Читать книгу Frauen - Kasimir Edschmid - Страница 4

Der Prinz

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Inhaltsverzeichnis

Als Riny, großäugig, die Schenkel zart und bebend von Linien wie ein Hirschkalb, einsam aufgewachsen, heißerer Sonne hingegeben, verschwistert dem Laut eines großen Meeres, das ihr Blut nie vergaß, Vater und Heimat auch aus der Ferne inbrünstig liebend wie am ersten Tag, als sie auf Männer stieß, war es Saint-Loux. Er nahm die Sehnsucht von ihr, die sie dann größer übergoß. Er bedrängte sie lange und reizte sie jedesmal neu. Er war schlank, ein Franzose, das Gesicht von Pocken zerrissen, die Augen scharf von Klugheit. Er nahm sie hart und glühend wie ein römischer Ringer. Als er sich zu sehr an sie verstrickte, daß sie ihm stärker gegenüberstand, nahm sie einen anderen Mann.

Doch zog sie es wieder zu Saint-Loux.

In Paris betrog sie ihn mit einem kleinen Dichter, der Bewegungen hatte wie ein Aal. Sie reiste mit ihm ab, hob Wechsel ab und hielt ihn aus. Nach einem halben Jahr schickte sie ihn fort. Sie reiste zu Saint-Loux. Nie war sie glücklicher. Sie blieben auf dem Lande. Saint-Loux wuchs jedesmal langsam. Durchbrach er die Kühle, die sie meisterte, vergaß er sich und sprach seine Geheimnisse aus. Dann kannte sie ihn, schaute ihm auf den Grund und wurde schlaff.

Die Hüften eines Winzers rief sie zu sich, der den Geruch der wollüstigen schwarzen Erde trug. Sie entführte ihn, entwurzelte ihn in die Normandie, bekam ihn langsam satt und fuhr nach Berlin. In einer peinlichen Sache setzte sie ihren Ruf aufs Spiel und rettete Saint-Loux, dessen Leben in vielen Strömungen stand. Es zog sie zu ihm. Sie vereinigte sich mit ihm.

Sie blieb, wenn sie ihr Dasein nach der Welt zu drehte, Dame. Ihr Vater, den sie liebte, war reich. In Paris wieder verließ sie den Franzosen. Ein feiner Künstler gab ihr Stunden der Melancholie und des Schmerzes. Die flammende Rede eines Schauspielers, sein ungestümes Werben gab ihr andere Richtung und Ersatz. Nach einem halben Jahr fuhr sie wieder zu Saint-Loux. Nie gelang es ihr rasch ihn zu verlassen. Nach Wochen von Kämpfen zog es sie von ihm. Ein Erkalten von ihm hielt sie von tausend Abtrieben entfernt.

Sie lebte drei Jahre mit ihm, lächelnd auf jede Versuchung nun, entschlossen, mehr sogar: nicht in der Lage, ihn zu verlassen. Sie zog, ihr Leben innig dem seinen verkettend, mit ihm, wo er lebte und kämpfte, denn er nahm nichts von ihr. Sie schweiften zusammen. Ein Auftrag sandte ihn nach Indien, wo er die Politik seiner Regierung wahrnahm. Ein wenig drin im Lande, dem Fluß gegenüber, empfing er Botschaft, nahm er sein Geschäft wahr. Vier Monate, wie im Traum, lebte sie mit ihm, immer glücklicher an ihm. Denn er besaß Muskel und Hirn.

In einer Nacht wachte sie auf, sah einen Stern am Himmel, es war als schlüge ein Mondflügel gegen sie, sie erhob sich, besah das Haus, den Balkon, den Fluß und sah es schon nicht mehr.

In dieser Nacht verließ sie Saint-Loux wie ein Blitz, ohne daß etwas in ihr blieb von irgendeiner seiner Umschlingungen, die ihn in (wie sie glaubte) unsterblichen Nächten ihr verschmolzen. Sie kleidete sich an und ging hinaus. Von den mondhellen Blumen machte sie unterwegs einen Strauß. Träumerisch schritt sie durch die blonden Maisfelder. Als der Morgen kam, begann sie zu singen.

Zum erstenmal sah sie tausend Dinge genau. Das Gras erhielt Dasein. Grillen zogen Laute um sie, der Duft der Blüten erschauerte sie. Der geöffnete Himmel kam ihr nahe. Sie sah ihn wogen, daß es kein Ende nahm.

Sie hob die Arme in Bäume. Der Kern gepflückter Früchte schmolz ihr auf der Zunge und ein ungeheurer Trieb verband sie ungekannten Gefühlen in der summenden Weite.

Sie ging durch einen Tamarindenwald. Kupfern schoß Glanz eines Daches durch die Zweige. Sie lauerte kurz, dann machte sie einen Bogen. Gegen Abend kam sie an eine Wiese. Seitwärts ein großes Kloster. Die Ebene lag ganz voll Sonne. Menschen strömten nach ihm zusammen, gleich Tieren, geschart, alle trugen die Köpfe gesenkt. Rinys Nüstern dehnten sich ein wenig. Sie blieb sitzen.

Trupp auf Trupp, gelb gekleidet, immer die Nacken zum Boden gestellt, zogen hinein. Sie hatten Lederriemen um den Leib und Rosenkränze in den Händen. In den blauen Abendfarben leuchtete das Gold von hundert kleinen Türmen unsinnig. In ihrer Mitte stand eine Pyramide mit einem Fortsatz gleich einer umgestülpten Trompete. Schatten stürzte auf Schatten von oben über die Terrassen.

Als der Mond aufging, schlug er wie der Flügel eines Engels durch ihr Herz. Die Nacht schauerte noch von ferne, es war halb hell. Sie sah hinein und das Licht drang durch sie wie eine Säule. Dann fiel es auf die Pyramide, die nach oben sich aufschlug und breiter wurde in den Himmel hinein.

Ihr Lächeln ging nicht nach ihrer vorgelebten Zeit, nun vor Wundern stehend, wurde sie sicher und groß und die lockende Stille verführte sie tief.

Sie wandte den Kopf.

Ein Mann kam auf sie zu, hielt und ging weiter.

Sie warf ihm einen Blick zu, den sein schräges Auge faßte, das gewölbt lag unter den ungeschorenen Haaren. Die Kette hing um seinen Hals, er trug aus Seide das gelbe Kleid der anderen Priester.

Sein Blick zerschnitt ihr Gesicht, als er sie streifte. Aber ihr graues Auge hob sich ruhig gegen ihn.

Einen Augenblick zuckte der Fächer, mit dem seine Hand sich Wind zuschlug. Einen Augenblick streifte gelähmt sein Fuß. Dann trug sein Gang ihn weiter. Noch in der fallenden Dämmerung sah sie ihn ungenau eintreten durch ein Tor.

Noch aber war es nicht ganz dunkel, als er zurückkam. Ihre Pupillen sahen ihn schon von weitem durch die Schatten. Sie lächelte.

Er zog sie an der Hand, flüsternd, hochmütig, hinein in das Kloster.

Auf Treppen folgte sie seinem Schritt von Terrasse zu Terrasse. Viele Priester begegneten ihnen. Aber keiner sah auf, kein Ohr gab acht auf sie. Leise murmelnd, die Blicke gesenkt, gingen sie ihnen vorüber. Durch eine Allee des obersten Pyramidensockels erreichten sie den Gurt der Türme.

Der Führer öffnete die Türe an einem. Er zog sie hinein . . . . . über eine Treppe, sie stand in einem Zimmer, von allen Seiten voll Licht. Farbene Felle lagen darin, geschliffenes Glas hob die Wände. Aus porzellanenen Schalen wehte dünn das Rosenöl.

„Bin ich gefangen?“ fragte Riny gleich.

„Nein,“ sagte er in einem Englisch, das sich auf seiner Zunge brach.

Aufatmend sog sie das süße Licht des Abends aus den Fenstern:

„Warum sieht uns keiner?“

„Sie sind nicht blind. Sie dienen nur. Einer nur hebt für sie den Kopf.“

„Du . . .“

„Ich.“

Sie atmete heftig in der betäubenden Luft.

Er bewegte sich von der Tür her auf sie zu. Sie sah die Augen eines tief erregten Mannes, dessen Gesicht die große Welle schwer nur hielt. Sie ließ das Auge weitergleiten. Durch die Fenster fuhr es auf die Landschaft. Sie sah den dunklen Schatten eines Waldes. Dahinter lag das Haus Saint-Loux.

Sie drehte sich um und gab sich in seinen Arm.

Seine Liebe war ohne die Begierde, die sich erschöpft in der Berührung der Haut. Aus seinen Händen drang ein Strom in ihren Geist. Sein Mund erhob den ihren in die Höhe wie sein Auge. Sein Leib verschmolz dem ihren mit so mächtigem Drange, als zwinge er die Vereinigung über das Berühren der Körper hinaus. Seine Worte, die sie um Liebe fragten, waren kurz und suchten wild in ihrem Blut. Ein Rausch überkam sie unter seinen Armen, sie sah sein Auge schwer über ihr verzückt.

Ihr erwachender Blick fiel auf die Spitze der obersten Pyramide. Die Sonne tanzte mit kleinen Flammen auf einem eisernen Ring, der um sie genietet war. An Seilen zwischen der Spitze und dem Gürtel hingen kleine Glocken und erzitterten zu Tausenden in der erfrischten Luft. Unten zogen die Rahaans aus den Toren.

Sie schloß die Augen wieder und die Träume der Nacht schaukelten über sie.

Nach zwei Stunden stand sie auf, unwillig über ihre Einsamkeit. Sie stieg die Treppe hinunter. Als sie den Turm verlassen hatte, nahten Menschen. Sie barg sich in einen Winkel. Weiter vorgehend, kam sie an die Allee. Sie war leer. Als sie zurückschaute, verwirrten sie die hundert Türme. Sie kannte den ihren nicht mehr.

Tränen traten ihr in die Augen. Sie bog aus der Allee und stieg hinab.

Überrascht trat sie in eine Halle mit Reihen von Säulen. Gesumm von Stimmen überfiel sie. Sie trat heraus aus dem Schatten und sah Hunderte Priester, die in dem Raume wogten wie Bienen. Sie sprang zurück, erschreckt, aber vor ihr standen drei andere, die eintraten. Erbleicht hielt sie.

Aber sie bogen um sie, ohne sie zu beachten. Da ergriff sie ein Schwindel, dies Gehen wie im Traum erschreckte sie. Niemand beachtete ihren Körper, sie schwankte. Ihr Blick fiel in einen Spiegel, das gab ihr die Sicherheit wieder, sie sah ihr wirkliches Gesicht.

Erregten Herzens, durch Hallen schleichend, traf sie den Abt. Er ging allein hin und her zwischen den Blumen, manchmal eine erhebend, hineinschauend in den Kelch und sie zurücksenkend in ihre Lage. Er schritt das kleine Stück hinunter, das von den Wänden der Pyramide eingeengt war und über der Gegend schwebte bis an den Rand. Eine Ruhe umgab diesen Ort, die kein Vogel, keine Fliege unterbrach.

Er blickte auf und sah sie, verstört noch in ihrem Gesicht. Mit drei Schritten ging er auf sie zu, die Arme ein wenig gebreitet. Tränen an allen Wimpern stürzte sie auf ihn wie ein Kind.

Als er den Garten verließ, folgte sie ihm willenlos.

Aus jedem seiner Blicke, in jeder Umarmung traf sie eine Macht, die eine Wolke um sie legte. Sie hing an ihm fest. Sie folgte seinem Schritt, seiner Bewegung. Nie verließ sie ihn. An jedem Morgen suchte sie ihn durch die Hallen, jeden Morgen fand sie ihn atemlos wie ein Wunder an einem anderen Ort. Sie schritt durch die Priester hin mit der nie endenden Bangnis. Wie von ausschweifendsten Abenteuern erreichte sie seinen Arm. Mit ihm schritt sie sicher durch die Menge, die ihrer nicht achtete.

Sie sah sie jeden Morgen das Kloster verlassen, hinaus zur Sammlung die Ebene betreten. Sie sah sie heimkehren, beladen am Abend. Bebend ging sie durch die Räume ihrer Andacht, die nie eine Frau betreten. Keiner hob das Auge nach ihr. Gelübde folgend in Gebeten sammelten sie ihre Seele, deren große zusammengefaßte Erhebung der Abt weitergab, Auge und Mund frei.

Aber ihr kam nie die Sehnsucht, die Terrassen zu verlassen. Ihr Blick lag ohne Lockung auf dem Horizont.

Monate hier lebend, änderte sich ihr Wesen um. Seinem Dasein, das dies alles in den Händen hielt, ganz und ohne Besinnung hingegeben, fraglos ausgeliefert, hatte sie nur Blick und Sinn für ihn. Stärker in jedem Schlaf erfuhr sie die Inbrunst, die er an sie hingab, dies ging über jeden Rausch, den sie erfahren.

Sie wohnte im Kreis die Türme herum. Wind kam ihr von allen Seiten. Sie kreiste um die Sonne, die täglich aus anderer Richtung auf sie traf. Im Wechsel der Monde sah sie andere Landschaft, andere Menschen, Feuer kamen und gingen an den Toren, die Krähen schwebten um andere ausgesetzte Beute. Ihr Blick nahm es ohne Teilnahme. Was sollte es ihr. Sie lebte nach innen, suchte den Abt und war glücklich, wenn sie ihn sah.

Nachts an seinem Herzen frug sie:

„Wenn jene mich sähen . . .“

„Sie tun es nicht.“

„Wenn jene mich sähen, würden sie mich erschlagen, . . .“

Er legte die Hand auf ihren Mund.

„. . . . . . . würden sie mich zerreißen aus Verzweiflung, über die Mauer werfen . .“

Er gab nicht gleich Antwort.

„Ja.“

Sie zitterte.

„Du würdest sie wehren.“

„Du weißt nicht, was jene verlören: den Glauben. Sie sind Jahre hindurch, Jahrzehnte gewandert, wortlos, ohne die Welt zu sehen. Sie haben geflucht früher. Nun weinten sie häufig, bis sie die Ruhe hatten.“

„Du würdest sie wehren . . . .“

Eine Falte umzog seinen Mund vor Weh:

„Ja.“

An seinem Lächeln erkannte sie: das war sein Tod.

„Ich will dich begleiten, wenn du das Kloster mit ihnen verlässest am Tage. Ich will immer bei dir sein.“

Er hob sie auf zu sich. Sein Gesicht neben ihr vermischte sich in einem schönen Rausch gleich einem Fieber mit ihrer Wange. Sie aber im Gefühl, wieviel er um sie spiele, zitterte klein und schwach in seinem Arm.

Noch Tränen in den Augen fand sie ihn am Morgen. Angeschmiegt an ihn, bat sie ihn um Kleider, an sein Versprechen ihn erinnernd. Keine andere Sehnsucht sprach in ihr, als bei ihm zu sein, mit ihm zu wandern, sich anzuschmiegen an seine Knie. Das war alles. Es ging nichts darüber.

In dieser Woche zog er nicht mit den Rahaans. An einem Feiertage gab er ihr die Kleidung: dünnes gewässertes chinesisches Seidenzeug, Sandalen und die Schere, mit der sie die Haare über den Schulterblättern schnitt.

Als sie fertig war, sah sie ihn zurückfahren. Er gab ihr einen Spiegel. Nun glich sie ihm ganz im Aussehn auch des Gesichts. Nur die Falten fehlten von den Nasenflügeln zu dem Munde, ihr Auge schwamm mehr in unbegrenztem Nebel, während seines hochmütig dunkel starrte. Es hatte den gleichen Ausdruck bei ihm, nur an ihr erhielt es ein düsteres Flammen. Er sah sie an voll Erregung.

Sie neigte sich und küßte ihm die Hände, doch er legte sein Gesicht in die Flächen ihrer Finger einen Augenblick.

An jedem dieser Tage ging der Abt mit einem anderen Trupp. Sie verließen das Kloster durch die Tür, die Pförtner, Laien warfen sich hin vor ihnen.

In die Dörfer eintretend gingen sie von Haus zu Haus. In den Städten vergaßen sie keine Tür. Die Augen gesenkt, in Büchsen aus Blech empfingen sie die Gaben: Früchte, Reis, getrocknete Fische. Sie warfen es in einen blauen Karren, der sie begleitete. Fremde Bettler erhielten an den Toren ihren Überschuß.

Sie hielt sich neben dem Abt, sie tat keinen Schritt ohne ihn, wenn sein Blick sie traf, errötete sie in ihrem von der Sonne kupfern gewordenen Gesicht.

Einmal sprang sie zurück. Sie sah Saint-Loux vorüberreiten. Seine Schenkel hielten straff den Bauch seiner Stute. Der Fechterkörper saß gelassen im Sattel. Nur sein Auge zeigte Trübung wie von Tränen. Seinem Pferde die Sporen gebend ritt er rasch vorüber. Freude überkam sie, ihn so wohl zu sehen. Aber schon schwand er aus ihr.

Das Gefühl ihres kleinen Lebens gegen das große des Abtes aber wuchs mit jedem Tag in ihr. Sie besah ihn des Nachts. Auch sein Körper war schön, er hatte junge Jahre noch, schwankend zwischen den Dreißig und der Nähe der Vierzig, seine Jugend war geschont. Daraus aber, aus dem, was er entsagte, quoll die Stärke seiner Seele auf sie, daß sie vor Staunen oft sich selbst vergaß. Je mehr er aber in seinem Rausche auf sie vertraute, je ungestümer seine Inbrunst an ihr aufschlug, als suche sie durch ihren Leib erst die Verbindung mit einem größeren Blut als dem ihren, um so tiefer schwankte sie, seiner Liebe kaum würdig, es nicht ermessend, daß er sich so in sie ergoß.

Er aber hob sie immer höher, daß sie ihm mehr noch gleiche, hinter der er die Vervollkommnung seines Wesens suchte.

Er brachte ihr, als er die Fahrten der Mönche nach den Festen nicht mehr teilte, sein Kleid und die ziselierte Kette.

Sie sollte mit ihnen gehen — — für ihn. Er gab ihr alles in die Hand.

Sie aber wollte ihn nicht verlassen, immer mehr gebunden an seine Gestalt. Sie sah seinen Mund an, seinen Fuß. Sie weinte. Sie wollte nicht getrennt davon sein.

Er senkte den Fächer, den seine Hand nicht verließ.

Sein Auge sah sie an mit der aufsaugenden Glut, die ihr Blut beherrschte. Er wollte, daß sie alles mit ihm teile, hineinwachse in seinen Geist und seine Ausübung, wie sie ihm ähnlich war am Körper.

Er zog sie an und brachte sie, unscheinbar gekleidet, selbst zum Tor. Das Gesumm der Mönche trieb in ihr Ohr. Sie kamen auf die Ebene, die sich ihr weiter wellte an diesem Tage wie je. Das Surren der Rosenkränze betäubte ihr Ohr, das stärker anwuchs, über die Ungewöhnlichkeit der Begleitung des Abtes waren die Rahaans verwirrt, sie sahen es nicht, aber sie spürten seine Gegenwart.

In großer Schleife zogen sie über die Gegend. Ihr wurde jede Sekunde zur Ungeduld. Langsam erst gegen Mittag genoß sie die Zeit. Stillglühenden Gesichtes vor Sehnsucht ging sie unter den anderen.

Bei ihm die Nacht, erschreckt davor, daß er sein Schicksal wie im Spiel auf sie setzte, frug sie:

„Wenn du irrtest.“

Er sagte schlicht:

„Ich irre mich nicht.“

Sein Gesicht war hochmütig vor Glauben.

Sie lag bleich neben ihm, bedrückt von seiner Sicherheit, die sich über sie legte so hoch, daß sie darunter verschwand. Der Mond spielte durch blaue Dämmerung um den Turm und deckte ihre Gesichter. Lange lag sie.

Dann sagte sie leis:

„Ich liebe dich.“

Er sah ihr erschüttert in die Augen. Es wurde Morgen. Sie erhob sich.

„Wohin gehst du?“ frug er.

Sie deutete auf die Ebene, auf alle Tore. Sie war aus Liebe stärker als ihre Sehnsucht. Sie zwang es nieder, daß ihr Gefühl in seine Nähe sie band als schöne Erfüllung. Ihm sich preisgebend in seinem höheren Sinne ging sie für ihn hinaus nun Tag um Tag.

Nun zog die Landschaft sie auch an, die sie für ihn besuchte. Aus seinem Herzen dankte sie für Gaben, die überreich sie empfingen. Mit seinem Auge sah sie voll Hingabe wieder das Licht sich sanft zerteilen auf Büschen und Sand. Sie folgte im Wald dem Spiel der Sonnenkringel und hatte Freude daran. Ein Bach wogte vor ihren Schritten, sprudelnd mit weißen Wellen, die sich springend überspielten. Lange noch blieb ihr die Musik des leichten Wassers im Ohr.

Ihre Ärmel streiften über das feine Mehl der Blütenkätzchen. Durch ihre liebkosenden Hände zog sie die schweren Ährenkronen des Weizens. Sie bückte sich zu Blumen, die sie pflückte. Sie unterschied genau die Farben, blau . . . weiß . . . orange. Sie band sie zusammen und hatte Freude darüber im Herzen.

Des Nachts spielte eine Melodie an ihr Ohr. Sie lauschte lange. Dann kam es durch das wogende Gemach auf sie zu: das Wiegen des hellen Baches.

Die Musik aber stieg.

Sie lauschte lange: . . das Meer ihrer Jugend, dessen Geräusch ihr Blut nie vergaß.

Ihre Brauen spannten sich lang, sie sah Figuren, Geruch ihrer Heimat, aber die Liebe des Mannes umgab sie zu mächtig, als daß die Erinnerung den Ring durchstieß. Es hatte keinen Sinn in der Bedeutung ihres Lebens, das gefüllt war.

Es schwand dahin, wohl begleitet von Tränen.

Aber die wuschen es nur ganz aus ihrer Seele dahin.

Sie empfand auch im höchsten Rausch die untrennbare Zugehörigkeit ihres Blutes zu ihrem Vater diese Nacht. Sie wußte, daß ihr Leben tief verwurzelt zu ihm gehöre. Aber an Saint-Loux dachte sie nicht.

Aber sie vermochte nicht, den Gestalten und Landschaften ihrer Jugend an das Herz zu fühlen. Sie sah sie, aber sie traten nicht auf sie zu, heischend und verlangend. Langsam spielte um sie wieder das Singen des Baches.

Auch es erlosch in dem Schlaf, der sie umfiel.

Aus den Armen des Abtes stieg sie in die Ebene. Aus der letzten Ecke des Waldes hob sich das rote Segment der Sonne. Langsam wie zum Singen ging sie hinein in das von süßem Licht angerührte Land.

Im Laufe der Wochen erreichte sie streifend eines Mittags eine Stadt, die dunstig zwei Tage weit vor einer Hügelkette hinter dem Kloster lag.

Das gescharte Volk brach vor ihr auseinander. Sie stand vor dem Einzug eines Fürsten, der abgesprungen war und gerade auf einem Teppich stand, als sie vorüberzogen.

Der Fürst neigte sich weit zurück und hob die Hand über die Augen, gerührt vor der Schönheit des jungen Abtes. Er grüßte tief.

Sie blieb stehen und erbleichte. Sie stammelte ein wenig, dann aber legte sie rasch die Hand auf den Mund. Sie standen sich einen Augenblick gegenüber. Das weiche, milde Auge des Fürsten flackerte schwer auf ihrem Gesicht.

Rasch bog sie zur Seite, mit einem Lockruf ihre Leute sammelnd. Ihr Gesicht war ohne Stille.

Sie kehrten zurück und überstiegen die Hügel. Sie sah das Kloster vor sich wie am ersten Tage in einem pfaublauen Abend mit hellem Golde hineinwachsend. Wieder stieg Terrasse deutlich abgezirkelt in Terrasse zum Aufbau der gegürteten Pyramide, die mit Alleen beschattet, vom Kreis der Türme funkelnd umdreht, fast unerträglich gleißend stand.

Aber es war, als erreichte sie den Bau nicht an diesem Tag. Abendliche Lichter wiesen ihr deutlich das Bild. Doch sie erreichte keine Nähe, immer blieben die Türme wie Striche im Horizont. Und als sie die Füße beeilten, überspannten sie dennoch nicht den Raum, der zwischen ihnen lag.

Solange Helligkeit den Abend noch sichtbar füllte, gingen sie darauf zu, aber der Bau, der wundervoll leuchtete, ging immer vor ihnen her, bewegt von den Strahlen der Luft.

Verzweifelt liefen sie mit keuchender Lunge.

Erst in der Nacht kamen sie an den Bau.

In der Nacht suchte in der Beleuchtung des Mondes sie des Abtes Gesicht. Er schlief und sie sah nicht die dumpfe Glut seines Auges. Aber sie fand ihn schön. Zufrieden erwachte sie am Morgen. Ihr Blick traf die Spitze der Pyramide. Die Drähte mit den Glocken, die wie Vogelschwärme daran hausten, klangen erregt in der frischen anziehenden Luft.

Als sie die Alleen hinunterschritt zu einem der Tore, brausten sie über ihr, mit einem geheimen Ton der Erregung, den sie nie hier vernahm. Der Boden roch, daß ihre Nüstern sich spannten, es war der schwere Duft der Erde nach Regen. Als sie hinaustrat in die Ebene, sah sie sie mit einem ganzen großen Blick. Ihr Auge faßte alles Einzelne zusammen und blieb an der Ferne hängen, an der die seidenweiche Luft als lange Bläue hing.

Sie führte ihren Weg oft nun nicht nur nach den Gaben. Menschen reizten sie, sie hatte Freude an unbekannter Gegend. Neue Städte mit ihrem Schwarm, der wechselte, berührend, vergaß sie in der Freude am Augenblick und der Entdeckung alles, was über und um sie war.

Eines Tages übersprang sie einen Bach, fiel auf das Knie, und als sie den Boden schmerzhaft berührte, empfand sie Sehnsucht nach Saint-Loux. Ihr Blut schuf ihn ihr wieder, der die Sehnsucht zuerst von ihr nahm. Er stand in einem Busch, den Arm entblößt, wie fechtend. Sein Muskel tanzte. Die Augen in dem zerrissenen Gesicht funkelten vor Geist. Sein Mund war kühl gefaltet. So sah sie ihn wieder zum ersten Male, der wie ein Schicksalsrufer ihr seit jeher die Pausen ihres Daseins wies, der immer nur kam: nach Vollendetem.

Ein wilder Schmerz brach in ihr aus. Sie blieb eine Weile liegen. Hob stumpfe Augen und sah nur langsam die Erscheinung verschwinden und sich verändern in die Gestalt des Abtes. Tief erschrocken über sich ging sie durch das Tor.

Die Nacht ging das Sonnenjahr zu Ende um die Mitte des April. Sie wohnte schon zum zweiten Male über dem östlichen Tor.

Da schob eine Armee von Lichtern über die Ebene gegen das Kloster.

Die Nacht war sternlos. Riny beugte sich weit aus ihrem Fenster. Um die Mauer des Klosters brannten Holzstöße vor allen Toren.

Wie durch Nebel gespiegelt kam ein dunkler Zug aus dem Horizont herauf. Eine leichte Musik ging vor ihm her in der hellen Nacht, durch die Scheine irrten. Langsamer Gesang erstarb. Indische Gitarren und birmanische Harfen sangen. Über ihnen grollte das Rollen der Trommel und Gong. Plötzlich war die ganze Nacht wie Gold.

In das hellere Licht der Tore tauchten gespenstisch die ersten Gesichte.

Wagen rollten heran in breiter Linie, vor jedem vier Büffel gespannt, deren weiße Augen blänkerten in den Fackeln und Scheiterhaufen. Sie ebbten in Wellen heran, die wilden Nacken gebeugt, haltlos, verschwindend gegen die Mauer, immer neue Reihen aus dem Dunkel hinter sich in die Helligkeit nachreißend, es war kein Ende zu sehen des schwarzen Heeres und des Deichselgedröhns.

Da aber barst eine Lücke, Tiere schnaubten, ein Zelt entstand zauberhaft.

Fünf weiße Fahnen kamen angetragen und erstarrten in der Luft. Zwei Neger mit bunten Fahnen, bewimpelt den Schaft bis zum Ende, pflanzten sich davor. Mönche hinter ihnen fielen in zwei Reihen ins Knie, eine Gasse, die Köpfe zueinander.

In einer Scharlachweste und gespitztem Wollhut stand ein Geistlicher hinter ihnen, sein Kopf leckte noch nach dem Licht. Hinter Bedienten schritt ein Gouverneur, auf weißen seidenen Hosen die goldgestickte Weste von blauem Atlas.

Da hoben sich Speerträger, oben die Spitzen voll Gold, blutrote Troddeln rauschten fallend herab, ihre Füße standen im Gegenrhythmus der ganzen Bewegung, noch im Dunkeln halb befangen, eine Woge, die sich überstürzt. Aus ihren Schatten schon formten sich die Elefanten. Sie türmten gewaltige Leiber in die Flammenscheine, die wie eine Meute auf ihre Flanken stürzten.

Es war eine Mauer. Aber ein Schrei durchbrach sie.

Ungeduldig drängte ein anderer Elefant vor. Mit poliertem Haken riß ein schlanker Prinz seinen Hals, über dem ein Diener einen goldenen Schirm hielt.

Noch einmal schrie er, da hielt der Elefant.

Von dunklem Samt sprang der Reiter, warf die Schuhe zur Seite, sprang, allein, vor bis zum Tore und warf sich aufs linke Knie.

Vor ihm standen eingebaut in die Mauer groß und gewachsen aus Stein zwei Bilder: Thasiamis, mit der Feder in der Hand aufschreibend Gutes und die Laster . . . . . neben ihm das kniende Weib Masumdera, deren hohle Hand, die Welt schaukelnd, sie schützt bis zum letzten Tag, wo sie sie aufhaut wie eine Frucht.

Kaum aber berührte des Prinzen Knie den Boden, schon fuhr es zurück.

Er verschwand.

Der Abt kam nicht die Nacht.

Über dem Singen der Weiber auf der Ebene um die brennenden Sandelhölzer rauschten Raketen über den Himmel, zogen tiefe goldene Furchen und zerstoben in großen traurigen Strähnen, die schön wie Haar auf die Dächer des Klosters sich senkten. Riny am Fenster die ganze Nacht, flog auf mit jeder, sank mit jeder zurück. Am Morgen war ihr Herz unruhig, sie öffnete das Fenster und hielt ihre Brust und den Kopf in den leise wehenden Wind.

Durch die Allee ging sie hinunter, unruhiger noch, weil sie den Abt nicht fand, der nie außer der Woche ihrer Schmerzen bei ihr fehlte.

Sie trat um die Ecke der Säulenhalle.

Da kam in dem Gang der Prinz auf sie zu.

Sein Auge berührte sie, es war schöner wie das jenes Fürsten, der sie streifend in einer Stadt anhielt vor Bewunderung. Es war süß und grausam wie eines Panthers. Er ging auf sie zu mit federndem Schritt, aber kurz vor ihr drehte er ab.

Sie lief drei Schritte und sah um den anderen Säulengang. Am Ende stand der Abt, die Arme geöffnet. Der Prinz ging auf ihn zu. Sie waren beide prächtig gekleidet und umarmten sich. Sie stand und sah, als die Säulen sie schon von ihr trennten.

Sie ging hinaus und sah in einen Spiegel, die Hände an den Brüsten.

Sie nickte sich zu.

Sie kam an den kleinen Garten, ein Vogel saß auf dem vorderen Busch. Er hielt den Schwanz aufgerichtet und sang fein und frisch. Sie beugte sich in den Hüften vor.

Ihr Mund spitzte sich.

Sie pfiff ihm zu. Der Vogel pfiff wieder. Die Sonne lag ganz jung auf dem Land. Sie hob den Arm, die Augen abschattend. Sie sah soweit hinaus, wie sie selten sah.

Ganz am Rand des Horizonts zogen sich zarte schwingende Linien Wolken, die nun von Gold anfingen zu glänzen, darüber stand kühl das Blau des Morgens. Das Land begann zu leben. Die Büsche hoben sich ein wenig in die Höhe. Der Sand erhob ein Gleißen. Der erstarrte Wald zog ein Flüstern durch die Blätter, die sich bewegten. Dörfer brannten Rauch in die belebende Luft.

Nun kam von den schwingenden Pflanzen aufgetragen der Duft des Landes langsam herauf gezogen.

Sie unterschied alle Blüten.

Der scharfe Geruch der Palmen, das Ölige der Schlingpflanzen und die befreiende Zartheit der weißen Dolden.

Sie hielt an, die Nüstern gespannt.

Wieder erhob sie den Mund und pfiff. Es wurde immer klarer. Helligkeit überschwemmte fürstlich den Raum. Die Sonne kam in den Garten.

Sie machte einen Schritt, dann folgte der andere Fuß. Sie ging hinauf zum Turm.

Dann kam sie zurück, ihre Fesseln sicher setzend.

Im Garten sah sie vorübergehend den Prinz und den Abt. Andächtig sich beugend sagte der Prinz:

„Dennoch hast du dich vertieft.“

Der Abt saß, nicht aufstehend, lächelnd sagte er zurück: „Du bist jünger. Wie ich dein Alter hatte, da träumte ich, von Wachen und Hungern sehr vorbereitet, von einem Hügel aus. Ich sah Götter wie Bäume aus der Erde wachsen, unsichtbar dem wachenden Auge. Sie waren bald grün wie Laub, bald vom rotesten Gold. Ich habe nun das Unendliche wiedergesehen. Ich vergebe dir, aber du siehst es, wie ich mich erhöht.“

Sie schritt vorüber, rasch, keine Silbe drang mehr an ihr Ohr.

Sie sah nicht viel um sich. Blumen lockten sie wieder, gelbe überall ausgesät. Es war die Wiese, auf der sie zum erstenmal das Kloster sah.

Sie ließ sich nieder, träumend.

Dann nahm sie das gelbe Kleid der Mönche und schob es in eine Grabenrinne, in einem seidenen Kleid stand sie da wie früher, flocht Perlen in ihr Haar, das nur zu den Schultern reichte. Eine Strähne fiel zwischen den Brauen ihr in die Stirn.

Sie ließ sich nieder, dem Augenblick verwebt in wundersamem Verschmelzen. Kein Gedanke durchbrach ihr Hirn. Ihr Herz saugte sich voll der Landschaft. Sie hörte das Ticken des Geländes, den Jubel einer Amsel. Sie sah den Himmel über sich wogen, daß es kein Ende nahm.

Dann begann der Boden unter ihr zu schwingen wie eine Welle. Ein dunkler Fels warf Schatten über die Landschaft, türmte sich und nahm das Licht von ihr. Ein Elefant in großen Sprüngen durchschoß die Gegend und hielt bei ihr.

Sie sah nicht auf.

Sie sah das Ganze des Tages um sich fluten und schwang mit ihm in einem gleichen Strom. Die Ebene drang in sie ein, als ob sie sie besäße, und durchhallte ihr Blut mit einem warmen Geborgensein. Ihre Seele ging auf. Sie wußte ihren Namen nicht mehr, nicht ihre Heimat, schon vergaß sie den letzten Tag. Ihre Augen, die größer wurden, erschauten zum ersten Male wieder die Welt.

Jede Blume um sie wuchs ein ungeheures Wunder in ihren Sinn. Eine Eidechse ließ sie die Hände schlagen vor Entzücken. Der große Himmel über ihr aber sog sie auf in sein Wogen wie einen kleinen Klang in sein unsterbliches Rauschen.

Als die Schatten über sie fielen, zogen ihre Brauen sich zusammen.

Der Prinz wartete eine Weile.

Dann kniete der Elefant, daß das Land unter ihm sich bewegte vom Andrang seines warmen Bauches.

Dann hob sich ihr Kopf, ihr Blick kam und riß ihn herunter.

Mit beiden Armen trug er sie in seinen Sattel, bewegt vor Zittern, die heißen Augen wie Samt, schreiend.

Der Elefant stürmte gegen den Norden, das Kloster verlassend. Wind wühlte durch ihr Haar. Sie öffnete die Augen. Wie lag der Horizont mächtig vor ihr!

Nach zwei Stunden kamen sie zum Fluß.

Das Wasser war tief gefallen, sie sah die Ebene nicht mehr, zwei große Schlangen wälzten sich neben ihnen die Ufer, entgegenströmend mit gelben Wellen kam der Strom. Sie sah auf.

Vor der Kajüte verteilt lagen dreißig Ruderer, angestemmt die Muskeln im Fahren. Über ihnen standen an den Flanken Pfauenfedern, glänzend rund, und tibetanische Kuhschweife. Sie kam mit dem Auge an die Stange des Vorderteils, sie strich hinauf: ein großer goldener Knopf wie die Sonne. Dann glitt sie, ohne einzuhalten, in den Himmel, der über dem Flußbett hing, grenzenlos.

Ihr Gesicht färbte sich dunkler:

„Wie heißt du?“

„Thengo-Tikien.“

Zu einer großen Katze die Glieder zusammengezogen lag er vor ihr:

„Du?“

Ihr Nacken senkte sich nach rückwärts, ihr Auge nahm die Decke der Kajüte auf, geölt und voll Maserung:

„Germaine . . . . . . Renée . . . . . . Duse . . . . . .“ riet er, der das Französische wundervoll beherrschte.

Sie schüttelte den Kopf:

„Nenne mich!“

„To,“ sagte er.

Sie lachte leis.

Er, der jede ihrer Bewegungen gierig einsog, berauschte sich langsam an ihrem Gesicht. Er badete darin, sie ließ es seinem bewundernden Blick, ohne Verwirrung. Seine Verehrung war zu deutlich, zu unbefangen, als daß sie ihr nicht gefiel als Frau.

Während er sie genoß mit den Blicken, sprach er ihr von Europa, von Gärten mit Musik und Sälen, sein Auge war nicht ganz sicher diese Zeit. Ein Boy servierte ihnen auf Porzellan und Silber gebackene Teeblätter. Unmerklich abschwenkend, kam er aufs Nahe, hob die Hand und zeigte die Landschaft, er redete von Büchern und Elfenbein, seine Finger prahlten, damit ihr Auge sich bestürze.

Sie gähnte und sah ihn an.

Einen Augenblick wurde seine Pupille hart. Dann wurde er weich, sein Tonfall kam zu ihr fragend, verehrend, aus großer Entfernung. Er sagte verwunderliche Dinge, damit sie ihn belehre. Spielend mit seiner Unkenntnis, gab er sich als Kind, den Mund umzogen von unbefangenen Gefühlen.

Indem er sich so preisgab, hielt er dem Rätselhaften stand, das ihn an ihrem Gesicht verstörte.

Allein sie gab nicht nach.

Er sprach von seinen jesuitischen Erziehern, deren frappierende Wirkung er kannte. Ihre Seltsamkeiten ernst nehmend, wurde seine Lippe ganz kindlich. Seine Sprache schmollte, derart spielend.

Sie folgte ihm mit einem Lächeln, das er eintrank.

Sie folgte ihm bis auf die Höhe dieser Kindlichkeit.

„To,“ sagte er schmeichelnd wie eine Katze und lehnte den Kopf an ihr Knie und rieb leicht die Wange daran.

Rasch zog sie das Bein zurück.

Er schnellte auf, getäuscht. Aber ihr unbefangenes Gesicht, das sie mit einem Ruck damenhaft unberührbar vor Sicherheit verwandelte, gab ihm die Erinnerung seiner europäischen Tage, seine Hand fiel zurück. Er lächelte ebenfalls unbefangen zu ihr.

Seine Haut aber spannte sich vor Erregung, er war von göttlicher Schönheit und hielt nur noch schwer.

Sie reizte ihn, daß er seine Haltung änderte, sie ließ die Augen nicht von ihm.

Am Mittag erreichten sie einen Platz, wo Stufen, in die Felswand gehauen, zeigten, daß Städte hier seien. Anhaltend, entstanden ihnen Bambushäuser in fliegender Eile. Ein Landschaftsgouverneur erschien, die Gegend bevölkerte sich. Über ihnen wölbte sich eine Ebene, auf deren Scheitel unbeweglich ein Schwarm Tauben hing.

Der Abend war noch weit. Sie nahmen, faul vom Liegen, junge Pferde und ritten. Je länger sie ritten, um so größer wurde die Geschwindigkeit der Tiere. Die Pferde warfen Mais und Gras auf mit dem Huf, eine kleine Wolke von Sand stand an jeden Fuß geheftet. Der Prinz wies ihr seinen Besitz, sein Finger stieß in die Gegend. Seine Stimme war deutend, erklärend, mit einfacher Würde.

Er kam ihr mit Gleichmut, und sie lächelte darüber.

Der Nagel seiner Hand glänzte. Dahinter standen Berge, die Rubin trugen und Kupfer. Die Fläche seiner Hand formte eine Quelle, die heiß lief, mit Nymphen, blond die Haare. Sie gab ihm freundlich das Ohr.

Die Luft, in die sie tauchten, löste alles um sie auf, so dicht ward ihre Strahlung.

In das Rot der unsichtbaren Sonne stieg ein blauer Dampf. Die Reiter hoben sich mit scharfen Rändern unwirklich aus der Landschaft.

Vor ihnen ballten sich Umrisse, der Luft seltsam verwoben, wie ein Kreis.

Die Hufe der Pferde waren in der weichen Wiese kaum hörbar. Kein Ton lag in der Luft.

Ein Tor schlug sich ihnen auf, dumpfer Schein von Metall darum, das zerrissen daran hing. Hinter dem Bogen lag weich im dunklen und goldfarbenen Raum eine Straße. Sie sahen keinen Menschen in der Einsamkeit der Gebäude. Es wogte eine samtene Luft, die sie fast faßten mit den Händen. Sie sprangen ab und banden die Gäule an Penaigobäume.

Ihr helles Wiehern scholl blendend wie etwas Helles in der weichen Verlassenheit hinter ihnen.

Die Fenster der Häuser glänzten wie Milch. Die glanzlose Sonne war lang verschwunden, aber die Dunkelheit war fast weiß von Licht durchflimmert, und Silber band sich in jeden Winkel.

Riny bog in einen Garten, dessen Mauer eingestürzt lag, schon verwachsen, gegen die Straße. Thengo glitt hinter ihr. In der Ruhe sprang ihr Herz. Sie fühlte ihn im Rücken, ihr Puls erstickte sie in der Kehle, die Brust schnürte sich zusammen. Sie sah um.

Sein Kopf war in dem Licht sehr schmal, mit zarter Haut und gerafften wilden Brauen . . . . . erregend die Tönung der Lippen.

Sie nahm ihr Auge aus seinem und trat rasch in das Haus, ohne den Schritt zu beschleunigen. Zu einem Fenster des verfallenen Hauses sah sie heraus.

Er stand unten, geduckt. Sein Kopf sah heraus, seine Kehle gab etwas frei, einen Ton, dann sprang er nach.

Treppen vor sich aufgetürmt, schon überwunden, Säle, Keller, ein plattes Dach voll weißer Disteln . . . . . überall spürte sie seinen Atem, pochender Schläfe, nie fehlte ihr seine Gegenwart.

In einem Schatten duckend, sah sie seinen gespannten Schenkel, der ihn vorbeitrug.

Sie stieß einen leichten Ruf aus, der ihn anhielt, weich und dunkel sich verirrte weiter in den Gängen.

Durch das Fenster, den Kopf noch nach seinem Ansprung gewandt, ergriff sie einen Ast und schwang sich auf den Balkon.

Schon um die Biegung der Galerie, gerötet, das Herz haltend, sah sie den Schwung, der den bronzenen Körper hinter ihr herüberwarf auf die Brüstung.

Von einer Schar Pilaster aufgehalten, verwirrte sich ihr alles. Verlassen, allein suchte sie den Ausweg.

Je länger sie den Weg suchte, um so deutlicher suchte, rufend, sie nun ihn selber. Von Marmor zu Marmor sich windend, kam ihr aus dem Schatten sein Mund überall entgegen. Unter einem Bogen sah sie Sterne. Sie wand sich hindurch und trat durch ein zerfallenes Fenster auf eine Terrasse, darüber den Himmel.

Sofort spürte sie ihn in der vibrierenden Luft.

Sie wandte sich die Länge des Baus hinunter. Ohne daß ein Laut ging, fühlte sie ihn hinter sich.

Sie fieberte über die ganze Haut.

Sie lief die halbe Terrasse hinunter.

Dann faßten seine Hände ihre Schultern.

Mit gleitenden unentreißbaren Bewegungen riß er sie an sich, ihr Mund heiß und quellend bog sich an seinen, unter feinen Liebkosungen kam sie wieder zu sich. Sie waren sanft wie die der wilden Tiere.

Der Sand der Terrasse war warm von der Sonne noch wie am Meer.

Sie lehnte den Rücken gegen die Wand des Palastes, an der sich ihr Schatten groß und gelockert um sie formte. Er lag bäuchlings vor ihr, sein Gesicht zu ihrem erhoben, die Zähne frei, die Lippen befeuchtet. Seine Muskeln lebten alle, auch in der Ruhe war er gespannt. Sie sah auf ihn, hingegeben dem Bezwinger. Seine Gewalt und Wildheit, das Knirschen seiner Zähne, die Glätte seines Körpers machten sie wanken mit den Lippen nach ihm. Ihr Kopf war müde, er blieb an die Mauer gelehnt, unsichtbar bebten nur die Lippen.

Wieder in einer Pause ihres Bewußtseins lag er vor ihr. Sein Blick badete immer noch in ihrem Gesicht und sog einen Rausch daraus, der langsam seine Züge überzog. Um seine Pupillen gingen im Wechsel die Gefühle, die Augen erstarrten in glasigem Email. Seine Lippen bewegten sich einige Male.

„To.“

Er wiederholte ihren Namen.

„To . . . . . . ich liebe dein Gesicht.“

Seine Stimme ward leis und singend:

„Es ist nackt,“ sagte er.

Sie legte die Hände unter den Nacken.

„Du hast es unverhüllt getragen. Nie sah ich Frauen, die so stolz waren in ihrer Schamlosigleit.“ Die Stimme versagte ihm heiser.

„To . . . wenn andere Frauen ihr Gesicht preisgäben . . . To . . . deines ist schön und hart. Hast du es durch viele Länder getragen? Viele haben es gesehen wohl an deinen Seen, in den Städten, wo du fuhrst — — Tausende Männer haben ihre Augen darauf gehabt . . . haben es beschmutzt. Haben Hunde es gesehen? Frauen haben wohl heiße Blicke darauf gehabt? Aber — ich liebe es.“

Sein Blick flehte an ihr, er zog an jeder Falte ihres Gesichtes, und ihre Augen stahl seine Glut in die seinen hinein.

Ihr Kopf stieß gegen die Wand hinter ihr. Sie empfand die Macht ihres Körpers ausgehen von sich eine Wolke voll Geruch. Noch war ihr Herz tief in der Gewalt seiner Umarmung, da stieg sie schon, ohne daß sie es wußte, weit über ihn, der sich wand vor ihr in Wollust.

Er hob sich auf, schnellend mit allen Sehnen. Lächelnd bog sie den Mund zur Seite. Sie sah das Fremde aufblitzen in seinen Augen, die grünlich aus dem Ring um die schwarze Pupille heraustraten. Sie roch seinen Körper, der duftete nach stürzendem Blut. Süß geschaukelt in der Gefahr seiner wilden Entfesselung reizte ihr Mund ihn, bis er als Kind an ihren Knien vergehend lag und sie, es schwer nur ertragend, den Mund hinüberbog an seinen und klein und schwach unter seinem von Leidenschaften überschwungenen Kopfe hing.

Ihr Lächeln, bald hingegeben im Vergehen, lenkte seinen Blick, der sie zerriß. Ihr erwachender Blick aus dem Taumel zog ihn zu sanften Worten, hinter denen, die Fesseln gespannt, das Raubtier stand.

Noch halb in der hellen, aber von Morgenscheinen dunkel versilberten Nacht trug er sie, mit der Kehle jauchzend, zu den Pferden.

Ihre Schatten fielen langsam auf die Erde, die fast rot war. Sie erreichten die Schiffe, die Gäule ritten Kopf an Kopf, kein Zoll fehlte.

Der Morgen legte die weitaufgebrochene Landschaft vor sie. Mit Licht ausgefüllt leuchtete sie still von allen Seiten in sich selbst. Wind packte keiner ihr Haar und Gesicht. Sie lächelte blaß und verzückt, die Ringe sanft unter die Augen gezogen.

Die Welt stand eine Kuppel über sie dünn und zart wie aus Glas.

Der Rhythmus des Fahrens wiegte sie gut. Die Sonne kam bis zu ihr herab und senkte sich zwischen ihre Brüste, mit mildem Licht von hier aus das Licht ergießend über die Welt, die sie sah und die sich um sie bewegte, in der sie tausendfältig in der großen Ruhe war.

Am Ufer parierte ein Pferd gegen Mittag, die Vorderbeine stiegen in die Luft, ein Zaum bog das Maul in die Höhe. Sein roter Bauch strahlte auf. Thengos Augen zogen sich zur Seite. Ein Schwimmer holte die Nachricht und hob sie in das Boot. Sie mußten sich trennen, es war nur auf Stunden. Dennoch erbleichte er. Rinys Blick sah ihn tief bewegt, doch sie blieb kühl. Sie gab ihm die Hand, der er tausendfach sein baldiges Wiederkommen versicherte. Sie sagte nichts, auf was er lauerte.

Ruhig, unbefangen nahm sie Abschied von ihm, dessen Gesicht sich grausam zusammenzog. Seine Augen bewegten sich nicht von ihr, solang als ihn sein kleines Boot zum Ufer fuhr.

Weiterfahrend verglitten die Dämme der Küsten in die Landschaft. Vom Ufer aus sah sie auf das Gelände, das im halben Bogen des Horizonts mit Mais gefüllt war, und auf der Tiere still dahingingen bis an den Rand.

Gegen Abend tauchten sie in eine Bucht, Scho—Li—Rua, die Bai der gelben Boote. Das Wasser stand wie Glas. In einem hohen Bogen hoben sich Häuser mit kleinen Fahnen und senkten sich wieder über einem Hügel, die Fronten gegen den Fluß gelehnt. Hier nachteten sie.

Sie bewohnte das äußerste Bambushaus des Kreises, halb schon an der Bai. Keinen Augenblick empfand sie Ruhe. Schatten wogten draußen. Durch die Ritzen spürte sie, unsichtbar, den Glanz spähender Augen. Lautlos trug die Luft ein erregendes Geschehen, das ihr den Schlaf nahm.

Sie trat, aufstehend, zur Tür. Davor saßen zwei Wachen, hinter ihnen glitten Schatten weg in die Nacht. Sie ging hinein und legte sich von neuem. Lange konnte sie nicht schlafen, von der Hitze der Gegend und der Bewegung um sie gestört. Auch ihr Hirn versagte. Sie konnte nichts denken. Langsam fiel sie so in den Halbschlummer hinein.

Halbnackt, auf seinem Schweiß noch den eines Pferdes wie Schnee, stand Thengo vor ihr. Sie fuhr auf, noch konnte er nicht reden, als er sie küßte. Noch versagte sein Mund, als seine Lippen schon ihr Gesicht überwanderten.

„Du . . . ,“ flüsterte er keuchend. Seine Augen wurden lächelnd und klein vor ihr, als ob sie bäten . . . . . . „ich habe mich sehr geeilt.“

Tagelang noch fahrend, hielten sie eine Nacht dann nicht an. Mit Windlichtern ruderten sie durch das Dunkel des immer mehr verengten Flusses hinauf. Mit dem Morgen hob sich Dunst von der Gegend und in dem noch wirren Ineinanderschieben des Nebels sah sie goldene Spitzen im schon manchmal erscheinenden Blau.

Ein Palankin hielt, wo sie landeten.

Er, den Schwanenhälse zierten, von zwei Löwen an der Spitze und am Ende gleich einem Flügel breitenden Vogel überbogen, die fürstliche Türmung gelb darüber gereckt, empfing sie aus dem Atlas des Inneren mit Moschusgeruch.

Rasch getragen sah sie durch die flatternden Falten des vorgeschlagenen Vorhangs, sanft gewiegt im Rhythmus der Laufenden, eine Stadt eine Hügelkette hinan gelegt und an ihrem Fuß anspülend einen See.

Dann hielt sie in einem Garten und sah das Schloß mit Galerien, achtstöckig unter dem chinesischen goldenen Dach, das den obersten Erker überspielte.

Thengo-Tikien empfing sie im dritten Stock, er nahm gleich ihre Hand und führte sie durch die Zimmer. Als er neben ihr ging nun, war nichts mehr von der Würde des Armwinks an ihm, mit dem er vor einem Herzschlag noch die Diener hinausgeschickt. Stets Neues aufkramend, wies er ihr das Alte wieder. Er brachte ihr eifrig eine Tasse, an der sie vorbeiging. Kissen hob er ins Licht, daß die Lamaseide bleicher scheine. Vasen rückte er ihr zurecht. Seine Hände boten ihr, wühlend in kleinen gehäuften Dingen, von Tischen Silber und Dosen.

Sein Auge stahl jeden Ausdruck aus ihrem Gesicht. Mit ihr wurde er gleichgültig, sein Gesicht ward ausgelassen mit ihrem, verzückte sich wie sie.

Die Wände schienen blau herunter, mit in Seide gewebten Figuren durchzogen. Vor den Fenstern lag der Westen und der große See.

Sie wandte den Kopf zurück von den schönen geschwungenen Ufern, nahm seinen Kopf in die Hände, küßte mit langem Kuß seinen guten Mund.

Seinen Zahn spürend, gab sie sofort ihn aus dem Kuß.

Er zitterte vor ihrem gleichmütigen Lächeln. Sein Fuß trat auf, doch sofort wurde er sanft. Da warf sie sich in die Kissen, und nun fuhr die Flamme wieder ungehemmt über ihn.

Oft sah sie ihn nun, ohne daß er bei ihr war. Durch das Fenster auf den Hof schauend, erblickte sie ihn, der Soldaten vorbeiziehen ließ. Das Laubgewinde des Fensters schnitt seine Figur in viele zarte Teile, in einem runden Loch schwebte der Kopf. Durch das Gitter einer Galerie sah sie ihn mit Gesandten verbindlich reden, Europäer verbeugten sich ihm, er verbeugte sich ihnen, das flüssige kalte Feuer seines Französisch schwirrte zu ihr herauf.

Sie verlor sein Gesicht nie aus den Augen über seine Haltung, die alles ausdrückte.

Sein Gesicht war gleichmütig, ihr war, sie hätte es nicht gekannt. Es war ohne Stolz und als hätte es nie gewußt um Demut. Haß und Freude wies es nie auf, nach innen gekehrt unter halb geschlossenen Lidern.

So beinahe noch kam er des Morgens zu ihr. Erwacht oben, wo er schlief, der Sonne am nächsten, empfing er die Masseure, nahm das Bad, währenddem er las eine halbe Stunde, dann stieg er hinunter.

Er frühstückte mit Riny, die ihn in heller Matinee, die Arme nackt aus Tulpenärmeln fallend, empfing. Er griff nach Nüssen und Mandeln, schenkte Riny Milch ein und reichte ihr die Früchte. Immer stand sie täglich vor dem ihr unbekannten neuen Gesicht. Nur aus dem Eckschlitz des Auges kam manchmal ein Blick der Unbeherrschtheit. Aber mit einigem Lächeln legte sie sein Gesicht frei. Es schmolz hin unter ihrem Gesicht, das sich ihm zuneigte. Kindlich ihren Augen vertieft lag er, wunschlos, verehrend vor ihr in den Fellen. Sein Blick legte Andacht und gütige Stille auf sie. Ein großer Schmetterling summte in das noch sommerkühle Morgenzimmer, vor dem die Stille des weiten Sees sich breitete. Hin und wieder flüsterte er ein leises Wort, das ihr gut tat, hinauf, während ihre Augen ineinanderhingen in einer klaren Vereinigung.

Widerwillig ging er von ihr den Morgen, noch aus der geöffneten Tür ihr traurig winkend, zurückkehrend und sie noch einmal zärtlich küssend, sein Mund dann verzog sich schmollend. „Chéri,“ lächelte sie und zog ihn zärtlich an sich zurück, „bleib hier“.

Aber dann ging er trotz ihrem Lächeln, diktierte, ließ sich umkleiden, empfing. Erst am Abend holte er sie, in die beruhigtere Landschaft mit den Pferden hinauszureiten.

Am Morgen eines festlichen Tages bat sie ihn, eine Audienz sehen zu dürfen, aber er wich ihr aus, indem er sie vertröstete, es ging gegen sein Gefühl, daß eine Frau so sehr eindringe in all seine männlichen Dinge. Er sagte ihr keine Unwahrheit, aber er belog sie mit jeder Bewegung. Sie sah ihn an und ging an seinem zugeschlossenen Gesicht hinaus aus dem Zimmer, nahm ein Buch in dem anstoßenden und pfiff eine leicht wiegende Melodie.

Er stand in der Rampe des Vorhangs, die Augen grün auf sie gerichtet.

Sie sah nicht auf, empfand Angst, wie jedesmal, wenn das räuberische Tier in seinem Blute aufstand.

Aber sie kannte die Gewalt ihres Körpers. Sie gab nicht nach und spielte mit ihrer Furcht. Er kam langsam herein und machte sich zu schaffen an einer Falte des Teppichs. Zweimal ging er auf und ab am Zimmerrand.

Dann hingekniet neben ihr:

„To . . .“

Sie streichelte ihn über den Kopf. Seine Knabenlippe schaute voll Unschuld zu ihr hinauf. Sie vergab. „Du bist schön,“ sagte sie, tief in seine Augen schauend. Er strahlte.

Am Mittag sah sie die Audienz, hinter einem großen Schirm aufgestellt. Die Zeremonie ging rasch vorüber. Als der Saal leer war, ging sie neben ihm durch den Saal.

Sie sah ihn von der Seite an, dann stieg sie auf einen Thron und fuhr mit der Hand über das Polster. Es lag auf einem springenden Jaguar aus Silber, der nach oben brüllte, wo, abschließend, die Flügelbreitung eines Vogels stand, aus dessen Schnabel ein Dolch herabfiel, schaukelnd im Gleichgewicht mit Rubin und Karfunkel.

Er hielt ihre Hand sie zu stützen, sie fühlte, daß er unmerklich zog. Rasch sah sie in sein Gesicht. Es war verschlossen, ohne Ausdruck. Ihre Brauen zogen sich zusammen. Da kam langsam ein heller Schimmer in sein Auge.

Sie zogen dann im langsamen Trab durch die Gegend den Fluß entlang, dessen Schilf sacht aufrauschte. Ein Reiher hob sich in den Himmel in langen sicheren Zügen, die Luft war sehr klar, sie atmeten mit geweiteten Lungen und sahen sich froh an, wenn sie sprachen.

Gegen Abend bemalte der Horizont sich rot und die Luft bekam Dichte, die Dämmerung fiel mit Schwüle, ihre Haut wurde feucht unter den Kleidern, den Worten benahm die Luft die Sicherheit. Von fern im Bogen anreitend sah Riny die Lichter einer Niederlassung, zwei Meilen von der Stadt, die sie nicht kannte, deren Kerzen sich schön im Flusse spiegelten.

Sie frug darauf deutend, er murmelte einen gleichgültigen Namen. Sie sah die Lichter flimmern und erstaunte sich über das unbekannte Bild. Sie bat ihn hindurchzureiten, er schien es nicht zu hören, so lenkte sie die Pferde von selbst.

Er sah sie an mit einem unbeschreiblichen Blick. Seine Augen waren so voll Sehnsucht und leuchtend in der Schwüle, daß er nicht wagte, sie zu reizen, die ihn mit kühler Miene ansah. Er suchte sie abzubringen vom Wege, er hoffte, daß sie es vergäße, aber sie folgte seinem Pferd nicht, seines vielmehr schloß sich an das ihre dicht an.

Er konnte es nicht sagen.

Er hatte wenige Geheimnisse vor ihr, aber dies widerstand ihm. Er brachte seine Zunge nicht dazu. Doch gab er sich Haltung und folgte in Unabänderliches, führte es durch, schob den Turban ab und band im Reiten ein Tuch um die Stirne, dann stieg er ab und half ihr herunter und band die Tiere an einen Pfahl.

Zu Fuß gingen sie voran, alle Hütten waren erleuchtet, aus dem Stroh und dem Bambus glitzerten die Kerzen still und andächtig. Schatten bewegten sich in der Straße.

Riny blieb lächelnd, den Finger an der Lippe, an einem Fenster stehen und schlich sich an, spähte hinein und kam wortlos zurück. Er nahm ihren Arm. Aus den Fenstern schlichen stille lockende Rufe in die Nacht. Sie sah Frauen herausgelehnt in verschwommenen Umrissen, ihr Herz klopfte mit einem Male, als sie verstand, wo sie waren. Im Leuchten einer Laterne stand ein Weib mit bloßen Brüsten auf dem Dach eines Hauses und zog an einer Glocke, die zart und flüsternd hinausfloß in die Dunkelheit, die immer weicher sich um sie legte, beladen mit dem Geruch der Körper und der Duftigkeit der Blumen aus den Gärten.

Wortlos ging sie weiter, der Arm Thengos stützte sie, und sie empfand mit Freude seine Haltung. Sie sah zu ihm auf. Sein Mund schwebte geschlossen in der Luft. Er führte sie bis an ein Haus, das im Schatten eines Gartens lag, ihre Hand immer streichend, die wärmer und feuchter wurde unter ihm. Sie drückte seinen Arm.

Er hob den Klopfer und schlug ihn gegen die Tür.

Zweimal gongte er durch die Dunkelheit, bis die Flügeltore aufgingen, zwei weiß gekleidete Frauen sie anstarrten. Er winkte ab. Fett kam ein Chinese, schickte sie weg und schaute schielend von unten nach Thengos ziselierter Kette. Sein Bauch knickte ein und schwabbte über die Knie, sein Gesicht glänzte fett vor Ergebenheit, obwohl er nur den Rang, nicht den Fürsten erkannte.

Thengo gab ihm einen Wink mit dem Finger.

Eilfertig schob er die Gardinen weg und sie traten ein, Riny nahm Thengos Arm. Ein Zimmer sah sie, mit einer Veranda in den Garten hinausgeschoben. Die Tür fiel zu. Eine zarte leise Stimme sang zu einer Harfe ein Lied und von der anderen Seite schwoll gedämpft ein erregtes Flüstern herein.

„Endlich“ . . . . . Thengo umarmte sie, mit beiden Händen ihr Gesicht streichend, unfähig noch zu schweigen.

Den Ausschnitt des Fensters säumten Blumen nach dem Garten, ihr Kopf lag auf dem Binsendiwan und seufzte. Ihre Augen waren beide starr. Rot sank zu rotgeschweiftem Hügel. Sein Mund tastete über ihren Leib, ihre Blicke lagen bei den Pflanzen, die golden in dem Nachtausschnitt standen, sie schmolz hin. Sie rief einmal seinen Namen. Er jubelte ihren dagegen. Dann lobte er ihren Körper, sein Mund hatte viele Vergleiche, die wild waren oder dufteten wie Blüten. Er war so angefüllt von verhaltener Sehnsucht, daß er sie nicht mehr sah, wie sie war. Blind hingegeben seiner Trunkenheit machte er sie zur Andacht. Was ihn erfüllte, aufgetrieben noch durch den Reiz des abenteuerlichen Hauses, strömte zu ihr, er heiligte ihre Knie, er weinte über ihr Auge, seiner unbewußt koste er sie.

Nie besaß er sie so sehr.

Sie lag blaß auf dem Lager und gab ihm jedes ihrer Glieder mit einem hinströmenden Gefühl. Sie gab jeder Stelle ihres Körpers die Kraft, daß sie jeden Kuß aufnahm und erwiderte und stärkte.

Erschüttert von ihrem Geben lag er neben ihr und schon wieder verschmolzen seine Augen mit ihren in einem unzerreißbaren Zusammenhang.

Er kämpfte, sie in den Armen haltend, um den letzten Rest ihres Leibes mit allem seinem Gefühl, daß, über ihn gebeugt, sie sagte, was sie noch nie aus Furcht zum Wort gegeben:

„Tiger.“

Sein Auge färbte sich einen Augenblick zarter.

„Du wirst dich töten,“ sagte sie.

„Es ist besser als anders zu leben.“

Spät, als der Mond aufging und seine Lippe sich in seinem Licht beruhigte, streichelte sie ihn.

Aber dies beruhigte ihn nicht. Sein Gehirn empfand sie anders wie jede Frau, die er bisher gekannt, die in seinen Harems, ihn erwartend, ihm hingegeben lagen, ohne Widerstand. Er sah sie, erschöpft, in all ihrer Freiheit, in allem, womit sie, ihm widerstehend aus ihrem Innersten, ihn fesselte und erhob. Nie sah er sie anders, als ihr Gesicht auch allen anderen weisend. Ihn zerschlug der Gedanke, daß sie wie in seinen, in anderen Armen gelegen. Was er bei anderen Frauen natürlich nahm, ohne einen Gedanken, verwuchs sich ihm zu Bildern, die sein Erleben in Tiefen trugen, die ihn in allen Gliedern durchliefen. Sie lag, die Augen frei und sicher auf ihn geheftet.

Sie fand ihn schön.

Allein er empfand die unsägliche Trennung von Geschlecht zu Geschlecht an ihr zum ersten Male und stand an dem Dunkel, das nicht sein Arm durchbrach, das sein Herz nicht bebend überbrückte.

Er küßte ihre Stirn und ihren Mund: „Nie sah ich Frauen wie dich . . . . To.“

Sie streichelte ihn wieder. Aber er ließ ihren Mund nicht.

Noch in der Nacht bog sich sein Auge zur Seite, seine Schläfe wurde braun, der Mund öffnete sich kurz.

Dann war er leblos.

Rinys Liebe brach in Weinen aus. Sie badete sein Gesicht mit dem ihren. „Thengo,“ rief sie, „wir gehen in den Garten, die Luft ist schlecht in dem Zimmer. Draußen stehen die Blumen und machen kühl.“

Sie legt das Ohr an seine Brust und rieb die Schläfen.

Ihr Blick sah verwirrt auf seinem Schenkel einen Tiger tätowiert, den sie noch nie sah. Ihr feuchtes Gesicht lag an seiner Brust und schmeichelte. Ihre Wange, gedrückt, hob sich von einem Amulett aus metallischer Substanz in geblümtem Seidenzeug mit magischen Sentenzen. Sie legte es auf sein Herz, ihr Lächeln glaubte, daß es half. Ihr Mund kam wieder an sein Ohr, ihre Finger fuhren langsam zärtlich über seine Schläfe.

Nach Sekunden glomm Farbe wieder in seinen Mund, sie atmete tief auf, ein Schluchzen war ihr nahe.

Sein erwachender Blick traf Riny nicht mehr.

Sie stand auf der Veranda, als käme sie aus dem Garten, sie rief zu ihm durch die Blumen:

„Thengo . . . . . . Schläfer.“

Ihr Arm wischte die Tränen aus den Augen, die in einem Regenbogen über den Kies fielen. Von der Nachtluft erfrischt, Blumengeruch noch im Haar, ganz hingegeben seiner Müdigkeit, schmiegte sie sich an ihn, er glaubte ihren Augen, die gut über ihm standen, er wache aus dem Schlaf.

Sie gingen hinaus später in den Garten und legten sich in Stühle, die auf dem Rasen standen, aus dem Hyazinthen herauswuchsen und sich mit dem Nachtduft vermischten. Es war ganz still geworden in dem Haus, auch die Harfe schwieg.

Sie hielt seine Hand auf ihrem Schenkel, und wie er sie hielt so in der Stille ihres abgeebbten Blutes, überkam sie eine Zärtlichkeit zu ihm, die ihn ihr ganz verband. Kein Wort fiel in dieser Stunde.

Frauen

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