Читать книгу Mailys' Entscheidung - Katie Volckx - Страница 4

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Seit einer Stunde leistete ich Hanna Gesellschaft. Die letzten Tage war es bedenklich still um sie geworden. Jetzt kannte ich auch den Grund. Nein, ausnahmsweise ging es nicht um ihren dreißigsten Geburtstag. Es ging um einen Mann!

»Ich bin nicht vorbeigekommen, um mir den ganzen Abend lang deine Trauermiene reinziehen zu müssen«, zehrte mich ihr nicht enden wollender Trübsinn aus. Eigentlich hatte ich im Sinn gehabt, ihr von Philipp zu berichten, der morgen bei mir einziehen würde. Aber das stand nun hinten an.

»Ich weiß, ich bin zurzeit eine weinerliche Memme«, erklärte sie schluchzend und schnäuzte sich laut in ihr Tempo, »aber momentan steckt einfach der Wurm drin.« Ich erkannte, dass sie mit dem Pflaumenwein in der Vitrine liebäugelte. »Als hätte ich nicht schon Komplexe genug, verlässt mich der Scheißkerl auch noch!« Sie hielt mir eine Hand vor die Nase, zog mit der anderen an dessen Rücken eine Hautfalte hoch, um zu demonstrieren, wie ledrig sie jetzt schon wäre. »Hundertpro bin ich dem Affenarsch zu alt! Ich habe letztens einen Test gemacht, den ich im Internet gefunden habe. Dabei soll man die Hautfalte zehn Sekunden lang halten. Und je nachdem, wie schnell alle Spuren wieder verschwinden, verrät es dir dein biologisches Alter.« Sie machte mir diesen Test vor. Ich folgte ihrer Darbietung aufmerksam und geduldig, da ich sie in ihrem heiklen Zustand nicht auch noch zu kränken beabsichtigte.

»Da!«, kreischte sie, als sie die Hautfalte endlich losließ, und deutete mit dem Zeigefinger auf die etwas gerötete Stelle am Handrücken. »Hast du das gesehen? Das waren mindestens vier Sekunden! Laut Test bedeutet das, ich habe ein biologisches Alter von fünfzig.« Sie warf sich in ihren Sessel zurück und fing wieder fürchterlich zu heulen an.

Zu meinem Entsetzen musste ich feststellen, dass ihre Traurigkeit echt war und sie nicht nur eine Show abzog, um das Ego mit erzwungenen Komplimenten gestreichelt zu bekommen. Ihre Augen waren schon ganz rot und aufgequollen. Nun verstand ich auch, warum sie heute ganz auf Schminke verzichtete. Und das war ein wahrlich seltenes Phänomen.

Trotzdem machte ich klar: »Das war nicht mal eine Sekunde, Hanna!« Wie sie auf die vier Sekunden gekommen war, war mir schleierhaft. »Du siehst nur, was du sehen willst.«

Heftig schüttelte sie den Kopf. Ihre Haare, die sich heute sogar etwas kräuselten, flogen dabei wild umher. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und schürzte die Lippen. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, würde ich fraglos glauben, dass in drei Tagen keine drei, sondern eine eins vor der Null stünde.

Jetzt schielte ich zum Pflaumenwein. »Lass uns auf das Scheißleben anstoßen, einverstanden?«, schlug ich vor und bekam leichtes Herzrasen. Ich und Alkohol?

Na schön, was würde schon ein winziges Schlückchen schaden, wenn ich meiner allerbesten Freundin somit beistehen könnte? Nichts ging über Solidarität.

Also gut, und ein bisschen aufgeschmissen kam ich mir momentan auch vor, erwischt! Nicht, dass ich nicht trösten könnte, doch seit Hanna mich einst darauf hingewiesen hatte, dass meine Art des Trosts wie ein nerviges Überbleibsel aus meiner Klosterzeit wirkte – nämlich scheinheilig und aufgesetzt –, ging ich lieber auf Nummer sicher und hielt mich im Zaum.

Hanna war hellauf begeistert von der Idee. Sie sprang im hohen Bogen vom Sessel und holte den Pflaumenwein und zwei Flötengläser (sie besaß schlichtweg keine anderen) herüber. Ihre Finger fummelten flink am Verschluss – Simsalabim – die Flasche war auf.

»Sicher wird das für Ablenkung sorgen.« Sie nahm den ersten Schluck noch im Stehen. Schwelgend schloss sie die Augen und wackelte leicht, als verlöre sie das Gleichgewicht. Erst dann ließ sie sich wieder auf dem Sessel nieder.

Ich wusste lediglich, dass Hanna und dieser … dieser ... Tatsächlich musste ich in den tiefsten Tiefen meines Unterbewusstseins nach seinem Namen wühlen. Nun gut, ich kam gerade nicht drauf, wollte allerdings auch nicht nachfragen, da dieser Aussetzer nicht das beste Licht auf mich warf. Als beste Freundin müsste ich das schließlich unbedingt wissen. Ich wusste also lediglich, dass Hanna und der sogenannte Scheißkerl oder auch Affenarsch noch nicht auffallend lange miteinander liiert gewesen waren. Genau genommen waren sie mehr noch in der Phase gewesen, in der man die/den Erwählte(n) für keinen Normalsterblichen hielt.

Ich simulierte Ahnung, wollte es jedoch noch einmal genau wissen. »Wie lang ...« Weiter kam ich nicht.

»Drei Wochen.« Unheimlich, wie sie mir meine Ahnungslosigkeit von den Augen ablesen konnte.

Vor Verlegenheit wurde mein Gesicht ganz heiß. Davon verunsichert nippte ich an meinem Glas Wein. Prompt wurde mir noch heißer. Meine Ohren begannen zu glühen, stellte mir vor, wie sie feuerrot leuchteten.

»Toni war mein Traummann.« Sie registrierte meinen skeptischen Blick, denn das sagte sie nicht zum ersten Mal. Gleichzeitig erinnerte ich mich vage daran, den Namen Toni schon einmal aus ihrem Mund gehört zu haben. »Ja, das war er wirklich!«

»Ich sag ja nix!« Ich stellte das Glas wieder auf den Couchtisch zurück. Solange ich diesen leichten Schwindel verspürte, traute ich mir keinen weiteren Schluck zu. Die gesamte Situation schüttete Adrenalin aus: Hannas Geheule, meine Erinnerungslücken und der Wein.

Sie zog eine Augenbraue hoch. »Deine Mimik spricht für sich, Püppi.« Dann zuckte sie mit den Schultern und leerte ihr Glas bis auf den letzten Tropfen. »Das tut verdammt gut. Musst du auch mal probieren, vielleicht wirst du dann etwas lockerer.«

»Ich bin locker«, verteidigte ich mich mit heller Stimme. »Nur weil ich mein Glas nicht auf ex trinke?« Außerdem sah es ja im Moment eher danach aus, als wenn Hanna Heulsuse hier die Verspanntere von uns beiden wäre.

Okay, das war fies: Ihr ging es wirklich miserabel!

Sie schenkte sich nach und warf einen flüchtigen Blick auf mein Glas. »Klar, du kannst mit diesem Thema nichts anfangen. Für dich läuft Liebe und Sex auch jetzt noch unter ferner liefen.« Ihrem Ausdruck nach zu urteilen erklärte sie sich gerade für verrückt, weil sie ausgerechnet mich – hochgradig unqualifiziert für Beziehungsprobleme – angerufen und um Beistand gebeten hatte.

Meine Züge verfinsterten sich, denn mit ihrer Äußerung traf sie einen wunden Punkt. Durchaus war es unleugbar, aber das hieß noch lange nicht, dass sie meine Meinung dazu in Frage stellen musste.

»Toni ist nur einer von vielen Traummännern. Immer steigerst du dich in deine Liebschaften so rein.«

Entgeistert riss sie die Augen auf. Hatte sie mir meine Offenheit nicht zugetraut oder hasste sie es, mit Fakten konfrontiert zu werden? Doch sie sagte nichts, setzte nur das Flötenglas an die Lippen und leerte es wieder in einem Zug. Als sie es auf die Tischplatte zurückstellte, hatte sie schon die ersten motorischen Schwierigkeiten und kippte beinahe nach vorn über. Es sah so aus, als würde sie sich an dem kleinen, zerbrechlichen Glas festzuhalten versuchen. Das gelang ihr auch irgendwie. Nur kurz wippte sie und schwang sich dann wieder nach hinten.

Auf einmal umging sie meine Äußerung und gab mir dafür eine Info, die mich möglicherweise endgültig davon überzeugen sollte, dass ihre Trauer sehr wohl berechtigt war. »Er hat mich für dieses Flittchen Cäcilia verlassen.« Sie schaute mich erwartungsvoll an, doch ich kapierte nicht das Mindeste. »Kennst du sie denn nicht mehr? Das junge Ding von der Tanke.«

Ich wusste noch immer nicht, von wem sie sprach, besonders da ich gar kein Auto besaß und auch anderweitig keinen Grund hatte, mich an einer Tankstelle blicken zu lassen. Nur vorsichtshalber gab ich ihr das zu verstehen, damit sie nicht glaubte, ich wäre restlos bescheuert.

Dann fasste sie sich an die Stirn. »Natürlich kennst du sie nicht. Ich habe dich mit Kristin verwechselt.« Kristin war Hannas ältere Schwester. Dass sie mich mit ihr verwechselte, erschütterte mich nicht, denn das Verhältnis zwischen Hanna und mir war nicht weniger geschwisterlich nach so vielen Jahren der Freundschaft. »Kristin hat sie nur vom Auto aus gesehen, und auch ihre Silikontitten und Tonis unnötigen Aufwand beim Bezahlen. Er hat in den höchsten Tönen von ihr gesprochen, obwohl er sie gar nicht kannte. Cäcilia hier, Cäcilia da. Ich hätte es wissen müssen!«

Sie hätte es wissen müssen? Sollte ich mich darüber wundern, dass Hanna Tonis offene Schwärmerei für dieses Silikonwunder nicht schon vor der Trennung äußerst suspekt gefunden hatte?

Ich hielt mich besser zurück, denn sie war gerade so in Redelaune.

»Als er sich von mir getrennt hat, hat er keinen Hehl draus gemacht, dass Cäcilia der Grund dafür ist.« Eine einsame Träne kullerte über Hannas Wange. Sie kniff die Augen kurz und fest zusammen. »Was hat sie, was ich nicht habe?« Sie sah an sich herunter und zeigte mit beiden Händen auf ihre Brüste. »Ich habe genauso viel wie die! Also habe ich ihn direkt gefragt. Das hätte ich lieber nicht machen sollen.« Von Neuem platzte sie los, noch viel herzergreifender als die Male davor.

Ich blieb stumm, ließ ihr die Zeit, sich wieder zu fangen, auf dass sie mit der Geschichte an der Stelle fortfahren konnte, an der sie diese unterbrochen hatte. Um mich zu beschäftigen, nahm ich mein Glas auf. Mehr als ein Nippen traute ich mir nach wie vor nicht zu. Doch unverhofft stellte ich fest, dass ich die Süße des Weins nun sehr angenehm fand. An den Geschmack konnte ich mich glatt gewöhnen.

Mit zitternder, aufgeregter Hand füllte sie ihr Glas ein drittes Mal bis oben hin, nahm es zur Hand und sprach mit einigen Schluchzern mittendrin weiter. »Er schwärmte von ihrem neunzehnjährigen, knackigen Hintern. Ich habe ihn darauf hingewiesen, dass sie fünfzehn Jahre jünger ist als er, aber er nennt das schlicht Herausforderung.«

Sie prostete mir zu, da ich noch immer mein Glas in der Hand hielt. Ich nippte weiterhin, während sie ihr Glas bis zur Hälfte leerte. Allmählich war ich ernsthaft besorgt.

Was Toni genau unter Herausforderung verstand, war mir ein Rätsel. Wie viel Mühe kostete es schon, mit Geldscheinen offen vor Cäcilias niedlichem Püppchengesicht herumzuwedeln, nur um sie langfristig für sich zu begeistern? Außerdem war nicht zu übersehen, dass er die Sorte Mann war, die sich nur solange reinkniete, bis seine Beute ihm willenlos verfiel. Danach war jeder Reiz verflogen. Genuss empfand er lediglich im Zusammenhang mit unverbindlichen Kontakten. Denn um ehrlich sein, war Hanna schon eine echte Wucht. Ihre Augen waren rund, offen und honigbraun, ihre Haut war selbst in der Winterzeit leicht gebräunt (ohne dafür etwas tun zu müssen, versteht sich) und butterweich, sie war fünf Zentimeter größer als ich (mit ihren sieben Zentimeter hohen Keilabsatz-Sandaletten, die sie den Sommer über fortlaufend trug, überragte sie mich allerdings um stolze 12 Zentimeter), hatte damit endlos lange Beine, eine Figur wie ein Topmodel, nur mit der Ausnahme, dass sich die Rundungen dort zeigten, wo sie auch hingehörten, und war geschmeidig wie eine Katze; ja sogar in ihrem gegenwärtigen Zustand – meistens. Sie war das, was man im Volksmund eine Märchengestalt nennt, zu schön, um wahr zu sein. Auch wenn sie es nicht wahrhaben wollte: es lag weder an ihrem Alter noch an ihrem Erscheinungsbild, dass Toni sie sitzengelassen hatte. Es lag ganz allein an dem Affenarsch selbst. Anderenfalls hätte er längst erkannt, dass es ihn besser als mit Hanna nicht hätte treffen können.

Ich fuhr mir vorsichtig über meine gepuderte Stirn. Eine Geste, die meine nervliche Anspannung durchblicken ließ. Mit mitleidigem Blick begutachtete ich das Häufchen Elend mir gegenüber. Ich suchte nach Worten, doch es kamen mir nicht die richtigen in den Kopf. Ich wusste natürlich, dass ich sie aufbauen müsste. Ich war nur völlig außer Fassung geraten, weil sie sich selbst so viel vormachte und nicht von selbst sah, wie irrational ihre Sicht der Dinge war. Derart platt kannte ich sie gar nicht, wenngleich sie schon immer eitel und ihr Männergeschmack recht primitiv gewesen war. Es schien mir fast, als wäre sie gar nicht darauf aus, etwas Festes zu finden, als würde sie selber nur nach Abenteuern suchen, um sich nicht festlegen zu müssen. Sich festzulegen, bedeutete nämlich auch, dafür ein kleines Stück von sich selbst aufgeben zu müssen.

»Willst du denn gar nichts dazu sagen?«, ermahnte Hanna mich jetzt und schaute mich erwartungsvoll an.

Ich war wie aufgerüttelt, schwenkte meinen Blick hysterisch über ihre gesamte Gestalt. Dabei fiel mir auf, wie zuckersüß sie in diesem Augenblick aussah: kindlich, fragil und unbescholten, wie das fünfzehnjährige Mädchen, das ich einst kennen gelernt hatte. Statt Empathie, löste ihr Anblick in mir das große Bedürfnis aus, in schallendes Gelächter auszubrechen.

Ich tat mich schwer, das Schmunzeln zu verbergen, gab mir wirklich die allergrößte Mühe.

Mein Kinn zuckte.

Und jetzt auch noch meine Unterlippe.

Wie kam ich da bloß wieder raus? Sie musste ja denken, dass ich mich über sie lustig machte? Wie sollte ich ihr denn verständlich machen, dass sie im Moment bloß zum Abknutschen goldig aussah, weiter nichts? Natürlich war der Zeitpunkt der denkbar schlechteste …

Hanna unterbrach meinen Gedankenzug: »Ziehst du mich etwa ins Lächerliche?« Sie hatte mich ertappt.

»Entschuldige bitte«, überschlug ich mich beinahe vor Freundlichkeit, »das kommt dir nur so vor.« Ich konnte diese Worte gerade einigermaßen flüssig aussprechen, da prustete ich auch schon los. Mir stiegen die Tränen in die Augen. »Sorry«, warf ich atemlos dazwischen. Mein ganzer Körper vibrierte, fühlte den klebrigen Wein über meine Finger laufen und von dort aus in meinen Schoß tropfen. Ich versuchte, das Glas gerade zu halten, kam erst auf die Idee, es auf den Tisch abzustellen, als sich schon ein Drittel des Inhalts in meinen knielangen schwarzen Rock eingesogen hatte. Da jetzt eh alles egal war, wischte ich mir auch noch die Hand daran trocken.

Erwartungsgemäß fand Hanna das nicht lustig. Ihr schien der Appetit an ihrem Wein vergangen zu sein. Sie donnerte das Glas auf die Tischplatte, fuhr vom Sessel auf und trampelte wie eine Neunjährige über den knarzenden Dielenboden ins Bad.

BAM! Die Tür war zu.

Normalweise sollte ich mich spätestens jetzt beruhigt haben, aber weit gefehlt: es gelang mir mehr schlecht als recht, meinen Lachanfall hinunterzuwürgen.

Je länger Hanna sich im Bad aufhielt, desto mehr Zeit hatte ich, mir Gedanken darüber zu machen, wie peinlich ich mich benommen hatte. Das musste der Wein gewesen sein, anders konnte ich mir das nicht erklären. Verflucht sei dieser!

Sollte ich mal anklopfen? Eine Entschuldigung war jedenfalls fällig. Doch würde sie mir diese überhaupt abkaufen, nachdem ich noch vor einigen Sekunden an zwei Entschuldigungen kläglich gescheitert war? Es blieb mir wohl nichts anderes übrig, als es herauszufinden.

Zaghaft klopfte ich an die massive Badezimmertür und legte mein Ohr ans Holz, um ein Geräusch zu erhaschen.

»Hau ab!«, brüllte sie und schluchzte extra bitter.

Ich schreckte einen Schritt zurück. »Hannaaa ...«, klang ich nach hintenheraus reumütig, »es tut mir wirklich leiiid.«

»Scher dich zum Teufel, du Möchtegern-Nonne!«

Hach, wie ich ihre Wortspiele liebte. Ich lächelte und wusste, dass sie mir nicht ernsthaft böse war. Sie war darauf aus, sich ein bisschen zu fetzen, nur um ihren Frust zu entladen.

»Da komme ich noch früh genug hin«, rief ich. »Sag mir lieber, wie lange du da noch schmollend drin bleiben willst? Dann hole ich uns in der Zwischenzeit nämlich eine Pizza.« Ich dachte an Ferruccios Pizzeria, die eine Viertelstunde von hier entfernt lag. Für eine Pizza von Ferruccio würde ich allerdings auch bis ans Ende der Welt gehen.

Es dauerte eine kleine Weile, bis Hanna antwortete. »Die haben doch auch einen Lieferservice.« Das hieß, dass sie eine Pizza für eine gute Idee hielt. Anderenfalls hätte ich mir diese in den Hintern schieben können. Und ihre Stimme klang auch schon viel verträglicher.

»Ich weiß, aber ich dachte, wir könnten beide eine Atempause gebrauchen ...«

»Die Telefonnummer hängt an der Pinnwand über dem Schreibtisch«, machte sie unmissverständlich klar, dass sie jetzt nicht allein gelassen werden wollte. Doch warum blieb sie dann weiterhin im Badezimmer?

Ich ging in die Wohnstube und versuchte, unter der Flut von Notizzetteln, Bildern, Zeitungsberichten und Dekoblumen und -schmetterlingen fündig zu werden. Endlich stieß ich auf den Flyer mit Ferruccios Nummer und griff sofort zum Telefon, das seinen Platz auf dem Schreibtisch hatte. Heute sah es verhältnismäßig geordnet darauf aus.

»Heidi hier. Ich möchte gern eine Riesenpizza bestellen.«

Ferruccio war persönlich am Apparat. »Heidi!« Er freute sich laut vernehmbar, meine Stimme zu hören. Ich ließ mich von seiner Freude anstecken und lachte mit ihm. »Hast du Kummer?« Hatte ich irgendetwas verpasst, oder warum vermittelte eine Riesenpizza bei ihm den Eindruck, dass ich Kummer hätte? Vielleicht hatte ich ja auch nur Hunger?Riesigen Hunger!

»Nein, ich bin mit einer Freundin zusammen ...«

»Dann hat deine Freundin Kummer, ja?«, bestand er darauf, dass mindestens einer Kummer haben musste.

Da ich Hanna nicht zu denunzieren gedachte, erwiderte ich: »Hier hat keiner Kummer! Wir haben lediglich einen Mörderkohldampf.«

»Wenn Mädchen eine Riesenpizza wollen, haben sie immer Kummer«, kannte er sich aus, vermutlich der Berufserfahrung wegen. »Wie darf ich sie belegen, Heidi?«

Ich war erleichtert, dass seine Äußerung keine Antwort erforderte und gab unsere Wünsche an. »Und eine Hälfte bitte mit extra viel Käse.« Hanna hasste zu viel Käse auf der Pizza. Sie fand, dass er unangenehm fettig schmeckte.

Als ich auflegte, schlich Hanna sich von hinten heran und schlang ihre Arme um mich. Dabei legte sie ihren Kopf auf meine Schulter.

»Ich wollte doch nur ein paar aufmunternde Worte von dir«, jammerte sie und blies ihren Atem schwer und traurig aus. »Stattdessen lachst du mich aus.«

»Du wirst in meinen Worten keinen Trost finden, weil sie nicht heilen können und nichts gut oder ungeschehen machen.«

»Schwester Jordana hat gesprochen. Amen!« Warum hatte ich geahnt, dass sie dieses Lied wieder anstimmen würde?

»Ist das denn nicht wahr?«

Sie löste sich von mir, ging zum Sessel hinüber und ließ sich darauf plumpsen. Mutlos zuckte sie mit den Schultern und ließ sie dann hängen, als würde der gesamte Weltschmerz darauf lasten. »Und worin findet man in einem so schrecklichen Zustand Trost?«

Ich leistete ihr Gesellschaft und fläzte mich aufs Sofa. »Zum Beispiel in meinen Armen.«

Sie zischelte. »Das ist alles?«

Sollte ich sie für undankbar erklären?

Nun, wenn sie unbedingt etwas hören wollte, dann bitte schön, hier: »Das Einzige, was ich dazu sagen kann, ist, wenn Mister Right je dabei gewesen wäre, würdest du nicht heulen wie ein Schlosshund und sinnlos Pflaumenwein in dich hineinschütten.« Natürlich hätte ich so viel mehr sagen können, doch was hätte es gebracht?

»Sehr aufbauend!«

Mit einem offenen Augenrollen signalisierte ich meinen Ärger. »Deinen Herzschmerz musst du schon allein ausstehen. Ich kann ihn dir leider nicht wegquatschen.« Ich erkannte an ihrem Blick, dass sie endlich begriff, was ich ihr mitteilen wollte.

»Nun sag schon«, klang Hanna viel fröhlicher, seit die Pizza da war, »bin ich wirklich so eine lächerliche Figur?«

Während sie auf dem Sessel vor der Pizzaschachtel harrte und dessen Deckel schon ganz ungeduldig öffnete, um den Duft zu inhalieren, holte ich zwei Teller aus ihrer Küche. Nicht, dass ihre Gastgeberqualitäten immer so bescheiden ausfallen würden.

»Wie meinst du das?« Ich verstand den Hintergrund nicht, was vielleicht auch ein bisschen daran lag, dass die Pizza mir das Wasser im Mund zusammentrieb und meine Sinne raubte.

»Was sollte dein Lachanfall vorhin?« Die Pizza war schon in gleichmäßige Dreiecke zerteilt worden. Hanna manövrierte ein Stück ihrer Hälfte auf ihren Teller. Dabei zog der Käse Fäden.

Bevor ich etwas darauf erwiderte, beförderte ich ebenfalls ein Stück von meiner käselastigen Seite auf meinen Teller und biss herzhaft hinein. Was für ein Genuss.

»Du bist halt manchmal knuffig«, sprach ich mit vollem Mund. »Ja, ja, ich weiß, das war etwas taktlos, aber das war gar nicht so negativ gemeint, wie du es aufgefasst hast.«

»Mmh«, schwärmte Hanna vom Essen, »das tut sooo gut!« Ich war froh, dass ihr Alkoholspiegel immer weiter sank und sie wieder Vernunft annahm. »Und trotzdem habe ich den Eindruck, dass du mich und meine Lage nicht ernst nimmst.« Die Harmonie trog, denn plötzlich trieb sie mich in die Enge.

Mit einer schnellen, nervösen Handbewegung strich ich mein Haar hinter die Ohren. Mittlerweile war es schulterlang. Im Kloster hatte ich sie kurz wie ein Bursche getragen, hatte der äußerlichen Schönheit vollkommen abgeschworen. Als ich dann mein Klosterleben aufgegeben hatte und wieder nach Hause gekommen war, hatte Hanna mich nicht wie jeder andere normale Mensch willkommen geheißen, sondern hatte mich erst einmal mit sich ins Badezimmer geschliffen, um mir die Augenbrauen zu zupfen, Make-up aufzutragen und aus meiner Frisur das Beste herauszuholen. Sie war derart verzweifelt gewesen, dass sie mir befohlen hatte, die Haare wachsen zu lassen. »Jenseits von Gut und Böse« hatte sie meinen natürlichen Look genannt.

Jedenfalls war ich entschlossen, ihren Vorwurf sofort abzuschmettern, war mir aber nicht ganz sicher, ob sie nicht sogar recht hatte. Zumindest wenn es um das Thema Männer ging. »Deine Liebesbeziehungen nehme ich auch nicht ernst.« Ich gab mich kleinlaut, da ich sie nicht erneut kränken wollte. »Aber was ich sehr wohl ernst nehme, ist, dass es dir nicht gut geht.«

»Okay«, gab sie sich mit meiner Antwort zufrieden. Sie nahm den nächsten Happen und lächelte glücklich. Ihr Blick ging über die Pizza. »Die ist selbst für zwei Leute zu groß.«

Wieder einmal musste ich bemerken, wie arglos und wenig nachtragend sie war. Ich war dankbar dafür, dass sie mir ganz selbstverständlich vertraute.

»Es sei denn, wir wären zwei große, dickbäuchige Bauarbeiter.«

Sie lachte laut: »Ich wünschte, ich wäre ein Mann.«

Eine Theorie, über die ich mir noch nie Gedanken gemacht hatte. Wieso sollte ich mir auch ein Leben als Mann vorstellen, wenn es doch als Frau viel mehr Spaß machte? Na schön, es war anstrengender, doch dafür viel bunter. »Ich stelle mir ein Leben als Mann verdammt eintönig vor«, konnte ich mich ihr also nicht anschließen.

Hanna grübelte. Zu lang.

Also erklärte ich: »Schau mal, was macht das Leben eines Mannes schon aus?« Ich legte das Stück Pizza auf dem Teller ab, damit ich alle meine Finger zur Verfügung hatte, um die Punkte zusammenzuzählen. »Saufen«, tippte ich Punkt eins mit dem Zeigefinger einer Hand auf den Daumen der anderen an, »Autos, Fußball und Frauen!« Ich konnte die Punkte an einer Hand abzählen. »Und wenn ein Mann halbwegs in Ordnung ist, und diese recht unkomplizierten Punkte auf ihn nicht zutreffen, beschränken sich andere wichtige Punkte seines Lebens aber auch nur auf drei oder vier.«

»Ich verstehe. Dann bleibe ich doch lieber eine Frau.« Sie machte eine kleine Pause und blickte mich beschwörend an. »Püppi, ich rate dir, dir erst gar keinen Mann ins Haus zu holen.« Ich starrte sie erschrocken an, glaubte, dass ich knallrot anlief und nahm fix den Teller mit dem Stück Pizza zur Hand. »Ich meine, all die Zeit belächle ich deine Jungfräulichkeit und übergehe deine Standpunkte, weil du einfach keine Erfahrung mit Männern hast, aber im Grunde genommen sollte ich dich beneiden.« Sie seufzte. »Ja, ich sollte dich darum beneiden, dass du so prüde bist.«

Und da machte ich mir Vorwürfe, weil ich sie mit meiner flapsigen Art und Weise gekränkt hatte? Wütend biss ich in die Pizza und kaute.

»Ach, nun sei doch nicht sauer.« Sie lächelte allerliebst. Wenn Hanna etwas gut konnte, dann war es, rein mit den Augen zu schmeicheln. Manche Menschen hatten einfach von Natur aus den Niedlichkeitsfaktor. Man konnte ihnen nie richtig böse sein.

»Woher willst du wissen, dass ich prüde bin?«

»Entschuldige mal, du hattest dich dafür entschieden, ein Leben in Keuschheit zu führen«, erinnerte sie mich schnippisch daran, dass es immerhin neun lange Jahre angehalten hatte. »Wer tut so etwas, wenn er nicht prüde ist?«

Da ich unter dem Begriff »Prüde« scheinbar etwas anderes verstand als sie, klärte ich sie, noch immer übellaunig, auf: »Nur weil ich abstinent leben wollte, heißt es noch lange nicht, dass ich verklemmt bin.«

So wie schon damals verstand sie auch heute nur Bahnhof. Schon allein die Tatsache, dass der Liebesakt selbst nicht grundsätzlich mit Sünde behaftet war, überforderte sie gewaltig. Da ich allerdings das Klosterleben hinter mir gelassen hatte, war es wie die Wahl zwischen Pest und Cholera: egal!

Ich beschloss, die Materie für mich zu nutzen und endlich von meinem neuen Mitbewohner zu erzählen, und zwar, bevor sie mir wieder dazwischenfunkte. »Und ich bin sogar dermaßen aufgeschlossen, dass deine Warnung, mir keinen Mann ins Haus zu holen, leider zu spät kommt.« Stolz auf diesen Erguss, grinste ich in mich hinein und klopfte mir imaginär auf die Schulter.

Allein für ihren erstaunten Gesichtsausdruck hätte ich gern die Zeit angehalten. »Nicht dein Ernst?«

»Klar, warum sonst sollte ich das sagen?«

»Wer ist es?« Sie fixierte mich mit skeptischem Blick. Denn woher dieser Mann plötzlich kam, konnte sie sich beim besten Willen nicht erklären.

»Er heißt Philipp und ist stolze fünf Jahre jünger als ich.« Ich hielt absichtlich damit hinterm Berg, dass es sich hierbei nicht um einen festen Freund handelte, wie Hanna augenblicklich annahm, nur um sie endgültig zu verstören.

Schlagartig stiegen ihr wieder Tränen in die Augen. Mürrisch schmiss sie den letzten Bissen der Pizza auf den Teller vor ihr. »Du lügst«, murmelte sie erst, und als sie sah, dass ich etwas zu entgegnen gedachte, sprang sie schon wieder vom Sessel, wiederholte ihren Vorwurf, doch nunmehr brüllend, und schloss sich erneut im Badezimmer ein.

Kurz überdachte ich meine Haltung gegenüber Männern, sie wären zu einfach gestrickt, denn soeben konnte ich nachvollziehen, wie strapaziös eine einzige Frau sein konnte. Vielleicht tat ich Männern Unrecht, vielleicht könnten wir Frauen gar froh sein, dass sie sich wegen Frauen wie Hanna noch nicht reihenweise vom Hochhaus gestürzt hatten?

Ich meine, wo war denn nun schon wieder der Fehler im System? Allmählich glaubte ich, dass heute nicht der richtige Tag dafür war, ein friedliches Beisammensein zu zelebrieren. Wenn nicht gerade sie diejenige war, die gereizt war, war ich es, und wenn ich nicht diejenige war, war sie es. Ich täte wohl besser daran, nach Hause zu gehen, ehe wir die Messer zu wetzen begännen. Doch zuvor war ich bemüht, das Problem zu klären, damit man mir nicht nachsagen konnte, ich hätte es nicht wenigstens versucht.

Mit erhobenem Haupt stellte ich mich vor die Badezimmertür und hämmerte laut und entschlossen mit der geballten Hand dagegen. »Hast du zu lange in der Sonne gelegen, oder was?«

»Und willst du mich jetzt auch noch fertigmachen?«, brüllte sie und heulte bitterlich.

»Auch?«, rief ich und konnte mir nicht erklären, mit wem sie mich in Parallele stellte.

»So wie Toniii!«

Oje, einen kurzen Moment lang war mir doch tatsächlich ihr gebrochenes Herz entfallen. Natürlich wollte sie als Letztes hören, dass jemand anderes eine glückliche Beziehung führte, nachdem dieser Affenarsch gerade mit ihr Schluss gemacht hatte. Da hätte ich auch wirklich von allein drauf kommen können, ich dummes Huhn! Doch das allerschlimmste an der Situation war, dass ich nicht einmal eine Beziehung hatte. So war dieses ganze Geschrei am Ende zu nichts nütze.

»Komm schon«, quengelte ich, »das ist nicht fair. Du kannst doch anderen nicht in die Suppe spucken, nur weil du gerade unglücklich bist.« Na gut, das klang ein klein wenig abgebrüht, aber wenn ich mir ausmalte, ich hätte tatsächlich einen Mann kennen gelernt und das hier ihre Reaktion darauf gewesen wäre, hätte ich nicht weniger als sie allen Grund dazu gehabt, sauer zu sein.

»Darum geht es nicht«, schluchzte sie.

»Nicht? Worum dann?« Ich hörte nur ein kaum wahrnehmbares Zischeln durch die massive Tür dringen. Das hieß wohl, dass sie es unerhört fand, dass ich nicht von allein darauf kam. Auch auf die Gefahr hin, dass sie mir die Freundschaft kündigen würde, machte ich sie darauf aufmerksam, dass ich keine Gedanken lesen konnte.

»Boah«, motzte sie, »es geht darum, dass du partout erwähnen musstest, dass er fünf Jahre jünger ist als du. Als wolltest du mir damit veranschaulichen, wie jung und dynamisch du noch bist, im Gegensatz zu deiner alten, runzeligen Freundin, deren Kerl sie für eine neunzehnjährige Tussi verlassen hat.«

Die ganze Aufregung also wieder nur wegen ihres Alterskomplexes? »Mannomann, ich habe mich nur ungünstig ausgedrückt, mehr nicht.« Genervt trat ich gegen die Tür. »Darf ich dir jetzt niemanden mehr vorstellen, der jünger ist als du?«

»Nein!«

»Du spinnst ja!«

»Du hast ja gut Reden, du bist ja gerade erst achtundzwanzig geworden.« Mehr und mehr war ich davon überzeugt, dass ich heute nichts mehr erreichen würde. Sie war dermaßen festgefahren, dass sie auf meinen Beistand nun verzichten musste.

»Nur zu deiner Information, ich gehe jetzt«, wartete jedoch noch, falls sie es sich anders überlegen und herauskommen würde.

»Dann geh doch, beste Freundin!« Sie riss die Tür auf, da sie davon ausging, dass ich schon auf dem Weg zum Ausgang war, und brüllte mir versehentlich direkt ins Gesicht: »Du kannst mir den Buckel runterrutschen.« Sie war wie erstarrt und machte ein erschrockenes Gesicht.

Ich ergriff die Gelegenheit und drängte mich zu ihr ins Badezimmer, ehe sie wieder hinter die Tür flüchten und sich vor mir verstecken könnte. Sie sah nicht erfreut aus.

»Ich wollte dich doch nur ein wenig auf die Folter spannen, Hanna.«

»Lass es gut sein.« Sie wandte sich von mir ab und verließ das Badezimmer. Jetzt, da sie nicht mehr allein sein konnte, war es ihr hier anscheinend zu blöd.

»Kann ich denn vorhersehen, dass du heute so überempfindlich bist und jedes Wort auf die Goldwaage legst?« Ich folgte ihr ins Wohnzimmer, wo sie sich sofort auf ihren heißgeliebten Sessel fallenließ.

»Entschuldigung, mein Freund hat gerade erst vor ein paar Tagen mit mir Schluss gemacht. Selbstverständlich bin ich überempfindlich.« Okay, okay, da hatte sie ausnahmsweise mal recht.

Ich blieb im Raum stehen, da ich noch immer fest entschlossen war zu gehen. Nebenher überlegte ich noch, ein Stück Pizza mit nach Hause zu nehmen, obgleich mir der ganze Stress allmählich auf den Magen schlug.

»Na schön, aber Fakt ist, dass du dich wenigstens etwas zusammennehmen könntest. Das rechtfertigt nämlich nicht, dass du mir mein Glück scheinbar missgönnst.«

»Das stimmt doch gar nicht. Ich gönne dir sehr wohl einen Freund. Es kommt nur so plötzlich ... und ungünstig.«

»Er ist doch gar nicht mein Freund«, machte ich lieber ein für allemal klar, damit die schlechte Stimmung endlich ein Ende hatte.

»Wie bitte?«

»Denkst du, ich hätte ihn nicht schon längst bei dir erwähnt?« Mir fiel erst jetzt auf, wie unglaubwürdig meine Geschichte eigentlich war. Doch vermutlich hatte Hannas Überempfindlichkeit geradewegs ihre Sinne getrübt, so dass sie außerstande war, es zu durchschauen.

Sie sah mich ungläubig an. »Was ist er dann?«

»Mein zukünftiger Mitbewohner.«

Sie stutzte. »Und warum lässt du mich in dem Glauben, dass es sich um deinen Freund handelt?«

»Na, weil ich dich auf die Folter spannen wollte?« Machte man das nicht so, wenn man für Verwirrung sorgen wollte? Tja, in diesem Fall war es gründlich in die Hose gegangen.

Obgleich Hanna trotzdem verwirrt war. »Und wann hast du dir überlegt, einen Typen bei dir einziehen zu lassen?«

Ich setzte mich nun doch wieder. Um keine weiteren Fehler zu begehen, erzählte ich ihr die ganze Geschichte von vorn. Und Hanna sorgte für eine Überraschung, als sie meiner Theorie, ich könnte mit einem Mann besser auskommen, am Ende beipflichtete. »Das hat was zu heißen, wenn du ihn auf Anhieb sympathisch fandest, während kein einziges Mädchen nur im Ansatz eine Chance hatte.«

»Du hältst mich also nicht für verrückt?«

Baff schüttelte sie den Kopf. »Nein, wieso sollte ich?«

Ich zuckte mit den Schultern und legte meinen Kopf ein Stück schief. »Beck war bei der Nachricht etwas neben der Spur.«

»Ach, das ist dein Bruder doch immer. Sein Beschützerinstinkt ist stark übertrieben. Lass dich nicht verunsichern.« Auf jeden Fall war Hanna wieder besser drauf, was die folgende Frage noch einmal bekräftigte: »Sieht er gut aus?«

Ich lachte: »Ist das denn so wichtig?«

»Für mich schon.« Sie zwinkerte mir neckisch zu.

Ich atmete tief durch, um nicht ins Stottern zu geraten, denn ich merkte, wie mein Herz schneller pochte, als ich mir Philipp ins Gedächtnis rief. »Er ist schon ganz niedlich.«

»Aber?«

»Nichts aber ...«

»Sag schon!«

Ich traute mich nicht. »Mach dir doch einfach ein eigenes Bild von ihm«, erwiderte ich, statt zu betonen, dass er zu jung sei. Für mich!

Darum ließ sie sich nicht zweimal bitten. »Gern. Wann zieht er ein?«

»Morgen.«

»Morgen schon?«

Den weiblichen Untermieter hatte ich zum ersten Juli gesucht, was nichts daran änderte, dass es jetzt ein männlicher war. Ungern merkte ich das an, da ich befürchtete, dass sie darin wieder eine Anspielung auf irgendetwas sehen könnte. Alles, was nur ansatzweise nach Kritik roch, übersprang ich in nächster Zeit einfach großzügig.

»Ja, das geht alles ziemlich schnell, deshalb bin ich auch verunsichert und hoffe, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe.«

»Warum denn nicht? Wenn es nachher doch nicht passt, kannst du ihm ja immer noch kündigen.«

Wie unbarmherzig.

»Ich denke, das wird nicht Not tun.«

Ich versuchte, mich daran zu erinnern, wie umgänglich er bei der Zimmerbesichtigung gewesen war. Selbstverständlich konnten Menschen sich auch verstellen, mussten es womöglich sogar, um einen guten Eindruck zu hinterlassen, wenn es um entscheidende Dinge im Leben ging, aber für gewöhnlich hatte ich für die üble Sorte Mensch recht sensible Antennen.

»Und warum dann deine Unsicherheit?«

»Es liegt nicht an ihm.« Ich schnaufte durch. »Für mich ist das was ganz Neues. Manchmal ist es eben schwer, sich auf Veränderungen einzulassen. Und diese Veränderung ist ja schon ganz schön gravierend, findest du nicht?«

Hanna nickte zustimmend. »Was hältst du davon, wenn ich dir morgen bei seinem Einzug zur Seite stehe? Und wenn es dir ganz unwohl wird, bleib ich einige Tage über Nacht bei dir.«

»In Ordnung.« Ich fürchtete, dass ich das noch bereuen würde, doch ich war gewillt, das in Kauf zu nehmen, nur damit ich das nicht allein durchstehen musste. Ich betete nur, dass sie sich nicht allzu sehr anbiedern, sondern sich nur ein wenig von ihrem Liebeskummer ablenken würde.

Mailys' Entscheidung

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