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Kapitel 1 Unverhofft kommt oft

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06. Januar 2017, Dortmund Aplerbeck, 16:30 Uhr

Kathrin hetzte durch den überfüllten Flughafen. Ihr Trolley schlingerte, aber sie konnte ihn abfangen gerade noch. Knapp hinter ihr vernahm sie die polternden Schritte ihrer Töchter.

„Mama!“, klagte die Ältere, die trotz ihrer zehn Jahre durchaus im Wehklagen mit der zwei Jahre jüngeren Schwester mithalten konnte. „Ich kann nicht mehr halten!“

Der Flug hatte nur eine Stunde gedauert, wie immer. Sie hatte beiden vor dem Boarding mehrfach gesagt, wenn sie auf die Toilette müssten, wäre dies nun der passende Zeitpunkt. Sie hatten die Augen verdreht und unisono bekräftigt, sie müssten gar nicht. Auch während des Fluges waren sie mit ihren Comics beschäftigt gewesen und dann, als das Anschnallzeichen soeben beleuchtet wurde, begann Franziska auf ihrem Sitz herumzurutschen. Sie müsse dringend. Kathrin hatte sie einen Moment recht fassungslos angestarrt, wissend, dass in den nächsten zwanzig Minuten sicherlich keine Toilette in erreichbarer Nähe war. Franzi hatte tapfer eingehalten, das Pippi, nicht die Wiederholung ihres Bedürfnisses inklusive haarsträubender Möglichkeiten, wo und wie sie ihre Blase entleeren könnte. Leider war die Boardtoilette auch für bedürftige Zehnjährige nicht mehr zur Benutzung freigegeben, Franziska ein Mädchen und dadurch nicht prädestiniert, in Flaschen zu pinkeln und der Schlüpfer seit Jahren nicht mehr durch eine Windel doppelt abgesichert. Zu allem Überfluss verzögerte sich die Landung, und so rannten die drei schließlich durch den Flughafen, um ein böses Malheur abzuwenden.

Kathrin sah sich panisch um. Sie hatten die Koffer noch nicht und brauchten händeringend eine Toilette, damit Franzi nicht peinlich eingepinkelt herumstehen musste. Am Ende des Gangs leuchtete die Anzeige, die sie bereits verzweifelt herbeisehnte. Sie streckte die Hand aus. „Dort! Lass den Koffer fallen und lauf los. Wir kommen sofort nach!“

Franziska musste nicht zwei Mal gebeten werden, was durchaus ein Novum war. Ihr Schalenkoffer landete klackernd auf dem Boden, und ihre viel zu großen Füße trabten über den eingegrauten Linoleumboden. Kathrin hob den Griff auf und keuchte dabei. Dass es auch nicht einen Flug gab, der einigermaßen reibungslos verlief!

„Was ist, Spätzchen?“, fragte sie die jüngere Tochter Amy. „Musst du auch?“ Zwar hatte sie bereits drei Mal gesagt, sie müsse nicht, aber wenn sie erst einmal den Flughafen verlassen hatten, kämen sie weitere neunzig Minuten nicht in die Nähe einer Toilette. Sicher war sicher!

Amy sah mit ihren großen Augen zu ihr auf und schüttelte den Kopf. „Aber ich habe Hunger.“ Obwohl sie während des Flugs ein Sandwich verspeist hatte, eine Packung Chips und die Hälfte von Kathrins Blaubeermuffin obendrein.

„Ich schau gleich mal, wo wir was essen, okay?“

Amy nickte, und sie erreichten die Tür zu den Toiletten. Franziska benötigte gewohnt lang, der Reisekoffer war defekt und ließ sich nicht mehr ziehen, sie verpassten den Bus und dadurch den Anschlusszug und erreichten ihr trautes Heim, als es gerade dämmerte.

„Mama, ich habe Bauchweh!“, klagte Amy mit Tränen in den Augen. Ihr Ärmchen legte sich um ihre Mitte, und sie machte eine nahezu jämmerliche Miene.

Innerlich stöhnend fischte Kathrin nach den Schlüsseln in ihrer Handtasche und schloss die Haustür auf. „Wir sind ja Zuhause. Leg dich etwas hin und ruh dich aus. Ich bringe dir gleich einen Tee.“ Franzi stürmte vor, und Kathrin stolperte über ihren Trolley, einen Rüffel auf den Lippen, der sich nicht zurückhalten ließ. Immer, immer dasselbe Spiel! Auch Amy drängelte sich vor.

„Wie soll ich die Tür aufschließen, wenn ihr beide im Weg steht?“ Die übliche Frage.

„Franzi macht nie die Tür zu, immer muss ich das machen!“, beschwerte sich Amy sogleich, ließ den Griff ihres Koffers los und verschränkte die Arme vor der Brust. Die Unterlippe schob sich vor, und Tränen kullerten effektvoll über ihre vor Kälte geröteten Wangen.

„Das stimmt ja gar nicht!“, griff Franzi auf und warf ihren Koffer ebenso um. Kathrin ignorierte beide, schloss die Tür auf und gab ihr einen Schubs. Sie stakste über die am Boden liegenden Koffer und ließ Kind und Kegel einfach stehen. Eine Pause! Wasserlassen, Kaffee, fünf Minuten kein Geplärre der Kinder – BITTE!

Kathrin stockte. Ein eisiger Windstoß erfasste sie, und sie drehte sich zur Küche. Die Verandatür stand offen. Sie waren zwei Wochen fort gewesen, hatten die Jalousie herabgelassen und ganz sicher jede Tür und jedes Fenster versperrt. Hinter ihr schrie Amy auf. Kathrin drehte sich um, eine spitze Zurechtweisung auf den Lippen und erstarrte. Sie sah in ein paar dunkle Augen unter buschigen, schwarzen Brauen, in einem Gesicht eingerahmt von ebenso schwarzem Haar. Die Tür knallte zu und ließ Franziska draußen stehen. Oh, bitte Schatz, lauf weg, flehte Kathrin im Stillen und wusste, dass es nicht so käme. Franzi bollerte gegen die Tür.

„Mama! Amy hat mich ausgesperrt!“

Kathrin schloss die Lider. Nicht ihre Babys!

Ein Zerren an ihrem Arm ließ sie die Augen wieder öffnen. Der Typ riss an ihrer Handtasche. Sie ließ los und hob die Hände. „Nehmen Sie mit, was Sie wollen, aber lassen Sie bitte mein Kind los.“

Amy bekam einen Schubs und landete vor ihr auf den kalten Fliesen, bevor Kathrin reagieren konnte. Der Typ sprang zur Tür, lief Franziska über den Haufen und verschwand mit der Handtasche. Ein Motor sprang an.

Amy heulte, Franziska klagte, und Kathrin stand wie angewachsen in dem Durcheinander. Das war doch mal eine außergewöhnlich beschissene Heimkehr.

06. Januar 2017, Dortmund-Eving, 18:35 Uhr

Kathrin saß auf den kalten Fliesen, die Mädchen neben sich und von dem Aufgebot der Polizei überrollt. Sie hatte ins Wohnzimmer gehen müssen, um zu telefonieren, und hatte dabei bemerkt, dass einiges nicht an seinem Platz stand. Ihr Mac fehlte, der Fernseher und die Spielekonsole, soweit sie es auf dem ersten Blick feststellen konnte. Ihre Gedanken kreisten um die Sparbücher und den Notgroschen in der Geldkassette.

„Mami, mir ist kalt.“

Kathrin nahm Amy in den Arm und rieb über ihren Rücken. „Wir haben im Keller noch die Schlafsäcke, was meint ihr, wollt ihr die holen?“

Franziska stand sofort auf und griff nach der Hand der kleinen Schwester. Keine von ihnen ging notwendigerweise allein irgendwohin, und sei es auf die Toilette. Kathrin sah ihnen nach und legte dann das Gesicht in die Hände, als die beiden um die Ecke gebogen waren. Sie war fertig. Schlicht und einfach fertig.

Ein Räuspern schreckte sie auf. Sie hob das Gesicht und blinzelte. Wäre sie nicht so verblüfft von dem Anblick, hätte sie wohl gepfiffen.

„Verzeihung, Sie sind Frau Ranke, nicht wahr?“ Er deutete zur offenen Wohnungstür. „Sie wohnen hier?“

Kathrin nickte sprachlos. Hübsches Kerlchen, schoss es ihr durch den Kopf. Ihre Augen weiteten sich, und der Drang zu pfeifen nahm zu. Er hatte sie schon mit seinen blauen Augen gehabt, so intensiv, wie sie strahlten, besonders in der ungewöhnlichen Kombination mit dem dunklen Haar. Dann diese weiche, dunkel Stimme, die einem mit jedem Wort einen Schauer über den Leib schickte. Nicht pfeifen, mahnte sie sich schnell. Du bist Mutter, du bist erwachsen, und du bist gerade ausgeraubt worden!

Sie bekam kein Wort über die Lippen und nickte schnell.

„Sehr gut. Können wir uns unterhalten?“ Er verengte die Augen, wodurch seine langen Wimpern hübsch zur Geltung kamen. Sie stieß den Atem aus. Unterhalten wir uns! Sie nickte erneut. Er sah sich um.

„Tja.“ Er sah die Stufen hoch. „Ist nicht der beste Ort, aber wir sollten die Spurensicherung nicht stören, damit sie so schnell wie möglich …“ Er unterbrach sich, als sich Getrappel näherte. Amy schoss um die Ecke, ihren Prinzessinnenschlafsack hinter sich herziehend, und warf sich Kathrin in die Arme. An ihre Brust gekuschelt, sah die Achtjährige nicht einmal halb so beeindruckt wie Kathrin selbst zu dem Mann auf.

„Oh. Ihre Tochter?“

Kathrin nickte, auch wenn es ihr langsam peinlich wurde.

„Kann Ihr Mann sich kurz um sie kümmern?“

Sie schüttelte den Kopf. Amy krabbelte auf ihren Schoß und umarmte sie fest. Kathrin befeuchtete sich die Lippen. „Tot.“

„Oh.“ Er räusperte sich. „Mein Beileid.“

„Danke“, krächzte sie. Amy verstellte ihr den Blick.

„Wir bräuchten einen Moment allein. Meinen Sie …“ Er sah zur Tür hinaus. Es war Januar und trotz des frühen Abends bereits stockduster. „Tja.“

„Wer ist das?“, fragte Franzi aggressiv und drängte sich an ihm vorbei, um sich wieder neben sie zu setzen.

„Oh.“ Er musterte Franziska. „Hallo. Ich bin Kommissar Geiger. Ich wollte mit deiner Mama und euch beiden über den Überfall sprechen.“ Er runzelte die Stirn. „Aber ich bekomme den Eindruck, dass es hier nicht der passende Ort dafür ist.“

„Wie lange werden wir noch hier sitzen müssen?“ Die Worte bereiteten ihr einige Mühe, obwohl es leichter war, etwas zu äußern, wenn sie ihn nicht direkt ansah. Sie hob den Blick.

Seine Aufmerksamkeit driftete zur Wohnung. Da er stand, hatte er einen guten Überblick über drei der Räume: das große Kinderzimmer, das Wohnzimmer und die Küche, obwohl er natürlich nicht den jeweils ganzen Raum übersehen konnte.

„Tja. Daraus wird wohl erst einmal nichts.“ Er sah von Franziska zu Amy und dann Kathrin in die Augen. „Wie sieht es aus? Sind die Damen hungrig?“

Amy drehte sich auf ihrem Schoß. Für Essen war sie immer zu haben. „Ja!“

Franziska verengte ihre rehbraunen Augen, sie war deutlich skeptischer und presste die Lippen aufeinander. Ihre rechte Schulter hob sich, was so viel wie eine Zustimmung bedeutete, wenn sie in schlechter Stimmung badete. Kathrin stöhnte unterdrückt. Jetzt musste sie auch noch einen ganzen Satz mit Sinn und Verstand über die Lippen bringen!

„Äh.“ So wurde das nichts. „Ich … Äh.“ Und sie hatte gedacht, der peinlichste Teil des Tages wäre der gewesen, an dem sich Franzi beinahe einnässte! „Meine Tasche …“ Einatmen, ausatmen, Satz beenden. „Ist gestohlen worden.“

Seine Lippen bogen sich zu einem warmen Lächeln, das sogleich die Kälte aus ihrem Inneren vertrieb. „Natürlich. Ich lade Sie ein.“

Kathrin starrte ihn an, blinzelte und starrte weiter. Kommissar Geiger streckte die Hand nach Franziska aus. „Darf ich beim Aufstehen behilflich sein?“

Franziska erhob sich demonstrativ ohne Hilfe. Amy drehte sich auf Kathrins Schoß und ergriff die Hand des Polizisten. Sie rutschte von ihrem Schoß, und Kathrin sprang schnell selbst auf. „Das ist freundlich von Ihnen“, haspelte sie schnell. „Aber das kann ich unmöglich …“

„Die Spurensicherung ist sicherlich noch ein oder zwei Stunden beschäftigt. Sie wollen die Kinder doch nicht so lange im Flur bespaßen. Hungrig.“

Kathrin klappte den Mund zu. Das hörte sich tatsächlich ziemlich daneben an. „Danke“, murmelte sie und schob Franzi vor sich aus dem Haus.

„Also gut, ich weiß auch schon, wo wir hinfahren werden.“

„Hinfahren?“, griff Kathrin erschrocken auf und stoppte. Geiger sah an Franzi herab.

„Du bist sicherlich ein großes Mädchen, dreizehn? Vierzehn?“

Franziska hob stolz das Kinn. Ein Grinsen bezeugte, dass sich ihre Laune schlagartig gebessert hatte.

„Auf jedem Fall bist du größer als 1,40 Meter und brauchst keinen Kindersitz mehr.“ Geiger wechselte das Kind, und ein Runzeln flog über seine Stirn. „Tja, die junge Dame jedoch … braucht noch ihren Thron.“

„Ich habe einen Sitz im Keller.“ Kathrin deutete zurück zur offenen Haustür. „Ich hole ihn schnell.“ Sie stolperte in ihrer Hast fast die Treppe hinunter.

6. Januar 2017, Dortmund-Barop, Memorize , 19:45 Uhr

Kathrin sah den Mädchen nach. Es gab ein Spielzimmer in dem Restaurant, das Kommissar Geiger ausgewählt hatte, und dorthin verschwanden die beiden nur zu bereitwillig. Sie selbst blieb nervös in seiner Gesellschaft zurück. Er schob seinen Teller zur Seite und fischte in seiner Jacke nach einem Block.

„Wir sollten die Zeit nutzen“, schlug er vor. „Wenn es Ihnen recht ist.“ Seine Augen hielten ihre gefangen, und so ließ die Zustimmung auf sich warten. „Natürlich können Sie morgen auch auf die Wache kommen, wenn es Ihnen lieber ist, allerdings …“ Er zuckte die Achseln. „Jetzt ist alles noch frisch in Ihrer Erinnerung.“

Kathrin nickte. „Gern.“ Eine Braue hob sich, konnte ihre Zustimmung doch alles bedeuten. Sie räusperte sich. „Fangen wir an. Amy und Franzi werden nicht lange beschäftigt sein.“

Er klickte mit dem Kugelschreiber. „Dann sollten wir uns auf das Wichtige konzentrieren.“ Er machte einen Strich über die aufgeschlagene Seite. „Sie haben den Einbrecher gestellt, nicht wahr?“

Sie nickte zögernd, weil sie es so nicht formuliert hätte. Sie war ihm wohl eher in die Arme gelaufen.

„Können Sie ihn beschreiben?“

Sie senkte den Blick auf die Plastikpflanze zwischen ihnen und konzentrierte sich auf die Erinnerung. „Ja. Er hatte schwarze Augen.“

„Schwarz?“

„So dunkel, dass sie schwarz erschienen. Schwarze Haare. Länger, aber nicht frisiert. Schwarze Brauen. Er war dunkel. Ganz dunkel.“

„Wie groß?“

Sie runzelte angestrengt die Stirn. Amy vor ihrem inneren Auge, wie der Einbrecher sie vom Boden gehoben hatte. Amy war 1,31 Meter groß, der Einbrecher war einen Kopf größer gewesen und hatte sie vielleicht zehn Zentimeter vom Boden hochgenommen. Außerdem hatte sie ihm direkt in die Augen sehen können. „So groß wie ich? So 1,70 oder vielleicht auch 1,80 Meter.“

Geiger notierte es sich. „Alter?“

Katrin pfiff.

„Ungefähr? Eher jung oder eher alt?“

„Jung. Wohl jünger als ich. Vielleicht in den Zwanzigern?“ Sie hob die Achseln. „Tut mir leid, ich bin ziemlich schlecht im Einschätzen des Alters.“ Sie verzog zerknirscht das Gesicht. „Entschuldigung.“

„Was trug er?“

Sie schnaubte, sich wieder auf die Erinnerung besinnend. Der Moment, als sie sich umdrehte … „Bluejeans. Schwarze Jacke und feste Schuhe. So Arbeitsschuhe, auch dunkel.“

„Gab es irgendetwas Auffälliges? Tattoos, Schmuck, so etwas?“

Langsam schüttelte sie den Kopf. „Nein. Ich habe nichts gesehen. Es tut mir leid.“

Er lächelte warm. „Schon gut, machen Sie sich darüber keinen Kopf. Es sind Standardfragen. Sie kannten ihn nicht? Noch nie gesehen?“

Kathrin riss die Augen auf. „Nein.“

Er nickte, notierte es sich und legte den Stift zur Seite. „Eine Pause? Wie wäre es mit Nachtisch?“

Kathrin wurde ganz warm im Bauch. Ihre Fantasie jagte los. Sie wusste genau, was sie gerne vernascht hätte …

09. Januar 2017, Polizeipräsidium am Wall, Dortmund-City

Kathrin klickte sich durch das Verbrecheralbum. Sie hatte am Morgen bereits ein Phantombild erstellen sollen, aber es passte irgendwie nicht. Der Beamte hatte die Geduld verloren und sie vor dem Computer abgesetzt. Nun betrachtete sie bereits seit gefühlten Stunden gleichaussehende Männer. Sie ließ die Hand vom Tisch rutschen, frustriert durch die Eintönigkeit der Aufgabe und den ausbleibenden Erfolg derselben. Sie hatte das Gefühl, dass das Programm in Schleife lief und sie tatsächlich immer dieselben Bilder vorgesetzt bekam. Sie sah auf und schreckte sogleich in aufrechte Haltung. Geiger lehnte am Türrahmen.

„Ich wollte Sie nicht erschrecken.“

Kathrin befeuchtete sich die Lippen und zwängte sie dann in einen Bogen. Die Finger wischte sie an ihrer Jeans ab. „Haben Sie nicht.“

Er schmunzelte, beließ es aber dabei. „Sie kommen nicht weiter?“

Sie seufzte. „Sie sehen alle gleich aus“, gestand sie. „Und irgendetwas passt nicht.“

Er stieß sich von dem Rahmen ab und kam zu ihr. „Dunkelhaarig ist kein besonders einengendes Kriterium. Und dunkle Augen keine ungewöhnliche Kombination. Ich fürchte, dies wird Sie länger in Anspruch nehmen, wenn wir keine weiteren Anhaltspunkte finden, die die Suche weiter eingrenzen.“

Kathrin biss sich auf die Lippe.

„Raus damit“, bat er sanft.

„Er könnte Ausländer sein.“ Sie zuckte die Achseln. „Es war dunkel im Flur, ich bin mir da nicht sicher, und er hat ja auch nichts gesagt.“ Sie hätte den Mund halten sollen, jetzt klang sie doch wie ein Rassist.

Er beugte sich vor und griff nach der Maus, um das Programm zu beenden und die Suchparameter neu einzustellen. Sie beobachtete ihn dabei. Von der Seite erschienen seine Wimpern noch viel länger und die Augen noch kristallblauer. Und er roch verdammt gut. Sie erwischte sich dabei, wie sie sich ihm entgegenbeugte, und zog sich schnell wieder zurück. Sie sah angestrengt in die andere Richtung.

„So. Vielleicht haben wir jetzt mehr Glück“, murmelte er. „Ach, gibt es noch weitere Menschen, die in Ihrer Wohnung ein und ausgehen? Es wurden fünf verschiedene Sätze Abdrücke gefunden. Es wäre hilfreich, wenn man bekannte Spurenverursacher ausschließen könnte.“

Kathrin starrte ihn einmal mehr an. Ihr Hirn hing seinen Worten hinterher und brauchte unangenehm lang, bis die Information auch verarbeitet war. Zum Glück merkte er es nicht. „Ähm.“ Sie richtete ihren Blick schnell auf die Auswahl an Verbrechern auf dem Schirm. „Meine Schwägerin, mein Bruder und meine beste Freundin kommen mich besuchen. Oh und diverse Schulfreundinnen meiner Töchter natürlich.“

„Die eindeutig Kinderhänden zuzuordnenden Spuren werden außer Acht gelassen“, erklärte er weich. „Ich bräuchte Namen und Adressen von Bruder und Freundin.“

„Natürlich“, hauchte sie, ohne daran zu denken, besagte Adressen auch preiszugeben.

„Haben Sie sie im Kopf?“

„Oh.“ Sie riss sich zusammen und gab ihm die gewünschten Informationen. Sie benahm sich wie ein Mondkalb!

Er drehte das Handgelenk und sah auf seine Armbanduhr. „Hm. Seit wann sind Sie hier? Neun? Es ist gleich eins. Haben Sie keinen Appetit?“

„Eins? Oh je!“ Sie kramte schnell ihr Telefon aus der Tasche. „Ich muss kurz sehen, ob jemand die Mädchen abholen kann, sonst muss ich auf der Stelle los!“ Wer wusste schon, ob sie den Bus nicht bereits verpasst hatte und womöglich eine Stunde auf den nächsten warten müsste?

„Rufen Sie an.“ Er lehnte sich, die Arme vor der Brust verschränkend, an den Tisch mit dem Computer. Sie scrollte nach der Nummer ihrer Schwägerin und hob das Telefon zittrig ans Ohr. Seine Haltung betonte seine Körpermitte etwas zu deutlich, schließlich konnte sie die Schnalle seines Gürtels bereits besser beschreiben als den Einbrecher!

„Hi“, murmelte sie, als die Frau ihres Bruders abnahm. „Du, kannst du Amy und Franzi von der Schule abholen? Ich glaube, bei mir wird es eng, und ich möchte nicht, dass sie alleine Zuhause sind.“ Und womöglich wieder einem fremden Mann gegenüberstehen – in ihrem Zuhause, wo sie sich sicher fühlen sollten!

„Klar. Wann bist du zurück? Soll ich sie dann bringen oder holst du sie ab?“

„Bring sie bitte. Sechs Uhr? Das gibt mir genug Spielraum. Danke.“ Nach der Bestätigung legte sie auf.

„Sie brauchen trotzdem eine Pause.“

Ihn anzusehen, machte sie einmal mehr sprachlos. Um nicht wie ein Trottel zu wirken, nickte sie schnell. Er deutete mit dem Kopf zur Tür. „Kommen Sie. Um die Ecke gibt es erstklassige Baguettes.“

Es war ein Café, das sich in einer der Seitengassen der Stadt versteckte und trotzdem gut besucht war. Kathrin war beeindruckt von der Auswahl und ließ sich beraten. Geiger beharrte darauf, das Tablett zu tragen, und so setzte sie sich linkisch auf ihren Stuhl. Es war schon etwas aufreibend, obwohl es natürlich absolut nichts bedeutete. Er stellte den Kaffee und das Sandwich vor ihr ab und lehnte das Tablett unterm Tisch an die Wand.

„Die Mädchen haben sich beruhigt? Keine Alpträume?“, fragte er, Zucker in seinen Kaffee rührend. „Die Kleine muss ziemlich verängstigt gewesen sein.“

Sie nickte überrascht von der Frage. „Ja. Amy musste bei mir schlafen. Franzi hat es ganz gut weggesteckt.“

„Meine Nichte ist sieben. Bei ihnen ist noch nie jemand eingebrochen, trotzdem schafft sie nicht, eine ganze Nacht in ihrem eigenen Bett zu verbringen.“ Er biss in sein Baguette.

„Amy schläft auch lieber mit ihrer Schwester zusammen als alleine.“

„Nicht bei Ihnen?“

Kathrin zuckte die Achseln. „Bis vor Kurzem brauchte ich meinen Schlaf und Chris …“ Den Namen ihres verstorbenen Mannes auszusprechen, bewirkte eine unangenehme Heiserkeit. „Er mochte es nicht, wenn die Mädchen bei uns schliefen.“ Sie räusperte sich. „Ich habe es beibehalten. Aus Gewohnheit, denke ich.“ Sie zuckte die Achseln.

„Darf ich fragen …“

Sie stopfte sich schnell das Sandwich in den Mund. Zumindest gewann sie einige Momente, bevor sie antworten musste. Sie kaute bedächtig und betrachtete dabei das Brot.

„Sie müssen nicht antworten, Frau Ranke, das wissen Sie, oder? Es ist eine persönliche Frage, keine ermittlungstechnisch relevante.“ Er versuchte, ihren Blick aufzufangen, und scheiterte. „Ihre Große, Franziska, sie geht so defensiv auf Männer zu. Sie hat Probleme in der Schule, oder?“

Kathrin seufzte schwer. „Ja. Sie ist wütend. Auf mich, auf Chris, eigentlich auf jeden in unmittelbarer Nähe.“ Sie biss wieder in ihr Sandwich, mit Franzis schulischen Ausrastern beschäftigt.

„Das geht vorüber“, versicherte Geiger und berührte ihre Finger. „Bleiben Sie stark.“

Kathrin versuchte zu lächeln, aber das eine, was ihr Schwierigkeiten bereitete, war, stark zu bleiben.

Liebe steht in den Sternen

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