Читать книгу Wüstenfeuer - Katherine V. Forrest - Страница 8

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Während Kate noch überlegte, wie sie die als Nächstes anstehenden Dinge am besten anging, schlug sie den Weg zu ihrer Wohnung ein, um ein paar Sachen zu holen, ehe sie weiter zu Camerons Haus fuhr.

Im Wohnzimmer nahm sie den Schaukasten von der Wand, der die Nachbildung ihrer Dienstmarke enthielt. Sie löste die Rückwand, während sie sich mit dem Argument zu beschwichtigen suchte, dass es hier um Cameron ging und sie nur im äußersten Notfall Gebrauch von der Polizeimarke machen würde. Im umgekehrten Fall, dachte sie ironisch, würde Cameron nicht die leisesten Bedenken haben – er würde sie auslachen: »Wie – du hast ein Problem damit, dich als die Polizistin auszugeben, die du früher gewesen bist?« Sie löste die Marke von dem blauen Samt, mit dem der Kasten ausgeschlagen war, und wog sie in der Hand – sie hatte sie nie zuvor in den Händen gehalten – und stellte fest, dass sie ein klein wenig schwerer war als das Original.

Im Schlafzimmer stieg sie aus ihrer Khakihose und zog eine geräumige Cargohose an. Sie steckte ihre Brieftasche und ihr Handy in eine der Taschen und ein Notizbuch, einen Stift und einige weitere Dinge in eine andere. Nach den gut vier Monaten außer Dienst war sie immer noch froh, dass sie nie wieder die Schultertasche tragen musste, die sie immer als ›die verdammte Satteltasche‹ bezeichnet und als Cop immer hatte bei sich haben müssen. Sorgsam heftete sie die Dienstmarke in eine der verbliebenen leeren Hosentaschen, um sie nicht aus Versehen herauszuziehen, wenn sie etwas anderes hervorholte. Oder sie – schlimmer noch – verlor. Eine gefälschte Dienstmarke mit ihrer Dienstnummer zu verlieren würde ihr wahrscheinlich größere Scherereien bereiten, als wenn sie dabei erwischt wurde, wenn sie sie benutzte.

»Hab einen schönen Tag, Miss M«, sagte sie leise und streichelte Miss Marple, die sich auf dem Bett zusammengerollt hatte, eine weiße Pfote unter dem Kopf, die Jadeaugen auf Kate geheftet.

Auf dem Weg zu ihrem Wagen verspürte sie eine beschwingende Zielstrebigkeit. Die Sonne hatte den Dunstschleier über der Stadt durchbrochen, und Kates Stimmung blieb heiter, statt in ihre übliche genervte Ungeduld zu verfallen, während sie im dichten Verkehr durch West Hollywood fuhr und den geschäftigen Santa Monica Boulevard entlang. Auf der noch stärker befahrenen Highland Avenue ging es hinauf zur Franklin, wo sie einen halben Block später abbog und den Focus den steil sich hochschlängelnden, aber kaum befahrenen Hillcrest hochjagte. Noch vor halb zwölf kam sie bei Cameron an.

Nur wenige der überwiegend eingezäunten Häuser auf der baumbestandenen Straße hatten Garagen. Camerons schwarzer RAV4 war quer zur Fahrbahn geparkt und belegte eine der beiden Parkbuchten am Zaun zu seinem Grundstück. Daneben stand ein Wagen der Firma Marvel Maids.

Kate fand eine Parkbucht ein Stück weiter oben an der Straße und machte sich zu Fuß auf den Weg zurück zum Haus. Sie setzte ihre Schritte in den Sneakers voller Achtsamkeit, als könnte sie bei einem Fehltritt Gefahr laufen, haltlos bis zum Fuße des Hügels hinunterzupurzeln. Camerons Haus und die Gegend gefielen ihr, aber sie konnte sich nicht vorstellen, auf einer so steilen Hanglage zu wohnen, dass ihr Gleichgewichtssinn fortwährend herausgefordert war. Die Umgebung fühlte sich beinahe surreal an. Hier oben unter den Bäumen und ihrem dichten Blätterwerk, in dem eine Vielzahl von summenden Insekten und zwitschernden Vögeln hausten, befand sich eine ruhige Wohngegend, die nur einen Steinwurf hügelab entfernt war vom wuseligen Hollywood Boulevard und Graumans Chinese Theatre mit seinen Massen von Touristinnen und Touristen, Sightseeing-Bussen und Straßenhändlern, die Souvenirs feilboten und Stadtpläne mit eingezeichneten Routen, die garantiert zu den Häusern der Stars führten.

Mit Absicht ging sie auf dem Weg zum Haus dicht an dem RAV4 vorbei; sie registrierte die gleichmäßige Staubschicht und dass im Inneren des Wagens nichts Ungewöhnliches zu sehen war; innen schien er so makellos wie bei Cameron immer. Kate öffnete das Gartentor. Umsehen konnte sie sich nicht, solange die Marvel Maid noch da war; sie durfte es nicht riskieren, Alarm auszulösen oder Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Also betrat sie das Grundstück, als wäre es das Normalste der Welt; sie ließ den Blick beiläufig über den pflegeleichten Vorgarten und das hellbraune Holzrahmenhaus mit den dunkelbraunen Fensterläden wandern und konnte nichts Außergewöhnliches entdecken. Die großen Keramiktöpfe mit weißen und gelben Frühlingsastern, die links und rechts von der Eingangstür standen, schienen gut gepflegt, wurden aber zweifellos von einem automatischen Bewässerungssystem versorgt, denn Joe Cameron war kein Gärtner.

Sie ging über die auf dem moosigen Rasen asymmetrisch verlegten Steinplatten zu einer schattigen Veranda, auf deren terracottafarbenen Fliesen einige Liegestühle standen. Auf den Eingangsstufen zum Haus befanden sich ein Wischmop, ein Besen und ein Plastikeimer mit ein paar Putzlappen. Die Eingangstür stand einen Spaltbreit offen – welch glücklicher Zufall. Sie ging die zwei Stufen hinauf, klopfte energisch an die Tür und schob sie auf.

Zu ihrer Linken, hinter dem Frühstückstresen, der die Küche vom Wohnzimmer und der Essecke trennte, fuhr eine Latina mittleren Alters mit einem Lappen über die granitene Arbeitsfläche. Sie blickte alarmiert auf. Kate winkte unbeschwert. »Hallo, ich bin eine Freundin von Joe Cameron.« Sie hoffte, dass die Frau Englisch sprach.

»Nicht da.«

»Ja, ich weiß. Ich soll nach dem Wasseranschluss im Garten sehen. Ich bin eine Freundin«, wiederholte sie und stieß die Tür noch ein bisschen weiter auf, um auf den Kaminsims zeigen zu können und auf das gerahmte Foto, das, wie sie wusste, dort stand. »Sehen Sie das Foto? Gehen Sie hin und gucken Sie es sich an. Das sind Joe und ich.«

Die Frau musterte Kate von Kopf bis Fuß ohne augenscheinliche Feindseligkeit. Dann kam sie aus der Küche hervor, ging ins Wohnzimmer hinüber und setzte die Brille auf, um das Foto von Cameron und Kate in Uniform zu betrachten, das bei einer Zeremonie der Polizeiakademie aufgenommen worden war, bei der verdiente Kolleginnen und Kollegen geehrt wurden.

Kate erklärte: »Ich muss die Sprinkler hinten im Garten überprüfen.«

Die Putzfrau wandte sich um und sah sie an. »Sie Polizei wie er. Sie machen.«

»Danke.«

Falls die Frau sich wunderte, warum Kate durchs Haus ging, wo doch der Garten von draußen zugänglich war, sagte sie jedenfalls nichts. Kate hätte, wenn nötig, eine Erklärung parat gehabt: Sie brauchte einen Schraubenschlüssel aus der Werkzeugkiste im Hauswirtschaftsraum. Kate durchquerte die Küche und ging den Flur entlang, trat in den Hauswirtschaftsraum mit der Waschmaschine und dem Trockner und öffnete die mit einem Riegel verschlossene Tür, die in den Garten hinausführte. Sie zog den Riegel zurück, holte eine Rolle Klebeband aus einer ihrer Hosentaschen, riss einen kleinen Streifen davon ab und klebte den Schließmechanismus zu. Dann schloss sie die Tür sorgsam hinter sich. Mit einem ironischen Lächeln dachte sie an einen Mord zurück, der sich während eines Raubüberfalls in einem Spirituosengeschäft ereignet hatte: Der Angestellte, der von ihr festgenommen worden war, hatte sich eben dieser Methode bedient, um sich Zutritt zu dem Laden zu verschaffen. Ein einziger prächtiger Fingerabdruck auf dem Klebeband hatte genügt. Wie Cameron oft festgestellt hatte: »Ohne ihre Dummheit würden wir sie nie fassen.«

Für den Fall, dass sie beobachtet wurde, widmete sie sich einen Augenblick dem Zulauf für das Bewässerungssystem, drehte den Hahn zu und wieder auf. Das Bewässerungssystem versorgte einen grünen Rasen und den Jasmin und die Bougainvillea, die sich scharlachrot am hinteren Teil des Zaunes hochwand. Im Garten befand sich auch Joes Grill, eine große, professionell wirkende Anlage mit gemauertem Fundament, dessen längliche Silberhaube in der Sonne glänzte. Die große graue Plastikplane lag zusammengefaltet daneben, als wäre Joe im Begriff, den Grill zu benutzen oder als hätte er ihn gerade benutzt und noch nicht wieder gereinigt. Das würde sie sich später genauer ansehen.

Sie ging um das Haus herum zu der offenstehenden Eingangstür. »Danke!«, rief sie. »Ich bin fertig.«

»Ja. Wiedersehen«, erklang die Stimme der Putzfrau von irgendwo aus den Tiefen des Hauses.

Kate stieg wieder hügelan.

Während sie in ihrem Wagen darauf wartete, dass das Auto von Marvel Maids verschwand, dachte sie über Joe Cameron nach. Sie nutzte ihren Sachverstand und ihre Erfahrung, um die Fakten, die sie über ihren Ex-Partner wusste, methodisch auszuwerten und einzuschätzen, welche für die aktuelle Situation relevant sein mochten.

Es war im August vor sieben Jahren gewesen, als er ihr Partner bei der Mordkommission der Wilshire Division wurde. Cameron, von jungenhaftem Aussehen und Linkshänder, war von der Devonshire Division zu ihnen gekommen. An jener Hand hatte er die ersten zwei Jahre einen Ehering getragen. Er war gewandt und stets gut gekleidet; mit seinen sechsunddreißig Jahren ein Leichtgewicht, was seine Erfahrung anging, und nach Kates Maßstab ziemlich jung fürs Morddezernat. Bei Autopsien war er zimperlich, das hatten sie gemeinsam, aber sie konnte es vor den Pathologen besser verbergen. Er trug eine Pilotenbrille, was sie affig fand, und wurde leicht rot, was nach ihrem Maßstab ein ernsthaftes Manko darstellte. Anfangs fiel er ihr ins Wort, wenn sie Zeugen befragte und Verdächtige verhörte, und plapperte Fakten aus, ehe Kate den zu Befragenden ihre Version entlocken konnte – absolut inakzeptabel, egal welchen Maßstab man anlegte. Sie hatte kein Blatt vor den Mund genommen, als sie es ihm sagte, und er hatte sich nach Kräften bemüht, das zu ändern. Er lernte enorm schnell; er machte kontinuierlich eindrucksvolle Fortschritte und erwies sich innerhalb eines Jahres als kompetent und intuitiv an Tatorten und als ein Partner, der sie aufs Beste ergänzte. Sie konnte sich nicht erinnern, wann Joe Cameron das letzte Mal während einer Befragung einen Fehler gemacht hatte – oder rot geworden war.

Als sie ihm am Anfang die traditionelle Frage, warum er Polizist hatte werden wollen, gestellt hatte, war seine Antwort prosaisch gewesen: krisenfester Job. Nach jenem ersten Jahr, in dem sie seinen Eifer, Mörder zu fassen, beobachtet hatte, begriff sie, dass seine Antwort ein billiges Ablenkungsmanöver gewesen war, um weit tiefgründigere und zorngespeiste Motive zu kaschieren.

Zwei von ihren Fällen stachen hervor. Nach nur drei Wochen Zusammenarbeit hatten sie den Fall Herman Layton geklärt, eine Messerattacke, begangen am helllichten Tag, als das Opfer auf einer asphaltbespritzten Bank vor der Mammutrekonstruktion in den La Brea Tar Pits gesessen hatte. Drei Jahre später erfolgte die von großer Publicity begleitete Untersuchung des Todes von Victoria Talbot im noblen Villenviertel Hancock Park und dem anschließenden Gerichtsverfahren. Während dieser Zeit hatten sie Stil und Stärken des anderen genau kennengelernt. Kates Unterstützung, als er wegen seiner Scheidung todunglücklich gewesen war, hatte sie noch enger zusammengeführt. Nachdem Joe sie wiederum gerettet hatte, als Aimee sie das erste Mal verließ, wurden sie Freunde und Vertraute; sie verbrachten auch außerhalb ihrer Arbeit viel Zeit miteinander, bedeutsame Zeit, und Kate war oft bei ihm zu Hause gewesen, wenn er abends zum Barbecue eingeladen hatte. Es waren Zeiten gewesen, in denen er sich mit Wein hatte volllaufen lassen und sie mit Scotch. Wenn sie einmal nicht unentwegt von der Arbeit redeten, erfuhr er ihre Familiengeschichte und etliches aus ihrem Leben als Lesbe, und sie erfuhr mehr, als sie je hatte wissen wollen, über die Frauen, die ihm unrecht getan hatten, und all die Freundinnen, die durch sein Haus und sein Leben stolziert waren.

Und dennoch blieb eine Kluft zwischen ihnen. Zum Teil konnte sie Camerons allgemeiner Coolness und Reserviertheit zugeschrieben werden, aber Kate übernahm mehr als die Hälfte der Verantwortung für etwas, das in ihrem allerersten gemeinsamen Fall wurzelte. Für sie war der Fall Herman Layton gelöst – zum Guten oder Schlechten. Für Cameron hingegen blieb sein erster Fall ein doppelbödiges Rätsel, das ihm keine Ruße ließ. In den Folgemonaten war er die Ermittlungen erneut in allen Einzelheiten durchgegangen und hatte Misstrauen angesichts gewisser Schlüsselmomente geäußert, in denen er und Kate nicht zusammengewesen waren. Er hatte geschlussfolgert, dass er von entscheidenden Entwicklungen bewusst ausgeschlossen gewesen war. Das Thema kam immer mal wieder auf den Tisch, wenn auch seltener in den letzten Jahren, und er wischte ihre gleichbleibende und beharrliche Beteuerung, dass sie ihm keine Erkenntnisse oder Beweise vorenthalten hatte, stets beiseite. Sie hatte keine andere Wahl, als zu mauern, wie sie sich selbst beschönigend versicherte, um nicht das Wort Lüge benutzen zu müssen. Sie konnte ihren Eid nicht brechen, über die internationalen Auswirkungen zu schweigen, die einen CIA-Officer aus dem Ruhestand geholt und verdeckt, aber tief in den Fall involviert hatten.

Verkompliziert wurde die Situation noch dadurch, dass Cameron während der Ermittlungen im Fall Layton Vertrauen in sie gesetzt hatte, indem er ihr anbot, ihr bei einem Stalker und dessen zunehmende Drohungen gegen seine Frau – bei der es sich um Aimees enge Freundin Marcie handelte –, zu helfen, als klar wurde, dass die legalen Mittel, Frauen wie Marcie Grissom zu schützen, nicht greifen würden. Kate erinnerte sich gut an seinen an die Nieren gehenden Bericht von einem grausamen Doppelmord mit anschließendem Suizid in Victorville – ein gewalttätiger Ehemann war mit der Heckenschere auf seine Frau losgegangen, die sich in der Vergangenheit mehrfach hilfesuchend an die Polizei gewandt hatte. Anschließend hatte er eine Schrotflinte auf seinen Sohn gerichtet und sich dann selbst erschossen. Dieser Fall mochte Cameron die Rechtfertigung für sein Handeln in sich möglicherweise ähnlich entwickelnden Umständen bieten, aber seine Lösung für Marcie Grissoms Problem und die Rolle, die Kate dabei spielte, hatten ihren grundlegenden Kodex als Polizistin derart erschüttert, dass es Monate, ja Jahre auf ihrem Gewissen lag. Heute, das gestand sie sich inzwischen ein, würde sie vielleicht nicht mehr eine derart rigide moralische Haltung an den Tag legen, aber das war nicht mehr von Belang. Ihr Missmut im Anschluss an Camerons Einschreiten war unübersehbar gewesen und hatte sie sein bedingungsloses Vertrauen gekostet.

Cameron setzte sich oder seine unorthodoxen Methoden – die er selbst als »pragmatisch« bezeichnete – nicht im Entferntesten mit den schmutzigen Cops in Rampart gleich, die er verächtlich »Schlägertypen, die auf Schlägertypen mit Drogen losgehen« nannte. Und sie war sich ziemlich sicher, dass er gemeinsam mit einem oder mehreren Kollegen ähnliche »pragmatische« Lösungen auf andere Probleme anwandte, die sich den Möglichkeiten der Strafverfolgung entzogen.

Sie warf einen Blick zu Camerons RAV4 hinüber. Wo immer er stecken mochte – warum hatte er nicht seinen Wagen genommen? Ein keinesfalls abwegiger Grund für seine mangelnde Reaktion auf Walcotts Nachrichten und ihre eigenen konnte sein, dass er sich auf einer »pragmatischen« Mission befand und keinen identifizierbaren Wagen hatte nehmen wollen. Und irgendwas war dabei schiefgegangen.

Es war auch möglich, versuchte Kate sich zu beschwichtigen, dass es irgendwas mit seiner Familie zu tun hatte. Seine Polizeikarriere hatte in Victorville, seinem Heimatort, begonnen, und er hatte dort immer noch einen Kumpel beim Police Department, mit dem er manchmal campen ging – einen hageren, tiefgebräunten, wortkargen Typen, an den sie sich vage von einem Barbecue bei Joe im Garten erinnerte und den er schlicht Dutch genannt hatte. Dutch schien der einzige verbliebene Freund in Victorville zu sein, und Joe hatte angedeutet, gute Gründe gehabt zu haben, die Wüstenstadt zu verlassen. Genauere Auskünfte hatte er nicht geben wollen, nicht einmal als Kate ihr Verhörgeschick hatte spielen lassen – seine Antworten blieben einsilbig und gingen über »öde« oder »keinen Grund zu bleiben« oder ein wegwerfendes Achselzucken nicht hinaus.

Falls er außer einem Bruder, zu dem er keine enge Beziehung zu haben schien, und einer Schwester, die nach ihrer Scheidung aus Phoenix nach Victorville zurückgekehrt war, noch weitere Familie hatte, so wusste Kate nichts davon. An die Namen seiner Geschwister erinnerte sie sich nur, weil sie so schlicht waren – es waren allesamt einsilbige Namen, die mit J begannen: Jack, Jean und Joe. Jean war die einzige Verwandte, die er mehr oder weniger regelmäßig erwähnte, und gewöhnlich schüttelte er bloß den Kopf darüber, dass seine Schwester ebenso wie er dazu neigte, Beziehungen einzugehen, die sich als ungut erwiesen. Von seinen Eltern sprach er kaum jemals, außer um festzustellen, dass er sie zu früh verloren hatte – eine Gemeinsamkeit, die er mit Kate teilte. Auf dem Kaminsims, zu dem die Putzfrau gegangen war, um sich das Foto von Cameron und ihr selbst anzusehen, stand ein formelles Porträt dieser Eltern, aufgenommen in ihren Vierzigern vermutlich, und ein weiteres von den Eltern mit ihren drei noch jungen Kindern Joe, Jack und Jean, die auf einer Felsformation herumkletterten, und dann noch eines von dem zwölfjährigen Joe, neben dem sein Vater kniete, einen Arm um ihn gelegt, vor einer rostfarbenen Hütte in der Wüste. Als Junge hatte Cameron davon geträumt, Geologe oder Paläontologe zu werden, erinnerte Kate sich.

Sie hatte ihn niemals im Zeichen ihrer Freundschaft mit seiner Zurückhaltung oder seinem ausweichenden Verhalten, was seine Familie und seinen Heimatort Victorville anging, konfrontiert, und jetzt überlegte sie, ob sie die Bezeichnung »Freundin« überhaupt verdiente, geschweige denn »enge Freundin«. Jetzt, wo es wirklich darauf ankommen mochte, hatte sie wenig, auf das sie zurückgreifen konnte.

Da war seine Ex-Frau Janine, die immer noch an der Polizeiakademie unterrichtete, aber schon seit fünf Jahren nicht mehr zu Camerons Leben gehörte. Kate war Janine anfangs mehrmals begegnet; sie hatte sie als sehr freundlich erlebt, wenngleich auf eine distanzierte Weise, und sie fand, dass man, wenn man die Camerons kennenlernte, sie leicht für Bruder und Schwester halten konnte. Kate bewunderte Janines kühles Nicole-Kidman-Gebaren, ihre hochgewachsene, biegsame Gestalt mit den kleinen Brüsten, das schwere dunkelgoldene Haar, das sie zu einem schlichten French Twist hochgesteckt hatte. Die Camerons waren kinderlos – aus freiem Willen, hatte Kate stets angenommen; sie hatte nie gehört, dass Joe den Wunsch hegte, Vater zu werden. Und sie hatte nie die erstaunlich abgeklärte Reaktion vergessen, als sie ihre Besorgnis wegen der Kinder geäußert hatte, die in den La Brea Tar Pits mit dem Anblick der Leiche des ermordeten Herman Layton konfrontiert gewesen waren: »Ein toter Fremder ist für Kinder ein schmerzloser Weg, der Realität des Todes zu begegnen.« Eine der vielen rätselhaften Reaktionen, von denen sie im Nachhinein wünschte, sie hätte sie näher ergründet.

Die Camerons waren vierzehn Jahre verheiratet gewesen, als Joe entdeckte, dass Janine seit sechs Jahren eine Affäre mit einem Lehrerkollegen an der Polizeiakademie hatte. Er war vor Wut außer sich gewesen – weniger wegen Janines Untreue an sich (er selbst hatte ein, zwei Affären gehabt, hatte er Kate betrunken gestanden), als vielmehr wegen der Tatsache, dass sie ihn über viele Jahre lang komplett hintergangen hatte. »Ich bin ein Cop – ein gottverdammter Ermittler!«, hatte er in der Bar getobt, in die sie ihn begleitet hatte, um sich in schwesterlicher Solidarität mit ihm zu besaufen. Am Ende jenes Abends waren sie so sternhagelvoll gewesen, dass der Barkeeper Aimee angerufen hatte, damit sie die beiden abholte.

Sie wusste außerdem, dass Cameron in der Abteilung Gewaltprävention und Opferschutz des LAPD gewesen war, allerdings nur für »ein, zwei Minuten«, wie Joe es genannt hatte, weil er sich dort wie ein Berater vorgekommen war, nicht wie ein Cop. Und weil die Opfer diejenigen waren, die ihr Leben wie im Knast verbrachten, während die Täter frei herumliefen, weil Leben und Träume der Opfer zerstört waren, während sich die Männer, die glaubten, diese Frauen gehörten ihnen, jede Menge Rechtfertigungen einfallen ließen, um die Frauen zu terrorisieren.

Als Kate aufblickte, stellte sie überrascht fest, dass das Auto von Marvel Maids verschwunden war. Sie war so tief in ihre Rückschau versunken gewesen, dass sie das nicht mitbekommen hatte.

Sie startete den Motor und ließ den Wagen hügelab rollen, um neben Joes RAV4 zu parken. Besser, man hielt sie für eine Besucherin als für eine Einbrecherin.

Sobald sie Camerons Grundstück erneut betreten hatte, überprüfte sie als Erstes den Briefkasten – leer. Dann verschaffte sie sich Einlass durch die Hintertür. Sie zog den Klebestreifen ab und ließ den Riegel schnappen; den zusammengeknüllten Klebestreifen steckte sie in die Tasche. Sie straffte die Schultern, holte tief Luft und betrat das Haus.

Sie und Cameron hatten gemeinsam viele Hausdurchsuchungen durchgeführt, aber diese fühlte sich seltsam an, sehr seltsam und eindeutig falsch. Sie war im Begriff, in das Haus und das Privatleben ihres ehemaligen Partners einzudringen, und zwar ohne sein Wissen und ohne etwas, das auch nur im Entferntesten nach einem plausiblen Grund aussah. »Nun bring’s schon hinter dich«, murmelte sie. »Tu’s für Joe.«

Sie zog ihr Notizbuch und den Stift aus einer Tasche ihrer Cargohose und beschloss, es bei einem einfachen Rundgang zu belassen; sie würde bloß überprüfen, ob irgendetwas anders war im Vergleich zu früheren Besuchen. Zu dumm, dass die Marvel Maids hiergewesen waren und möglicherweise etwas weggeputzt oder fortgeräumt hatten, das hätte wichtig sein können. »Es ist kein Tatort, verdammt noch mal«, schalt sie sich selbst.

Und wenn doch?, kam die ungebetene Gegenfrage.

Das Haus war recht klein, knapp achtzig Quadratmeter, und Cameron hatte sich, wie sie wusste, finanziell strecken müssen, um es sich leisten zu können. In dem kleinen Wohnzimmer mit dem Flokati befanden sich ein hellbraunes Wildledersofa, ein dazu passender Sessel, ein Couchtisch mit zwei Etagen, auf der unteren stapelten sich Zeitschriften, sowie eine Stehlampe. Niedrige Buchregale, auf denen überwiegend Taschenbücher standen, säumten die eine Wand; darüber hingen Gemälde und Fotos von Wüstenlandschaften. Der Kamin mit den Fotos auf dem Sims beherrschte das Zimmer. Sie hatte nie ein Feuer darin brennen sehen, und das Arrangement von abstrakten Skulpturen davor bewies, dass er nur dekorativen Zwecken diente.

Kate dachte daran, wie oft sie die kriminaltechnischen Fotografinnen und Videofilmer angewiesen hatte, das für sie zu erledigen – sie holte ihr Handy hervor und machte Aufnahmen des Raumes aus verschiedenen Perspektiven. Sie zog die Zeitschriftenstapel unter dem Tisch hervor und betrachtete jedes Cover von Sports Illustrated, GQ, Esquire, Maxim und Newsweek. Nachdem sie sich Notizen gemacht hatte, legte sie sie exakt so zurück, wie sie sie vorgefunden hatte.

Im Essbereich hielt sie sich nur kurz auf, um ein Foto zu machen. Dort befanden sich ein Tisch aus Ahornholz mit einer ausziehbaren Platte und sechs Stühle. Einige weitere Bilder hingen an der Wand – noch mehr Wüstenimpressionen.

Die Küche, durch den Frühstückstresen mit seinen drei Barhockern vom Essbereich getrennt, war u-förmig; ein ausgetüfteltes kompaktes Design, aber bei zwei Menschen schon überfüllt. Nicht dass Cameron jemals einen weiteren Menschen in seiner kostbaren Küche hätte haben wollen. Nach seinem Einzug hatte er das wenige Geld, das er noch besaß, für die Renovierung der Küche ausgegeben. Die Schränke waren hochglanzweiß, die Armaturen verchromt, die Arbeitsflächen aus perlgrauem Granit. Alles glänzte dank der Bemühungen der Marvel Maid.

Kate öffnete den Kühlschrank. Die Fächer und die Tür enthielten ein Sortiment an Würzmitteln und haltbaren Lebensmitteln – Erdnussbutter, Marmelade und Margarine, Mayonnaise und Senf, Oliven, Sojasauce, Tapenade und Salatdressing –, dazu eine Dose gemahlenen Kaffee, zwei Flaschen Weißwein und ein paar Dosen Rolling Rock Bier und Club Soda. Im Deli-Schubfach befanden sich fein säuberlich arrangiert abgepacktes Putenfleisch, Schinken und verschiedener Käse sowie ein Pfund Speck. In den Gefrierfächern gab es ein halbes Dutzend Packungen tiefgekühltes Gemüse und Suppen, Hamburger-Brötchen, Meeresfrüchte, Putenhack und Hühnerteile, Himbeersorbet und eine Flasche Kamtschatka-Wodka.

Kate fotografierte alles, machte sich Notizen und inspizierte als Nächstes die Schränke, um Geschirr, Töpfe und Pfannen zu überprüfen. Dann öffnete sie die Tür zur Vorratskammer und machte dort eine Bestandsaufnahme: Cerealien, Konserven, Reis und Pasta, Cracker, Gläser mit Pistazien und Mandeln. Wieder fotografierte sie alles, notierte sich ein paar Dinge.

Auf dem Korkboden des zweiten Schlafzimmers, das in ein zusätzliches Wohnzimmer verwandelt worden war, befanden sich ein paar Trainingsgeräte, darunter einige Hanteln und ein Laufband. Camerons uralter Dell-Computer stand auf dem kleinen Schreibtisch mit der lederbezogenen Platte, den er von Steve Henderson aus dem Einbruchdezernat übernommen hatte, als der nach Dallas gezogen war. Oben auf dem Aktenschrank hinter dem Schreibtisch lag die Akte des Mordfalls Tamara Carter, die Cameron illegal für sich kopiert hatte. Kate machte ein Foto, notierte sich ein paar Dinge.

Sie ging weiter zum Badezimmer. Alle Oberflächen blitzten vor Sauberkeit, der makellose Raum roch nach Putzmittel. Sie öffnete Schubladen und das Schränkchen unter dem Waschbecken, dann das Medizinschränkchen. Sie inspizierte seinen Inhalt, machte ein Foto, notierte sich ein paar Dinge.

Camerons Schlafzimmer, den persönlichsten Raum in seinem Haus wie in jedem anderen, hatte sie sich bewusst bis zum Schluss aufgehoben. Sie hatte es nur ein Mal gesehen, und zwar bei ihrem ersten Besuch, als er ihr stolz gezeigt hatte, was er sich gekauft hatte, nachdem die finanziellen Aspekte seiner Scheidung geregelt gewesen waren.

Bei den meisten der Hausdurchsuchungen im Laufe ihrer Karriere waren entscheidende Beweise in den Schlafzimmern zutage gekommen – in den Räumen, in denen die Menschen ihre persönlichste und oftmals bösartigste Seite zum Ausdruck brachten. Doch nie zuvor hatte sie sich bei einer Durchsuchung moralisch derart im Unrecht gefühlt. Das hier war mehr als bloßes Eindringen in die Privatsphäre eines Freundes. Es war ein Übergriff. Ein neuerlicher Missbrauch des Vertrauens, das Cameron ihr entgegenbrachte.

Wieder straffte sie die Schultern. Sie ließ den Blick von der Tür aus durch den Raum schweifen. Nichts erschien ihr anders als das, was sie drei Jahre zuvor gesehen hatte: das Kingsize-Bett, dem gegenüber die Kommode mit dem alten Panasonic-Fernseher. Dann ging sie direkt zu dem einen Nachtschrank hinüber. Es war leicht zu erraten, welchen Cameron benutzte: Auf dem hier stand der Radiowecker, und seitlich am Kopfende des Bettes war eine Leselampe angebracht.

Sie öffnete die Schublade, musterte den Inhalt, ohne etwas anzufassen, dann machte sie ein Foto und schloss sie wieder. Sie überprüfte auch den zweiten Nachtschrank und warf einen Blick in die Schubladen der Kommode. Sie enthielten nichts, was sie nicht erwartet hätte, Boxershorts und Socken, Sweatshirts und T-Shirts und ein paar Pullover.

Sie ging wieder zum Bett, schlug die braune Steppdecke zurück, kniete sich hin, hob die Matratze an und spähte darunter, bewegte sich auf den Knien um das Bett herum und schaute überall nach. Dann zog sie die Bettdecke wieder zurück und strich sie so glatt, wie sie sie vorgefunden hatte.

Als Nächstes ging sie zu dem begehbaren Schrank und schaute hinein. Sie hielt inne und holte tief Luft, ballte die Hände zu Fäusten. Mit einigen dieser Anzüge und Jacken, die dort hingen, war sie dermaßen vertraut, dass es beinahe war, als wäre Joe Cameron dort bei ihr in dem Raum. Sie nahm sogar einen leichten Duft nach Sandelholz wahr – ein Duft, den Joe manchmal benutzte.

»Joe, ich hoffe, dir geht’s gut, du alter Blödmann«, murmelte sie.

Sie betrat den Kleiderschrank und inspizierte seine gesamte Kleidung, wobei sie darauf achtete, nichts von seinem Platz zu verrücken, und machte sich Notizen – sie registrierte Oberhemden, Freizeithemden und Polohemden, Stoffhosen und Jogginghosen, Jacketts und Blousons, zwei Reihen Schuhe. Es gab keine erkennbare Lücke zwischen den Bügeln und auch nicht in den Schuhreihen. Von der Tür aus machte sie mehrere Fotos.

Nun gab es nur noch eine Sache, die sie sich anschauen musste, und zwar im Garten. Sie ging hinaus und hob den Deckel des Grills. Der Rost war nicht gesäubert worden; verkohlte Reste von etwas, das nach Hackfleisch aussah, klebte an den Streben. Kein Schimmel. Sie schloss den Deckel wieder und kehrte ins Haus zurück.

Sie setzte sich auf einen der Barhocker an der Frühstückstheke, legte ihr Notizbuch vor sich, holte ihr Handy hervor und wählte eine einprogrammierte Nummer.

Der Anruf wurde beim ersten Klingeln entgegengenommen. »Sind Sie drinnen?«

Kate lächelte. »Bin ich, Captain.«

»Fangen Sie mit dem Fazit an.«

»Er ist fort, hat sich aber große Mühe gegeben, den Eindruck zu erwecken, es sei nicht so.«

Ein leichtes Seufzen, gefolgt von Schweigen. Dann sagte Walcott: »Erzählen Sie mir, wie Sie darauf kommen.«

Kate warf einen Blick auf ihre Notizen. »Es liegt keine Post hier. Er hat fünf Zeitschriften-Abos, und die letzten Ausgaben der wöchentlich erscheinenden Magazine sind vierzehn Tage alt. Also wird seine Post im Postamt gelagert. Sein Kühlschrank enthält eine Menge Lebensmittel, aber alles, was nicht in Tuben, Dosen oder Gläsern ist, ist abgepackt oder haltbar oder tiefgefroren. Joe isst zu jeder Mahlzeit außer dem Frühstück Salat. Es gibt nicht das kleinste Blatt Salat hier, nichts, das verderben könnte. Seine Vorratskammer enthält nur haltbare Nahrungsmittel. Sein Grill ist nicht saubergemacht worden – das muss für den pingeligen Joe das Schwerste gewesen sein: ihn so zu lassen. Er nimmt ein cholesterinsenkendes Medikament, Lipitor, glaube ich – das fehlt in seinem Medizinschränkchen. Sein Computer ist hier, aber sein Acer Netbook nicht –«

»Das ist der Grund, warum ich wollte, dass Sie das übernehmen, Kate«, unterbrach Walcott sie. »Ich vermisse Sie, Detective Delafield.«

Kate lächelte. »Ich Sie ebenfalls, Captain. Er hat sich sehr bemüht, seinen Kleiderschrank so erscheinen zu lassen, als hätte er keinerlei Kleidung und auch keine Schuhe mitgenommen, und jemand, der ihn nicht gut kennt, könnte das durchaus glauben. Seine Koffer sind hier, aber sein Rucksack fehlt. Er mag Jeans mit hinten aufgesetzten Taschen, und die mit den knöpfbaren Klappen auf den Taschen ist hier, aber die mit den Reißverschlüssen fehlt –«

»Könnte es nicht sein, dass er sie trägt?«

»Könnte sein. Aber dann würde er nicht die schwarze Trainingshose tragen. Oder die Dockers. Oder drei Paar Shorts. Er könnte seine Nikes anhaben, aber seine Stiefel und seine Sandalen fehlen.«

»Seine Sandalen?«

»Seine Sandalen.«

»Ist Joe womöglich ans andere Ufer gewechselt?« Ein Lächeln lag in Walcotts Stimme.

Kate gluckste. »Nie im Leben. Er ist stockhetero.«

»Kate, was ist mit seiner Dienstwaffe?«

»Ist nicht hier.« Sie erwähnte nicht, dass seine zweite Waffe ebenfalls nicht da war, jedenfalls nicht in seinem Nachtschrank – dem Ort, an dem die meisten Cops, sie selbst eingeschlossen, ihre persönlichen Waffen aufbewahrten. Interessant, dass Walcott von ›Waffe‹ gesprochen hatte, nicht von ›Waffen‹.

»Captain, Sie müssen ein paar Dinge tun, um mir beim nächsten Schritt zu helfen.«

»Als da wären?«

»Ich bin gestern Abend die Fälle durchgegangen, die wir zusammen bearbeitet haben, bin aber nicht fündig geworden. Aber wenn Sie mal wie beiläufig mit Rasmussen sprechen könnten – vielleicht hat Joe irgendjemanden erwähnt, der im Zusammenhang mit einem alten Fall wieder aufgetaucht oder auf Bewährung rausgekommen ist …«

»Kein Problem.«

Sie wollte nur auf Nummer Sicher gehen. Sie glaubte nicht, dass aus dieser Ecke irgendein hilfreicher Hinweis auftauchen würde. Wenn jemand auf der Bildfläche erschienen war, der es auf Cameron abgesehen hatte, dann eher im Zusammenhang mit einer seiner pragmatischen Eskapaden nach Dienstschluss.

»Seine Ex-Frau können wir nicht befragen. Mit ihr hat er nicht mehr das Geringste zu tun, und sie gehört zum LAPD und hält vielleicht nicht den Mund.«

»Was ist mit Freunden außerhalb der Polizei? Mit seiner Familie?«

»Joes Familie lebt in Victorville. Ein Bruder – Jack. Seine Schwester heißt Jean. Ich habe heute früh im Internet nach Telefonnummern oder sonstigen Angaben gesucht, aber ohne Erfolg. Vielleicht findet sich etwas in Joes Personalakte.«

»Können Sie nicht noch mehr –«

»Captain, ich habe Joes Haus so gründlich durchsucht, wie ich es mit meinem Gewissen vereinbaren kann. Bis auf Weiteres zumindest. Ich werde es so verlassen, dass ich mir wieder Zutritt verschaffen kann, wenn es nötig sein sollte. Aber wenn es eine vernünftige Erklärung für die ganze Sache gibt … Ich bin mit Joe befreundet, und er wird mir nie –«

»Ich verstehe«, fiel Walcott ihr kurzerhand ins Wort. »Jack, Jean«, wiederholte sie. »Ich werde die Namen durch DMV und AutoTrack laufen lassen. Bei derart verbreiteten Namen werden wir mehr als nur ein paar Treffer landen. Aber Victorville ist ja ein eher kleiner Ort.«

»Prima. Jean ist aus Phoenix dorthin zurückgekehrt – das könnte helfen, sie aufzuspüren.«

»Freunde?«

»Etliche fielen weg, als seine Ehe zu Ende war. Aber es gibt einen Kumpel, mit dem er campen geht …«

»Campen? Unser Joe?«

Kate lächelte. »Erster Klasse, da bin ich sicher. Er liebt die Wüste. Das ist der einzige Ort, wo er je hinfährt. Death Valley, Joshua Tree.«

»Aber doch wohl nicht um diese Jahreszeit.«

Kate zuckte die Achseln. »Mai ist vielleicht ein bisschen spät im Jahr, aber nicht für jemanden, der die Wüste wirklich liebt. Ansonsten hängt er ziemlich viel mit anderen Cops rum, wie die meisten von uns. Von weiteren engen Freunden weiß ich nichts.«

»Außer Ihnen selbst.«

»Richtig.« Sie hatte nicht die leiseste Absicht, mehr zu erzählen, geschweige denn auch nur anzudeuten, dass sie überzeugt war, dass er mit Cops aus anderen Dienststellen, vielleicht von Devonshire, seine heimlichen »pragmatischen« Polizeieinsätze fortsetzte.

Kate hatte wie Walcott daran gedacht, die Namen durch AutoTrack laufen zu lassen, eine Methode, Adressen via Telefongesellschaften und anderen Versorgungsunternehmen aufzuspüren, parallel zu der Datenbank von DMV, der Kraftfahrzeugzulassungsstelle. Sie sagte zu Walcott: »Wenn Sie sich an AutoTrack setzen, können Sie dann noch einen weiteren Namen durchlaufen lassen?«

»Und der wäre?«

»Jonathan Philip Souza. Wie John Philip Sousa, nur mit Z statt mit S.«

»Jonathan Philip Souza«, wiederholte Walcott. »Und was zum Teufel hat der mit der Sache zu tun?«

Kate grinste. »Nichts. Sagen wir, eine Hand wäscht die andere.«

»Na schön. Ich vertraue darauf, dass keine niederen Beweggründe dahinterstecken.«

»Ganz im Gegenteil. Ich weiß es zu schätzen, Captain.«

»Kate, ich habe, was diese Sache mit Joe angeht, ein ganz ungutes Gefühl. Was für eine Atmosphäre nehmen Sie dort im Haus wahr?«

»Ich bin mir nicht sicher«, antwortete Kate ehrlich. »Vielleicht gibt es einen Grund für all das, und vielleicht ist alles in bester Ordnung. Aber lassen Sie mich zusehen, was ich sonst noch herausfinden kann. Und gehen wir so zügig wie möglich vor.«

»Ich rufe Sie wieder an.« Walcott legte auf.

Wüstenfeuer

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