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Qualität und Gesinnung
ОглавлениеWilhelm Worringer hat ausgesprochen, was überall in der Luft lag, als er 1918 im Ausstellungskatalog der Berliner Freien Sezession diese Worte schrieb: »Gewiß, über allem Streit der Richtungen steht die Qualitätsfrage. Über sie zu reden erübrigt sich. Sie muß sich, wie das Moralische, von selbst verstehen. Aber neben der Qualität der Malerei gibt es auch eine Qualität der Gesinnung, und sie steht nicht zuletzt mit jeder neuen Ausstellung zur Diskussion. In diesem Sinne Qualität haben heißt mehr als gutes Handwerk liefern.«
Diese Sätze und die weiteren Ausführungen, die später auch im »Genius« wiederholt worden sind, stellen nicht nur die persönliche Meinung eines geistreichen, pathetisch erregten Mannes dar, sondern sie sind wie ein Programm. Sie bezeichnen die Meinung nahezu der ganzen Jugend und werfen ein helles Licht auf deren künstlerische Arbeitsweise. Darum wird eine Auseinandersetzung mit diesen Sätzen an der Spitze der hier vereinigten Abhandlungen nicht unangebracht erscheinen. Denn dieses Buch ist ja recht eigentlich da, um einer anders gearteten Auffassung zu dienen.
Die Leitsätze erscheinen gefährlich, weil sie geeignet sind, einem wohlfeilen Idealismus zu schmeicheln und ernsthafte Arbeit zu entwerten. Gefährlich sind sie, weil sie die Qualität der Kunst gleichsetzen mit »gutem Handwerk« und diesem dann die Gesinnung entgegensetzen, als sei es etwas Edleres und Höheres. Gefährlich sind solche Sätze vor allem, weil sich darin letzten Endes eine Unkenntnis des eigentlich Künstlerischen in der Kunst ausspricht.
In Wahrheit können Qualität der Malerei und der Gesinnung nicht zweierlei sein, sofern beides echt ist. Große, tiefe und liebevolle Kunstgesinnung kann überhaupt nur als Qualität in Erscheinung treten, sie hat gar nicht die Möglichkeit, sich anders zu manifestieren. Äußert sie sich neben der Qualität, neben dem Handwerk, so wird sie gleich bedenklich, denn sie verführt dann den Künstler, über seine Kräfte hinauszugehen, seinen Gaben und dem Handwerk Gewalt anzutun und, in ideologischen Irrtümern sich verstrickend, gar unehrlich gegen sich selbst und gegen die Öffentlichkeit zu werden. Gesinnung ohne Qualität führt stets zur Programmatik, zur Tendenz und weiterhin zur mehr oder weniger leeren Geste. Gesinnung im Verein mit Qualität aber ist ein Pleonasmus. Beides ist in ähnlicher Weise untrennbare Einheit wie Talent und Charakter. Man darf bei solchem Vergleich freilich das Wort Charakter nicht gesellschaftlich verstehen. Der Künstler kann, sozial betrachtet, manchen Fehler haben, er kann unzuverlässig als Staatsbürger, als Familienvater und unmoralisch im Sinn der Gesellschaft sein. Als Künstler aber hat er bei alledem Charakter, sofern seine Kunst Qualität hat. Ein Künstler kann andererseits aufs höchste edel sein und voller lebendiger Instinkte für das Wesen seiner Zeit, er kann der lauterste Mensch sein, in allen seinen Gedanken und Handlungen getragen von einer groß wollenden Gesinnung – und seine Kunst kann doch charakterlos sein. Qualität haben, das heißt: in seinem Charakter, in seinen Gesinnungen tausendfach erprobt sein, hundertfach gesiegt und das Wollen restlos, alle Widerstände überwindend, in ein Können verwandelt haben. Welcher Jüngling hat wohl nicht einen sehr guten Willen, solange ihn die Not des Lebens noch nicht zu verführen und in Kompromissen zu verstricken sucht! Welcher Jüngling fühlt nicht mit seiner Zeit, blickt nicht in die Zukunft! Das aber entscheidet nicht. Die Qualität des Künstlerwerks setzt die sicherste Instinktkraft, aber auch ein langes Leben voll von bestandenen Prüfungen und Selbstkorrekturen, voll von unablässiger praktischer, nicht theoretischer Veredlung voraus. Sie ist die Frucht einer permanent gewordenen Gesinnung, sie ist die in Fleisch und Blut übergegangene, die in konkrete Kunstwerke verwandelbare, Konventionen nicht unterworfene Lebensmoral. In der Qualität ist ohne weiteres eine erprobte Wahrheitsliebe enthalten, es ist bewährter Wille darin und ein heiliger Gehorsam gegen das Leben, es ist in ihr, und nur in ihr, künstlerische Phantasie und zugleich Ehrfurcht vor den Gesetzen der Formgestaltung, es ist darin die Kenntnis der eigenen Kraft und ihr Gebrauch bis zur Grenze des Möglichen – aber auch nicht darüber hinaus. Die Qualität setzt nicht nur gestaltendes Talent und schöpferische Fähigkeit voraus (was die Gesinnung nicht tut), sondern auch Fleiß, Ernst und Handwerkstüchtigkeit. Das »gute Handwerk« ist nichts Untergeordnetes, ist nicht Mittel zum Zweck, sondern ist ein Teil der Qualität selbst, es ist ein Prüfstein der Gesinnung, nicht umgekehrt. Gesinnung so ganz im allgemeinen haben und sie mit Worten äußern, »die in Purpur und Ultramarin« waten, oder sie betätigen, indem man mit dem Letzten beginnt und nur das Höchste überhaupt gelten läßt, das ist wohlfeil; worauf es ankommt, ist, daß Gesinnung in jedem Pinselstrich sei. Idealistengesinnung, Zukunftsideen kann jeder Fant haben; gute Handwerkergesinnung hat nur der erprobte Meister. Ein Beispiel: man hört allerenden die Phrase aussprechen und wiederholen, die Impressionisten, also genauer gesagt, die großen Maler der vorigen Generation, hätten »nur die zufällige Erscheinung« gemalt. Ihre Bilder seien willkürliche Naturausschnitte. Dieselben Leute, die so laut von Gesinnung reden, vermögen in diesem Fall also nicht zu erkennen, daß die Bilder dieser Meister ebenso streng komponiert und abgewogen sind, daß Farbe und Zeichnung ebenso altmeisterlich kultiviert sind, wie es die Stilkunst der Heutigen fordert, ohne aber diese Forderung zu erfüllen. Die Qualität des Urteils versteht sich hier leider nicht von selbst. Sonst würden die überlegen sich Gebärdenden einsehen, daß die künstlerische Ordnung in den Bildern der Impressionisten zwar nicht so offen zutage liegt, daß sie aber eben darum in höherem Grade vorhanden ist. Denn eine jedem und dem ersten Blick sichtbare Ordnung ist viel leichter zu erzielen, sie ist aber auch viel weniger nachhaltig. Nichts leichter als »komponieren«, nichts schwerer als eine geistige Ordnung herstellen und doch den Schein des unmittelbar Lebendigen erwecken. Dieses letzte taten die großen alten Meister. Der Gesinnung nach möchten viele der Neueren nun freilich sehr gern den alten Meistern gleichen. Sie kennen aber nicht das Mittel, sie wissen nicht, daß der Weg einzig über die Qualität führt. Und weil sie es nicht wissen, oder weil ihnen sonst der Weg zum Können versperrt ist, werden sie heftig, prunken sie mit höchster Sicherheit, übertreiben sie nach Seiten der Kunstgesinnung – und können es doch nicht vermeiden, daß sich dem schärfer blickenden Auge ihre Form als unsicher, als schwankend, als konventionell und akademisch darstellt. Bei ihnen findet sich sehr oft die »Gesinnung« nur darum ein, weil ihnen das Wesentliche der Wirkungskenntnis fehlt, weil sie ihren Eklektizismus verhüllen wollen.
Worringer fragt in seinem Aufsatz weiter: »Gesinnung – woran sie messen?« Die Antwort kann nur lauten: allein an der Qualität. Denn diese ist das einzig Bleibende und Feste in der Kunst neben den ewigen Metamorphosen der Gesinnung. Es gibt gar keinen anderen Maßstab für Kunst als die Qualität. Alles andere ist fließend oder wankend, ist dem Irrtum, der Tendenz, dem Stilbegriff, einer falschen Romantik und der Lüge unterworfen. Die Qualität allein steht über den Irrungen und Wirrungen der Parteien, sie ist das Ruhende in der Erscheinungen Flucht. Sie ist aber deswegen nicht etwa ohne Verbindung mit dem Zeitgeist, ist nicht unlebendig und abstrakt. Im Gegenteil, eben sie ist ganz ein Kind dessen, was Manet »contemporanéité« nannte. Sie kann nur entstehen, wo das höchste Leben ist, wo die seit Anbeginn der Kunst immer wieder neu geschaffenen Vollkommenheitswerte noch einmal geschaffen werden, als geschähe es zum erstenmal. Zum Schöpfungsakt der Qualität ist es nötig, daß sich im Künstler die Zeitgesinnung aufs äußerste steigert, daß er das Wollen seiner ganzen Generation zusammenfaßt und daß sein Werk ein Stück Zukunft vorwegnimmt. Ein Werk von Qualität ist nie altmodisch; dagegen kann ein Werk von scheinbar modernster Gesinnung sich als ganz petrefakt erweisen, wenn es der Qualität ermangelt.
Die Betonung des Wortes Gesinnung läßt leider vermuten, daß sich ein Unvermögen, das den Trägern Pein bereitet, dieser Geste bedient. Zu oft hat gerade die Schwäche mit diesem Wort geprunkt, als daß nicht eine Warnung am Platze wäre. Die Nazarener hatten ebenfalls Gesinnung. Cornelius hatte sie und alle die gedankenschweren Stilisten der deutschen Kunst bis hinab zu den ganz leeren Formalisten. Verehrungswürdige Männer waren es in vielen Fällen; aber möge uns der Himmel behüten, selbst vor einer neuen Gesinnungskunst, wie Feuerbach sie repräsentiert. Und das ist noch die beste Möglichkeit. Weit schlimmer ist, daß sich so leicht die im Grunde ihres Herzens Gesinnungslosen des Wortes Gesinnung bemächtigen können, Künstler, die nichts wahrhaft lieben und hassen, in deren Leben kein Müssen ist, sondern bestenfalls ein vages Wünschen. Um alles zu sagen: Gesinnung ohne Qualität oder getrennt vom Begriff der Qualität führt sehr oft zur Verderbtheit der Instinkte und zu einer allgemeinen idealistischen Verlogenheit. Mancher Künstler unserer Tage würde sich entsetzen, wenn er sehen könnte, welche Verheerungen in der Kunst diese Verlogenheit anzurichten im Begriff ist, wie viele betrogene Betrüger es in den Reihen unserer so gesinnungsstark auftretenden Jugend gibt und wie daran nichts schuld ist als – die Unfähigkeit, zur Qualität zu gelangen.
Max Slevogt, Illustration zum »Benvenuto Cellini«, Lithographie.