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Zweites Kapitel: Ein Ueberfall

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Als wir geweckt wurden, hatten sich die Tiere wieder erholt. Ich beschloß, einen Versuch zu machen, ob das neu erworbene Pferd den Köhler nun aufsitzen lasse. Er gelang. Das Tier mochte gemerkt haben, daß es bei uns nicht gequält werde. So konnte ich meinen Rih wieder besteigen, und dies war ein Glück, wie ich bald einsehen sollte.

Die vorher so kahlen Höhen bewaldeten sich immer mehr, je weiter wir nach Süden kamen; es gab mehr Wasser hier. Infolgedessen wurde unser Ritt beschwerlicher. Von einem gebahnten Wege war keine Rede. Bald mußten wir eine schroffe Höhe erklettern, bald drüben wieder hinuntersteigen; bald ging es zwischen Felsen hindurch, bald durch sumpfiges Land oder über halb verfaulte Bäume hinweg. So gelangten wir am Nachmittag in ein schmales Tal, das nur in seiner Mitte einen wiesenähnlichen Streifen zeigte, hüben und drüben aber mit üppigem Baumwuchse bestanden war. In der Ferne erhob sich in bläulicher Färbung ein großer Berg, der uns mit seinen Vorhügeln den Weg zu verlegen schien.

»Kommen wir dort vorüber?« fragte ich Allo.

»Ja, Herr. Links gehen wir an seinem Fuße hin.«

»Was sagt der Mann?« fragte Lindsay.

»Daß unser Weg dort am linken Fuße des Berges vorüber gehe.«

»Brauchen wir nicht zu wissen!« brummte er mürrisch.

Er sollte sehr bald einsehen, daß diese Bemerkung des Führers für ihn von der größten Wichtigkeit gewesen war; denn kaum öffnete ich die Lippen, um eine Entgegnung auszusprechen, so krachten von beiden Seiten viele Schüsse, und zu gleicher Zeit sprengten mehr als fünfzig Reiter rechts und links unter den Bäumen hervor, um uns zu umzingeln.

Das war eine fürchterliche Ueberraschung! Die sämtlichen Pferde meiner Gefährten waren getroffen und nur das meinige nicht. Ich hatte dies, wie ich später erfuhr, nicht dem Zufalle zu verdanken. Die Reiter suchten sich von den Bügeln zu befreien und zu ihren Waffen zu kommen. Wir waren im Nu von allen Seiten umgeben, und grad auf mich zu kamen zwei Reiter, welche ich augenblicklich wieder erkannte: Scheik Gasahl Gaboya und der Bebbeh, mit dem ich während unserer Verfolgung die Friedensunterhandlung geführt hatte.

Man hatte nur auf unsere Pferde geschossen; man wollte uns also lebendig gefangen nehmen. Infolgedessen ließ ich den Stutzen hangen und griff zur schweren Büchse.

»Wurm, jetzt hab ich dich!« rief der Scheik. »Du entkommst mir nicht wieder!«

Er holte mit der Keule aus, aber in demselben Augenblick sprang Dojan an ihm empor und faßte mit seinen Zähnen den Oberschenkel des Feindes. Dieser stieß einen Laut des Schmerzes aus, und der Hieb, welcher mir gegolten hatte, traf den Kopf meines Pferdes. Es wieherte laut auf, schnellte sich mit allen vieren in die Luft und ließ mir also Zeit, dem Bebbeh einen Kolbenschlag auf die Schulter zu versetzen – dann stürmte es davon, vor Schmerz keiner Führung mehr gehorchend.

»Dojan!« rief ich noch laut hinter mich, denn den braven Hund wollte ich nicht verlieren; dann streckten sich mir viele Lanzenspitzen entgegen; ich schlug sie mit der Büchse von mir ab, mehr wußte ich nicht; aber den Ritt, welcher nun kam, will ich mein Leben lang nicht vergessen. Kein Graben war zu tief, kein Stein zu hoch, kein Riß zu breit, kein Felsen zu glatt und kein Sumpf zu trügerisch – alles, alles, Bäume, Büsche, Felsen, Berg und Tal flogen an mir vorüber, bis ich nur nach und nach wieder die Herrschaft über das rasende Tier gewann. Dann befand ich mich allein in einer wilden, unbekannten Gegend; aber die Richtung hatte ich mir gemerkt, aus welcher ich gekommen war, und grad vor mir lag jener hohe Berg, von dem wir kurz vorher gesprochen hatten.

Was war zu tun? Den Gefährten beispringen? Das war nicht mehr möglich, sondern es stand vielmehr zu erwarten, daß die Bebbeh auch mich verfolgen würden. Aber wie kamen diese Kurden so tief zwischen die Berge herein? Wie hatten sie erfahren, daß wir diesen Weg einschlagen würden? Das war mir ein Rätsel.

Augenblicklich konnte ich für meine Kameraden nicht das Mindeste tun. Sie waren entweder tot oder gefangen. Vor allem mußte ich mich versteckt halten und erst morgen sehen, was auf dem Kampfplatze zu entdecken sei. Dann erst konnte ich etwas für sie tun.

Zunächst untersuchte ich den Kopf meines Pferdes. Es war eine tüchtige Beule aufgelaufen. Ich führte den Hengst an ein nahes Wasser, wo er sich niederlegen mußte. Hier machte ich ihm Umschläge mit derselben Sorgfalt, mit welcher eine Mutter für ihr Kind bedacht wäre. Darüber war wohl eine Viertelstunde vergangen, als ich von ferne her ein Geräusch vernahm. Es war ein Aechzen und Schnauben, als wenn jemand den Atem verlieren will – im nächsten Augenblick kam es dahergesaust, stieß ein lautes Freudengeheul aus und sprang mit solcher Gewalt auf mich ein, daß ich in das Gras stürzte.

»Dojan!«

Der Hund heulte und winselte – seine Freude war nicht zu bändigen. Er sprang einmal auf mich und das andere Mal wieder auf das Pferd ein; ich mußte ihn gewähren lassen, bis er sich allmählich von selbst beruhigte. Auch er war ohne alle Verletzung davongekommen.

Das kluge Tier schien sehr bald zu merken, weshalb ich mich um das Pferd bemühte; denn nachdem Dojan mir eine Weile zugesehen hatte, richtete er sich empor und begann die betroffene Stelle an dem Kopfe seines Freundes sehr sorgsam zu belecken. Rih litt es ruhig und stieß sogar von Zeit zu Zeit ein freundliches Schnauben aus.

So lagen wir noch eine lange Zeit, bis ich es für geraten hielt, diesen Ort zu verlassen. Es war jedenfalls das beste, den Fuß jenes Berges aufzusuchen, von dem der Köhler gesprochen hatte. Ich setzte mich also wieder auf und ritt diesem nahen Ziele entgegen.

Die Seiten des Berges waren mit dichtem Walde bedeckt, und nur tief unten im Tale, durch das uns jedenfalls unser Weg geführt hätte, war Raum zur freien Bewegung vorhanden. Dort erblickte ich eine weit vorstehende Waldesecke, von der aus man jeden Ankommenden bemerken konnte; ich hielt auf sie zu. Als ich sie erreichte, stieg ich ab, zunächst besorgt, für das Pferd ein sicheres Versteck zu suchen. Kaum aber war ich einige Schritte in den Forst eingedrungen, so gab mir Dojan das bekannte Zeichen, daß er etwas Auffälliges wittere. Die Sache war mir zu bedenklich, als daß ich ihn sich selbst überlassen mochte. Ich nahm ihn also an die Leine, band das Pferd an einen Baum und folgte ihm, mit dem schußfertigen Stutzen in der Hand.

Ich schritt dem Hunde zu langsam vorwärts. Er zog so stark an der Schnur, daß sie zu zerreißen drohte; dann gab er zwischen zwei hohen Pinien Laut. Dort standen mehrere Farrn beieinander, und als ich die Wedel derselben mit dem Stutzen auseinander stieß, gewahrte ich, daß ein Loch, das zwei Fuß im Durchmesser haben mochte, hier schräg in die Erde führte.

War ein Tier darin? Wohl nicht. Aber als ich mit dem Stutzen hineinstieß, fühlte ich doch, daß irgend ein Körper darin vorhanden sei, und dieser konnte nichts Feindliches sein, wie ich an dem Gebaren des Hundes bemerkte. Ich bedeutete ihm, hineinzugehen; aber er tat es nicht, sondern wedelte mit dem Schwanze und warf einen freundlichen, erwartungsvollen Blick in das Loch.

Da entschloß ich mich, hineinzugreifen. Ich tat es und erfaßte – einen stark behaarten, zottigen Kopf. Ah, nun war das Rätsel gelöst! Es war der Hund des Köhlers, welcher da drinnen stak. Das Tier war entflohen, als es die Schüsse hörte, und von seiner Angst zufällig hierher geführt worden.

»Eisa!« rief ich.

Ich hatte nämlich beobachtet, daß der Köhler seinen Hund bei diesem Namen rief. Es blieb still in dem Loch; aber als ich den Ruf wiederholte, begann es sich zu regen. Ich schob die Farrnwedel beiseite, und was erblickte ich? Zunächst vernahm ich ein sehr vergnügtes Brummen im großen C oder Kontra-A; dann erschien ein wirres Haargestrüpp, zwischen dem nur eine breite Nase und zwei Aeuglein zu erkennen waren; hierauf kamen zwei Hände, die mit breiten Krallen versehen waren, und sodann ein zerlöcherter Sack, zwei schmierige Lederfutterale, parallel miteinander, und endlich an jedem der Futterale einer der bekannten Koloß-von-Rhodus-Stiefel – Allo stand vor mir, wie er leibte und lebte.

Es war ein freudiger Schreck, der mich bei seinem Anblick ergriff; denn wenn dieser Mann sich gerettet hatte, so konnte es auch den andern gelungen sein, zu entkommen.

»Allo, du hier?« rief ich.

»Ja,« antwortete er ebenso einfach wie richtig.

»Wo ist dein Hund?«

»Zertreten, Chodih!« sagte er mit einem starken Anflug von Trauer in seinem Tone.

»Wie bist du entkommen?«

»Als alle hinter dir herritten, sah niemand auf uns, und ich sprang in die Büsche. Ich kam dann hierher, weil ich dir gesagt hatte, daß wir hier vorüber müßten. Ich dachte, daß du kommen würdest, wenn die Bebbeh dich nicht fänden.«

»Wer ist noch entkommen?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wir müssen hier warten, ob sich noch einer zu uns finden wird. Suche mir ein Versteck für mein Pferd.«

»Ich weiß ein sehr gutes, Chodih.«

»Ah! Du bist hier bereits bekannt?«

»Ich habe auch hier schon Kohlen gebrannt. Folge mir mit dem Pferde!«

Er führte mich eine Strecke von vielleicht einer Viertelstunde aufwärts. Dort fand sich eine Felsenwand, die dicht und vollständig mit langen Brombeerranken bewachsen war. Er schob an einer Stelle die Ranken auseinander, und es war eine sehr beträchtliche, spaltenähnliche Vertiefung zu sehen, in der ein Pferd ganz gut Platz haben konnte.

»Hier wohnte ich,« erklärte er mir. »Binde das Pferd da drinnen an; ich werde ihm Futter schneiden.«

Es waren in der Spalte mehrere Hölzer eingeschlagen, die früher wohl als Tischbeine gedient haben mochten, obgleich dieser Tisch nach orientalischer Weise gewiß sehr niedrig gewesen war. An diese Tischbeine band ich das Pferd fest, so daß es das Versteck nicht ohne mein Wissen verlassen konnte. Draußen fand ich den Kurden beschäftigt, mit seinem Messer fettes Luftgras zu schneiden.

»Gehe hinab, Chodih,« bat er. »Es könnte unterdes jemand kommen. Ich folge nach, sobald ich fertig bin.«

Ich gehorchte seinem Rate und nahm in der Waldecke einen solchen Platz, daß ich alles sehen konnte, ohne selbst bemerkt zu werden. Nach einer Viertelstunde kam der Köhler.

»Ist das Pferd sicher?« fragte ich und setzte, als er bejahte, hinzu: »Hast du Hunger?«

Ein zweifelhaftes Brummen war die Antwort.

»Ich habe leider nichts. Wir müssen uns gedulden bis morgen.«

Er brummte abermals und sagte dann vernehmlich:

»Chodih, werde ich auch für heute zwei Piaster erhalten?«

»Du sollst vier bekommen.«

Jetzt hörte man dem Brummen ein gelindes Entzücken an; dann blieb es lange zwischen uns still.

Es wurde Nacht, und als eben das letzte Licht des scheidenden Tages im Verlöschen war, dünkte mir, als ob jenseits der schmalen Lichtung, welche uns zur Linken lag, eine Gestalt zwischen den Bäumen hindurchgehuscht wäre. Das war trotz der hereinbrechenden Dunkelheit so täuschend, daß ich mich erhob, um mich zu überzeugen. Der Kurde erhielt die Weisung, bei meinen Gewehren, welche mich gehindert hätten, zurück zu bleiben. Ich nahm den Hund wieder an die Leine und schlich mich vorwärts.

Ich hatte eine tiefe Einbuchtung der Lichtung zu umgehen, war aber noch nicht bis zur Hälfte dieses Weges gekommen, als ich die betreffende Gestalt über die Lichtung herüberhuschen sah. Einige rasche Sprünge brachten mich nahe an die Stelle, an welcher die Gestalt vorüber mußte. Jetzt, jetzt langte sie in meiner unmittelbaren Nähe an. Ich wollte bereits zugreifen, als Dojan mich daran verhinderte. Er stieß ein freudiges Winseln aus. Die Gestalt hörte es und blieb erschrocken stehen.

»Zounds! Wer ist hier?«

Dabei streckten sich zwei lange Arme nach mir aus.

»Lindsay! Sir David! Seid Ihr es wirklich?« rief ich.

»Oh! Ah! Master! Yes! Well! Ich bin es! Und Ihr? Ah! Ah! Well! Ihr seid es auch! Yes!«

Er war ganz bestürzt vor Freude, und mich machte er vor Ueberraschung bestürzt, denn er umfaßte mich, drückte mich an sich und versuchte, mir einen Kuß zu geben, wobei ihm seine kranke Nase keineswegs sehr förderlich und dienlich war.

»Das hätte ich nicht gedacht, Sir David, Euch hier zu finden!«

»Nicht? Der Gorilla – o no! Der Köhler hatte doch gesagt, daß wir hier vorüber müssen.«

»Sehet Ihr, wie gut das war! Aber sagt, wie Ihr Euch gerettet habt!«

»Hm! Das ging schnell. Pferd unter mir erschossen; würgte mich hervor; sah, daß alle hinter euch her waren, und sprang auf die Seite.«

»Ganz so wie Allo!«

»Allo? Auch so gemacht? Auch hier?«

»Dort drüben sitzt er. Kommt!«

Ich führte ihn zu unserem Observatorium. Die Freude des Kurden war groß, als er einen zweiten Gefährten gerettet sah. Er drückte sie durch Töne aus, die sich nur mit dem Brummen eines invaliden Spulrades vergleichen lassen.

»Wie ist es Euch ergangen?« fragte mich Lindsay.

Ich erzählte es ihm.

»Also Euer Pferd unbeschädigt?«

»Außer der Beule, ja.«

»Das meinige tot! Braves Tier! Werde diese Bebbeh erschießen! Alle! Yes!«

»Habt Ihr denn Euer Gewehr noch?«

»Gewehr? Werde ihnen meine Büchse lassen! Hier liegt sie.«

Ich hatte während der Dunkelheit diesen glücklichen Umstand gar nicht bemerkt.

»So seid froh, Sir! Diese Büchse wäre unersetzlich gewesen.«

»Habe auch Messer, Revolver und Patronen noch hier im Beutel.«

»Welch ein Glück, daß Ihr sie nicht in der Satteltasche hattet! Aber habt Ihr keine Ahnung, ob noch einer von uns entkommen ist?«

»Keiner. Halef lag noch unter seinem Pferde, und die Haddedihn staken mitten zwischen den Bebbeh.«

»O wehe, dann sind alle drei verloren!«

»Abwarten, Master! Allah akbar – Gott ist groß, sagen die Türken.«

»Ihr habt recht, Sir. Wir wollen hoffen, dann aber, wenn wir uns täuschen sollten, auch alles tun, um die Gefährten zu befreien, im Falle sie noch leben und gefangen sein sollten.«

»Richtig! Jetzt aber schlafen. Bin müde; habe weit laufen müssen! Schlafen ohne Decke! Armselige Bebbeh! Miserable Gegend! Yes!«

Er schlief ein, und der Kurde mit ihm. Ich hingegen wachte noch lange und stieg später abermals mühsam empor, um nach dem Pferde zu sehen. Dann versuchte auch ich, zu schlafen, dem treuen Hunde das Wachen überlassend. Mein Schlaf wurde durch eine sehr energische Berührung gestört, welche ich an meinem Arme fühlte. Ich erwachte. Der Tag war erst im Grauen.

»Was ist‘s?« fragte ich.

Statt der Antwort deutete der Kurde zwischen die Bäume hindurch nach dem gegenüberliegenden Rande des Gebüsches – ein Rehbock war hervorgetreten und stand im Begriff, zur nahen Tränke zu gehen. Wir brauchten Fleisch, und obgleich ein Schuß uns verraten konnte, griff ich doch zur Büchse. Ich legte an und drückte ab. Bei dem Schalle fuhr Lindsay kerzengrad aus dem Schlafe empor.

»Was ist‘s? Wo ist Feind? Wie? Wo? Yes!«

»Da drüben liegt er, Sir.«

Er sah in der angegebenen Richtung hin.

»Ah! Roe-buck – Rehbock! Prächtig! Können sehr gut gebrauchen! Nichts gegessen seit gestern mittag. Well!«

Allo eilte fort, um das erlegte Wild herbeizuholen. Schon einige Minuten später brannte an einer geschützten Stelle ein Feuer, über dem ein saftiger Braten schmorte. Nun war dem Hunger mit einem Male abgeholfen, und auch Dojan konnte befriedigt werden.

Während des Essens kamen wir zu dem Entschluß, bis Mittag noch zu warten, dann aber nachzuforschen, wie es mit den Bebbeh stehe. Unter dem Gespräche erhob sich Dojan plötzlich und sah in die Tiefe des Waldes. Einige Zeitlang schien es, als sei er mit sich selbst im unklaren; dann sprang er mit einem Satz fort, ohne mich nur vorher angesehen zu haben. Ich erhob mich schnell, um nach dem Gewehr zu greifen und ihm nachzueilen, blieb aber sofort wieder stehen, als ich anstatt des erwarteten Angstrufes das laute, freudige Gewinsel des Tieres vernahm.

Gleich darauf trat zu uns – mein kleiner Hadschi Halef Omar, zwar ohne sein Pferd, aber in voller Ausrüstung mit Büchse, Pistolen und mit dem Messer im Gürtel.

»Hamdulillah, Sihdi, daß ich dich finde und daß du lebst!« begrüßte er mich. »Mein Herz war voll von Sorge um dich; aber es tröstete mich die Ueberzeugung, daß kein Feind deinen Rih einholen kann.«

»Der Hadschi!« rief Lindsay. »Oh! Ah! Nicht massakriert! Herrlich! Unvergleichlich! Gleich mit Braten essen! Well!«

Der gute Lindsay faßte die Sache sofort von ihrer praktischen Seite an. Halef war nicht wenig erfreut, ihn und den Führer wohl erhalten zu sehen; doch verschmähte er auch die leibliche Erquickung nicht, sondern langte gleich nach dem Bratenstücke, welches der Engländer ihm entgegenstreckte.

»Wie bist du entkommen, Halef?« fragte ich ihn.

»Die Bebbeh schossen auf unsere Pferde,« antwortete er. »Auch das meinige stürzte, und ich blieb im Bügel hangen. Sie bekümmerten sich nicht um uns, sondern sie wollten nur dich und deinen Rih haben; darum schlug Allah sie mit Blindheit, daß sie nicht sahen, wie dieser Kurde und der Master entkamen. Auch ich machte mich endlich frei, nahm meine Waffen und entfloh.«

Welch eine Unachtsamkeit von den Bebbeh! Sie hatten nur auf die Pferde geschossen, um die Reiter lebendig zu fangen, und ließen diese doch entkommen!

»Hast du nichts von den Haddedihn bemerkt, Halef?«

»Ich sah noch während des Fliehens, daß man sie gefangen nahm.«

»Oh, dann dürfen wir keine Zeit verlieren, sondern wir müssen aufbrechen!«

»Warte, Sihdi, und laß dir erzählen! Als ich glücklich entronnen war, dachte ich, daß es wohl klüger sei, zu bleiben und die Feinde zu beobachten, als zu fliehen. Ich stieg also auf einen Baum, dessen Laub mich ganz verdeckte. Da blieb ich bis gegen den Abend; erst als es ziemlich dunkel war, konnte ich den Baum wieder verlassen.«

»Was hast du gesehen?«

»Die Bebbeh wollen nicht fort. Sie haben ein Lager geschlagen. Ich habe an achtzig Krieger gezählt.«

»Woraus besteht das Lager?«

»Sie haben sich Hütten aus Zweigen gebaut. In einer solchen Hütte liegen die Haddedihn gefangen, an den Händen und Füßen gebunden.«

»Weißt du das genau?«

»Ja, Sihdi. Ich habe gar nicht geschlafen, sondern das Lager während der ganzen Nacht umschlichen, weil ich glaubte, vielleicht bis zu den Gefangenen kommen zu können. Es ging nicht. Nur dir könnte es vielleicht gelingen, Sihdi; denn du hast mich dieses Anschleichen ja erst gelehrt.«

»Konntest du nicht aus irgend einem Umstande auf den Grund ihres Verbleibens schließen? Ich kann nicht begreifen, warum sie den Ort nicht gleich verlassen haben.«

»Ich auch nicht, Sihdi; aber ich habe nichts erfahren können.«

»Ich muß dich übrigens loben, Hadschi Halef Omar, daß es dir gelungen ist, uns so nahe zu kommen, ohne daß wir dich bemerkten. Woraus schlossest du, daß ich mich grad hier befinden werde?«

»Weil ich deine Art und Weise kenne, Sihdi, dir immer einen Ort zu suchen, wo du nicht gesehen wirst und dennoch alles sehen kannst.«

»Ruhe dich jetzt aus. Ich will mir überlegen, was zu tun ist. Allo, führe mein Pferd zur Tränke und gib ihm neues Futter!«

Der Köhler hatte sich noch gar nicht erhoben, um diesem Befehle Folge zu leisten, als der Hund leise anschlug. Am obersten Punkte unsers engen Gesichtskreises erschien ein Reiter, der sich schnell näherte und im Trabe an uns vorüberritt.

»Hallo! Soll ich ihn wegputzen, Master?« fragte Lindsay.

»Um keinen Preis!«

»Ist aber ein Bebbeh!«

»Laßt ihn! Wir sind keine Meuchelmörder!«

»Hätten aber ein Pferd!«

»Werde schon Pferde bekommen.«

»Hm!« lächelte er. »Keine Meuchelmörder, aber doch Spitzbuben! Will Pferde stehlen! Yes!«

Jetzt gab mir dieser eine Bebbeh von neuem zu denken. Weshalb hatte er die Seinigen verlassen, und wohin wollte er?

Nach vielleicht einer Stunde wurde mir das Rätsel gelöst, denn er kehrte wieder zurück und ritt vorüber, ohne Ahnung, daß wir ihm so nahe seien.

»Was hat er da unten gesagt, dieser Kerl?« sagte Lindsay.

»Er ist ein Bote.«

»Bote? Von wem?«

»Von dem Scheik Gasahl Gaboya.«

»An wen?«

»An die Abteilung der Bebbeh, welche ungefähr eine halbe Stunde weiter unten den Weg besetzt hält.«

»Woher wißt Ihr dies?«

»Ich vermute es. Dieser Scheik hat auf irgend eine Weise erfahren, daß wir kommen werden, und den Weg an zwei Stellen verlegt, damit die zweite Truppe die gefangen nehme, die der ersten entgehen.«

»Schön ausgedacht, Sir, wenn es wahr ist!«

Dies mußte ich erforschen. Es ward nun verabredet, der Engländer solle nebst Allo bei meinem Pferde in unserem bisherigen Versteck bleiben, während ich mit Halef auf Kundschaft ausginge. Wenn ich aber bis zum Mittag des andern Tages nicht wieder zurückgekehrt sei, so möge Sir David unter Führung des Köhlers auf meinem Rappen nach Bistan reiten und dort bei Allos Bruder vierzehn Tage auf mich warten. »Komme ich mit Halef auch dann noch nicht,« – fügte ich bei – »so sind wir tot, und Ihr, Sir David, könnt mein Erbe antreten.«

»Hm! Testament! Schauderhaft! Könnte ganz Kurdistan erschlagen! Erbe? Was denn?« fragte der wackere Sohn Albions.

»Mein Pferd,« antwortete ich.

»Mag es nicht! Wenn Ihr tot seid, soll dieses Land zugrunde gehen! Alle Pferde mit! Auch Ochsen, Schafe, Bebbeh, alles! Well!«

»Nun wißt Ihr alles. Jetzt habe ich nur noch den Bannah-Kurden zu instruieren.«

»Macht es ihm nur richtig klar, Sir! Kann kein einziges Wort mit ihm reden. Schöne Unterhaltung! Famoses Vergnügen! Prächtig! Konnte daheim in Alt-England bleiben! Brauche keine Fowling-bulls! Yes!«

Ich war gezwungen, ihn seiner gelinden Verzweiflung zu überlassen. Nachdem ich Allo unterrichtet hatte, warf ich die beiden Gewehre über, um mich der Führung Halefs anzuvertrauen.

Dieser leitete mich ganz genau auf demselben Wege zurück, den er am Morgen eingeschlagen hatte, und lieferte mir dabei den Beweis, daß er mir ein sehr gelehriger Schüler gewesen sei. Er hatte jede, auch die kleinste Deckung benutzt, das Terrain scharfsichtig beurteilt und die Füße immer so vorsichtig gehalten, daß es selbst einem Indianer nur mit Anstrengung gelungen wäre, die Fährte ohne Stocken zu verfolgen.

Wir gingen beständig unter Bäumen, aber immer so, daß wir zwischen den Stämmen hindurch die offene Gegend vor Augen behielten. Ich hatte den Hund bei mir, und da wir gegen Wind gingen, so brauchten wir vor einer Ueberraschung keine Angst zu haben.

Endlich waren wir der Gegend nahe gekommen, wo wir überfallen worden waren. Halef wollte mich noch weiter begleiten, ich aber gestattete es nicht.

»Sollte ich gefangen werden,« sagte ich zu ihm, »so weißt du, wo du den Engländer zu finden hast. Für jetzt ist es das beste, du kletterst auf eine jener Pinien, welche so eng beisammen stehen, daß ihre Aeste ein dichtes Versteck bilden. Du kannst ja sehr gut den Knall meiner Büchse oder die raschen Laute meines Stutzens von der Stimme eines andern Gewehres unterscheiden. Ich bin nur dann in Gefahr, wenn du mich schießen hörst.«

»Was soll ich dann tun?«

»Sitzen bleiben, außer wenn ich laut nach dir rufe. Jetzt steige hinauf!«

Ich nahm den Hund ganz hart an mich heran und schlich mich weiter. Es war allerdings eine gefährliche Sache, am hellen, lichten Tage sich so nahe an ein feindliches Lager zu wagen, daß man es genau übersehen und beobachten konnte.

Nach einiger Zeit sah ich die erste Hütte durch die Bäume blicken. Sie war in Pyramidenform sehr urwüchsig aus Zweigen errichtet. Jetzt zog ich mich wieder zurück, um zunächst einen weiteren Halbkreis um den Ort zu ziehen; denn ich mußte sehen, ob sich etwa Bebbeh in der Tiefe des Waldes befänden. In diesem Falle hätte ich sie in meinem Rücken gehabt und wäre jedenfalls von ihnen entdeckt worden.

Ich schlich von Baum zu Baum, immer die stärksten Stämme aussuchend und mit aller Aufmerksamkeit in die Einsamkeit des Forstes hineinhorchend. Bald bemerkte ich, daß meine Vorsicht gar nicht überflüssig gewesen sei; denn ich glaubte Menschenstimmen zu vernehmen, und zu gleicher Zeit stieß Dojan mich mit der Schnauze an. Das edle Tier wußte durch seinen Instinkt, daß es jetzt keinen Laut von sich geben dürfe, und sah mich mit seinen großen, klugen Augen unverwandt an.

Als ich mich in der Richtung hielt, aus der die Laute gekommen waren, sah ich bald drei Männer unter einem Baume sitzen, den von drei Seiten ein junges, ungefähr fünf Fuß hohes Kirschlorbeergehölz umgab. Dieser Ort war wie geschaffen zum Belauschen. Und da ich annahm, daß das gestrige Ereignis auf alle Fälle der Gegenstand des Gespräches sei, so huschte ich von weitem um sie herum, legte mich sodann zu Boden und kroch bis zu den Kirschlorbeerbüschen heran, wo ich ihre Worte ganz deutlich vernehmen konnte.

Wie erstaunte ich, als ich in einem von ihnen den Kurden erkannte, der zweimal unter Dojan gelegen hatte und den ich frei ließ, weil er sich für einen Dschiaf ausgab! Auch Dojan erkannte ihn wieder, denn seine Augen funkelten feindselig zu ihm hinüber, obgleich er keinen Laut von sich gab. Allo hatte also recht gesehen. Dieser Kurde war ein Bebbeh und hatte jedenfalls auf Wache gestanden, um unsere Ankunft zu melden. Ganz gewiß hatte er seitwärts im Verborgenen ein Pferd stehen gehabt und war uns vorausgeritten, während wir glaubten, daß er nordwärts gehe.

»Sie waren dumm, alle!« hörte ich ihn sagen. »Am dümmsten aber war der Mann, welcher den schönen Rappen reitet.«

War da vielleicht ich selbst gemeint? Sehr schmeichelhaft.

»Wenn er die zurückgebliebenen Bejat nicht gefangen genommen und beleidigt hätte,« fuhr der Sprecher fort, »so hätten sie uns dann auch nicht sein Gespräch erzählt, welches sie belauscht hatten, und in welchem er den Weg angab, den sie einschlagen wollten.«

Jetzt war auch dieses Rätsel gelöst. Als wir uns besprachen, uns von den Bejat zu trennen, war unser Plan belauscht worden. Die Bejat hatten ihn dann als Gefangene den Bebbeh verraten, jedenfalls um sich die Milde ihrer Besieger zu erwerben.

»Dumm war er ferner,« meinte der Nachbar des vorigen, »daß er sich von dir betrügen ließ.«

»Ja. Aber dumm war auch Gasahl Gaboya, daß er uns befahl, die Reiter und den Rappen zu schonen. Um die Männer war es nicht schade, sondern nur um das Pferd. Nun sind uns vier entflohen, der Anführer mit ihnen, und weil sie keine Pferde mehr haben, ist es ihnen möglich, über die wildesten Berge zu fliehen. Mit den Pferden aber mußten sie den Weg einhalten, den wir ihnen unten verlegt haben.«

Die drei Bebbeh hatten Pilze gesammelt, welche sie hier ausschnitten und reinigten, ehe sie dieselben in das Lager bringen wollten. Dies gab Zeit und Gelegenheit zu einem vertraulichen Austausche der Meinungen.

»Was hat der Scheik nun beschlossen?« fragte der dritte.

»Er hat einen Boten hinab gesandt. Die andere Abteilung soll warten, bis die Sonne am höchsten steht. Hat sich dann von den Entflohenen noch keiner gefunden, so sollen die andern aufbrechen und zu uns stoßen, denn dann sind die Flüchtlinge sicher entkommen. Wir aber kehren heute noch zurück.«

»Was geschieht mit den beiden Gefangenen?«

»Das sind vornehme Männer, denn sie haben noch kein Wort gesprochen. Sie werden uns aber noch sagen, wer sie sind, und ein schweres Lösegeld bezahlen müssen, wenn sie nicht sterben wollen.«

Ich hatte nun genug gehört und zog mich vorsichtig wieder zurück. Diese drei waren mit ihrer Arbeit fast zu Ende, und wenn sie sich erhoben, so konnte ich sehr leicht von ihnen bemerkt werden.

Also ich war dumm, der dümmste von uns allen! Ich mußte dieses erfreuliche Kompliment leider hinnehmen, ohne es jetzt erwidern zu können. Am meisten machte mir der Umstand zu schaffen, daß bereits um Mittag aufgebrochen werden solle. Bis dahin also mußten die Haddedihn frei sein. Aber auf welche Weise?

Jetzt erhoben sich die drei Männer; ich hatte mich also gar nicht zu früh entfernt. Der, der sich für einen Dschiaf ausgegeben hatte, sagte:

»Geht! Ich werde erst nach den Pferden sehen.«

Ihm folgte ich von weitem. Er führte mich, freilich ohne sein Wissen, nach einer Bodensenkung, auf deren Sohle ein Wässerchen floß. Hier waren über achtzig Pferde an die Stämme der Bäume und Sträucher gebunden, und zwar in je einer solchen Entfernung, daß sie genug Grünes fanden, ohne sich nahe kommen zu können. Der Platz war hell und sonnig, und vom ersten bis zum letzten Pferde hatte man vielleicht achthundert Schritte zu gehen.

Ich konnte von oben alles genau betrachten. Es waren ganz prachtvolle Pferde da, und im Geiste las ich mir schon die sechs besten aus. Am meisten befriedigte es mich, daß nur ein einziger Kurde die Aufsicht über die Tiere hatte. Es war gar nicht schwer, ihn zu überwältigen.

Mein unfreiwilliger Führer machte sich mit einem Braunblässen zu schaffen, der vielleicht das beste Pferd des ganzen Trupps war. Jedenfalls war er der Herr desselben und ich beschloß, ihm um seines liebenswürdigen Kompliments willen Gelegenheit zu geben, auf seinen eigenen Beinen nach Hause zu reiten.

Er sprach einige Worte mit der Wache und ging dann dem Lager zu. Ich folgte ihm auch jetzt und hatte nun die Ueberzeugung, daß mir in der weiteren Umgebung des Lagers kein Mensch mehr begegnen würde. Ich konnte mich also in die unmittelbare Nähe desselben wagen.

Nach einer sorgfältigen und sehr langsamen Rekognoszierung hatte ich sechzehn Hütten gezählt, die unter den Bäumen eine Art von Halbkreis bildeten. In der größten Hütte wohnte jedenfalls Scheik Gasahl Gaboya, denn sie war an ihrer Spitze mit einem alten Turbantuche geschmückt. Sie stand auf dem innersten Punkte des Halbkreises, so daß ich ihr leicht nahe kommen konnte, und neben ihr erhob sich die, in der sich die Gefangenen befanden; denn vor derselben saßen zwei Kurden, mit den Gewehren im Arme.

Jetzt konnte ich zu Halef zurückkehren. Er saß noch auf dem Baume, von dem er nun herabstieg. Ich setzte ihm meinen freilich sehr kühnen und gefährlichen Befreiungsplan auseinander, dann versteckten wir uns an einem Platz, wo wir den Weg überblicken konnten. Und mit Ungeduld warteten wir auf die Zeit des Handelns. Ein solches Warten hat stets etwas Aufregendes, Verzehrendes, während der Augenblick der Tat die Nerven kalt und ruhig macht.

Gegen zwei Stunden waren vergangen, da sahen wir ganz unten einen einzelnen Reiter erscheinen.

»Dieser wird die Ankunft verkünden sollen,« meinte Halef.

»Möglich. Hast du die hohe Eiche gesehen oberhalb der Einsenkung, in der sich die Pferde befinden?«

»Ja, Sihdi.«

»Schleiche dich jetzt hin und erwarte mich dort. Ich muß hören, was dieser Reiter zu sagen hat. Hier, nimm Dojan mit. Ich kann ihn jetzt nicht brauchen. Auch die Gewehre nimm zu dir!«

Er nahm den Hund und entfernte sich; ich aber beeilte mich, dem Zelte des Scheik so nahe zu kommen, daß ich hören konnte, was gesprochen wurde. Es gelang mir, soweit dies möglich war. Kaum hatte ich hinter einem Baumstamme Posto gefaßt, so kam der Reiter herangaloppiert. Er sprang vom Pferde.

»Wo ist der Scheik?« hörte ich ihn fragen.

»Dort in seinem Zelte!«

Gasahl Gaboya trat heraus und ihm entgegen.

»Was bringst du?«

»Die Krieger werden gleich erscheinen.«

»So habt ihr keinen der Entronnenen gesehen?«

»Keinen.«

»Ihr habt die Augen geschlossen gehalten.«

»Wir haben gewacht die ganze Nacht und bis jetzt. Wir haben alle Seitentäler besetzt, aber niemand gesehen.«

»Jetzt kommen sie!« rief es draußen vor dem Lager.

Auf diesen Ruf eilte alles hinaus auf die Lichtung; sogar die beiden Wächter schlossen sich an. Sie wußten ihre beiden Gefangenen ja gefesselt!

Die Gelegenheit war günstiger, als ich gehofft hatte. Mit einem Sprunge stand ich hinter dem Zelte der Gefangenen – zwei Messerschnitte, und ich befand mich in dem Innern desselben. Da lagen sie nebeneinander, an Händen und Füßen gebunden.

»Mohammed Emin, Amad el Ghandur, auf! Schnell!«

Zwei Sekunden genügten, die Stricke zu durchschneiden.

»Kommt, schnell!«

»Ohne Waffen?« fragte Mohammed Emin.

»Wer hat sie euch abgenommen?«

»Der Scheik hat sie.«

Ich trat wieder hinten aus dem Zelte heraus und spähte in die Runde. Kein Mensch hatte acht auf das Lager.

»Heraus und mir nach!«

Ich sprang hinüber zum Zelte des Scheiks und huschte hinein, die Haddedihn mir nach. Sie befanden sich in einer fieberhaften Aufregung. Hier hingen ihre Waffen, auch zwei ausgelegte Pistolen und eine lange, persische Flinte, dem Scheik gehörig. Ich nahm Pistolen und Flinte an mich und blickte wieder hinaus; noch immer waren wir unbeachtet. Wir schlichen uns wieder hinaus und rannten dann dem Tale zu. Dies war wohl fünf Minuten entfernt, aber in zwei Minuten waren wir bei Halef.

»Maschallah! Wunder Gottes!« rief er.

»Jetzt zu den Pferden!« sagte ich.

Der Wächter saß unten, mit dem Rücken gegen uns gekehrt. Auf einen Wink sprang der Hund hinab, und sofort lag der Mann am Boden. Er hatte einen Schrei ausgestoßen, zu einem zweiten hatte er wohl den Mut nicht. Ich bezeichnete die sechs besten Pferde und rief Amad el Ghandur zu:

»Halte sie einstweilen! Halef, Mohammed, schnell die andern in den Wald!«

Die beiden verstanden mich sofort. Eben erhob sich hinter uns ein lautes Bewillkommnungsgeschrei, als wir von Pferd zu Pferd sprangen, um die Leinen durchzuschneiden. Fünfundzwanzig Leinen pro Mann, das war sehr schnell abgetan, dann jagten wir die freien Tiere mit Schlägen und Steinwürfen in den Wald. Amad el Ghandur hatte Mühe, seine sechs Tiere festzuhalten. Ich hatte drei Gewehre umzuhängen und zwei Pistolen einzustecken. Dann bestieg ich den Blässen und nahm noch ein zweites Pferd an die Leine.

»Auf und vorwärts! Es ist die höchste Zeit!«

Ohne mich umzusehen, trieb ich meine Pferde die steile Böschung empor; dann nahm der schützende Wald uns auf. Hier ging es wegen des bösen Bodens nur langsam vorwärts, zumal wir einen Umweg machen mußten. Doch gelangten wir bald auf einen besseren Pfad, wo wir unsere Tiere ausgreifen lassen konnten.

Da hörten wir hinter uns ein lautes Geschrei, aber uns blieb keine Zeit, über dessen wahre Ursachen Vermutungen anzustellen. Vorwärts!

Wir hatten einen weiten Bogen zu reiten gehabt, und ganz dahinten, wo dieser Bogen begann, zeigten sich jetzt zwei Reiter. Sobald sie uns bemerkten, kehrte der eine wieder um, während der andere uns folgte.

»Galopp, den schärfsten Galopp, sonst komm‘ ich um meinen Hengst!« rief ich. »Wir werden die Bebbeh gleich auf den Hacken haben!«

Unsere Wahl war eine gute gewesen, denn die Pferde zeigten sich als vorzügliche Renner. Bald kam unsere Waldecke in Sicht. Wir erreichten sie und hielten hinter den Bäumen an. Ich sah nur Allo.

»Wo ist der Emir?« fragte ich ihn.

»Droben beim Pferde.«

»Hier hast du eine Flinte. Steige auf diesen Fuchs; er ist dein!«

Ich gab ihm die Flinte des Scheiks und rannte dann bergauf, der Höhle zu. Sie war eine Viertelstunde entfernt, aber ich glaube, ich war nicht später als in fünf Minuten oben. Da saß Lindsay.

»Schon da, Master? Oh! Ah! wie gegangen, heh?«

»Gut, gut! Aber wir haben jetzt keine Zeit, denn wir werden verfolgt. Rennt aus allen Leibeskräften hinab, Sir; unten steht ein Pferd für Euch!«

»Verfolgt? Ah! Schön! Prächtig! Pferd für mich? Gut! Well!«

Er stürzte mehr, als er ging, den Berg hinab. Ich band meinen Rappen ab und führte ihn den Berg hinunter. Das ging leider nicht so schnell, als ich es wünschte, und als ich unten anlangte, saßen die andern schon längst auf ihren Tieren, und Halef hielt das sechste Pferd an der Hand.

»Das dauerte lang, Effendi,« sagte Mohammed Emin. »Sieh, es ist bereits zu spät!«

Er deutete hinaus, wo eben der erste Reiter, welcher uns gefolgt war, sichtbar wurde. Ich blickte ihn scharf an und erkannte meinen Mann.

»Erkennt ihr diesen Menschen?« fragte ich.

»Ja, Sihdi,« antwortete Halef. »Es ist der Dschiaf von gestern.«

»Er ist ein Bebbeh und hat uns verraten. Laßt ihn vorüber, und dann wird er unser.«

»Aber wenn mittlerweile die andern kommen?«

»So schnell geht das nicht. – Sir David! Wir reiten voran und nehmen diesen Reiter zwischen uns. Will er sich wehren, so schlagen wir ihm die Waffen aus der Hand.«

»Schön, Master! Prächtig! Yes!«

Jetzt verschwand der Bebbeh hinter der nächsten Krümmung des Weges, und wir verließen unser Versteck. Als ich mit Lindsay diese Krümmung erreichte, waren wir ihm auf fünfzig Schritte nahe. Er hörte uns kommen und drehte sich um. Er erkannte uns und war über unsern Anblick so erschrocken, daß er unwillkürlich sein Pferd anhielt. Er hatte uns vor sich geglaubt und erblickte uns nun hinter sich. Ehe er die Fassung wieder erlangte, hatten wir ihn gepackt.

Da griff er nach dem Messer. Ich faßte seine Faust und drückte sie ihm so, daß er es fallen ließ. Und während Lindsay ihm die Lanze entwand, zerschnitt ich den Riemen, an dem seine Flinte ihm über den Rücken hing; sie fiel herab. Er war entwaffnet und sein Pferd jagte mit den unsrigen in vollem Lauf dahin. Da ergab er sich in sein Schicksal.

So ging es immer dem Süden zu, und als wir einen tüchtigen Vorsprung gewonnen zu haben glaubten, mäßigten wir unser Tempo, und Allo ritt als Wegweiser voran.

»Was tun mit diesem Kerl, Master?« fragte nun Lindsay.

»Bestrafen!«

»Yes! Falscher Dschiaf! Welche Strafe?«

»Weiß es nicht. Wir werden darüber beraten.«

»Schön! Session! Oberhaus! Unterhaus! Well! Wie habt Ihr die Haddedihn losgemacht?«

Ich erzählte es ihm in kurzen Umrissen. Als ich an das Unschädlichmachen der Pferdewache kam, hielt ich plötzlich in meinem Berichte inne.

»O wehe! Was habe ich getan!«

»Was, Master? War ja alles gut!«

»Ich habe in der Eile vergessen, meinen Hund von dem Manne wegzurufen!«

»Oh! Ah! Unangenehm! Wird nachkommen!«

»Nie! Er ist bereits tot, und die Wache auch.«

»Warum gleich tot?«

»Sobald er angerührt oder sonst bedroht wird, zerreißt er dem unter ihm liegenden Mann die Gurgel. Dann werden ihn die Bebbeh natürlich erschossen haben. Ich könnte wahrhaftig nur dieses Hundes wegen umkehren und mich in die größte Gefahr begeben. Aber leider wäre es erfolglos!«

Ueber den Verlust des treuen, klugen Hundes geriet auch Halef in Bestürzung, und ich verbrachte die noch übrigen Stunden des Nachmittags in tiefer Verstimmung. Am Abend machten wir Halt, und nun erst wurde der Bebbeh gefesselt. Trotz unserer Eile hatte Halef Zeit gehabt, dem ledigen Pferde den erst angeschnittenen Rehbock aufzuladen, und so war für einen hinreichenden Imbiß gesorgt.

Nach dem Mahle wurde der Gefangene ins Verhör genommen. Er hatte bisher noch kein Wörtchen gesprochen. Jedenfalls ließ er nur deshalb alles so geduldig über sich ergehen, weil er hoffte, daß die Seinen sehr bald erscheinen und ihn befreien würden.

»Höre, Mann,« begann ich die Verhandlung, »was bist du? Ein Dschiaf oder ein Bebbeh?«

Er antwortete nicht.

»Beantworte meine Frage!«

Er zuckte nicht mit der Wimper.

»Halef, nimm ihm den Turban ab und schneide ihm die Haarlocke herunter!«

Das ist die größte Entehrung, die einem Kurden und überhaupt einem Muselmann widerfahren kann. Als Halef, das Messer in der Rechten haltend, mit der Linken nach der Locke griff, bat der Mann:

»Herr, laß mir mein Haar! Ich will antworten.«

»Gut! Welchen Stammes bist du?«

»Ich bin ein Bebbeh.«

»Du hast uns gestern belogen!«

»Einem Feinde braucht man nicht die Wahrheit zu sagen.«

»Deine Grundsätze sind diejenigen eines Schurken. Du hast ferner das, was du behauptetest, bei dem Barte des Propheten beschworen!«

»Einen Schwur, den man einem Ungläubigen gibt, braucht man nicht zu halten.«

»Du hast ihn auch Gläubigen gegeben; es sind deren vier unter uns!«

»Das geht mich nichts an.«

»Ferner hast du mich einen Dummkopf genannt!«

»Das ist eine Lüge, Herr!«

»Du sagtest, wir alle seien dumm, ich aber sei der allerdümmste! Es ist wahr, denn diese meine eigenen Ohren haben es gehört – hinter dem Lager, als ihr dort die Pilze schnittet. Ich lag hinter dem Busche und hörte euch zu; dann nahm ich euch eure Gefangenen und eure Pferde. Du magst also sehen, ob ich wirklich ein so großer Dummkopf bin!«

»Verzeihe, Herr!«

»Ich habe dir nichts zu verzeihen, denn das Wort aus deinem Munde kann einen Emir aus Frankhistan nie beleidigen. Gestern ließ ich dich frei, weil du mir leid tatest; heut befindest du dich wieder in meiner Hand. Wer ist da wohl der Kluge von uns? – Bist du der Bruder des Scheik Gasahl Gaboya?«

»Ich bin es nicht.«

»Hadschi Halef, schneide ihm die Locke ab!«

Das half auf der Stelle.

»Wer hat dir gesagt, daß ich es bin?« fragte er.

»Einer, der dich kennt.«

»So sage, welches Lösegeld verlangst du?«

»Ihr wolltet für diese beiden Männer« – ich deutete auf die Haddedihn – »Lösegeld verlangen; ihr seid Kurden. Ich nehme nie ein Lösegeld, denn ich bin ein Christ. Ich nahm dich nur deshalb gefangen, um dir zu zeigen, daß wir mehr Klugheit, Mut und Geschick besitzen, als ihr denkt. Wer hat heute zuerst bemerkt, daß die Gefangenen fort waren?«

»Der Scheik.«

»Wie bemerkte er es?«

»Er trat in sein Zelt, da fehlten die Waffen der Gefangenen und auch die seinigen.«

»Ich habe sie genommen.«

»Ich denke, ein Christ nimmt nie etwas!«

»Das ist richtig. Ein Christ nimmt nie unrechtes Gut, aber er läßt sich auch von keinem Kurden berauben. Ihr habt uns unsere Pferde erschossen, die uns lieb waren, und ich habe dafür sechs andere genommen, die uns nicht lieb sind. Wir hatten in unsern Satteltaschen viele Dinge, die wir notwendig brauchen; ihr habt sie genommen, und dafür habe ich mir die Flinte und die Pistolen des Scheik angeeignet. Wir haben getauscht; ihr habt diesen Tausch mit Gewalt begonnen, und ich habe ihn mit Gewalt beendet.«

»Unsere Pferde sind besser, als die eurigen waren!«

»Das geht mich nichts an, denn ehe ihr die unserigen getötet habt, fragtet ihr auch nicht danach, ob sie schlechter waren, als diejenigen, die ich euch dafür nehmen würde. Warum wurde mein Pferd nicht erschossen?«

»Der Scheik wollte es haben.«

»Glaubte er wirklich, daß er es bekommen werde? Und wenn dies der Fall gewesen wäre, so hätte ich es mir sicher wieder geholt. Wer entdeckte heute die Abwesenheit der Pferde?«

»Auch der Scheik. Er lief in das Zelt der Gefangenen, und als dieses leer war, rannte er zu den Pferden; sie waren fort.«

»Fand er gar nichts?«

»Den Wächter, der unter einem Hunde lag.«

»Was geschah mit ihm?«

»Er wurde unter dem Hunde liegen gelassen zur Strafe dafür, daß er nicht aufgepaßt hatte.«

»Fürchterlich! Seid ihr Menschen?«

»Der Scheik hat es so geboten.«

»Was wird da mit dir geschehen, der du auch nicht aufgepaßt hast? Ich habe hinter dem Kirschlorbeer gelegen, einen einzigen Schritt von dir entfernt; ich bin dann hinter dir zu den Pferden gegangen, von denen ich nicht wußte, wo sie waren, und dann bin ich dir nach dem Lager gefolgt.«

»Herr, laß das den Scheik nicht wissen!«

»Sei ohne Sorge! Ich habe es nur allein mit dir zu tun. Ich werde jetzt meinen Gefährten deine Antworten sagen, und dann mögen sie dein Urteil sprechen. Du sollst nicht von uns zwei Christen, sondern von diesen vier Muselmännern gerichtet werden!«

Ich verdolmetschte meine Unterredung mit dem Bebbeh in das Arabische.

»Was willst du mit ihm tun?« fragte mich Mohammed.

»Nichts,« erwiderte ich ruhig.

»Emir, er hat uns belogen, betrogen und dem Feinde in die Hand geliefert. Er hat den Tod verdient.«

»Und was noch mehr ist,« fügte Amad el Ghandur hinzu, »er hat bei dem Barte des Propheten falsch geschworen. Er hat den dreifachen Tod verdient.«

»Was sagst du dazu, Sihdi?« fragte Halef.

»Jetzt nichts. Bestimmt ihr, was mit ihm werden soll!«

Während die vier Mohammedaner beratschlagten, erkundigte sich auch der Engländer bei mir:

»Nun? Was wird mit ihm?«

»Ich weiß es nicht. Was würdet Ihr mit ihm tun?«

»Hm! Niederschießen!«

»Haben wir das Recht dazu?«

»Yes! Sehr!«

»Der Weg des Rechtes ist folgender: Wir beschweren uns bei unsern Konsulaten; von da geht die Beschwerde nach Konstantinopel, und dann erhält der Pascha von Sulimania den Befehl, den Uebeltäter zu bestrafen – wenn er ihn nicht belohnen soll.«

»Schöner Weg des Rechtes!«

»Aber der allein erlaubte für uns als Bürger unserer Staaten. Und ferner: Was werdet Ihr als Christ mit diesem Feinde tun?«

»Geht mir mit Euren Fragen, Master! Ich bin Englishman. Macht, was Ihr wollt!«

»Und wenn ich ihn nun laufen lasse?«

»So mag er laufen! Ich fürchte mich nicht vor ihm; er braucht also meinetwegen nicht ganz totgeschlagen zu werden. Macht es lieber möglich, daß ich ihm meine Nase aufhängen kann; das wäre die beste Strafe für diesen Menschen, der uns gestern eine Nase gedreht hat, welche zwanzigmal imposanter war, als die meinige! Yes!«

Der Bebbeh schien mittlerweile die Geduld zu verlieren. Er wandte sich in der jetzt eintretenden Pause wieder an mich:

»Herr, was wird mit mir geschehen?«

»Das wird ganz auf dich ankommen. Von wem willst du gerichtet sein? Von den vier Männern, die ihr Gläubige nennt, oder von den zwei Männern, denen ihr den Schimpfnamen »Giaur« zu geben pflegt?«

»Chodih, ich bete zu Allah und dem Propheten; es mögen nur solche Männer über mich bestimmen, welche wahre Gläubige sind!«

»Du sollst deinen Willen haben! Wir beide hätten dir verziehen und dich morgen früh zu den Deinigen zurückkehren lassen. Ich sage mich los. Mag dir werden, was du gewünscht hast, und mögest du nicht bereuen, das Wort eines Christen bezweifelt und seine Nachsicht von dir gewiesen zu haben!«

Endlich waren die anderen zu einem Entschluß gekommen.

»Emir, wir erschießen ihn!« sagte Mohammed.

»Das leide ich auf keinen Fall!« antwortete ich.

»Er hat den Propheten geschändet!«

»Seid ihr die Richter darüber? Er mag dies mit dem Imam, mit dem Propheten oder mit seinem Gewissen abmachen!«

»Er hat den Spion gemacht und uns verraten!«

»Hat einer von uns sein Leben dadurch verloren?«

»Nein; aber wir haben anderes verloren.«

»Wir haben Besseres dafür genommen. Hadschi Halef Omar, du kennst meine Meinung; es betrübt mich, dich so blutgierig zu sehen.«

»Sihdi, ich wollte es nicht!« entschuldigte er sich eifrig. »Nur die Haddedihn und der Bannah wollten es.«

»So ist meine Meinung, daß der Bannah hierbei nichts zu sagen hat. Er ist unser Führer und wird dafür bezahlt. Aendert euer Urteil!«

Sie flüsterten von neuem zusammen; dann teilte mir Mohammed Emin das Resultat mit:

»Emir, wir wollen sein Leben nicht, aber er soll entehrt werden. Wir nehmen ihm die Locke und schlagen ihn mit Ruten in das Gesicht. Wer solche Schwielen trägt, hat keine Ehre mehr.«

»Das ist noch fürchterlicher als der Tod und hat doch keinen Erfolg. Ich habe einem Bebbeh Ohrfeigen gegeben, weil er meinen Glauben beleidigte, und gestern kämpfte er doch an der Seite des Scheiks gegen mich. Haben ihn also diese Schläge geschändet?«

»Die abgeschnittene Locke wird ihn sicher schänden!«

»Er wird den Turban aufbehalten, so daß man es nicht sieht.«

»Du selbst wolltest sie ihm doch vorhin abschneiden lassen!«

»Nein; ich hätte es nicht getan. Es war nur eine Drohung, um ihn zum Sprechen zu zwingen. Ueberhaupt – warum wollt ihr diese Bebbeh noch mehr gegen uns erbittern? Sie fühlen sich im Rechte gegen uns, weil sie glauben, daß wir Verbündete der Bejat gewesen sind. Sie können es nicht wissen, daß wir einen solchen Raubzug nie gebilligt hätten; sie können es nicht wissen, daß ich dem Khan Heider Mirlam offen in das Gesicht gesagt habe, ich hätte die Bebbeh gewarnt, wenn es mir möglich gewesen wäre; sie haben uns bei Räubern getroffen und behandeln uns als Räuber. Jetzt sind wir ihnen glücklich entkommen, und vielleicht lassen sie von uns ab; wollt ihr sie durch eure Grausamkeit zwingen, uns weiter zu verfolgen?«

»Emir, wir waren ihre Gefangenen; wir müssen uns rächen!«

»Auch ich war Gefangener, öfters als ihr; aber ich habe mich nicht gerächt. Der Raïs von Schohrd, Nedschir-Bey, nahm mich gefangen. Ich befreite mich selbst und verzieh ihm; dann wurde er mein Freund. War das nicht besser, als wenn ich eine Blutschuld zwischen uns gelegt hätte?«

»Emir, du bist ein Christ, und die Christen sind entweder Verräter oder Weiber!«

»Mohammed Emin, sage dies noch einmal, so geht dein Weg von dieser Minute an nach rechts und der meinige nach links. Ich habe nie deinen Glauben geschmäht; warum tust du es mit dem meinen? Hast du jemals mich oder diesen David Lindsay-Bey als einen Verräter oder ein Weib gesehen? Ich könnte jetzt recht gut den Islam beleidigen; ich könnte sagen: die Moslemin sind undankbar, denn was ein Christ für sie tut, das vergessen sie. Aber ich sage es nicht, denn ich weiß, wenn einer sich einmal von seinem Fleische hinreißen läßt, so gibt es doch viele, die sich beherrschen können!«

Da sprang er auf und streckte mir beide Hände entgegen.

»Emir, verzeihe mir! Mein Bart ist weiß und der deinige noch dunkel, aber obgleich dein Herz jung und warm ist, so hat doch dein Verstand die Reife des Alters. Wir geben dir diesen Mann. Tue mit ihm nach deinem Wohlgefallen!«

»Mohammed, ich danke dir! Ist auch dein Sohn einverstanden?«

»Ich bin es, Effendi,« antwortete Amad el Ghandur.

Nun wandte ich mich erfreut zu dem Gefangenen:

»Du hast uns einmal Lügen gesagt. Willst du mir versprechen, heute mit mir die Wahrheit zu reden?«

»Ich verspreche es!«

»Wenn ich dir jetzt deine Fesseln nehme und du mir versprichst, dennoch nicht zu entfliehen, würdest du dein Wort halten?«

»Herr, ich verspreche es!«

»Nun wohl; diese vier Moslemim haben dir deine Freiheit wieder gegeben. Heute bleibst du noch bei uns, und morgen kannst du gehen, wohin es dir beliebt.«

Ich band seine Hände und Füße los.

»Herr,« sagte er, »ich soll dich nicht belügen, und nun sagst du selbst mir die Unwahrheit.«

»Inwiefern?«

»Du sagst, diese Männer hätten mir die Freiheit gegeben, und das ist nicht wahr. Nur du allein hast sie mir gegeben. Sie wollten mich erst erschießen; dann wollten sie mich peitschen und mir den Schmuck des Gläubigen nehmen; du aber hast dich meiner erbarmt. Ich habe jedes Wort verstanden, denn ich spreche das Arabische ebenso gut wie das Kurdische. Und nun weiß ich auch aus deinen Worten, daß ihr den Bejat nicht geholfen habt, sondern Freunde der Bebbeh gewesen seid. Emir, du bist ein Christ; ich habe die Christen gehaßt: heute lerne ich sie besser kennen. Willst du mein Freund und Bruder sein?«

»Ich will!«

»Willst du mir vertrauen und hier bleiben, obgleich morgen eure Verfolger hier eintreffen werden?«

»Ich vertraue dir!«

»Reiche mir deine Hand!«

»Hier ist sie! Aber werden auch meine Gefährten sicher sein?«

»Ein jeder, der zu dir gehört. Du hast kein Lösegeld von mir gefordert; du hast mir erst das Leben und dann die Ehre gerettet; dir und den Deinen soll niemand ein Haar krümmen!«

So waren wir denn auf einmal aller Sorgen ledig! Ich hatte keine Ahnung gehabt, daß dieser Mann auch Arabisch verstand; doch war ich ganz glücklich, diesem Umstande einen solchen Sieg zu verdanken. Zur Feier desselben holte ich den letzten Rest von Tabak hervor, den meine Satteltasche barg; es war nicht viel, aber der duftende Rauch bewirkte dennoch eine Stimmung, welche ganz anders war als die, mit der wir unsere »Jury« begonnen hatten.

Mit frohem Mute legten wir uns schlafen und hatten dabei sogar die Kühnheit, keine Wachen auszustellen.

Des andern Morgens sah die Sache etwas weniger romantisch aus als gestern Abend bei der poetischen Beleuchtung des flackernden Lagerfeuers; aber ich beschloß dennoch, dem Bebbeh ein offenes Vertrauen zu zeigen.

»Du bist nun frei,« sagte ich zu ihm. »Dort steht dein Pferd, und deine Waffen wirst du auf dem Rückwege finden.«

»Die Meinigen werden sie finden; ich bleibe hier,« antwortete er.

»Wenn sie nun nicht kommen?«

»Sie kommen!« antwortete er in sehr bestimmtem Tone, »und ich werde dafür sorgen, daß sie nicht vorüber reiten.«

Wir hatten nämlich die Nacht in einem kleinen Seitentale zugebracht, welches eine solche Krümmung besaß und dessen Eingang so schmal war, daß wir selbst am Tage vom Haupttale aus nicht bemerkt werden konnten. Der Bebbeh schritt diesem Ausgange zu und nahm hier eine solche Stellung, daß er weit nach rückwärts blicken konnte. Wir anderen warteten mit Neugierde der Dinge, die da kommen sollten.

»Und wenn er uns abermals betrügt?« fragte Mohammed.

»Ich vertraue ihm. Er wußte ja, daß er seine Freiheit wiederbekommen solle, und brauchte mir also gar nicht zu gestehen, daß er jedes Wort unserer Unterredung verstanden habe. Ich glaube sicher, daß er es redlich meint.«

»Aber wenn er uns doch hintergeht, Emir, so schwöre ich bei Allah, daß er der erste ist, den meine Kugel trifft!«

»Dann verdient er es nicht anders.«

Auch David Lindsay schien nicht mit sich einig zu sein.

»Master, dort sitzt er am Eingange,« sagte er; »und wenn er uns abermals belügen wird, so befinden wir uns in dem schauderhaftesten Loche, das es nur geben kann. Nehmt es nicht übel, wenn ich nach meinen Waffen und nach meinem neuen Pferde sehe!«

Ich hatte allerdings eine außerordentliche Verantwortlichkeit auf mich geladen, und ich gestehe gern, daß mir selbst dabei nicht ganz wohl zu Mute war; doch sollte zum Glück die Entscheidung nicht lange auf sich warten lassen.

Wir bemerkten, daß der Bebbeh sich erhob und, das Auge mit der Hand beschattend, aufmerksam in die Ferne blickte; dann suchte er sein Pferd auf, um dasselbe schleunigst zu besteigen.

»Wohin?« fragte ich.

»Den Bebbeh entgegen,« antwortete er; »sie kommen. Erlaube, daß ich sie vorbereite, Herr!«

»Tue es!«

Er ritt ab. Mohammed Emin aber meinte:

»Emir, wirst du nicht einen Fehler begangen haben?«

»Ich hoffe, daß mein Verhalten das richtige ist. Wir haben Frieden geschlossen, und wenn ich ihm Mißtrauen zeigte, so wäre dies grad das rechte Mittel, ihn wieder zu unserem Feinde zu machen.«

»Aber er war in unserer Hand und sollte uns als Geisel dienen!«

»Er wird auf alle Fälle wiederkehren. Unsere Pferde stehen so, daß wir mit einem Sprunge im Sattel sein können. Haltet die Waffen bereit, aber so, daß es nicht auffällig ist.«

»Was soll das nützen, Emir? Es werden ihrer viele sein, und du willst ja, daß wir nur auf die Pferde und nicht auf die Reiter schießen.«

»Mohammed Emin, ich sage dir: Wenn dieser Bebbeh einen Verrat beabsichtigt, so können wir uns durch den Tod der Pferde nicht retten, und ich bin der erste, welcher sein Gewehr auf die Reiter richtet. Bleibt ihr ruhig sitzen; ich aber werde mich an dem Eingang postieren. Ihr könnt euch dann nach dem richten, was ich tue.«

Ich schritt mit meinem Pferde der Enge zu, durch welche man in das Tal gelangte, stieg dann auf und nahm den Stutzen zur Hand. Mich nur wenig vorbeugend, konnte ich das Blachfeld übersehen und erblickte in nicht gar zu bedeutender Entfernung einen dichten Reitertrupp, der still hielt, um auf die Rede eines einzigen zu hören. Dieser war der Bruder des Scheik. Nach einer Weile lösten sich zwei Reiter von dem Trupp ab und ritten auf das Tal zu, während die andern auf der Stelle, die sie inne hatten, halten blieben. Ich erkannte Scheik Gasahl Gaboya mit seinem Bruder und wußte nun, daß wir nichts mehr zu fürchten hatten.

Als er herangekommen war und mich erblickte, parierte er sein Pferd. Der Ausdruck seines sonnverbrannten Angesichts war noch immer kein freundlicher, und seine Stimme klang fast drohend, als er fragte:

»Was willst du hier?«

»Dich empfangen,« antwortete ich kurz.

»Aber dein Empfang ist nicht sehr höflich, Fremder!«

»Verlangst du von einem Emir aus dem Abendlande etwa, dich freundlicher zu behandeln, als du ihm entgegenkommst?«

»Mann, du bist sehr stolz! Warum sitzest du zu Pferde?«

»Weil auch du beritten bist.«

»Komm mit zu deinen Gefährten! Dieser Mann, der der Sohn meines Vaters ist, wünscht, daß ich sehe, ob wir euch verzeihen können.«

»So komm; denn auch meine Männer wollen sich beraten, ob ihr bestraft oder begnadigt werden sollt!«

Das war ihm denn doch zu viel.

»Mensch,« rief er mir zu, »bedenke, wer ihr seid, und wer wir sind!«

»Ich bedenke es,« antwortete ich ruhig.

»Ihr seid nur sechs Männer!«

Ich nickte lächelnd.

»Und wir sind ein ganzes Heer!«

Ich nickte noch einmal.

»So gehorche, und laß uns ein!«

Ich nickte zum dritten Male und drängte mein Pferd zur Seite, so daß der Scheik und sein Bruder den schmalen Eingang passieren konnten. Jetzt hatten wir gewonnen; denn wenn der Scheik gegen den Willen seines Bruders die Feindseligkeit fortsetzen wollte, so war er gänzlich in unsere Hand gegeben.

Beide ritten auf die Gruppe meiner Gefährten zu, stiegen ab und setzten sich nieder. Ich tat dasselbe.

»Ist‘s freundlich oder feindlich, Master?« fragte mich Lindsay.

»Weiß noch nicht. Wollt Ihr etwas dabei tun?«

»Versteht sich! Yes!«

»Nach einer Minute erhebt Ihr Euch mit der gleichgültigsten Miene —«

»Well! Fürchterlich gleichgültig!«

»Ihr geht zum Eingange, um Wache zu halten —«

»Watchman? Sehr schön! Prächtig!«

»Wenn Ihr seht, daß die Bebbeh da draußen sich in Bewegung setzen, um hierher zu kommen, so ruft Ihr —«

»Yes! Werde sehr laut schreien!«

»Und wenn einer von diesen beiden hinaus will, ohne daß ich es ihm erlaubt habe, so schießt Ihr ihn nieder.«

»Well! Werde meinen alten shoot-stick mitnehmen. All right! Bin David Lindsay! Mache keinen Spaß! Yes!«

Die beiden Bebbeh hatten diese Unterhaltung natürlich auch gehört.

»Warum redet Ihr in einer fremden Sprache?« fragte mißtrauisch der Scheik.

»Weil dieser tapfere Emir aus dem Abendlande nur die Sprache seines Volkes redet,« antwortete ich, indem ich auf Lindsay deutete.

»Tapfer? Meinst du wirklich, daß einer von euch tapfer sei?« Und mit einer sehr geringschätzenden Handbewegung fügte er hinzu: »Ihr seid vor uns geflohen!«

»Du redest die Wahrheit, o Scheik,« erwiderte ich lachend. »Wir sind euch zweimal entkommen, weil wir kühner und tapferer sind, als ihr. Kein Bebbeh ist imstande, es mit einem Abendländer aufzunehmen.«

»Mann, willst du mich beleidigen?«

»Gasahl Gaboya, laß deine Seele ruhig bleiben, damit du dein Auge klar erhältst! Du kommst zu uns, um über den Frieden zu verhandeln. Willst du ihn wirklich haben, so bitte ich dich, höflicher als bisher zu sein. Wir sind nur wenige Männer und du selbst sagst, daß ihr ein ganzes Heer seid; aber dieses Heer hat nicht vermocht, uns festzuhalten. Ist dies eine Schande oder eine Ehre für uns? Nicht aus Feigheit vermieden wir den Kampf mit euch, sondern weil wir euer Leben schonen wollten.«

»Fremdling, du redest irre!« fiel er ein.

»Meinest du? Ich habe einen Mann von euch vor mir auf meinem Pferde gehabt; dein Bruder hier ist unser Gefangener gewesen, und als wir mitten in eurem Lager waren, um unsere beiden Gefährten zu befreien, da war sogar auch dein eigenes Leben in unsere Hand gegeben. Wir haben euch geschont und wollen euch jetzt noch schonen; aber wir verlangen nun auch, daß du klug genug sein sollst, die Lage zu erkennen, in der du dich befindest.«

»Ich erkenne sie. Es ist die Lage des Siegers. Ich erwarte, daß ihr mich um Verzeihung bittet und alles herausgebt, was ihr uns gestohlen habt!«

»Scheik, du irrst, denn du befindest dich in der Lage des Besiegten. Nicht wir sind es, sondern du selbst bist es, der um Verzeihung zu bitten hat, und ich erwarte, daß du es augenblicklich tust!«

Der Bebbeh starrte mich vor Erstaunen wortlos an; dann aber brach er in ein lautes Gelächter aus.

»Fremdling, hältst du die Bebbeh für Hunde und mich, ihren Scheik, für den Bastard einer Hündin? Ich habe den Bitten dieses meines Bruders nachgegeben und bin zu euch gekommen, um die Größe eurer Schuld mit den Augen der Gnade zu untersuchen. Eure Strafe sollte milde sein. Da ihr jedoch nicht erkennen wollt, was zu eurem Heile dient, so mag der Ruf der Feindschaft zwischen uns weiter klingen, und ihr sollt erkennen, daß es nur meines Befehles bedarf, um euch zu zermalmen.«

»Gib diesen Befehl, Scheik Gasahl Gaboya!« antwortete ich kalt.

Da aber nahm sein Bruder zum ersten Male das Wort:

»Dieser Fremdling aus dem Abendland ist mein Freund; er hat mich von der Schande und von dem Tode errettet; ich habe ihm mein Wort gegeben, daß Frieden sein soll zwischen uns und ihm, und ich werde mein Wort halten!«

»Halte es, wenn du es ohne mich vermagst!« antwortete der Scheik.

»Ein Bebbeh bricht niemals sein Versprechen. Ich werde an der Seite meines Beschützers bleiben, solange er sich in Gefahr befindet, und ich will doch sehen, ob die Krieger unseres Stammes es wagen, Männer anzugreifen, die sich unter meinen Schutz begeben haben.«

»Dein Schutz ist nicht der Schutz des Stammes. Deine Torheit wird dein Unglück sein, denn du wirst mit diesen Leuten fallen.«

Der Scheik erhob sich und trat zu seinem Pferde.

»Ist dies dein Beschluß?« fragte der Bruder.

»Ja. Bleibst du hier, so kann ich nichts weiter für dich tun, als daß ich den Befehl gebe, nicht auf dich zu schießen.«

»Dieser Befehl wird nutzlos sein. Ich werde jeden töten, der meinen Freund bedroht, selbst wenn du es wärest, und dann wird man auch mich nicht schonen.«

»Tue was du willst! Allah hat zugegeben, daß du den Verstand verlierst; er mag seine Hand über dich halten, wenn ich dich nicht mehr zu schützen vermag. Ich gehe!«

Während sein Bruder bei uns sitzen blieb, stieg er zu Pferde, um das Tal zu verlassen. Da aber erhob Lindsay seine Büchse und hielt die Mündung auf die Brust des Scheik gerichtet.

»Stop, old boy – halt, alter Junge!« gebot er. »Steige ab, sonst schieße ich dich ein wenig tot! Well!«

Der Scheik wandte den Kopf zu mir zurück und fragte:

»Was will dieser Mann?«

»Dich erschießen,« antwortete ich sehr ruhig, »weil ich dir noch nicht erlaubt habe, diesen Ort zu verlassen.«

Er sah aus meiner kalten, unbeweglichen Miene, daß es mir ernst war; er sah auch, daß der Engländer den Finger bereits am Drücker hatte – er drehte sein Pferd wieder zurück und rief zornig:

»Fremdling, du bist ein Schurke!«

»Scheik, sage dieses Wort noch einmal, so gebe ich unserem Wächter ein Zeichen, und du bist eine Leiche!«

»Aber dein Verhalten ist Verrat! Ich kam als der Abgesandte meines Stammes und habe freie Rückkehr zu fordern!«

»Du bist nicht der Abgesandte, sondern der Anführer deines Stammes; das Recht der Unterhändler gilt nicht für dich.«

»Weißt du, was das Recht der Völker ist?«

»Ich weiß es, aber dir ist es nicht bekannt. Du hast vielleicht einmal davon sprechen hören, aber dein Geist ist nicht reif genug gewesen, es zu verstehen. Das Recht, von dem du redest, befiehlt Ehrlichkeit im Kampfe; es befiehlt, den Feind zu benachrichtigen, daß man ihn anzugreifen beabsichtigt. Hast du dies getan? Nein. Du bist über uns hergefallen wie ein Räuber, wie ein Geier, der die Taube zerreißt. Nun willst du dich wundern, daß du als Räuber behandelt wirst. Du bist zu uns gekommen, weil du uns für Memmen hältst, die sich vor deiner Begleitung fürchten; du sollst jedoch das Gegenteil erfahren. Du wirst diesen Ort nur dann verlassen, wenn es mir gefällig ist. Willst du den Ausgang erzwingen, so kostet es dich das Leben. Steige also ab, und setze dich wieder zu uns. Aber vergiß nicht, daß ich Höflichkeit von dir erwarte, und daß dein Tod ganz unvermeidlich ist, wenn deine Bebbeh es wagen sollten, uns hier anzugreifen!«

Er folgte zögernd meinem Befehle, konnte es aber nicht unterlassen, drohend zu bemerken:

»Meine Leute würden mich furchtbar rächen!«

»Wir fürchten ihre Rache nicht, das hast du bereits gesehen und wirst es auch noch weiter erfahren! Nun aber laß uns mit Besonnenheit reden über die Angelegenheit, welche dich zu uns geführt hat. Sprich, Scheik Gasahl Gaboya; aber vermeide jede Beleidigung!«

»Ihr seid unsere Feinde, denn ihr habt euch den Bejat angeschlossen, um uns zu berauben – — —«

»Das ist ein Irrtum. Die Bejat trafen uns während eines Nachtlagers, und ihr Scheik Heider Mirlam lud uns ein, seine Gäste zu sein. Er sagte uns, daß er zu einem Feste der Dschiaf wolle, und wir glaubten es. Hätten wir gewußt, daß es seine Absicht sei, euch zu überfallen, so hätten wir uns ihm nicht angeschlossen. Er nahm eure Herden, während wir schliefen, und als ich die Wahrheit bemerkte, habe ich ihm meinen Zorn zu erkennen gegeben. Du überfielst uns und ließest uns verfolgen; wir fürchteten uns nicht; wir schonten euch und entkamen, nachdem ich euch bewiesen hatte, daß wir unschuldig seien. Du ließest uns dennoch nicht ruhig ziehen. Du legtest uns einen Hinterhalt. Wir nahmen deinen Spion gefangen und ließen Gnade walten. Du griffst uns an, und wir schonten euer Leben. Ich kam in euer Lager; ich holte meine gefangenen Gefährten; ihr waret in meine Hand gegeben, ich aber ließ nicht einen Tropfen Blutes fließen. Ihr jagtet uns nach; wir fingen deinen Bruder, doch wurde ihm kein Haar gekrümmt. Strenge deine Gedanken an, o Scheik, und begreife, daß wir nicht als Feinde, sondern als Freunde an euch gehandelt haben! Zum Dank dafür kommst du mit bösen Worten und Beleidigungen, und statt uns um Verzeihung zu bitten, verlangst du, daß wir dies tun sollen. Allah sei Richter zwischen uns und euch! Wir fürchten euch nicht; suche ja nicht zu erfahren, daß ihr uns zu fürchten habt!«

Er hatte mir nur mit halber Aufmerksamkeit zugehört und entgegnete jetzt ziemlich höhnisch:

»Deine Rede ist sehr lang, Fremdling, aber alles, was du sagst, ist unrichtig und falsch.«

»Beweise dies!«

»Dieser Beweis fällt mir leicht. Die Bejat sind unsere Feinde; ihr wart bei ihnen, folglich seid ihr unsere Feinde. Als meine Leute euch verfolgten, schosset ihr ihnen die Pferde tot. Ist dies Freundschaft?«

»War es etwa Freundschaft, daß ihr uns verfolgt habt?«

»Du hast mich an den Kopf geschlagen, daß ich die Besinnung verlor. Du schlugst dann den tapfersten meiner Krieger in das Gesicht und schleudertest ihn vom Pferde wie einen verächtlichen Wurm. Ist dies etwa Freundschaft?«

»Du griffst mich an, folglich schlug ich dich nieder; dein tapferster Krieger verhöhnte mich, darum zeigte ich ihm, daß er ein Wurm gegen mich sei.«

»Deine Schläge waren die größte Beleidigung, die es gibt; der Beleidigte fordert dein Blut!«

»Meine Schläge müssen keine Beleidigung, sondern eine Ehre für ihn gewesen sein, da du ihm dann doch noch erlaubt hast, an deiner Seite zu kämpfen. Wenn er mein Blut verlangt, so mag er kommen, um es sich zu nehmen!«

»Endlich hast du uns gestern die besten unserer Pferde gestohlen. Ist dies Freundschaft?«

»Ich nahm euch diese Pferde, weil ihr die unserigen erschossen habt. Alle deine Vorwürfe sind falsch und grundlos. Wir haben weder Zeit noch Lust, unsere Geduld noch länger mißbrauchen zu lassen. Sage uns kurz, was du verlangst, und dann werde ich dir eine eben solche Antwort geben!«

Nun rückte der Scheik mit seinen Bedingungen heraus, indem er begann:

»Ich verlange, daß ihr zu uns kommt – — —«

»Weiter!« sagte ich.

»Ihr übergebt uns eure Pferde, eure Waffen und alles, was ihr bei euch tragt.«

»Weiter!«

»Du gibst dem Manne, den du geschlagen hast, Rechenschaft!«

»Weiter!«

»Dann könnt ihr ziehen, wohin ihr wollt.«

»Ist dies alles?«

»Ja. Du siehst, daß ich sehr gnädig bin!«

»Worin soll die Rechenschaft bestehen, welche ich zu geben habe?«

»In einer Entschädigung, deren Höhe wir bestimmen werden. Ich hoffe, daß du zu meinem Verlangen Ja sagen wirst!«

»Ich sage nicht Ja, sondern Nein. Nicht ihr seid es, sondern wir sind es, die zu fordern haben. Und übrigens ist dein Verlangen unsinnig. Wie könnte ich eine Entschädigung zahlen, wenn ihr uns bereits alles genommen hättet! Wir raten euch, uns unangefochten ziehen zu lassen; das ist das beste für euch! Bedenke, daß du dich in meiner Hand befindest!«

»Willst du mich ermorden lassen?«

»Nicht ermorden, sondern töten, sobald die Bebbeh die geringste Feindseligkeit gegen uns begehen.«

»Sie würden mich rächen; das habe ich dir bereits gesagt!«

»Sie würden dich nicht rächen, sondern nur sich verderben. Blicke her, Scheik Gasahl Gaboya! In diesem Gewehr habe ich fünfundzwanzig Kugeln und in dieser Büchse zwei; jeder dieser zwei Revolver hat sechs Kugeln, und jede deiner Pistolen, die du hier in meinem Gürtel siehst, zwei; ich kann also dreiundvierzigmal schießen, ohne zu laden. Meine Gefährten sind nicht weniger gut bewaffnet, und wir befinden uns hier an einem Orte, dessen Eingang nur je ein einzelner Feind passieren könnte. Deine Leute würden daher fallen, ohne Gelegenheit zu finden, auch nur einen einzigen von uns zu verwunden oder gar zu töten. Folge mir und der Stimme deines Bruders: laß uns in Frieden ziehen!«

»Soll ich mich von den Meinigen verlachen und verhöhnen lassen? Wie kannst du so viele Kugeln in deinem Gewehre haben! Deine Worte klingen nicht, als ob du die Wahrheit redest.«

»Ich lüge nicht. Die Silahdar[23] des Abendlandes sind geschickter als die eurigen. Blicke genau her; ich will dir diese Gewehre erklären!«

Ich zeigte ihm die Einrichtung des Repetierstutzens und der Revolver, und seine besorgter werdende Miene bewies mir, daß meine Taktik die richtige sei.

»Allah ist allmächtig!« murmelte er. »Warum gibt er nicht seinen Gläubigen die Weisheit, solche Gewehre zu verfertigen?«

»Weil sie solche Gewehre mißbrauchen würden. Allah ist allgütig und allweise; er schenkt diese Gewehre nur dem Christen, der sich ihrer erst dann bedient, wenn seine Langmut nichts mehr fruchten will. Sage, was du beschlossen hast!«

»Herr, ich habe eure Waffen gesehen; sie sind vorzüglich, aber wir fürchten sie dennoch nicht. Trotzdem will ich Gnade über euch ergehen lassen, wenn ihr mir gebt, was ich jetzt fordern werde.«

»Was forderst du?«

»Die sechs Pferde, die ihr uns genommen habt, und den Rappen, den du reitest. Außerdem gibst du mir dieses Gewehr mit fünfundzwanzig Kugeln und die beiden Pistolen mit sechs Kugeln nebst den Waffen, die du aus meinem Zelte genommen hast. Sonst nichts!«

»Du wirst keines deiner Pferde erhalten, da ihr die unserigen erschossen habt; du wirst auch den Hengst nicht bekommen, denn er ist mehr wert, als tausend Pferde der Bebbeh. Auch meine Waffen brauche ich selbst. Um dir jedoch zu zeigen, daß ich gütig bin, sollst du deine Flinte und deine Pistolen wieder erhalten, sobald ich die Ueberzeugung besitze, daß ihr uns in Frieden ziehen laßt.«

»Bedenke wohl, Fremdling, was du – — —«

Er hielt inne, denn draußen fiel ein Schuß, noch einer und noch mehrere. Ich wandte mich zu dem Engländer:

»Was gibt‘s, Sir?«

»Dojan!« antwortete er.

Dieses Wort elektrisierte mich so, daß ich in der nächsten Sekunde am Eingange stand. Wirklich, es war der Windhund. Die Kurden machten Jagd auf ihn; er aber war so klug, einen Bogen zu schlagen, um sie zu umgehen; doch schien diese List keinen Erfolg zu haben. Er war so angegriffen und ermüdet, daß die kleinen, struppigen Pferde der Bebbeh eine größere Schnelligkeit entwickelten, als er. Ich bemerkte, daß er sich in der größten Gefahr befand, erschossen zu werden. Ich sprang zu meinem Pferde.

»Scheik Gasahl Gaboya, jetzt kannst du sehen, was ein Emir aus dem Abendlande für Waffen hat. Aber hüte dich, den Eingang zu überschreiten. Du bist mein Gefangener, bis ich wiederkehre!«

Ich bestieg das Pferd.

»Wohin, Sihdi?« fragte Halef.

»Den Hund beschützen.«

»Ich reite mit!«

»Du bleibst. Sorge dafür, daß die beiden Bebbeh nicht entkommen!«

Ich ritt hinaus auf das Blachfeld und gab mit dem ausgestreckten Arme den Kurden ein Zeichen, von dem Hunde abzulassen. Sie sahen es wohl, befolgten es aber nicht. Auch der Hund erblickte mich und kam, anstatt den eingeschlagenen Bogen weiter zu verfolgen, auf mich zugerannt. Diese Richtung führte ihn ganz nahe an seinen Verfolgern vorüber. Es kam mir gar nicht in den Sinn, mir das brave Tier, welches ich bereits verloren geglaubt hatte, erschießen zu lassen. Darum hielt ich, in Schußweite angekommen, mein Pferd an und zeigte ihm den Lauf meiner Büchse. Auf dieses Zeichen stand es vollständig bewegungslos. Ich legte an und warf mit zwei Schüssen die Pferde der beiden Kurden, die dem Hunde am nächsten waren, in das Gras. Dojan kam unbeschädigt vorüber, aber die Bebbeh erhoben ein Geschrei des Zornes und kamen auf mich losgesprengt.

Vor Freuden, mich wiedergefunden zu haben, war der Hund mit einem einzigen Satze bei mir auf dem Pferde; ich aber stieß ihn sofort hinab, da er verderblich werden konnte.

»Buraja, buraja – herbei, hierher!« hörte ich es am Eingange des Tales rufen. Es war der Scheik, der diese Gelegenheit benutzen wollte, aus seiner nichts weniger als angenehmen Lage zu entkommen. Die Kurden vernahmen diesen Ruf, spornten ihre Pferde an und schwangen die Waffen. Ich kam ihnen natürlich zuvor und sah, als ich den Eingang erreichte, den Scheik am Boden liegen, während Halef und der Engländer beschäftigt waren, ihn zu binden. Sein Bruder stand frei daneben, und seine ganze Haltung zeigte, daß er neutral bleiben wolle.

»Emir, schone meine Brüder!« bat er.

»Wenn du den Scheik bewachest!« antwortete ich.

»Ich werde es tun, Herr!«

Ich sprang vom Pferde und gebot den Gefährten, sich hinter die Felsen des Einganges zu legen.

»Schießt nur auf die Pferde!« bat ich.

»Hältst du so dein Wort, Emir?« zürnte Mohammed Emin.

»Der Bruder des Scheik meint es ehrlich. Die erste Salve also nur auf die Pferde; dann werden wir weiter sehen!«

Dies alles war so schnell gegangen, daß die Bebbeh sich nun grad in Schußweite befanden. Ich hatte die beiden Läufe der Büchse abgeschossen und nahm den Stutzen zur Hand. Unsere Schüsse krachten – einmal und noch einmal.

»Bounce – bardauz, da stürzen sie!« rief der Engländer. »Fünf, acht, neun Pferde! Yes!«

Er erhob sich aus seiner knieenden Stellung, um, wie die andern, während ich fort schoß, sein Gewehr wieder zu laden. Auch Allo, der Köhler, hatte mit der Flinte des Scheiks einen Schuß abgegeben. Er war schuld, daß einer der Bebbeh verwundet wurde; die andern waren ihrer Kugel sicher.

Die erste Salve hielt den Anprall der Kurden so lange auf, bis wieder geladen war; die zweite aber brachte ihn vollends zum Stehen.

»Come on – vorwärts!« schrie Lindsay. »Hinaus! Totschlagen diese Houndcatchers, diese Hundejäger!«

Er nahm die Büchse bei dem Laufe und wollte sich wirklich auf die Kurden werfen. Ich faßte ihn aber und hielt ihn zurück.

»Seid Ihr des Teufels, Sir?« rief ich. »Wollt Ihr um Eure schöne Patent-Nase kommen? Bleibt doch, wo Ihr seid!«

»Warum? Der Augenblick ist gut. Drauf, Master, drauf!«

»Unsinn! Hier sind wir sicher, draußen aber nicht.«

»Sicher? Hm! So legt Euch auf das Kanapee und haltet Mittagsruhe, Master! Dummheit, die Kerle laufen zu lassen! Well!«

»Nur ruhiges Blut! Seht Ihr, daß sie sich zurückziehen? Sie haben eine gute Lehre erhalten, an die sie denken werden.«

»Schöne Lehre! Kostet sie nur ein paar Pferde!«

Da legte mir der Bruder des Scheiks die Hand auf den Arm.

»Emir,« sagte er, »ich danke dir! Du konntest so viele und noch mehr von ihnen töten, als Pferde draußen liegen, und du hast es nicht getan. Du bist ein Christ, aber Allah wird dich schützen!«

»Siehst du ein, daß unsere Waffen den euren überlegen sind?«

»Ich sehe es.«

»So geh hinaus zu den Bebbeh und erzähle es ihnen!«

»Ich werde es tun. Was wird aber mit dem Scheik?«

»Er bleibt hier. Ich gebe dir eine ganze Viertelstunde Zeit. Bist du dann noch nicht mit der Botschaft des Friedens zurückgekehrt, so wird der Scheik an dieser Wurzel da oben aufgehängt. Zweifle nicht daran! Ich bin es müde, mit einem unverständigen Feinde zu kämpfen.«

»Und wenn ich Frieden bringe?«

»So gebe ich den Scheik frei.«

»Und was er von dir verlangte?«

»Gebe ich nicht.«

»Auch nicht seine Flinte und seine Pistolen?«

»Nein. Er trägt die Schuld des Angriffes, den wir soeben abgeschlagen haben; er hat nicht die geringste Nachsicht mehr zu erwarten. Wir sind die Sieger. Tue, was du willst!«

Er ging, und ich hatte nur zunächst darauf Bedacht, meine Gewehre wieder zu laden. Dabei lag mir der Hund zu Füßen und winselte vor Freude, obgleich ihm vor Erschöpfung die Zunge aus dem Maule hing.

»Was denkst du, Emir,« fragte Amad el Ghandur; »hat er den Wächter der Pferde erbissen, bei dem er zurückgeblieben ist?«

»Ich hoffe es nicht. Ich will annehmen, daß er den Mann verlassen hat, weil ihm die Zeit zu lang geworden ist. Er hat den ganzen Nachmittag und die ganze Nacht bei ihm gewacht; das arme Tier ist fürchterlich ermattet. Halef, gib ihm zu fressen! Erst später wird er Wasser lecken dürfen.«

Der Scheik lag gebunden am Boden und sprach kein Wort; aber seine Augen folgten jeder unserer Bewegungen. Man sah es ihm an, daß er niemals unser Freund sein könne.

Wir harrten mit Spannung auf den Bescheid, den wir von den Bebbeh erhalten würden. Sie hielten eng beieinander, und wir sahen aus der Lebhaftigkeit ihrer Gestikulationen, daß ihre Beratung eine stürmische sei. Endlich kehrte unser Bote zurück.

»Ich bringe den Frieden, Herr,« sagte er.

»Unter welcher Bedingung?«

»Unter keiner.«

»Das hatte ich nicht erwartet. Du scheinst sehr eifrig für uns gesprochen zu haben. Ich danke dir!«

»Verstehe mich wohl, ehe du mir dankest, Herr! Ich bringe dir zwar den Frieden, aber auch die Bebbeh gehen auf keine Bedingung ein.«

»Ah! Und das nennen sie einen Frieden? Gut, so werde ich mich sicher stellen. Sage ihnen, daß ich den Scheik, deinen Bruder, als Geisel mit mir nehmen werde.«

»Wie lange wirst du ihn behalten?«

»So lange als es mir gefällt; so lange, bis ich sicher bin, daß ich nicht verfolgt werde. Dann wird er unbeschädigt entlassen.«

»Ich glaube dir. Erlaube, daß ich es meinen Brüdern sage!«

»Gehe hin und gebiete ihnen, sich bis an die Berge zurückzuziehen, welche die Ebene dort begrenzen. Sobald ich merke, daß sie uns folgen, stirbt der Scheik.«

Er ging, und bald sahen wir, daß alle Bebbeh, beritten und unberitten, langsam nach Norden zogen. Er selbst aber kam wieder, um sein Pferd zu holen.

»Emir,« sagte er, »ich war dein Gefangener; gibst du mich frei?«

»Ja. Du bist mein Freund. Hier nimm die Pistolen deines Bruders. Nicht ihm, sondern dir gebe ich sie zurück. Die Flinte aber bleibt das Eigentum des Mannes, dem ich sie geschenkt habe.«

Er blieb bei uns, bis man den Scheik auf sein Pferd gebunden hatte und wir vollständig marschbereit waren. Dann reichte er mir die Hand.

»Lebe wohl, Herr! Allah segne deine Hände und deine Füße! Du nimmst einen Mann mit dir, der dein Feind und nun auch der meinige ist, und dennoch empfehle ich ihn deiner Güte; denn er ist der Sohn meines Vaters.«

Er sah uns lange nach, bis wir verschwunden waren; der Scheik aber hatte keinen Blick für ihn gehabt; es war sicher, daß sie Feinde geworden waren.

Wir behielten die südliche Richtung bei. Halef und Allo hatten den Scheik zwischen sich genommen, und außer einigen kurzen Bemerkungen, die zuweilen nötig waren, wurde der Weg mit Schweigsamkeit verfolgt. Ich merkte es den Gefährten an, daß mein Verhalten während der letzten Tage nicht ihren Beifall hatte. Es fiel zwar keine Bemerkung darüber, aber es war aus ihren Blicken, aus ihren Mienen und aus ihrem ganzen mürrischen Wesen zu erkennen. Ein offenes Aussprechen wäre mir lieber als diese Verschlossenheit gewesen. Auch die uns umgebende Natur war keine freundliche. Wir ritten über öde Bergkuppen, nackte Hänge, finstere Schluchten; es wurde am Abend so kalt und zugig, wie im Winter, und die Nacht, welche wir zwischen zwei gegeneinander geneigten Felsen zubrachten, vermochte es nicht, eine andere Stimmung in uns zu erwecken.

Kurz vor Tagesgrauen nahm ich meine Büchse, um irgend ein Wild zu beschleichen. Nach langem Suchen gelang es mir, einen armen Dachs zu schießen, den ich als einzige Beute zum Lager brachte. Die Gefährten waren bereits alle munter. Ein Blick, den Halef mir unbeobachtet zuwarf, sagte mir, daß während meiner Abwesenheit irgend etwas vorgegangen sei. Um zu erfahren, was es sei, brauchte ich gar nicht lange zu warten; denn ich hatte mich kaum niedergelassen, so fragte Mohammed Emin:

»Emir, wie lange sollen wir diesen Bebbeh noch mit uns schleppen?«

»Wenn du ein längeres Gespräch beabsichtigst,« antwortete ich, »so entfernt vorher den Gefangenen, der jedenfalls ebenso gut das Arabische versteht, wie sein Bruder.«

»Allo mag ihn in seine Obhut nehmen.«

Ich folgte diesem Vorschlage, führte den Scheik an eine entferntere Stelle und ließ ihn da in der Obhut des Köhlers, dem ich bedeutete, daß er die größte Achtsamkeit auf den Gefangenen zu verwenden habe. Dann kehrte ich zu den andern zurück.

»Jetzt sind wir unbelauscht,« meinte Mohammed Emin, »und ich wiederhole meine Frage, wie lange wir den Bebbeh mit uns herumschleppen sollen.«

»Warum tust du diese Frage?«

»Bin ich nicht berechtigt, sie zu tun, Effendi?«

»Du hast ein Recht dazu, welches ich dir nicht bestreite. Ich wollte ihn bei mir behalten, bis ich sicher sein kann, daß wir nicht verfolgt werden.«

»Wie willst du diese Sicherheit erhalten?«

»Dadurch, daß ich mich überzeuge. Wir setzen unsern Weg bis Mittag fort; dann nehmt ihr an einer geeigneten Stelle gleich Nachtlager, ich aber reite zurück und bin überzeugt, daß ich die Bebbeh sicher entdecken werde, falls sie uns folgen. Morgen am Vormittag bin ich wieder bei euch.«

»Ist ein solcher Feind so viele Mühe wert?«

»Nicht er ist es wert, aber unsere Sicherheit erfordert es.«

»Warum willst du es dir und uns nicht leichter machen?«

»Auf welche Weise könnte dies geschehen?«

»Du weißt, daß er unser Feind ist?«

»Sogar ein sehr schlimmer Feind.«

»Der uns wiederholt nach dem Leben trachtete?«

»Allerdings.«

»Der uns sogar verriet, als er sich in unsern Händen befand; denn er rief die Seinigen herbei, als du das Tal verlassen hattest, um den Hund zu verteidigen.«

»Auch dies ist richtig.«

»Nach den Gesetzen der Schammar hat er mehrfach den Tod verdient.«

»Gelten diese Gesetze auch hier?«

»Ueberall, wo ein Schammar zu richten hat.«

»Ah, ihr wollt den Gefangenen richten? – Ich denke, ihr habt ihm bereits das Urteil gesprochen! Wie lautet es?«

»Der Tod.«

»Warum habt ihr dies Urteil nicht bereits vollstreckt?«

»Konnten wir dies tun ohne dich, Emir?«

»Ihr habt nicht den Mut, das Urteil ohne mich zu vollstrecken; aber ihr habt das Herz, den Gefangenen ohne mich zu richten? O, Mohammed Emin, du gehst auf falschem Wege, denn der Tod des Gefangenen wäre auch der deinige gewesen.«

»Wie willst du mir das erklären?«

»Sehr leicht. Hier sitzt mein Freund David Lindsay-Bey, und hier mein tapferer Hadschi Halef Omar. Glaubst du, daß sie dir erlaubt hätten, in meiner Abwesenheit den Bebbeh zu töten?«

»Sie hätten uns nicht gehindert. Sie wissen, daß wir stärker sind, als sie.«

»Es ist wahr, ihr seid die tapfersten Helden der Haddedihn, aber diese beiden Männer haben noch niemals Furcht und Angst gefühlt. Was denkst du wohl, was ich getan hätte, wenn ich nach meiner Rückkehr Zeuge eures Tuns geworden wäre?«

»Du hättest es nicht mehr zu ändern vermocht.«

»Das ist richtig, aber es wäre euer Tod gewesen. Ich hätte das Messer vor euch in die Erde gesteckt und mit euch gekämpft als Rächer dessen, der ermordet wurde, obgleich er sich unter meinem Schutze befand. Allah allein weiß, ob es euch gelungen wäre, mich zu überwinden.«

»Emir, laß uns darüber schweigen. Du siehst ja, daß wir dich fragen, bevor wir handeln. Der Scheik hat den Tod verdient; laß uns über ihn beraten!«

»Beraten? Wißt ihr nicht, daß ich seinem Bruder versprochen habe, ihn unverletzt ziehen zu lassen, sobald ich überzeugt bin, daß wir nicht verfolgt werden?«

»Dies war ein voreiliges Versprechen. Du gabst es, ohne uns vorher zu fragen. Bist du etwa unser Gebieter, daß du dir jetzt angewöhnt hast, ganz aus eigener Macht zu handeln?«

Das war ein Vorwurf, den ich nicht erwartet hatte. Ich schwieg einige Zeit, um mein Gewissen zu prüfen; dann antwortete ich:

»Ihr habt recht, wenn ihr sagt, daß ich zuweilen gehandelt habe, ohne euch zu fragen. Dies geschah aber nicht, weil ich mich für den Höchsten von euch halte, sondern aus anderen Gründen. Ihr versteht nicht Kurdisch, und ich war also stets der einzige, der mit den Kurden zu sprechen hatte. Konnte ich euch da vor jeder Frage, die ich erhielt, und bei jeder Antwort, die ich erteilte, die Worte übersetzen? Hat man bei einem Entschluß, der schnell gefaßt werden muß, bei einer Tat, die nicht den mindesten Aufschub erleiden darf, Zeit und Gelegenheit, sich mit Gefährten zu beraten, die nicht einmal eine und dieselbe Sprache reden? Ist es nicht immer zu unserm Nutzen gewesen, wenn ihr das tatet, was ich euch riet?«

»Seit wir mit den Bejat zusammengekommen sind, ist dein Rat niemals ein guter gewesen.«

»Ich bin mir dessen nicht bewußt, obgleich ich nicht mit euch streiten will. Ich bin nicht Allah, sondern ich bin ein Mensch, der sich irren kann. Ihr habt mir bisher die Leitung freiwillig überlassen, weil ihr Vertrauen zu mir hattet; da ich nun aber sehe, daß dieses Vertrauen verschwunden ist, so trete ich ebenso freiwillig zurück. Mohammed Emin, du bist der älteste von uns; es sei dir gern die Ehre gegönnt, unser Anführer zu sein.«

Das hatten sie nicht erwartet; aber der letzte Satz schmeichelte dem alten Haddedihn zu sehr, als daß er mein Anerbieten unerörtert zurückgewiesen hätte.

»Ist dein fester Wille, Emir? Und du glaubst wirklich, daß ich euer Anführer sein kann?«

»Ja, denn du bist ebenso weise, wie stark und tapfer.«

»Ich danke dir! Aber ich kenne das Kurdische nicht.«

»Ich werde dein Dolmetscher sein.«

Der gute Mann begriff nicht, daß es infolge der eigentümlichen Zusammensetzung unserer kleinen Gesellschaft gar nicht möglich war, die absolute Führung in eine bestimmte Hand zu legen.

»Uebrigens,« fügte ich hinzu, »kommen wir ja sehr bald in Gegenden, wo nur Arabisch gesprochen wird.«

»Sind die anderen mit deinem Vorschlage einverstanden?« fragte Mohammed.

»Hadschi Halef Omar wird tun, was ich will, und den Engländer werde ich jetzt einmal fragen.«

Nachdem ich dem Engländer die Sachlage erklärt hatte, entgegnete er trocken:

»Macht keinen Fehler, Master! Habe längst bemerkt, daß die Haddedihn irgend etwas auf dem Herzen haben. Wir sind Christen, wir sind ihnen viel zu human. Well!«

»Ihr werdet das rechte getroffen haben. Nun soll ich euch fragen, ob Ihr Scheik Mohammed als Führer anerkennt?«

»Yes, wenn er die Wege weiß. Im übrigen aber kümmere ich mich den Kuckuck um einen Führer. Ich bin Englishman und tue, was mir beliebt!«

»Soll ich ihm dies sagen?«

»Sagt es ihm, und sagt ihm meinetwegen noch verschiedenes, was Euch beliebt. Ich bin es zufrieden, selbst wenn dieser Köhler Allo den Meister spielen will.«

Ich machte diese Meinung dem Haddedihn bekannt mit den Worten:

»David Lindsay-Bey ist einverstanden. Ihm ist es gleich, wer Anführer ist, du oder Allo, der Kohlenbrenner. Er ist ein Emir aus Inglistan und tut nur das, was ihm gefällt.«

Mohammed Emin zog die Brauen ein wenig zusammen; seine Herrschaft geriet gleich im Anfange ins Wanken.

»Wer Vertrauen zu mir hat, der wird mit mir zufrieden sein,« meinte er. »Doch jetzt wollen wir über den Bebbeh sprechen. Er hat den Tod verdient. Soll er die Kugel oder den Strick erhalten?«

»Keines von beidem. Ich habe dir bereits gesagt, daß ich mich mit meinem Worte für sein Leben verbürgt habe.«

»Emir, das gilt nichts mehr, denn ich bin Anführer geworden. Was der Anführer sagt, das muß geschehen!«

»Was der Anführer sagt, das wird geschehen, wenn die anderen damit einverstanden sind. Ich werde nicht zugeben, daß mein Wort gebrochen wird.«

»Effendi!«

»Scheik Mohammed Emin!«

Da zog der kleine Halef eine seiner Pistolen hervor und fragte mich:

»Sihdi, wünschest du, daß ich irgend jemandem eine Kugel durch den Kopf jage? Bei Allah, ich tue es sofort!«

»Hadschi Halef Omar, laß deine Waffe stecken, denn wir sind Freunde, obgleich die Haddedihn dies zu vergessen scheinen,« antwortete ich ruhig.

»Herr, wir vergessen es nicht,« verteidigte sich Amad el Ghandur; »du aber darfst auch nicht vergessen, daß du ein Christ bist, der sich in Gesellschaft von wahren Gläubigen befindet. Hier gelten die Gesetze des Kuran, und ein Christ soll uns nicht hindern, sie auszuüben. Du hast schon den Bruder dieses Scheiks verteidigt; ihn selbst lassen wir uns nicht entreißen. Warum gebietest du uns, nur auf die Pferde zu schießen? Sind wir Knaben, welche ihre Waffen nur zum Spielen erhielten? Warum sollen wir Verräter schonen? Die Lehre, welcher du folgest, wird dir noch das Leben kosten!«

»Schweig, Amad el Ghandur, denn du bist allerdings noch ein Knabe, obgleich du einen Namen trägst, der »Held« bedeutet! Lerne erst Männer kennen, ehe du redest!«

»Herr,« rief er zornig, »ich bin ein Mann!«

»Nein, denn wärest du ein Mann, so wüßtest du, daß ein solcher nie sich zwingen läßt, sein Wort zu brechen!«

»Du sollst es nicht brechen, denn nur wir sind es, die den Bebbeh bestrafen.«

»Ich verbiete es!«

»Und ich befehle es!« rief Mohammed Emin, indem er sich zornig erhob.

»Hast du hier zu befehlen?« fragte ich ihn.

»Hast du hier zu verbieten?« antwortete er mir.

»Ja. Mein verpfändetes Wort gibt mir das Recht dazu.«

»Dein Wort gilt nichts bei uns. Wir sind es müde, uns von einem Manne regieren zu lassen, der unsere Feinde liebt. Du hast vergessen, was ich an dir tat. Ich nahm dich auf als Gast bei mir; ich beschützte dich; ich gab dir sogar das Pferd, welches mir die Hälfte meines Lebens wert war. Du bist ein Undankbarer!«

Ich fühlte, wie mir das Blut aus den Wangen wich und daß die Hand nach dem Dolche zuckte; aber es gelang mir, mich zu bezwingen.

»Nimm das Wort wieder zurück,« antwortete ich kalt, indem ich mich erhob.

Ich gab Halef einen Wink und schritt dann der Stelle zu, wo der gefangene Scheik mit dem Kohlenbrenner lag. Dort setzte ich mich nieder. Keine Minute später saß auch der Engländer bei mir.

»Was gibt es, Master?« fragte er. »Zounds, Ihr habt ja Wasser im Auge! Mensch, sagt mir, wen ich erschießen oder erwürgen soll!«

»Den, der diesen Gefangenen anzutasten wagt.«

»Wer ist es?«

»Die Haddedihn. Scheik Mohammed warf mir vor, daß ich undankbar sei. Ich habe ihm den Rappen wiedergegeben.«

»Den Rappen? Seid Ihr verrückt, Master, ein solches Tier zurückzugeben, nachdem es Euer festes Eigentum geworden war. Aber ich hoffe, daß es sich noch ändern läßt!«

Da kam Halef herbei, zwei Pferde führend; das eine war das seinige, und das andere war das überzählige, das ich den Bebbeh genommen hatte. Es trug mein Sattelzeug, das Halef dem Rappen abgenommen hatte. Auch meinem kleinen Hadschi stand ein Tropfen im Auge, und seine Stimme zitterte, als er sagte:

»Du hast recht gehandelt, Herr. Der Scheïtan ist in die Haddedihn gefahren. Soll ich die Peitsche nehmen, um ihn wieder auszutreiben?«

»Ich verzeihe ihnen. Laßt uns aufbrechen!«

»Sihdi, was tun wir, wenn sie den Bebbeh töten wollen?«

»Wir schießen sie augenblicklich nieder.«

»Das ist mir recht und lieb! Allah steinige diese Schurken!«

Der Gefangene ward wieder auf sein Pferd gebunden, und wir stiegen auf: ich natürlich nicht auf den Rappen, sondern auf den Bläßfuchs, der in Deutschland ein Vierhunderttalerpferd gewesen wäre. Der kleine Zug setzte sich in Bewegung und kam an den Haddedihn vorüber, die noch im Grase saßen. Sie mochten gemeint haben, daß wir nachgeben würden. Jetzt aber, da sie sahen, daß ich Ernst machte, sprangen sie empor.

»Emir, wohin willst du?« fragte Mohammed Emin.

»Fort,« antwortete ich kurz.

»Ohne uns?«

»Wie es euch beliebt!«

»Wo ist der Rappe?«

»Drüben, wo er angehobbelt war.«

»Maschallah, er ist ja dein!«

»Er ist wieder dein. Salama – Allah gebe dir Friede!«

Ich gab meinem Pferde die Sporen, und wir sausten im Trabe davon. Kaum aber hatten wir eine kleine englische Meile zurückgelegt, so kamen uns die beiden nach. Amad el Ghandur hatte den Rappen bestiegen und führte sein Pferd an der Hand. Jetzt war es ganz unmöglich geworden, den Hengst zurückzunehmen.

Mohammed Emin kam an meine Seite, während sein Sohn zurückblieb.

»Ich denke, ich soll der Führer sein, Emir!« begann er.

»Wir brauchen einen Führer, aber keinen Tyrannen!«

»Ich will den Bebbeh bestrafen, der mich und meinen Sohn gefangen nahm. Was aber habe ich dir getan?«

»Mohammed Emin, du hast dir die Liebe und Achtung von drei Männern geraubt, die für dich und deinen Sohn ihr Leben wagten und bis heute für euch ohne Zaudern in den Tod gegangen wären.«

»Effendi, verzeihe!«

»Ich zürne dir nicht.«

»Nimm den Hengst zurück!«

»Niemals!«

»Willst du mein Alter züchtigen und meinen grauen Bart beschämen?«

»Grad dein Alter und der Schnee deines Bartes sollten dir gesagt haben, daß der Zorn nie Gutes tut.«

»Soll unter den Kindern der Beni Arab allüberall erzählt werden, daß der Scheik der Haddedihn ein Geschenk zurückerhielt, weil er nicht würdig war, es zu geben?«

»Man wird es erzählen!«

»Emir, du bist grausam, denn du wirfst Schande auf mein Haupt.«

»Du selbst hast es getan. Ich war dein Freund und ich liebte dich; auch heute verzeihe ich dir. Ich weiß, welche Schande es sein wird, wenn du zurückkehrst zu den Deinen und den Hengst wieder bringst; ich möchte dir helfen, aber ich vermag es nicht.«

»Du vermagst es. Du brauchst ja nur den Hengst wieder anzunehmen.«

»Ich würde es tun, dir zur Liebe und Ehre, aber es ist unmöglich geworden. Blicke zurück!«

Er sah sich um, schüttelte aber den Kopf.

»Ich sehe nichts. Was meinst du, Emir?«

»Siehst du nicht, daß der Rappe bereits einen Besitzer hat?«

»Jetzt verstehe ich dich, Effendi. Amad el Ghandur wird absteigen.«

»Aber ich werde das Pferd nicht nehmen. Er hat seinen Sattel aufgelegt und das Tier bestiegen; dies ist ein Zeichen, daß ihr es von mir zurückgenommen habt. Brächtest du es mir so herbei, wie ich es dir zurückgelassen habe, ungesattelt und unberührt, so würde ich denken, daß wir Freunde waren, und ich könnte die Schmach von dir nehmen. Amad el Ghandur hat mir vorgeworfen, daß ich ein Christ bin und als solcher handle; nun wohl, er ist ein Moslem, ohne als solcher zu handeln; denn er besteigt ein Pferd, dessen Rücken einen Christen trug. Erzähle dies den Gläubigen, mit denen du zusammenkommst!«

»Allah il Allah! Was haben wir für Fehler begangen!«

Der alte Scheik dauerte mich, aber ich konnte ihm nicht helfen. Sollte ich eine Schande auf mich laden, um ihm die seine zu ersparen? Nein! Ich konnte gar nicht begreifen, was den beiden so verständigen Männern auf einmal in den Kopf gefahren war. Persönliche Rücksichten waren sicher nicht der Grund. Vielleicht war der Keim zu ihrem Verhalten schon lange Zeit in ihnen versteckt gewesen und von mir gepflegt worden durch die Nachsicht, mit der ich unsere Gegner behandelt wissen wollte. Die Schonung aber, die ich gegen die beiden Bebbeh gezeigt hatte, war dann der Tropfen gewesen, der das Gefäß überlaufen läßt. Aber trotzdem mir der Verlust des Hengstes zu Herzen ging, fiel es mir gar nicht ein, meine milden Anschauungen den rachsüchtigen Gewohnheiten dieser Nomaden zu opfern.

Der Haddedihn ritt lange schweigend neben mir her. Endlich fragte er zagend:

»Warum zürnest du so anhaltend?«

»Ich zürne dir nicht, Mohammed Emin; aber es betrübt mich, daß dein Herz sich nach dem Blute derjenigen sehnt, denen dein Freund verziehen hatte.«

»Wohlan, so werde ich diesen Fehler wieder gutmachen!«

Er wandte sich um. Hinter mir ritt der Engländer mit Halef; dann kam Allo mit dem Gefangenen, zuletzt Amad el Ghandur. Ich wandte mich nicht zurück, weil ich glaubte, Mohammed Emin wolle mit seinem Sohne sprechen; auch Halef und Lindsay drehten sich aus demselben Grunde nicht um. Wir taten es erst, als wir die laute Stimme des Haddedihn vernahmen:

»Reite zurück, und sei frei!«

Der erste Blick überzeugte mich, daß er die Fessel des Gefangenen zerschnitten hatte, der seinem Pferd sofort in die Zügel griff, um im Galopp davon zu sprengen.

»Scheik Mohammed, was hast du getan!« rief Halef.

»Thunder storm, was fällt dem Menschen ein!« schrie der Engländer.

»Habe ich recht gehandelt, Emir?« fragte Mohammed.

»Wie ein Knabe hast du gehandelt!« zürnte ich.

»Ich wollte deinen Willen tun,« entschuldigte er sich.

»Wer hat dir gesagt, daß ich wünsche, ihn so schnell frei zu sehen? Die Geisel ist verloren, nun sind wir wieder in Gefahr!«

»Allah istafer – Gott verzeihe ihm!« rief Halef. »Laßt uns dem Bebbeh nachjagen!«

»Wir werden ihn nicht einholen,« wandte ich ein. »Unsere Pferde sind ihm nicht überlegen; nur der Rapphengst ist schneller.«

»Amad, ihm nach!« gebot Mohammed Emin seinem Sohne. »Bringe ihn zurück oder töte ihn!«

Der Angerufene wandte den Rappen und sprengte davon. Er hatte kaum fünfhundert Schritte zurückgelegt, so weigerte sich sein Pferd, ihn weiter zu tragen, doch war er nicht der Mann, sich so leicht abwerfen zu lassen; er zwang das Tier vorwärts. Natürlich ritten wir ihm nach. Er war hinter einer Krümmung verschwunden. Als auch wir dieselbe hinter uns hatten, sahen wir ihn in ziemlicher Ferne abermals mit dem edlen Tiere kämpfen. Er brachte alle seine Kraft und alle seine Geschicklichkeit zur Geltung, doch vergeblich; denn er flog endlich doch aus dem Sattel. Das Pferd aber wandte sich zurück, kam herbeigerannt und hielt an meiner Seite an, den schönen Kopf unter zärtlichem Schnauben an meinem Schenkel reibend.

»Allah akbar – Gott ist groß!« meinte Halef; »er gibt einem Pferde ein besseres Herz, als viele Menschen es haben. Wie schade, Sihdi, daß deine Ehre nicht erlaubt, es wieder zurückzunehmen!«

Der Haddedihn hatte einen nicht leichten Fall getan, er konnte sich nur schwer erheben; doch als ich ihn untersuchte, zeigte es sich, daß er ohne wirkliche Verletzung davongekommen war.

»Dieser Hengst ist ein Teufel!« meinte er. »Er hat mich doch früher gern getragen!«

»Du vergissest, daß er später mich getragen hat,« erklärte ich, »und ich habe es bisher immer verstanden, ein Pferd so zu gewöhnen, daß es nur denjenigen trägt, dem ich erlaube, es zu reiten.«

»Ich besteige diesen Scheïtan niemals wieder!«

»Du hättest klug getan, ihn bereits vorher nicht zu besteigen. Hätte ich in diesem Sattel gesessen, so würde uns Gasahl Gaboya nicht entkommen.«

»Steige auf, Emir, und reite ihm nach!« bat Mohammed Emin.

»Beleidige mich nicht!«

»So soll der Bebbeh entkommen?«

»Er wird es; doch nur durch deine Schuld!«

»Schauderhaft!« klagte der Engländer. »Dumme Geschichte! Höchst unangenehm! Yes!«

»Was ist zu tun, Sihdi?« fragte Halef.

»Um den Bebbeh wieder zu erlangen? Nichts. Ich hätte ihm den Hund nachgeschickt, wenn dieser mir nicht so wertvoll wäre. Nun aber gilt es, einen Entschluß zu fassen.« Mich an die Haddedihn wendend, erkundigte ich mich: »Habt ihr heute früh, als ich fern war, um den Dachs zu schießen, in Gegenwart des Bebbeh von dem Weg gesprochen, den wir einschlagen wollen?«

Sie zögerten mit der Antwort, Halef aber sagte:

»Ja, Sihdi, sie sprachen davon.«

»Aber nur Arabisch,« entschuldigte sich Mohammed.

Wäre seine Erscheinung nicht so ehrwürdig gewesen, so wäre er einer geharnischten Zurechtweisung wohl nicht entronnen; so aber zwang ich mich zu einem ruhigen Tone:

»Ihr habt nicht klug gehandelt. Was habt ihr gesagt?«

»Daß wir nach Bistan gehen.«

»Weiter nichts? Denke nach! Es kommt hier darauf an, jedes Wort zu wissen, das gesprochen worden ist. Eine Kleinigkeit, die ihr verschweigt, kann großen Schaden bringen.«

»Ich sagte, daß wir von Bistan vielleicht nach Achmed Kulwan, jedenfalls aber nach Kizzeldschi reiten würden, um an den Kiupri-See zu kommen.«

»Du warst ein Tor, Scheik Mohammed! Ich zweifle gar nicht, daß Scheik Gasahl Gaboya uns verfolgen wird. Glaubst du noch immer, unser Anführer sein zu können?«

»Emir, verzeihe mir! Aber ich bin überzeugt, daß der Bebbeh uns nicht ereilen wird. Er hat zu weit zurückzureiten, um die Seinigen zu treffen.«

»Meinst du? Ich bin bei vielen Völkern gewesen, deren Charakter ich kennen gelernt habe, und darum ist es nicht so leicht, mich zu täuschen. Der Bruder des Scheik ist ein ehrlicher Mann, aber er ist nicht der Anführer der Bebbeh. Er hat bei ihnen nur freien Abzug für uns erreichen können, und ich gebe meinen Kopf zum Pfande, daß sie uns gefolgt sind, ohne sich sehen zu lassen. Solange der Scheik sich in unseren Händen befand, waren wir sicher; nun aber müssen wir Besorgnis hegen. Sie werden sich rächen wollen für alles, auch für die Pferde, die wir ihnen töteten.«

»Wir brauchen sie nicht zu fürchten,« tröstete Amad el Ghandur; »denn eben dieser Pferde wegen können uns nicht alle folgen. Und wenn sie kommen, werden wir sie mit unseren guten Gewehren empfangen.«

»Das klingt gut, ist aber nicht so. Sie haben gesehen, daß wir ihnen im offenen Kampfe überlegen sind; sie werden uns abermals einen Hinterhalt legen oder uns gar des Nachts überfallen.«

»Wir stellen Wachen aus!«

»Wir sind nur sechs Mann, und wenigstens so viele Wachen brauchen wir, um uns leidlich sicher fühlen zu können. Wir müssen an etwas anderes denken.«

Unser Führer, der Kohlenbrenner, hielt ein wenig seitwärts von unserer Gruppe. Er befand sich in Verlegenheit, denn er erwartete Vorwürfe darüber, daß er den Haddedihn nicht gehindert hatte, den Gefangenen zu befreien.

»Wie weit nach Süden reiten die Bebbeh?« fragte ich ihn.

»Bis zum See hinab,« antwortete er.

»Kennen sie die Gegend genau?«

»Ganz genau. Sie kennen,« sagte er, »so gut wie ich jeden Berg und jedes Tal zwischen Derghezin und Miek, zwischen Nweizgieh und Dschenawera.«

»Wir müssen,« fuhr ich fort, »einen andern Weg einschlagen, als wir vorher wollten. Nach West dürfen wir nicht. Wie weit ist es von hier nach Ost bis an die Hauptkette des Zagrosgebirges?«

»Acht Stunden, wenn wir durch die Luft reiten könnten.«

»Da wir aber auf der Erde reiten müssen?«

»Das ist verschieden. Ich kenne weiter unten einen Paß. Wenn wir gegen Sonnenaufgang reiten, so übernachten wir in einem sichern Walde und erreichen morgen, wenn die Sonne am höchsten steht, das Zagrosgebirge.«

»Dort muß aber wohl die persische Grenze sein, wenn ich nicht irre?«

»Ja, denn dort grenzt das kurdische Land Teratul an den persischen Distrikt von Sakiz, der nach Sinna gehört.«

»Gibt es dort Kurden von Dschiaf?«

»Ja; aber sie sind sehr kriegerisch.«

»Vielleicht nehmen sie uns dennoch gut auf, denn wir haben ihnen nichts getan. Auch ist es möglich, daß der Name des Khan Heider Mirlam uns bei ihnen als eine Empfehlung dienen kann. Führe uns zu dem Passe, von welchem du sprachst. Wir reiten nach Osten!«

Dieses Gespräch war in kurdischer Sprache geführt worden; ich verdolmetschte es den Gefährten, und sie waren mit meiner Anordnung vollkommen einverstanden. Nachdem Amad el Ghandur wieder umgesattelt und sein voriges Pferd bestiegen hatte, setzten wir den Ritt fort. Mohammed Emin nahm den Hengst an die Seite.

Im Laufe dieser unangenehmen Verhandlungen und Begebenheiten war eine geraume Zeit vergangen, und es war ziemlich Mittag, als wir den erwähnten Paß erreichten. Wir befanden uns mitten in den Bergen und wandten uns nun nach Ost, nachdem wir dafür gesorgt hatten, daß keine Spur diese Veränderung unserer Reiserichtung verraten könne.

Bereits nach einer Stunde bemerkten wir, daß sich das Terrain wieder zu senken begann, und auf meine Erkundigung erfuhr ich von Allo, daß zwischen hier und der Zagroskette ein bedeutendes Längental quer zu durchreiten sei.

Der am Morgen vorgefallene Zwist hatte in unserem sonst so brüderlichen Kreise eine tiefe Verstimmung zurückgelassen, die auf meinem Gesichte wohl am deutlichsten zu lesen war. Ich durfte mein Auge gar nicht auf den Hengst richten. Der Bläßfuchs war zwar auch kein übles Pferd, aber die Kurden verstehen ein Pferd nur zu Schanden zu reiten, und ich fühlte mich im Sattel wie ein Anfänger der edlen Turnkunst auf dem dürren Klepper, dessen verborgene Eigenschaften man erst zu studieren hat. Dem Hengst gönnte ich es freilich von ganzem Herzen, daß er jetzt so frei und leicht nebenher traben durfte.

Gegen Abend erreichten wir den Wald, in dem wir unser Lager aufschlagen sollten. Wir hatten bisher keinen einzigen Menschen getroffen, waren aber auf einiges Wild gestoßen, das uns das Material zum Abendessen lieferte. Dieses wurde unter außerordentlicher Schweigsamkeit verzehrt, und dann legten wir uns zur Ruhe.

Ich hatte die erste Wache und saß abseits der andern, an einen Baum gelehnt. Da kam Halef herbei, bückte sich über mich und fragte mit leiser Stimme:

»Sihdi, dein Herz ist betrübt; aber ist das Pferd dir lieber als dein treuer Hadschi Halef Omar?«

»Nein, Halef. Für dich würde ich zehn und noch mehr solche Pferde hingeben.«

»So tröste dich, mein guter Sihdi, denn ich bin bei dir und bleibe bei dir, und kein Haddedihn soll mich von dir wegbringen!«

Er legte seine Hand an seine Brust und streckte sich dann neben mir aus.

Da saß ich nun in stiller Nacht, und das Herz wurde mir groß und weit unter der Gewißheit, die Liebe eines Menschenkindes zu besitzen, eines Menschenkindes, dem auch meine Zuneigung gehörte. Wie glücklich muß ein Mann sein, der eine stille Heimat hat, die unerreicht ist von der Brandung der Schicksalswogen, ein Weib, dem er vertrauen darf, und ein Kind, in welchem er sein veredeltes Ebenbild heranwachsen sieht! Auch das rauhe Herz eines Weltläufers fühlt zuweilen, daß es im Innern des Menschen hinter öden, einsamen Flächen auch Höhen gibt, welche die Sonne mit ihrem Strahle vergolden und erwärmen darf.

Am andern Morgen setzten wir unsern Weg weiter fort, und es zeigte sich, daß Allo sich nicht getäuscht hatte; denn bereits noch vor Mittag lagen die Höhen des Zagros vor uns, und wir durften unsern ermüdeten Pferden eine kurze Ruhe gönnen. Wir lagerten in einem Tale, dessen steile Wände vollständig unzugänglich schienen. Wir ließen die Pferde frei weiden und lagerten uns in das hohe Gras, das so frisch und saftig war, weil das Tal von einem kleinen Bache bewässert wurde.

Lindsay lag neben mir. Er knabberte an einem Knochen herum und brummte unverständliches Zeug dazu. Er war in übler Laune.

Jetzt richtete er sich halb empor und deutete mit der Hand in die Richtung, der ich den Rücken zukehrte. Ich drehte mich um und erblickte drei Männer, die sich uns langsam näherten. Sie waren in dünnes, gestreiftes Zeug gekleidet, hatten keine Schuhe und keine Kopfbedeckung und waren nur mit einem Messer bewaffnet. Solchen armseligen Figuren gegenüber war es wohl nicht nötig, nach den Waffen zu greifen. Sie blieben vor unserer kleinen Gruppe stehen und grüßten ehrerbietig.

»Wer seid ihr?« fragte ich.

»Wir sind Kurden vom Stamme Mer Mamalli.«

»Was tut ihr hier?«

»Wir haben eine Blutrache und sind entflohen, um einen andern Stamm zu suchen, der uns Schutz gewährt. Wer seid ihr, Herr?«

»Wir sind fremde Wanderer.«

»Was tut ihr hier?«

»Wir ruhen aus.«

Der Sprecher schien diese kurzen Antworten gar nicht übel zu nehmen, sondern sagte:

»In diesem Wasser sind Fische. Erlaubst du, daß wir uns einige fangen?«

»Ihr habt ja weder Netz noch Angel!«

»Wir sind geübt, sie mit den Händen zu fangen.«

Auch ich hatte bemerkt, daß hier Forellen standen, und da ich neugierig war, zu sehen, wie man sie mit den Händen fangen könne, so sagte ich:

»Ihr habt gehört, daß wir fremd hier sind; wir können euch das Fischen nicht verwehren.«

Sofort begannen sie, mit ihren Messern Gras zu schneiden. Als sie die nötige Menge davon hatten, trugen sie Steine herbei, um eine bedeutende Krümmung des Baches abzudämmen. Zunächst wurde der untere und dann der obere Damm errichtet. Das Wasser lief ab, und nun konnte man allerdings leicht die trocken gelegten Fische ergreifen. Da die Sache trotz ihrer Einfachheit Interesse hatte, so griffen wir selbst mit zu. Der Fang war reichlich, und da die schlüpfrigen Tiere uns immer wieder entkamen, so richteten wir unsere Aufmerksamkeit mehr auf sie als auf die drei Kurden, bis plötzlich ein lauter Ruf unseres Führers erscholl:

»Herr, paß auf, sie stehlen!«

Ich blickte empor und sah die drei Kerls bereits auf unsern Pferden sitzen: der eine auf dem Hengste, der andere auf meinem Bläß und der dritte auf Lindsays Pferd. Sie sprengten, ehe die Gefährten sich von ihrem Schrecken erholen konnten, davon.

»All devils, mein Pferd!« rief Lindsay.

»Allah kerihm – Gott sei uns gnädig, der Hengst!« schrie Mohammed Emin.

»Ihnen nach!« brüllte Amad el Ghandur.

Ich war der einzige, welcher ruhig blieb. Wir hatten es hier weder mit Pferdedieben noch sonst gewandten Männern zu tun, sonst hätten sie uns nicht die andern Pferde zurückgelassen.

»Halt! Wartet!« rief ich. »Mohammed Emin, bekennst du, daß der Rapphengst wieder dein Eigentum ist?«

»Ja, Emir.«

»Gut! Wiederschenken durfte ich ihn mir nicht lassen, aber leihen kann ich ihn einmal. Willst du ihn mir auf einige Minuten borgen?«

»Er ist ja fort!«

»Sag schnell, ob du ihn mir borgst?«

»Ja, Emir.«

»So kommt mir langsam nach!«

Ich sprang auf das nächste beste Pferd und galoppierte den Spitzbuben nach. Was ich erwartet hatte, war bereits geschehen: eine Strecke weiter unten hing der eine Kurde mit Armen und Beinen auf dem Hengste, welcher die tollsten Sprünge machte, um den Dieb abzuwerfen. Ich war noch nicht ganz herangekommen, als der Kerl zu Boden flog. Der Rappe kam zurück und blieb auf meinen Zuruf bei mir halten. Schnell war ich im Sattel, ließ das andere Pferd stehen und trieb den Hengst vorwärts.

Der Kurde hatte sich wieder aufgerafft und suchte zu entkommen. Ich zog ein Pistol hervor, faßte es am Laufe und erhob die Hand. Hart an ihm vorbeisausend, bog ich mich nieder und schlug ihm den Kolben auf den bloßen Kopf, daß er niederstürzte. Nun steckte ich das Pistol wieder ein und wand den Lasso von der Hüfte. Weit unten sah ich die beiden andern reiten. Ich legte dem Rappen die Hand zwischen die Ohren:

»Rih!«

Er flog dahin, schneller als ein Vogel in der Luft. In kaum einer Minute hatte ich den hintersten erreicht.

»Halte an! Herab vom Pferde!« gebot ich ihm.

Er blickte sich um; ich sah ihn erschrecken; aber er gehorchte nicht, sondern trieb sein Pferd zu größerer Eile an. Jetzt war ich bereits in gleicher Breite mit ihm und warf, an ihm vorüberschießend, den unfehlbaren Riemen. Ein Ruck erfolgte. Ich riß ihn eine Strecke mit vorwärts und hielt dann an, um abzuspringen. Der Mann lag regungslos am Boden. Trotz der außerordentlich kurzen Zeit war er infolge der Schnelligkeit meines Pferdes eine bedeutende Strecke mit fortgerissen worden, so daß er die Besinnung verloren hatte.

Ich wand den Lasso ab, machte eine neue Schlinge, ließ den Kurden liegen, stieg wieder auf und ritt dem dritten und letzten nach. Auch ihn hatte ich bald erreicht. Das Terrain war sehr günstig, da weder rechts noch links ein Ausweg blieb. Ich gebot auch ihm, anzuhalten, fand aber kein Gehör. Da schwirrte der Lasso, und die Schlinge legte sich fest um seine Arme, welche an den Leib gezogen wurden. Noch ein paar Sprünge meines Pferdes, dann hielt ich es an; denn der Kurde lag ebenso wie der andere am Boden, nur daß er bei Besinnung war, da ich ihn nicht weit mit fortgerissen hatte.

Ich sprang ab und schlang ihm den Riemen vollends um den Leib; dann richtete ich ihn empor. Sein Pferd war zitternd stehen geblieben.

»Das also waren die Fische, die ihr fangen wolltet! Wie ist dein Name?«

Er antwortete nicht.

»Du warst ja vorhin nicht stumm. Erwarte keine Gnade, wenn du nicht antwortest! Wie heißest du?«

Er schwieg auch jetzt.

»So bleibe liegen, bis man die beiden andern bringt!«

Ich gab ihm einen Stoß, daß er, weil er sich nicht zu rühren vermochte, steif zur Erde niederfiel. Auch ich setzte mich nieder, da ich die Gefährten von oben kommen sah. In kurzer Zeit waren wir wieder beisammen, hatten unsere Pferde wieder, die Diebe dazu, und – was uns das Willkommenste war – der wackere Allo war so weise gewesen, seine Decke abzuschnallen und, während wir Jagd auf die Kurden machten, die gefangenen Fische einzuwickeln. Er hatte sie mitgebracht, und nun wurde ein Loch in die Erde gemacht und ein Feuer darüber, um sie, wenn auch ohne Wasser und Fischgewürz, genießbar zu machen.

Der gute David Lindsay hatte darob seine gute Laune wiedergefunden. In einer desto schlechteren Stimmung aber schienen sich die drei armen Teufel zu befinden, die sich das Vergnügen einer so kurzen Reitpartie gemacht hatten. Sie wagten kein Auge zu erheben.

»Warum wolltet ihr uns die Pferde nehmen?« fragte ich die Gefangenen.

»Weil wir sie so notwendig brauchen, da wir Flüchtlinge sind.«

Das war allerdings eine Entschuldigung, die ich desto mehr geneigt war, zu berücksichtigen, als der Pferdediebstahl bei den Kurden ganz und gar nicht als ein ehrloses Gewerbe gilt.

»Du bist noch jung. Hast du Eltern zurückgelassen?«

»Ja, und die andern auch; dieser hier sogar sein Weib und ein Kind.«

»Warum sprechen sie nicht?«

»Herr, sie schämen sich!«

»Du aber nicht?«

»Muß nicht einer sein, der dir antwortet?«

»Du scheinst kein übler Bursche zu sein, und da ihr mich dauert, so will ich sehen, ob ich bei meinen Gefährten für euch bitten kann.«

Das war nun allerdings ein erfolgloses Bemühen, denn alle, auch Halef und der Engländer, bestanden darauf, daß eine Strafe unbedingt nötig sei. Lindsay wollte sie durchgeprügelt sehen, ließ aber diesen Antrag fallen, als ich ihm sagte, daß dies eine entehrende Handlung sei, während der Pferderaub als eine ritterliche Tat betrachtet werde.

»Also nicht prügeln,« meinte er. »Well! Dann Schnurrbärte wegsengen! Ausgezeichnet! Pittoresk! Yes!«

Ich mußte lachen und trug den andern den Plan Lindsays vor. Sie stimmten sofort ein. Die drei Männer wurden festgehalten und hatten nach Verlauf von zwei Minuten nur noch die Brandstummel ihrer Bärte im Gesicht. Dann durften sie gehen. Keiner von ihnen hatte sich gewehrt oder ein Wort gesprochen; aber als sie uns verließen, erschrak ich über die Blicke, mit denen sie Abschied von uns nahmen.

Nach längerer Zeit machten auch wir uns zum Aufbruch bereit. Da trat Mohammed Emin zu mir heran:

»Emir, willst du mir einen Gefallen tun?«

»Welchen?«

»Ich will dir für heute meinen Rappen borgen.«

Der schlaue Mann! Er glaubte das Mittel gefunden zu haben, mich wieder mit sich auszusöhnen und mich nach und nach wieder in den Besitz des Pferdes zu bringen.

»Ich brauche ihn nicht,« antwortete ich.

»Aber es kann in jedem Augenblick die Gelegenheit kommen, ihn abermals zu gebrauchen, wie vorhin.«

»Dann werde ich dich bitten.«

»Es kann leicht sein, daß dir keine Zeit zu dieser Bitte bleibt. Reite ihn, Effendi, da ihn kein anderer reiten darf!«

»Unter der Bedingung, daß er dein Eigentum verbleibt!«

»Er soll es bleiben!«

Ich war versöhnlich gestimmt und erfüllte ihm seinen Wunsch, freilich nur mit dem festen Vorsatz, das Pferd niemals wieder anzunehmen. Ich ahnte nicht, daß es anders kommen würde.

23

Waffenschmiede.

Von Bagdad nach Stambul

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