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Zweites Kapitel: Gefangen
ОглавлениеVon dem Brunnen, an welchem das letzte Ereignis sich zutrug, bis zur Dschesireh Hassanieh ist eine Strecke von fast dreißig geographischen Meilen zurückzulegen. Unsere vortrefflichen Kamele legten diesen Weg in zwei Tagen zurück, waren aber dann, als wir uns dem Ziele näherten, so ermüdet, daß wir sie langsam gehen lassen mußten. Ich glaubte, die Richtung ganz genau genommen zu haben, war aber doch etwas zu weit nach links geraten, denn es stieg gerade vor uns der Dschebel Arasch Quol auf, welcher ziemlich weit nördlich von Hegasi liegt.
Es war gegen Abend, als wir dort ankamen. Hegasi ist eine armselige Helle[20] welche aus wenigen Hütten besteht, und liegt auf dem hohen Ufer des Nils, ziemlich gut gegen die Ueberschwemmungen des Flusses geschützt. Von der Helle führt ein Weg hinab zum Flusse nach der Stelle, an welcher die Fahrzeuge landen und die Tiere getränkt werden. Dieser Weg sowohl wie auch die Tränk- oder Landestelle wird am oberen Nile Mischrah genannt.
Ich freute mich beim Anblicke des Flusses, den ich seit dem Zuge zu den Fessarah nicht wieder gesehen hatte. Die Bewohner des Dorfes kamen herbei, um uns nach dem Woher und Wohin und nach unserm Begehr zu fragen.
Ich hütete mich natürlich, ihnen sofort Auskunft zu erteilen, und ging ihren Erkundigungen durch Gegenfragen aus dem Wege.
Zunächst führten wir unsere Kamele zum Flusse, um sie trinken zu lassen; dann brachten wir sie hinauf nach einer grasigen Stelle, deren Eigentümer uns gegen geringes Entgelt die Erlaubnis gab, sie da weiden zu lassen.
Auf der Höhe der Mischrah saß ein Mann, welcher nicht in das Dorf zu gehören schien. Er war vollständig bewaffnet und besser gekleidet als die Bewohner der Helle. Als ich mich bei einem der letzteren nach ihm erkundigte, antwortete er:
»Wir kennen ihn nicht. Er ist schon seit gestern hier und sitzt stets auf derselben Stelle, um flußabwärts zu blicken.«
»Erwartet er vielleicht ein Schiff?«
»Wahrscheinlich; aber er hat uns nicht geantwortet, als wir ihn danach fragten. Vor dem Dorfe hält ein gesatteltes Pferd, welches er sich von unserm Scheik el Beled[21] geliehen hat.«
»Wann hat er es geritten?«
»Noch gar nicht; aber es steht bereit, so lange er sich hier befindet.«
»Wohin will er reiten?«
»Das wissen wir nicht; dem Scheik el Beled wird er es wohl gesagt haben, da dieser ihm sonst sein Pferd nicht gegeben hätte.«
Der Fremde war mir auffällig. Es war klar, daß er nach irgend etwas ausschaute und dann, wenn es erschien, sofort davon reiten wollte, um Meldung davon zu machen. Gern hätte ich gewußt, wohin er diese letztere bringen wollte; aber den Scheik fragen, das wäre wohl zu auffällig gewesen. Darum erkundigte ich mich bei dem Manne:
»Wann ist das letzte Schiff stromaufwärts hier vorübergekommen?«
»Gestern früh.«
»Und wann kam der Mann in das Dorf?«
»Zur selben Zeit, denn er kam von diesem Schiffe. Er wurde in einem Boote an die Mischrah gebracht.«
»Das Boot blieb nicht hier?«
»Nein; es wurde wieder zum Schiffe gerudert.«
»Wem gehörte das Schiff?«
»Das weiß ich nicht.«
»Was hatte es geladen?«
»Auch das kann ich nicht sagen.«
»Kannst du mir auch seinen Namen nicht nennen?«
»Es hieß Hardaun (Eidechse) und war keine Dahabijeh, sondern ein Noquer.«
»Wann kam das vorhergehende Schiff vorüber?«
»Einen Tag vorher, also vorgestern. Es war auch ein Noquer; er war leer und ging nach Süden, um Waren zu holen.«
»Ist nicht ein Schiff vorübergekommen, welches weder eine Dahabijeh noch ein Noquer war und ein sehr fremdes Aussehen hatte?«
»Nein.«
Diese Antwort beruhigte mich, denn sie sagte mir, daß der Reïs Effendina den gefährlichen Ort noch nicht passiert hatte. Sein »Falke« war so ungewöhnlich gebaut und aufgetakelt, daß er jedem hiesigen Auge auffallen mußte.
Ben Nil hatte sich in das Gras gelegt und sah dem Thun und Treiben der Dorfbewohner zu. Ich schritt langsam auf den Fremden zu, welcher mich scharf beobachtet hatte, setzte mich an seiner Seite nieder und grüßte:
»Allah schenke dir einen glücklichen Abend!«
»Glücklichen Abend,« antwortete er kurz.
Ich hatte den Gruß vollständig ausgesprochen, was man nur dann thut, wenn man besonders höflich sein will. Mit seiner Kürze wollte er mir jedenfalls sagen, daß ihm an meiner Gesellschaft nichts liege; ich that aber, als ob ich das gar nicht herausgefühlt habe, und fuhr fort.
»Ich habe kein Netz bei mir, um mich gegen die Mücken des Flusses zu schützen; darum kann ich nicht im Freien schlafen. Giebt es hier in diesem Dorfe eine Hütte, in welcher ich Aufnahme finden kann?«
»Ich weiß nicht; ich bin nicht von hier.«
»So bist du auch fremd? Allah sei mit dir auf deiner Reise!«
»Sein Segen sei auch mit der deinigen! Wo kommst du her?«
»Von Chartum,« antwortete ich, gezwungen, die Unwahrheit zu sagen.
»Wo steht das Zelt, welches dein Eigentum ist?«
»Ich bewohne kein Zelt, sondern ein Haus. Es steht in Suez.«
»Was bist du?«
Ich machte ein möglichst pfiffiges Gesicht und antwortete:
»Ich handle mit allem möglichen, am liebsten aber mit – —«
Ich hielt inne und machte eine Handbewegung, welche sagen sollte, daß es nicht geraten sei, den angefangenen Satz zu vollenden.
»Mit verbotener Ware?« sagte er an meiner Stelle.
»Wenn es so wäre, dürfte ich es eingestehen?«
»Mir könntest du es sagen. Ich würde dich gewiß nicht verraten.«
»Das Schweigen ist auf alle Fälle besser als das Reden.«
»Nicht auf alle Fälle. Wenn ein Kaufmann ein Geschäft machen will, muß er doch von demselben sprechen.«
»In diesem Falle pflege ich natürlich auch zu reden. Jetzt aber liegt ein Geschäft nicht vor.«
»Vielleicht doch, falls ich dich nämlich recht verstanden habe. Ihr seid auf Kamelen gekommen. Wo wollt ihr hin?«
»Einkaufen.«
»Was?«
»Das!« nickte ich, ihn im unklaren lassend.
Er war nicht bloß freundlicher, sondern, wie man sich auszudrücken pflegt, warm geworden. Er hielt mich für einen Sklavenhändler, und ich war überzeugt, in ihm einen Untergebenen des Sklavenjägers Ibn Asl, den ich suchte, vor mir zu haben. Es galt, ihn in seiner Ansicht zu bestärken, ohne doch sofort einzugestehen, daß dieselbe die richtige sei, denn ein Sklavenhändler sagt nicht dem ersten besten Menschen, was er ist und was er treibt. Jedenfalls hatte der Mann die Aufgabe, das Erscheinen des Reïs Effendina hier abzuwarten und dann weiter zu melden. Der Noquer »Eidechse« gehörte in diesem Falle Ibn Asl und konnte nicht weit entfernt von hier, wahrscheinlich an der Dschesireh Hassanieh liegen.
»Du bist verschwiegen, und das freut mich sehr,« meinte der Mann. »Nur mit verschwiegenen Leuten kann man sich auf Geschäfte einlassen.«
»Ah, auch du treibst also diese Dinge, welche nicht jedermann zu wissen braucht?«
»Wenn es nun so wäre?«
»So paßten wir zusammen.«
»Wirklich? Weißt du auch, daß es ein sehr gefährliches Geschäft ist, Requiq[22] zu machen?«
»Pah! Ich möchte wissen, wieso gefährlich. Man zieht nach einem Dorfe der Schwarzen, umzingelt es, steckt es in Brand und nimmt die Neger in Empfang, wenn sie aus den brennenden Hütten gesprungen kommen. Die Alten und Schwachen sticht oder schießt man nieder, und mit den andern geht man fort. Wo ist da die Gefahr?«
»Dabei allerdings nicht; sie beginnt erst mit dem Transporte.«
»Man darf sich nicht erwischen lassen und muß die Sklaven an Ort und Stelle verkaufen.«
»Das kann man nicht, denn es ist kein Käufer da.«
»So nimmt man einen mit, welcher die Schwarzen sofort nach der Jagd kauft und bezahlt und dann die Gefahren des Transportes auf sich nimmt.«
»Wo wäre ein solcher Mann zu bekommen?«
»Wo? Hm!« brummte ich bedeutungsvoll.
»Wer ist er?« fragte er.
»Das wird dich wohl nicht sehr interessieren, denke ich.«
»Mehr als du denkst. Ist der Mann reich?«
»Er besitzt soviel, wie er braucht.«
»Auch mutig muß er sein!«
»Das ist er. Er war mehreremal in Abessinien, um Sklaven dort zu kaufen. Dazu gehört doch schon etwas.«
»Allerdings. Wo befindet er sich jetzt?«
»Am weißen Nile, vielleicht gar nicht weit von hier.«
»Du bist wirklich außerordentlich vorsichtig. Meinst du dich selbst?«
»Das sage ich natürlich nicht.«
»Mir darfst du es sagen, denn – —«
»Denn – —? Warum redest du nicht aus?«
»Weil ich auch vorsichtig sein muß. Aber wenn ich mich in dir nicht irre, so könnte ich dir vielleicht sagen, bei wem du Requiq kaufen kannst.«
»Nun, bei wem?«
»Bei Ibn Asl.«
»Allah! Bei diesem berühmten Sklavenjäger? Wo befindet er sich?«
»Wo sich dein Händler befindet, nämlich am weißen Nil.«
»In welcher Gegend?«
»Vielleicht gar nicht weit von hier,« antwortete er, indem er meine vorigen Worte wiederholte.
Ich that, als ob ich sehr freudig überrascht sei, und rief aus:
»Das ist gut; das ist sehr gut! Ich hörte von ihm sprechen. Ein türkischer Händler, den ich kenne, sagte mir, daß er viel von ihm gekauft habe.«
»Meinst du Murad Nassyr? Den kennst du also?«
»Sehr gut. Ich habe oft Requiq von ihm gekauft.«
»Ah, endlich gestehst du ein, daß du es selbst bist, von dem du sprachst!«
»Allah w‘Allah! Es ist mir so herausgefahren.«
»Sei unbesorgt! Es schadet nichts, denn nun kann auch ich offen sein. Ich sage dir, daß ich bei Ibn Asl im Dienst stehe.«
»Ist das wahr? Oder willst du mich nur versuchen?«
»Es ist die Wahrheit. Welchen Grund könnte ich haben, mich fälschlicherweise für einen Diener des Sklavenjägers auszugeben?«
»Um mich zu fangen. Du könntest leicht im Dienste des Khedive stehen.«
Selbst wenn dies der Fall wäre, könnte ich dir jetzt nicht schaden. Ich müßte dich auf der That ertappen. Also, aufrichtig! Sage mir, ob du Requiq kaufen willst!«
»Nun gut, ich will es wagen und dir Vertrauen schenken, obgleich ich dich noch nie gesehen habe. Ja, ich kaufe Sklaven, sobald ich sie bekommen kann.«
»Wo wolltest du von hier hin?«
»Nilaufwärts, noch weit über Faschodah hinaus, bis ich auf irgend einer Seriba finde, was ich suche.«
Unter einer Seriba versteht man eine Niederlassung von Sklavenjägern. Diese Niederlassungen sind nach dortigen Begriffen festungsartig angelegt. Sie bestehen aus Hütten, welche teils zur Unterkunft der Sklavenjäger, teils als Vorratshäuser dienen und mit einer oft mehrfachen, dichten Stachelhecke umgeben sind.
»Du hast gar nicht nötig, so aufs Geratewohl zu reisen,« meinte der Mann zutraulich. »Hast du Geld mit?«
»Genug.«
»So will ich dich zu In Asl bringen.«
»Dafür würde ich dir herzlich dankbar sein und dir später ein gutes Bakschisch[23] geben. Aber hat Ibn Asl jetzt Sklaven?«
»Noch nicht. Wir wollen eben jetzt eine Fahrt nach Requiq unternehmen. Murad Nassyr will Sklaven haben, und wenn uns das Glück wie immer begünstigt, so bleiben für dich mehr übrig, als du brauchen kannst.«
»So ist Murad Nassyr bei Ibn Asl?«
»Nein. Er ist nach Faschodah voraus.«
Das war mir ungeheuer lieb. Ich hegte den kühnen Gedanken, Ibn Asl aufzusuchen, also mich in die Höhle des Löwen zu begeben. Er kannte mich ja nicht, denn am Wadi el Berd hatte er mich nur von weitem gesehen. Wäre aber Murad Nassyr bei ihm gewesen, der mich kannte, so hätte ich mich unmöglich sehen lassen können; es wäre einfach um mich geschehen gewesen. Freilich konnten auch der Mokkadem und der Muza‘bir bei dem Sklavenjäger sein. Die beiden Schurken kannten mich ebenso genau wie der Türke. Es galt also, unauffällig eine diesbezügliche Erkundigung einzuziehen.
»Weißt du, weshalb der Türke jetzt eigentlich gekommen ist?« fuhr der Mann, welcher ganz zutraulich geworden war, fort.
»Nein.«
»Kennst du seine Familie?«
»Ich weiß nur, daß er zwei Schwestern hat.«
»Das stimmt. Und daraus ersehe ich auch, daß du die Wahrheit redest und wirklich derjenige bist, für den du dich ausgiebst. Er hat Ibn Asl eine dieser Schwestern zum Weibe gebracht. Auf einer Seriba am obern weißen Nile wird die Hochzeit sein. Wenn du mit uns ziehst, kannst du das Fest mitmachen. Ibn Asl ist bei solchen Gelegenheiten außerordentlich freigebig. Auch sein Vater ist dabei.«
»Er hat einen Vater?« fragte ich, indem ich mich verstellte.
»Ja, sein Vater lebt noch. Er zieht als frommer Fakir am Nile auf und ab, um unter dieser Maske die Geschäfte seines Sohnes zu fördern.«
»Ist er schon jetzt bei ihm?«
»Eigentlich ja. Für kurze Zeit aber ist er abwesend, mit einer Schar unserer Sklavenjäger in die Steppe gezogen, um Gericht zu halten.«
»Gericht?«
»Ja, um einen fremden Giaur, welcher uns großen Schaden bereitet hat, zu bestrafen.«
»Du machst mich neugierig!«
»Ibn Asl mag es dir selbst erzählen, wenn es ihm beliebt. Ich weiß nicht, ob ich zu dir von ihm sprechen darf. Der Christ ist ein Schurke, ein Teufel, den wir vernichten müssen.«
Wenn er gewußt hätte, daß ich selbst dieser Schurke, dieser Teufel war! Er fuhr fort:
»Er ist von Kahira aus verfolgt worden bis hierher, aber vergebens. Selbst dem Mokkadem ist er entgangen, als er – —«
»Dem Mokkadem?« fragte ich. »Welchen Mokkadem meinst du?«
»Den der heiligen Kadirine.«
»Welcher Abd el Barak heißt? Ah, den kenne ich sehr gut. Ich habe ihn in Kahira getroffen.«
»Wirklich? So freue ich mich um so mehr, daß ich dir hier begegnet bin. Du wirst Freunde finden. Der Mokkadem ist nämlich auch mit Murad Nassyr nach Faschodah. Er hat einen Muza‘bir bei sich, und beide wollen unsern Sklavenzug mitmachen.«
Da wußte ich ja auf einmal, was ich wissen wollte. Es befand sich kein Bekannter von mir bei Ibn Asl, und so konnte ich es wagen, zu ihm zu gehen. Eben jetzt berührte die Sonne den westlichen Horizont, und es galt, das Mogreb, das Gebet des Sonnenunterganges, vorzunehmen. Da ich für einen Moslem zu gelten hatte, so war ich gezwungen, wenigstens die äußeren Bewegungen mitzumachen. Ich ging also zu Ben Nil und kniete neben ihm, der bereits im Beten war, nieder.
Ich hätte bei dem Fremden bleiben können, hatte aber meinen guten Grund, das scheinbare Gebet bei meinem Gefährten zu verrichten. Dieser mußte doch erfahren, was ich mit dem andern gesprochen und verhandelt hatte; er hätte sonst sehr leicht einen Fehler begehen und durch irgend eine Aeußerung das Gelingen meines Planes zunichte machen können. Eine lange Rede durfte ich da freilich nicht halten. Der Fremde konnte sich uns nähern, und dann mußte Ben Nil schon unterrichtet sein. Darum sagte ich ihm, als das Gebet beendet war:
»Merke auf! ich bin ein Sklavenhändler aus Suez und heiße Amm Selad. Du bist mein Diener und nennst dich Omar. Wir kennen Murad Nassyr, von dem ich Sklaven gekauft habe, und auch den Mokkadem. Wir sind nilaufwärts und kommen jetzt von Chartum.«
»Schön, Effendi!« nickte der Jüngling.
»Um Allahs willen, sag‘ das Wort Effendi jetzt nicht wieder, außer wenn du ganz sicher weißt, daß wir allein sind. Du hast Herz. Ich habe etwas vor, wozu Mut gehört. Es ist ein großes Wagnis. Willst du nicht mitthun, so bin ich dir nicht gram darüber, und du kannst hier im Dorfe die Ankunft der Asaker erwarten.«
»Herr, gehe wohin du willst, ich gehe mit! Und wenn es in den Tod wäre. Wenn es sich um eine Gefahr handelt, werde ich dich um so weniger verlassen.«
»Gut! Du bist ein braver, treuer Kerl. In Asl befindet sich nämlich hier, und ich gehe zu ihm, um seine gegen den Reïs Effendina gerichteten Absichten zu erfahren und dieselben zu durchkreuzen. Ich thue, als ob ich mich ihm auf dem Sklavenzuge, den er bald antreten wird, anschließen will, um von ihm Schwarze zu kaufen.«
Ich konnte nicht weiter sprechen, denn der Fremde trat zu uns und sagte:
»Du fragtest mich, ob du in einer Hütte des Dorfes schlafen könntest. Du wirst aber nicht hier schlafen können, denn ich werde dich nach dem Abendgebete zu Ibn Asl führen.«
»Warum erst dann?«
»Ich erwarte noch ein Schiff. Du weißt, daß Schiffe gewöhnlich des Nachts nicht fahren, sondern an das Ufer legen. Im höchsten Falle fährt man bis eine Stunde nach Sonnenuntergang. Bis dahin muß ich also hier warten. Dann aber, wenn es noch nicht gekommen ist, weiß ich, daß es heute überhaupt nicht mehr kommt, und kann meinen Posten verlassen.«
»Was ist es für ein Schiff?«
»Darf dieser junge Mann alles hören?« gegenfragte er, indem er auf Ben Nil deutete.
»Ja. Er ist der treueste und verschwiegenste meiner Diener, und ich habe kein Geheimnis vor ihm.«
»Du hast von dem Reïs Effendina gehört?«
»Ich habe ihn sogar in Kahira gesehen.«
»Du weißt auch, welche Aufgabe er zu vollbringen hat?«
»Das weiß jedermann. Er soll den Sklaven-Jägern und —Händlern nachspüren und sie fangen. Ich hörte, daß er ganz besondere und außerordentliche Vollmachten überkommen hat.«
»So ist es allerdings. Allah verdamme diesen Hund! Er hat schon viel Unheil über die Jäger gebracht und erst kürzlich im Wadi el Berd eine ganze Schar unserer Kameraden hingemordet.«
Wenn er gewußt hätte, daß ich nicht nur dabei gewesen war, sondern sogar diese Schar aufgespürt und festgenommen hatte!
»Das wird er nicht Mord, sondern Strafe nennen,« sagte ich.
»Willst du ihm das Wort reden?«
»Nein. Ich als Sklavenhändler kann doch unmöglich sein Freund sein. Wenn er so fortfährt, wie er es bisher getrieben hat, wird bald kein Sklave mehr zu kaufen sein.«
»Der Giaur, von dem ich dir vorhin sagte, ist sein Freund und Gehilfe. Bald wird dem einen wie dem andern das Handwerk gelegt sein. Der Giaur wird sich jetzt wohl schon in den Händen der Unserigen befinden, und auf den Reïs Effendina warten wir stündlich.«
»Es ist also sein Schiff, welches du hier sehen willst?«
»Ja. Er kommt, und Ibn Asl liegt im Hinterhalte.«
»Will er das Schiff des Reïs Effendina angreifen?«
»Das kann ihm nicht einfallen. Das Schiff ist so gebaut und bewaffnet, daß wir trotz unserer Ueberzahl sehr leicht den kürzern ziehen könnten. Wozu überhaupt kämpfen, wobei es selbst auf der Seite des Siegers Verwundete und Tote giebt! Man kann einen Feind auf andere Weise unschädlich machen.«
»Wie denn, zum Beispiele?«
»Man nimmt zum Beispiel – —«
Ich war außerordentlich gespannt, das Folgende zu hören. Wenn der Mann diesen Satz aussprach, so erfuhr ich alles, was ich wissen wollte, und brauchte mich gar nicht zu Ibn Asl und in Gefahr begeben. Leider aber hielt er schon beim vierten Worte inne, legte sich, wie erschrocken, die Hand auf den Mund und fügte dann hinzu:
»Fast hätte ich da mehr gesagt, als ich wohl verantworten kann. Du hast ein so Vertrauen erweckendes Gesicht, daß ich dir alles sagen könnte, ohne zu fragen, ob ich auch wohl das Recht dazu habe. Ich will aber schweigen. Ibn Asl mag es dir selbst mitteilen, und ich bitte dich, ihn ja nicht merken zu lassen, daß ich so gesprächig gegen dich gewesen bin.«
»Ich bin nicht sehr mitteilsam. Du kannst ruhig sein. Weißt du denn gewiß, daß der Reïs Effendina kommen wird? Der Mann soll nicht nur schlau, sondern auch sehr vorsichtig sein.«
»Was das betrifft, so ist der Giaur, der christliche Effendi, noch weit mehr zu fürchten, wie uns gesagt worden ist. Ibn Asl hat dem Reïs Effendina eine Falle gestellt, in welche er sicher gehen wird.«
»Kennst du diese Falle?«
»Ja. Eigentlich sollte ich nicht davon sprechen; aber du bist ein Sklavenhändler und wirst mit uns ziehen, und da du schon soviel weißt, kannst du das auch noch erfahren. Wir haben ihm nämlich auf eine Weise, daß er es glauben muß, weisgemacht, daß ein großer Sklaventransport bei der Dschesireh Hassanieh über den Nil gesetzt werden soll. Er kommt also ganz gewiß, um denselben abzufangen, und wird dabei in sein Verderben laufen.«
Damit war das Gespräch zu Ende, wenigstens so weit es für mich Wichtigkeit hatte. Ich hätte zwar gar zu gern noch erfahren, auf welche Weise der Reïs Effendina unschädlich gemacht werden solle, denn wußte ich das, so wußte ich eben alles, und brauchte ihm nur entgegenzugehen, um ihn zu warnen; aber ich durfte nicht weiter in den Mann dringen; er hätte leicht mißtrauisch werden und Verdacht schöpfen können.
Wir saßen noch eine Stunde lang beisammen, unsere Aufmerksamkeit nilabwärts gerichtet. Ich war vielleicht noch mehr gespannt als der Wächter, denn wenn der Reïs jetzt vorüber kam, ohne daß ich ihn auf irgend eine Weise zu warnen vermochte, so war er verloren. Glücklicherweise aber blieb er noch aus.
Nun kam das Aschia, das Abendgebet, eine Stunde nach Sonnenuntergang, und dann konnten wir aufbrechen. Ich hatte nicht gefragt, in welcher Weise das geschehen sollte, erfuhr es aber jetzt, denn der Mann sagte:
»Wir werden reiten. Wir gehen zu dem Scheik el Beled, um uns für euch Pferde geben zu lassen.«
»Wird er sie uns geben, da er uns doch nicht kennt?«
»Er würde sich nicht weigern, da ja eure Kamele hier bleiben, und das sind, wie ich gesehen habe, keine wertlosen Tiere. Aber er thut es auch Ibn Asl zuliebe.«
»Kennt er ihn?«
»Er ist unser heimlich Verbündeter. Du weißt, daß wir Sklavenjäger überall Helfer haben müssen, welche uns beraten oder warnen; er ist einer von ihnen. Ich werde ihm, wenn ich vor Tagesanbruch zurückkehre, die Pferde wiederbringen.«
Der Scheik war allerdings bereit, uns die Tiere zu borgen; er wies sogar die Bezahlung, welche ich ihm bot, zurück. Wir stiegen auf und ritten davon, in die finstere Nacht hinein, denn der Schein der Sterne hatte noch nicht die spätere Stärke erreicht.
Es ging wohl eine Stunde lang gerade südwärts, wie ich merkte, in die Steppe hinein; dann bogen wir östlich nach dem Flusse um. Einzelne Bäume erschienen. Sie wurden nach und nach dichter, bis wir uns im Walde befanden. Wir mußten da unter einem großen Baume halten bleiben, während unser Führer sich entfernte, um, wie er sagte, Ibn Asl von unserer Ankunft zu benachrichtigen und ihn zu fragen, ob er uns ihm bringen dürfe. Wir stiegen ab.
»Hast du Angst, Effendi?« flüsterte Ben Nil mir zu.
»Nein, aber gespannt bin ich sehr.«
»Ich auch. Wenn man uns erkennt, so ist‘s um uns geschehen.«
»Es ist ja niemand dabei, der uns gesehen hat. Dennoch müssen wir in höchstem Grade vorsichtig sein. Auf keinen Fall aber dürfen wir uns auseinander bringen lassen, damit, wenn es nötig ist, einer dem andern helfen kann.«
»Ob es weit von hier ist?«
»Wohl nicht. Wir werden nicht allzulange zu warten haben.«
Das war sehr richtig, denn schon nach vielleicht zehn Minuten kehrte unser Führer zurück und sagte:
»Mein Herr ist bereit, euch zu empfangen. Nehmt die Pferde an die Hand, und folgt mir langsam und vorsichtig. Ihr werdet nun gleich abwärts schreiten müssen.«
Es war stockdunkel um uns her; aber die Bäume standen nicht nahe beisammen. Schon nach wenigen Schritten senkte sich das Terrain abwärts, und dann sahen wir mehrere Feuer brennen, deren Schein uns trefflich zu statten kam. Sie flammten hart am Ufer des Stromes, dessen Wasser sie goldig färbten.
Dort stand kein Baum. Es war eine Omm Sufah-Strecke gewesen, aber das Gras war abgeschnitten worden und lag nun in mehreren Haufen oberhalb des Platzes. Omm Sufah ist nämlich Sumpfgras, eine Sacharum-Art, welche am obern Nile in ungeheuern Mengen vorkommt. Es wächst am Ufer, im seichten, sumpfigen Wasser, wird von den Wellen losgerissen und von einer Stelle zur andern getragen. Es sammelt sich in den Buchten an, wird da wieder fortgespült und bildet dann Inseln, welche abwärts schwimmen. Oft ist die ganze Breite des Stromes mit Omm Sufah bedeckt, und dann müssen die Schiffer mühsam arbeiten, um mit den Fahrzeugen durchzukommen.
Als wir unter den Bäumen hervortraten, sah ich gegen hundert Männer um die Feuer liegen oder kauern, ganz oder halb bekleidet, viele auch nur mit dem Lendenschurze. Es waren alle Gesichtsfarben bis zum tiefsten Mohrenschwarz vertreten, innerlich war aber jedenfalls einer so schwarz wie der andere. Da, wo die Omm Sufah-Haufen lagen, standen sechs große Fässer, und oberhalb dieser Stelle erhob sich die Gestalt des Noquer aus dem Wasser, welches hier so tief war, daß das Fahrzeug sich mit der ganzen Seite dicht an das Ufer schmiegte. Dort brannte, abgesondert von den andern, ein kleines Feuer, an welchem drei Männer saßen, zu denen wir geführt wurden. Sie standen bei unserem Näherkommen auf .
Der eine war von mittlerer aber breiter Statur, hatte einen schwarzen Vollbart und trug einen weißen Haïk. Ich erkannte ihn augenblicklich. Das war der Mann mit dem weißen Dschebel Gerfeh-Kamele, den ich am Wadi el Berd verfolgt hatte, ohne ihn einholen zu können, Ibn Asl, der berüchtigtste der Sklavenjäger. Er musterte uns mit scharfem Blicke, und auch die beiden andern ließen ihre Augen streng, beinahe finster, auf uns ruhen.
»Sallam,« grüßte ich und wollte weiter sprechen; er aber winkte mir mit der Hand Schweigen und fragte:
»Dein Name?«
»Amm Selad aus Suez.«
»Dieser junge Mann?«
»Omar, mein Gehilfe.«
Diener wollte ich doch nicht sagen, weil da Ben Nil wohl nicht hätte bei mir bleiben dürfen.
»Wieviel Sklaven willst du kaufen?«
»Soviel ich bekommen kann.«
»Und wohin lieferst du?«
Sollte ich mich in dieser Weise ausfragen lassen? Je bescheidener ich mich verhielt, desto geringer war jedenfalls meine Sicherheit. Er durfte nicht denken, einen untergeordneten Charakter vor sich zu haben. Darum antwortete ich diesmal in kurzem Tone:
»Dahin, wo ich Geld bekomme. Meinst du, daß ich jedermann sofort meine Geschäftsgeheimnisse offenbare?«
»Amm Selad, du trittst sehr zuversichtlich auf!«
»Hast du es von einem Manne meines Berufes anders erwartet? Wie ist denn dein Auftreten? Fragt man einen Gast, ohne ihm einen Platz anzubieten, sogleich in dieser Weise aus?«
»Wer hat gesagt, daß du mein Gast sein sollst?«
»Niemand; aber ich halte es natürlich für ganz selbstverständlich.«
»Das versteht sich nicht so ganz von selbst. Unsereiner hat vorsichtig zu sein.«
»Ich ebenso. Wenn ich dir nicht gefalle, so brauche ich mich auch nicht zu bemühen, Wohlgefallen an dir zu finden, und kann wieder gehen. Komm, Omar!«
Ich drehte mich um, und Ben Nil that ebenso. Da trat In Asl schnell zu mir, legte mir die Hand an den Arm und sagte:
»Halt! Du kennst deine Lage nicht. Wer hier an diesem Orte zu mir kommt, der darf nicht wieder fort.«
Ich sah ihm lächelnd ins Gesicht und antwortete:
»Und wenn ich dennoch gehe?«
»So werde ich dich festzuhalten wissen.«
»Versuche es!«
Bei diesen Worten ergriff ich Ben Nil bei der Hand und sprang, ihn hinter mich herziehend, unter die Bäume hinein. Glücklicherweise war er so geistesgegenwärtig, sogleich dieselbe Schnelligkeit wie ich zu entfalten. Das hatte In Asl nicht erwartet; wir waren fort, ehe er eine Bewegung gemacht hatte, mich festzuhalten. Dann aber schrie er laut:
»Haltet sie fest, ihr Männer! Auf, hinter ihnen her!«
Was Beine hatte, rannte in den Wald, Ibn Asl selbst auch und die beiden andern. Ich hatte nur zwanzig Schritte weit gemacht und mich dann in einem kurzen Bogen wieder zurückgewendet, dahin, wo die Omm Sufah-Lichtung aufhörte. Dorthin drang der Schein des Feuers nicht, und dort zog ich Ben Nil mit mir in das Schilf hinein, wo wir uns niederduckten. Hinter uns erklangen die Zurufe der vergeblich nach uns Suchenden.
»Warum. liefst du denn nicht weiter?« fragte mich Ben Nil. »Sie hätten uns nicht eingeholt!«
»Weil ich gar nicht fort will!«
»Du willst hier stecken bleiben?«
»Nein. Ich wollte Ibn Asl nur zeigen, daß ich mir nichts befehlen lasse. Jetzt sind sie alle unter den Bäumen verschwunden. Komm!«
Wir krochen aus dem hohen Schilfe heraus und schnellten uns nach dem Feuer hin, an welchem Ibn Asl gesessen hatte. Dort setzten wir uns nieder. Drei Flinten und drei Tabakspfeifen lagen da, und daneben stand ein thönernes Gefäß mit Rauchtabak. Wir stopften uns schnell jeder eine Pfeife und steckten sie in Brand. Da erscholl hinter uns ein Ruf der Verwunderung: »Dort sitzen sie ja, dort am Feuer!«
Dieser Ruf ging von Mund zu Mund weiter, und man kehrte ebenso schnell, wie man davongelaufen war, zurück. Wir saßen ruhig da und rauchten. Die Männer wußten nicht, was sie dazu sagen sollten. Sie riefen, schrieen und lachten durcheinander. Ibn Asl mußte sich Bahn brechen, um zu uns zu gelangen.
»Allah akbar – Gott ist groß!« rief er aus. »Was fällt euch ein! Wir suchen euch, und ihr sitzt hier!«
»Ich wollte dir nur zeigen, daß ich mich entfernen kann, wenn ich mich entfernen will. Ihr hättet uns gewiß nicht einholen können. Aber ich bin gekommen, um ein Geschäft mit dir zu machen, und werde nicht eher fortgehen, als bis es zustande gekommen ist.«
Ich sagte das in einem so zuversichtlichen Tone, daß sein vorher so finsteres Gesicht sich zu einem Lächeln verzog und er kopfschüttelnd sagte:
»Amm Selad, einen Mann wie du bist, habe ich noch nicht gesehen. Du bist außerordentlich keck; da mir das aber gerade gefällt, so will ich dir den Schabernack, den du uns gespielt hast, nicht anrechnen. Kehrt an eure Plätze zurück!«
Dieser Befehl galt seinen Leuten, welche denselben sogleich befolgten. Er setzte sich zu meiner Rechten nieder, und die beiden andern folgten diesem Beispiele. Ja, keck war ich gewesen, und nun galt es, abzuwarten, ob es gute Folgen haben werde. Wir waren weder gegrüßt noch willkommen geheißen worden, und solange dies unterblieb, durften wir uns nicht sicher fühlen. Ibn Asl nahm die dritte Pfeife, stopfte sie, zündete sie an und sagte dann, mir den Rauch fast gerade in das Gesicht blasend:
»Was soeben geschehen ist, habe ich wirklich noch nicht erlebt. Entweder bist du ein leichtsinniger Spaßvogel oder ein vielerfahrener Händler.«
»Das erstere nicht, sondern das letztere,« antwortete ich. »Ich bin durch viele Gefahren gegangen und fürchte mich nicht, wenn jemand mich empfängt, ohne mich sofort willkommen zu heißen.«
»Kann ich dir »Marhaba«[24] sagen, ohne daß ich dich kenne?«
»Ja und auch nein. Jeder thut nach seiner Art. Ich heiße jeden willkommen, der mich aufsucht.«
»Und wenn er ein schlechter Mensch ist?«
»So habe ich stets noch Zeit, ihn wieder fortzujagen.«
»Nachdem du den Schaden erlitten hast! Nein, erst die Prüfung und dann die Entscheidung!«
»So prüfe! Mir soll es angenehm sein. Aber ich sage dir, daß ich sehr ermüdet bin. Wir sind heute weit geritten und bedürfen des Schlafes. Habe also die Gewogenheit, deine Prüfung nicht etwa über die ganze Nacht auszudehnen!«
Er sah die beiden andern und diese blickten wieder ihn an. Sie wußten nicht, ob sie lustig oder grimmig dreinschauen sollten, bis Ben Nil mit sehr ernsthafter Miene hinzufügte:
»Und Hunger haben wir auch!«
Da lachte Ibn Asl laut auf und antwortete.
»Bei Allah, ihr seid sonderbare Menschen! Aber ich will einmal von meinen Gewohnheiten abweichen und euch Vertrauen schenken.«
»Das kann dir doch gar nicht schwer fallen,« sagte ich. »Eigentlich wäre es viel schwerer für mich, Vertrauen zu dir zu hegen. Wir haben das Wagnis unternommen, dich aufzusuchen. Ist das nicht der beste Beweis, daß wir es ehrlich meinen?«
»Ich sollte das eigentlich denken!«
»Denke es, so wirst du dich nicht irren! Ich war sehr erfreut, als ich hörte, daß du hier bei der Dschesireh seist. Ich wollte hinauf nach dem Bahr el Ghasal oder gar bis zum Bahr el Dschebel, um dort irgend eine Seriba aufzusuchen. Das wäre eine weite Reise ins Ungewisse hinein gewesen. Jetzt kann ich, wenn du es erlaubst, mich zu dir halten und bin überzeugt, daß wir in immerwährender Geschäftsverbindung bleiben werden.«
»Es fragt sich, welche Preise du bezahlst.«
»Wie die Ware, so der Preis. Ich kaufe den Requiq gleich frisch vom Fange weg und transportiere ihn selbst.«
»Du hast aber doch keine Leute dazu!«
»Die werbe ich später an. Ich denke, daß ich bei den Schilluk oder Nuehr genug Krieger bekommen kann.«
»Das erfordert viel Geld, das heißt viel Ware, denn da oben wird nur mit Ware bezahlt!«
»Die kaufe ich in Faschodah. Geld habe ich.«
»Dann wagest du freilich viel. Wie nun, wenn ich dich töte, um dir das Geld abzunehmen?«
»Du bist zu klug, dies zu thun.«
»Nennst du es Klugheit von mir, dir dein Geld zu lassen?«
»Ja. Beraubtest du mich jetzt, so hättest du einen einmaligen Gewinn; bist du aber ehrlich, so kannst du oft und viel mehr von mir verdienen.«
»Du rechnest richtig. Es wird dir bei mir nichts geschehen.«
»So freut es mich, daß ich mich in dir nicht getäuscht habe. Was mich betrifft, so wird Murad Nassyr für mich bürgen.«
»Das ist es, was mich bewogen hat, dich zu mir zu lassen. Du kennst ihn; du hast von ihm gekauft, und so will ich annehmen, daß ich mit dir werde zufrieden sein können. Ich habe nichts dagegen, daß du mit mir ziehst.«
»Wohin wird dein Zug gerichtet sein?«
»Davon später. Jetzt wollen wir uns nur erst kennen lernen. Ich heiße dich willkommen, dich und deinen Gehilfen. Ihr sollt bei mir schlafen und jetzt auch mit uns essen.«
Von den andern Feuern drang ein sehr appetitlicher Bratenduft herbei. Man hatte, wie ich erfuhr, am Nachmittage ein Rind geschlachtet. Es war in Streifen zerschnitten worden, welche man jetzt röstete. Wir erhielten unsern Anteil und aßen wacker mit. Dabei wurde gesprochen, das heißt, ich mußte sprechen. Ibn Asl fragte mich aus. Er wollte soviel wie möglich von mir hören, mich, meine Vergangenheit, meine Verhältnisse so eingehend wie möglich kennen lernen. Ich gab ihm den ausführlichsten Bescheid. Natürlich war alles, was ich erzählte, ersonnen. Ich dachte mir einen Sklavenhändler in Suez, malte mir die Umstände aus, in welchen er sich befinden konnte, kalkulierte über die möglichen Geschäftsverbindungen, dachte nach, welche Reisen er gemacht haben könne, und brachte, da ich die betreffende Scenerie zur Genüge kannte, mit leidlichem Glück ein Bild fertig, für welches Ibn Asl sich mehr und mehr zu interessieren begann. Der Mann taute auf und teilte mir später auch verschiedenes aus seinem Leben mit.
Was ich da hörte, machte mich grauen. Dieser Mensch hatte nie ein Herz, ein Gewissen gehabt. Seine Seele schien gar nichts Menschliches zu haben. Er hatte eine wahre, wirkliche Lust am Bösen, und je mehr und je länger er erzählte, desto größer wurde der Abscheu, welchen er mir einflößte. Er hingegen schien immer mehr Wohlgefallen an mir zu finden; seine Aufrichtigkeit wuchs. Er erzählte mir schließlich von mir selbst, von dem Schaden, den ich ihm durch die Befreiung der Frauen und Mädchen der Fessarah bereitet hatte. Er schilderte mich, natürlich von seinem Standpunkte aus, und aus jedem seiner Worte sprach ein Haß, ein Grimm gegen mich, der einen andern als mich vielleicht zum Zittern gebracht hätte. Er teilte mir mit, daß er mir Leute entgegengesandt habe, welche mich in der Steppe aufheben sollten, und schloß mit den Worten:
»Diesen Leuten habe ich meinen Vater zum Anführer gegeben, und bin also sicher, daß nichts versäumt werden wird, seiner habhaft zu werden.«
»Man kann ihn aber doch leicht umgehen,« meinte ich. »Kennt man denn die Richtung, in welcher er kommt?«
»Ziemlich genau. Er wird sich ganz gewiß von den Fessarah einen Führer mitgeben lassen, und wir wissen, welchen Weg die Fessarah einschlagen, wenn sie nach Chartum reisen. Diesmal ist es ihm unmöglich, uns zu entkommen, und dann sollst du an ihm sehen, wieviel hundert Schmerzen und Qualen ein Mensch zu ertragen vermag, bevor er stirbt.«
»So willst du ihn zu Tode martern?«
»Ja. Er soll jedes Glied einzeln verlieren. Ich werde ihm die Nase, die Ohren, die Lippen, die Zunge, die Augen nacheinander nehmen.«
»Und was geschieht mit den Asakern, die ihn begleiten?«
»Ich habe den Befehl erteilt, dieselben einfach über den Haufen zu schießen. Man wird mir ihn also ganz allein bringen. Mein Vater kann in jedem Augenblicke zurückkehren.«
Also jedes Glied, jedes Sinnesorgan sollte mir einzeln abgeschnitten, ausgestochen oder herausgerissen werden! Das war ein außerordentlich tröstlicher Gedanke für mich für den Fall, daß man entdeckte, wer ich war! Die Haare hätten mir zu Berge steigen mögen! Dennoch wagte ich es, eine Erkundigung einzuziehen, die mir leicht verderblich werden konnte. Ich nannte nämlich den Fakir el Fukara und fragte ihn, ob er denselben kenne.
»Freilich kenne ich ihn,« antwortete er. »Er ist doch auch Sklavenjäger gewesen.«
»Gewesen? Jetzt also nicht mehr?«
»Nein. Er ist fromm geworden und bereitet sich auf die Zukunft vor.«
»Hat er irgend einen besondern Plan für dieselbe?«
»Das ist möglich; er redet nicht davon. Er liest viele Bücher, weltliche und geistliche, und es kommen und gehen bei ihm Leute, die man nicht kennt und mit denen er lange und geheime Unterredungen hält. Vielleicht will er ein großer Marabut oder ein Wanderprediger des Islam werden. Vielleicht aber ist das auch nur eine Maske, unter welcher er ganz andere Absichten verbirgt. Er haßt den Vicekönig, welcher ihn aus dem Amte gejagt hat, und wird sich wohl auf irgend eine Weise an ihm rächen wollen.«
Sollte es diesem Manne mit seiner Mahdischaft wirklich ernst sein? Wenn das der Fall war, so hatte ich eigentlich die Verpflichtung, die Regierung zu warnen. Er hatte davon gesprochen, daß der Mahdi sich mit einem höheren ägyptischen Offizier verbünden werde. Vielleicht hatten die Besuche, welche er empfing, unter anderm auch den Zweck, eine solche Verbindung anzuknüpfen oder gar schon zu pflegen. Ich nahm mir vor, zuerst dem Reïs Effendina Mitteilung zu machen, welcher diese Angelegenheit leichter zu beurteilen vermochte als ich. Erst viel später, als der Aufstand im Sudan im Gange war, hörte ich, daß mit jenem Offiziere wohl Arabi Pascha gemeint gewesen sei, doch steht es sehr zu bezweifeln, daß er damals schon mit ihm in irgend einer Beziehung gestanden habe.
Leider konnte ich noch immer nicht das erfahren, was zu wissen mir am notwendigsten war. Ihn Asl brachte das Gespräch nicht wieder auf den Reïs Effendina. Ich hütete mich zwar, die Rede direkt auf denselben zu lenken, aber ich gab mir alle Mühe, ihn indirekt und ohne daß er es bemerkte, auf diesen Gegenstand zu leiten, doch vergeblich. Es verging die Zeit bis nahe an Mitternacht, und dann erklärte er, daß er nun schlafen wolle, und forderte mich auf, ihn zu begleiten.
»Wohin?« fragte ich.
»Auf das Schiff. Dort haben wir mehr Schutz vor den Mücken, und ich werde dir ein Mückennetz geben. Du schläfst bei mir. Daraus kannst du ersehen, daß ich Wohlgefallen an dir gefunden habe.«
Ich glaubte ihm das letztere, obgleich er mich auch leicht aus dem Grunde, mich unter seiner besondern Aufsicht zu behalten, zu sich einladen konnte.
»Ich möchte dir nicht lästig fallen,« wand ich ein. »Ich bin gewöhnt, auf meinen Reisen mit Omar, meinem Gehilfen, zu schlafen. Erlaube, daß er bei mir bleibt!«
»Ich habe nur Platz für mich und dich. Er soll auch eine gute Stelle erhalten, denn er wird bei meinen Offizieren schlafen, welche auch eine eigene Kajüte haben.«
Eine weitere Einwendung durfte ich nicht machen, da ein solches Beharren auf meinem Willen ihn sehr leicht stutzig hätte machen können. Darum mußte ich mich fügen. Uebrigens glaubte ich keinen Grund zu haben, auf das Beisammensein mit Ben Nil zu dringen. Es war bisher ja alles sehr gut abgelaufen, und ich hatte nicht die mindeste Ursache, anzunehmen, daß uns bis zum Morgen irgend eine Gefahr drohe.
Im Verlaufe unseres Gespräches hatte ich beobachtet, daß viele der Sklavenjäger an Bord gegangen waren, um, jedenfalls der lästigen Mücken halber, im Schiffe zu schlafen. Das Innere desselben schien also jetzt leer zu sein, da es so viele Schläfer fassen konnte.
Es führte eine Art Leiter, an welcher wir emporstiegen, vom Ufer auf das Deck. Dort angekommen, wendeten sich die beiden andern, die er als seine Offiziere bezeichnet hatte, nach vorn; sie nahmen Ben Nil mit; ich fand keine Zeit, ihm irgend welche Verhaltungsmaßregeln zu erteilen. Ibn Asl ging mit mir nach hinten.
Der Unterschied zwischen einer Dahabijeh und einem Noquer besteht darin, daß der letztere ein offenes Verdeck hat, wenigstens ist der mittlere Teil des Fahrzeuges frei. Vorn befindet sich gewöhnlich die Schiffsküche, welche einige Sklavinnen zu bedienen haben, und hinten giebt es ein kleines Verdeck, einen Verschlag, in welchem der Herr des Schiffes oder der Reïs[25], zu wohnen pflegt.
Ob die »Eidechse« diese Einrichtung auch besaß, das konnte ich trotz des jetzt ziemlich hellen Sternlichtes nicht erkennen. Daß sich hinten eine Kajüte befand, das erfuhr ich allerdings, denn Ibn Asl führte mich in dieselbe. Sie bestand aus zwei Abteilungen, einer vorderen, kleineren, und einer hinteren, größeren. Er blieb in der erstern stehen und brannte eine Lampe an. Beim Scheine derselben sah ich, obgleich ich nur wenig Zeit zur Umschau hatte, daß rechter Hand ein Sitzkissen lag, während zur linken ein Holzkasten stand, in welchem allerlei Handwerkszeuge, wie sie auf einem Schiffe zu jeder Zeit gebraucht werden, sich befanden. Dieser letztere Umstand wurde mir später sehr wichtig.
»Tritt schnell ein, damit keine Mücken mit hineinkommen!« forderte er mich auf, indem er eine Matte, welche die beiden Abteilungen voneinander schied, zur Seite schob. Ich folgte seiner Aufforderung, und als er dann die Lampe an einer an der Decke befestigten Schnur aufgehangen hatte, konnte ich die Einrichtung der Kajüte sehen. Sie bestand nur aus einigen Kissen, welche an den Holzwänden lagen, und einer höchst unkünstlerisch bemalten Kiste, die seinen Kleiderbehälter bilden mochte. Er nahm aus derselben zwei Mückennetze, von denen er mir das eine gab. Ich wickelte mich kunstgerecht hinein, und er that mit dem seinigen dasselbe.
War ich der Meinung gewesen, daß wir nun schlafen würden, so hatte ich mich geirrt. Er sagte mir vielmehr, daß er Lust habe, sich weiter zu unterhalten, bis das Oel der Lampe ausgebrannt sei. Das war mir gar nicht unlieb, denn auf diese Weise konnte ich vielleicht doch noch das erfahren, was ich bis jetzt vergeblich hatte wissen wollen.
»Du hast zwar gesagt, daß du müde seist,« meinte er; »aber du kannst ja in den Tag hinein schlafen, solange es dir beliebt.«
20
Dorf.
21
Dorfschulze.
22
Sklaven.
23
Trinkgeld, Geschenk.
24
Willkommen.
25
Kapitän.