Читать книгу Die Sklavenkarawane - Karl May - Страница 2

Eine Ghasuah

Оглавление

Da, wo der Bahr el Ghazal, der Gazellenfluß, in das Gebiet der Bongoneger tritt, sind an seinem rechten Ufer nur einzelne Dalebpalmen zu sehen, deren dunkelgrüne Blattwedel sich im leisen Luftzuge träumerisch bewegten. Am linken Ufer stieg ein dichter Mimosenwald bis an das Wasser herab. Die da an den Ästen und Zweigen hängenden dürren Gräser zeigten an, wie hoch zur Regenzeit das Wasser zu steigen pflegte.

Auf dem Wasser lagen große Inseln, welche aus Anhäufungen frischer und abgestorbener Grasrhyzome bestanden, und dazwischen gab es lange und breite Streifen von Omm Sufah, welche den jetzt schmalen Strom noch mehr einengten.

Im hohen Rohre, und von demselben fast ganz verborgen, lag ein Noqer, eine jener Segelbarken, wie sie am oberen Nile gebräuchlich sind. Der in der Mitte des Fahrzeuges angebrachte Hauptmast war niedergelegt, ebenso der kleinere am Vorderteile des Schiffes. Wer von der Anwesenheit dieses Noqer nichts wußte, konnte leicht in kurzer Entfernung von demselben vorüberfahren, ohne ihn zu bemerken.

Es war klar, daß die so vorsichtig versteckte Barke außer Gebrauch lag, und dennoch gab es Personen, welche sich emsig auf derselben beschäftigten.

Fünf oder sechs Sklavinnen knieten nebeneinander, um Durrha auf der Murhaqa zu reiben. Diese Murhaqa ist ein Reibstein, welcher den in Pfahlbauten gefundenen Mahlsteinen fast genau gleicht. Die angefeuchtete Durrah wird in die Vertiefung desselben geschüttet und mit dem Ibn el Murhaqa, einem kleineren Steine, mühsam zerquetscht und zu Mehl zerrieben. Diese primitive Weise des Mahlens, bei welchem den Sklavinnen der Schweiß von den Gesichtern in den teigigen Brei tropft, ist sehr anstrengend und zeitraubend. Hat so ein armes Wesen sich von früh bis abend abgemüht, so ist das Ergebnis kaum der tägliche Bedarf von zehn bis fünfzehn Mann.

Dieser durch das nasse Mahlen erzeugte dicke Brei ist die Grundlage des sudanesischen Speisezettels. Auf der Doka gebacken, gibt er die Kisrah, rotbraune, saubere Fladen, das gewöhnliche Brot des Landes, mit Wasser gekocht aber die Luqmah, eine Art Pudding, welcher keinem Europäer einen Ruf des Entzückens entlocken kann. Die Kisrah wird als Proviant auf monatelangen Reisen mitgenommen. Läßt man sie mit Wasser gären, so bekommt man die Merissah, ein säuerliches, überall gebrauchtes Getränk.

Unter dem Verdecke des Hinterteiles waren zwei Schwarze beschäftigt, Stricke aus Palmblattfasern zu drehen. Dabei sprachen sie leise miteinander. Die Blicke, welche sie dabei auf die Sklavinnen warfen, bewiesen, daß sie von diesen ja nicht gehört sein wollten.

Diese Schwarzen trugen die Guluf, drei wulstige Narben auf jeder Wange, ein sicheres Zeichen, daß sie geraubt worden waren. Ist nämlich eine Sklavenjagd glücklich ausgefallen, so empfangen die jüngeren männlichen Gefangenen diese sechs Schnitte als ewiges und unverwischbares Zeichen der Knechtschaft. Man reibt die Wunden mit Pfeffer, Salz und Asche ein, um den Heilungsprozeß zu verzögern, und die Narben möglichst aufschwellen zu lassen.

Bekleidet waren die beiden nur mit dem Lendenschurze. Das Haar hatten sie mit Anwendung eines vertrocknenden Klebstoffes steif und cylindrisch emporfrisiert, so daß es das Aussehen eines zerknillten Chapeau-claque ohne Krempe besaß. Sie unterhielten sich im Dialekte der Belandaneger, in welchem alle Worte, welche etwas Geistiges, Übersinnliches bezeichnen, dem Arabischen entnommen sind, wie es überhaupt bei allen sudanesischen Sprachen mehr oder weniger der Fall ist. Dabei wendeten sie die erste Person der Einzahl des Zeitwortes nicht an, sondern setzten an Stelle des »Ich« ihre Namen.

»Lobo ist traurig, sehr traurig!« flüsterte der eine. »Und Lobo darf doch nicht sehen lassen, daß er traurig ist.«

»Tolo ist auch traurig, mehr traurig noch als du,« antwortete der andre ebenso leise. »Als Lobo und Tolo geraubt wurden, hat Abu el Mot Lobos ganze Familie getötet, aber Tolos Vater und Mutter entkamen; sie leben noch, und armer Tolo kann nicht zu ihnen. Darum ist er doppelt traurig.«

Er sprach in der dritten Person, meinte aber sich selbst, da er Tolo hieß.

»Warum soll Lobo nur halb traurig sein?« fragte der erstere. »Wurden seine Eltern und Geschwister ermordet, so ist er unglücklicher als du. Und – —« er sprach so leise, daß sein Leidensgefährte es kaum verstehen konnte – »was hat ein Belanda zu thun, wenn der weiße Mann ihm die Seinen tötet?«

Toto blickte besorgt nach den Sklavinnen, ob diese vielleicht horchten, und antwortete dann, indem er die Augen rollte:

»Rache nehmen! Er muß Abu el Mot töten.«

»Ja, er muß, aber er darf nicht davon sprechen!«

»Seinem Freunde Tolo aber kann er es sagen; dieser wird ihn nicht verraten, sondern ihm helfen mit dem Messer oder mit dem Pfeile, welcher in den Saft der Dinqil getaucht und vergiftet ist.«

»Aber dann wird man uns zu Tode peitschen.«

»Nein; wir fliehen.«

»Weißt du nicht, wie schwer das ist? Die Weißen werden uns mit Hunden verfolgen, welche uns sicher finden.«

»So macht Tolo sich selbst tot. Peitschen läßt er sich nicht, und leben mag er auch nicht, wenn er nicht bei Vater und Mutter sein kann. Der Weiße denkt nicht, daß der schwarze Mann ein Herz hat; aber er hat ein besseres als der Araber; er liebt Vater und Mutter sehr, und will bei ihnen sein, oder sterben. Weißt du, ob wir leben werden, wenn wir hier bleiben? Wir sind Eigentum des Weißen, und er kann uns beim kleinsten Zorne töten. Und wenn er eine Ghasuah unternimmt, so müssen wir mit, und für ihn gegen unsre Brüder kämpfen. Auch da können wir getötet werden. Tolo will aber seine schwarzen Brüder nicht fangen und zu Sklaven machen!«

»Meinst du denn, daß es eine Ghasuah geben wird?«

»Ja. Warum reiben die Weiber dort nun schon seit vielen Tagen Durrah? Merkst du nicht, daß Kisrah gebacken werden soll? Viel Vorrat von Kisrah aber macht der Araber nur dann, wenn er sie als Vorrat bei einer Ghasuah braucht.«

Lobo schlug die Hände zusammen, machte ein erstauntes Gesicht und sagte:

»Wie klug du bist! Daran hat Lobo nicht gedacht. Er glaubte, der Zug würde erst dann unternommen, wenn Abu el Mot aus dem Lande der Homr zurückgekehrt ist.«

»Abd el Mot kann auch ziehen, wenn er will. Er ist der zweite Häuptling der Seribah und Abu el Mot der erste. Ist der erste nicht da, so befiehlt der zweite. Warum haben die Leute ihre Gewehre putzen und ihre Messer schleifen müssen, gestern und vorgestern schon. Niemand weiß vorher, was geschehen soll, aber wir werden bald etwas erfahren.«

»Weißt du, wohin es gehen soll?«

»Wie kann Tolo es wissen! Nicht einmal die weißen Soldaten, die sich in der Seribah befinden, erfahren es vorher. Abd el Mot allein weiß es, und – —«

Er hielt inne, bückte sich auf seine Arbeit nieder und drehte an den Seilfasern mit einer Hast, als ob er sich bei dieser Beschäftigung nicht Zeit zu einem einzigen Worte gegeben habe. Sein Genosse folgte seinem Beispiele. Beide hatten gesehen, daß ein Mann in einem Kahne an den Noqer gelegt, und das Deck desselben bestiegen hatte.

Dieser Mann war ein Weißer. Ein dichter, dunkler Bart umrahmte sein Gesicht, welches vom Sonnenbrande das Aussehen gegerbten Leders erhalten hatte; seine Züge waren hart, seine Augen blickten finster. Er trug einen eng anliegenden weißen Burnus, um welchen ein Shawl gewunden war, aus dem die Griffe eines Messers und zweier Pistolen blickten. Die nackten Füße steckten in grünen Pantoffeln, und der Schädel war in ein grünes Turbantuch gehüllt, ein Zeichen, daß dieser Mann seine Abkunft von dem Propheten Mohammed herleitete. In der Hand hielt er die lange, dicke Nilpeitsche.

»Abd el Mot!« flüsterte Lobo seinem Gefährten zu.

»Still, schweig!« antwortete dieser ängstlich.

Der Weiße war also der zweite Kommandant der Seribah. Er nannte sich »Diener des Todes«, während der erste Befehlshaber »Vater des Todes« hieß. Er blieb für einen Augenblick bei den Sklavinnen stehen. Diese arbeiteten mit doppeltem Eifer als vorher; doch schien ihr Fleiß seinen Beifall nicht zu finden, denn er schrie sie mit harter Stimme an:

»Allah zerschmettere euch! Wollt ihr ihm die Zeit abstehlen, ihr Faullenzerinnen! Heute soll gebacken werden, denn morgen brechen wir auf, und noch ist das Mehl nicht fertig!«

Er schlug mit der Peitsche ohne Wahl auf sie ein, daß die Getroffenen vor Schmerz heulten, aber ohne zu wagen, ihre Arbeit dabei auch nur für einen Augenblick einzustellen. Dann kam er zu den beiden Belandanegern. Er sah ihnen eine Weile zu, hob dann ein Seil auf, um die Arbeit zu prüfen, warf es wieder hin, und versetzte jedem einige Hiebe, von denen die Haut an den getroffenen Stellen sofort aufsprang. Die Schwarzen bissen die Zähne zusammen, daß es laut knirschte, gaben aber keinen Laut von sich, und arbeiteten ohne Unterbrechung weiter.

»Es that wohl nicht weh genug?« lachte er grausam. »Das nächste Mal werdet ihr schon heulen müssen, ihr Tagediebe. Werft euch nieder, wenn ich mit euch rede!«

Dieser Befehl war von einigen weiteren Hieben begleitet. Die Neger sanken zu Boden, was sie vorher nicht gewagt hatten, um nicht mit der Arbeit inne zu halten. Er betrachtete sie mit gefühllosem Blicke, versetzte jedem einen Fußtritt und fuhr fort:

»Ihr seid Belandas. Ist euch euer Land bekannt?«

»Ja, Herr,« antwortete Tolo ohne aufzublicken.

»Kennt ihr die Helle Ombula?«

»Tolo ist oft dort gewesen.«

»Was hattest du dort zu thun?«

»Die Schwester der Mutter wohnt mit ihrem Manne und ihren Kindern dort.«

»So hast du also Verwandte in Ombula! Wie viele Familien gibt es da?«

»Sehr viele, Herr, viel mehr als in andern Dörfern,« antwortete der Neger, dem es wie den meisten seinesgleichen unmöglich war, weiter als höchstens zwanzig zu zählen.

»Ist der Ort gut befestigt?« fuhr der Araber fort.

»Es ist ein doppelter Stachelzaun rundum,« antwortete der Gefragte.

»Ist die Umgebung offen, oder gibt es Wald?«

»Der Subakh steht in Büschen, aus denen Lubahn ragen.«

»Besitzen die Einwohner viele Rinder?«

»Nein, Herr, sie sind arm.«

Die Rinder sind dem Sklavenjäger nämlich noch lieber als die Gefangenen. Diese Tiere haben für den Neger einen so hohen Wert, daß er bei einem Überfalle vor allen Dingen sie zu retten sucht und dabei wohl seine Kinder opfert. Der Belanda hatte eine verneinende Antwort gegeben, um den Araber von dem Überfalle des befreundeten Dorfes abzubringen. Abd el Mot durchschaute ihn. Er zog ihm die Peitsche zwei-, dreimal über den Rücken, und donnerte ihn an:

»Hund, lüge nicht, sonst peitsche ich dich tot! Sage die Wahrheit, oder ich schlage dir das Fleisch in Striemen von den Knochen. Gibt es viele Rinder dort?«

»Ja,« gestand jetzt Tolo aus Angst.

»Und haben die Leute gute Waffen?«

»Pfeile, Spieße und Messer.«

»Keiner hat eine Flinte?«

»Keiner, Herr.«

Abd el Mot examinierte weiter und drohte: »Wenn ich ein einziges Gewehr finde, oder auch nur sehe, peitsche ich dir die schwarze Seele aus dem dunklen Leibe. Kennst du alle Wege dort?«

»Ja.«

»Und Lobo auch?«

»Auch er.«

»Wenn wir des Morgens von hier wegmarschieren, wann kommen wir hin?«

»Am Abende des dritten Tages, Herr.«

»Gut, ich habe beschlossen, Ombula zu überfallen, um Abu el Mot Sklaven und Rinder geben zu können, wenn er kommt, damit er sieht, daß wir thätig gewesen sind. Ihr beide sollet unsre Führer sein, und ich kann euch nur raten, daß ihr eure Sache gut macht. Bin ich mit euch zufrieden, so verkaufe ich euch an einen guten Herrn, der euch nicht prügelt, selbst wenn ihr faul seid. Im Gegenfalle aber grabe ich euch in einen Bau der Ardah ein, damit sie euch bei lebendigem Leibe fressen. Merkt euch das, ihr beiden schwarzhäutigen Schlingel, und nun frage ich: wollt ihr mir treu und gehorsam sein?«

»Ja, Herr!«

»Das versprecht ihr jetzt; aber ich traue keinem schwarzen Hunde. Ihr bleibt bis zum Aufbruche hier auf dem Schiffe, und werdet es nicht verlassen. Ich stelle euch einen Wächter her, welcher den Befehl hat, euch zu erschießen, sobald ihr euch dem Rande des Schiffes nähert. Und während des Marsches gebe ich euch Gewichte an die Füße, damit ihr die Lust zur Flucht verliert. Jetzt arbeitet weiter und schwatzt nicht dabei, sonst lasse ich euch den Mund zunähen, daß ihr verschmachten müßt. Ihr wißt, daß das keine leere Drohung ist. Ich habe das schon oft gethan.«

Er gab jedem noch einen Hieb, dann ging er und stieg in sein Boot. Sie sahen es im hohen Schilfe verschwinden, besorgten aber, daß er sie von dort aus beobachten werde. Darum arbeiteten sie schweigend weiter, bis sie ihn am Ufer erscheinen, und einen schmalen, durch den Mimosenwald führenden Weg einschlagen sahen.

Erst jetzt wagte es Tolo, seinem Gefährten leise zuzuflüstern:

»Du siehst, daß Tolo recht hatte, der Zug beginnt schon morgen.«

Lobo griff mit der Hand nach seinem schmerzenden Rücken, knirschte mit den Zähnen, rollte die Augen, als ob er sie herausdrehen wolle, und antwortete:

»In unser Land, nach Ombula. Allah, Allah! Unsre Freunde sollen Sklaven werden!«

»Und wir müssen die Weißen führen! Werden wir es thun?«

Lobo zögerte mit der Antwort. Er schien überhaupt geistig weniger begabt zu sein als sein Unglücksgenosse.

»Warum sagst du nichts?« fragte dieser. »Sollen wir die Araber führen und unsre schwarzen Brüder mit töten und gefangen nehmen?«

»Nein,« antwortete Lobo in bestimmtem Tone. Er war nun zu einem Entschlusse gekommen. »Wir fliehen. Dann aber können wir Abu el Mot nicht töten, was wir doch thun wollten. Er ist noch nicht wieder da.«

»So töten wir Abd el Mot an seiner Stelle. Das ist fast ebenso gut. Wenn wir ihm das Leben nehmen, so muß der Zug morgen unterbleiben, und wir retten die Leute von Ombula.«

»Werden sie es uns auch danken? Und wie töten wir ihn? Am Tage ist es ganz unmöglich, und das Nachts schläft er mitten unter den Wächtern. Man wird uns ergreifen. Ist es da nicht besser, wenn wir uns nicht in eine so große Gefahr begeben?«

Tolo erkannte gar wohl die Wahrheit dieser Worte. Er dachte nach. Jetzt erschallte von jenseits des Waldes ein schrecklicher Lärm herüber. Menschliche Stimmen sangen, jauchzten und brüllten. Dazu ertönten die ganz unbeschreiblichen Klänge der im Sudan gebräuchlichen Instrumente.

Das schien den nachdenkenden Neger schnell zu einem Resultate zu bringen. Er sagte:

»Hörst du den Jubel? Jetzt hat Abd el Mot gesagt, daß die Ghasuah morgen beginnen soll. Nun entfalten sie die Fahne und fragen den Zauberer.«

»Er wird dem Zuge günstig sein, und sie gehorchen ihm, denn er ist ein frommer Fakir. Auch wir sollten ihm eigentlich gehorchen, obwohl wir nicht zu Allah beten wie unsre Peiniger.«

»Nein. Tolo gehorcht nicht dem Fakir, sondern einem ganz andern.«

»Wem? Wer ist das?«

»Dem großen Schech, der über den Sternen wohnt und niemals stirbt, der alles sieht und jede That belohnt oder bestraft.«

»Du hast Lobo davon erzählt, aber Lobo kann ihn nicht sehen.«

»Er ist überall, wie die Luft, die man auch nicht erblickt.«

»Vielleicht hat dich der Fremde belogen, der dir von ihm erzählte!«

»Nein. Dieser fremde Weiße war ein Khassis, ein guter Mann, der keine Lügen sagte. Er erzählte von dem großen, allmächtigen Schech, welcher den Himmel und die Erde gemacht hat, und auch die Menschen. Er befahl ihnen, gut und fromm zu sein, aber sie gehorchten ihm nicht. Da sandte er seinen Sohn vom Himmel herab, der ihnen Gnade brachte und dafür von ihnen getötet wurde. Er lehrte, daß die Menschen einander lieben, und sich nur Gutes erweisen sollen. Diese Lehre brachte der Khassis zu uns. Wir gewannen ihn lieb und glaubten seinen Worten. Da aber kamen die Sklavenjäger und töteten ihn. Tolo weiß noch alle seine Worte und wird nach denselben handeln. Die Liebe gebietet ihm, seine Eltern aufzusuchen und die Helle Ombula zu retten. Das wird er thun, selbst wenn es sein Leben kosten sollte. Der Sohn des Schechs im Himmel ist auch ohne Murren gestorben. Und wer da stirbt, indem er Gutes thut, und die Gesetze des großen Schechs erfüllt, der ist nicht tot, sondern er steigt auf zum Himmel, zum Sohne des Schechs, um bei demselben zu leben und niemals zu sterben.«

Der Neger hatte das mit wahrer Inbrunst gesprochen, im Tone vollster Überzeugung. Der andre schüttelte den Kopf und sagte:

»Lobo versteht das nicht; aber du hast ihm noch niemals eine Lüge gesagt, und so will er es glauben, und ganz dasselbe thun, was du thust. Hätte er den Khassis gesehen und gehört, so würde er wohl ganz so überzeugt sein, wie du es bist. Also wir fliehen und retten Ombula!«

»Ja, und Abd el Mot töten wir zur Strafe für seine Thaten, und daß er morgen die Ghasuah nicht beginnen kann.«

»Aber ist es nicht der Wille des großen Schechs, von welchem du sprichst, daß man den Menschen nur Gutes erweisen soll? Und du willst den Araber ermorden!«

»Das ist nichts Böses,« entgegnete der Neger in einem Tone, der allerdings zu besagen schien, daß er noch nicht ganz bibelfest sei.

»Lobo glaubt es dir. Aber selbst wenn es uns gelingt, ihm das Leben zu nehmen, wie kommen wir fort? Einen Kahn können wir nicht bekommen, so müssen wir also gehen, und dann werden die Hunde uns schnell eingeholt haben!«

»Du darfst nicht so zaghaft sein,« entgegnete der andre, »denn der große Schech im Himmel wird uns beschützen. Man wird hier erst am Morgen den Tod Abd el Mots und unsre Flucht bemerken. Dann sind wir schon so weit entfernt, daß uns niemand einholen kann. Wir nehmen uns hier so viel Kisrah wie möglich, damit wir unterwegs nicht zu hungern brauchen.«

»Hat dein großer Schech das Stehlen nicht auch verboten?«

»Ja. Also werden wir es nicht thun. Aber wir finden überall Wurzeln, Früchte und Wasser, um den Hunger und auch den Durst stillen zu können.«

Lobo schien doch noch ein Bedenken zu haben. Er blickte nachdenkend vor sich nieder und sagte dann:

»Aber wie können wir vom Schiffe fort, wenn Abd el Mot uns einen Wächter sendet?«

»Wir warten, bis er schläft.«

»Er wird nicht schlafen, sondern den Befehl erhalten haben, kein Auge von uns zu lassen.«

»Nun, so töten wir auch ihn.«

»Das ist doch nichts Gutes, sondern etwas Böses!«

»Der Wächter ist auch bös, denn er wird ein Weißer, ein Araber sein. Ihm geschieht ganz recht, wenn er sterben muß; er gehört wohl gar zu den Leuten, welche uns gefangen genommen haben.«

»Du hast mir einmal erzählt, daß es der Wille des Schechs im Himmel sei, auch den Feinden Gutes zu thun; du aber willst ihnen nur Böses zufügen.«

»Daran sind sie selbst schuld,« sagte Tolo und half sich über das Bedenken mit Kopfschütteln hinweg. »Schweig jetzt und arbeite, der Wächter kommt!«

Der Kahn nahte wieder. In demselben saß ein andrer Weißer, welcher an Bord gestiegen kam. Er schien sehr zornig darüber zu sein, daß er auf das Schiff kommandiert worden, und nun von der Festlichkeit ausgeschlossen war, welche einer jeden Ghasuah vorherzugehen pflegt. Er warf den Sklaven drohende Worte zu, und setzte sich in ihre Nähe, die Peitsche in der Hand. Sie arbeiteten mit angestrengtem Fleiße weiter. Miteinander zu sprechen, durften sie nicht wagen; desto fleißiger aber dachten sie an ihr Vorhaben. Tolo war fest entschlossen, Abd el Mot und den Wächter zu ermorden. Das, was er von den Lehren des Missionars behalten hatte, kam nicht in Konflikt mit seinen heidnischen Anschauungen. Er wußte beides ganz gut in Einklang zu bringen. Lobo war weniger spitzfindig als er. Wie die meisten langsam denkenden und schwer begreifenden Menschen, konnte er nicht leicht eine neue Ansicht fassen, welche seiner bisherigen entgegengesetzt war. Hatte er den Gedanken aber einmal gefaßt, so hielt er ihn fest, und bewegte ihn fleißig im Herzen, soviel dies seinem Verständnisse möglich war. Es wollte ihm nicht recht begreiflich erscheinen, daß man zwei Menschen ermorden, und dabei doch den Willen des guten »Schechs im Himmel« befolgen könne.

Der am linken Ufer des Flusses liegende Mimosenwald war sehr lang, aber nur schmal. Vom Wasser führten einige schmale Wege quer durch ihn hindurch. Folgte man einem dieser Pfade, so hatte man schon nach fünf Minuten den Wald im Rücken und eine weite, freie Strecke vor sich liegen.

Im Süden nennt man jeden Weg, welcher neben einem Flusse hinläuft, Darb tachtani, den untern Weg. Ein Pfad aber, welcher von der Seite her, also senkrecht auf den Lauf des Wassers führt, eine Mischrah. Gewöhnlich steigt die Mischrah vom hohen Ufer herab. Die Wohnungen der Menschen müssen wegen der jährlichen Nilüberschwemmungen hoch liegen, und so kommt es, daß an einer Mischrah gewöhnlich sich Niederlassungen befinden. Besonders gern legt man die Seriben an solchen Stellen an, an denen ein Pfad hinab zum tiefen Ufer führt. Dies war auch hier mit der Seribah Omm et Timsah der Fall.

Hatte man, vom Flusse aufwärts steigend, den Wald hinter sich, so stand man vor einer hohen, stachlichten Umzäunung, hinter welcher die Tokuls dieser Sklavenjägerniederlassung lagen. Dieser Zaun war stark genug, um gegen Menschen und wilde Tiere Schutz zu bieten. Jede Seribah ist mit einer solchen Dornmauer umgeben, welche zwar europäischen Waffen nicht widerstehen könnte, gegen Pfeile und Lanzen aber vollständige Sicherheit gewährt. Die Ein- und Ausgänge haben keine Thüren nach unsrem Begriffe, sondern einige stachlichte Büsche genügen zum Verschlusse. Diese Stellen werden übrigens des Nachts mit Wachtposten besetzt, für welche gewöhnlich hohe Warten auf Pfählen errichtet sind, ganz ähnlich den russischen Kosakenwarten.

Die Seribah Omm et Timsah hatte einen bedeutenden Umfang. Sie enthielt über 200 Tokuls, deren Unterbau aus aufgeworfener Erde bestand, während die Wände und Dächer aus Schilf hergestellt waren. Sie alle hatten eine runde Gestalt und jede einzelne war für sich mit einer besonderen Dornenhecke umgeben. Dies alles bildete eine Art Dorf, welches innerhalb der kreisförmigen Hauptumzäunung lag.

Auch die Hütten hatten keine verschließbaren Thüren. Diebstahl kommt unter den Bewohnern einer Seribah nicht vor; diese haben sich nur vor den irrigen Eigentumsbegriffen der Eingeborenen zu hüten.

Die Wege, welche zwischen den Tokuls hinführten, waren ziemlich reinlich gehalten; desto schlimmer aber sah es vor der äußern Umzäunung aus. Da gab es Abfälle und Unrat in Menge; sogar die verwesenden Leichen natürlich gestorbener oder zu Tode gepeitschter Sklaven lagen hier, einen Geruch verbreitend, den die Nase eines Europäers nicht hätte ertragen können. Dies war ein Sammelplatz aller Arten von Raubvögeln. Auch die Hunde der Sklavenjäger befanden sich da, und des Nachts stellten sich wohl Hyänen und andre wilde Tiere ein.

Unweit der Seribah befand sich die Murrah, der umfriedigte nächtliche Pferch des Viehstandes, dessen Angehörige am Tage über im Freien weiden. Der Dünger dieser Tiere wird sorgfältig gesammelt und in der Sonne getrocknet, um abends in die Murrah geschafft und angebrannt zu werden. Der dichte Rauch, welcher sich dann entwickelt, gewährt den Tieren und Menschen Schutz gegen die schreckliche Plage der Baudah, der Stechfliegen des Sudans. Die Menschen graben sich bis an den Kopf in die ellenhoch liegende Düngerasche ein, wodurch, ganz abgesehen von dem Geruche, die schwarze Haut der Neger sich mit einem abscheulichen grauen Überzuge umhüllt, welcher das Auge des Europäers beleidigt, nach der Meinung der Eingeborenen aber so schön wie gesund ist.

In der Mitte der Seribah standen zwei Tokuls, welche sich durch besondere Größe auszeichneten. Sie waren die Wohnungen der beiden Anführer, Abu el Mots und Abd el Mots.

Da eine Hütte nicht bloß für eine einzelne Person bestimmt ist, so war bei der großen Zahl der Tokuls anzunehmen, daß die Gesellschaft gewiß aus wenigstens 500 Personen bestand. Rinder und Schafe weideten in Menge umher. Auch Pferde und Kamele gab es, doch nur bei gegenwärtiger Jahreszeit. Während und kurz nach der Regenzeit pflegen sie zu Grunde zu gehen.

Der eigentliche Besitzer einer Seribah ist nur höchst selten auf derselben anwesend. Diese Herren bleiben daheim, in Chartum oder wo sie sonst ihren festen Wohnsitz haben. Es fällt ihnen gar nicht ein, sich persönlich an der Sklavenjagd zu beteiligen; sie senden vielmehr ihre Stellvertreter, welche Wokala genannt werden und sehr ausgedehnte Vollmachten besitzen.

Unter diesen Wokala stehen die Reïsihn, Kapitäne und Nautia, Matrosen. Diese Leute werden gebraucht, weil die Jagden meist kurz nach der Regenzeit zu Wasser unternommen werden. Auch Sajadin und Asaker werden engagiert. Die ersteren sind Jäger und verpflichtet, die andern mit frischem Fleische zu verproviantieren. Die letzteren sind Soldaten, welche sich aus allerlei weißem und farbigem Gesindel rekrutieren, gewissenlose Menschen, welche mit den göttlichen und weltlichen Gesetzen vollständig zerfallen sind, und sich sonst nirgends sehen lassen dürfen, ohne daß ein strafender Arm sich nach ihnen ausstreckt.

Die Wokala erhalten eine beträchtliche Besoldung und oft auch noch einen besondern Anteil am Gewinne. Die übrige Mannschaft erhält einen Lohn bis zu zehn Mariatheresiathalern pro Monat und die Kost. Alles andre muß der Mann von dem Sold bezahlen und bekommt es zu den höchsten Preisen angerechnet. Daher bleibt ihm gewöhnlich nichts, oder wenig übrig. Ist der Fang gut, so kommt es vor, daß die Leute ihren Sold in Sklaven ausgezahlt erhalten. Der Schwarze ist dann dem Soldaten mit Leib und Leben angehörig, und dieser kann mit ihm machen, was ihm beliebt, ihn schlagen, verstümmeln oder gar töten.

Je zwanzig oder fünfundzwanzig Soldaten stehen unter einem Unteroffizier, Buluk genannt. Die Rechnungen hat ein Buluk Emini über, welcher lesen, schreiben und rechnen können muß und also gewöhnlich ein niederer Geistlicher, ein Fakir ist; er vertritt zugleich die Stelle des Zauberers, bestimmt die glücklichen und unglücklichen Tage und heilt alle möglichen Schäden des Leibes und der Seele mit Amuletten, welche er verfertigt und gegen guten Preis verkauft. Die Feindschaft eines solchen Mannes kann dem einzelnen sehr gefährlich werden.

Wird eine Ghasuah unternommen, so zwingt man den Schech des Gebietes, in welchem die Seribah liegt, seine Neger als Träger und Spione zu stellen. Dafür wird er nach dem Raubzuge mit Kühen entschädigt, was ihm natürlich lieber ist, als wenn er mit Sklaven bezahlt wird. Der Tag des Aufbruches wird von dem Fakir bestimmt, welcher von jedem einzelnen Tage des Jahres zu sagen weiß, ob er ein glücklicher oder unglücklicher ist.

Sobald der Kommandant die Ghasuah verkündet hat, wird die Barakha aufgesteckt. Sie besteht aus einem großen, viereckigen, roten Zeuge, auf welchem das mohammedanische Glaubensbekenntnis oder die erste Sure des Korans gestickt ist.

Sobald diese Fahne weht, weiß jedermann, daß ein Raubzug beschlossen worden ist, und die an demselben Beteiligten geben sich der tollsten Freude hin.

Abd el Mot hatte seine Absicht erst den beiden Belandanegern mitgeteilt, nachdem er selbstverständlich erst von dem Fakir erfahren hatte, daß der morgende Tag ein glücklicher sei. Dann zur Seribah zurückgekehrt, hatte er die Fahne aufstecken lassen. Der Jubel der ersten, welche dieses willkommene Zeichen erblickten, rief alle andern Bewohner der Tokuls aus den Hütten hervor. Die Musikinstrumente wurden geholt; man scharte sich zusammen und schleppte alle vorhandene Merissah herbei, um die glückliche Stimmung durch einen berauschenden Trunk zu erhöhen.

Der Fakir erschien, hielt eine anfeuernde Rede und bot Amulette aus, welche im bevorstehenden Kampfe vor Verwundung und Tod schützen sollten. Dann begann die Musik zu spielen, aber was für eine!

Da war zu sehen und zu hören die Rababah, eine sehr primitive Guitarre mit drei Saiten, die röhrenförmige Bulonk von ausgehöhltem Kamaholze, die Nogarah, eine Kriegspauke, aus einem hohlen Baumstumpfe konstruiert, die Darabukkah, eine kleinere Handpauke, ferner surrende Flöten, hölzerne Riesenhörner, deren schreckliche Töne dem Rindergebrüll gleichen, steinerne Klappern, geschüttelte Flaschenkürbisse, in denen Steine rasselten, Antilopenhörner, deren Töne dem Jammern eines frierenden Hundes gleichen, kleine und große Pfeifen, mit denen man alle möglichen Tierstimmen, besonders die Stimmen der Vögel nachmachte. Wer kein Instrument hatte, brüllte und heulte nach Belieben. Viele improvisierten ganz sonderbare Geräusche. Der eine schlug mit einem Stocke auf dürres Reisig, der andre kniff einem Hunde in den Schwanz, daß das Tier ganz zum Erbarmen musizierte; der dritte schwang an einer Schnur eine Blechplatte im Kreise, um das Pfeifen des Sturmes nachzuahmen. Kurz, es war ein entsetzliches Konzert, welches nur auf kurze Zeit unterbrochen wurde, als der Fakir die Helden aufforderte, das Sklavenjägerlied zu singen. Die Kerls stellten sich in zwei Reihen einander gegenüber auf und sangen:

»U marran basahli!

U marran alei dschebal,

U marran antah el woara,

El es soda kubar.

U marran besahli!

U marran ketir hami,

U marran fi woar kan ro dami;

U marran katach barrut,

Jentelik e reqiq schi dali!«

Das heißt zu deutsch: »Und trinken ist meine Lust! Und dann hinaus in die Berge, und hinaus in den Wald, wo der Löwe haust. Und trinken ist meine Lust! Und kommt die Verwegenheit über mich, da fließt wohl Blut in der Wildnis; und dann wird Pulver verpufft und ich bring Sklaven mit nach Hause!«

Doch welche Stimmen waren das, die dieses Lied sangen. Der eine brüllte wie ein Löwe und der andre wie ein Ochsenfrosch. Ein dritter schrillte im höchsten Fisteltone, und ein vierter schleppte, wie eine Baßgeige brummend, hinterdrein. Eine Melodie gab es nicht, jeder sang so hoch oder tief, wie es seinem Kehlkopfe angemessen war. Nur die einzelnen Worte klangen zusammen, da der Fakir mit hoch erhobenen Armen skandierte. Dies that er in einer Weise, daß er an einem andern Orte sofort als völlig unheilbar ins Irrenhaus geschafft worden wäre.

Als das Lied zu Ende war, wurde wieder getrunken und Musik gemacht. Dann ward ein Tanz arrangiert, den drehenden Derwischen nachgeäfft. So ging es unter steter Abwechselung von Musik, Gesang und Tanz bis in die späte Nacht, da es keinen Tropfen Merissah mehr gab.

Der Lärm schallte über den Wald hinweg bis zum Flusse und dem Schiffe. Dort saßen die beiden Belandaneger und vor ihnen der Wächter, die Peitsche stetig in der Hand. Die Sklavinnen waren nach der Seribah geholt worden, um zu backen.

Zuweilen erhob sich der Aufseher, um einige Minuten hin und her zu gehen. Dabei brummte er grimmig in den Bart, darüber, daß er weder mitsingen noch mittrinken durfte.

Kurz nach Mitternacht kam Abd el Mot noch einmal an Bord, um sich zu überzeugen, ob der Posten seine Schuldigkeit thue. Dann, als er sich entfernt hatte, wurde es drüben in der Seribah still. Die berauschten Sklavenjäger suchten und fanden den Schlaf. Als der Wächter wieder einmal seinen Spaziergang unternahm, flüsterte Lobo seinem Kameraden zu:

»Dieser Weiße ist zornig; er hat die Peitsche stets in der Hand, schlägt uns aber nicht. Lobo möchte ihn darum nicht gern töten.«

»Dann können wir nicht entkommen!«

»Wollen wir ihm nicht die Kehle zuhalten, daß er nicht schreien kann? Dabei binden wir ihn und stecken ihm den Mund zu.«

»Das hat auch Tolo lieber, als ihn zu töten; aber ein einziger Schrei kann uns verderben.«

»Lobos Fäuste sind stark. Er wird den Mann so fassen, daß derselbe gar nicht rufen kann.«

»Und während du ihn festhältst, wird Tolo ihn binden. So können wir es machen. Stricke sind genug da.«

»Wann beginnen wir?«

»Nach einer Weile; dann werden alle Weißen eingeschlafen sein.«

»Aber der Kahn ist nicht da. Er wird des Abends in die Seribah geschafft.«

»So schwimmen wir.«

»Hat Tolo vergessen, daß sich viele Krokodile im Wasser befinden? Darum wird die Seribah ja Omm et Timsah genannt.«

»Tolo läßt sich lieber von den Krokodilen fressen, als daß er die Weißen nach Ombula führt.«

»Lobo auch. Der gute Schech im Himmel wird uns beschirmen, da wir soeben dem Wächter das Leben geschenkt haben.«

»So glaubst du jetzt an diesen großen Schech?«

»Lobo hat während des ganzen Abends über denselben nachgedacht. Wenn der Khassis kein Lügner war, so ist es wahr, was er gesagt hat, denn er ist klüger gewesen, als wir es sind. Und für den schwarzen Mann ist es sehr gut, einen solchen Schech im Himmel zu haben, denn alle weißen Schechs auf der Erde sind seine Feinde. Lobo glaubt also an ihn und wird ihn jetzt bitten, die Flucht, welche wir vorhaben, gelingen zu lassen.«

Der Neger faltete die Hände und blickte zum Himmel auf. Seine Lippen bewegten sich, aber die Bitte war nur für Gott hörbar.

Der Wächter hatte sich wieder niedergesetzt. Dann dauerte es längere Zeit, bis er abermals aufstand, um hin und her zu gehen. Da fragte Lobo:

»Warten wir noch länger?«

»Nein. Tolo hält schon die Stricke in der Hand. Wenn er uns wieder nahe ist und sich umdreht, so springen wir auf und du ergreifst ihn von hinten.«

So geschah es. Der Wächter kam auf sie zu und machte wieder Kehrt. Im Nu standen die Neger hinter ihm, und Lobo legte ihm die beiden Hände um den Hals, den er fest zusammendrückte. Der Mann stand, wohl nicht nur infolge dieses Druckes, sondern mehr noch aus Schreck, völlig bewegungslos; er gab keinen Laut von sich. Er wehrte sich auch nicht, als Tolo ihm die Stricke fest um die Arme, Beine und den Leib wickelte. Er blieb sogar stumm, als Lobo ihm die Hände von dem Halse nahm und ihm seinen Fes vom Kopfe zog, denselben zerriß und aus den Stücken einen Knebel machte, der ihm in den Mund geschoben wurde.

Der Mann war vollständig überwältigt und wurde in den Raum hinabgeschafft. Lobo nahm ihm das Messer und Tolo die Peitsche ab; dann kehrten sie auf das Deck zurück.

Sie ließen sich so leise wie möglich, um ja nicht etwa durch ein Geräusch die Krokodile herbeizulocken, in das Wasser und strebten dem Ufer zu, was gar nicht leicht war, da sie sich durch die dichte Omm Sufah zu arbeiten hatten. Doch gelangten sie wohlbehalten an das Land. Das Naßwerden schadete ihrer mehr als einfachen Kleidung nicht das mindeste.

»Der gnädige Schech im Himmel hat uns vor den Krokodilen beschützt; er wird uns auch weiter helfen,« sagte Lobo, indem er das Wasser von sich abschüttelte. »Denkst du nicht, daß es besser wäre, wenn wir Abd el Mot leben ließen und unsre Wanderung sogleich anträten?«

»Nein. Er muß sterben!«

»Seit du heute von dem himmlischen Schech und seinem Sohne gesprochen hast, kommt es Lobo nicht gut vor, den Araber zu töten.«

»Wenn wir ihm das Leben lassen, ereilt er uns unterwegs. Töten wir ihn aber, so wird, wenn man ihn findet, alle der Schreck so ergreifen, daß sie versäumen, uns zu verfolgen.«

»Lobo thut alles, was du willst. Wie aber kommen wir in die Seribah? Die Wächter machen Lärm.«

»Hast du denn nicht das Messer, mit dessen Hilfe wir uns ein Loch machen können?«

»Aber die Hunde werden uns verraten!«

»Nein; sie riechen, daß wir in die Seribah gehören, und ich kenne sie fast alle nach ihren Namen. Komm!«

Sie schlichen sich vorwärts bis zum obern Rande des Waldes. Dort galt es, vorsichtiger zu sein, denn die Nacht war so sternenhell, daß man einen Menschen auf zwanzig Schritte erkennen konnte. Sie legten sich auf die Erde und krochen derjenigen Stelle der Umzäunung zu, von welcher aus sie die kürzeste Strecke nach dem Tokul Abd el Mots hatten.

Glücklicher und auch sonderbarerweise erreichten sie diese Stelle, ohne von einem Hunde bemerkt worden zu sein. Dort begann Lobo, mit dem Messer ein Loch in den dichten, stachlichten Zaun zu schneiden. Das war nicht leicht und ging außerordentlich langsam. Obgleich er der Stärkere war, mußte Tolo ihn einigemal ablösen, bis die Öffnung so groß wurde daß ein schlanker Mensch durchschlüpfen konnte.

Im Innern der Seribah angelangt, mußten sie nun doppelt vorsichtig sein. Sie blieben eine kleine Weile lauschend liegen; sie vernahmen kein verdächtiges Geräusch. Ein Rind schnaubte draußen im Pferche, und aus der Ferne tönte das tiefe Ommu-ommu einer Hyäne herüber. In der Seribah aber herrschte absolute Stille.

»Wir können es wagen,« sagte Tolo. »Gib mir das Messer!«

»Warum dir?«

»Weil ich den Stoß führen will.«

»Nicht du, sondern Lobo wird es thun, denn er ist der Stärkere von uns beiden.«

»Aber es ist dir ja nicht lieb, daß er getötet werden soll!«

»Aber du hast gesagt, daß er dennoch sterben muß, und da ist es gleich, von wessen Hand es geschieht. Sollte der Schech im Himmel darüber zürnen, so wird er Lobo eher verzeihen als dir, denn Lobo glaubt erst seit heute an ihn, du aber schon seit längerer Zeit. Bleib also hier und warte, bis ich wiederkomme!«

»Du willst allein gehen?«

»Ja.«

»Das duldet Tolo nicht. Er wird dich bis zum Tokul begleiten, um bereit zu sein, wenn dir etwas Böses widerfährt.«

»So komm, denn du hast recht.«

Sie kannten den Weg genau. Die meisten Schläfer befanden sich in ihren Hütten; mehrere lagen vor denselben, doch so fest im Merissahrausche, daß sie nicht aufwachten. Selbst ein Nüchterner hätte die beiden nicht gehört.

Als sie an den Tokul Abd el Mots kamen, lagen wohl acht bis zehn Soldaten um denselben. Der Unteranführer traute den Negersoldaten nicht und pflegte seine Hütte des Nachts mit weißen Söldnern zu umgeben. Aber auch diese lagen in tiefem Schlafe.

»Bleib hier liegen!« flüsterte Lobo. »Es ist nicht schwer, zwischen ihnen hindurchzukommen. Der Araber befindet sich ganz allein in der Hütte. Auch er wird getrunken haben. Ein Stoß, und dann ist Lobo wieder bei dir.«

Die Zuversicht, mit welcher er dies sagte, klang etwas hastig. Die That wurde ihm wohl schwerer, als er es merken lassen wollte. Das Messer in der Hand, kroch er schlangengleich zwischen zwei Schläfern hindurch. Schon hatte er den Eingang erreicht und streckte die Hand aus, um das leichte Schilfgeflecht, welches des Nachts die Thür bildete, beiseite zu schieben; da ließ sich hinter demselben ein lautes Knurren hören. Er zog die Hand zurück; aber der unerwartete Feind brach, anstatt sich zu beruhigen, in ein wütendes Gebell aus und kam, das Geflecht umreißend, aus der Hütte gestürzt. Es war einer jener großen Schillukhunde, welche die Sklavenjäger gern kaufen, um sie gegen die Neger abzurichten. Er warf sich auf Lobo. Dieser war, obgleich dem Alter nach noch kaum ein Mann, doch ein sehr kräftiger Mensch. Er wich dem Hunde mit einer behenden Bewegung aus, faßte ihn mit der Linken beim Genick, riß ihn empor und stieß ihm mit der Rechten mit außerordentlicher Schnelligkeit das Messer einigemal in die Brust. Der Hund brach unter lautem Geheul zusammen.

Die Sklavenkarawane

Подняться наверх