Читать книгу Allerhand Kreuzköpf - Karl Schönherr - Страница 5
ОглавлениеBAUERNFANG
Das Stumpflbäuerlein, kurzweg der Stumpfl genannt, war ein die ganze Weiberschaft aufreizender Wittiber. Ein angehender Fünfziger, also über die ersten Dummheiten hinaus, und doch noch bei guten Kräften; nach Meinung der Weiberschaft gerade im rechten Alter, um noch einmal hineinzuspringen. Aber sooft man ihm zuredete wie einem kranken Roß, er möge doch wieder ein Weib freien, der Stumpfl wehrte immer eisig lächelnd ab:
»Dank, i hab schon ghabt!« Und dabei kniff er seine Äuglein zusammen, als täte ihm das Licht weh.
Weil aber der Stumpfl das Kittelvolk zur Führung des Hauswesens doch nicht ganz entraten konnte, nahm er sich jeweils eine Wirtschafterin. Sie bemühten sich in der ersten Zeit ihres Einstandes alle gar sehr um Stumpfls Wohlergehen. Bis sie merkten, mit dem Stumpfl komme man nicht weiter. Dann verließen sie mit Geschimpfe den Dienst. Wenn so eine schimpfende Furie wieder abzog, rieb sich der Stumpfl kreuzvergnügt die Hände:
»Dank, i hab schon ghabt!«
Erst gestern war wieder eine mit langer Nase abgezogen und heute eine neue mit frischer Hoffnung eingestanden. Die neue Häuserin war eine knallrote, dralle Bauernschönheit. Den himmelblau geblümelten Koffer fuhr ihr der Kühbue des Stumpflbauern auf einem Radlbock durch das Hoftor nach.
»Bin i da recht beim Thomas Stumpfl?«
»Ja, so heiß i!«
»Grüß Gott, Stumpflbauer, i bin die neue Häuserin und heiß Gipflmarie!« So begrüßte sie den Wittiber und reichte ihm ihre kräftige, gut gepolsterte Hand hin.
»Gutn Einstand, Gipflmarie!« sagte der Stumpfl.
»Passen nit schlecht aufeinander, die Namen Gipfl und Stumpfl«, lachte die Neue.
»Guet passen sie«, meinte der Bauer. Die neue Häuserin sah sich in der wohlhäbigen Stube um, dann sagte sie:
»Mir ist’s da bei Enk so heimelig, als wär i schon drei Jahr da! I mein, der Stumpflbauer und i werden gut auskommen miteinand!«
»Hoffn wir’s«, meinte das Bäuerlein und kniff seine Äuglein zusammen. »Und wenn wir halt nit gut auskommen, nacher sein wir ja wieder bald auseinander!«
Gleich am ersten Nachmittag saß die Gipflmarie breit hingegossen auf dem Tisch beim Fenster und flickte dem Bauern eine Hose aus. Heißt das, sie tat nur so, als ob sie täte. Sie hatte sich für diese Schwerarbeit die Ärmel weit über die Ellbogen aufgestülpt. Als der Bauer in die Stube trat und die neu Eingestandene mit seiner Hose quer über dem Schoße sitzen sah, dachte er sich:
»Holla! Die tappt ein bißl früh auf meine Hosn!« Bei seinem Eintritt begann die Häuserin gewaltig draufloszunadeln; sie fuhr mit der Nadel in weitem Bogen aus, wodurch das Rund ihrer Arme höchst vorteilhaft zur Geltung kam. Dann streichelte sie die Hosenröhren zärtlich über ihren Schoß entlang und schielte nach dem Stumpfl.
Der schwieg und dachte sich:
»Teuflment, die geht’s grob an!«
Vom Tisch weg ging sie geradewegs in die Schlafkammer des Bauern und hielt dort Umschau, ob sein Bett in Ordnung sei. Denn ein gutes Bett sei etwas Gutes, meinte sie und sah den Bauer an. Der Stumpfl sagte ohne jede Anzüglichkeit:
»Ja, ja; a gutes Bett ist nit schlecht!«
Sie griff tief in die Strohsackfüllung und zog dann entrüstet die Hand zurück:
»Na! Das gibt’s einmal nit! So hart laß i mein Bauer nit liegen!« »Mein Bauer«, lächelte der Stumpfl verkniffen: »Da fehlt noch ein Ell!«
Nachdem sie das Stroh allseits mit zärtlicher Sorgfalt gründlich aufgelockert und geriegelt hatte, setzte sie sich mit einem mächtigen Ruck probeweise mitten auf das Bett hin. Die Bettstatt machte einen ordentlichen Krach, denn sie hatte schon ihr Gewicht, die Gipflmarie. »So, jetzt ist der Strohsack aber butterweich! Will der Stumpfl probieren?« Sie machte ihm neben sich Platz. Aber der Stumpfl gab sich zähe wie ein alter Dreikreuzerwecken und wollte nicht.
Der Stumpflbauer war beileibe kein Trinker. Nur bei besonders festlichen Gelegenheiten, wenn eine neue Wirtschafterin einstand oder die alte mit Lärm abzog, nahm er das irdene Krügel von der Wandstelle der Küche und holte sich einen Trunk aus dem Keller.
So saß er auch jetzt abends nach getaner Arbeit vergnüglich zusammengeduckt im fernsten Küchenwinkel und schlürfte mit großem Behagen sein Tröpfl. Die Gipflmarie wusch mit hochaufgestülpten Ärmeln das Küchengeschirr blank und ließ ihre Habichtaugen keinen Augenblick von dem Bäuerlein im Winkel.
Als die Gipflmarie mit der Küchenarbeit zu Ende war, wischte sie sich vor dem Bauer umständlich ihre fleischigen Arme trocken:
»So, jetz tragt’s mir auch amal ein Raster!« Dann setzte sie sich neben den Bauer auf die Bank und sagte:
»Mir ist wahrhaftig so, als kenn i den Stumpfl schon zehn Jahr und noch länger!«
»Mir ist nit so, Gipflmarie!«
Da sah ihn die Gipflmarie einen Augenblick spinnegiftig von der Seite an, als wollte sie sagen:
»Du verleidest mir bald, bockiger Teufel!«
Sie beherrschte sich aber gleich wieder und hoffte zuversichtlich, die Nacht und der Wein würden schon ihre Kuppler sein. Denn der Stumpfl hatte sich bereits zum zweitenmal das irdene Krügel gefüllt. Seine schlauen Mausaugen erglänzten schon heiter im Weine. Die Gipflmarie dachte:
»Er schaut jetz schon ganz unternehmlich drein; jetz wird bald ein Feuerl zünden!« Und spielte unverdrossen weiter ihre Trümpfe aus:
»Bauer, ist ’s Haustor zugsperrt?«
»Ja, ist zugsperrt!«
»Und die Knecht sein schlafen?«
»Ja, sein schlafen!«
»Dann sein wir ja jetz ganz allein!«
»Ja, ganz allein, i und die Gipflmarie!«
Die Gipflmarie ging, wie sie sagte, auf einen Augenblick hinaus und kam bald wieder schmerzlich hinkend zurück; bei jedem Schritt stöhnte sie: »Au, au« und preßte die Zähne aufeinander, um den Schmerz zu verbeißen. Sie schleppte sich mühsam bis zur Bank und ließ sich aufstöhnend neben dem Bauer nieder. Aber der muckste sich nicht.
»I hab mir im Hausgang das Schienbein angstoßen!«
Der Stumpfl nahm einen Schluck und sagte: »Oha!«
»Auweh«, jammerte die Gipflmarie: »Es ziecht mir an’ ganzn Tippl auf!«
Der Stumpfl nahm wieder einen Schluck und sagte: »Oha!«
»Was oha!« grollte sie auf. »Glaubt der Bauer vielleicht, daß i lüeg?«
Und hielt schon die Hand für einen Klaps in Bereitschaft, wenn der Stumpfl bei Besichtigung des Schienbeintippels sie nebenbei etwa ein bißchen in die Wade kneifen wollte. Einem derben, vom Weine erhitzten Bauer war das doch hoffentlich zuzutrauen. Aber der Stumpfl sagte nur:
»Gipflmarie! I glaub’s, wenn du’s sagst!«
Es ging der Gipflin nicht in den Kopf, wie ein Bauer in den besten Jahren nur so tappig und fischblütig sein könne.
»Vielleicht ist er ein Dunkler«, dachte sie sich, »und scheniert ihn nur ’s Licht; es gibt schon solchene Spezi!«
Dann sagte sie laut:
»Der Bauer blinzelt all weil, als täten ihm die Augen weh; vertragt der Bauer vielleicht ’s Licht nit?«
Der Stumpfl dachte sich: »In der Finster kann i leichter abfahren«, und so sagte er unter vielsagendem Augenblinzeln: »Wär freilich gut, wenn ’s Licht aus wär!«
Da löschte die Gipflmarie mit einem gewaltigen Blaser, der ihren Mund zu einem regulären Dreieck verschob, das Licht aus.
Der Stumpfl erhob sich mit einem heftigen Ruck von der Bank; er wollte die Tür gewinnen. Aber die Gipflmarie bezog es auf sich.
»Aha«, dachte sie: »Im Finstern wird er lebendig, so ein Schlankl!« Sie dachte nichts anderes, als daß er sie nun anfassen werde.
Der Bauer stand aber schon bei der Tür und gähnte breit auf: »Sowie ’s finster ist, werd i schläfrig! Gute Nacht, Gipflmarie!«
Am nächsten Morgen fuhr die Gipflmarie wie der Satan in der Küche um. Sie schepperte mit dem Geschirr hin und her und warf wild ihre Augen herum. Als sich der Stumpfl teilnahmsvoll nach ihrem Schienbeintippl erkundigte, schnitt sie ein Gesicht, als hätte sie dem Herrgott am Kreuz den Essig und die Galle weggetrunken; dann kündete sie den Dienst auf. Und beorderte den Kühbue, er möge ihre Sachen sofort zum Traubenwirt hinunterradeln.
Gerade als der Kühbue den blaugeblümelten Koffer der Gipflmarie zum Tor hinausradelte, fuhr der Koffer der Neuen auf einem Handwägelchen ein. In der Einfahrt stießen die beiden Gefährte wie zwei böse Widder aufeinander, und der blaugeblümelte Koffer der Gipflmarie kam zu Schaden. Er fiel vom Radlbock, das Schloß sprang auf und die Sachen fielen heraus.
Die Wäschestücke waren alle zerschlissen und zerrissen und grau wie der Boden, auf dem sie lagen. Nun gingen dem Stumpfl erst die richtigen Lichter auf über die wirtschaftliche Tüchtigkeit der Gipflmarie. Er machte ihr ein großes Kreuz nach und sagte: »Gutn Ausstand, Gipflmarie!«
Die Gipflmarie schlug in der Toreinfahrt ein Lamento auf: »Mir geht alls gfehlt; jetzt ist mein Koffer auch noch hin!«
Da sagte die Neueinstehende, die hinter ihrem Gepäck herging: »Kannst den meinen habn, i brauch ihn nimmer!« Dann trat sie in das Haus und stellte sich dem Bauer vor:
»I wär die neue Häuserin und heiß Spitzjuli!«
»Spitzig gnug schaust aus«, dachte sich der Stumpfl und ließ seine schlauen Mausäuglein mißtrauisch forschend an ihrer knochigen Gestalt auf und nieder gleiten.
Die Spitzjuli war eine ziemlich gesetzte Person, eine, von denen man sagt, sie hätten die Überfuhr versäumt. Außerdem ähnelte sie mit ihrem langen Kinn auch der Stumpflgrete, Gott habe sie von Herzen selig. Sie gefiel ihm gar nicht, die Neue.
Die merkte das wohl, zuckte die Achseln und sagte gleich: »Na ja! Wie der Bauer halt meint!«
Darauf sagte das Bäuerlein zögernd: »Probieren wir’s halt! Man ist ja gleich wieder auseinand!«
Auf das hin kniff sie nur ihre schmalen Lippen fest aufeinander. Dann gab sie sich einen energischen Ruck und fragte mit hartem Tonfall:
»Stumpflbauer, kann i gleich auspackn?«
»Auspackn kannst schon!« Dabei dachte er sich: »Aber i mein halt, du packst bald wieder ein!« Und er zeigte ihr die Dienstbotenkammer.
Sie schaute nicht rechts noch links, ging in die Kammer und packte ihre Sachen aus. Als der Koffer leer war, sagte der Stumpfl:
»Das Köfferle tun wir derweil da in die Werkzeugkammer neben der Haustür; da hat man’s gleich bei der Hand!«
Die neue Wirtschafterin aber meinte:
»Der einen da unten ist der ihre zerbrochn, i gib ihr den meinen!« »Meinst nit, du könntest dein Köfferle selber noch einmal brauchn?« forschte grausam lächelnd der Stumpfl.
Die Neue schnitt kurz ab:
»I brauch mein Köfferle nimmer!«
Abends, als die Spitzjuli am Herde das Geschirr wusch, kam der Stumpfl herein, nahm das irdene Krügl von der Wandstelle und holte sich ein Tröpfl Wein. Dann kauerte er sich in seinen dämmerigen Lauerwinkel und durchforschte das feuerbeschienene knochige Antlitz der Spitzjuli mit dem straff nach hinten gekämmten Haar. In diesem harten Gesicht zuckte keine Faser. Sie tat wie eine Maschine ihre Arbeit und sah dann und wann den Bauer von der Seite beinahe feindselig an. So daß der Stumpfl endlich bescheiden fragte:
»Schenier i dich, Spitzjuli?«
Sie wehrte schroff ab: »Bauer, i tu mein Arbeit und laß mi auf weiter nix ein!« Dann trocknete sie sich die Hände ab, hing die Küchenschürze an den Nagel und pflanzte sich vor dem Stumpf! auf. Sie schaute ihn mit ihren kalten, katzengrauen Augen so durchdringend stechend an, daß sich der Stumpfl unwillkürlich die Joppe zuknöpfte. »Auf dem Stumpflhof wird überhaupt ein bißl viel gwechselt?«
»Ja, wird viel gwechselt!«
»Wie kommt dös?«
»Es ist, wie’s ist!«
»Hat a Häuserin auf dem Stumpflhof am End nit ihr jungferliche Ruh?«
»Wohl, die hat sie«, versicherte der Stumpfl lebhaft. »Allemal! Durch die Bank!«
Die Spitzjuli kniff ihre dünnen Lippen zusammen, so fest sie konnte, und sagte:
»Das hab i nur wissen wollen!«
Dann sagte sie gute Nacht und ging schlafen.
Einmal traf sie der Stumpfl am Nachmittag in der Stube am Fenster. Sie saß vor einem Haufen ausgebauschter Leinwand und nähte eifrig drauflos. Er trat auf sie zu und besah ein Weilchen ihre Arbeit. Sie nähte emsig weiter und hob kein Auge.
»Tust dir da neue Hemeder nähn, Spitzjuli?«
»Ja, das tu i!«
»Und da siech i Tischtücher!«
»Kann schon sein!«.
»Und da siech i gar Leintücher!«
»Gar Leintücher, ja!«
Das Stumpflbäuerlein räusperte sich, als stecke ihm ein Kapuziner im Halse:
»Sag mir einmal, Spitzjuli; du flickst dir ja da a ganze Heiratsausstattung zsamm? Hast im Sinn, zu heiratn?«
»Warum denn nit, wenn einer in Ehrn kommt?«
Der Stumpfl dachte sich:
»Sapperment, dös müßt a Freud sein, um so eine überspielte Orgl anhalten!« Dann forschte er weiter:
»Wenn aber keiner kommt?«
Die Spitzjuli gab ihm, ohne von ihrem Linnen aufzusehen, die bestimmte Versicherung:
»Es kommt schon einer!«
»Und wie bringst dann deine Ausstattung weck? Hast ja dei Köfferle hergebn!«
Die Spitzjuli drückte ihre dünnen Lippen fest aufeinander und sagte achselzuckend:
»Brauch kein Köfferle!« Der Stumpfl versuchte noch ein Weilchen mit ihr so hin und her zu köfferln, wieso und warum, aber die Spitzjuli gab keine Antwort mehr. Als der Stumpfl kopfschüttelnd aus der Stube schlich, machte sie ihm zwei Augen nach, so groß wie Butzenscheiben, und lächelte wahrhaft teuflisch in sich hinein:
»So ein Bäuerl nit kriegn; zum Lachn!«
Der Stumpfl sinnulierte hin und her und kam nicht ins reine. Das unheimliche Weibsbild mußte ihm aus dem Haus, das stand fest.
Zu Michäli wollte er sie liefern. Um diese Zeit herum pflegte der Stumpfl immer die Küchenwirtschaft zu revidieren. Da verlangte er zum hellen Entsetzen seiner jeweiligen Häuserin plötzlich die Schlüssel zum Schmalzkasten, zum Erdäpfelkeller und zur Speckkammer. Das Ergebnis der Revision war jedesmal ein gewaltiger Krach, der das sofortige Ausscheiden der Häuserin zur Folge hatte. So gedachte er auch diese dürre Heugeige um Michäli mit besonderer Freude vor die Tür zu setzen.
»Juli! Sei so gut, die Schlüssel!« Und er schielte verstohlen nach ihr, was für ein Gesicht sie nun schneiden würde. Aber die Spitzjuli zuckte mit keiner Wimper. Sie nestelte seelenruhig den Schlüsselbund von ihrer mageren Hüfte und sagte mit der gleichmütigsten Miene von der Welt:
»Da sein sie!«
Der Stumpfl setzte sich mit dem Schlüsselbund in Bewegung, die Spitzjuli ging neben ihm her und fürchtete sich nicht. Vorerst ging das Bäuerlein der Speckkammer zu, er wollte gleich den Stier bei den Hörnern packen. Denn beim Speck fehlte es immer am gröbsten. Da gab es auf den Rauchstangen Lücken wie in Teufels Großmutters Zähnen.
Die Wirtschafterinnen hatten aber immer gute Ausreden bereit, wie: »Er rinnt ab!« oder »Ja, mein Gott, die Mäus!«
Der Stumpfl drehte den Schlüssel um, trat ein und sah in die Höhe. Er traute seinen Augen nicht. Da hingen lückenlos die schönsten Speckseiten nebeneinander, und was für Trümmer. Der Stumpfl stieg die kleine, rauchgeschwärzte Leiter hinauf (die Spitzjuli hielt sie ihm) und betastete jedes Stück von allen Seiten. Er stieß in jedes sein Messer ein; es war kein Betrug, alles leibhaftiger, wirklicher Speck.
Als er die Leiter herabstieg, verschlug es ihm die Rede, aber er fiel noch nicht um.
»Beim Speck spart sie«, dachte er sich; »dafür wird sie mir ’s Schmalz aufbraucht habn! Euch kennt man schon!«
Er ging kühl gemessen weiter zum Schmalzkasten, drehte den Schlüssel um und riß die Tür auf. Da bot sich ihm die zweite Überraschung. Stramm in Reih und Glied, wie preußische Grenadiere, standen die Schmalzhäfen da.
»Ja, wenn sie nit laar sein«, beargwöhnte der Stumpfl. »Mich schmiert man nit an!«
Er hob von jedem Topf den Deckel; sie waren alle mit goldgelbem Schmalz bis an den Rand gefüllt.
In seinem Argwohn stach der Stumpfl mit einem Holzstäbchen noch tief in jeden Hafen bis zum Grund.
»Durch und durch Schmalz!«
Er sagte noch immer kein Wort zur Juli, als er die Tür wieder verschloß. Aber er ließ ihr ehrerbietig den Vortritt. Jetzt noch hinunter in den Erdäpfelkeller. Es traten dem Stumpfl die Augen heraus, wie er den mächtigen Kartoffelberg vor sich liegen sah. Er wühlte wie besessen in dem Haufen herum, ob nicht etwa die Halbscheid Steine mit eingelagert wäre. Aber es waren alles gute, knollige Kartoffeln und auch nicht eine faule darunter.
Es läßt sich nicht beschreiben, mit welchen Augen der Stumpfl nun seine Spitzjuli anschaute.
»Weibets, kannst du hexn? Wie kommt denn jetz dös?«
Da ereiferte sich die Spitzjuli heftig:
»Wie dös kommt? Weil die Laster alle nur ihre Heiratsflausen im Kopf habn und die Wirtschaft verschlampn lassn! So kommt’s!« Dann nestelte sie den Schlüsselbund wieder an ihre magere Hüfte und ging, ohne sich weiter um den Bauer zu kümmern, der Wirtschaft nach.
Des andern Tags nach dem Mittagessen vertauschte sie ihre blaue Küchenschürze mit einer besseren weißen und sagte zum Bauer:
»I geh nur auf a halbes Stündl ins Dorf um Garnspulen; will im Winter spinnen, man erspart viel!« Der Stumpfl sah ihr so lange durch den Fensterausguck nach, bis der Waldweg ihre knochige Gestalt aufgeschluckt hatte. Er sah schon alle Kästen voll Leinwand und Tuchkugeln und schwur sich, diese Wirtschaftsmaschine nicht mehr von seinem Hofe zu lassen. Die Juli war ihm lieber als ein altes Hufeisen, das ja auch Glück bringen soll.
Gegen Abend kehrte sie wieder heim. Sie tat tiefgekränkt und warf, ohne ein Wort zu sagen, das Spulenbündel auf den Tisch.
Als der bestürzte Stumpfl fragte, was es mit ihr habe, begann es sie zu stoßen; sie nahm die Schürze vor das Gesicht und lief laut aufheulend aus der Stube. Der Stumpfl hielt nach seiner Häuserin Umschau. Er fand sie in ihrer Kammer. Der Kleiderkasten stand weit auf, die Schubladen waren ausgezogen. Die Spitzjuli kniete auf dem Boden und packte ihre Sachen. Da erschrak der Stumpfl bis ins Mark und wollte wissen, wie und was. Aber sie gab auf keine Frage eine richtige Antwort, mullte nur und bockte und packte ihre Habseligkeiten in ein großes Bettlaken, das sie vor sich auf dem Boden ausgebreitet hatte. Denn sie besaß ja kein Köfferle mehr. In gleichmäßiger Zeitfolge schluchzte sie immer nur die Worte heraus:
»I bin keine solchene!« Und wenn der Bauer fragte: »Ja, was für a welchene?« und begütigend nach ihrer Hand greifen wollte, stieß sie ihn jedesmal ab, wie ein lästiges Geziefer, und fuhr ihn an:
»Weil i mir das nit nachsagn laß!« Mehr war aus ihr nicht herauszuquetschen.
So konnte der Bauer nichts weiter tun, als dastehen wie der gefrorene Jörgl im Märchen, der den mühsam gehobenen Schatz vor seinen Augen versinken sieht, weil er den Zauberspruch nicht kennt, um ihn zu halten. Als die Spitzjuli alle ihre Habseligkeiten zusammengeworfen hatte, faßte sie zweimal je zwei Zipfel des Leintuchs, zog sie mit energischen Griffen zu Knoten, und der Pack lag wanderfertig vor ihr auf dem Boden. Nun schrie sie es unter einem Tränenschwall hervor:
»Die Leut im Dorf sagn, wir zwei hätten’s miteinand!«
Sie streckte wie abwehrend die Hände mit weitgespreizten Fingern gegen den Stumpfl und sah ihn an, als wollte sie ihn mit den Augen spießen. Dann vergrub sie ihr Gesicht tief in die Füllung der Schranktür, so daß ihr sittenstrenger Haarknoten mit dem Pfeil hinten aufstand wie ein Entenbürzel. Nun überkam den Stumpfl jene große Angst, die in den Traumbücheln mit der Nummer 90 bewertet ist; er stand am Scheideweg. Vor seinem geistigen Auge bimmelten herrliche Speckseiten auf endlosen Rauchstangen, volle Schmalztöpfe marschierten in Doppelreihen auf, ein Kartoffelhaufen türmte sich haushoch empor. Und diese Mehrerin seines Reiches sollte ihm nun auf immer verloren sein. All das hätte er am Ende noch verwinden können. Aber der Gedanke, daß diese Arbeitsmaschine sich nun bald auf einem andern Bauernhöfl in Gang setzen würde, ging über Stumpfls Kraft. So sagte er schüchtern: »Juli! Jetz wär einer da, in allen Ehrn!«
Da drehte sich die Juli mit einem kräftigen Ruck herum, lugte mit einem Aug hinter dem vorgehaltenen Zipfel der Schürze hervor und sagte rasch:
»Wo?«
Sie spekulierte mit dem einen grauen Katzenauge die ganze Kammer ab, sah sogar zur Decke hinauf, nur nicht auf den Stumpfl. Bis der mit seinem krummen Arbeitsfinger auf seine Wenigkeit zeigte und mit der andern Hand ein ungefüges Kreuzzeichen machte, was die priester liche Einsegnung versinnbildlichen sollte. So hielt der Stumpflbauer um die überspielte Orgel an. Da ließ die Juli auch vom andern Auge den Schürzenzipfel fallen und tat unsäglich erstaunt:
»Na, so was! Da hätt i mir jetz eher den Tod einbildet!«
Dann machte sie ein ernstes Gesicht und sagte strenge:
»Stumpflbauer, so a Sach kann man nit übers Knie abbrechen; das will guet überlegt sein!«
Das Bäuerlein verbrachte eine unruhige Nacht der Erwartung. Aber bis zum nächsten Tag hatte es sich die Spitzjuli doch zum Günstigen beschlafen und sagte mürrisch genug:
»In Gottsnamen!« Und packte ihre Ausstattung wieder aus dem Leintuch in den Kasten.
Sie brauchte kein Köfferle mehr.
Als die Hochzeit vorüber war, legte die Juli dem Bauer ihre knochige Hand auf die Schulter und sagte bloß: »Thomas, jetz habn mer’s!« Als sie noch Spitzjuli gewesen war, hatte sie im Dienste so viele Monate lang ihre inwendige Wut, an der manche Weibetser immerfort leiden, zurückdrängen müssen; jetzt, als verehelichte Stumpfl, brauchte sie ihrer Natur nicht mehr länger Zwang anzutun.
Das Bäuerlein tröstete sich:
»Kannst nix machen! Angschmiert ist man mit die Weiber allemal, sowie man nur an einer anstreift! Aber sie bringt mein Hof in die Höh!« Schmalz, Speckseiten, Erdäpfel, und heuer kamen noch die Tuchkugeln dazu. Denn was wird die Juli über die langen Winterabende an Garn gesponnen und dem Weber abgeliefert haben!
Da kam so um Michäli herum der Weitenbrunner Bote gefahren und hielt vor dem Stumpflhof.
»Schöne Speckseitn, Schmalz, Erdäpfel hätt i«, sagte er zum Bauern, der vor der Tür auf der Hausbank saß.
»Brauch nix, hab selber zum verkaufn!«
»Oha! Dei Häuserin hat mir aber vorigs Jahr haufenweis abkauft«, murrte der Bote und fuhr kopfschüttelnd weiter.
Der Stumpfl stand mit offenem Munde da; ihm ahnte was. Er hätte gern auf der Stelle seinem Weib den Schlüsselbund abverlangt, aber er überlegte sich’s; denn morgen war Sonntag, und da will man doch mit heilem Gesicht zur Kirche kommen.
Da wollte er lieber warten, bis sie einmal schlief. Und die Gelegenheit ergab sich bald.
Die Stumpflbäurin schlief jetzt oft bis in den hellen Morgen, und jedermann im Hause hütete sich, sie zu wecken.
Das Bäuerlein drehte mit zittrigen Händen den Schlüssel zur Speckkammer um und sah nach oben. Aber sosehr er auch seine Äuglein zusammenkniff und das ganze Kämmerlein abspekulierte, nicht ein einziges Speckseitchen sah er baumeln. Es grinsten ihn nur die nackten Rauchstangen an.
Dem Stumpfl schwamm es vor den Augen. Er lief zum Schmalzkasten und riß die Töpfe heraus. Sie waren alle bodenleer. Nur einer war mit alten, zerrissenen Weiberstrümpfen so vollgestopft, daß es den Deckel hob.
Das Bäuerlein taumelte dem Keller zu. An der Stelle, wo sich dereinst ein Kartoffelberg getürmt, hatte eben eine Ratte ein ganz bescheidentliches Häufchen abgesetzt. In einer finsteren Ecke lag das Bündel Garnspulen, wie es die Juli gebracht hatte, so daß auch von Tuchkugeln nicht weiter die Rede sein konnte. Lange stand der Stumpfl nur so knieschnappend da. Dann sagte er mit wahrhaft ergreifendem Ausdruck vor sich hin:
»Jetz bin i drin!«