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„Philosophen raus!“

MARCUS PORCIUS CATO, „GLOBALISIERUNGSGEGNER“

M. Porcius Cato (234 bis 149 v. Chr.) war ein einflussreicher, eigenwilliger Politiker. Er ging keinem Streit aus dem Weg. Als Censor des Jahres 184 v. Chr. fiel er durch eine ungewöhnliche Strenge auf, mit der er Fehlverhalten seiner senatorischen Kollegen ahndete. Er selbst war ein homo novus aus der Provinz, dessen Familie vor ihm noch keinen hohen Beamten gestellt hatte. In seinem (verlorenen) Geschichtswerk Origines („Ursprünge“) betonte Cato den Beitrag anderer italischer Städte zum Aufstieg Roms. Bekannt ist sein kompromissloses Eintreten für die endgültige Zerstörung Karthagos. Mentalitätsgeschichtlich ist Cato eine Gestalt des Übergangs. Er versteht sich als römischen Traditionalisten, der den mos maiorum, die „Sitte der Väter“, als ethische Norm vor allem für die Führungsschicht hochhält, ohne sich gänzlich gegenüber den neuen Einflüssen aus dem hellenistischen Raum abzuschotten.

Vielen Dank, dass Sie uns noch zur Gastmahl-Zeit empfangen, Marcus Porcius. Wie war Ihr Tag?

Sie finden mich in aller Regel zu dieser Zeit zu Hause; insofern inkommodieren Sie mich nicht. Ich besuche Gastmähler nur sehr selten. Erst recht die, bei denen sich die Tische vor sogenannten Leckerbissen aus aller Welt biegen und Musikanten und Tänzerinnen zur Unterhaltung der Gäste auftreten.

Was missfällt Ihnen daran?

Das ist neuartige griechische Lebensart, Raffinesse, Luxus. Die Jünger dieser Mode nennen das „Stil“ und „Genuss“. Ich nenne es unrömische Völlerei und Sittenlosigkeit.

Wir kennen und respektieren Sie als Vertreter alter Römerart. Aber wäre das noch zeitgemäß, wenn alle nach kerniger Sabinerart lebten und sich nichts gönnen würden?

Damit ist Rom groß geworden. Wir müssen aufpassen, dass uns nicht eine Verweichlichungswelle überspült, die alles, was wir uns in Jahrhunderten mit Zähigkeit und Bereitschaft zum Verzicht aufgebaut haben, binnen weniger Jahrzehnte zunichtemacht. Diese neue Leichtigkeit des Seins, die sich immer mehr Römer der Führungsschicht von den Griechen abschauen, kann schnell zu einem bösen Erwachen führen.

Direkt gefragt: Sind Sie asketisch und lustfeindlich?

Unfug. Ich gönne jedem, dass er sich des Lebens freut. Dass er an Feiertagen seine Trinkfestigkeit erprobt. Dass er die Freuden der Venus genießt – noch neulich habe ich einem jungen Mann hier aus dem Viertel meine besten Wünsche zugerufen, ganz unironisch, als ich ihn im Bordell verschwinden sah. Aber das alles muss man doch nicht zu einem kontinuierlichen Lebensstil ausbauen oder zu einer Art Lebensphilosophie aufwerten! Und schon gar nicht als raffinierten Luxus inszenieren. Irgendwie ist das doch sogar peinlich, sich so zum Sklaven griechischer Lebensart zu machen.

Nun sind wir schon sehr ins Grundsätzliche abgeglitten – unserer unvorsichtigen Eingangsbemerkung zur convivium-Zeit sei Dank. Eigentlich wollten wir Sie doch nach diesem konkreten Tag fragen. Wie ist er bisher verlaufen?

Ich kann nicht klagen. Ohne in Triumphgeschrei auszubrechen – das wäre höchst unpassend –, räume ich ein, dass ich mit dem politischen Ertrag dieses Tages sehr zufrieden bin. Es war schon ein großer Sieg, den die römische Sache über die unkritischen Griechenfreunde davongetragen hat.

Das klingt reichlich geheimnisvoll, aber auch spannend. Verraten Sie uns, was konkret passiert ist?

Ich weiß nicht recht, ob der Senatsbeschluss schon öffentlich bekannt gegeben ist. Die Sitzung ist ja vorhin erst zu Ende gegangen. Und ich will da nicht vorpreschen.

So kennen wir Sie ja gar nicht! Aber wir geben das, was Sie uns sagen, erst weiter, wenn die offizielle Bestätigung vorliegt. Versprochen!

Na gut. Also: Wir haben heute beschlossen, diese merkwürdige Philosophengesandtschaft rasch in ihre Heimat zurückzuschicken. Die griechische Jugend soll diese intellektuelle Speerspitze ihrer Nation nicht länger entbehren müssen als unbedingt nötig.

Das hört sich eher nach einem diplomatisch verbrämten Rausschmiss an. Und Sie waren vermutlich stark daran beteiligt.

Ich habe den Antrag gestellt, der dann eine Mehrheit erhalten hat. Der Senat ist mir erfreulicherweise gefolgt. Wie gesagt: Warum sollten die Hellenen auf diese geistige Zierde ihrer Nation länger verzichten müssen? In Rom ist alles gesagt.

Dann darf man Ihnen gratulieren, dass Sie diese Gesandtschaft losgeworden sind, ohne dass sie in Ihrem Sinne größeren Schaden hat anrichten können?

Sie können mir dazu gratulieren, dass wir den Schaden durch ein zügiges Ade! einigermaßen haben eingrenzen können. Aber diese Eierköpfe haben schon beträchtliches Unheil angerichtet.

Inwiefern?

Weil dieser arrogante Karneades das römische Publikum – darunter auch viele junge Leute – komplett verwirrt hat. An einem Tag hat er dargelegt, dass eine staatliche Herrschaft auf Gerechtigkeit gegründet sein müsse.

Und am nächsten Tag, lassen Sie uns spekulieren, das genaue Gegenteil „bewiesen“?

Genau so. Und das war natürlich ein nur notdürftig verdeckter Affront gegen uns Römer, gegen unsere Herrschaft. So führt man sich als Gast nicht auf! Die Leute wussten nicht mehr recht, was sie denken sollten. Da muss man sich über „Philosophenraus!“-Rufe nicht wundern!

Waren Sie persönlich anwesend?

Das ist ohne Bedeutung. Jedenfalls wurde nachher sehr glaubhaft dargelegt, dass Karneades mit seinen scheinbar logischen Provokationen viele Römer total verunsichert hat. Die haben sich von dem blenden lassen, was als seine „rhetorische Brillanz“ gerühmt wurde.

Geschickte Rhetorik zielt darauf ab, die Zuhörer auf ihre Seite zu ziehen. Das ist ja nichts Verwerfliches. Und Sie selbst verstehen sich vorzüglich darauf – und publizieren Ihre Reden als erster Römer überhaupt. Sind Sie da griechisch „infiziert“?

Es geht hier nicht um mich, es geht um die tendenziell zersetzenden Reden, die dieser Wirrkopf geschwungen hat. Das ist eine ganz üble Form von Kulturimperialismus, die unter dem Deckmantel einer parrhesía, „Redefreiheit“, agiert, auf die die Griechlein mächtig stolz sind.

Die aber in Rom nicht so gern gesehen oder vielmehr gehört wird?

Ach, wissen Sie, es ist doch so: Entweder Sie halten die römische Herrschaft für gerecht, und dann sagen Sie das so. Oder Sie halten sie für ungerecht, dann können Sie das meinetwegen auch so sagen. Was aber nicht in Ordnung ist, das ist dieser Relativismus nach dem Motto „Beweisen lässt sich alles“. Diese Art intellektueller Spielerei ist unrömisch. Das hilft niemandem – und verunsichert vor allem unsere Jugend.

Sie fürchten, dass junge Leute sich von derartigem – aus Ihrer Sicht – „Wortgeklingel“ verführen lassen könnten. Und vielleicht andere „Wahrheiten“ in Frage stellen könnten?

Ich fürchte, dass manch einer sich mit dem griechischen „Alles muss auf den Prüfstand“-Virus infiziert. Das wäre sehr bedauerlich. Man sieht ja, wohin die Griechen damit gekommen sind.

Wohin denn?

In die politisch-militärische Abhängigkeit von anderen Nationen, jetzt von uns.

Aber geistig befruchten sie doch alle ihre Nachbarn – und nicht nur die. Sondern auch die Römer.

Gewiss, man kann einiges von ihnen lernen. Sie haben eine großartige Literatur, sie verstehen sich auf viele Künste und Wissenschaften. Aber sie sind Theoretiker, keine Praktiker wie wir Römer. Sie reden klug, aber sie versagen, wenn es ums Handeln geht. Ums Handeln und ums Kämpfen. Die ganze Intellektualität bringt zu wenig für den Staat, für den Zusammenhalt der Bürgerschaft. Nehmen Sie den hoch gerühmten Sokrates. Für mich war das ein Schwätzer und Aufrührer, der seine Mitbürger völlig verunsichert hat. Hätte er mal lieber seinen Geist in den Dienst seiner Vaterstadt Athen gestellt! Dann wäre ihm auch der Schierlingsbecher erspart geblieben.

Wir hören aber trotz dieser kritischen Worte heraus, dass Sie sich mit den Griechen, ihrer Literatur, ihrer Kultur und Geschichte durchaus befasst haben.

Ich weiß, dass ich in gewissen Kreisen als Reaktionär abgestempelt werde, als dumpfer, fremdenfeindlicher Ignorant, der die Griechen mit blindem, geradezu geistlosem Hass verfolgt. Der nicht mal der griechischen Sprache mächtig sei, sich aber über griechische Literatur ein Urteil erlaube. Das ist natürlich absolut dummes Zeug.

Das heißt: Sie können Griechisch?

Seit meinem 30. Lebensjahr. Und ich habe mehr griechische Werke im Original gelesen – vor allem historische Werke und Fachbücher über Landwirtschaft und Militärwesen – als so mancher, der in Hellas-Begeisterung geradezu zerfließt. Was mir auf den Geist geht, ist diese schwärmerische Graekomanie, diese modisch-sklavische Imitation des griechischen Lebensstils und der damit einhergehende meist unüberlegte Verrat an unserer römischen Tradition. Schrecklich, diese aufdringlichen Griechen-Imitatoren!

Um noch einmal deutlich nachzufragen: Auch Sie lesen griechische Literatur?

Selbstverständlich. Und wenn Sie mein Geschichtswerk Origines zur Hand nehmen sollten, dann müsste Ihnen eben das auffallen. Was ich schreibe und wie ich es schreibe, ist nicht unbeeinflusst von griechischen Historikern. Meinem Sohn habe ich, was griechische Literatur angeht, beigebracht: inspicere, non perdiscere, „hineinschauen, aber nicht nachbeten“. Eine gute Richtschnur, finde ich.

Klingt vernünftig, wenn uns das Urteil erlaubt ist.

Es ist vernünftig. Zum einen ist ja gar nicht zu bestreiten, dass uns die Griechen geistig eine Menge voraushaben. Auf der anderen Seite müssen wir uns aber gemäß unserer Mentalität und unseren Traditionen damit auseinandersetzen – und dürfen nicht alles gleich toll finden, nur weil es aus Hellas kommt.

Man kann also von den Griechen lernen, sagt Cato?

Man muss es sogar. Aber nicht unkritisch, nicht ohne Skepsis und auch gehöriges Misstrauen. Die Lust griechischer Intellektueller, alles in Frage zu stellen, auch das seit Jahrhunderten bewährte gute Alte, regt mich, ehrlich gesagt, auf. Noch mehr aber unsere Landsleute, die sich als Super-Griechen aufspielen und ohne Dolmetscher mit griechischen Offiziellen verkehren. Das ist doch auch taktisch unklug, die Distanz zu Repräsentanten eines von Rom unterworfenen Volkes aufzugeben. Aber ich denke, Sie verstehen, warum ich dieses Etikett „Griechenhasser“, das mir ständig angeheftet wird, für reichlich dämlich halte.

Sie sollen aber sehr, sehr dezidiert gegen griechische Ärzte Stellung bezogen haben.

Ich bin überzeugt, dass die traditionelle römische Hausvatermedizin der sogenannten wissenschaftlichen Griechenmedizin haushoch überlegen ist!

Sie meinen wirklich, der Hausvater sei der bessere Arzt?

Wenn er die Heilpflanzen kennt und die magischen Formeln beherrscht, unbedingt.

Das hört sich, verzeihen Sie, mehr nach Gesundbeterei und reichlich verstocktem Traditionalismus an.

Dann sind Sie diesen griechischen Quacksalbern offenbar auch schon auf den Leim gegangen. Geschickt sind sie ja darin, die Leute auf ihre Seite zu ziehen.

Heilerfolge sind keine Taktik.

Wenn es denn solche gibt. Das Geschickte ist, dass sie für ihre Scharlatanerie auch noch Geld nehmen. Das erhöht das Vertrauen in ihr Können und verkleistert ihre wahre Absicht.

Und die wäre?

Alle Barbaren mithilfe ihrer Medizin umzubringen. Besonders uns Römer – als Rache dafür, dass wir sie unterworfen haben.

Aber sie „unterwerfen“ uns doch schon, wenn man es so ausdrücken will und Ihnen zuhört, durch ihre überlegene Kultur. Oder beeinflussen zumindest viele Angehörige der höheren Stände und die Jugend ziemlich stark. Warum sollten ihre Ärzte uns da noch den physischen Garaus machen?

Das kann ich Ihnen auch nicht sagen. Vielleicht hat das etwas mit dem zu tun, was ihre Philosophen „Dialektik“ nennen.

Wie war Ihr Tag, Caesar?

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