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MACHT GELD GLÜCKLICH
Оглавление„Dann sehen die Leute wenigstens, dass Geld auch im Puff lagert …“
Glück und Geld gehören für viele Menschen ursächlich zusammen: Wenn ich reich bin, bin ich glücklich – so stellt es sich ja wohl nicht nur für Schlichtgemüter dar.
Fateor. (ep. 115, 17)
Zugegeben.
Aber?
Utinam qui divitias optaturi essent, cum divitibus deliberarent, utinam honores petituri cum ambitiosis et summum adeptis dignitatis statum! (ep. 115, 17)
Es wäre gut, wenn sich diejenigen, die sich Reichtum wünschen, vorher mit reichen Leuten darüber berieten, und es wäre ebenso gut, wenn sich diejenigen, die nach Ehrenstellen streben, von Ehrgeizigen und von Menschen, die höchste Würden erlangt haben, beraten ließen.
Warum? Sie machen es ja spannend …
Profecto vota mutassent, cum interim illi nova suscipiunt, cum priora damnaverint. Nemo enim est, cui felicitas sua, etiam si cursu venit, satis faciat. (ep. 115, 17)
Bestimmt würden sie ihre Wünsche ändern, während ihre Gesprächspartner schon neue Wünsche hegen, nachdem sie ihre früheren verworfen haben. Denn es gibt niemanden, dem sein Glück, auch wenn es im Sturmschritt zu ihm kommt, ausreicht.
Sie meinen: Der materielle Glücksbegriff ist dynamisch, und selbst derjenige, der eigentlich schon genug Geld zum „Glücklichsein“ im landläufigen Sinne zusammenhat, stellt immer höhere Ansprüche, ohne sein „Geld-Glück“ so richtig wahrzunehmen?
Neminem pecunia divitem fecit, immo contra nulli non maiorem sui cupidinem incussit. (ep. 119, 9)
Noch nie hat Geld irgendjemanden reich gemacht. Ganz im Gegenteil: Es gibt niemanden, dem es nicht eine noch größere Gier nach Geld eingeflößt hätte.
Trotzdem werden Sie fast nur Menschen finden, die sich nichts sehnlicher wünschen, als es jenen Zeitgenossen gleichzutun, deren Statussymbole sie als „glücklich“ ausweisen.
Excaecant populum et in se convertunt opes, si numerati multum ex aliqua domo effertur, si multum auri tecto quoque eius inlinitur, si familia aut corporibus electa aut spectabilis cultu est. Omnium istorum felicitas in publicum spectat. Ille, quem nos et populo et fortunae subduximus, beatus introrsum est. (ep. 119, 11)
Reichtum blendet die Leute und lenkt die Augen der Menschen auf sich, wenn viel Bargeld aus irgendeinem Hause getragen wird, wenn sogar das Dach mit viel Gold verziert wird, wenn die Bediensteten körperlich schön und prachtvoll gekleidet sind. Das Glück aller dieser Leute schaut nur als Fassade nach außen. Der, den wir dem Einfluss sowohl des Volkes als auch des Schicksals entzogen haben, ist wahrhaft glücklich – im Inneren.
Also gut: Geld macht nicht glücklich. Aber es beruhigt, sagt der Volksmund. Hat er recht?
Felicissimis opulentissimisque plurimum aestus subest minusque se inveniunt, quo in maiorem materiam inciderunt, qua in fluctuarentur. (ben. V 12, 6)
Die Reichsten, die als besonders glücklich gelten, haben das höchste Maß an Unruhe in sich. Sie finden sich selbst umso weniger, je größer der „Stoff“ ist, an den sie geraten sind. In ihm treiben sie förmlich hin und her.
Je mehr Geld, umso weniger innere Ruhe, meinen Sie?
Omnia ista bona, quae nos speciosa, sed fallaci voluptate delectant, cum labore possidentur, cum invidia conspiciuntur, eos denique ipsos, quos exornant, et premunt. Plus minantur quam prosunt. Lubrica et incerta sunt, numquam bene tenentur – nam, ut nihil de tempore futuro timeatur, ipsa tamen magnae felicitatis tutela sollicita est. (cons. Polyb. 9, 5)
Alle diese sogenannten Güter, die uns mit gleißendem, aber trügerischem Genuss erfreuen, besitzt man unter Mühen. Ihr Anblick erregt Neid, kurz, sie bedrücken gerade die, denen sie als prächtiges Aushängeschild dienen. Sie stellen mehr Bedrohung als Nutzen dar. Sie sind schlüpfrig und unzuverlässig. Niemals besitzt man sie so richtig – denn braucht man sich auch keine Sorgen um die Zukunft zu machen, bereitet gleichwohl der Schutz so großen materiellen Glücks erhebliche Unruhe.
Geld ist demnach nur ein Schein-Gut: Es macht weder glücklich, noch beruhigt es. Richtig?
Non sunt divitiae bonum; itaque habeat illas et Elius leno, ut homines pecuniam videant et in fornice. Nullo modo magis potest deus concupita traducere, quam si illa ad turpissimos defert, ab optimis abigit. (prov. 5, 2)
Reichtum ist kein Gut. Deshalb soll ihn auch der Zuhälter Elius ruhig besitzen. Dann sehen die Leute wenigstens, dass Geld auch im Puff lagert. Auf keine andere Weise kann Gott das, was alle begehren, stärker in Verruf bringen, als wenn er es den größten Halunken gibt und von den Besten verjagt.
Es dürfte nicht so leicht sein, dieser Ansicht in einer Hast-du-was-dann-bist-du-was-Gesellschaft Gehör zu verschaffen.
Admirationem nobis parentes auri argentique fecerunt et teneris infusa cupiditas altius sedit crevitque nobiscum. Deinde totus populus in alia discors in hoc convenit: hoc suspiciunt, hoc suis optant. Denique eo mores redacti sunt, ut paupertas maledicto probroque sit, contempta divitibus, invisa pauperibus. (ep. 115, 11)
Unsere Eltern haben uns die Bewunderung für Gold und Silber beigebracht, und eine Begehrlichkeit, die jungen Menschen eingeflößt worden ist, sitzt ziemlich tief und ist mit uns gewachsen. Ferner stimmt das ganze Volk, so uneinig es in anderen Fragen ist, darin überein: Dazu blicken sie auf, das wünschen sie ihren Lieben. Schließlich sind die Sitten so weit verkommen, dass Armut als Schimpfwort und Vorwurf gilt, von den Reichen verachtet, bei den Armen verhasst.
Mit dieser Sozialisationstheorie und gesellschaftlichen Einschätzung dürften Sie, fürchten wir, richtig liegen. Es hat also wenig Sinn, das Geld zu verteufeln. Aber das ist auch nicht Ihre Intention, scheint uns?
Quis negat etiam haec, quae indifferentia vocamus, habere aliquid in se pretii et alia aliis esse potiora? Ne erres itaque, inter potiora divitiae sunt. (vita beata 22, 4)
Wer bestreitet, dass nicht auch die Dinge, die für uns Stoiker in Bezug auf das Glück des Menschen keinen Unterschied machen, einen bestimmten Wert haben und dass die einen wichtiger sind als die anderen? Damit deshalb kein Missverständnis bei dir aufkommt: Reichtum gehört zu den wichtigeren Dingen.
Warum?
Quid dubii est, quin haec maior materia sapienti viro sit animum explicandi suum in divitiis quam in paupertate, cum in divitiis et temperantia et liberalitas et diligentia et dispositio et magnificentia campum habeat patentem? (vita beata 22, 1)
Was kann daran zweifelhaft sein, dass dies eine bessere Basis für den Weisen ist, seine Seele im Reichtum als in der Armut zur Entfaltung kommen zu lassen, da ihm Reichtum ein weites Betätigungsfeld für Mäßigung, Freigebigkeit, Umsicht, vernünftigen Umgang mit Geld und Großzügigkeit bietet?
Als Exerzierfeld für Tugend geradezu? Interessanter Aspekt. Könnte man – mit den Einschränkungen, die Sie vorhin schon gemacht haben – Geld als eine Art Wohlfühlfaktor für den Weisen bezeichnen?
Sic illum afficiunt divitiae et exhilarant ut navigantem secundus et ferens ventus, ut dies bonus et in bruma ac frigore apricus locus. (vita beata 22, 3)
Reichtum verschafft ihm einen ähnlich heiteren Gemütszustand wie ein günstiger Fahrtwind dem zur See Fahrenden oder wie ein schöner Tag und ein sonniges Fleckchen bei Winterkälte und Frost.
Aber er darf sich auf keinen Fall von diesem Platz an der Geld-Sonne abhängig machen?
Divitiae apud sapientem virum in servitute sunt, apud stultum in imperio. (vita beata 26, 1)
Bei einem Weisen ist Reichtum in der Position des Sklaven, bei einem Dummen in der Position des Herrn.