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Оглавление1 Historische Entwicklung der Schulsozialarbeit
Die Entwicklung der heutigen Schulsozialarbeit im deutschsprachigen Raum geht auf einen wenig bekannten Buchbeitrag von Maas zur amerikanischen „School Social Work“ aus dem Jahre 1966 zurück. Diesen Beitrag griff Abels 1971 in einem inzwischen vielfach zitierten Artikel zum Thema „Schulsozialarbeit – Ein Beitrag zum Ausgleich von Sozialisationsdefiziten“ auf. Seit Anfang der 1970er Jahre etablierte sich die Schulsozialarbeit in Deutschland – begrifflich und konzeptionell beeinflusst durch die amerikanische „School Social Work“ – als ein Arbeitsfeld an der Schnittstelle zwischen Jugendhilfe und Schule. In der Schweiz begannen erste Projekte der Schulsozialarbeit auch in den 1970er Jahren; ein systematischer Ausbau fand jedoch erst Ende der 1990er Jahre statt (Drilling 2009). Österreich hat ebenfalls bereits eine längere Tradition in der Schulsozialarbeit, seit dem Jahr 2010 gibt es gezielte Ausbaustrategien zur Schulsozialarbeit vom Bundesministerium für Unterricht Kunst und Kultur (u. a. mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds). In Liechtenstein wurde – mit der Zustimmung des Landtages von 2003 – im Jahr 2004 mit dem Aufbau von Schulsozialarbeit begonnen.
Bei genauerer Betrachtung lassen sich allerdings bereits lange vor den 1970er Jahren historische Vorläufer erkennen, die zumindest partielle Überschneidungen zur Schulsozialarbeit aufweisen (Grossmann 1987; Mörschner 1988; Aden-Grossmann 1995). Erwähnenswert sind insbesondere die Armen- und Industrieschulen (im 18. Jh.), die Schulkinderfürsorge (ab 1870), die Schulpflege (ab 1907), die reformpädagogischen Ansätze einer sozialpädagogischen Schule (in der Weimarer Republik) und die Hamburger Schülerhilfe (in den 1930er Jahren) (Iben 1967; Kersting 1985; Mühlum 1993). Kritiker teilen diese Kontinuitätsannahme allerdings nicht. Sie sind der Ansicht, dass sich Schule und Sozialpädagogik historisch getrennt entwickelt haben und das Schulwesen (z. B. in Deutschland) lange Zeit vorrangig für die höhere Bildung und nicht für die Erziehungsfürsorge zuständig war (Homfeldt et al. 1977; Raab/Rademacker 1982). Unstrittig ist, dass die Kooperation von Sozialpädagogik und Schule in vielen deutschsprachigen Ländern nach 1945 bis fast Anfang der 1970er Jahre – sieht man von einzelnen Tagungen und kritischen Reflexionen ab (Mehringer 1961 und Iben 1967) – kein relevantes Thema im Schul- und Jugendhilfebereich war. Letztlich existierte eine klare und von Schule und Jugendhilfe weitgehend unhinterfragte Aufgabenteilung (Kersting 1985): Die Schule war für die „normalen“, die Jugendhilfe kompensatorisch und nachgeordnet für die auffälligen Jugendlichen zuständig. Ergänzend gab es noch eine außerschulische Jugendarbeit.
Die Etablierung von einzelnen Projekten der Schulsozialarbeit in Deutschland in den 1970er Jahren begann mit einer intensiven sozialpädagogischen Diskussion über das Konzept von Schulsozialarbeit (Abels 1971 und 1972; Helbrecht-Jordan 1978; BAG JAW 1973; 1975a und b; 1976) sowie ersten Erfahrungsberichten aus Modellversuchen an Gesamtschulen, die auf Institutionalisierungs- und Kooperationsprobleme hinwiesen (Tillmann 1976a; Arbeitskreis Hessische Sozialarbeit 1978; BMBW 1978a und b). Nach einiger Zeit entstand außerdem ein konzeptioneller „Richtungsstreit“, bei dem sich VertreterInnen einer „sozialpädagogischen Schule“ (Homfeldt et al. 1977; Malinowski/Herriger 1979 und 1981; Herriger/Malinowski 1981) und VertreterInnen einer „Sozialarbeit in der Schule“ (Holthaus et al. 1980; Meusel/Ruback 1981) fast unversöhnlich gegenüberstanden. Darüber hinaus verfestigte sich eine vehemente sozialpädagogische Kritik an der bestehenden Schule und ihren Folgewirkungen für die SchülerInnen sowie z.T. an der stigmatisierenden Wirkung der Jugendhilfe (Tillmann 1987, 385ff.; Brusten/Holtappels 1985). Die rasche Etablierung von Schulsozialarbeitsprojekten erfolgte allerdings weniger auf der Basis fundierter Konzeptdiskussionen zwischen Schule und Jugendhilfe, sondern vor allem aufgrund eines akuten schulischen Problemdrucks: Als ausschlaggebend erwiesen sich die Bildungsreformdebatten Ende 1960er Jahre, der gestiegene Betreuungsaufwand im Freizeitbereich an Schulen sowie der wahrgenommene Zuwachs an Problemen und Verhaltensauffälligkeiten bei SchülerInnen. Die Bedeutung der zusätzlichen sozialpädagogischen Fachkräfte wurde also in erster Linie in ihrer Absicherungsfunktion des Schulbetriebes gesehen. Die spezifischen Ziele, Zugänge, Methoden und Kompetenzen der sozialpädagogischen Fachkräfte hingegen wurden vernachlässigt (Kentler 1972; Kath 1973). Vor diesem Hintergrund verwundert nicht, dass Hornstein bereits 1971 kritisierte, dass die Bildungsplanung ohne sozialpädagogische Bezüge und Perspektiven erfolgt (z. B. Strukturplan, Bildungsbericht der Bundesregierung).
Die 1980er Jahre bedeuteten für die Schulsozialarbeit in Deutschland auf der einen Seite eine klare Stagnation, da die Bildungsreform als gescheitert betrachtet wurde und in diesem Zuge Projekte der Schulsozialarbeit quantitativ reduziert wurden (Tillmann 1987). Auf der anderen Seite entwickelte sich eine vielfältige Fortbildungs-, Forschungs- und Publikationslandschaft zur Schulsozialarbeit. Erwähnenswert sind hier vor allem wissenschaftliche Begleitungen zu Einzelprojekten der Schulsozialarbeit (Tillmann 1982a; Staufer/Stickelmann 1984; DJI 1984b; Kersting 1985; Salustowicz 1986; Frommann et al. 1987) sowie vielfältige Untersuchungen, Tagungen, Materialien und Publikationen des Deutschen Jugendinstituts (DJI) mit Bestandsaufnahmen und Beiträgen zur fachlichen Weiterentwicklung der Schulsozialarbeit in Deutschland (Raab/Rademacker 1981 und 1982; Schneider et al. 1982; DJI 1984a, 1984b und 1985 und als Überblick Raab et al. 1987). Konzeptionell waren die 1980er Jahre durch eine Vielfalt an Trägerschaften und Ansätzen von schulbezogenen Angeboten der Jugendhilfe gekennzeichnet. Dies führte letztlich dazu, für alle Kooperationsformen von Jugendhilfe und Schule die Bezeichnung Schulsozialarbeit als Oberbegriff einzuführen.
In den 1990er Jahren kam es dann zu einem deutlichen Ausbau der Schulsozialarbeit und darauf bezogenen Forschungsaktivitäten in Deutschland und der Schweiz (Baier/Heeg 2011; Speck/Olk 2010a und b; Drilling 2009; Olk et al. 2000). Hierfür gab es im Wesentlichen zwei Gründe: Zum einen entwickelte sich auf der konzeptionellen Ebene ein verändertes Aufgabenverständnis und Problembewusstsein in der Jugendhilfe und Schule, das gegenseitige Öffnungen zwischen beiden Institutionen erleichterte. Aufseiten der Jugendhilfe waren eine Verringerung der Schulkritik und eine Öffnung für Schule spürbar. In dieser Richtung sind insbesondere hervorzuheben:
a das Fachkonzept einer offensiven und präventiven, „lebensweltorientierten Jugendhilfe“ (BMJFFG 1990, 122ff.; Thiersch 1997; Grunwald/Thiersch 2004),
b das sozialpädagogisch und auf eine Kooperation mit der Institution Schule ausgerichtete Kinder- und Jugendhilfegesetz (1990/1991) sowie
c die zunehmende Fachdiskussion und die vielfachen Plädoyers zur Kooperation von Jugendhilfe und Schule bzw. Schulsozialarbeit (Brenner/Nörber 1992; Aden-Grossmann 1995; Flösser et al. 1995; Hurrelmann 1996; Gilles 1996 und 1998).
Aufseiten der Schule erfolgte parallel dazu eine umfassende Schulentwicklungs-, Professionalisierungs- und Qualitätsdebatte, in der der Auftrag und die Aufgaben von Schule und LehrerInnen diskutiert wurden (Helsper et al. 1996; Terhart 1996a und 1996b; Wenzel 1998; die Beiträge in Grossenbacher et al. 1997; Horster 1998; Fend 1998). Die Diskussionen führten sukzessive zu einer stärkeren Öffnung von Schule gegenüber außerschulischen Partnern und damit auch der Sozialpädagogik. Erkennbar ist dies unter anderem
a an den sozialpädagogischen Themen in „Schulpublikationen“ (z. B. die Beiträge in Fatke/Valtin 1997; Deinet 1998a, 338 ff.),
b den vielfältigen Programmen zur Öffnung von Schule sowie
c der Berücksichtigung von außerschulischen Kontakten bei der Formulierung von Qualitätskriterien für Schulen.
Der Ausbau der Schulsozialarbeit in den 1990er Jahren in vielen deutschsprachigen Ländern (Deutschland, Schweiz, Österreich) wurde jedoch nicht nur durch konzeptionelle Debatten gefördert. Durch konkrete Förderprogramme zur Schulsozialarbeit auf der Landes- und Kommunal-/Kantonsebene kam es in den 1990er Jahren auch zu einem quantitativen Ausbau der Schulsozialarbeit. Ausschlaggebend für die Förderprogramme war vor allem der Versuch, die negativen Folgen gesellschaftlicher Transformations- und Veränderungsprozesses für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen zu kompensieren sowie Belastungen und Probleme zu verringern (Drilling 2009, 19 ff.; Olk et al. 2000; Rademacker 1996, 226 ff.; Prüß/Bettmer 1996, 240 ff.). Die Förderprogramme wurden durch eine Vielzahl an wissenschaftlichen Forschungsprojekten und Begleitungen unterstützt.
Dass die Öffnung von Schule zur Jugendhilfe auch in den 1990er Jahren keineswegs selbstverständlich war, erkennt man – wie Nieslony (1996) zu Recht kritisierte – an der vielfach zitierten Denkschrift der Bildungskommission des Landes Nordrhein-Westfalen zur „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“, die nur am Rande auf die Jugendhilfe einging (Bildungskommission NRW 1995).