nicht zu Tode getroffen sei.
Diese Vorsicht erwies sich glücklicherweise als überflüssig. Man hörte das scharfe Geräusch der zerbrechenden Lanze; der Löwe schlug auf den Boden nieder, erhob sich sofort wieder – ein sichtbares Zittern ging durch seine mächtigen Glieder – man sah ihn wanken – er wendete sich nach links, wo Schwarz und Abu Dihk sich befanden, holte zum abermaligen Sprunge aus, kam aber nicht von der Stelle. Ein kurzes, klagendes und schnell ersterbendes Gebrüll ausstoßend, brach er zusammen, legte sich zur Seite und dann auf den Rücken, zog die zuckenden Pranken an den Leib, streckte sie wieder aus und – blieb nun bewegungslos liegen.
Das war natürlich alles viel, viel schneller geschehen, als es erzählt werden kann, doch in solchen Fällen werden die Augenblicke zu Sekunden und die Sekunden zu Minuten, und der Geist des Menschen arbeitet so rapid schnell, daß zehn Entschlüsse sich in der Zeit folgen, welche sonst ein einziger Gedanke erfordert.
Die drei mutigen Männer hatten keine Zeit, sich zu überzeugen, ob der Löwe tot sei. Obgleich ihre Aufmerksamkeit zunächst auf ihn gerichtet gewesen war, hatten sie doch ein zweites Brüllen, welches gleich nach dem Krachen der Gewehre von fern erschollen war, nicht überhören können. Der Slowak war aufgesprungen, Abu Dihk ebenfalls. Sie lauschten, sie vernahmen die Stimme eines zweiten Löwen. Diese erklang aber nicht in einzelnen Abständen wie diejenige des ersten, sondern sie ertönte ununterbrochen fort, nicht so mächtig, nicht mit so donnerndem Schalle, sondern in dumpf keuchender Wut; es war ein bissiges, nach Blut lechzendes Stöhnen, aus welchem von Zeit zu Zeit ein knirschender Gaumenlaut hervorbrach wie eine verderblich züngelnde Flamme aus verborgener Glut. Man hörte dieser Stimme deutlich an, daß das Tier sich in raschen Sätzen näherte.
Da dort, wo die drei standen, das Feuer ausgelöscht worden war, so befanden sie sich im dunkeln Schatten des Felsens und konnten von den Arabern und Dschelabis nicht gesehen werden, und die letzteren wußten also nicht, welchen Verlauf der Angriff des Löwen genommen hatte.
»Allah il Allah!« hörte man die Stimme des Schechs. »Assad Bei, der Herdenwürger, hat alle drei ermordet und liegt nun bei ihren Leichen, um sie aufzufressen. Er hatte seine Frau bei sich, welche die Schüsse hörte und nun herbeigestürzt kommt, um ihm zu helfen. Sie wird sich auf uns werfen und uns zerreißen. Eure Leiber sind verloren, aber rettet eure Seelen, indem ihr mit mir die Sure Jesin betet und dann auch die Sure der Gläubigen, welche die dreiundzwanzigste des Korans ist!«
»Schweig!« rief Schwarz ihm zu. »Wir leben, und der Löwe ist tot. Durch dein Geschrei machst du seine Sultana auf dich aufmerksam, und sie wird dich fassen!«
»Allah kehrim – Gott ist gnädig!« antwortete der Feigling. »Ich bin still! Aber schießt sie tot, die Sultana; schießt auch sie tot, damit sie mit ihrem Manne dahin fahre, wo die Hölle am schrecklichsten ist!«
Obgleich Schwarz dem Schech geantwortet hatte, war er bemüht, jeden Augenblick auszunutzen. Er zog zwei Patronen hervor, um seinen Hinterlader wieder schußfertig zu machen.
»Es ist wirklich die Löwin, welche kommt,« sagte der Slowak. »Ich muß auch wieder laden. Wo habe ich nur —«
Er suchte in seinen Hosentaschen nach der Munition.
»Unsinn!« entgegnete der Deutsche. »Ehe du fertig bist, ist die Löwin da. Bringt euch in Sicherheit! Abu Dihk ist auch wehrlos, da sein Spieß zerbrochen ist. Macht euch fort!«
»Aber meine Kugel wiegt ein ganzes Viertelpfund, während die deinige —«
»Fort, fort!« unterbrach ihn Schwarz. »Sonst bist du verloren!«
Er war mit dem Laden fertig und kniete wieder an derselben Stelle nieder, an welcher er sich vorher befunden hatte. Er sah sich nicht nach den beiden um und bemerkte also nicht, daß sich nur der »Vater des Gelächters« zurückzog. Uszkar Istvan, zu deutsch Stephan Pudel, aber blieb. Er drängte sich zwei Schritte weit in das Gestrüpp hinein und lud dort sein Gewehr, was freilich nicht in einigen Augenblicken abgemacht werden konnte. Die Munition hatte er endlich im Gürtel gefunden, wohin sie vorhin, als er sich zum Kampfe rüstete, von ihm gesteckt worden war.
Die Stimme der Löwin ertönte jetzt ganz nahe. Das ergrimmte Tier blieb auf der Fährte des Löwen, wendete sich also erst nach der Seite, auf welcher das Feuer brannte und kam erst dann nach der andern herüber. Dadurch gewann der Slowak Zeit, mit seiner Donnerbüchse fertig zu werden.
Man hörte jeden Satz, den die Löwin machte, nicht etwa aus dem Geräusche, welches ihre Pranken auf der Erde hervorbrachten, sondern aus den einzelnen Accenten ihrer Stimme. Sie bog um das Gestrüpp; jetzt erschien sie an der Ecke desselben. Gewiß wäre sie in ihrer blinden Wut weiter- und an Schwarz vorübergesprungen, wenn dieser nicht, um sie auf sich aufmerksam zu machen, sich hoch aufgerichtet hätte. Sie sah ihn, flog, da sie nicht sofort anzuhalten vermochte, zur Seite gegen den Felsen und duckte sich dort nieder, um den Sprung abzumessen.
Er kniete augenblicklich wieder nieder und richtete den Lauf auf sie. Am Felsen war es dunkler; ihre Gestalt war selbst in den Umrissen nur schwer zu erkennen. Die Löwin war vom Zorne aufgeregt, also mußte Schwarz annehmen, daß ihr Sprung nicht in der vorhin bei dem Löwen beschriebenen Weise, sondern viel schneller, hastiger erfolgen werde. Es war nicht anzunehmen, daß sie die Augen langsam öffnen werde.
Diese Voraussetzung war sehr richtig, denn kaum hatte sie sich niedergeduckt, so glühten ihre Augen wie grüngelb schillernde Kugeln auf. Es war ein einziger Moment; im nächsten sprang sie gewiß. Schwarz mußte abdrücken, ohne mit der nötigen Genauigkeit visieren zu können. Sein Schuß blitzte auf – zu gleicher Zeit flog die Löwin unter wütendem Gebrüll durch die Luft auf ihn zu. Sein zweiter Schuß krachte; dann ließ er das Gewehr fallen und warf sich – nicht wie vorhin zur Seite, sondern ganz richtig berechnend, vorwärts, so daß er mit eng an den Leib gezogenen Armen und Beinen sich zweimal überkugelte und wohl fünf Ellen von seinem Platze entfernt zu liegen kam. Dort sprang er augenblicklich wieder auf, riß das Messer heraus und wendete sich nach dem Tiere um.
Hätte er nicht die Arme und Beine an sich gezogen sondern in mehr erhobener Stellung seinen Platz verlassen, so wäre er von der Löwin erfaßt worden. So aber befand er sich jetzt unbeschädigt hinter ihr. Sie mußte das wissen; sie mußte sich jetzt nach ihm umwenden – so dachte er; aber sie that es nicht. Ihr Auge war auf den vor ihr liegenden Löwen gefallen, ein kurzer Sprung, sie stand vor ihm, stieß ihn mit der Schnauze an, einmal, zweimal, drei-, viermal; dann hob sie den Kopf und stieß ein Geheul aus, ein langgezogenes, wahrhaft haarsträubendes Geheul, welches – — – durch einen Schuß unterbrochen wurde: Der »Vater der elf Haare« war behend aus dem Gestrüpp getreten und hatte, die Mündung seines Elefantenmörders ganz nahe an ihren Kopf haltend, ihr die »ein ganzes Viertelpfund« wiegende Kugel gegeben.
Wie von einem kräftigen Stoße getroffen, flog die Löwin zur Seite, fiel zur Erde, raffte sich wieder auf und wendete den Kopf gegen den neuen Feind. Dieser hatte sein schweres Gewehr schnell umgekehrt und arbeitete, es beim Laufe haltend, nun mit dem eisenbeschlagenen Kolben auf den Schädel des Tieres los, indem er dabei schrie:
»Allah rhinalek, Allah iharkilik, ia afrid el afrid! Ehsch khalak, ia kelb, ia kelbe, ia omm el kilab – Gott verfluche dich, Gott verbrenne dich, du Teufel aller Teufel! Wie befindest du dich, du Hund, du Hündin, du Mutter der Hunde?«
Er schien zu glauben, eine Hyäne und nicht eine Löwin vor sich zu haben. Seine Verwegenheit wäre ihm wohl schlecht bekommen, wenn ihm die Kugel nicht vorgearbeitet hätte. Das Tier war auf den Tod getroffen; es hatte keine Kraft mehr zur Gegenwehr und brach unter seinen Schlägen zusammen.
»Da liegt sie!« rief er triumphierend aus. »Hier zu meinen Füßen liegt sie. Ich habe sie erschlagen wie eine Katze. Sie hat nicht den Mut gehabt, mir ihre Zähne und Krallen zu zeigen. Komm her und schau sie an!«
Er beugte sich zu ihr nieder, um sie anzufassen, doch Schwarz zog ihn zurück und sagte:
»Sei vorsichtig! So ein Tier hat ein zähes Leben, und noch wissen wir nicht, ob sie wirklich tot ist. Wir wollen sicher gehen.«
Er lud sein Gewehr und gab dem Löwen und der Löwin noch je eine Kugel vor die Stirn. Die letztere zuckte noch einmal zusammen; sie war also doch noch nicht ganz tot gewesen.
Die beiden hatten laut gesprochen, waren also von den andern gehört worden. Jetzt fragte Abu Dihk, indem er sich langsam näherte:
»Habt ihr gesiegt? Darf man kommen?«
»Ja,« antwortete der Slowak. »Wir haben gesiegt. Ihr könnt kommen, unsre Heldenthat zu preisen, denn der Würger der Herden ist hinübergegangen in das Land des Todes und seine Frau mit ihm. Sie sind durchbohrt worden von den Kugeln und niedergeschlagen von dem Kolben meines glorreichen Katil elfil, dem niemand widerstehen kann.«
Abu Dihk kam herbei und ergriff erst den Löwen, dann die Löwin bei den Pranken, um sie hin und her zu zerren und sich von ihrem Tode zu überzeugen.
»Sieh, wie sie es sich gefallen lassen!« sagte der kleine Stephan stolz, indem er sich seine »elf« Barthaare strich. »Nachdem wir mit diesen Löwen durch unsre Kugeln gesprochen haben, kannst du mit ihnen wie mit jungen Katzen spielen.«
»Hadschi Ali hat auch mitgesprochen,« erinnerte ihn Schwarz. »Der Tapfere hat bei uns gekniet und den Löwen mit dem Spieße empfangen. Wir werden bald erfahren, wer von uns dreien ihm und ihr den Tod gebracht hat, demjenigen, der ein Tier erlegt, gehört das Fell. Jetzt holt einen Brand herbei, damit wir das Feuer wieder anbrennen.«
Obgleich die Araber und Dschelabi jedes Wort hörten, getrauten sie sich doch noch nicht herbei. Als die beiden Kleinen zu ihnen kamen, um Brände zu holen, krochen die Zaghaften hinter den Gepäckstücken hervor, und der Schech fragte:
»Ihr lebt? Ihr seid nicht von dem Herrn mit dem dicken Kopfe verschlungen worden und auch nicht von seiner Frau?«
»Das fragst du noch!« antwortete Stephan. »Ich lasse mich weder von einem Herrn noch von einer Frau verschlingen. Merke dir das! Und selbst wenn der leibhafte Schetan käme, um mich zu fressen, so fragt es sich sehr, wer in dem Magen verschwände, er in dem meinigen oder ich in dem seinigen. Kommt und seht euch das glorreiche Werk an, welches wir vollbracht haben, ohne daß der Herdenwürger und seine Goze el assad es gewagt haben, uns ein Haar zu krümmen!«
Sie folgten dieser Aufforderung, aber nicht allzu eilig. Als sie sich so weit genähert hatten, daß sie die Körper der erlegten Raubtiere liegen sahen, blieben sie stehen. Erst als das Feuer wieder brannte und sie sahen, daß die Tiere von den drei glücklichen Jägern hin und her gewendet wurden, gingen sie ganz heran.
Nun endlich, da sie vollständig überzeugt sein mußten, daß nicht die geringste Gefahr mehr vorhanden sei, wich ihre Furcht. Sie bildeten einen Kreis um die beiden Tiere, und der Schech erhob, die andern zum Schweigen auffordernd, seine Arme.
»Allah il Allah we Muhammed rassuhl Allah!« sagte er in pathetischem Tone. »Er hat Himmel und Erde geschaffen, die Pflanzen und die Tiere und zuletzt den Menschen. Und als alles geschaffen war, schuf er noch den Moslem, damit er Herr über alles Erschaffene sei. Ihm sind selbst die gewaltigsten Tiere unterthan, und wenn sie ihm nicht gehorchen, so tötet er sie mit starker Hand. Dieser Mörder der Pferde, Kamele, Rinder und Schafe, welcher hier vor uns liegt, hatte Hunger. Anstatt sich mit dem Fleische eines unreinen Halluff oder Wawi zu begnügen, hatte er die Verwegenheit, uns, die Lieblinge des Propheten, welcher das Paradies regiert, fressen zu wollen. Er hatte sein Weib mitgebracht, welches nicht einmal seine rechtmäßige Frau ist, denn als er sie nahm, hat kein Kadi sich unterschrieben. Sie lechzten nach unserm Blute. Sie freuten sich auf unser Fleisch und auf den Wohlgeschmack unsrer Knochen. Sie wollten uns verzehren ohne Chall und Zet, ohne Zibd und Bahahr, ganz so, wie der Racham eine gefallene Dibb verschlingt. Aber Allah war in unsrer Nähe. Wir beteten die heilige Fathha und die Sure Jesin, deren Worte den Gläubigen in der Gefahr beschützen. Da kam der Mut der Helden und die Kraft des Sieges über uns. Wir griffen zu den Waffen und sandten den menschenfressenden Teufel und seine Teufelin in die Hölle, wo sie nun am ewigen Feuer braten und kein Mensch sie essen mag. Wir triumphieren, und unsre Kindeskinder nebst deren Enkel und Urenkel werden uns preisen. In allen Städten und Dörfern wird man von uns erzählen, und die Musikadschi werden dazu die Pauken schlagen und auf allen Saiten spielen. Wir aber wollen jetzt unsern Sieg genießen und den Erschlagenen die Felle abziehen. Vorher jedoch müssen wir ihnen zeigen, wie sehr wir sie verachten, und daß sie Schmutz und Würmer sind gegen uns, die starken Helden, welche niemals Furcht gekannt haben!«
Er trat erst zum Löwen und dann zur Löwin, um beide anzuspucken. Kaum hatte er dieses Zeichen gegeben, so folgten die Homr und Dschelabi seinem Beispiele. Die Tiere wurden mit Fäusten geschlagen, mit den Füßen getreten und mit allen möglichen Schimpfworten, welche Verachtung bezeichnen, bedacht.
Dies dauerte wohl eine Viertelstunde lang, wobei die Leute sich wie verrückt gebärdeten. Dann zog der Schech sein Messer und sagte:
»Jetzt haben sie gefühlt und auch gehört, wie verächtlich sie uns sind. Nun wollen wir ihnen die Kleider nehmen, um uns mit denselben zu schmücken. Dem Sieger gehört das Fell des Besiegten. Wenn wir dann heimkehren zu den Zelten der Homr, werden die Männer uns beneiden und die Frauen uns mit Lobgesängen empfangen.«
Die andern Araber zogen auch ihre Messer.
»Halt!« gebot Schwarz. »Wir werden diesen Tieren die Felle allerdings nicht lassen; aber wer soll sie bekommen?«
»Die Sieger!« antwortete der Schech.
»Und wer ist das?«
»Wir alle sind es.«
»Ah, so! So sollen die Felle in vierzehn Stücke zerschnitten werden?«
»Nein, denn was wären sie dann wert? Aber du weißt, daß ich der Schech bin!«
»Das weiß ich, doch was hat dieser Umstand mit den Fellen zu thun?«
»Der Schech hat sie zu bekommen.«
»Das ist bei euch Sitte?«
»Ja.«
»Und vorhin sagtest du, daß das Fell des Besiegten dem Sieger gehöre?«
»Ja. Wenn aber mehrere Sieger vorhanden sind, so bekommt es der vornehmste. Der bin ich, und die Felle dürfen ja nicht zerschnitten werden.«
»Sonderbar! Du bist also auch ein Sieger?«
»Natürlich! Oder war ich etwa nicht auch zugegen?«
»Und sogar der vornehmste der Sieger bist du?«
»Ja, denn ich bin Schech.«
»Da irrst du dich außerordentlich, du weißt doch, was ich bin?«
»Ja, ein Effendi.«
Er sagte das in ziemlich wegwerfendem Tone.
»Der Effendi gibt es sehr verschiedene,« erklärte Schwarz. »Es stehen Hunderte von Effendis unter mir, deren niedrigster weit mehr ist und weit mehr weiß, als du weißt und bist. Der vornehmste der Sieger bin also ich! Und übrigens hast du nicht das geringste Recht, dich Sieger zu nennen. Von deinem Mute und deinen Thaten wird niemand singen und erzählen. Du schimpfest diese Tiere, aber was ist dein Mut gewesen, verglichen mit dem ihrigen! Als du ihre Stimme hörtest, wolltest du fliehen.«
»Das war Scherz. Ich bin doch geblieben.«
»Ja, als ich dir sagte, daß die Flucht gefährlich werden könne, und weil du hörtest, daß ich mit dem Löwen kämpfen wolle. Als dann der Herr mit dem dicken Kopfe kam, hast du dich mit den Deinigen verkrochen, und selbst dann, als die Tiere tot waren, hast du dich erst dann in ihre Nähe gewagt, als das Feuer wieder brannte und du dich überzeugt hattest, daß die Gefahr vorüber sei.«
»Effendi, willst du mich beleidigen?«
»Nein; ich will dich nur vor Überhebung warnen und vor unrechtlichen Eingriffen in das Eigentum andrer. Es sind nur drei, denen diese Löwen gehören, die drei, welche gekämpft haben, nämlich ich, Hadschi Ali und Ibn el dschidri. Kein andrer hat etwas mit den Trophäen zu schaffen.«
»Das dürfen wir andern nicht zugeben. Magst du ein Effendi aller Effendis sein, du bist doch nur ein Giaur, der kein Recht unter uns besitzt. Wir sind Moslemim und nehmen die Felle. Und weigerst du dich, so – — —«
Er hielt inne.
»So – — – nun, was wird dann?«
»So werden wir dich zwingen!« antwortete der Schech in drohendem Tone, indem er eine Bewegung mit der Hand machte, in welcher er das Messer noch hielt.
Da trat Schwarz nahe an ihn heran, legte ihm die Hand auf die Achsel und sagte:
»Ihr habt euch vor dem Löwen versteckt, und wir haben ihn besiegt. Meinst du wirklich, daß wir uns vor euch fürchten, die Angst vor dem hatten, den wir erlegten? Wenn ihr nicht augenblicklich die Messer einsteckt, so schieße ich euch sofort nieder!«
Er zog einen Revolver hervor, und in demselben Momente verschwanden alle Messer.
»Und noch etwas will ich dir sagen,« fuhr er fort, »du hältst deine Religion für die richtige und ich die meinige. Jeder hat das Recht und sogar die Pflicht, dies zu thun; darum versuche ich es nicht, deine Meinung zu bekämpfen, am allerwenigsten aber werde ich dich ob derselben schmähen. Dasselbe kann und muß ich auch von dir verlangen. Nennst du mich noch einmal einen Giaur, so beantworte ich diese Beleidigung damit, daß ich dir meine Kamelpeitsche über das Gesicht ziehe und du die Narbe dann zeitlebens zu deiner Schande zu tragen hast! Verlasse dich darauf; ich halte mein Wort!«
Einem Beduinen Schläge anzubieten, ist die denkbar größte Beleidigung. Der Schech fuhr zurück; seine Leute murrten.
»Effendi,« rief er. »Weißt du, was du sagst?«
»Ja, ich weiß es, und was ich sage, das thue ich auch. Du nanntest mich Giaur, und ich drohte dir dafür mit der Peitsche. Wir sind also quitt. Sorge nun dafür, daß die Rechnung nicht wieder von neuem beginnt, und wage es nicht, diese Löwen, an denen du keinen Anteil hast, wieder anzurühren! Wir werden sie hinüber zu unsern Feuern schaffen; ihr mögt hier bei dem eurigen bleiben, wie es vorher gewesen ist, ehe euch die Angst von demselben verscheuchte.«
Mußte schon die hohe, breite Figur des Deutschen den schmächtigen Arabern imponieren, so gab sein Auftreten ihnen überdies zu erkennen, daß er ihnen nicht nur körperlich überlegen sei. Keiner von ihnen wagte, noch ein Wort zu sagen. Sie zogen sich zurück, bis der Platz am Feuer frei war; dann setzten sie sich an dasselbe nieder. Was sie dort leise sprachen, hörten die andern nicht; aber die Blicke, welche sie nach dem zweiten Lagerplatze warfen, ließen vermuten, daß sie über kein freundliches Thema verhandelten.
Die acht Dschelabi, welche sich zu Schwarz hielten, mußten alle ihre Kräfte anstrengen, die beiden Löwen die kurze Strecke hinüberzuschleifen. Dort wurden den Tieren die Häute abgezogen. Während dieser Arbeit und dann, als die Wunden genau untersucht wurden, stellte es sich heraus, welche tödlich gewesen war.
Die erste Kugel des Deutschen war dem Löwen durch das Auge in das Gehirn gedrungen; die zweite hatte ihren Lauf nahe am Herzen vorüber genommen. Diese letztere hätte den spätern Tod des Tieres zur Folge gehabt, während die erste schnell und absolut tödlich gewesen sein mußte. Das Fell gehörte also Schwarz.
Nun kam aber der Umstand, daß der Löwe sich die Lanze so tief in den Leib gestoßen hatte, daß die Spitze derselben am Rückgrat steckte. Der Schaft war einige Zoll unter der Haut abgebrochen. Auch diese Wunde hätte, wenn auch vielleicht erst nach Viertelstunden, den Tod herbeiführen müssen. Schwarz hatte das Vorrecht auf die Trophäe, weil seine Kugeln eher als die Lanze in den Leib des Löwen gedrungen waren, aber der brave »Vater des Gelächters« war gewiß auch einer Belohnung wert.
Was die Löwin betrifft, so war ihr die erste Kugel in das Gebiß gegangen, durch die Zunge und seitwärts oberhalb des ersten Halswirbels durch das Hinterhauptbein gedrungen. Diese Wunde war tödlich, wenn auch nicht sofort. Die zweite Kugel hatte die Lunge durch bohrt und sich an einem der letzten Brustwirbel platt geschlagen. Nach diesen beiden Schüssen hätte das Tier nicht mehr fünf Minuten zu leben vermocht.
Die »viertelpfündige« Kugel des »Vaters der elf Haare« war durch das Gehirn gegangen und hatte die fünf Minuten bis auf eine abgekürzt. Auch dieses Fell gehörte eigentlich dem Deutschen.
Hadschi Ali und Stephan Pudel gaben das zu, aber mit sichtbarem Bedauern. Sie hätten gar zu gern auch Teil an den Fellen genommen. Darum sagte Schwarz:
»Jedes der Tiere hat drei Wunden, zwei von mir und eine von euch. Nehmen wir also an, daß zwei Drittel von jedem Felle mir gehören, so würde das eine schlimme Teilung ergeben. Ich will also meine Ansprüche ermäßigen und nur die Hälfte nehmen: Der Löwe ist für mich und die Löwin für euch. So bekommt jeder von euch ein halbes Fell, also mehr, als er eigentlich zu fordern hat, und die Teilung ist bequem, wenn ihr die Haut quer oder lang in zwei Teile schneidet. Seid ihr zufrieden?«
»Sehr gern,« antwortete der Slowak. »Ich nehme den Kopf und Hadschi Ali erhält den Schwanz.«
»Den mag ich nicht,« erklärte dieser. »Warum willst du den Kopf?«
»Weil ich in den Kopf geschossen habe.«
»Allah! Habe ich den Löwen etwa in den Schwanz gestochen? Wir schneiden das Fell lang durch, so bekommt jeder einen halben Kopf und einen halben Schwanz.«
Das wollte Stephan nicht zugeben. Sie stritten sich hin und her, bis Schwarz fragte:
»Was wollt ihr denn mit den Fellen machen?«
»Ich kleide mich in meine Hälfte,« erklärte der »Vater des Gelächters«.
»Ich in die meinige auch,« antwortete der Sohn der Blattern.
»So dürft ihr nicht nach der Länge teilen, weil die Hälften dann unbequem zu tragen wären. Schneidet quer, und dann mag das Los entscheiden, wer die vordere und wer die hintere Löwin erhält.«
Dieser Vorschlag wurde angenommen, und das Fell sofort zerschnitten. Das Los zeigte sich dem Slowaken günstig, er erhielt die Kopfhälfte.
»Das ist gut,« lachte er fröhlich. »Ich habe, was ich wollte. Du bist nun nicht mehr bloß der ‚Vater des Gelächters‘, sondern wir werden dich von nun an auch ‚Abu ed daneb, Vater des Schwanzes‘, nennen.«
Hadschi Ali wollte ein bitterböses Gesicht machen, was die Folge hatte, daß er wie toll zu lachen schien. Er breitete seine hintere Hälfte aus und zog das Messer, um die Fleischteile abzuschaben und die Innenseite mit Asche einzureiben. Dabei antwortete er:
»Und dich können wir ‚Abu el buz, Vater des Maules‘ heißen, denn du hast das Maul erhalten, obgleich das deinige bereits so groß ist, daß du es gar nicht zu schließen vermagst und es nur immer offen hast, um andre zu beleidigen. Hättest du so viele Völker, Länder und Dörfer im Kopfe wie ich, so besäßest du mehr Bildung und könntest ‚Abu‘l latif, Vater der Höflichkeit‘ genannt werden, was du aber niemals erreichen wirst.«
»Du weißt, daß ich weder deine Völker noch deine Dörfer haben mag, weil ich gern einen hellen Kopf besitze.«
»Ist‘s in dem meinigen etwa finster?«
»Ja, weil es in deinen Ländern und Dörfern keine Straßenlaternen gibt. Meine Wissenschaft dagegen ist das reinste Licht. Schon mein Latein allein könnte dich zum gelehrten Manne machen, ohne die andern Wissenschaften, mit denen Allah mich erleuchtet hat. Aber zu einem solchen Glanze bringst du es im ganzen Leben nicht.«
»Ich kenne alle Dörfer der Welt, aber nicht ein einziges, welches Latein heißt.«
»O Allah! Latein soll ein Dorf sein! Weißt du denn nicht, daß das eine Sprache ist, welche jenseit des Meeres – — —«
»Verstehen Sie denn wirklich so gut Latein?« fiel Schwarz, um den ausbrechenden Zwist zurückzuhalten, in deutscher Sprache ein.
»Sehr ausgezeichnet!« antwortete der Slowak schnell in derselben Sprache. »Ich hab es gelernte von Herrrr Wagner. Und Sie habend es gehörte schon von mirrr. Ich hab gesagte doch Fauna und Flora!«
»Aber verkehrt!«
»Das ist geschehnte aus einerr kleinen Versehenheit. Ich hab‘ verstehnte sogarrr die ganze Zoologie und Botanik.«
»Nun, was ist Zoologie?«
»Zoologie ist alles, was seinte in Herbarium.«
»Und Botanik?«
»Botanik seinte alles vom Geschöpf menschliches und Affen, tierlichen, bis herrrab zurrr Raupe, insektliche.«
»Abermals umgekehrt! Zoologie ist Tier-, und Botanik ist Pflanzenkunde.«
»Ist abermals nur aus einerrr kleinen Verwechstelung von Wissenschaft meiniger. Jedermann hat gewüßten, daß Latein ungarisches ist das vortreffenstliche von derrr ganze Welt. Ich hab studiumtierte der Horrraz und der Virgill.«
»Was zum Beispiel?«
»Kaiserrr Max österreichischer an der Martinswand von Virgill.«
»Dieses Gedicht ist, glaube ich, nicht von dem Römer Virgil sondern von Anastasius Grün.«
»So hab ich aberrrmals mich nur versehnte aus Wissenschaft meiniger, gründlicher. Ich hab lernen die Astronomie und Mathematigkeit und viel noch mehr.«
»Wie? Auch die Astronomie? Was versteht man darunter?«
»Das Einmaleins und Quadrat viereckiges.«
»Und unter Mathematik?«
»Die milchige Straße am Himmel und der Kommet, um den Mond laufte.«
»Wieder verwechselt. Die Mathematik handelt unter anderm auch vom Vierecke und die Astronomie von der Milchstraße.«
»So hab ich nur vertauschte Milch, himmlische, mit Einmaleins, auswendiges.«
»Sie scheinen immer zu vertauschen und zu verwechseln?«
»Das kann verzeihen wernte. Professor, zerstreuender, hat auch genommte Besen anstatt Regenschirm. Warum soll Gedächtnis meiniges sich mehr anstrengte als Aufmerksamte seinige? Kenntnisse, die ich habe, sind so viel und groß, daß Verwechselung, zufällige, einmal vorkommen kann.«
»Ja, diese Kenntnisse sind um so erstaunlicher, als ich annehmen möchte, daß Sie keine höhere Schule besucht haben.«
»Nein. Ich war nie der in Schule Gewesente. Ich hütete Schafe und Schweine, Vaterige, und hatte nicht Zeit gefinte, in Schule zu gehente. Aber ich hatte geschenkte bekommen eine Tafel, schieferige, und einen Stift, schieferigen, und zuweilen kam der Sohn, nachbariger, um mir zu zeigen, wie wird gelesen und geschreibt. Dann hab ich geborgt von allen Leuten Kalender, unbrauchbare, und habe studiumtierte fleißig weiter. Später bin ich wanderte aus liebe Heimat meiniger und habe besuchte Leihbibliothek überall, wohin ich kommte. Auch habe ich suchte Bekanntschaftlichkeit von Männern gescheite, um nach und nach zu bekommen Kenntnisse diejenigente, welche verleihen Bildung und alle Gelehrsamtekeitigen. Ich habe lernte sogar Mythologie und Pharmalogie!«
»Sie wollen sagen Pharmakologie. Was verstehen Sie darunter?«
»Pharmalogie ist Kenntnis von Jupiter und Proserpina, von Olymp und Donnergott.«
»Und Mythologie?«
»Mythologie ist Bewußtsein, gelehrtes, von Salben und Pflaster, von Silber, schwefelsaurem, und Rheumatismusketten, Geldbergerige, auch von Schweizerpillen, Richardt Brandtige, und Brechweintestein.«
»Das ist wieder eine Verwechselung. Die Mythologie oder Götterlehre ist es, welche uns über den Olymp und dessen Bewohner unterrichtet, und die Pharmakologie lehrt uns in streng wissenschaftlicher Weise die Arzneimittel kennen.«
»So habe ich nur vertauschte Jupiter mit Geist, salmiakigem, was ihm nicht gereichten wird zu Schaden, großartigem.«
»Darüber können Sie sich allerdings beruhigen. Zeus lebt schon längst nicht mehr. Aber wollen Sie sich Ihr halbes Löwenfell nicht auch so präparieren, wie der ‚Vater des Gelächters‘ es mit dem seinigen thut? Es ist das notwendig, wenn es nicht verderben soll.«
»Ja, ich werde Fell auch schabte ab von Fleisch und reibte ein mit Asche. Fell Ihriges ist auch schon in Arbeit.«
Diese letzteren Worte bezogen sich auf die Dschelabi, welche aus Dankbarkeit dafür, daß Schwarz sie von dem Löwen errettet hatte, die Haut desselben in der angegebenen Weise bearbeiteten, um sie für die eigentliche, spätere Präparation vorzubereiten.
Während dieser Arbeit sprachen sie von der Gefahr, in welcher sie sich befunden hatten, und von dem Mute der drei Männer, welche den Raubtieren so kühn entgegengetreten waren. Da gab es viel über die Person und die Eigenheiten des »Herrn mit dem dicken Kopfe« zu hören. Der Bewohner jener Länder umgibt kein Tier mit einem solchen Nimbus wie den Löwen.
»Glaubt doch nicht solche Dinge!« sagte der Ungar. »Der Löwe ist ein Tier wie jedes andre. Wenn er Hunger hat, so frißt er; dürstet ihn, so säuft er, und ist er satt, so schläft er. In ihm wohnt nicht die Seele eines verstorbenen Menschen. Er hat zwar sehr scharfe Sinne, aber was in stundenweiter Entfernung von ihm gesprochen wird, das kann er nicht hören. Und wenn er die Worte auch wirklich hörte, so könnte er sie doch nicht verstehen. Ich kenne das; ich muß das besser wissen als ihr, ich, der ich sogar Latein sprechen kann!«
Sie ließen sich aber nicht irre machen und fuhren fort, sich allerlei haarsträubende Geschichten zu erzählen, in denen natürlich der Löwe die Hauptrolle spielte. Schwarz hörte eifrig zu. Diese Geschichten waren, obgleich die Erzähler selbst an sie glaubten, nur Märchen, aber der Volkscharakter sprach sich in denselben aus. Dies hielt ihn jedoch nicht ab, seine Aufmerksamkeit zu gleicher Zeit auch auf die Homraraber zu richten, welche sich auch sehr eifrig, doch mit leiser Stimme unterhielten.
Er wußte, daß jeder Beduine ein geborener Räuber ist, ferner daß er durch sein kräftiges Auftreten gegen den Schech sich die Feindschaft dieser Leute zugezogen hatte, und konnte endlich den Gedanken an die Hedj nicht los werden, welche er hinter sich hatte fliegen sehen. Selbst der Schech hatte zugeben müssen, daß diese Vögel ein sichres Zeichen von der Anwesenheit einer Karawane seien. Wo befand sich nun dieselbe? Sie hätte schon längst hier an der Quelle eingetroffen sein müssen. Warum kam sie nicht heran, sondern hielt fern von derselben Rast? Etwa weil die zu ihr gehörigen Leute die »Quelle des Löwen« nicht kannten? Dies war nicht anzunehmen. Und selbst wenn es der Fall gewesen wäre, so hätten die Kamele sich geweigert, sich niederzulegen. Diese Tiere riechen das Wasser oder vielmehr die Feuchtigkeit, welche eine Quelle in der Luft verbreitet, aus stundenweiter Entfernung. Sie sind dann nicht anzuhalten und eilen im Galopp, welche Gangart ihnen sonst streng verboten ist, auf den Brunnen zu. Es war anzunehmen, daß die Männer, aus denen die Karawane bestand, ihre Tiere mit Anwendung von Gewalt zurückgehalten hatten. Und warum? Doch nur, weil sie nichts Gutes beabsichtigten. Der Schluß, daß diese Karawane eine Gum sei, lag sehr nahe.
Man unterscheidet nämlich mehrere Arten von Karawanen. Das Wort lautet eigentlich Karwahn oder Kerwahn und bedeutet einen Wanderzug im allgemeinen. Eine Pilgerkarawane im besondern, also ein Zug von Leuten, welche entweder in Mekka, Medina oder Jerusalem anbeten wollen, heißt Hadsch. Eine Handelskarawane wird Kaffila, und in gewissen Gegenden auch Dschelaba genannt, daher Dschelab, der Händler. Eine Karawane aber, deren Teilnehmer auf Raub ausgehen, heißt Gum. Raubzüge sind nichts Seltenes, und es kommt auch vor, daß eine Kaffila oder auch gar eine Hadsch sich gelegentlich in eine Gum verwandelt, um nach vollendetem Raube sich wieder in einen friedlichen Handels- oder Pilgerzug zu verwandeln.
Eine ganz besondere Art der Gum ist die Ghasuah, plural Ghasauaht, welche den besondern Zweck des Menschenraubes hat. Sie kommt nicht in der eigentlichen Wüste vor, sondern in den südlichen Grenzländern derselben, deren Bevölkerung aus Negern besteht, welche man raubt, um sie als Sklaven zu verkaufen. Werden diese Raubzüge zu Wasser unternommen, so heißen sie Bahara, d. i. Flußreisen. Diese letzteren kommen besonders am obern Nile vor, dessen beide Hauptarme sich in so viele Nebenarme verzweigen, daß besonders während des Charif und einige Zeit nach demselben die Gegend nur mittels Schiff bereist werden kann.
Also Schwarz hielt die Karawane, welche er in der Nähe vermuten mußte, für eine Gum. Es war also alle Veranlassung zur Vorsicht und Wachsamkeit vorhanden, zumal er allen Grund hatte, anzunehmen, daß die Homraraber sich mit den Räubern im Einverständnisse befanden. Es war zunächst nichts zu thun, als die Araber zu beobachten und die Dschelabi von der auch ihnen drohenden Gefahr zu benachrichtigen. Er that dies, indem er während einer Pause, welche in der Unterhaltung der Leute eingetreten war, den »Vater der elf Haare« fragte:
»Ihr seid durch das Land der Baggara gekommen. Waren diese Leute friedlich gesinnt?«
»Ja,« antwortete der Slowak. »Es gibt keinen Stamm, welcher uns Dschelabi feindlich behandelt. Man braucht uns ja überall, da wir allein es sind, welche den Leuten bringen, was sie brauchen. Darum sind wir überall willkommen und werden von jedem als Freunde behandelt.«
»Und doch habe ich gehört, daß auch Dschelabi angefallen und ausgeraubt worden sind.«
»Das sind sehr seltene Ausnahmen und geschieht nur von solchen Stämmen, mit denen man nicht verkehrt. Wir sind auch stets so vorsichtig, uns überall genau zu erkundigen, ob vielleicht eine Gum sich unterwegs befindet oder gar gesehen worden ist.«
»Nun, habt ihr vielleicht in letzter Zeit so etwas erfahren?«
»Nein. Die Baggara sind augenblicklich alle daheim, und mit den Schilluk, in deren Lande wir uns jetzt befinden, leben wir in Freundschaft.«
»Kommt ihr auch zu den Homrarabern?«
»Nein. Ihre Dörfer liegen uns zu weit entfernt.«
»So würdet ihr euch unter Umständen vor ihnen wohl nicht ganz sicher fühlen?«
»Wir würden ihnen, wenn es sich thun ließe, aus dem Wege gehen. Heute, da wir ihnen und dir begegneten, war dies nicht gut möglich. Sie sind allerdings nicht freundlich mit uns gewesen, aber wir haben nichts von ihnen zu befürchten.«
»Denkst du?«
»Ja. Wir stehen doch wohl unter deinem Schutze?«
»Gewiß. Aber wird dieser Schutz im gegebenen Falle sich bewähren?«
»Jedenfalls, da sie dich begleiten und also deine Freunde sind. Der Araber ist stets der Freund der Freunde seines Freundes.«
»Hast du denn nicht gesehen und gehört, daß sie sich nicht sehr freundlich zu mir benahmen?«
»Ich habe es bemerkt, aber das thut ja nichts. Sie haben dir ihr Wort gegeben, dich sicher nach Faschodah zu bringen, und müssen es halten.«
»Und dennoch traue ich ihnen nicht. Sie haben mir das Versprechen gegeben, mich und meine Sachen auf ihren Kamelen zu transportieren. Ich dagegen versprach ihnen, sie in Faschodah dafür zu bezahlen. Das ist alles.«
»Wie? So ist nicht ausdrücklich ausgemacht worden, daß sie dich unter Umständen sogar mit ihrem Leben zu beschützen haben?«
»Nein.«
»Du hast nicht die Formel ‚Dakilah ia Schech‘ mit ihnen gewechselt?«
»Nein. Ich wollte es, aber sie behaupteten, daß dies bei ihnen nicht gebräuchlich und übrigens auch gar nicht nötig sei.«
»Dann darfst du ihnen allerdings nicht trauen, und auch wir sind nicht sicher. Die Formel hätte sie gezwungen, nicht nur ehrlich gegen dich zu sein, sondern dich auch nötigenfalls gegen alle Feinde zu verteidigen. So aber haben sie keine Verpflichtung gegen dich, und nach ihren Regeln und Begriffen können sie dich ausrauben und töten, ohne die geringste Schuld auf sich zu laden. Daß sie dir die Formel verweigert haben, ist ein fast sicheres Zeichen, daß sie Böses beabsichtigen. Daß sie es noch nicht ausgeführt haben, darf dich nicht sicher machen, sondern muß dich vielmehr für heute zur doppelten Vorsicht auffordern. Heute ist der letzte Abend. Morgen würdest du Faschodah erreichen, wo sie dir nichts mehr anhaben können. Vielleicht ist meine Befürchtung ohne Grund; aber ich rate dir, anzunehmen, daß dir heute eine große Gefahr drohe, dir und also auch uns. Ich werde nicht schlafen und sofort meinen Elefantenmörder wieder laden, was ich unterließ, da ich nicht wußte, daß unsre Sicherheit bedroht ist.«
Er griff auch wirklich nach dem gewaltigen Katil elfil und nach dem Pulverhorne. Der »Vater des Gelächters« zeigte, daß er ganz der Ansicht seines Kollegen sei, denn er sagte:
»Meine Harbi ist leider am Bauche des Löwen zerbrochen, aber ich werde mich mit den Armen und Händen wehren. Diese Väter und Söhne des Raubes sollen weder mein Leben, noch meinen Esel, noch meine Waren bekommen. Ich erwürge sie einzeln, einen nach dem andern. Ich kenne die Homr. Sie haben die Worte des Koran auf den Lippen. Sie versäumen weder das Abrik noch die vorgeschriebenen Salawaht, aber sie sind Diebe, und der Verrat ist bei ihnen Gebrauch. Wenn man von einer Gum hört, so hat sie ganz gewiß aus lauter Arab el Homr bestanden. Allah verschließe ihnen den Himmel mit hundert Riegeln!«
»So ist es jedenfalls auch eine Gum der Homr, welche sich hier in der Nähe befindet.« bemerkte Schwarz.
»Was? Wie?« fragte der Slowak. »Eine Gum ist uns nahe?«
»Gewiß weiß ich es nicht, aber ich vermute es.«
Er teilte ihnen die Beobachtung mit, welche er gemacht hatte, und die Vermutung, die er infolgedessen hegte. Seine Worte brachten eine Aufregung hervor, die er nur durch den Hinweis auf die in der Nähe sitzenden Araber dämpfen konnte. Diese durften nicht ahnen, in welchem Verdachte man sie hatte. Darum beherrschten sich die Dschelabi und zeigten beim Fortlaufe des natürlich leise geführten Gespräches eine möglichst ruhige Haltung.
»Wenn das so ist, Herr, so bin ich freilich ganz deiner Meinung, daß die Leute, denen die Vögel folgten, zu einer Gum gehören,« sagte der Ungar. »Wir müssen uns auf einen Überfall gefaßt machen. Wäre es nicht am besten, deine Homr sofort niederzuschießen?«
»Nein. Noch haben wir keinen Beweis. Und selbst wenn wir denselben hätten, würde ich dagegen sein. Ich kann mich zur Tötung eines Menschen nur dann entschließen, wenn dies unumgänglich nötig ist.«
»So wollen wir uns augenblicklich aufmachen und diesen gefährlichen Ort verlassen!«
»Auch dazu kann ich nicht raten. Hier wissen wir genau, was unser wartet. Diese Felsen gewähren uns gute Deckung, ebenso die Büsche. Reiten wir aber fort, so ist es sicher, daß die Gum uns folgt und draußen auf der freien Ebene überfällt. Wir wissen nicht, wie stark sie ist. Wir sind neun Mann. Selbst wenn sie nicht zahlreicher wären und wir den Angriff siegreich abschlügen, würden wir den Sieg mit Toten oder wenigstens Verwundeten bezahlen. Auf alle Fälle steht zu erwarten, daß die Homr mit der Gum gemeinsame Sache machen, was die Angelegenheit verschlimmert. Hier haben wir sie vor uns und können sie im Auge behalten. Ich rate also, hier zu bleiben.«
»Aber wir wissen ja nicht, wenn uns die Kerls überfallen werden, und können doch nicht immer mit angelegtem Gewehr hier sitzen!«
»Das ist auch nicht nötig, wenn wir unsre Vorbereitungen treffen. Zunächst müssen wir das Feuer ausgehen lassen. Es blendet uns. Wer an einem Feuer sitzt, kann nur schwer sehen, was jenseits desselben in der Dunkelheit vorgeht. Wenn es hier finster ist, können auch die Homr nicht erkennen, was wir thun. Lassen wir sie glauben, daß wir uns jetzt zur Ruhe legen. Ist dann die Flamme erloschen, so verlassen wir die Feuerstätte und placieren uns an die Felswand. Dann stecken wir hinter den Kamelen und Gepäckstücken und sind außerdem von dem Gebüsch gedeckt. Inzwischen werde ich zu erfahren suchen, wo sich die Gum befindet.«
»Wie willst du das erfahren?«
»Indem ich nach ihr suche. Sie ist, wie wir, von Westen gekommen und wird also in dieser Richtung zu finden sein.«
»Aber du begibst dich dabei in eine sehr große Gefahr!«
»In gar keine!«
»O doch, Herr. Man wird dich sehen und ermorden.«
»Man wird mich nicht sehen. Ich gehe nicht aufrecht, sondern ich schleiche mich am Boden hin.«
»Man wird dich dennoch bemerken, da die helle Farbe deines Haïk dich verraten muß.«
»Ich lege ihn vorher ab. Die Farbe der Bantaluhn und Kutrahn, welche ich darunter trage, ist dunkler, gleich derjenigen des Erdbodens, von dem ich dann nicht leicht zu unterscheiden bin.«
»Man wird dich dennoch erkennen. Die Sterne scheinen hell, und welcher Mensch kann wie eine Schlange an der Erde hinkriechen!«
»Viele können es, und auch ich habe es lernen müssen. Als ich drüben in Jeni dünja war, befand ich mich lange Zeit bei berühmten Jägern, mit denen ich allezeit auf der Hut vor wilden Indianern sein mußte. Von einem von ihnen, welcher Old Shatterhand hieß, in arabischer Sprache Abu Jadd ed darb, habe ich gelernt, mich so an einen andern anzuschleichen, daß er es gar nicht bemerkt. Diesen Leuten habe ich es auch zu verdanken, daß wir heute den Löwen und seine Frau besiegten. Ich war bei ihnen, um Pflanzen und allerlei kleines Getier zu sammeln, und wurde von ihnen im Kampfe mit wilden Menschen unterrichtet. Ich bin überzeugt, daß ich die Homr finden und vielleicht sogar auch belauschen werde, ohne von ihnen gesehen und gehört zu werden.«
»Aber ihre Kamele werden deine Nähe riechen und dich verraten. Willst du dich wirklich in diese Gefahr begeben?«
»Ja.«
»So will ich dir ein Mittel geben, welches die Kamele abhalten wird, unruhig zu werden. Sie riechen es gern. Ich habe es unter den Spezereien, mit denen ich handle. Du mußt, sobald du in ihre Nähe kommst, einige Tropfen davon auf deine Kleidung fließen lassen. Es ist Milh ennuschahdir, welcher mit Gir und Moje zubereitet wird.«
Er ging zu seinem Esel, neben welchem das ihm gehörige Gepäck lag, und brachte ein kleines Fläschchen, das den Salmiakgeist enthielt. Schwarz steckte es zu sich.
Die Dschelabi hatten sich vor dem Löwen verkrochen. Ihn fürchteten sie, weil sie so abergläubische Vorstellungen von ihm hegten. Die Gum aber hatte sie nur vorübergehend erschreckt. Zwar hatten sie fliehen wollen; aber nun sie einsahen, daß es geraten sei, zu bleiben, waren sie zur Gegenwehr entschlossen. Sie hatten es mit Menschen, aber nicht mit einem gewaltigen Raubtiere zu thun, in welchem ihrer Meinung nach der Geist eines Verstorbenen steckte.
Sie legten sich nieder und breiteten ihre Decken über sich aus, um die Meinung zu erwecken, daß sie nun schlafen würden. In kurzer Zeit ging das Feuer aus, und diese Abteilung des Lagers war nun in nächtliches Dunkel gehüllt, während die Homr auf der andern Seite ihr Feuer sorgfältig weiter unterhielten, so daß man sehen konnte, was sie thaten.
Jetzt schlüpfte Schwarz aus seinem Haïk und entfernte sich leise, von den Homr ungesehen. Seine beiden Gewehre, welche ihm nur hinderlich sein konnten, ließ er zurück.
Die Homr befanden sich auf der Südseite. Er schlich sich auf der nördlichen, wo, wie bereits erwähnt, kein Buschwerk stand, um den Felsen. Dort blieb er zunächst stehen, um zu lauschen.
Der »Vater der vier Augen« konnte, so sehr er seine Augen und Ohren anstrengte, ein menschliches Wesen weder sehen noch hören. Darum ging er langsam weiter, sich gerade westlich haltend.
Der Boden war fein sandig; die Schritte des Deutschen verursachten kein Geräusch. Langsam und vorsichtig vorwärts schreitend, ging er weiter und weiter, doch ohne etwas zu bemerken. Schon waren vielleicht zehn Minuten vergangen, und er nahm an, daß er eine falsche Richtung eingeschlagen habe, obgleich er genau auf der Fährte ging, welche er mit seinen Begleitern gemacht hatte und auf der die Gum zu suchen war.
Da drang ein leises Klirren an sein Ohr, wie wenn zwei Waffen sich berührt hätten. Der Ton kam ganz genau aus der Richtung, welche er eingeschlagen hatte. Er verdoppelte seine Vorsicht und verlangsamte seine Schritte. – Schon nach kurzer Zeit tauchte es in unbestimmten Konturen wie graue Schatten vor ihm auf. Sie saßen auf der Erde und bewegten sich nicht. Zu gleicher Zeit wehte ihm die bekannte Ausdünstung von Kamelen entgegen. Er hatte die Gum vor sich, die zu derselben gehörigen Männer waren in die landesüblichen grauen Haïks gehüllt. Nun legte er sich nieder und kroch auf den Händen und Füßen weiter.
Da die Leute ihrer Aufmerksamkeit jedenfalls auf die Gegend gerichtet hatten, aus welcher er kam, so schlug er einen Bogen nach rechts, um sich von Norden her anzuschleichen. Seine Gestalt war trotz des hellen Sternenschimmers nicht von dem Boden zu unterscheiden. Da seine hellere Gesichtsfarbe vielleicht zur Verräterin werden konnte, so zog er sein dunkelrotes Taschentuch hervor und band es sich vor den untern Teil des Gesichtes, so daß er nur die Augen frei behielt. Den Fes, den er unter der Kapuze getragen hatte, zog er über die Stirn herein.
Als er näher kam, sah er die Kamele liegen, nicht eng beisammen, sondern einzeln. Nun konnte er die Personen zählen. Es waren ihrer zwölf. Sie saßen in einem kleinen Kreise, vor welchem zwei Kamele lagen.
Dieser Umstand war ihm sehr willkommen, da derselbe es ihm vielleicht ermöglichte, sich so weit hinanzuschleichen, daß er hören konnte, was gesprochen wurde.
Er schob sich sehr, sehr langsam vorwärts, fast Zoll um Zoll. Die Luft war leise bewegt; sie kam ihm entgegen. Das war die Ursache, daß die Tiere ihn noch nicht bemerkten. Nun war es an der Zeit, das Mittel des Dschelabi zu versuchen. Er öffnete das Fläschchen und besprengte sich mit dem Salmiakgeiste.
Es ist bekannt, daß die Ausdünstung des Kamels eine ammoniumartige ist und daß aus dem Miste und Urin dieses Tieres Salmiak gewonnen wird. Darum hielt Schwarz es für nicht ganz unmöglich, daß die Kamele eine Art von Vorliebe für den Geruch dieses Produktes besitzen. Er fand auch wirklich sofort Veranlassung, sich zu überzeugen, daß dies wirklich der Fall sei. Denn kaum hatte er das Fläschchen wieder eingesteckt, so wendeten beide Kamele die Köpfe nach ihm und öffneten die weit geschnittenen Nüstern, doch ohne ein Zeichen von Unruhe zu geben. Sie schienen den Geruch mit Behagen einzuziehen.
Dadurch beruhigt, kroch er näher. Schon war er so weit, daß die hohen Rücken der Tiere es den Arabern nicht mehr ermöglichten, ihn zu sehen. Er schob sich an das eine Kamel heran, schmiegte sich eng an dasselbe und begann, es mit der Hand zu krauen, wobei es einen leisen, behaglich grunzenden Laut hören ließ.
Die Gruppe der Männer war nicht mehr als drei Schritte von dem Tiere entfernt. Sie sprachen zwar nicht laut, aber doch so vernehmlich, daß er die meisten ihrer Worte verstehen und das übrige sich hinzudenken konnte.
Unter ihnen fiel ihm eine besonders lange und außerordentlich hagere Gestalt auf, welche die andern weit überragte. Der aufrecht sitzende Oberkörper dieses Mannes war fast vier Fuß hoch. Die Länge dieses Menschen mußte, wenn er stand, weit über drei Ellen betragen, eine große Seltenheit bei den Arabern. Er saß etwas zur Seite, als ob er dadurch einen Vorrang zum Ausdruck bringen wolle. Seine Stimme klang hohl und im Grabestone, als er jetzt sagte:
»Nein, wir brauchen uns nicht erst zu überzeugen. Wir haben die Spur gesehen. Es sind lauter Esel gewesen, acht an der Zahl. Und wer reist auf Eseln? Nur Dschelabi können es sein. Diese Krämer sind gewöhnlich feig. Wir haben sie nicht zu fürchten. Wollten wir einen von uns hinsenden, um nachzusehen, ob sie sich mit an dem Brunnen befinden, so könnte er durch irgend einen Zufall bemerkt werden, und wir wären verraten. Diese Dschelabi sind sicher dort, was uns nur lieb sein kann, da wir zu der übrigen Beute auch noch ihre Waren und Tiere bekommen.«
»Sollen wir die Krämer auch töten?« fragte einer.
»Ja.«
»Das könnte mir beinahe leid thun. Diese Leute sind nützliche Menschen und Anhänger des Propheten, während der Fremde ein Giaur ist, dessen Seele der Teufel fressen möge!«
»Hat die Sonne dir das Gehirn versengt, daß du von Mitleid redest? Sollen wir die Unvorsichtigkeit begehen, acht Zeugen leben zu lassen? Der Fremde steht im Schutze seines Unsul, welcher, wenn er seinen Tod erführe, so lange nach Rache schreien würde, bis man uns ergriffen und getötet hätte.«
»Aber wir würden den Dschelabi doch nicht sagen, wer wir sind!«
»Auch hier reicht dein Verstand nicht aus. Wie nun, wenn sich einer unter ihnen befindet, der einen von uns kennt?«
»Diesen einen könnten wir stumm machen.«
»So müssen wir sie eben alle umbringen, denn mich würden sie selbst in dem Falle erkennen, daß sie mich noch nie gesehen haben. Allah ist, als er meiner Seele den Körper gab, verschwenderischer als sonst gewesen, wofür ich ihm nicht dankbar bin, denn es ist meist sehr verdrießlich, eine Gestalt zu besitzen, welche jedem auffallen muß. Man weiß, daß ich ein Sklavenjäger bin. Das ist schon genug, seit die Franken, über welche die Verdammnis kommen möge, in Chartum es durchgesetzt haben, daß der Sklavenhandel verboten wurde. Nun sitzt selbst hier in Faschodah ein Mudir, welcher kein Sklavenschiff passieren läßt, so daß wir stets ausladen und den langen und beschwerlichen Landweg einschlagen müssen. Dieser Mudir hat sein Auge ganz besonders auf mich gerichtet. Falle ich ihm in die Hände und es befindet sich nur ein einziger Sklave bei mir, so bin ich verloren. Soll er nun auch noch erfahren, daß ich, wenn Allah mir die Gelegenheit sendet, meine Leute in eine Gum verwandle, so ist das Ende meines Lebens nahe, was der Prophet verhindern möge, denn ich habe Lust, den Preis von noch Tausenden von Negern mit euch zu teilen. Diese acht Dschelabi würden, sobald sie mich sähen, augenblicklich wissen, daß ich Abu el Mot bin, und es morgen dem Mudir verraten. Dieser wieder weiß, in welchem Gebiete ich nach Schwarzen jage; ebenso weiß er ungefähr, wenn ich mit meinen Sklaventransporten durch sein Gebiet muß, und so würde er mir mit doppelter Sorgsamkeit auflauern. Ist es schon jetzt schwer, ihm zu entgehen, so würde es nachher unmöglich sein. Nein, die Dschelabi müssen sterben! Wenn du Mitleid mit ihnen hast, so kannst du heimkehren und Durrha essen. Ich brauche keinen Mann, dessen Herz von Wolle ist anstatt von Eisen.«
Dabei zog er sein Messer und spielte in so bedeutungsvoller Weise mit demselben, daß der andre einsah, er werde nicht weit kommen, wenn es ihm einfallen sollte, dieser Aufforderung Folge zu leisten. Darum antwortete er in begütigendem Tone:
»Hast du mich jemals weinen sehen, wenn mein Messer oder meine Kugel einen Menschen getroffen hatte? Warum soll ich jetzt auf einmal ein Weib geworden sein, da mir einmal ein milder Gedanke kommt? Ich werde der erste von euch sein, welcher sein Messer in das Herz eines dieser Dschelabi senkt.«
»Das hoffe ich auch, damit du die Zweifel zerstreust, zu denen du mir soeben Veranlassung gegeben hast! Ein Sklavenjäger muß ermorden können, ohne mit der Wimper zu zucken. Kann er das nicht, so taugt er nichts für dieses Geschäft. Morgen früh werden die Geier auf den Gerippen von neun Menschen sitzen und sich so dick angefressen haben, daß sie nicht davonfliegen können. Wir aber werden unsre Beute nach Kaka bringen und uns derselben erfreuen.«
»Nach Kaka? So müssen wir nach Nordost gegen den Nil, also zurück. Warum nicht nach Faschodah?«
»Das liegt zwar näher und ist auch ein besserer Handelsplatz; auch kann ich mich getrost dort sehen lassen, wenn ich keine Sklaven bei mir habe; aber ich würde dort keinen Käufer für die Sachen finden, welche wir diesem Giaur abnehmen werden. In Kaka aber habe ich meinen Agenten, welcher die Sammlung gern nach Chartum bringen wird, um sie für mich zu verwerten.«
»Wird man dort nicht Verdacht fassen?«
»Nein, denn der Agent wird so klug sein, den Leuten ein Märchen zu erzählen, welches sie glauben müssen. Dort gibt es Personen, welche den Wert einer solchen Sammlung kennen und einen guten Preis zahlen werden. Wir können sie auf anderm Wege unmöglich an den Mann bringen. Und daß sie viel wert ist, kann man daraus schließen, daß der Christ seine Heimat verlassen hat und sich so großen und vielen Gefahren aussetzt, um diese Pflanzen und Tiere zu holen. Wir werden bald einen zweiten, ähnlichen Fang machen. Der letzte Bote, der mir aus der Seriba Omm et Timsah gesandt wurde, teilte mir mit, daß dort zwei Weiße, ein junger und ein alter, eingetroffen sind, welche Gewächse suchen, um sie zwischen Papierblätter zu legen, und Käfer, Schlangen und allerlei Gewürm fangen, welches sie in Flaschen stecken. Beide haben schwarze Diener bei sich, viele Waffen und Tauschartikel und große, schwere Ballen Zeug, welches, wie ihr wißt, dort die Stelle des Geldes vertritt. Diese Europäer drängen sich mit großer Frechheit in unser Sklavengebiet. Wir dürfen das nicht dulden und werden sie also, sobald wir hinkommen, in die Hölle senden, ihre Sachen aber behalten. Diese Menschen glauben an Isa Ben Marryam, welcher gelehrt hat, daß es keine Sklaven geben dürfe, da auch die Schwarzen Allahs Kinder seien. Wenn wir sie nicht töten, wird diese Lehre überhand nehmen und unsern Handel zu nichte machen. Ich dulde keinen Christen im Bereiche meines Jagdgebietes, am allerwenigsten aber christliche Priester, welche die Schwarzen gegen uns aufwiegeln, indem sie denselben die alberne Lehre von der Liebe bringen. Darum werden diese beiden Weißen sterben wie der Giaur, der jetzt dort am Brunnen lagert.«
»Meinst du nicht, daß er sich verteidigen wird?«
»Nein, denn wir werden ihm keine Zeit dazu lassen. Unser Überfall wird so plötzlich geschehen, daß er gar keine Zeit finden wird, sich seiner Waffen zu bedienen. Wenn der Schech uns nachher aufsucht, wie verabredet worden ist, so werden wir von ihm erfahren, wo der Giaur liegt und wo die Dschelabi schlafen. Wir schleichen uns hinan und werden sie wohl gar im Schlafe töten, so daß sie zur Hölle fahren, ohne vorher zu erwachen. Vielleicht sind die Gewehre noch gar nicht wieder geladen, welche sie vorhin abgeschossen haben, um die Löwen abzuschrecken.«
»Allah ‚l Allah! In welcher Gefahr haben wir da auch uns befunden! Wie leicht konnte der Verderber der Herden auch zu uns kommen!«
»Nein. Er hat seine Wohnung im Osten des Brunnens und ist wieder dorthin zurück. Schliche er sich in unsrer Nähe herum, so würden die Kamele ihn durch ihre Angst verraten. Vorher waren sie unruhig; aber seit die Schüsse gefallen sind, haben sie keine Furcht mehr gezeigt. Der Vater des dicken Kopfes ist also fort. Laßt uns nun nicht mehr sprechen, sondern lieber aufpassen. Der Schech könnte eher kommen, als wir ihn erwarten, und wir müssen dafür sorgen, daß er uns nicht verfehlt.«
Aus diesen Worten war zu schließen, daß die Unterhaltung nun zu Ende sei. Darum hielt Schwarz es für geraten, sich zurückzuziehen. Er kroch so leise und vorsichtig davon, wie er gekommen war. In der Entfernung, in welcher er nicht mehr gesehen werden konnte, erhob er sich aus der kriechenden Stellung, da er nun getrost wieder aufrecht gehen konnte. Erst als er den Felsen erreichte, mußte er wieder vorsichtig verfahren, da die Homr nicht wissen durften, daß er fort gewesen war.
Es gelang ihm, seinen Platz von ihnen unbemerkt zu erreichen. Die Dschelabi hatten Sorge um ihn gehabt, da seine Abwesenheit eine ziemlich lange gewesen war. Er erzählte ihnen, was er gehört hatte und fragte sie, ob ihnen dieser Abu el Mot vielleicht bekannt sei. Sie alle kannten diesen Mann, ohne ihn aber jemals gesehen zu haben. Sie hatten gehört, daß er der eifrigste und unbarmherzigste Sklavenjäger sei, doch wo er sein Jagdgebiet habe, wußten sie nicht.
»Er scheint seine Raubzüge von einer Seriba, welche Omm et Timsah heißt, aus zu unternehmen,« sagte der Deutsche. »Ist euch diese nicht bekannt?«
»Nein,« antwortete der ‚Vater der elf Haare‘. »Ich kenne alle Seriben bis jenseits des Dinka-Landes, aber von einer dieses Namens habe ich noch nie gehört. Doch muß uns das einstweilen gleichgültig sein. Wir müssen an unsre Verteidigung denken. Wir müssen überlegen, wie wir uns am besten wehren können.«
»Da gibt es nicht viel zu überlegen. Die Hauptsache ist, daß der Feind uns nun nicht mehr überraschen kann. Wir wissen, wo er sich befindet.«
»Aber nicht, wann er kommen wird.«
»O doch. Der Schech will die Gum aufsuchen. Er hat also mit Abu el Mot den Überfall schon längst geplant. Es ist da drüben hell, und wir können also leicht sehen, wenn er sich entfernt. Er wird den Räubern sagen, wo und wie wir lagern, und dann werden sie kommen.«
»Wir schießen sie nieder?«
»Nein. Sie sind zwölf Personen und wir nur neun; aber da wir nun sie überraschen und nicht sie uns, so sind wir ihnen überlegen. Wir bleiben natürlich nicht hier liegen, sondern erwarten sie am Beginn der Büsche, zwischen welchen wir uns verstecken können. Sind sie an uns heran, so springen wir auf. Jeder nimmt seinen Mann und schlägt ihn nieder. Ein tüchtiger Hieb auf den Kopf genügt dazu; aber die Kerls müssen so getroffen sein, daß sie gleich zusammenbrechen. Mit den übrigen drei werden wir dann schnell fertig. Fliehen sie, so lassen wir sie laufen; wehren sie sich, nun, so können wir ihr Leben freilich nicht schonen. Die ersteren werden hoffentlich nicht tot sein. Wir nehmen sie gefangen und liefern sie in Faschodah an den Mudir ab.«
»Und was geschieht mit den Homr?«
»Das wird sich ganz nach ihrem Verhalten richten. Ich vermute, daß sie sich nicht direkt an dem Angriffe beteiligen werden; sie dürften das vielmehr der Gum überlassen, welche übrigens, wie ich aus dem Dialekte der Leute vermute, auch aus Homr besteht. Meine bisherigen Begleiter werden beabsichtigen, so lange dort an ihrem Feuer zu bleiben, bis wir getötet worden sind. Sie kommen also bei dem Kampfe zunächst nicht in Betracht. Die Hauptsache ist, daß jeder von uns seinen Mann richtig trifft.«
»Darin soll es bei mir nicht fehlen. Ich kehre meinen Elefantenmörder um und bearbeite den Kerl so, wie ich vorhin die Frau des Löwen erschlagen habe.«
»Und ich,« sagte Hadschi Ali, »habe hier den halben Schaft meines zerbrochenen Spießes. Das gibt eine Keule, mit welcher ich zuschlagen kann. Allah sei demjenigen gnädig, der sie auf den Kopf bekommt!«
In ähnlicher Weise äußerten sich auch die andern. Sie waren damit einverstanden, daß die Feinde nicht getötet werden sollten. Sie dachten an die Genugthuung, die ihnen würde, wenn sie morgen mit ihren Gefangenen in Faschodah einziehen. Wer von ihnen keine zum Zuschlagen passende Waffe besaß, der suchte sich unter den Gepäckstücken einen geeigneten Gegenstand aus.
Die Homr waren überzeugt, daß der Deutsche und die Dschelabi schliefen. Diese hatten nur leise gesprochen, und wäre je ein Wort etwas lauter gewesen, so hätte es doch nicht leicht gehört werden können, da die Kamele und Esel sich noch immer nicht ganz beruhigt hatten. Besonders die letzteren standen keinen Augenblick ruhig, weil die Kadaver der beiden Raubtiere sich in ihrer Nähe befanden. Die Kamele schnaubten ängstlich, mußten aber ruhig liegen, da ihnen die Füße gefesselt waren.
In Erwartung des Kommenden verging allen die Zeit sehr langsam. Endlich erhob sich drüben der Schech.
»Jetzt geht er!« flüsterte Ali.
»Nein,« antwortete der Ungar ebenso leise. »Er kommt erst hierher, um nachzusehen, ob wir wirklich schlafen. Er wird so thun, als ob er sich um die Kamele bekümmern wolle. Regen wir uns nicht!«
Der Schech kam wirklich langsam herbei. Er trat zu den Kamelen, als ob er nach ihnen habe sehen wollen, und blieb da eine kleine Weile stehen. Er lauschte nach den Dschelabi herüber. Als keiner derselben sich bewegte, sagte er, zu ihnen gewendet:
»Die Dschimahl fürchten sich noch immer. Wollen wir nicht die Leichen des Löwen und seiner Sultana fortschaffen?«
Er fragte das natürlich nur, um zu erfahren, ob die Dschelabi fest schliefen. Als er keine Antwort bekam, trat er leise näher und bückte sich zu ihnen nieder. Um ganz sicher zu sein, berührte er den Arm des Deutschen. Als auch darauf nichts erfolgte, war er seiner Sache sicher und schlich weiter, um den Felsen wie vorhin Schwarz.
Dieser richtete sich nach einiger Zeit auf und kroch ihm nach. Er sah ihn in westlicher Richtung davonschreiten und dann im Dunkel der Nacht verschwinden. Zu den Dschemali[Dschelabi] zurückgekehrt, forderte er diese auf:
»Jetzt ist es Zeit. Kommt mit fort, aber leise, damit die Homr es nicht hören!«
Er führte sie bis dahin, wo das Dickicht zu Ende war und sich in einzelne Büsche auflöste. Es war vorauszusehen, daß die Angreifenden da vorüberkommen würden. Jeder steckte sich hinter einen Busch.
Sie warteten wohl eine halbe Stunde und noch länger. Dann hörten sie leise Schritte, und zugleich erkannten sie die Gestalten, welche, eine hinter der andern, langsam herbeikamen. Als sie sich so weit genähert hatten, daß man die einzelnen Personen unterscheiden konnte, sah Schwarz den Schech als Führer an der Spitze. Die lange, schmale Gestalt Abu el Mots schwankte, sich herüber- und hinüberwiegend, am Ende des kleinen Zuges. Sie blieben an der Felswand stehen. Wäre es hier so hell gewesen wie draußen außer dem Bereiche des Schattens, den der Fels warf, so hätten sie die unmittelbar neben ihnen hinter den Büschen kauernden Dschelabi sehen müssen, denn die Sträucher waren nicht dicht und breit genug, einen Mann vollständig zu verbergen.
Schwarz befand sich dem verlassenen Lagerplatze am nächsten. Die Feinde waren nicht bis zu ihm herangekommen. Der Ungar, der am entgegengesetzten Ende kauerte, hatte sie gerade vor sich. Er hörte, daß der Schech sagte:
»So! Bis hieher habe ich euch geführt. Gleich um die Ecke rechts liegen sie im tiefen Schlafe; sie werden sterben ohne zu erwachen. Ich gehe jetzt zu meinen Männern, um ihnen zu sagen, daß der Augenblick gekommen ist.« Er entfernte sich, indem er einige Schritte zurückging, und verschwand an der Westseite des Felsens, an dessen Ostseite die Lagerstelle sich befand.
»Nun vorwärts!« gebot die Grabesstimme Abu el Mots. »Allah möge euern Messern sichern Stoß verleihen!«
Schwarz wollte natürlich warten, bis sie ihn erreicht hatten; aber der kleine Slowak fühlte sich von solcher Kampfeslust ergriffen, daß er den vorteilhaftesten Augenblick nicht erwartete.
»Rauwidschu – schnell, drauf!« rief er aus, indem er aufsprang. Sein Gewehr umkehrend, holte er aus und führte nach dem Nächststehenden einen so gewaltigen Kolbenhieb, daß der Getroffene sofort zusammenbrach und aber auch er selbst niederstürzte.
Die andern brachen auch hervor. Schwarz als der Entfernteste hatte wohl acht oder neun Schritte zurückzulegen, um an die Feinde zu kommen. Er hatte es auf Abu el Mot abgesehen gehabt, welche Absicht aber nun nicht auszuführen war.
Die Männer der Gum waren so erschrocken, daß sie sich für den ersten Augenblick nicht von der Stelle bewegten. Sie wären verloren gewesen, wenn der überhitzige Ungar nur noch drei oder vier Minuten gewartet hätte. So aber fanden sie Zeit, sich einigermaßen zu fassen, doch nicht hinreichend genug, ihre Waffen zu gebrauchen. Einige von ihnen empfingen die ihnen zugedachten Hiebe; andern gelang es, dieselben von sich abzuwehren.
Schwarz hatte die angegebene Entfernung springend zurückgelegt. Er schlug einen Araber mit dem Gewehrkolben nieder und im nächsten Augenblicke einen zweiten. Zornige Flüche er schallten.
»Wer sind diese Teufel?« schrie Abu el Mot. »Drauf auf sie!«
»Rettet euch!« schrie ein andrer. »Wir sind vom Schech verraten!«
Er drängte zurück. Eben wollte Schwarz den dritten niederschlagen, um dann an den Anführer zu kommen. Zu gleicher Zeit holte der »Vater des Gelächters« gegen einen andern aus, welcher an Schwarz vorüberfloh. Er drang hinter diesem drein, glaubte, ihn mit dem Hiebe noch zu erreichen, erhielt aber dabei von einem weiteren Flüchtling einen Stoß und – — schlug dem Deutschen mit seinem halben Lanzenschaft so gegen das Ohr und die Schläfe, daß Schwarz zur Seite taumelte und fast ohne Besinnung niederfiel.
»Allah!« schrie der erschrockene Kleine. »Habe ich dich ermordet, Effendi?«
»Beinahe!« antwortete der Gefragte, indem er sich langsam und nur schwer erhob. »Laßt sie fliehen! Wir dürfen wegen den Homr nicht von hier fort!«
Es funkelte ihm vor den Augen, doch sah er die Leute der Gum fliehen. Er legte an und sandte ihnen zwei Kugeln nach. Dann konnte er nicht widerstehen. Es brauste ihm wie eine Brandung um die Ohren. Er lehnte sich an den Felsen und schloß die Augen.
Kein Dschelabi folgte den Fliehenden. Aber der Ungar rief, als er die Schüsse des Deutschen hörte:
»So ist‘s recht! Gebt ihnen eure Kugeln! Die meinige sollen sie auch haben.«
Er erhob seinen schweren Katil elfil und zielte auf den Flüchtling. Sein Schuß krachte, und der Mann stürzte nieder.
Die Dschelabi standen bei Schwarz, laut klagend über ihn.
»Was ist geschehen?« fragte der Slowak.
»Ich habe den Effendi erschlagen!« jammerte der »Vater des Gelächters«, indem er aus Verzweiflung das lustigste Gesicht der Welt machte.
»Bist du toll?«
»Nein. Ich wurde gestoßen.«
»Dummkopf! Du hast vor lauter Völkern und Dörfern, welche unter deinem Schädel stecken, nicht gesehen, wohin du schlugst! Effendi, Effendi, bist du tot?«
»Nein,« antwortete Schwarz, indem er die ihn überkommene Ohnmacht mit Anstrengung von sich abschüttelte und sein Gewehr, welches ihm entfallen war, aufhob.
»Allah sei Dank! Dieser ‚Vater der hintern Löwenhälfte‘ ist mit Blindheit geschlagen gewesen, und wir müssen – — —«
»Still!« gebot ihm der Deutsche. »Wir haben mehr zu thun. Ich sehe vier Teilnehmer der Gum hier liegen. Das ist weniger als ich dachte. Bindet sie! Wahrscheinlich sind sie nur betäubt.«
Er trat zur Felsenecke, von welcher aus er das Feuer sehen konnte. An demselben standen die Homr, welche nicht wußten, was sie denken sollten. Er nahm an, daß sie dort bleiben würden, bis sie von irgend einer Seite Aufklärung erhielten. Darum fuhr er fort:
»Bleibt hier! Vielleicht kann ich ein Kamel oder mehrere erbeuten.«
Er rannte fort, in der Richtung, in welcher die Araber geflohen waren. Er wußte, wo sie gelagert hatten. Auch ihre Kamele waren gefesselt gewesen, und da diese Tiere nicht schnell zum Aufstehen zu bringen sind, so mußten die Flüchtigen dort jedenfalls länger verweilen, als ihnen lieb war, da sie doch anzunehmen hatten, daß man sie verfolgen werde.
Sein zweites Gewehr hatte er über dem Rücken hängen; das erste lud er im Laufen. Dabei kam er an der Stelle vorüber, wo der von der Kugel des Slowaken Getroffene lag. Dieser regte sich nicht.
Hatte er vorhin, als er vorsichtig sein mußte, über eine Viertelstunde gebraucht, um an die Gum zu kommen, so ging es jetzt schneller. In weniger als zwei Minuten war er der Stelle nahe. Er sah die Gruppe der Männer, welche sich um die Kamele bemühten. Da blieb er stehen und schoß ein-, zweimal auf sie. Jeder von ihnen hatte vor allen Dingen sein eigenes Tier von den Fesseln befreit. Das sollte gerade auch mit den fünf übrigen Kamelen geschehen, als die beiden Schüsse krachten, von denen einer der Araber verwundet wurde.
»Fort!« schrie Abu el Mot, der sich unter den Entkommenen befand. »Laßt die Bestien liegen, denn die Schejatin sind hinter uns her!«
Und als Schwarz nun auch die beiden Schüsse seines andern Gewehres abgab, war kein Halten mehr. Die um fünf Menschen und Tiere verringerte Gum flog davon, in die Nacht hinein.
Schwarz näherte sich vorsichtig den Tieren, da leicht ein Feind hinter denselben sich versteckt haben konnte. Er überzeugte sich jedoch bald, daß dies nicht der Fall war. Die fünf Sättel lagen daneben, ebenso mehrere Kirban und Dattelsäcke.
Da nicht anzunehmen war, daß die Gum zurückkehren werde, so ließ der Deutsche die Tiere samt diesen Gegenständen liegen und eilte dem Felsen wieder zu. Die Folgen des Hiebes, den er kurz zuvor erhalten hatte, waren überwunden und sein Kopf wieder leicht und frei wie vorher.
Die Dschelabi standen bei den vier Gefesselten, welche sich noch nicht regten.
»Sind noch Stricke, Riemen oder Schnüre vorhanden?« fragte Schwarz.
»Genug, Herr,« antwortete der Slowak. »Ein Dschelabi hat deren stets in seinen Taschen.«
»So binden wir jetzt auch die Homr.«
»Wenn sie es sich gefallen lassen!«
»Versuchen wir es.«
Er ging wieder an die Ecke. Die Homr standen noch immer wartend am Feuer. Sie hatten die Schüsse und das Geschrei gehört und sagten sich, daß der Überfall nicht in der gewünschten und auch erwarteten Weise verlaufen sei; aber wie die Angelegenheit stand, das vermochten sie sich nicht zu sagen, da sie nicht hatten sehen können, was geschehen war. Nur das war ihnen gewiß, daß der Deutsche und die Dschelabi nicht geschlafen, sondern sich verteidigt hatten. Wer aber war da Sieger geblieben? Die Klugheit riet ihnen, sich entfernt zu halten und das Kommende abzuwarten.
Sie konnten nicht bis zur zweiten Lagerstätte, wo das Feuer nicht mehr brannte, sehen, doch war alle ihre Aufmerksamkeit nach dieser Gegend gerichtet. Da sahen sie den verhaßten Deutschen von dort herkommen. Er hatte seine Gewehre zurückgelassen. Seine Absicht war, sich zunächst des Schechs zu bemächtigen.
»Habt ihr das Schießen gehört?« fragte er in hastiger Weise.
»Ja,« antwortete der Schech. »Wer ist es gewesen, und was hat es gegeben?«
»Weiß ich es? Ich erwachte von dem Lärm und sah, daß die Dschelabi nicht mehr da waren. Ich suchte nach ihnen und hörte Schüsse im Osten von hier. Ihr seid wach gewesen und müßt also besser als ich wissen, was sich ereignet hat.«
»Nichts wissen wir, gar nichts, Effendi! Wir glaubten die Schüsse kämen aus euren Gewehren und es sei abermals ein Löwe erschienen.«
»Dann müßte er die Dschelabi mit Haut und Haar verschlungen haben, da sie vom Lagerplatze verschwunden sind. Nein, es muß etwas andres gegeben haben. Willst du nicht einmal mit mir nachsehen?«
»Ja, sogleich, ich komme mit.«
Es war gegen alle seine Wünsche, den Deutschen noch am Leben zu sehen. Wo waren die Dschelabi, und wo waren die Männer der Gum? Er brannte vor Begierde, es zu erfahren; darum ging er so bereitwillig auf den Vorschlag des Gelehrten ein.
Die beiden entfernten sich nach der erstgenannten Felsenecke hin. Als sie um dieselbe bogen, erblickte der Schech die Dschelabi, und es entfuhr ihm die unvorsichtige Frage.
»Da sind sie ja! Wo aber ist die Gum?«
»Die Gum?« antwortete Schwarz. »Du gibst also zu, von ihr zu wissen! Für so aufrichtig habe ich dich nicht gehalten.«
»Die Gum – Effendi – die Gum ist – ist – ist – ich habe – — —« stotterte er.
»Schon gut! Bindet ihn!«
Indem er diesen Befehl gab, faßte er ihn mit beiden Händen am Halse und drückte ihm die Kehle so zusammen, daß der Homr keinen Laut ausstoßen konnte. Es wurden demselben sofort Riemen um die Hände und Füße gebunden, worauf man ihn auf die Erde legte.
Jetzt rief Schwarz den erwartungsvoll am Feuer stehenden Homr zu:
»Suef el Abalik soll schnell hierher zum Schech kommen!«
Er kannte die Namen sämtlicher Homr und war überzeugt, daß der Genannte dem Rufe folgen werde. Damit derselbe nicht durch den Schech gewarnt werden könne, kniete der kleine Slowak bei dem letzteren nieder, setzte ihm die Spitze seines Messers auf die Brust und drohte:
»Gieb einen Laut von dir, so ersteche ich dich!«
Der Bedrohte wagte kaum zu atmen, und zwar nicht infolge dieser Drohung allein, sondern weit mehr noch vor Schreck über die Behandlung, welche ihm so unerwartet widerfahren war.
Suef kam. Mit ihm wurde kein überflüssiges Wort gewechselt, sondern Schwarz nahm ihn gleich, als er um die Ecke bog, bei der Gurgel. Er wurde zu Boden geworfen und gebunden. Ebenso erging es einem dritten, den Schwarz noch herbeirief.
Nun befanden sich nur noch drei Homr am Feuer, deren schnelle Überwältigung nicht schwierig war. Zwei Dschelabi blieben bei den Gefangenen. Mit den übrigen sechs ging Schwarz nach dem Feuer, wo je zwei von ihnen, ohne ein Wort zu sagen, einen Homr ergriffen. Dieselben waren so überrascht, daß sie fast gar nicht an Gegenwehr dachten. Einige zornige Fragen ihrerseits und einige kräftige Hiebe, welche sie vor die Köpfe erhielten, dann schlangen sich die Fesseln auch um ihre Arme und Beine.
Man ließ sie am Feuer liegen und schaffte dann die übrigen Homr nebst den vier Gumleuten herbei. Diese letzteren lebten, doch thaten sie, als ob sie noch betäubt seien; aber man sah, daß sie zuweilen die Augen ein wenig öffneten, um die Männer zu betrachten, denen sie in die Hände gefallen waren.
Nun schickte Schwarz drei Dschelabi ab, um den Verwundeten oder vielleicht auch Toten zu holen, welcher von der Kugel des Slowaken getroffen wurde. Als sie ihn daher brachten, zeigte es sich, daß er schwer verwundet war. Die Kugel hatte ihm den rechten Oberschenkelknochen zerschmettert, und Schwarz machte sich daran, das Bein so gut, wie die Umstände es erlaubten, zu verbinden.
Das alles geschah, ohne daß mehr als das Allernotwendigste gesprochen wurde. Die Gefangenen zumal zogen es vor, gar kein Wort hören zu lassen, wohl zumeist aus dem Grunde, weil der Schech sich schweigend verhielt.
Indem Schwarz das Lager in der Obhut der übrigen hinterließ, begab er sich nun mit vier Krämern nach dem Lagerplatze der Gum, um die Kamele und die bei denselben liegenden Gegenstände herbeizuholen. Als dies geschehen war, wurde einer der Dschelabi als Wache ausgestellt. Dies geschah, weil anzunehmen war, daß Abu el Mot sich wohl nicht allzu weit entfernt haben werde; er konnte wohl gar auf den Gedanken kommen, bezüglich seiner überwältigten Gefährten einen Befreiungsversuch zu unternehmen.
Als so alles Nötige geschehen war, setzten sich die Sieger um die Besiegten, und nun glaubte der Schech die Zeit sei gekommen, endlich ein Wort der Aufklärung zu verlangen.
»Allah ist unerforschlich; ihn darf kein Mensch fragen,« sagte er. »Von euch aber möchte ich erfahren, weshalb ihr mich und meine Leute überfallen und gebunden habt!«
»Das weißt du ebenso genau wie wir,« antwortete Schwarz.
»Nichts weiß ich, gar nichts!«
»Es geschieht euch viel weniger, als uns geschehen sollte. Wir sollten überfallen und getötet werden; ihr aber seid nur überfallen und gefesselt worden.«
»Wer hat euch töten wollen?«
»Die Gum, von welcher du selbst gesprochen hast.«
»Ich weiß nichts von ihr!«
»Lüge nicht! Mein Tod war längst beschlossen. Warum kamst du an unser Lager und hast meinen Arm ergriffen, um dich zu überzeugen, ob ich schlief? Wozu hattest du dann die Gum aufgesucht und die Männer derselben hierher geführt?«
»Allah akbar – Gott ist groß!« war alles, was der Schech darauf antwortete. Er wußte nun, daß man ihn überführen könne. Dennoch versuchte er, sich aufs Leugnen zu verlegen, indem er in fingiertem Zorne ausrief:
»Wer hat mich verleumdet? Wir sind deine Beschützer gewesen und müssen Dank erwarten. Anstatt dessen schlägst du uns in Banden und redest uns Übles nach. Wir sind freie Beni Arab. Wer hat euch Gewalt über uns gegeben? Und wer hat dich zum Richter über uns gesetzt? Ich fordere, daß du uns unverweilt die Freiheit wiedergibst!«
»Das kann ich nicht, eben weil nicht ich dein Richter bin. Dein Schicksal steht nicht in unsern Händen, sondern in der Hand des Mudir von Faschodah, dem wir dich morgen oder vielmehr heute übergeben werden.«
»Allah kerihm – Gott ist gnädig!« rief der Schech erschrocken. »Der Mudir ist aber unser Feind.«
»Er wird alle Veranlassung dazu haben, da er der Feind jedes Ungerechten ist. Seiner Hand wirst du nicht entgehen, selbst wenn du eure heilige Fathha und eure Sure Jesin betest. Macht ja keinen Versuch, euch zu entschuldigen oder gar zu rechtfertigen; er würde euch nichts nützen! Es werden weder Drohungen noch Bitten mich abhalten, euch dem Mudir zu überantworten. Er wird unsre Anklage und eure Verteidigung hören und dann sein Urteil sprechen.«
»Bedenkt, daß ihr der Rache des ganzen Stammes Homr verfallt!«
»Ich verachte den Stamm, dessen Schech sich feig verkriecht, wenn der Löwe brüllt, während arme Dschelabi den Mut haben, den ‚Herrn des Donners‘ zu töten.«
»So fürchte wenigstens Abu el Mot, den Gewaltigen!«
»Wie soll ich ihn fürchten, der vor mir davongelaufen ist! Er hat vor lauter Angst sogar vergessen, seine Kamele mitzunehmen. Gib dir keine Mühe!«
Der Schech gab sich noch weitere Mühe, Schwarz zu bewegen, die Gefangenen freizugeben, doch vergeblich. Er wendete sich endlich mit einem grimmigen Fluche ab. Keiner der andern hatte ein Wort gesprochen. Sie sahen die feste Entschlossenheit des Deutschen und fügten sich mit verhaltener Wut in ihre Lage. Jedenfalls hegten sie die Hoffnung, daß Abu el Mot kommen werde, sie zu befreien.
Diese Erwartung schien berechtigt zu sein, denn die ausgestellte Wache kam nach einiger Zeit herbei, um zu melden, daß sie eine Hyäne gesehen habe, welche aber vielleicht ein Mensch gewesen sei. Schwarz machte sich sogleich auf, dem Manne mit dem »Vater der elf Haare« zu folgen. Er führte sie an die betreffende Stelle, an welcher aber nichts mehr zu sehen war.
Schwarz entschloß sich, mit dem Ungar den Felsen in weitem Kreise zu umgehen. Indem sie das thaten, erblickten sie, als sie eine Strecke gegangen waren, wirklich eine tierartige Gestalt, welche sich zwischen ihnen und dem Felsen befand. Sie hatte ihre Aufmerksamkeit wahrscheinlich ganz auf den letzteren gerichtet und sah die beiden nicht, welche hinter ihr standen.
»Soll ich diese neugierige Dibb erschießen?« fragte Stephan, indem er das Gewehr erhob.
»Nein, denn es scheint auch mir, daß es ein Mensch ist, der auf Händen und Füßen geht, um einen etwaigen Wächter zu täuschen. Kriechen wir auf die Gestalt zu! Sie bewegt sich langsam nach der Ruine hin. Vielleicht blickt sie sich nicht um, bis wir nahe genug sind, sie zu ergreifen. Wäre es eine Hyäne, so würde sie uns schon gewittert haben.«
Sie legten sich auf die Erde, und da sie sich schneller als die geheimnisvolle Gestalt bewegten, so kamen sie ihr rasch näher. Es war ein Mensch, jedenfalls zu der Gum gehörig, welcher den lichten Haïk abgelegt hatte. Er ahnte keine Gefahr hinter sich und achtete nur auf den Felsen, den er zu gewinnen trachtete.
Die beiden kamen ihm bis auf zehn oder zwölf Schritte nahe. Da erhob sich der Ungar, sprang auf ihn zu und warf sich mit solcher Gewalt auf ihn, daß er über ihn hinwegstürzte und im Festhalten einen ganz regelrechten Purzelbaum schlug. Der Mann riß sich los, sprang auf, um zu entfliehen, lief aber dem Deutschen in die Hände, der ihn packte und ihm die Ellbogen rückwärts auf den Rücken zog.
»Eine Schnur zum Binden!« rief Schwarz dem Kleinen zu.
»Ich habe keine mehr,« antwortete derselbe, indem er aufstand.
»So zieh mir das Mendil aus der Tasche!«
Dies geschah. Der Mann versuchte zwar, sich zu wehren, aber das hatte bei der Riesenstärke des Deutschen keinen Erfolg. Er wurde an den Armen gebunden; die Beine ließ man ihm frei, da er nach dem Lager zu gehen hatte.
»Wer sendet dich?« fragte ihn Schwarz. Als er keine Antwort erhielt, setzte er ihm den Revolver an das Ohr und drohte: »Rede, oder ich schieße!«
»Abu el Mot,« stieß nun der Mann widerwillig hervor.
»Du solltest unser Lager auskundschaften?«
»Ja.«
»Wo befindet sich der Rest der Gum? Sage die Wahrheit, sonst ist es doch um dich geschehen! Ich werde mich überzeugen.«
»Südwärts von hier.«
»Wie weit?«
»Zehn Flintenschüsse.«
»Gut, vorwärts!«
Man kann sich die Wut der Homr denken, als sie den neuen Gefangenen erblickten. Ihre Hoffnung auf Rettung mußte bis auf ein Minimum verschwinden. Der Mann wurde gleichfalls an den Füßen gebunden und zu den andern gelegt.
Schwarz gab einen Schuß ab, den Abu el Mot gewiß hören mußte. Derselbe sollte denken, daß die Kugel seinem Späher gegolten habe. Dann brach er mit Hadschi Ali und dem Ungar, welche er für die Mutigsten hielt, auf, um nach der Gum zu suchen. Der »Vater des Gelächters« lieh sich dazu das Gewehr eines seiner Genossen.
Als sie, stracks nach Süden gehend, die angegebene Entfernung zurückgelegt und noch nichts gesehen hatten, schlugen sie einen rechten Winkel, und bald zeigte es sich, daß sie das Richtige getroffen hatten, denn während sie ohne Burnus gingen und also nur schwer gesehen werden konnten, sahen sie bald die Haïks der Araber schimmern.
Sie näherten sich denselben so viel wie möglich und schossen dann ihre Gewehre ab, weniger um sie zu treffen, als vielmehr, um sie in die Flucht zu jagen, was ihnen auch vollständig gelang.
»So! Die kommen nun nicht wieder!« lachte der Slowak.
»Und senden auch keinen Späher wieder aus,« stimmte Hadschi Ali bei, »denn wir würden denselben gewiß auch fangen. Allah ist uns gnädig gewesen, und wir haben über einen gefährlichen Feind gesiegt.«
»Du aber nicht, denn du hättest fast unsern besten Freund erschlagen,« antwortete der Ungar. »Auf dich werden keine Heldenlieder gedichtet.«
»Etwa auf dich, du Vater des größten Löwenmaules? Kennst du von all meinen Völkern und Dörfern nur ein einziges beim Namen?«
»Ich mag diese Namen gar nicht wissen, da sie die Augen so sehr trüben, daß man diesen Effendi für einen Räuber hält. Du hast noch niemals einen so großen Beweis deiner Klugheit gegeben wie vorhin, da du ihn fast erschlugst.«
»Haltet Frieden!« gebot der vor ihnen her schreitende Deutsche. »Auch du, Ibn el Dschidri, hast eine große Dummheit begangen.«
»Ich?« fragte der Slowak verwundert.
»Ja. Ihr habt nichts voreinander voraus.«
»Welche Dummheit sollte das gewesen sein?«
»Ich wollte Abu el Mot ergreifen; aber dadurch, daß du nicht auf meinen Befehl wartetest, sondern zu zeitig losbrachest, hast du es unmöglich gemacht. Du hättest die Leute noch einige Schritte weitergehen lassen sollen.«
»Mein Mut war zu groß, Effendi. Er ließ sich nicht mehr zügeln!«
»Nur derjenige Mut ist lobenswert, welcher sich mit Klugheit und Überlegung paart. Der Fehler Hadschi Alis hat nur mich getroffen, der deinige aber wird weit mehr Menschen schädigen. Viele Reisende und Hunderte von Sklaven werden deine Übereilung zu büßen haben. Hätte ich diesen Abu el Mot in meine Hände gebracht, so stand mit Gewißheit zu erwarten, daß der Mudir von Faschodah ihn für immer unschädlich machen werde.«
»Das ist freilich wahr, Effendi,« gestand der Kleine. »Meine Seele ist von Wehmut erfüllt und mein Herz von Reue über meine Ungeduld. Doch hoffe ich, daß du sie mir verzeihen werdest!«
»Das werde ich. Dafür erwarte ich aber, daß du nicht andern dann Vorwürfe machst, wenn du selbst welche verdienst.«
»O, diese Vorwürfe haben nicht viel zu bedeuten. Hadschi Ali ist mein bester Freund. Wir lieben uns innig; aber diese Liebe ist gerade dann am größten, wenn wir uns zanken und einander ärgern. Nicht wahr, du guter Vater des Gelächters?«
»Ja,« bestätigte Ali in vollstem Ernste, wobei er jedoch eine höchst lächerliche Grimasse zog. »Allah hat unsre Herzen verbunden, so daß sie wie ein einziges schlagen. Aber unsre Kenntnisse sind zu verschiedener Natur. Es gelingt uns nie, sie zu vereinigen. Bitten wir den Propheten, daß er es bald verbessere!«
Als die drei beim Lagerplatze erschienen, mußte den Gefangenen der letzte Rest ihrer Hoffnung auf Befreiung schwinden. Sie hatten die Schüsse gehört, und da sie den Deutschen mit seinen Begleitern so ruhig und unverletzt zurückkehren sahen, mußten sie dieselben für die Sieger in dem stattgefundenen Gefechte halten.
Schwarz stellte noch eine zweite Wache aus, obgleich er überzeugt war, daß Abu el Mot seinen Versuch nicht wiederholen werde. Die beiden Wachen hatten kein Opfer zu bringen, da nach der großen Aufregung, welche der Angriff erst der Löwen und dann der Gum hervorgerufen hatte, vom Schlafe gar keine Rede sein konnte. Übrigens war der Morgen nicht mehr fern, und man nahm sich vor, ihn unter Gesprächen und Erzählungen zu erwarten.
Da die Gefangenen nicht zu hören brauchten, was von ihnen gesprochen wurde, so schaffte man sie zur Seite, wo sie lautlos lagen wie bisher. Nur der Verwundete ließ zuweilen ein schmerzliches Stöhnen hören und dann sorgte Schwarz stets dafür, daß ihm das Bein mit Wasser gekühlt wurde.
Bei einer solchen Gelegenheit konnte der »Vater der vordern Löwenhälfte« es nicht unterlassen, dem Gelehrten einen neuen Beweis von der Größe seiner Kenntnisse zu geben, indem er in deutscher Sprache erzählte, und zwar auf die Verletzung des Gefangenen anspielend:
»So ein Bruch, beiniger, seinte gar nicht schlimm. Er wernte geheilt in Zeit, sehr kurze. Auch ich hab‘ schon einmal heilte einen solchente.«
»So? Wer war der Patient?« fragte Schwarz.
»Das seinte freilich kein Geschöpf, menschliches, sondern nur ein Kranker, voglicher, gewesente. Herrrr Wagner hatt geschießte ein Abu miah, hatt gelahmte Flügel, und Schroot gingte auch in Bein, linkiges, so daß Bein war vorzwei. Hab ich genommte Storch, verwundeten, gebundelnte fest mit Schnur, damit er sich nicht können bewegente, und ihm dann machte Schiene an Bein, mitleidiges. Dann hatt Storch immer stehente auf Bein andres, bis seinte geheilt Bein, trauriges. Herrrr Wagner hatte mich lobente dafür sehr und mich genannt einen Dramaturg, großartigen.«
»Wohl Chirurg?«
»Nein, Dramaturg!«
»Dann befinde ich mich im Irrtume. Was ist ein Dramaturg?«
»Das Wort ist aus Sprache, lateiniger, in der ich seinte Meister, unbestreitlichbarer, und heißt soviel wie ein Arzt, studiumtierter, welcher kann wieder machte zusammen alle Brüche, knochige.«
»So! Und was ist ein Chirurg?«
»Unter Chirurg verstehente man Leute, künstlerige, welche hatten gespielt und gesungte ‚Preziosa dir, dir folgen wir‘ oder auch ‚Leise, leise, frommte Weise, schwingte auf zum Sterntekreise‘. Wird geblaste Musik dazu und gegeigte Violin.«
»Und das thun wirklich die Chirurgen?«
»Ja. Ich selbst hatt es gesehen im Theater, Olmütziges, auf Wanderschaft, meiniger. Es seinte gewesen die Opern Preziosa, das Mädchen, zigeuneriges, und Freischütz oder Samiel, teuflischer.«
»Dann habe ich abermals eine Verwechselung zu konstatieren. Chirurg ist der Arzt dann, wenn er äußere Schäden, also auch Beinbrüche, durch äußere Mittel heilt. Ein Dramaturg aber ist ein Gelehrter, dessen Arbeiten sich zwar auf das Theater beziehen, der aber niemals selbst auftritt, wenigstens nicht in seiner Eigenschaft als Dramaturg; er ist Schauspiellehrer. Sie verwechseln die Bühne mit dem Krankenbette.«
»Das seinte doch kein Umtausch, irriger! Warum soll Bett, krankes, nicht auch vorkommte einmal auf Bühne, theateriger? Warum soll stets ich es sein geweste, welcher hatt gemacht Verwechstelung? Ich hab tragte im Kopf sehr viel Bildung, kenntnisserige!«
»Ja, wie der ‚Vater des Gelächters‘ seine Länder, Völker, Städte und Dörfer!«
»O nein! Dummheiten, seinige, sind nicht zu vergleichte mit Kenntnis meiniger. Ich habe auf Reisen, vielfältigen, sogar kennen lernte Nautik und Anthropologie.«
»So! Wirklich? Was verstehen Sie denn da unter Anthropologie?«
»Das seinte die Lehre von Meerwasser, salziges, und Schiffahrt, gesegelte und gedampfte.«
»Schön! Und was ist Nautik?«
»Nautik sein gewesente stets die Kenntnis von Mensch, zahmer und wilder, von Eskimo, thrangetrunkener, und Neger, menschengefressener.«
»Das ist schon wieder ein Versehen. Anthropologie ist Menschenkunde, und Nautik heißt Schiffahrtskunde.«
»So hab ich mich beschuldigente nur einer Umgetauschterung, kleiner und verzeihlicher. Das hat konnte leicht geschehente, weil Anthropologie also fährt auf Nautik, in Kajüte oder Zwischendeck, schiffiges. Sind gefahrte Sie schon auch auf Nilschiff, hiesigem?«
»Ja, sowohl auf Dahabiën als auch auf Sandals.«
»Aber wohl noch nicht auf Noqer, hier gebräuchlichter?«
»Nein.«
»So werdente Sie sehen Noqer in Faschodah, sobald wir seinte morgen dort ankommen.«
»Sind Sie dort bekannt?«
»Sehrrer, außerordlichente sehrrer! Ich bin gewesente dort schon oft!«
»Haben Sie den Mudir gesehen, dem ich mich vorstellen muß, und dem wir die Gefangenen übergeben wollen?«
»Ich hab begegente ihm auf Straße, öffentlicher. Sein Name seinte Ali Effendi, wird aber sehr oft auch Abu hamsah miah genennte.«
»Das habe ich gehört. Der frühere Mudir Ali Effendi el Kurdi wurde abgesetzt, weil er sich Unterschlagungen zu schulden kommen ließ. Der neue Mudir, welcher auch Ali Effendi heißt, soll sehr streng sein, besonders in Beziehung des Sklavenhandels. Sein Urteil soll, sobald er einen Schuldigen erwischt, fast stets auf fünfhundert Hiebe lauten, weshalb er gern der ‚Vater der Fünfhundert‘ genannt wird.«
»Ja. Wenn morgen wir übergebten ihm die Gum und die Homr, so erhaltente gewiß jeder von ihnen die Fünfhundert, gepfeffertige und gesalztigente.«
»Kann denn ein Mensch so viele Streiche auf die Fußsohlen aushalten?«
»Das kann ich nicht gewüßte, weil ich noch nicht hatt bekommte fünfhundert. Aber wenn sie werden gegebt auf Rücken, entblößigten, so muß sicher sterben Verbrecher, kriminellter. Aber horch! Was seinte das? Hat es nicht raschelte in Busch?«
Schwarz hatte es auch gehört. Er forderte die Dschelabi, welche auch laut miteinander sprachen, auf, zu horchen. Bei der nun eingetretenen Stille vernahm man ein ziemlich starkes Schnaufen und Schnobern, wie wenn ein Tier sich auf der Fährte nicht zurechtfinden kann.
»Allah beschütze uns!« schrie der Schech. »Das ist wieder ein Löwe! Er wird uns fressen, da wir nicht fliehen können, weil wir gebunden sind.«
»Schweig!« rief ihm der »Vater der elf Haare« zu. »Es ist höchstens ein junger Löwe. Ein alter wäre längst schon zwischen uns. Dieses junge Tier aber hat eine ungeübte Nase und wird, sobald es uns erblickt, es gar nicht wagen, zu uns zu kommen.«
»Ein Junges?« fragte Schwarz. »Das möchte ich fangen!«
»Wenn du es haben willst, so wollen wir versuchen, es in unsre Hände zu bekommen. Aber wir müssen dennoch vorsichtig sein, denn wir wissen nicht, wie alt es ist. Vielleicht ist es nur eine Hyäne, welche den Geruch des frischen Löwenfleisches wittert.«
»Ich werde nachsehen.«
Er nahm sein Gewehr und verließ das Feuer. Noch aber hatte er den Lichtkreis desselben nicht überschritten, so kam das Tier um die Ecke des Gebüsches. Es hatte ungefähr die Größe eines tüchtigen Pudelhundes, war also schon im stande, sich nachdrücklich zu wehren. Es floh nicht etwa, als es den Deutschen erblickte, sondern es legte sich glatt auf die Erde nieder und fauchte ihn wütend an, ohne aber zu wagen, auf ihn einzuspringen.
»Da ist das Tier!« rief Schwarz. »Decken her, schnell mehrere Decken her!«
Hadschi Ali und der Slowak, die beiden Einzigen, welche sich nicht fürchteten, folgten diesem Rufe möglichst schnell. Das Tier war schon zu groß zur feigen Flucht, wagte aber doch den Angriff nicht. Also blieb es liegen, indem es die glühenden Augen auf Schwarz gerichtet hielt. Diesem wäre es leicht gewesen, es durch eine Kugel zu töten, aber er wollte es lebendig haben. Er langte hinter sich, um die beiden Decken in Empfang zu nehmen, welche die Genannten brachten. Sie bestanden aus starkem, kamelhaarenem Stoffe, welcher, doppelt genommen, den Krallen und Zähnen des Tieres für kurze Zeit widerstehen konnte. Schwarz legte, die Augen unausgesetzt auf den Löwen gerichtet, die Decken aneinander, spannte sie aus und warf sie auf den jungen »Herrn mit dem dicken Kopfe«.
Dieser hatte keine Bewegung der Abwehr gemacht. Die plötzliche Verhüllung schien ihn zu erschrecken, denn er zögerte, sich zu befreien. Dadurch gewann Schwarz Zeit, sich auf ihn zu werfen und ihn mit dem Gewichte seines Körpers niederzuhalten.
Leicht wurde ihm das freilich nicht. Der Löwe entwickelte eine Muskelstärke, welche seiner Jugend kaum zugetraut werden konnte. Es gelang ihm wiederholt, sich halb aufzurichten, doch Schwarz drückte ihn wieder nieder, eifrig bemüht, dem Kopfe und den Tatzen auszuweichen.
»Stricke her, Stricke!« rief er den beiden Genossen zu.
Man hatte vieler Schnüren und Riemen bedurft, die Gefangenen zu fesseln; glücklicherweise aber ist jede Karawane stets reichlich mit Stricken und dergleichen versehen. Das Verlangte wurde rasch herbeigebracht, und es gelang den vereinten und natürlich sehr vorsichtigen Bemühungen der drei Männer, das sich aus allen Kräften sträubende Tier vollständig einzuwickeln und so fest mit den Stricken zu umwinden, daß es sich nicht mehr regen konnte.
»Hamdulillah – Preis sei Gott!« rief Hadschi Ali. »Wir haben den Würger der Herden nebst seiner Frau erschossen und nun auch seinen Sohn besiegt. Da liegt er in schmachvoller Ohnmacht; er kann nur knurren, aber nicht sich retten. Aaïb aaleïhu – Schande über ihn!«
»Allah sei Dank!« seufzte der Schech erleichtert auf. »Wir sind gerettet. Er ist gebunden und kann uns nun nicht fressen!«
»Dir wäre besser, er hätte dich verschlungen,« antwortete ihm der Ungar, »denn morgen überantworten wir dich dem Mudir, der dir fünfhundert geben lassen wird. Dann wirst du einsehen, daß die Zähne des Löwen gnädiger sind als die Peitsche der Gerechtigkeit.«
»Ich bin ein freier Ibn el Arab! Wer darf mich schlagen?« widersprach der Homr.
»Wie nennst du dich? Frei? Siehst und fühlst du denn nicht, daß du gefangen bist? Wer könnte uns hindern, dir so viele Schläge zu geben, wie uns beliebt? Du hättest es verdient; aber wir sind zu stolz, es zu thun. Doch morgen wird die Peitsche sich mit deiner Haut unterreden, bis du wünschen wirst, von dem Löwen zerrissen worden zu sein.«
Das gefangene Tier wurde am Feuer niedergelegt, wo es am besten bewacht werden konnte. Es lag wie tot und gab keinen Laut von sich.
»Der Löwe seinte Ihr Eigentum,« sagte der Slowak zu Schwarz. »Zwar hatten wir geholfte, aber Sie seinte es, der ihn vorrrrher gefangte hatt. Was werden Sie mit ihm machte?«
»Ich will meine Sammlungen von Faschodah aus nach Chartum senden, wo ich einen Freund habe, welcher sie nach der Heimat expediert. Ihm werde ich auch den Löwen schicken. Vielleicht gelingt es, ihn lebendig nach Deutschland zu bringen.«
»Dort wird er wohl kommte in eine Menagerie, botanische?«
»Nein, sondern in eine Menagerie, zoologische,« lachte Schwarz.
»So seinte Zoologie wohl in Menagerie und Botanik nur in Löwenhaus, tiergartentliches?«
»Auch das Löwenhaus dient zoologischen Zwecken, mein lieber Stephan. Da Ihr Name Stephan Pudel ein zoologischer ist, sollten Sie sich einer solchen Verwechselung doch nicht schuldig machen!«
»Gibt es nicht auch Pudel, botanische?«
»Ja, aber die werden nur von Ihnen geschossen, wie es scheint. Sie haben sogar schon astronomische Pudel geschossen, wie ich mich entsinne. Sehen Sie gen Himmel! Ihre Straße, milchigte, beginnt zu erbleichen und die Sterne des Schlangenträgers verschwinden am Horizonte. Da wir im Monate März stehen, ist dies ein Zeichen, daß der Morgen sich naht. Wir können bald das Feuer ausgehen lassen und uns zum Aufbruche rüsten.«
»Das hab‘ ich auch gewüßte, denn ich hatt‘ alle Sternte kennte gelernt. Wie aber wernte wirrrr die Gefangte transportierte?«
»Sehr einfach. Wir binden sie auf die Kamele, deren wir genug haben, da wir fünf erbeuteten.«
»Aber von gefangte Gum sind sechs Männer. Da fehlt ein Kamel, reitendes!«
»So mag der Schech laufen. Er hat es reichlich verdient, daß er sich anstrengen muß.«
Nach einiger Zeit trat die in jenen Gegenden sehr kurze Dämmerung ein; dann wurde es Tag.
Während die Dschelabi den Zug rüsteten, brach Schwarz dem Löwen und der Löwin die Zähne aus, um dieselben als Trophäen mitzunehmen. Dann wurde aufgebrochen.
Die Araber waren wütend darüber, daß es ihnen, da sie gefesselt waren, nicht möglich gewesen war, el Fagr, das Morgengebet, in der vorgeschriebenen Weise abzuhalten. Sie waren gewöhnt, ihre religiösen Obliegenheiten streng zu erfüllen, wegen Raub und Mord aber machten sie sich kein Gewissen. Sie saßen gebunden auf den Kamelen, nur der Schech mußte gehen, was ihn mit ohnmächtiger Wut erfüllte. Dem Verwundeten bereitete der Transport große Schmerzen. Er wimmerte und stöhnte fast ununterbrochen, doch war es unmöglich, ihn in einer weniger schmerzhaften Weise fortzubringen.
Die Gegend war durchweg eben. Je mehr man sich dem Flusse näherte, desto feuchter wurde die Luft und desto dichter hatte sich infolgedessen die Erde mit Gras überzogen. Man näherte sich den Ansiedelungen der Schillukneger, denen man gern ausgewichen wäre, einesteils weil sie als Diebe und Räuber verschrieen sind, und andernteils wegen der Gefangenen, da sie mit den Homr in Blutrache leben. Es stand zu befürchten, daß sie sich derselben mit Gewalt bemächtigen würden, um sie umzubringen. Leider war eine Begegnung mit ihnen nicht ganz zu umgehen, da sie das linke Ufer des Bahr el Abiad von dessen Nebenflusse Keilak bis hinab nach Makhadat el Kelb bewohnen, und zwar in so dicht aneinander liegenden Dörfern, daß die Reihe derselben fast gar keine Unterbrechung erleidet.
Glücklicherweise kannten die Dschelabi die Gegend genau, und der »Vater der elf Haare« versicherte, daß er die Karawane, wenn man ihm folge, zwar nicht unangefochten, aber doch unbeschädigt nach Faschodah bringen werde.
Seiner Weisung zufolge wurde ein Umweg gemacht, um einige dicht bevölkerte Dörfer zu vermeiden. Zur Mittagszeit gönnte man den Tieren und Menschen einige Ruhe. Die ersteren mußten später sehr angestrengt werden, da man, um den Schilluk keine Zeit zu Feindseligkeiten zu lassen, ihr Gebiet in schnellster Gangart zu durchqueren hatte. Erst nach dem Asr wurde wieder aufgebrochen.
Schon nach nicht ganz einer Stunde sah man hinter Durrhafeldern, welche jetzt während der heißen Jahreszeit unbebaut lagen, die Tokuls eines Dorfes liegen.
»Wir sind glücklich bis hierher gekommen und noch keinem Schilluk begegnet,« sagte der Ungar in stolzem Tone. »Bin ich nicht ein vortrefflicher Führer gewesen? Das Dorf, welches hier vor uns liegt, ist das einzige, durch welches wir müssen; dann sind wir bald in Faschodah. Geben wir den Tieren die Peitschen. Sie müssen so schnell wie möglich laufen, damit uns niemand anhalten kann. Wer sich uns in den Weg stellt, wird niedergeritten.«
Die Kamele und Esel gingen einzeln hintereinander. Der Slowak ritt voran. Er ließ seinen Esel im Schritte gehen; aber als er dem Dorfe nahe kam und die ersten Bewohner desselben erblickte, schlug er so auf sein Tierchen ein, daß dasselbe im Galopp davonflog. Die andern folgten. Der Schech war mit einem Stricke lang an den Sattel desjenigen Kameles gebunden, welches Schwarz ritt. Er mußte nicht laufen, sondern förmlich rennen, um nicht umgerissen und fortgeschleift zu werden, eine entsetzliche Schande für ihn, den Schech eines Stammes, dessen Angehörige es für eine Schmach halten, sich außerhalb ihrer Dörfer anders als nur im Sattel zu zeigen.
Die Tokuls lagen ziemlich weit auseinander. Sie waren meist von runder Bauart und aus Holz und Stroh errichtet; Nilschlamm bildete das Bindemittel. Die Dächer bestanden aus Schilf und Stroh und waren mit den Skeletten von Giraffen und Buckelochsen verziert.
Von einer Gasse oder gar Straße war keine Rede. Zwischen den Hütten lagen die Durrhafelder, jetzt dürr und hart; sie bildeten den Weg, den der kleine Führer einschlug, indem er im Galopp von einer Hütte immer um die andre bog. Er schien oft hier gewesen zu sein und die Tokuls so genau zu kennen, als ob er hier geboren sei.
Die ersten Schilluks, an denen man vorbeikam, sahen mit Staunen die Karawane so schnell an sich vorüberfliegen. Es waren schlanke, dunkelschwarze Leute mit schmalen, gar nicht negerartigen Lippen. Sie trugen keine Spur von Kleidung. Die einzige Toilette, die an ihnen zu bemerken war, erstreckte sich auf die sonderbare Anordnung ihres Haares.
Die Schilluk beschneiden nämlich ihr Haar nie. Sie lassen es lang wachsen und flechten es rund um den Kopf so geschickt ineinander, daß es die Gestalt eines Kranzes oder einer Hutkrempe erhält. Andre flechten es von hinten aufwärts bis nach vorn an die Stirn zu einem aufrecht stehenden Kamme, welcher mit der Raupe eines bayrischen Reiterhelmes große Ähnlichkeit hat. Viele machen sich aus weißen Federn rings um den Kopf eine Zierde wie einen Heiligenschein.
Einer saß tabakrauchend vor seiner Hütte. Aber was war das für eine Pfeife, deren er sich bediente! Der Kopf derselben war so groß wie ein Kürbis und das kurze Rohr so dick wie das Handgelenk eines Mannes. Da es keine Spitze hatte, so mußte der Schwarze den Mund so weit aufsperren, daß ihm die Augen aus den Höhlen traten. Aber dies erhöht nach der Ansicht der Schilluk den Genuß außerordentlich. Der Tabak wird bei ihnen gedorrt, zu Mehl zerrieben, in einen Teig geknetet und in Brotform aufbewahrt, um dann, mit beliebigen Pflanzenblättern vermischt, aus solchen Riesenpfeifen geraucht zu werden.
Diese Leute hatten die Karawane mit schweigendem Staunen wahrgenommen; aber dann, als sie vorüber war, erhoben sie ein weitschallendes Geschrei. Schwarz verstand die Schilluksprache nicht, er wußte also nicht, was sie schrieen; da aber das Wort Homr mit besonderem Nachdrucke gebrüllt wurde, so konnte er sich denken, daß man die Araber als Feinde erkannt hatte.
Aus den nahe liegenden Tokuls kamen die Männer, Frauen und Kinder gerannt. Das Geschrei wurde auch von ihnen angestimmt und drang schneller weiter, als die Kamele und Esel laufen konnten. Die Folge war, daß der Alarm vor ihnen hereilte. Im Nu befand sich das ganze Dorf in Aufregung, und wohin die fliegende Karawane kam, sah sie drohende Schwarze vor sich, welche aber vor den dahinrasenden Tieren zur Seite springen mußten.
Glücklicherweise sind Bogen und Pfeil den Schilluk unbekannt; sie führen nur Lanze und Keule; einige wenige haben alte Feuerwaffen. Daher kam es, daß sie ihre Waffen zwar drohend schwangen, aber nicht in Anwendung brachten.
Bald lag das Dorf hinter den Reitern, und der Slowak hielt seinen Esel an.
»Das ist geglückt!« rief er aus. »Sie haben uns nicht anhalten können, und da vorn seht ihr Faschodah.«
Schwarz sah in kurzer Entfernung vor sich den Ort liegen, welcher aus armseligen Hütten bestand, über denen sich die von Mauern umgebenen Regierungsgebäude erhoben. Der Schech war vollständig außer Atem. Er schnappte nach Luft und sein Gesicht war dunkelrot angeschwollen. Dennoch mußte er mit weiter, wenn auch nun langsameren Schrittes.
Zufälligerweise befand zwischen der Stadt und dem Dorfe sich niemand unterwegs, so daß man wenigstens für jetzt keine Belästigung zu erwarten hatte.
»Wo wirst du mit den andern Dschelabi wohnen?« fragte Schwarz den Ungar.
»Jeder von uns hat einen Bekannten im Orte, der ihn gern aufnehmen wird,« antwortete der Gefragte. »Aber bei wem wirst du absteigen?«
»Natürlich beim Mudir.«
»Kennt er dich?«
»Nein.«
»So hast du ein Teskireh bei dir?«
»Sogar einen Hattischerif des Vicekönigs und noch andre Empfehlungen.«
»So wirst du freundlich aufgenommen werden und dich um nichts zu sorgen haben. Soll ich dich gleich zum Palaste des Mudirs führen?«
»Ja, denn ich werde die Audienz nicht nur für mich, sondern auch für euch erbitten. Wir wollen ihm die Gefangenen sofort übergeben, und da wird er eure Aussage hören wollen.«
»Allah segne ihre Rücken und Fußsohlen! Die Fünfhundert sind ihnen gewiß.«
Faschodah ist keine Stadt zu nennen, sondern ein elender, wenn auch sehr alter Ort. Es steht an der Stelle der früheren Schillukresidenz Denab, welches als Danupsis, Hauptstadt der nubischen Äthiopen, bereits von Plinius erwähnt wird. Der Ort nimmt sich wegen der Regierungsgebäude von außen nicht übel aus, doch verschwindet dieser Eindruck beim Betreten sofort.
Das Haus des Mudir und die Kaserne sind von Mauern umgeben und aus Ziegeln gebaut. Auf den Mauern stehen einige Kanonen, und des Nachts patrouillieren die Wachtposten, eine gegen die stets rebellischen Schilluk gerichtete, gar nicht überflüssige Maßregel.
Um diese Gebäude stehen mehrere Häuser und zahlreiche Tokul, welche meist von Soldaten, die mit ihren Familien in der Kaserne keinen Platz haben, bewohnt werden. Faschodah hat nämlich eine ungefähr tausend Köpfe zählende Besatzung. Dieselbe besteht aus einer Anzahl von Arnauten, dann aber aus lauter Gehadiah, die ein höchst liederliches Leben führen, aber dennoch leichter zu disziplinieren sind als die Dongolaner, Berberiner, Scheiqieh und Ägypter, aus welchen die sonstige sudanesische Soldateska sonst besteht.
Außer den angegebenen Gebäuden sieht man nur liederlich gebaute Hütten, halbverfallene Baracken, Erdlöcher, übelriechende Lachen und ganze Berge von Unrat, welche die Luft verpesten. Rechnet man dazu, daß der eine Flußarm außerhalb der Regenzeit versumpft und daß der Uferdamm aus Pflöcken besteht, zwischen denen man Erde, Gras und Mist angehäuft hat, so läßt es sich sehr leicht erklären, warum das Klima des Ortes ein höchst ungesundes ist, und warum die nach hier verbannten Verbrecher zwar nicht zum Tode verurteilt, aber demselben doch geweiht sind. Faschodah ist nämlich Verbannungsort.
Außerhalb desselben gibt es einige wenige Gartenanlagen, in denen man Rettiche, Zwiebeln, Knoblauch, Melonen, Gurken, Kürbisse und das hier gebräuchliche Grünzeug baut.
Einen Bazar gibt es freilich da, aber was für einen! Zwei oder drei Griechen oder Ägypter treiben einen kleinen Handel. Sonst sind die Bewohner auf die umher ziehenden Dschelabi angewiesen.
Es wohnen auch Schillukneger in dem Orte. Als diese die Karawane zu Gesicht bekamen, erhoben sie ein eben solches Geschrei wie die ihnen stammesverwandten Dorfbewohner. Sie wagten unter den Kanonen der »Festung« und den Augen des Mudir zwar keine Feindseligkeiten, aber sie liefen drohend und schimpfend hinter dem Zuge her. Ihr Gebrüll machte, daß sich ihnen andre und wieder andre anschlossen, so daß die Begleitung der Reiter, als diese am Thore der Befestigung anlangten, aus mehreren hundert lärmenden Menschen bestand.
Eine unter dem Thore stehende Wache fragte nach dem Begehr der Ankömmlinge. Schwarz antwortete, daß er sich im Besitze eines Hattischerif befinde und den Mudir sprechen wolle. Der Posten schloß das Thor, um sich zu entfernen und Meldung zu machen.
Es dauerte eine ganze Weile, bis er mit einem Onbaschi zurückkehrte, welcher dieselbe Frage aussprach und dann davonging, um einen Buluk Emini zu holen, der ganz dasselbe wissen wollte und nach empfangener Antwort einen Tschausch suchte, welcher die Frage wiederholte und dann nach einem Basch Tschausch eilte, der sich nach ganz demselben Gegenstande erkundigte, worauf er auch hinter dem Thore verschwand, um die wichtige Angelegenheit einem Mülasim mitzuteilen. Dieser eilte zu seinem Jüsbaschi, welcher, nachdem er Schwarz gefragt hatte, was er wolle, einen Kol Agassi schickte. Dieser endlich ließ die Wartenden in den Hof.
Darüber war fast eine Stunde vergangen, während welcher die schreiende Menge sich verdreifacht und das Gebrüll sich verzehnfacht hatte.
Nun stiegen die Reiter ab. Waren sie aber der Meinung gewesen, daß sie nun zum Mudir geführt würden, so hatten sie sich geirrt. Der Adjutant holte vielmehr einen Alai Emini, dieser einen Bimbaschi, der wieder einen Kamaikam und dieser dann einen Mir Alai herbei, welch letzterer endlich die richtige Person zu sein schien, denn er forderte dem Deutschen seine Papiere ab und entfernte sich mit denselben. Nach ungefähr zehn Minuten kehrte er zurück. Diesmal war er bemüht, die größte Höflichkeit zu zeigen. Er lud Schwarz mit einer tiefen Verbeugung ein, ihm zu folgen und führte ihn nach dem Hause des Mudir.
Der Mudir kam seinem Gaste an der Thür entgegen, kreuzte die Hände über der Brust, und begrüßte ihn mit einem ausführlichen »Salam aleïk«, welches Schwarz mit »W‘aleïk issalam« erwiderte. Für den letzteren war der Gruß des Mudir eine Ehrenerweisung, da der strenge Moslem einem Christen gegenüber nur das erste Wort des Grußes, Salam, gebraucht.
Der Mudir führte ihn, was eine noch viel größere Auszeichnung war, selbst nach dem Salamlik, wo er ihn bat, auf einem Diwan von ihm gegenüber Platz zu nehmen. Gesprochen wurde noch nicht, sondern der Beamte klatschte in die Hände, worauf einige junge Neger erschienen. Der erste trug ein Seniëh, ein sechs Zoll hohes Tischchen mit polierter Kupferplatte, welches er zwischen die beiden Herren stellte. Der zweite gab die Fenagin herum, schüttete gestoßenen Kaffee hinein und goß kochendes Wasser darauf. Als die Herren den Kaffee getrunken hatten, brachte der dritte Pfeifen, welche bereits gestopft waren, und der vierte reichte glühende Kohlen dar, die Pfeifen anzustecken. Dann zogen sich die Schwarzen schweigend zurück.
Der Mudir rauchte aus einem gewöhnlichen Tschibuk; Schwarz aber hatte einen sehr kostbaren erhalten. Das Rohr desselben war von echtem Rosenholze, mit Golddraht umwunden, und mit Perlen und Brillanten ausgelegt. Die Spitze bestand aus einem großen, herrlichen Stücke rauchigen Bernsteines, welchen die Orientalen dem durchsichtigen vorziehen.
Je höher der Gast geehrt wird, desto kostbarer die Pfeife, welche man ihm präsentiert. Von diesem Standpunkte aus betrachtet, konnte der Deutsche mit der ihm gezollten Hochachtung zufrieden sein.
Nun erst, da die Pfeifen brannten, war der Augenblick des Sprechens gekommen. Der Mudir nahm die Legitimationen des Deutschen, welche neben ihm auf dem Diwan lagen, gab sie ihm zurück und sagte:
»Du stehst unter dem Schutze des Khedive, dessen Wille uns erleuchtet. Ich habe deinen Namen gelesen und weiß nun, daß du derjenige bist, den ich erwartet habe.«
»Du wußtest, daß ich kommen würde?« fragte Schwarz.
»Ja. Mumtas Pascha, der Gouverneur, mein Vorgesetzter, welchen Allah segnen wolle, hat es mir geschrieben. Er hat dich in Chartum kennen gelernt und lieb gewonnen. Du bist mir von ihm sehr empfohlen worden, und ich harre deiner Wünsche, um sie dir zu erfüllen, soviel es mir möglich ist. Auch wartet bereits ein Bote auf dich, der dir einen Brief zu überbringen hat.«
»Von wem?«
»Von deinem Bruder, welcher im Lande der Niam-niam verweilt, und dich dort erwartet.«
»So ist er schon dort?« rief Schwarz schnell und erfreut. »Er ist von Sansibar nach Westen vor gedrungen, während ich von Kairo aus nach dem Süden ging. Bei den Niam-niam wollten wir uns treffen. Er versprach mir, als wir uns trennten, mir sofort, wenn er sich am Ziele befinde, Nachricht nach Faschodah zu senden. Und ich kam heute meist aus dem Grunde hierher, nachzufragen, ob ein Bote von ihm angekommen sei.«
»Er ist da und hat einen langen, langen Brief für dich. Er ist ein sehr junger, aber auch sehr kluger Mensch. Allah hat ihn mit einem schärferen Verstande ausgestattet, als Tausende von Männern in hohem Alter besitzen. Er wohnt seit mehreren Tagen bei mir, um dich zu erwarten. Du kommst nicht direkt von Chartum?«
»Nein. Ich ging von dort aus nach Kordofan und Darfur, um die Menschen, Tiere und Pflanzen dieser Länder kennen zu lernen. Ich habe eine Sammlung angelegt, welche mehrere Kamellasten beträgt, und will sie von hier nach Chartum senden.«
»Übergib sie mir; ich werde sie sicher dorthin bringen lassen. Aber du und dein Bruder, ihr müßt sehr kühne Leute sein. Hast du nicht gewußt, daß dein Leben in Kordofan, und ganz besonders in Darfur, in steter Gefahr schwebte?«
»Ich wußte es; aber die Liebe zur Wissenschaft war größer als die Furcht.«
»So hat Allah seine Hand über dich gehalten. Ihr Christen seid furchtlose, aber unbegreifliche Leute. Ein Moslem dankt Allah für sein Dasein und bringt es nicht wegen einiger Gewächse oder Käfer in Gefahr. Du scheinst bösen Leuten gar nicht begegnet zu sein?«
»O doch; aber ich weiß, wie man solche Menschen zu behandeln hat. Der letzten und wohl größten Gefahr entging ich gestern abend, als ich ermordet werden sollte.«
»Gestern abend?« fuhr der Mudir auf. »Von wem? Wer hat es gewagt, dir nur ein Haar krümmen zu wollen? Zu dieser Zeit hast du dich doch schon im Bereiche meiner Macht befunden!«
»Es war am Brunnen des Löwen.«
»Dieser Ort gehört zu meiner Mudiriëh. Wer ist‘s, über den du dich zu beklagen hast? Nenne ihn mir, und ich werde ihn finden, wohin er sich auch verkrochen hat!«
»Es sind die Arab el Homr, welche ich gemietet hatte, mich nach hier zu begleiten.«
»Die Homr stehen nicht unter mir. Ich kann sie nur dann bestrafen, wenn sie sich innerhalb meiner Grenzen befinden.«
»Sie sind hier, unten im Hofe, gefesselt. Ich habe sie als Gefangene mitgebracht, um sie dir zu übergeben.«
»Wie? Du hast sie mit? Sind sie mit dir gegangen, nachdem sie dich ermorden wollten? Wie ist das zu glauben? Sie mußten doch wissen, was hier ihrer harrt?«
»Ich habe sie gezwungen.«
»So erzähle, erzähle!«
Er war ganz in Feuer geraten. Er war Beherrscher einer Gegend, wo es eines kräftigen Armes und einer ungewöhnlichen Energie bedurfte, den Ehrlichen gegen den Unehrlichen in Schutz zu nehmen. Beides besaß er in hohem Grade.
Schwarz erzählte das gestrige Erlebnis, auch den Kampf mit den Löwen. Der Mudir hörte ihm mit gespannter Aufmerksamkeit zu und sprang, als der Bericht zu Ende war, von seinem Sitze auf. Die Pfeife, die ihm längst ausgegangen war, von sich werfend, rief er aus:
»Zwei Löwen hast du getötet und ihr Junges gefangen genommen! Du bist ein Held, ein wirklicher Held! Und doch haben diese Hunde es gewagt, sich an dir vergreifen zu wollen! Sie werden zu mir und Allah um Gnade schreien, aber weder er noch ich werden sich ihrer erbarmen. Und diesen Abu el Mot hast du genannt? Kennst du ihn?«
»Nein, doch habe ich gehört, daß er ein berüchtigter Sklavenjäger ist.«
»Das ist er, der schlimmste von allen. Wehe ihm, wenn er in meine Hände fällt! Warum hat dieser ‚Vater des Gelächters‘ dich verhindert, ihn zu ergreifen! Nun muß ich für lange Zeit darauf verzichten, ihn zu erwischen; denn er wird nach der fernen Seribah Omm et Timsah gehen, und erst nach vielen Monaten zurückkehren.«
»Weißt du, wo diese Seribah liegt?«
»Ja, denn sie ist durch ihre Schandthaten berühmt geworden. Sie liegt weit von hier im Süden, im Lande der Niamniam.«
»Was?« horchte Schwarz erschrocken auf. »Wo mein Bruder sich befindet?«
»Ob er sich gerade in diesem Teile des Landes, welches groß ist, befindet, weiß ich nicht. Sie liegt im Gebiete des Makrakastammes.«
»Dieser Stamm ist mir unbekannt.«
»Der Bote, den dein Bruder gesandt hat, gehört zu demselben.«
»Dann befindet sich mein Bruder dort. Es wird sich auf ihn doch nicht etwa die Drohung beziehen, welche ich aus dem Munde des Abu el Mot hörte? Er hat erfahren, daß sich zwei Europäer dort befinden, welche auch Pflanzen und Tiere sammeln, und will sie ermorden.«
»Hat dein Bruder einen Begleiter mit?«
»Nein. Soviel ich weiß, ist er allein.«
»So kann er nicht gemeint sein. Du darfst also ruhig sein. Wir sprechen später darüber, und der Bote wird dir sichere Nachricht geben. Jetzt aber wollen wir Gericht halten über diese Homr. Ich werde erst die Dschelabi und dann sie vernehmen.«
Er klatschte in die Hände, und als darauf ein schwarzer Diener erschien, gab er ihm einige Befehle. Schon nach kurzer Zeit erschienen mehrere Offiziere, welche als Beisitzer des Gerichts still zu beiden Seiten des Mudirs Platz nahmen. Dann wurden die Dschelabi hereingeführt. Sie mußten kurz erzählen, was geschehen war und traten dann zur Seite. Ihre Aussage stimmte natürlich mit derjenigen des Deutschen genau überein.
Die Homr waren unter militärischer Bedeckung im Hofe zurückgeblieben. Nachdem man ihnen dort die Fußfesseln abgenommen hatte, brachte man sie jetzt herbei. Sogar der Verwundete wurde hereingetragen und bei ihnen niedergelegt. Hinter ihnen stellten sich mehrere Kawassen auf, welche mit Kurbatschen versehen waren.
Die Homr hatten unterlassen, den Mudir zu grüßen, und zwar nicht etwa aus Befangenheit. Der freie Araber dünkt sich vornehmer und besser als der angesessene; noch stolzer blickt er auf den Ägypter herab, den er den Sklaven des Pascha nennt. Der Schech nahm jedenfalls an, daß er im gleichen Range mit dem Mudir stehe. Vielleicht hielt er es für angemessen, demselben durch Trotz zu imponieren. Er wartete gar nicht ab, bis er angeredet wurde, sondern er rief dem Beamten in zornigem Tone zu:
»Wir sind hinterlistigerweise überfallen und gebunden worden; da wir in der Minderzahl waren, haben wir es uns gefallen lassen müssen. Nun aber befinden wir uns an einem Orte, wo wir Gerechtigkeit erwarten können. Wir sind freie Arab el Homr, und niemand hat uns etwas zu befehlen. Warum nimmt man uns die Stricke nicht von den Händen? Ich werde dem Khedive melden lassen, wie die Beni Arab von seinen Dienern behandelt werden!«
Er erzielte einen ganz andern Erfolg, als er erwartet hatte. Die Brauen des Mudir zogen sich zusammen. Er antwortete in jenem ruhigen, aber schneidenden Tone, welcher gefährlicher ist als zorniges Wüten:
»Hund, was sagst du? Frei nennst du dich? Mich willst du beim Pascha anzeigen? Wenn du es nicht weißt, daß du ein schmutziger Wurm gegen mich bist, so will ich es dir beweisen. Ihr seid hier eingetreten, ohne eure Köpfe auch nur einen einzigen Zoll vor mir zu beugen. Es gibt keinen Offizier oder Effendi, welcher mir den Gruß versagt, und ihr stinkenden Hyänen, die ihr als Verbrecher zu mir gebracht werdet, wagt es, dies zu thun? Ich werde euch zeigen, wie tief ihr euch zu verbeugen habt. Werft sie nieder und gebt jedem zwanzig Hiebe; der Schech aber soll als Lohn seiner Frechheit vierzig bekommen!«
Einer der Kawassen holte sofort eine hölzerne Vorrichtung herein, welche einer Bank glich, die nur an der einen Seite zwei Beine, an der andern aber keine hat. Sie wurde auf den Boden gelegt, und zwar so, daß die beiden Beine emporstanden. Dann ergriffen die Kawassen einen der Homr, zogen ihn nieder, legten ihn mit dem Rücken auf die Bank und schnallten ihn da fest. Seine nach aufwärts gerichteten Beine wurden fest an die Beine der Bank gebunden, so daß seine Fußsohlen nach oben blickten. Die pantoffelähnlichen Schuhe hatte man ihm natürlich ausgezogen. Dann ergriff ein Kawaß einen fingerstarken Stock und gab ihm auf jede Fußsohle zehn kräftige Hiebe.
Der Homr hatte sich wehren wollen, doch ganz vergeblich. Er biß die Zähne zusammen, um nicht zu schreien; aber als nach den ersten Schlägen die Fußsohlen aufsprangen, erhob er ein fürchterliches Lamento. Als er losgeschnallt war, konnte er nicht auf den Füßen stehen; er blieb wimmernd am Boden sitzen.
Ganz ebenso erging es seinen Kameraden. Der Schech erhielt die doppelte Anzahl Hiebe; nur der Verwundete blieb verschont, denn der Mudir sagte:
»Er hat vor mir auf der Erde gelegen, zwar nicht aus Höflichkeit, sondern infolge seiner Verletzung. Ich will ihn aber mit meiner Gnade erleuchten und annehmen, er habe sich aus Demut vor mir niedergeworfen. Diese Hundesöhne sollen sich nicht ungestraft gegen mich erheben und mir gar drohen, mich beim Pascha zu verklagen! Jetzt mag der Schech mir sagen, ob er den fremden Effendi kennt, welcher hier an meiner Seite sitzt!«
Auch dieser, der Schech, konnte seinen Schmerz nicht still überwinden. Er stöhnte noch lauter als die andern. Als er jetzt zögerte, die verlangte Antwort zu geben, drohte der Mudir:
»Wenn du nicht sprechen willst, werde ich dir den Mund öffnen. Für eine jede Antwort, welche mir einer von euch verweigert, lasse ich ihm zwanzig Hiebe geben. Nun sag, ob du den Effendi kennst!«
»Ja, ich kenne ihn,« stieß der Schech hervor, wohl wissend, daß der Mudir seine Drohung wahr machen werde.
»Du gibst zu, daß ihr ihn überfallen und töten wolltet?«
»Nein. Wer das behauptet, der ist ein Lügner.«
»Ich selbst behaupte es, und also hast du mich einen Lügner genannt, wofür ich deine Strafe schärfen werde. Kennst du einen Sklavenjäger, welcher Abu el Mot heißt?«
»Nein.«
»Du hast gestern in der Nacht mit ihm gesprochen.«
»Das ist nicht wahr!«
»Dieser Effendi hat, als du am Feuer saßest, sich an die Gum geschlichen, und das Gespräch dieser Leute belauscht. Dann sah er dich zu Abu el Mot gehen, und später brachtest du die Gum geführt. Das haben auch diese ehrlichen Dschelabi gesehen. Willst du noch leugnen?«
»Ich war es nicht, sie haben mich verkannt.«
»Du bist ein sehr verstockter Sünder. Weißt du nicht, daß man mich Abu hamsah miah, den Vater der Fünfhundert, nennt? Da du leugnest, was eine große Beleidigung für mich ist, weil du mich damit für einen leichtgläubischen Menschen erklärst, welchen Allah den Verstand versagt hat, so werde ich für dich ein Abu sittah miah, ein Vater der Sechshundert sein. Schafft ihn hinaus in den Hof, und gebt ihm die sechshundert auf den Rücken!«
»Das wage nicht!« schrie der Schech auf. »Sechshundert kann kein Mensch aushalten. Du würdest mich töten. Denke an die Blutrache! Die Krieger meines Stammes würden die Schmach mit deinem Leben sühnen!«
»So mögen sie vorher erfahren, daß ich auch Abu sabah miah, der Vater der Siebenhundert sein kann. Gebt ihm also siebenhundert, und für jedes Wort, welches er noch spricht, soll er einhundert mehr bekommen!«
Das war in einem so bestimmten Ton gesprochen, daß der Schech den Mund nicht wieder zu öffnen wagte. Er wurde von den Kawassen fortgeschafft, und bald hörte man sein Geschrei erschallen.
»Hört ihr ihn?« rief der Mudir den Homr zu. »Wenn er es überlebt, so mag er zum Pascha gehen, und mich verklagen! Ich werde dafür sorgen, daß im Bereiche meiner Macht ein jeder ungefährdet seinen Weg verfolgen kann. Menschen, wie ihr seid, achte ich den Raubtieren gleich, welche ausgerottet werden müssen. Wer mich belügt, oder mir gar droht, dem wird die Peitsche zeigen, daß ich sogar ein Abu alfah, ein Vater der Tausend sein kann. Also sage du mir, ob ihr diesen Effendi habt töten wollen?«
Er zeigte auf denjenigen Homr, welcher ihm am nächsten kauerte.
»Ja,« gestand der eingeschüchterte Mann.
»Und du?« fragte er einen zweiten.
»Ja,« antwortete auch dieser.
Ebenso gestanden die andern ihr Verbrechen ein. Sie erkannten, daß sie durchs Leugnen ihre Lage nur verschlimmern würden. Sie wären am liebsten über den Mudir hergefallen; sie konnten trotz aller Mühe den Grimm, welcher sie beherrschte, nicht ganz verbergen.
»Da ihr es gesteht, möchte ich euch ein gnädiger Richter sein,« sagte der Mudir. »Aber ihr legt dieses Geständnis nicht aus Reue, sondern vor Angst ab, und auf euern Gesichtern sehe ich den Haß und die Rache wohnen. Ihr sollt nicht mehr und nicht weniger bekommen, als der Name besagt, den man mir gegeben hat. Fünfhundert werden genügen, euch zu belehren, daß es gegen das Gesetz des Propheten und die Satzung seiner heiligen Nachfolger ist, einen Mann zu ermorden, welcher sich vertrauensvoll in euren Schutz gegeben hatte. Nur dieser Verwundete soll für heute verschont werden. Er mag im Sidschnah liegen, bis sein Bein geheilt ist; dann soll, wenn er es erlebt, das gleiche Urteil an ihm vollstreckt werden. Das Gericht ist beendet. Ich habe nach Recht und Gerechtigkeit gesprochen. Allah ist mit allen Gläubigen, welche seine Gesetze befolgen; die Missethäter aber wird er mit seinem Zorne vernichten!«
Er erhob sich von seinem Sitze, zum Zeichen, daß die Gerichtsverhandlung zu Ende sei, und die Offiziere thaten dasselbe. Sie entfernten sich, indem sie mit tiefen Verbeugungen Abschied nahmen, und dann erlaubte der Mudir den Dschelabi, die Homr in den Hof zu schaffen und dort Zeugen der Exekution zu sein. Als dann Schwarz sich wieder allein mit ihm befand, fragte der Beamte:
»Dir ist Gerechtigkeit geworden. Wäre das in deinem Lande ebenso schnell geschehen?«
»Das Urteil wäre allerdings später gefällt worden, da man den Fall eingehender untersucht hätte.«
»Was sollte das nützen? Man hätte sich doch jedenfalls überzeugt, daß die Homr schuldig sind?«
»Allerdings.«
»Nun, soweit bin ich viel schneller gekommen. Welche Strafe hätte sie nach euern Gesetzen getroffen?«
»Eine vieljährige Gefangenschaft.«
»Auch da bin ich kürzer. Die Schuldigen erhalten ihre Hiebe und können dann gehen.«
»Für Raubmörder ist diese Strafe außerordentlich milde, nämlich wenn sie die Schläge aushalten.«
Über das Gesicht des Mudir ging ein vielsagendes Lächeln, als er antwortete:
»Ob mein Urteil zu hart oder zu milde ist, das ist Allahs Sache. Er hat dem Verbrecher Glieder gegeben, welche es entweder aushalten oder nicht. Auch bei euch kommt es auf die Gesundheit und Stärke an, ob der Verbrecher die lange Gefangenschaft überwindet oder nicht. Mache dir keine Sorge um die Homr! Ihr Leben ist im Buche verzeichnet; ich kann es ihnen weder nehmen noch erhalten. Erlaube mir, dich zu dem Boten deines Bruders und dann in die Gemächer zu führen, welche für dich bestimmt worden sind.«
Das war dem Deutschen lieb, denn der Aufenthalt in dem Selamlük war jetzt kein angenehmer, da man dort das Brüllen der gepeitschten Araber allzu deutlich vernahm.
Nachdem sie mehrere Zimmer durchschritten hatten, welche nichts als die Wandpolster und einen Teppich enthielten, kamen sie in einen kleinen Hinterhof, in welchem ein Kiosk stand, an dessen hölzernen Wänden sich blühende und duftende Schlinggewächse empor rankten.
»In diesem Lusthause sollst du wohnen,« sagte der Mudir. »Und da ist der Knabe, welcher dir den Brief zu überbringen hat. Er soll dich zu deinem Bruder führen und wird dich auch schon hier bedienen. Er kann dein Dolmetscher sein, denn er spricht die Sprache der Niam-niam und ist auch des Arabischen mächtig.«
Neben der Thür des Gartenhauses war eine Schilfdecke ausgebreitet, von welcher sich die Gestalt des Knaben erhob, um sich gleich wieder vor den beiden demütig zur Erde zu werfen. Der junge Neger war gewiß nicht über sechzehn Jahre alt und fast unbekleidet. Die Farbe seiner Haut war ein erdiges Rotbraun, wohl ein Ergebnis des Bodens, welchen sein Volk bewohnt.
Es ist nämlich eigentümlich, daß, wie man bemerkt hat, die Färbung jener Negerstämme von der Farbe des von ihnen bewohnten Bodens abhängig ist. Die Bewohner der schwarzerdigen Tiefebenen, die Schilluk, Nuehr und Denka, zeichnen sich durch ein tiefes Schwarz der Hautfarbe aus, während die Bongo, Niam-niam und Monbuttu, welche ein rotes, eisenhaltiges Land bewohnen, eine rötliche Färbung besitzen.
Der Mudir befahl dem Neger, aufzustehen. Als er das gethan hatte, sah man, daß er von gedrungener, untersetzter und kräftiger Gestalt war. Die Muskeln seiner Beine waren kräftiger entwickelt, als man es sonst bei Negern zu beobachten pflegt. Seine Gesichtszüge näherten sich dem kaukasischen Typus. Der Mund war zwar aufgeworfen, aber klein, die Nase gerade und schmal. Die Augen waren groß und mandelförmig geschnitten; sie standen sehr weit voneinander ab und gaben dem vollen, runden Gesichte einen schwer zu beschreibenden Ausdruck kriegerischer Entschlossenheit und Vertrauen erweckender Offenheit.
Die Waffen des Knaben lagen neben ihm. Sie bestanden aus einem Bogen nebst einem mit Pfeilen gefüllten Köcher, einem Messer mit sichelartiger Klinge und einem Trumbasch oder Wurfeisen, welches als Waffe sehr gefürchtet ist. Dieses Eisen gleicht dem australischen Bumerang, ist mehrschenklig gebogen und mit scharfen Zähnen und Spitzen versehen. Die Cateja, welche in der Äneide genannt, und als eine Wurfkeule von zerschmetternder Wirkung beschrieben wird, ist jedenfalls auch eine ähnliche Waffe gewesen. – Außerdem trug der Knabe eine Art Schutzwaffe an sich, und zwar an den Armen. Diese steckten nämlich von der Hand an bis zum Ellbogen in einer Menge von Metallringen, die eng aneinander lagen und eine schützende Manschette bildeten. Eine solche Armbekleidung wird Danga-Bor genannt und ist besonders bei den Bongonegern gebräuchlich.
Ganz eigenartig, und gar nicht unschön, war das Haar des Knaben geordnet. Dasselbe war zwar wollig, aber ziemlich lang. In lauter dünne Zöpfchen und diese wieder untereinander verflochten, bildete es auf dem Kopfe eine runde Krone, in welcher ein bunt schillernder Federbusch steckte. Rund um die Stirn, ganz an die Grenze des Haarwuchses befestigt, trug er einen eigenartigen Schmuck, welcher aus den Reißzähnen von Hunden bestand, die an eine Schnur gereiht waren.
Der offene, freundlich ehrerbietige Blick, mit welchem er den Deutschen musterte, machte auf diesen einen sehr guten Eindruck.
»Wie heißest du?« fragte ihn Schwarz.
»Ich bin der Sohn des Bjiä,« antwortete der Neger in arabischer Sprache, in welcher er gefragt worden war. »Die Sandeh heißen mich Nuba; der weiße Mann aber, welcher mich hierher sendet, hat mich Ben Wafa genannt.«
»Das ist ein schöner Name, welcher dir Vertrauen erweckt. Wie heißt dieser weiße Mann?«
»Er nennt sich Schwa-za.«
»Du willst Schwarz sagen?«
»Ja,« nickte der Knabe, »aber ich kann diesen Namen nicht so aussprechen; darum sage ich Schwa-za.«
»Ich heiße ebenso, denn ich bin sein Bruder.«
»So bist du der Effendi, zu dem er mich sendet?«
»Ja.«
»Das freut mich sehr, denn du gefällst mir. Dein Auge ist gerade so mild und freundlich wie das seinige, nicht so grausam wie dasjenige der Araber, welche zu uns kommen, um Reqiq zu machen. Darum werde ich dich gerade so lieb haben wie ihn und dir ebenso treu dienen.«
Es war ihm anzusehen, daß dieser Herzenserguß ein aufrichtiger war, denn sein intelligentes Gesicht glänzte vor Freude.
»Nicht wahr, du sollst mich zu ihm bringen?« fragte Schwarz.
»Ja, Effendi.«
»Aber das ist schwer. Unser Weg führt durch Gegenden, welche den Sandeh und also auch dir feindlich gesinnt sind.«
Da ergriff der Knabe schnell des Deutschen Hand, küßte sie und rief:
»Effendi, du schimpfest uns nicht Niam-niamIst der Denkasprache entnommen und bedeutet ‚Allesfresser‘, auch ‚Menschenfresser‘, sondern nennst uns bei unsrem richtigen Namen! Ich bin ein Königsprinz und brauche keinem Menschen zu dienen. Für dich aber werde ich alles thun, was du verlangst. Nur deinem Bruder zuliebe bin ich sein Bote geworden, denn ein andrer wäre nicht klug genug gewesen, bis hierher zu gelangen; die Denka und Nuehr hätten ihn getötet oder zum Sklaven gemacht.«
»Hattest du das denn nicht auch für dich zu befürchten?«
»Nein, denn mich fängt keiner. Ich bin ein Krieger und habe unsre Männer schon oft in den Kampf geführt.«
Er sagte das mit einem ruhigen Stolze, welcher fern von Überhebung war. Der kleine, jugendliche Held mußte allerdings ein ganz tüchtiges Kerlchen sein, da er eine so weite Reise ganz allein durch feindliches Land unternommen und auch glücklich beendigt hatte.
»Wäre es nicht besser gewesen, wenn du noch einige Krieger mitgenommen hättest?« fragte Schwarz.
»Nein, denn mehrere werden leichter bemerkt, als nur einer.«
»Bist du gelaufen?«
»Nein. Ich habe mir eine kleine Flukah mit einem Segel gebaut. Mit derselben bin ich den Bahr er Rohl und dann den Bahr ed Dschebel herabgefahren. Es gab überall Wasser zum Trinken. Hatte ich Hunger, so fing ich mir Fische, und kam ein feindliches Schiff, so versteckte ich meine Flukah in das Gebüsch des Ufers oder hinter das hohe Schilf.«
»Aber kanntest du denn den Weg?«
»Ja, denn ich bin bereits zweimal in Chartum gewesen und habe dort die Sprache der Araber gelernt.«
»Bist du nicht einmal bei einer Seribah ausgestiegen?«
»Wie könnte ich das, Effendi! Das darf man nicht wagen. In den Seriben wohnen doch nur Sklavenjäger. Ich kenne sie alle, aber ich bin stets des Nachts und sehr schnell an ihnen vorübergefahren.«
»Kennst du auch eine, welche Omm et Timsah genannt wird?«
»Ja. Sie ist die gefährlichste für uns, da sie an der Grenze unsres Landes liegt und dem grausamsten Manne gehört, den es geben kann.«
»Wie heißt dieser Mann?«
»Abu el Mot.«
»Ah, du kennst seine Seribah! Hast du jemals auch ihn selbst gesehen?«
»Ja. Er hat das Angesicht und die Gestalt eines Gestorbenen, und der Tod folgt jedem seiner Schritte. Seine Seribah ist ein Schreckensplatz. Die Leichen zu Tode gepeitschter Sklaven, die frei umherliegen, der Sammelplatz aller Arten Raubvögel und aasfressender Raubtiere sind ihre Merkmale.«
»Und wo war mein Bruder, als du ihn verließest?«
»Bei meinem Vater.«
»Er befindet sich also in der Nähe der Seribah des Sklavenjägers?«
»Ja, Effendi. Die Entfernung beträgt nur drei Tage reisen.«
»Und ist mein Bruder der einzige Fremde, welcher jetzt bei euch weilt?«
»Nein. Es ist noch ein andrer Weißer bei ihm.«
»Ah! dann sind es diese beiden, von denen Abu el Mot gesprochen hat. Was ist und wie heißt dieser andre?«
»Er ist ein Baija et tijur. Er hat die Beine des Storches, und seine Nase ist lang und beweglich wie der Schnabel des Storches. Darum wird er Abu laklak genannt. Seinen eigentlichen Namen kann ich nicht aussprechen.«
»Wir müssen schleunigst abreisen, denn ihm und meinem Bruder droht die größte Gefahr. Abu el Mot will sie töten.«
»Hat er das gesagt?« fragte der Mudir.
»Ja,« antwortete der Deutsche. »Ich habe es selbst gehört.«
»Ich weiß allerdings, daß er keinen fremden Weißen im Bereiche seines Jagdgebietes duldet, und so glaube ich, daß er seine Drohung wahr machen wird, sobald er auf seiner Seribah eingetroffen ist. Die Gefahr, in welcher sich dein Bruder befindet, ist sehr groß, denn der König der Sandeh vermag ihn nicht gegen die Hinterlist und die überlegenen Waffen der Sklavenjäger zu schützen.«
»O, die Sandeh sind tapfer!« warf der Neger in stolzem Tone ein.
»Ich will das nicht bestreiten,« antwortete der Mudir im Tone gnädiger Überlegenheit, »aber wie viele von euch sind dennoch von den Sklavenjägern getötet oder geraubt worden! All euer Mut vermag nichts gegen die wilde Gier dieser Menschen, und was wollt ihr mit euern Pfeilen gegen die Schießgewehre solcher Räuber anfangen?«
»Aus wieviel Menschen besteht gewöhnlich ein solcher Raubzug?« fragte Schwarz.
»Oft aus mehreren Hundert,« belehrte ihn der Mudir. »Es kommt vor, daß sich die Besatzungen von zwei und noch mehr Seriben vereinigen. Dann sind so viele Jäger beisammen, daß selbst das bevölkertste Negerdorf nicht an Widerstand denken darf. Die Seribah Omm et Timsah ist die größte, von welcher ich weiß, und Abu el Mot hat also Leute genug, seine Absicht auszuführen.«
»Dann darf ich mich hier keine Stunde länger als nötig verweilen. Ich muß suchen, ihm zuvorzukommen, um den Bruder rechtzeitig zu warnen.«
»Das ist mir nicht lieb, denn ich hätte dich gern lange Zeit bei mir gehabt. Mein Herz findet Wohlgefallen an dir; außerdem bist du mir sehr warm empfohlen, und so will ich dich nicht unbeschützt der dich erwartenden Gefahr entgegengehen lassen. Mein Sinnen geht darauf, Abu el Mot in meine Hände zu bringen; dies kann durch deine Hilfe geschehen, darum werde ich dir fünfzig Soldaten mitgeben, welche ich mit allem, was sie brauchen, sorgfältig ausrüste. Bist du damit einverstanden?«
Der Deutsche gab natürlich eine bejahende Antwort; der Vorschlag mußte ihm ja hoch willkommen sein. Der Neger hatte indes die Pfeile aus seinem Köcher genommen; auf dem Grunde des letzteren steckte der Brief, welchen er Schwarz überreichte. Dann führte der Mudir seinen Gast in das Innere des Häuschens, welches aus zwei kleinen, aber sehr hübsch ausgestatteten Gemächern bestand.
»Hier wohnen nur solche Gäste, welche mir willkommen sind,« sagte er, »der Niam-niam wird dich bedienen. Er wartet draußen deiner Befehle, und ich werde meinen Leuten die Weisung erteilen, dieselben augenblicklich und so eifrig zu erfüllen, als ob sie aus meinem eigenen Munde kämen. Die Dschelabi, welche mit dir gekommen sind, werden auch meine Gäste sein, denn sie waren deine Begleiter.«
»Und was geschieht mit den Homrarabern?«
Der Mudir machte eine strenge, abwehrende Handbewegung und sagte:
»Was mit ihnen geschehen soll, das ist bereits geschehen, und du wirst nicht weiter danach fragen. Ich will Ordnung haben in dem mir anvertrauten Lande; wer dieselbe bricht, den richte ich schnell und streng. Allah mag ihren Seelen gnädig sein; bei mir aber gibt es keine Gnade, sondern nur Gerechtigkeit.«
Er ging. Schwarz ließ sich auf ein Polster nieder, um den Brief seines Bruders zu lesen. Dieser schrieb ihm, daß er von Sansibar glücklich nach dem Viktoria-Nyanza, und von dort nach dem Albert-Nyanza vorgedrungen, und von da nach den Quellen des Gazellenflusses gelangt sei und nun den Bruder bei den Makrakanegern, die zu den Niam-niam gehören, erwarte.
In Sansibar hatte er einen deutschen Naturforscher, einen ausgezeichneten Ornithologen, getroffen, von welchem er gebeten worden war, ihn mitzunehmen. Dieser Mann war ein Bayer von Geburt und trotz verschiedener Eigenheiten ein ganz tüchtiger Reisegesellschafter und mutiger Begleiter. Beide hatten es unterwegs zu einer bedeutenden wissenschaftlichen Ausbeute gebracht und hielten nun Rast, um ihre Sammlungen zu ordnen und Schwarz bei sich zu erwarten. Den »Sohn der Treue« hatten sie ihm als zuverlässigen Führer entgegengeschickt.
Eben war der Deutsche mit der Durchsicht des Briefes fertig, als der Slowak bei ihm eintrat.
»Bitte Verzeihung, daß ich Sie könnte gestörten!« sagte er. »Ich hatt gewillt bringen einen Wunsch, unsrigen.«
»So ist dieser Wunsch nicht allein der Ihrige, sondern auch derjenige eines andern?«
»Ja. Vater des Gelächters hatt Bitte, meinige auch als Bitte, seinige.«
»Nun, was wünschen Sie denn?«
»Mudir hatt sprechte selbst mit uns und uns sagte, daß wir alle seinte Gäste, seinige, und wohnte in Haus, hiesiges. Hatt uns auch sagte, daß Sie willte abreisen in Zeit sehr baldiger, mit Soldaten, vieligen. Ich und Hadschi Alli, Freund meiniger, wollen nicht gebleibte zurück, sondern gehen mit Ihnen zu den Niam-niam, um zu machente dort Geschäft, vorteilhaftes. Wollen kaufte hier Sachen und verkaufte dort wieder mit Profit, großartigen. Darum ich kommte schnell hierher, um willte fragen, ob Sie wernte haben die Güte, zu nehmen mit mich und Hadschi Alli, freundschaftlichen.«
»Warum nicht? Ihr Vorschlag ist mir recht angenehm. Sie und der ‚Vater des Gelächters‘ sind brauchbare Leute, und je mehr ich solche Männer mitnehmen kann, desto besser ist es für mich.«
»Also Sie gebten Erlaubnis, Ihrige?«
»Ja, ganz gern.«
»Das seinte sehr schön. Das machte mir Freude, unendliche. Ich hatt gelernte Sprache, negerliche, und werd seinte Ihnen nützlich mit Kenntnissen, meinigen. Wir werden machte Forschungen, wissenschaftenkeitliche, und uns erwerbte Namen, unsrige, sehr berühmte. Ich willte gleich lauf zu Hadschi Alli, wartenden, um ihm zu sagente, daß wir könnte treffen Vorbereitung zur Abreise, schneller, weil Sie haben erfüllte Wunsch, unsrigen!«
Er eilte erfreut fort, um dem »Vater des Gelächters« die betreffende Mitteilung zu machen.