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Einführung

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Stellen Sie sich vor, es gibt irgendwo eine kleine Tropeninsel, deren Bewohner noch heute so leben wie schon vor 60.000 Jahren. Als Jäger und Sammler und nur mit dem, was ihre winzige Insel als Lebensraum für sie bereithält. Und die niemals Kontakt zu anderen Kulturen unterhielten und daher ihre Lebensweise nie verändert haben.

Tatsächlich gibt es diese Insel und ihr Inselvolk. Sie heißt Nord Sentinel (eng. North Sentinel Island) und wir nennen ihre Bewohner die Sentinelesen. Wie sie sich selber nennen, das wissen wir nicht, denn ihre Sprache ist uns unbekannt. Nord Sentinel ist Teil der Inselgruppe der Andamanen und Nikobaren im Golf von Bengalen, und gehört zu Indien. Das sagen jedenfalls die Inder. Die Sentinelesen wissen nicht, dass es Indien überhaupt gibt.

Nord Sentinel hat mit 60 km² etwa die Größe der nordfriesischen Insel Föhr. Während auf Föhr jedoch ca. 8000 Menschen leben, wird die Bevölkerung von Nord Sentinel auf 50 bis 250 Einwohner geschätzt. In nur einem Tagesmarsch können die Sentinelesen ihre ganze Welt umrunden. Nord Sentinel ist komplett mit mächtigen Bäumen bewachsen, die sich bis zum Strand erstrecken. Um die Insel herum gibt es ein breites Korallenriff, das die oft mächtige Brandung zähmt und fremden Schiffen den Zugang erschwert.


Luftbild von Nord Sentinel. (Foto: Google Earth)

Während die Welt eine unglaubliche Entwicklung von der Steinzeit zur Bronzezeit, Eisenzeit, der Antike, dem Mittelalter, bis hin zur Neuzeit einschließlich dem Industrie- Atom- und Informationszeitalter vollführte, blieb auf Nord Sentinel die Zeit stehen. Über all die Jahrtausende schien sich niemand für die kleine Insel und ihre Bewohner besonders zu interessieren, und bis heute ist unser Wissen über diese aus der Zeit gefallene unerforschte Welt sehr gering. Erklären lässt sich das damit, dass die Sentinelesen ihre Insel nie verließen, um sich mit anderen Völkern auszutauschen und auch keine Fremden auf ihrer Insel duldeten. Ungebetene Gäste mussten bei einem Besuch bei den Sentinelesen mit der Todesstrafe rechnen, wenn sie es wagten sich der Insel zu nähern.

Eine erste Beschreibung der Insel erhalten wir von Maurice Vidal Portman, dem damaligen kommandierenden Britischen Offizier der Andamanen, der 1879 und 1880 als erster Europäer einen Erkundungsbesuch nach Nord Sentinel unternimmt. Er schreibt, die Insel bestehe hauptsächlich aus Kalkstein und Korallen, die mit ihren scharfen Kanten das Laufen erschweren: „Die Erde aber ist leicht und hervorragend zum Anbau von Kokospalmen geeignet, da sie sehr viel Regenwasser aufnimmt.“ (Kokospalmen sind auf Nord Sentinel unbekannt). „Der Dschungel ist an vielen Stellen offen und parkähnlich. Und es gibt wunderschöne Gehölzgruppen mit Bullet-Wood Bäumen.“ (lat. Mimusops elengi; Indischer Fruchtbaum). Seine Gruppe kam auch zu einem prächtigen Exemplar des Roten Seidenwollbaums (lat. Bombax malabaricum) mit über 8 Meter langen Brettwurzeln.


Beispiel eines Wollbaums mit Brettwurzeln von den Bahamas. (Foto:Public Domain)

Man vermutet, dass die Sentinelesen bereits vor 60.000 Jahren aus Afrika auf die Andamanen und somit nach Nord Sentinel gelangten, als die Inselgruppe noch über eine Landzunge mit dem burmesischen Festland verbunden war. Seitdem leben sie dort in völliger Isolation und auf dem technischen Stand der Jungsteinzeit als Jäger und Sammler. Zu ihrer Nahrung zählen neben Früchten und Wurzeln vor allem Wildschweine, Fische und Insekten, sowie wilder Honig. Als Jagdwaffen verwenden sie lange Holzspeere, sowie Pfeil und Bogen. Die Pfeilspitzen sind meist im Feuer gehärtet. Die Methode Federn ans Schaftende zu stecken, um die Reichweite und Treffsicherheit der Pfeile zu erhöhen, haben die Sentinelesen noch nicht erfunden. Es gibt aber auch keine Hinweise, dass die Sentinelesen Vögel jagen und somit die Federn nutzen könnten. Vermutlich sind Vögel für die Sentinelesen heilige Tiere, so wie es bei den benachbarten Onge, einem weiteren Urvolk der Andamanen, für einige Vogelarten auch der Fall ist. Oft werden die Pfeilspitzen auch mit scharfen Muscheln bestückt, oder mit Metall, das sie z.B. als Treibgut an Holzplanken finden. Die Bögen haben etwa eine Größe von 1,80 Meter, und sind somit so groß, wie die männlichen Sentinelesen selbst. Auch haben die Sentinelesen die Kunst des Feuermachens noch nicht entdeckt. Sie hüten das Feuer, das durch Blitzschlag verursacht wurde.

Obwohl die Sentinelesen in unmittelbarer Nachbarschaft zu anderen Stämmen auf den Andamanen leben, gibt es seit jeher keinen oder kaum Kontakt zwischen den einzelnen Gruppen. So hat sich die Sprache der verschiedenen Stämme auch unterschiedlich entwickelt, so dass keine Verständigung mehr möglich ist. Wir unterteilen die Ureinwohner der Andamanen in verschiedene Gruppen: Die Jangil, die Groß-Andamanesen, die Jarawa, die Onge und die Sentinelesen. All diese Völker haben ihre Wurzeln nach heutiger Erkenntnis direkt in Afrika. Südlich der Andamanen gibt es die Inselgruppe der Nikobaren, deren Einwohner jedoch von den Burmesischen Ureinwohnern abstammen. Aus diesem Grund beschränken wir unsere Beobachtungen auf die Völker der Andamanen.

Bis heute sind die Sentinelesen die einzige Gruppe der Andamanen, die noch nicht so viel Kontakt mit unserer Zivilisation hatte, dass es ihre natürliche Lebensweise nachhaltig verändert hat. Das heißt auch, dass wir kaum etwas über die Sentinelesen wissen. Wollen wir also ihre Lebensweise verstehen, so lohnt es sich einen Blick auf die anderen Urvölker der Andamanen und ihre Geschichte zu werfen. Diese lebten bis zum Eintreffen der britischen und indischen Siedler im 19. Jahrhundert noch ebenso naturverbunden wie die Sentinelesen.

Auch kann uns die umfassende Degeneration dieser Völker nach dem Kontakt mit unserer technisch höher entwickelten Zivilisation eine Warnung sein. Denn wie die Geschichte zeigt, bedeutet der Kontakt mit unserer zivilisierten Welt häufig den Untergang des Naturvolkes.


Sentinelesen am Strand von Nord Sentinel

Die Insel der Urmenschen

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