Читать книгу Der Mutigen gehört die Welt - Katarina Michel - Страница 9

2.
Was will ich?

Оглавление

Es scheint für viele Menschen gleich schwer zu sein, auf diese Frage eine Antwort zu geben wie auf jene des ersten Kapitels. Das hängt natürlich mit dem Umstand zusammen, dass wir in einer Zeit leben, in der es eine schier unüberschaubare Auswahl an Möglichkeiten gibt, um sein Leben zu gestalten.

Es gibt eine tiefsinnige buddhistische Weisheit, die besagt, dass die Probleme des Menschen weitgehend an drei Schwierigkeiten hängen, die alle mit dem Willen zu tun haben:

1) Der Mensch will etwas haben, was er nicht bekommen kann.

2) Der Mensch bekommt etwas, was er nicht haben will.

3) Der Mensch weiß häufig nicht einmal genau, was er haben und was er nicht haben will!

Um diese Probleme zu lösen, ist es erforderlich, sich von vielen liebgewonnenen oder bis zum heutigen Tag nicht wahrgenommenen Illusionen zu befreien. Der erste Schritt dazu besteht in einer nüchternen, realistischen Schau auf die Wirklichkeit des eigenen Lebens. Diese wird in der Regel durch vier Themen verstellt: Durch unreflektierte Wünsche, durch irreale Träume, durch unangemessene Erwartungen und durch unerlöste Traumata aus der Vergangenheit. Es erfordert Mut, sich diesen Themen vorbehaltlos zu stellen – wobei bereits die Arbeit mit einem der vier eine große Herausforderung sein kann.

Wenn man in der Lebensberatung mit Frauen arbeitet, hört man sehr oft die folgende Aussage: „Ich spüre, dass ich in meinem Leben etwas ändern müsste – aber ich weiß nicht wirklich, was es ist. Im Grunde geht es mir gut, und ich habe alles, was ich benötige. Doch eigentlich ist es nicht das, was ich wirklich will!“ Diese ungesunde Situation führt in der Regel zu einer inneren Verwirrung, die sich schnell zur Verzweiflung steigern kann. Das löst dann noch größere Verunsicherung und Enttäuschung über die „Ungerechtigkeit des Lebens“ aus. Betrachtet man das aus einer inneren Sichtweise heraus, so erkennt man unschwer, wie viel Kraft die Einzelne in diesem Prozess lässt. Eine Kraft, die eigentlich benötigt würde, um einen konstruktiven Weg einzuschlagen. Es wäre also dringend erforderlich, sich aus diesem Gefängnis falscher Vorstellungen, Wahrnehmungen und Projektionen zu befreien.

Der Hauptschlüssel zur Lösung dieser Situation besteht in der Unterscheidung zwischen der eigenen (inneren) Wirklichkeit und jener, die von außen vorgegeben wird. Erst wenn man erkennt, auf welche dramatische Weise sich die eigenen inneren Pläne und die Vorgaben aus Familie und Gesellschaft unterscheiden, kann eine Veränderung beginnen. Das kann durchaus erfordern, sich von der Vorstellung zu lösen: Wenn es alle so machen, wird es schon richtig sein. Muss es nicht! Es mag ja für manche oder sogar für viele richtig sein – aber nicht für Sie! Haben Sie den Mut, sich gegebenenfalls gegen eine überwältigende Mehrheit von Familienmitgliedern, Freunden und gesellschaftlichen Gruppen zu stellen? Es geht dabei um nichts weniger als um IHR LEBEN! Sie erkennen möglicherweise, dass Sie in einem Gefängnis – und sei es ein Goldener Käfig – sitzen, aus dem Sie ausbrechen müssten.

Beginnen Sie damit, jene Einstellungen oder Tätigkeiten zu überprüfen, die Sie schon immer besessen oder immer ausgeführt haben. Schreiben Sie diese auf ein Blatt und ergänzen dahinter: „Stimmt für mich“ oder „Stimmt für mich nicht“. Sie können auch die Worte wählen: „Ist auch meine Überzeugung“ oder „Ist nur die Meinung von … ; aber nicht meine eigene“.

In den meisten Fällen sind „die anderen“ Mitglieder der eigenen Familie oder des engsten persönlichen Umfeldes. Inzwischen nimmt aber ein zweiter Bereich einen immer größeren Stellenwert ein – die Medien. Fernsehen, Zeitschriften und inzwischen das Internet geben vor, was das Idealgewicht, die Idealdiät, der Idealpartner, die Idealbeziehung oder der Idealberuf ist. Wenn Sie hier nicht achtsam sind, übernehmen Sie unbewusst in kurzer Zeit Vorgaben, die möglicherweise überhaupt nicht mit Ihren eigenen inneren Vorstellungen übereinstimmen. Sie kopieren nur, was in der Gesellschaft (die Gesellschaft sind Sie!!) als „in“ als „anerkannt“ oder als „trendy“ gilt. Dahinter stehen meist handfeste wirtschaftliche Interessen bestimmter Konzerne, die dafür gut bezahlte Journalisten in der Medienwelt nutzen, um große Umsätze zu machen. Es genügt, die rasend schnell wechselnden „Trends“ zu beobachten, um zu erkennen, wie viel Gaukelei im Spiel ist und wie wenig Substanz. Wer jeden Trend mitmacht und jede Mode aufgreift, wird eines Tages beim Blick in den Spiegel die Frage stellen: „Welches ist eigentlich mein Gesicht und mein Stil?“ Diese Frage kann ein heilsames Erwachen auslösen.

Es gibt natürlich genauso häufig Situationen, in denen eindeutig geklärt ist, welche Absicht man hat und was man gerne verwirklichen möchte. Das Beispiel einer jungen Mutter von zwei Kindern, die halbtags berufstätig ist, kann das anschaulich erläutern.

Diese sehr aktive Frau arbeitete in der Zeit, in der ihre Kinder in der Schule waren. Nachmittags widmete sie sich der Hausaufgabenbetreuung, nachdem sie die Beschwerden über die „Scheißschule“ und das „blöde (weil nicht McDonalds-konforme) Mittagessen“ klaglos ertragen hatte. Nach diesem an sich schon sehr anstrengenden Programm stand abends das „normale Familien- bzw. Ehe-Leben“ an. Wo blieb da die Zeit für Sie? Sie wollte schon seit längerem einen Entspannungs- oder Yoga-Kurs besuchen; doch diese lagen entweder in den Vormittags- oder in den Abendstunden. Das eine ging aus beruflichen, das andere aus familiären Gründen nicht. Sie zögerte, mit ihrem Mann darüber zu sprechen, ob er bereit sein würde, an einem oder zwei Abenden auf ihre Anwesenheit zu verzichten und sich um die Kinder zu kümmern. Einerseits befürchtete sie seine wahrscheinliche Ablehnung; andererseits ließ sie das Modell ihrer Mutter zur Auswirkung kommen, welche die Ansicht vertreten hatte, dass eine Mutter sich „halt für die Kinder opfern müsse“. Eine klassische Antwort im Familiengespräch zwischen Mutter und Tochter. Die Antwort könnte auch gelautet haben: „Wir sind doch auch ohne diesen neumodischen Selbstverwirklichungskram ausgekommen und waren glücklich!“ Waren die Mütter vor dreißig oder vierzig Jahren wirklich glücklich? Sind diese Antworten nicht in Wahrheit gewaltige, noch immer nicht bearbeitete Illusionen? Und selbst wenn es so gewesen sein sollte: Die Zeiten haben sich geändert! Eine Frau, die ihre eigenen Interessen und Neigungen für ihren Mann und ihre Kinder „opfert“, wird heutzutage immer schneller an jenen toten Punkt kommen, an dem sie erkennt, dass sie so nicht weiterleben kann. Ihre Familie kann nicht glücklich sein, wenn sie unglücklich ist!

An dieser Stelle ist vielleicht ein Hinweis angebracht, um Willensstärke von Eigenwillen (sprich Egoismus) zu unterscheiden. Es geht bei der Verwirklichung eines berechtigten inneren Anliegens nicht darum, nach dem Motto zu leben: „Ich mache nur, was ich will, alles andere ist mir egal!“ Es geht vielmehr um Authentizität und um die Verwirklichung der eigenen inneren Wahrheit. Diese kann dann allerdings im Konflikt mit anderen ‘Wahrheiten’ stehen, etwa jener des Ehemannes oder Partners, der allen Ernstes der Meinung ist, seine Frau habe jeden Abend für die Kinder da zu sein. In diesem – nicht sehr seltenen Fall – gilt es, eine „friedvolle Kriegerin“ zu werden und klar und unmissverständlich für die eigenen (berechtigten!) Ansprüche einzutreten! Noch einmal: Die klare, aufrichtige und unverblendete innere Wahrheit ist etwas völlig anderes als irgendeine Wunschvorstellung, die aus der Medienwelt oder dem eigenen Umfeld kritiklos vorgebetet wird. Es geht um Wahrhaftigkeit oder um Illusion. Die Kunst besteht darin, das eine vom anderen zu unterscheiden.

In einer reizüberfluteten Gesellschaft ist es sicher nicht immer einfach, die zarte „innere Stimme“ zu vernehmen, die wahrhaftig für die eigene Seele spricht. Es wäre daher für jede Frau, auch wenn sie beruflich und familiär extrem eingespannt ist, absolut unverzichtbar, sich an jedem Tag einige Minuten der Stille zu gönnen. Dazu ist es hilfreich, einen geeigneten Platz zu schaffen. Ideal wäre ein eigener Meditationsbereich, aber auch ein kleines „stilles Eckchen“ im Schlafzimmer kann schon ausreichen. In diesen Momenten der Ruhe kann dann wirklich ein „Lauschen nach innen“ erfolgen, ein Hören auf die leise Botschaft der Seele. Nur so kann die dritte buddhistische Lehre von der „Kunst der Unterscheidung“ umgesetzt werden.

Wer auf die innere Stimme hört, wird wissen, was er wirklich will. Er gewinnt eine Klarheit, die zweierlei positive Effekte auslöst: Erstens beseitigt sie alle Zweifel über die eigenen Absichten; und zweitens schenkt sie eine innere Kraft, die es ermöglicht, das als die eigene Wahrheit Erkannte auch zielstrebig umzusetzen. Viele große spirituelle Lehrer haben immer wieder auf die große Bedeutung der „inneren Ordnung“ hingewiesen, wobei es natürlich nicht um eine extrem ausgeprägte Räum- und Putztätigkeit geht. Vielmehr schenkt innere Ordnung einen unverstellten Blick auf die Innen- wie auch auf die Außenwelt. Damit einher geht eine mächtige Energie, die man nicht nur selbst spürt, sondern die auch von der Umwelt wahrgenommen wird. Wenn dann also der abendliche Yoga-Kurs, um noch einmal auf das schon erwähnte Beispiel zu sprechen zu kommen, innerlich als richtig und gut erkannt wurde, dann setzt diese klare Einsicht so viel „Power“ frei, dass mögliche Widerstände ohne große Schwierigkeiten überwunden werden. Der Widerspruch oder das alte „Männerfeld“ fällt im Angesicht dieser reinen und klaren Energie in sich zusammen! Dies geschieht deshalb, weil hinter dieser Energie eine lautere, keine egoistische Absicht steht. Andernfalls stünden sich zwei egoistische Kräfte gegenüber, die zwangsläufig in einen Machtkonflikt gerieten. Gewalt wird aber nicht durch Gegen-Gewalt überwunden, sondern sie wird durch Umarmung aufgelöst. Durch eine Umarmung mittels geistiger Kraft und innerer Klarheit.

Man könnte geneigt sein, gerade wenn es um die Emanzipation von Frauen geht, den berühmten Satz Jesu vom „Dein Wille geschehe“ als verhängnisvoll anzusehen. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. In der Tiefe verstanden, geht es um den Willen des eigenen geistig-seelischen Wesenskernes. Wenn dieser erkannt wird, setzt er eine immense Kraft frei, die letztlich in einer „Auferstehung“ der wahren Persönlichkeit gipfelt.

Da Frauen offensichtlich – gesellschaftlich betrachtet – einen viel leichteren Zugang zu ihren spirituellen Wurzeln haben, werden sie es in Zukunft immer leichter finden, ihr wahres Wesen zu verwirklichen. Es bedarf dazu nur des Mutes, an die eigene Kraft zu glauben!

Der Mutigen gehört die Welt

Подняться наверх