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Zweites Kapitel: Der Koenigsschatz

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Der einstige Indianeragent lehnte sich, von der Erzählung ermüdet, in seinen Stuhl zurück, nahm die beifälligen Aeußerungen der Zuhörer ruhig hin und gab ihnen auf die Fragen, die sie noch hatten, um sich dieses und jenes ergänzen zu lassen, die erwünschten Auskünfte.

Als diese Erkundigungen aber gar kein Ende nehmen wollten, bat er:

»Laßt mich nun in Ruhe, Mesch‘schurs! Ich habe die Geschichte nicht erzählt, um mir einen ganzen Korb voll Fragen an den Kopf werfen zu lassen, sondern um zu beweisen, daß die Weißen oft schlechter sind als die Roten und daß ich Winnetou, den Häuptling der Apatschen, kenne. Wenn ihr aufmerksam zugehört habt, so müßt ihr sagen, daß der Bahnüberfall und der von dem »Kapitän« und seinen Leuten geplante Schurkenstreich fast nur durch seinen Scharfsinn und seine Tapferkeit so glücklich abgeschlagen wurden. Er ist eben ein Mann, mit dem sich kein andrer Indianer und wohl selten ein Weißer zu vergleichen vermag. Seine Gestalt ragt über alle andern hoch empor, und wenn er einmal untergegangen sein wird, wie seine ganze, beklagenswerte Nation dem Untergange geweiht ist, sein Name wird nicht untergehen und vergessen werden, sondern noch im Munde unsrer Kinder, unsrer Enkel und Urenkel weiterleben.«

»Well, da habt Ihr recht, Sir,« stimmte ein alter Herr bei, der an einem Nebentische saß und der Erzählung mit größter Aufmerksamkeit gelauscht hatte; »doch wenn Ihr es erlaubt, daß ein Fremder eine Ansicht äußern darf, mit der er Euch aber nicht beleidigen will, so möchte ich eine Bemerkung machen.«

»Nach der Weise, wie Ihr Euern Wunsch vorbringt, kann ich nicht annehmen, daß es Eure Absicht ist, mich zu beleidigen. Also, Eure Bemerkung?«

»Ihr sagtet, die Apatschen seien durch ihre Feigheit und Hinterlist bekannt gewesen, hätten sich durch sie den Schimpfnamen »Pimo« zugezogen und wären nur, seit er ihr Häuptling ist, geschickte Jäger und tapfere, ja verwegene Krieger geworden.«

»Das habe ich allerdings gesagt. Seid Ihr nicht damit einverstanden?«

»Nein.«

»Warum?«

»Weil ich sie anders kenne, und weil ich sie schon gekannt habe, als Winnetou noch ein Kind war. Ja, es giebt einige Stämme unter ihnen, denen die Natur ihrer Wohnsitze nichts, gar nichts zu bieten vermag und die darum nicht bloß körperlich, sondern auch geistig heruntergekommen sind. Daran sind aber die Weißen schuld, die sie von ihren einstigen, besseren Jagd- und Weidegründen verdrängt haben und nun glauben, sie verachten zu dürfen. Von andern Stämmen aber, und besonders von den Mescaleros, darf man das ja nicht sagen. Die Mescaleros besonders haben stets, und seit man sie kennt, die Eigenschaften gepflegt, welche bei Winnetou so voll und ganz zur Geltung kommen.«

»Kennt Ihr diesen Stamm, Sir?«

»Ihn ganz besonders; ich kannte ihn, wie bereits gesagt, als Winnetou noch ein Kind war. Ich habe nie, weder unter den Roten noch unter den Weißen, einen so wahren, edlen, treuen und aufopferungsfähigen Freund besessen, wie Intschu tschuna war.«

»Intschu tschuna? War das nicht der Vater Winnetous?«

»Ja. Auch dieser edle Indsman wurde von Weißen ermordet, er und Nscho-tschi, seine Tochter, die Schwester Winnetous, diese schönste, beste und seelenreinste Tschargooscha[7] der Apatschen!«

»Seid Ihr auch Westmann gewesen?«

»Was man Westmann nennt, eigentlich nicht. Ich bin, was man einen Gelehrten nennt, ohne mich aber für sehr gelehrt zu halten. Mein Lieblingsfach war das ethnologische, und meine Studien litten mich nicht daheim. Ich interessierte mich besonders für die rote Rasse und befand mich den größten Teil des Jahres auf der Wanderung von einem Volke zum andern. Da lernte ich die Indianer kennen und – — schätzen; sie kannten und achteten auch mich, denn sie wußten, daß ich nicht als Feind, sondern als Freund zu ihnen kam. Ich wurde ihr Lehrer und Berater in vielen Dingen, und sie unterwiesen mich dafür im Gebrauche der Waffen und in allen Fertigkeiten, die zum Kriege und der Jagd gehören, obwohl ich ein Mann des Friedens war; aber jagen mußte ich doch, um mich zu ernähren, und zuweilen kam ich auch in die Lage, mich gegen einen Feind wehren zu müssen, der aber meist kein Indianer, sondern ein Weißer war. Ihr habt vorhin behauptet, daß die Weißen schlimmer seien als die Roten, und ich gebe Euch da vollständig recht. Ich könnte Euch manches, gar manches erzählen, was ein sprechender Beweis für diese Behauptung ist.«

»So thut es doch, Sir! Gebt uns wenigstens eine Eurer Erfahrungen zum besten!«

»Hm! Das könnte ich wohl thun, wenn die andern Gentlemen es auch wünschen.«

»Natürlich wünschen sie es! Wir sind heut einmal beim Erzählen, und das ist höchst interessant. Nicht wahr, Mutter Thick?«

Die Wirtin, welche eben wieder einige volle Gläser gebracht hatte, antwortete, als diese Frage an sie gerichtet wurde:

»Das will ich meinen, Sir! Seht Euch doch einmal im Zimmer um! Alles lauscht nach Eurem Tisch, und es ist noch nie bei mir so still und friedlich zugegangen wie jetzt. Ich meine auch, daß eine solche Geschichte viel besser und genteeler ist, als wenn die Gentlemen sich miteinander zanken und balgen und mir dabei die Tische und Stühle zerschlagen und die Flaschen und Gläser zerbrechen. Also nur zu, Sir; laßt uns Eure Erzählung hören!«

»Well!« nickte der Ethnologe. »Wenn es Euch recht ist, so soll eine vom Stapel laufen, und ich will versuchen, es auch so hübsch und fließend zu machen wie die andern Masters vor mir. Also, es mag beginnen:

»Es war ein wunderbar schöner Junimorgen, eine wirkliche Seltenheit in jener weit entlegenen Ecke, welche der nordwestliche Winkel des Indianerterritoriums mit den geradlinigen Grenzen von Kansas, Colorado und Neu-Mexiko bildet. Es hatte während der Nacht ziemlich stark getaut; nun funkelten an Halmen und Zweigen brillantene Tropfen, und der eigenartige Duft des Büffelgrases und der kurzlockigen Grama erhielt eine so erquickende Frische, daß die Lunge das balsamische Cumarin in langen, tiefen Zügen einatmete.

Ein solcher Morgen pflegt auf die Stimmung des Menschen von wohlthätiger Wirkung zu sein, und doch ritt ich ziemlich verdrossen in den prachtvollen Tag hinein. Der Grund war ein sehr einfacher: mein Pferd ging lahm. Es war vorgestern beim Galoppieren an einer Wurzel hängen geblieben. Und in der Prairie ein lahmes Pferd zu reiten, das ist nicht nur ärgerlich, sondern es kann unter Umständen sogar von den verhängnisvollsten Folgen sein. Bei den dort täglich drohenden Gefahren hängen Leben und Sicherheit des Jägers nur zu oft von der Brauchbarkeit seines Tieres ab.

Ich hatte mit einigen Coloradomännern droben in der Nähe von Spanish Peaks gejagt und war dann über die Willow-Springs hierher nach dem Nescutunga-Creek gekommen, um an dessen rechtem Ufer mit Will Salters zusammenzutreffen, mit welchem ich vor Monaten in Nebraska Biber gefangen und dann beim Scheiden das gegenwärtige Stelldichein verabredet hatte. Wir wollten das Indianerterritorium bis an die südöstliche Grenze durchreiten und dann gerade nach Westen in den Llano estacado gehen, um diese berüchtigte Wüste kennen zu lernen.

Dazu war ein gutes Pferd unbedingt nötig, und das meinige lahmte. Es hatte mich treu durch viele Gefahren getragen; ich wollte es gegen kein anderes vertauschen, und so war ich gezwungen, ihm Ruhe zu gönnen, bis der Fuß sich wieder eingerichtet haben würde. Die dadurch entstehende Zeitversäumnis war höchst unangenehm, und so erschien es nicht ganz ungerechtfertigt, daß ich mich nicht bei guter Laune befand.

Während mein Mustang langsam über die Prairie hinkte, sah ich mich nach Anzeichen um, aus denen ich die Nähe des Flusses zu erraten vermochte. Da, wo ich ritt, gab es nur vereinzeltes Buschwerk. Nach Norden aber zog sich eine dunkle Linie hin, welche mich auf geschlosseneren Baumund Strauchwuchs schließen ließ. Ich lenkte also nach dieser Richtung ab, denn wo sich mehr Vegetation findet, muß auch mehr Wasser sein.

Ich hatte recht gehabt. Die dunkle Linie bestand aus Mezquite- und wilden Kirschensträuchern, welche sich an beiden Ufern des Flusses hinzogen. Dieser letztere war nicht breit und, wenigstens an der Stelle, an welcher ich auf ihn traf, auch nicht tief.

Ich ritt langsam am Ufer hin, aufmerksam nach einem Zeichen Will Salters‘ suchend, der ja schon vor mir hier angekommen sein konnte.

Und richtig! Im seichten Wasser lagen zwei große Steine hart nebeneinander, zwischen welche ein größerer Ast so eingeklemmt war, daß der kleine Zweig, welcher sich an demselben befand, flußabwärts wies.

Dies war unser verabredetes Zeichen, welches ich in kurzen Unterbrechungen nochviermal bemerkte. Salters befand sich hier und war dem Laufe des Wassers nachgeritten. Da seine Fährte nicht mehr zu erkennen war und die Blätter der Signalzweige sich bereits in welkem Zustande befanden, so war Salters nicht später als höchstens gestern hier gewesen.

Nach einiger Zeit bog der Fluß noch mehr nach Norden ab; er schien einen Bogen zu machen. An dieser Stelle zeigte der Ast, welchen Will in den Ufersand gesteckt hatte, in die Prairie hinein. Er war also dem Flusse nicht gefolgt; er hatte den Bogen des Flusses auf der Sehnenlinie abschneiden wollen. Ich that natürlich ganz dasselbe.

Nun gewahrte ich gerade vor mir einen nicht sehr hohen, einzeln, stehenden und zerklüfteten Berg, welcher vermöge seiner isolierten Lage ganz geeignet war, dem einsamen Westmanne als Fanal zu dienen. In einer guten halben Stunde hatte ich ihn erreicht. Sein Gipfel war kahl, der untere Teil nur von Buschwerk bestanden, und zwar sehr dürftig. Darum wunderte ich mich, an der Ostseite, als ich ihn umritten hatte, mehrere Gruppen von Platanen zu erblicken, von denen die stärkste sicher über tausend Jahre alt war. Es fiel mir auf, daß das Erdreich hier in einem beträchtlichen Umkreise tief aufgewühlt war. Es gab da Löcher von einigen Metern Tiefe, sichtlich mit Hacke und Schaufel ausgearbeitet. Gab es hier in dieser entlegenen Gegend Menschen? Wozu waren diese Löcher gemacht worden?

Ich ritt weiter, hielt aber bereits nach kurzer Zeit wieder an, denn ich gewahrte eine Fußspur im Grase.

Als ich abgestiegen war, um sie genau zu untersuchen, fand ich, daß sie von einem weiblichen oder noch nicht ausgewachsenen männlichen Fuße, welcher mit indianischem, absatzlosem Mokassin bekleidet gewesen war, herrührte. Gab es hier Indianer? Oder hatte ein Weißer indianisches Schuhwerk getragen? Die Eindrücke beider Füße waren gleichmäßig; jetzt fiel mir dieser Umstand nicht besonders auf; später jedoch sollte ich an ihn erinnert werden.

Eigentlich hätte ich dieser Fährte folgen sollen; aber sie führte nach Norden, dem Flusse zu, während meine Richtung ostwärts ging; ich wollte baldigst auf Salters treffen; darum stieg ich wieder auf und ritt weiter.

Nach einiger Zeit dachte ich, aus gewissen Anzeichen schließen zu müssen, daß diese Gegend nicht so unbesucht sei, wie ich vorher geglaubt hatte. Einzelne zerknickte Halme, an den Zweigen gebrochene Aestchen, hier und da ein wie von einem menschlichen Fuße zu Mehl zertretenes Steinchen ließen vermuten, daß hier irgend ein Nachkomme des ersten Menschenpaares vorüber gekommen sei. Darum war ich auch nur erstaunt, nicht aber erschrocken, als ich später, den Fluß wieder erreichend, hart am Ufer desselben ein mit jungen Tabaks- und Maispflanzen bestecktes Feld bemerkte. Jenseits desselben erhob sich ein niedriges Blockhaus mit einer hohen, aber sehr beschädigten Fenz um den ziemlich beträchtlichen Vorplatz.

Also eine Farm hier am Nescutunga-Creek! Wer hätte das denken sollen! Hinter der Fenz rieb sich ein alter, spitzhüftiger Gaul den Kopf an dem leeren Futtertroge, und außerhalb derselben erblickte ich einen jungen Menschen, welcher beschäftigt war, eine schadhafte Stelle der Umzäunung auszubessern.

Er schien über mein Erscheinen zu erschrecken, blieb aber stehen, bis ich bei ihm anhielt.

»Good morning!« grüßte ich ihn. »Darf ich erfahren, wie der Besitzer dieses Hauses heißt?«

Er strich sich mit der Hand durch das dichte blonde Haar, betrachtete mich forschend mit den prächtigen, germanisch blauen Augen und antwortete:

»Rollins heißt er, Sir.«

»Du bist der Sohn?«

Ich nannte ihn »Du«, weil er wohl kaum mehr als sechzehn Jahre zählte, obgleich sein kräftig entwickelter Körper gleichsam auf ein höheres Alter deutete. Er antwortete:

»Ja, der Stiefsohn.«

»Ist dein Vater daheim?«

»Seht Euch um! Da ist er.«

Er deutete nach der engen, niedrigen Thür, aus welcher soeben ein Mann trat, welcher sich bücken mußte, um oben nicht anzustoßen. Er war sehr lang, sehr hager und schmalbrüstig, und zwischen den wenigen Haaren seines dünnen Vollbartes blickte die Gesichtshaut wie gegerbtes Leder hervor. Seine Yankeephysiognomie verfinsterte sich, als er mich sah. Er hatte ein altes Gewehr und eine Hacke in den Händen und legte beides nicht weg, als er langsam auf mich zutrat. Er richtete den stechenden Blick feindselig auf mich und erkundigte sich mit heiser klingender Stimme:

»Was wollt Ihr hier!?«

»Zunächst will ich Euch fragen, Master Rollins, ob nicht vielleicht gestern oder vorgestern ein Mann bei Euch vorgesprochen hat, der sich Salters nannte und irgend einen Auftrag zurückgelassen hat.«

Da antwortete der Sohn schnell:

»Das war gestern früh, Sir. Dieser Salters war —«

Er konnte nicht weiter sprechen. Sein Vater stieß ihm den Gewehrkolben in die Seite, daß der arme Junge wimmernd gegen die Fenz taumelte, und rief zornig:

»Willst du schweigen, Kröte! Wir haben keine Lust, einen jeden Landstreicher zu bedienen!« Und zu mir gewendet, fuhr er fort: »Macht Euch von dannen, Mann! Ich wohne weder für Euch, noch für Euren Salters hier!«

Das war einfach grob. Ich hatte meine eigne Hinterwaldsmanier, solche Leute zu behandeln. Ich stieg gemütlich vom Pferde, band es an die Fenz und sagte:

»Diesesmal werdet Ihr doch eine Ausnahme machen müssen, Master Rollins. Mein Pferd geht lahm, und ich werde hier bei Euch bleiben, bis es geheilt ist.«

Er trat einen Schritt zurück, maß mich mit zornblitzenden Augen vom Kopfe bis zu den Füßen herab und schrie:

»Seid Ihr toll? Mein Haus ist kein Boardinghaus, und wer sich hier breit machen will, dem brenne ich sehr einfach eine Ladung Schrot auf den Pelz. Zounds! Da ist ja auch dieser miserable Indsman wieder! Warte, Bursche, dich will ich forträuchern!« ich folgte schnell mit meinem Blicke dem seinigen, welcher bei den letzten Worten auf ein nicht sehr entferntes Buschwerk gerichtet war. Von dorther kam ein junger Indianer herbeigeschritten. Rollins erhob das Gewehr und legte auf ihn an. Er drückte gerade in demselben Augenblicke ab, in welchem ich ihm den Lauf zur Seite schlug. Der Schuß krachte, ging aber fehl.

»Hund! Du vergreifst dich an mir?« brüllte mich der Yankee an. »Da, nimm das dafür!«

Er drehte schnell das Gewehr um und holte zum Kolbenhiebe aus. Die Hacke hatte er vorher, um schießen zu können, weggelegt. Ich stieß ihm die Faust unter den erhobenen Arm und schleuderte ihn so kräftig gegen die Fenz, daß sie unter ihm zusammenbrach. Die Büchse entfiel ihm und ich griff sie auf, ehe er sich wieder erhoben hatte. Er riß im Aufstehen das Messer aus der Scheide und gurgelte mit vor Zorn erstickter Stimme:

»Mir das! Auf meinem Grund und Boden! Das kostet Blut und Leben!«

Ich hatte ebenso schnell meinen Revolver in der Hand, hielt ihm denselben entgegen und antwortete:

»Ihr meint wohl Euer Blut und Leben? Steckt sofort das Messer ein! Meine Kugel ist schneller als Eure Klinge, Mann!«

Er ließ den bereits erhobenen Arm sinken und hielt die Augen nicht gegen mich, sondern nach der andern Ecke des Blockhauses gerichtet. Dort hielt ein Reiter, welcher unbemerkt von uns herbeigekommen war und mir lachend zurief:

»Schon bei der Arbeit, alter Bursche? Recht so! Schlage den Kerl nieder; er hat es verdient. Aber gieb ihm keine Kugel, denn einen Schuß Pulvers ist er nicht wert.«

Dieser Reiter war Will Salters. Er kam vollends herbei, gab mir die Hand und fuhr fort:

»Welcome, Kamerad! Wenn es nach diesem Scurvy fellow gegangen wäre, hättest du mich nicht wiedergefunden. Ich schätze, er hat dich grad so empfangen, wie gestern mich. Dafür erhielt er einige Nasenstüber, für welche er mir eine Kugel nachschickte, die aber höflicher war als er; sie wich mir weit zur Seite aus. Ich wollte dich hier bei ihm erwarten, durfte aber nicht, sagte jedoch seinem Sohne, daß ich heut‘ zurückkehren würde, um zu sehen, ob der Mann bei besserer Laune sei. Wenn es dir recht ist, geben wir ihm eine Lektion im Umgange mit unsersgleichen. Ich will mich einstweilen seiner Persönlichkeit versichern!«

Er stieg ab. Da raffte Rollins die Hacke vom Boden auf und floh in weiten Sprüngen davon. Wir blickten ihm verwundert nach. Sein Verhalten war befremdend. Erst rücksichtslose Grobheit und nun feige Flucht! Wir kamen nicht dazu, eine Bemerkung darüber zu machen, denn aus der Thür, hinter welcher sie bisher ängstlich versteckt gewesen war, trat jetzt eine Frau. Sie hatte Rollins hinter den Büschen verschwinden sehen und sagte, froh aufatmend:

»Gott sei Dank! Ich glaubte schon, es werde zum Blutvergießen kommen. Er ist betrunken. Er hat während der ganzen Nacht phantasiert und dann die letzte Flasche Brandy ausgetrunken!«

»Ihr seid seine Frau?« fragte ich.

»Ja. Ich hoffe, daß ich es nicht zu entgelten habe, Mesch‘schurs! Ich kann ja nichts dafür.«

»Das wollen wir glauben. Fast möchte man annehmen, daß Euer Mann geistig gestört sei.«

»Das ist er leider auch. O Gott, ihr glaubt gar nicht, wie unglücklich ich bin! Er bildet sich ein, daß ein Schatz hier in der Nähe vergraben liege. Den will er heben. Kein andrer soll ihn finden, und darum duldet er keinen Menschen in dieser Gegend. Hier dieser junge Indsman ist schon seit vier Tagen hier. Er konnte nicht weiter, weil er sich den Fuß vertreten hat, und wollte bei uns bleiben, bis er wieder richtig laufen kann; aber Rollins jagte ihn fort. Nun muß der arme Teufel im Freien kampieren.«

Sie deutete auf den Indianer, welcher herbei gekommen war. Es war alles so schnell geschehen, daß ich ihn noch nicht wieder hatte beachten können.

Er mochte achtzehn Jahre alt sein. Sein Anzug war aus mit Gehirn gegerbter Hirschhaut gefertigt und an den Nähten ausgefranst. Diese Fransen waren nicht mit Menschenhaaren geschmückt; er hatte also noch keinen Feind getötet. Sein Kopf war unbedeckt. Seine Waffen bestanden aus einem Messer und Bogen mit Köcher. Er durfte wohl noch kein Feuergewehr tragen. Um den Hals trug er eine messingene Kette, an welcher das Rohr einer Friedenspfeife hing; der Kopf derselben fehlte. Das war das Zeichen, daß er sich auf der Wallfahrt nach den heiligen Steinbrüchen befand, aus welchen die Indianer den Pfeifenthon beziehen. Während dieser Reise ist ein jeder unverletzlich. Selbst der blutgierigste Gegner muß ihn da unbeschädigt ziehen lassen, ja, ihn nötigenfalls sogar beschützen.

Die offenen, intelligenten Züge dieses Jünglings gefielen mir. Das Gesicht hatte einen fast kaukasischen Schnitt. Die Augen waren sammetschwarz und mit dem Ausdrucke des Dankes auf mich gerichtet. Er streckte mir die Hand entgegen und sagte:

»Du hast Ischarshiütuha beschützt. Ich bin dein Freund!«

Diese letztere Versicherung klang sehr stolz; das gefiel mir ebenso wie der Sprecher selbst. Sein Name aber frappierte mich. Ischarshiütuha ist ein apatschisches Wort und heißt so viel wie »kleiner Hirsch«, darum fragte ich:

»Bist du ein Apatsche?«

»Ischarshiütuha ist der Sohn eines großen Kriegers der Mescalero-Apatschen, der tapfersten roten Männer.«

»Sie sind meine Freunde, und Intschu tschuna, der größte ihrer Häuptlinge, ist mein Bruder.«

Sein Blick fuhr rasch und scharf an meiner Gestalt empor. Dann fragte er:

»Intschu tschuna ist der tapferste der Helden. Wie nennt er dich?«

»Yato-inta.«

Da trat er um mehrere Schritte zur Seite, senkte den Blick und sagte.

»Die Söhne der Apatschen kennen dich. ich bin noch kein Krieger; ich darf nicht mit dir sprechen.«

Das war die Demut eines Indianers, welcher den Rang eines andern offen anerkennt, den Kopf aber nicht um einen Zehntelzoll niederbeugt.

»Du darfst mit mir sprechen, denn du wirst einst ein berühmter Krieger sein. Du wirst in kurzer Zeit nicht mehr Ischarshiütuha, der kleine Hirsch, heißen, sondern Pehnulte, der große Hirsch. Du hast einen kranken Fuß?«

»Ja.«

»Und bist aus deinem Wigwam ohne Pferd gegangen?«

»Ich hole den heiligen Pfeifenthon. ich laufe.«

»Dieses Opfer wird dem großen Geiste gefallen. Komm in das Haus!«

»Ihr seid Krieger, und ich bin noch jung. Erlaubt, daß ich bei meinem kleinen weißen Bruder bleibe!«

Er trat zu dem hübschen blonden, blauäugigen Knaben, welcher still und traurig dagestanden hatte, die Hand auf die Stelle gelegt, an welche ihn der Gewehrkolben seines Vaters getroffen hatte. Die beiden wechselten einen Blick, ganz unbewußt, mir aber sofort auffallend. Sie standen jedenfalls jetzt nicht zum erstenmale nebeneinander. Der »kleine Hirsch« war nicht ohne Absicht hier; er verbarg ein Geheimnis, vielleicht gar ein für die Bewohner des Blockhauses gefährliches. Ich fühlte das Verlangen, hinter dasselbe zu kommen, ließ mir aber nichts merken.

Die Knaben blieben also im Freien; ich folgte mit Will Salters der Frau in das Haus oder vielmehr in die Hütte, deren Inneres aus einem einzigen Raume bestand.

Da sah es denn höchst ärmlich aus. Ich war schon in mancher Blockhütte gewesen, deren Bewohner sich auf das Notwendigste zu beschränken hatten; hier aber war es schlimmer. Das Dach war höchst defekt, die Verstopfung der Zwischenräume in den Blockwänden verschwunden. Durch diese Löcher und Ritzen kroch das Elend ein und aus. Ueber dem Herde hing kein Kessel. Der Speisevorrat schien nur aus einer geringen Anzahl von Maiskolben zu bestehen, welche in einer Ecke lagen. Die einzige Kleidung der Frau bestand aus dem dünnsten, verschossenen Druckkattun. Sie ging barfuß. Ihr einziger Schmuck war die Sauberkeit, welche trotz dieser Aermlichkeit wohlthuend an ihr auffiel. Auch ihr Sohn war höchst ungenügend gekleidet gewesen, doch jede zerrissene Stelle sorgfältig ausgebessert.

Als ich auf das nur aus Laub bestehende Lager in der Ecke und dann in das bleiche, abgehärmte Gesicht dieser braven Frau blickte, kam mir, ohne daß ich es eigentlich wollte, die Frage über die Lippen:

»Ihr habt Hunger, liebe Frau?«

Sie errötete schnell und wie beleidigt; dann aber brachen plötzlich die Thränen aus ihren Augen, und sie antwortete, mit der Hand nach dem Herzen greifend:

»O Gott, ich wollte gar nicht klagen, wenn nur Joseph sich satt essen könnte! Unser Feld trägt nichts, weil mein Mann es verwildern läßt; so sind wir also auf die Jagd angewiesen, die aber auch nichts bringt, weil Rollins den Wahnsinn hat, nur immer nach dem Schatze zu graben.«

Ich eilte hinaus zu meinem Pferde, um meinen Vorrat an Dürrfleisch herein zu holen, den ich ihr gab. Der gute Will Salters war ebenso schnell zu seinem Pferde und brachte auch seinen Vorrat herein.

»O Mesch‘schurs, wie gut ihr seid!« sagte sie. »Man möchte euch gar nicht für Yankees halten.«

»Da habt ihr, wenigstens in Beziehung auf mich, unrecht,« antwortete ich. »Ich bin ein Deutscher. Master Salters aber hat zwar nur von mütterlicher Seite deutsches Blut in den Adern, ist aber ein noch viel besserer Kerl als ich. Seine Mutter war eine Oesterreicherin.«

»Herrgott! Und ich bin in Brünn geboren!« rief sie aus, die Hände froh zusammenschlagend.

»Also eine Deutsche! So können wir uns ja der Muttersprache bedienen.«

»Ach ja, ach ja! Ich darf mit meinem Sohne nur heimlich deutsch reden. Rollins leidet es nicht.«

»Ein schrecklicher Kerl!« sagte Salters. »Ich will Sie nicht kränken; aber es ist mir ganz so, als ob ich ihm früher, vor Jahren, einmal begegnet sei, unter für ihn nicht ehrenvollen Umständen. Er hat eine große Aehnlichkeit mit einem Kerl, den man nur unter einem indianischen Namen kannte. Ich weiß nicht, was dieser Name bedeutet. Wie lautete er doch nur? Ich glaube, so ähnlich wie Indano oder Indanscho.«

»Inta-‘ntscho!« klang es vom Eingange her.

Dort stand der junge Indianer. Er hatte natürlich nicht die deutschen Worte, aber doch den Namen verstanden. In seinem Auge glühte es flackernd auf. Als da mein Blick forschend auf ihn fiel, drehte er sich um und verschwand von der Thür.

»Dieser Name ist dem Apatschischen entnommen, welches du nicht verstehst,« erklärte ich dem Gefährten. »Es bedeutet so viel wie »böses Auge«.«

»Böses Auge?« fragte die Frau. »Dieses Wort sagt mein Mann sehr oft, wenn er im Traum spricht, oder in der Betrunkenheit dort in der Ecke sitzt und sich mit unsichtbaren Personen zankt. Er ist zuweilen über eine Woche lang fort. Da bringt er sich aus Fort Dodge drüben am Arkansas Brandy mit; ich weiß nicht, wovon er ihn bezahlt. Dann trinkt und trinkt er, bis er nicht mehr denken kann, und spricht von Blut und Mord, von Gold und Nuggets, von einem Schatze, der hier vergraben liegt. Wir getrauen uns dann Tage und Nächte lang nicht in die Hütte aus Angst, daß er uns umbringen werde.«

Sie unglückliche Frau! Wie sind Sie denn zu der Kühnheit gekommen, einem solchen Manne nach diesem Winkel der Wildnis zu folgen?«

»Ihm? 0, mit ihm wäre ich nie, niemals hierher gegangen. Ich kam mit meinem ersten Manne und dessen Bruder nach Amerika. Wir kauften Land und wurden von dem Agenten betrogen. Das Dokument, welches wir über den Kauf erhielten, war gefälscht. Als wir nach dem Westen kamen, hatte der rechtmäßige Eigentümer die Stelle schon seit Jahren bewohnt und bebaut. Unser Geld war alle; es blieb uns nichts übrig, als vom Ertrage der Jagd zu leben. Dabei gingen wir immer weiter nach dem Westen. Mein Mann wollte nach Kalifornien. Er hatte von dem Golde gehört, welches dort gefunden wird. Wir kamen bis hierher, da ging es nicht weiter; ich war krank und erschöpft. Wir kampierten im Freien, fanden aber zum Glücke nach kurzer Zeit diese Blockhütte. Sie war verlassen. Wem sie gehört hat, wissen wir nicht. Wir behalfen uns so, wie es eben gehen wollte. Aber der Gedanke an Kalifornien ließ meinem Manne keine Ruhe. Er wollte hin. Ich konnte nicht, und sein Bruder wollte nicht; er hatte Sehnsucht nach der Heimat. Gott allein weiß es, nach welchen schweren Kämpfen ich die Erlaubnis gab, daß mein Mann allein nach dem Goldlande gehen möge, um sein Glück zu versuchen, während der Schwager bei mir bleiben solle. Er ist nie zurückgekehrt. Ein halbes Jahr nach seinem Weggange wurde mir mein Joseph geschenkt. Er hat seinen Vater nie gesehen. Er war drei Jahre alt, als der Schwager einst des Morgens auf die Jagd ging und nicht wiederkam. Einige Tage später fand ich ihn am Ufer des Flusses liegen. Er hatte eine Schußwunde im Kopfe. Vielleicht ist er von einem Indianer ermordet worden.«

»War er skalpiert?«

»Nein.«

»So ist der Mörder ein Weißer. Wie aber haben Sie leben können?«

»Von dem kleinen Maisvorrate, den wir hier nebenan erbaut hatten. Dann kam mein jetziger Mann in diese Gegend. Er wollte jagen und dann weiter gehen, blieb aber länger und länger und zuletzt für immer da. Ich war froh, ihn zu haben; ohne ihn wäre ich mit meinem Kinde verhungert. Er ging hinüber nach Dodge City und ließ meinen Mann für tot erklären. Ich brauchte einen Beschützer und mein Sohn einen Vater. Rollins ist beides geworden. Einst aber hatte ihm von einem Schatze geträumt, der hier vergraben sei. Sonderbarerweise wiederholte sich dieser Traum so oft, daß Rollins nicht nur fest an die Existenz dieses Schatzes glaubt, sondern in einen förmlichen Wahn verfallen ist. Des Nachts phantasiert er von dem Golde, und des Tages gräbt er nach dem Golde.«

»Wohl an dem Berge, an dessen Fuße die alten Platanen stehen?«

»Ja. Aber ich darf nicht mit hin und mein Sohn ebensowenig. Ich kann keinem Menschen sagen, wie unglücklich ich bin. Ich bete täglich und stündlich um Errettung. Wenn Gott doch helfen wollte!«

»Er wird helfen, wenn auch seine Hilfe Ihnen anfänglich Schmerz bereiten sollte. Ich habe so oft im Leben die Erfahrung gemacht, daß – —«

Ich wurde unterbrochen. Joseph kam herein und bat uns, hinauszukommen und den Himmel zu betrachten. Wir folgten ihm, verwundert über dieses Verlangen. Der »kleine Hirsch« stand draußen und blickte aufmerksam nach einem Wölkchen, welches fast scheitelrecht über unsern Köpfen stand. Sonst aber war der Himmel vollständig rein und ungetrübt. Joseph sagte uns, daß der Indianer dieses Wölkchen für uns sehr gefährlich halte. Der »kleine Hirsch« sprach nämlich ganz leidlich englisch und konnte sich also dem weißen Knaben verständlich machen. Will Salters zuckte die Achsel und sagte:

»Dieses Cigarrenwölkchen soll uns gefährlich sein? Pshaw!«

Da wendete der Indianer den Kopf zu ihm hin und sagte nur das eine Wort:

»Iltschi.«

»Was bedeutet das?« fragte mich Will.

»Wind, Sturm!«

»Unsinn! Ein gefährlicher Wind, also eine Bö, kommt nur aus einem »Loche«, das heißt, wenn sich der ganze Himmel schwarz umzogen hat und sich in dieser schwarzen Decke ein rundes, helles Loch befindet. Hier aber ist es umgekehrt. Der Himmel ist außer dieser Stelle vollständig ungetrübt.«

»Ke-eikhena-iltschi,« sagte der Indianer.

Jetzt wurde ich doch aufmerksamer. Diese drei Worte bedeuten »der hungrige Wind«. Der Apatsche bezeichnet mit diesem Ausdrucke einen Wirbelsturm. Ich fragte den jungen Mann, ob er einen solchen befürchte. Er antwortete:

»Ke-eikhena-akh-iltschi.«

Das heißt »der sehr hungrige Wind« und bedeutet gar eine Windhose. Wie kam der Apatsche zu dieser Vermutung? Ich konnte an dem Wölkchen wirklich nichts Verdächtiges bemerken; aber ich wußte auch, daß diese Kinder der Wildnis einen wunderbaren Instinkt für gewisse Naturereignisse besitzen.

»Unsinn!« meinte Salters zu mir. »Komm herein! Ich glaube gar, du fängst an, ein bedenkliches Gesicht zu machen.«

Da legte der Indianer sich den Finger an die Stirn und sagte zu ihm:

»Ka-a tschapeno!«

Er hatte wohl gemerkt, daß Will nicht apatschisch verstand und bediente sich des Tonkawadialektes, zu deutsch. »Ich bin nicht krank,« nämlich im Kopfe. Salters verstand ihn, nahm ihm aber die Worte übel und trat wieder in die Hütte. Ich benutzte diese Gelegenheit, dem »kleinen Hirsch« zu zeigen, daß ich ihm seine früheren Antworten nicht geglaubt hatte. Ich fragte ihn:

»Welcher Fuß meines jungen Freundes ist krank?«

»Sintsch-kah – der linke Fuß,« antwortete er.

»Warum aber hinkte mein Bruder mit dem rechten Fuße, als er dort aus den Sträuchern kam?«

Es glitt ein Lächeln der Verlegenheit über sein Gesicht, doch antwortete er schnell gefaßt:

»Mein tapferer Bruder hat sich geirrt.«

»Mein Auge ist scharf. Warum hinkt der »kleine Hirsch« nur dann, wenn er gesehen wird? Warum ist sein Gang richtig, wenn er allein ist?«

Er blickte mich forschend an, ohne zu antworten. Darum fuhr ich fort:

»Mein junger Freund hat von mir gehört. Er weiß, daß ich die Fährte lese, daß mich kein Halm des Grases, kein Korn des Sandes zu täuschen vermag. Der junge Hirsch ist heute früh vom Berge herabgekommen und nach dem Flusse gegangen, ohne zu hinken. Ich habe seine Spur gesehen. Hat er auch jetzt den Mut, zu sagen, daß ich mich täusche?«

Er senkte den Blick zur Erde und schwieg.

»Warum sagt der »Hirsch«, daß er nach den heiligen Steinbrüchen mit seinen Füßen gehe?« fuhr ich fort. »Er ist von seinem Wigwam aus bis hierher geritten.«

»Uff!« antwortete er erstaunt. »Wie könntest du das wissen?«

»Ist nicht der größte Häuptling der Apatschen mein Lehrer gewesen? Meinst du, daß ich ihm die Schande mache, mich von einem jungen Apatschen, der noch kein Feuergewehr tragen darf, hintergehen zu lassen? Dein Tier ist ein Tschi-kayi-kle, ein Rotschimmel.«

»Uff, uff!« rief er zweimal als Ausdruck der höchsten Verwunderung.

»Willst du den Bruder Intschu tschunas belügen?« fragte ich vorwurfsvoll.

Da legte er die Hand auf das Herz und antwortete:

»Schi-itkli takla ho-tli, tschi-kayi-kle – — ich habe ein Pferd, einen Rotschimmel.«

»So ist es recht! Ich sage dir sogar, daß du heute früh bei Zeiten die ganze indianische Schule durchgeübt hast.«

»Mein weißer Bruder ist allwissend wie Manitou, der große Geist!« rief er aus, förmlich betroffen.

»Nein. Du bist in Carriere geritten, mit einem Fuße im Sattel hängend und mit einem Arme am Halsriemen, deinen Körper an die eine Seite des Pferdes legend. Das thut man im Kampfe, um sich vor den Geschossen des Feindes zu schützen, zur Friedenszeit aber nur, wenn man die volle Schule übt. Nur bei einem solchen Ritte ist es möglich, daß Mähnenhaare sich an Griff und Scheide des Messers verfitzen und, ausgerissen, hängen bleiben. Solches Mähnenhaar kann nur ein Rotschimmel haben.«

Er fuhr mit beiden Händen nach dem Gürtel, an welchem das Messer in der Scheide lag. Daran hingen einige Haare. Ich sah trotz seiner indianischen Hautfärbung, daß er errötete, und fügte hinzu:

»Das Auge des »kleinen Hirsches« ist hell, aber noch nicht geübt genug für solche Kleinigkeiten, an denen doch oftmals das Leben hängt. Mein junger Bruder ist hierher gekommen, um den Besitzer dieses Hauses zu sehen. Hat er eine Blutrache mit demselben?«

»Ich habe das Gelübde des Schweigens abgelegt,« antwortete er; »aber mein weißer Bruder ist der Freund des berühmtesten Apatschen. Ich will ihm etwas zeigen, was er mir heute noch zurückgeben wird. Er kann davon sprechen, denn meine Stunde ist gekommen.«

Er öffnete das Jagdhemd und zog ein wie ein Briefcouvert viereckig zusammengelegtes Leder hervor. Er gab es mir und schritt davon, nach dem Maisfelde zu, bei welchem jetzt der blonde Joseph stand. Ich sah noch, daß er diesen beim Arme ergriff und mit sich fortzog.

Ich schlug das Leder, welches aus einem gegerbten Hirschfelle geschnitten war, auseinander. Der Inhalt bestand aus einem zweiten Lederstücke aus Büffelkalbfell, nur von den Haaren befreit, mit Kalk gebeizt und zu Pergament geglättet. Es war zweimal zusammengeschlagen. Als ich es auseinander gefaltet hatte, sah ich eine Reihe von Figuren, in roter Farbe hervorgebracht, in der Zeichnung ganz ähnlich der berühmten Felseninschrift von Tsitßumovi in Arizona gehalten. Ich hatte ein Dokument in Indianerschrift in den Händen, eine solche Seltenheit, daß ich gar nicht sogleich an das Entziffern dachte, sondern in die Hütte eilte, um Will Salters diesen Schatz zu zeigen. Er schüttelte den Kopf dazu und meinte ganz verwundert:

»Das soll man lesen können?«

»Natürlich!«

»Nun, so lies du es. Schon wenn es sich um unsre gewöhnliche Schrift handelt, will ich mich lieber mit zwanzig Indsmen als mit drei Buchstaben herumschlagen. Ich bin niemals ein Held im Lesen gewesen; ich schreibe meine Briefe dem Adressaten gleich hier mit der Doppelbüchse in den Leib; das ist das Kürzeste. Die Feder zerbricht mir zwischen den Fingern, und die Tinte schmeckt zu schlecht. Nun erst diese Figuren zu entziffern, das ist ja fürchterlich. Man kann sie hier in der dunkeln Hütte, die nur zwei kleine Gucklöcher an Stelle der Fenster hat, ja gar nicht einmal erkennen.«

»So komm mit hinaus vor die Thür!«

»Na, mitgehen will ich wohl; das Lesen aber magst du allein besorgen.«

Wir gingen hinaus. Die Frau blieb zurück. Sie hatte auf dem Herde ein kleines Feuer angezündet, um einige Stückchen unsres Fleisches zu braten.

Ich hatte die Augen natürlich sofort auf den Figuren; Will Salters aber hielt die seinigen nach dem Himmel gerichtet. Er brummte bedenklich:

»Hm! Eigentümliche Wolke! Habe noch niemals so etwas gesehen. Was sagst du dazu?«

Dadurch aufmerksam gemacht, blickte ich empor. Das Wölkchen war nicht viel größer geworden, hatte aber ein ganz andres Aussehen bekommen. Vorher bläulichgrau, hatte es jetzt eine hellrote, durchsichtige Färbung, und es war, als ob von ihm aus Millionen und aber Millionen spinnenfadendünne, mattgoldene Fäden nach der ganzen Ausdehnung des Gesichtskreises hinuntergingen. Diese kaum sichtbaren Fäden zuckten nicht; sie waren vollständig unbeweglich, wie fest angespannt.

»Nun?« fragte Will.

»Ich habe auch nie etwas Aehnliches gesehen.«

»Sollte dieser junge Mensch, der Indsman, recht behalten mit seinem Wirbelwinde, uns alten, erfahrenen Savannenleuten gegenüber!«

»Bedenklich sieht es aus. Der Apatsche sprach gar von einer Windhose. Das wäre noch schlimmer.«

»Es mag sein, was es wolle, wir müssen es eben abwarten. Ich hoffe, du kannst dich in deiner Indianerschrift besser zurechtfinden, als da oben in dem unbegreiflichen Fadengewirr. Wie steht es?«

»Hm! Wollen sehen! Da vorn sehe ich eine Sonne gemalt mit nur aufwärtsgehenden Strahlen, also wohl die aufgehende Sonne. Dann kommen vier Reiter. Sie haben Hüte auf, sind also wahrscheinlich Weiße. Der vorderste hat etwas am Sattel hängen; kleine Säcke sollen es wohl sein. Hinter diesen vieren kommen zwei andre. Sie haben Federn auf den unbedeckten Köpfen, dürften also wahrscheinlich Indianerhäuptlinge vorstellen.«

»Na, das ist ja alles sehr einfach. Nennst du das etwa lesen?«

»Es ist der Anfang dazu. Man muß erst die Buchstaben kennen lernen, ehe man sie zu Wörtern zusammenzusetzen vermag. Es befinden sich nun noch einige kleinere Figuren hier, welche über den größeren angebracht sind. Ueber dem einen Indianer sehe ich einen Büffel, welcher das Maul öffnet, aus dem einige kleine Striche hervorgehen. Aus dem Maule kann nur die Stimme hervorgehen; es ist also wohl ein brüllender Stier gemeint. Ueber dem Kopfe des anderen Indsman ist eine Tabakspfeife, aus deren Kopfe ähnliche Striche hervorgehen; das soll wohl Rauch bedeuten. Die Pfeife brennt also.«

7

Mädchen.

Old Surehand II

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