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Sterne gucken

Sie liegen auf einer Decke, die sie über Motorhaube und Windschutzscheibe des Autos gebreitet haben, Tari in der Mitte, Jannis rechts, Naomi links von ihr, und schauen hinauf in den Nachthimmel. »Ist das nicht echt schön?«, fragt Jannis. »So viele Sterne wie heute sieht man sonst selten.« »Ja«, seufzt Tari, und Naomi gluckst. »Hach, ihr seid aber romantisch heute Abend …« »Darauf trinken wir«, sagt Jannis, und sie lassen ihre Bierflaschen aneinander klingen. In der anschließenden Stille sind nur die zirpenden Grillen zu hören und, ganz leise, ein Plätschern: Der leichte Sommernachtwind bewegt sacht das Wasser des Sees, an dessen Ufer das Auto steht. »Der Himmel sieht aber wirklich wunderschön aus«, sagt Tari schließlich. »Vielleicht sehen wir ja auch eine Sternschnuppe …« »Und dann wünschst du dir den Typ vom Wochenende hierher statt Jannis und mich, oder? Das wäre doch eine super Gelegenheit, um sich endlich entjungfern zu lassen!« »Naomi!!!« »Was denn?« Naomi lacht. »Du bist 16, da wird’s ja wohl mal Zeit. Und so scharf wie du auf ihn bist? Du redest doch die ganze Zeit von ihm.« »Sag doch einfach, wenn es dir auf die Nerven geht.« »Ach, Quatsch, jetzt sei doch nicht gleich eingeschnappt.« Naomi kuschelt sich noch näher an Tari ran. Jannis räuspert sich. »Möchtest du auch etwas sagen, Jannis? Nur zu, trau dich!«, feixt Naomi. »Das erste Mal sollte schon etwas Besonderes sein, oder?«, sagt er. »Deshalb ist es doch okay, sich Zeit damit zu lassen.« »Und wie lange hast du dir Zeit gelassen? Oder wartest du etwa immer noch auf die Richtige dafür?? … Nee, oder?« Die Mädchen schauen ihn neugierig an, aber Jannis trinkt von seinem Bier und schweigt. »Nun sag doch mal …« Jannis schweigt weiter. »Meine Güte, ihr beiden seid ganz schön verklemmt!« »Ich bin überhaupt nicht verklemmt«, empört sich Tari. »Aber es kann sich ja nicht jeder mit 14 an einer Hauswand stehend entjungfern lassen.« »Echt, so war das bei dir?« Jannis setzt sich auf und guckt Naomi an. »Mit wem denn?« »Na, mit so einem Typen, mit dem ich damals zusammen war. Ich wollte das erste Mal eben endlich hinter mir haben und richtig loslegen …« »Und du hast ihn geliebt«, sagt Tari. Naomi schnaubt und nimmt einen Schluck Bier. »Ja«, sagt sie leiser. »Ich habe ihn geliebt.« »Und was ist dann passiert?«, fragt Jannis. »Ihrem Vater hat es nicht gepasst, dass Marcel so viel älter war als sie. Er …« »Ach, meinem Vater passt doch nie jemand, mit dem ich zusammen bin. Er macht doch jedes Mal so einen Aufstand.« »Ja, aber bei Marcel …« »Können wir jetzt vielleicht mal das Thema wechseln? Hast du mal 'ne Kippe?« Tari tastet in der zaghaften Helligkeit, die es von den Sternen und der schmalen Sichel des zunehmenden Mondes bis zu ihnen hinunter geschafft hat, nach ihrer angebrochenen Schachtel. »Hier.« »Danke!« Für einen Moment erhellt der warme Schein der Feuerzeugflamme Naomis Gesicht, dann kehrt die Nacht zurück. »Bevor wir über etwas anderes reden, sollten wir aber noch mal anstoßen«, sagt Jannis. »Auf das insgeheim doch romantische Herz der Naomi Schilling!« Er hält seine Bierflasche hoch und grinst Naomi an. »Keine Sorge, ich verrate es niemandem.« »Ha, ha!« Sie stoßen an. »Sag es vor allem nicht Tino«, sagt Tari. »Sonst verliebt er sich noch rettungsloser in Naomi, als er es sowieso schon ist.« »Oh Mann, wollten wir nicht das Thema wechseln?« Naomi bläst den Rauch in die Luft und guckt in die Sterne. Auch Jannis lehnt sich wieder zurück, und alle drei schauen erneut in den Himmel.

»Wünschen kannst du dir doch immer etwas, Tari, auch ohne Sternschnuppe«, sagt Jannis nach einer Weile. »Wichtig ist nur, dass du daran glaubst.« »Hmmm.« »Und, was wünschst du dir?«, fragt Naomi. »Dass statt euch der Typ von Sonntag jetzt hier ist …« Sie prusten los. Als sich ihr Lachen wieder beruhigt hat, sagt Tari: »Ich wünsche mir, dass er am Samstag wieder im ,Loop‘ ist. Und dass er mich anspricht. Oh Mann, ihr müsst ihn sehen, er sieht so toll aus …« »Und das ist mein Stichwort.« Naomi rutscht von der Motorhaube und wirft ihren Zigarettenstummel in hohem Bogen ins Gras, sodass er für einen Moment lang aussieht wie ein abstürzendes Glühwürmchen. »Was machst du denn?? Ich dachte, ich nerve dich nicht …« Naomi grinst. »War nur Spaß, ich muss einfach dringend pinkeln.« »Soll ich mitkommen?«, fragt Tari. »Nicht, dass du dich verläufst«, feixt Jannis. »Ha, ha, nee, danke, das kriege ich gerade noch alleine hin.« Naomi geht ein paar Schritte weg vom Seeufer in Richtung einer Gruppe Bäume. »Könnt ihr mich noch sehen?«, ruft sie dort angekommen. »Zumindest können wir dich noch hören«, gibt Jannis zurück und lacht. »Okay, dann ist es nicht weit genug«, sagt Naomi und lacht auch. »Ach, stell dich doch nicht so an«, ruft Tari, aber das Dunkel hat ihre Freundin nun verschluckt. Tari zuckt mit den Schultern und rückt ein Stück zur Seite, sodass Jannis mehr Platz hat. »Was ist denn nun so toll an dem Typen? Du hast ihn doch erst einmal gesehen.« »Ach, ich weiß auch nicht. Ich glaube echt, das war Liebe auf den ersten Blick. Glaubst du an so was?« »Ich weiß nicht. Passiert ist es mir noch nicht. Aber die Vorstellung hat schon was.« Für einen Moment schauen sie still nach oben. Die Sterne über ihnen funkeln in all ihrer Vielfalt, verheißungsvoll und zum Greifen nah. »Was wünschst du dir, Jannis?« »Keine Ahnung.« Er trinkt noch mal und lässt dann die leere Bierflasche neben dem Auto ins Gras plumpsen. »Vielleicht, dass wir für immer hier so liegen bleiben können.« »Oh ja, das wäre schön«, sagt Tari und lehnt ihren Kopf an Jannis‘ Schulter. »Ich habe so was von keinen Bock auf Schule morgen.« »Sei doch froh, du musst wenigstens nicht arbeiten.« »Ist es immer noch so schlimm mit deinen Kollegen?« Jannis nickt. »Scheiße. Du Armer! Erzähle mal.« »Nicht jetzt, Naomi kommt ja gleich wieder«, winkt er ab. »Und ich quatsche dich eh ständig damit voll …« »Das macht doch nichts, das kannst du immer, das weißt du! Aber ich habe dir schon so oft gesagt, dass du dir Hilfe bei deinem Chef suchen musst! Ich mache mir Sorgen um dich. Das kann doch nicht sein, dass die dich so fertigmachen!« Tari hat sich aufgesetzt, während sie auf ihren Freund einredet. Jannis‘ Gesicht hat sich verdüstert. »Ach Tari, dann kriegen das doch alle mit. Das wäre voll peinlich! Und der Chef redet bestimmt mit meinem Vater, was meinst du, was dann los ist. Der flippt aus, wenn er mitbekommt, dass ich mich mal wieder nicht durchsetzen kann.« Tari seufzt und streichelt seine Hand. »Und was sagt Tino dazu? Der kennt die doch auch alle, oder?« »Ach, mit dem kann ich darüber nicht reden.« »Hmm. Dann weiß ich auch nicht.« Einen Moment lang schweigen sie. Dann sagt sie: »Na ja, aber Donnerstag hast du ja Berufsschule, da sehen wir uns. Und dann ist auch fast schon Wochenende. Was machen wir eigentlich am Freitag?« »Ich weiß nicht. Playstation zocken bei dir?« »Ist denn sonst nichts los?« »Was soll in dem Kaff hier schon los sein?« Jannis lächelt. »Aber so können wir unsere Kräfte sparen für den Väth am Samstag.« »Na, ich weiß nicht. Mal sehen«, sagt Tari, lächelt aber zurück. »Wenn wir erst mit der Scheiß-Schule fertig sind, können wir alle zusammen nach Kassel ziehen, und dann gehen wir jeden Abend ins ,Loop‘!« »Das hat gar nicht jeden Abend auf.« »Na, egal, dann gehen wir woanders hin, da gibt es doch genug Gelegenheiten. Das wäre doch genial, oder? Wir alle zusammen in einer WG, mit Lemon und Tino? Dann kann uns auch endlich keiner mehr Vorschriften machen.« »Apropos, wann musst du zu Hause sein heute?« Tari seufzt. »Um zwölf. Ich konnte Verlängerung aushandeln, weil ich morgen erst zur dritten Stunde habe.« Jannis drückt auf einen Knopf seiner Armbanduhr, und ein blaues Licht leuchtet auf. »Dann haben wir noch ein bisschen Zeit, es ist kurz vor elf.«

Naomi kommt zurück zum Auto. »Gott sei Dank, du bist heil zurück«, scherzt Jannis. »Und wir dachten schon, wir hätten dich verloren …« Naomi verdreht die Augen, lächelt aber dann. »Du bist ja soo witzig heute - rutscht ihr mal?« Ihre Freunde rücken zur Seite, sodass sie ihren Platz auf der Motorhaube wieder einnehmen kann. »Ich habe mir überlegt, dass ich Batschi vielleicht doch mal zurückrufen sollte«, sagt sie. »Er wollte sich doch am Samstag mit mir im ‚Loop‘ treffen.« »Hä? Du stehst doch nicht auf ihn, hast du gesagt.« »Aber der Sex war ganz gut, und wer weiß, ob sich was anderes ergibt.« »Du hältst ihn dir also warm für den Notfall?«, fragt Jannis. »Genau.« »Das ist ja auch wirklich ein Notfall, wenn du mal ein Wochenende keinen abschleppen kannst«, sagt Tari. »Tu doch nicht so. Du vergnügst dich doch auch ständig mit Chris oder einem deiner anderen kleinen Verehrer.« »Das ist ja wohl was anderes.« »Warum?« »Darum.« »Tolle Antwort.« Die Grillen sind inzwischen verstummt. Das Wasser plätschert noch sacht vor sich hin. »Ach, Moment, ich habe da ja noch was.« Naomi klettert wieder von der Motorhaube und holt etwas aus ihrer Tasche auf dem Rücksitz. »Ta da!« »Hey, wo hast du die denn her?« »Hat mir Lemon gestern da gelassen, als sie bei mir war. Rauchen wir die noch?« »Ich muss um zwölf zu Hause sein.« »Na, das reicht doch«, sagt Naomi und zündet die Tüte an. »Magst du auch, Jannis?« Er zögert. »Keine Sorge«, sagt Naomi und grinst. »Ich verrate es niemandem.« »Vor allem nicht Tino!«, ruft Tari, und wieder fangen alle prustend an zu lachen. Dann nimmt Jannis Naomi den Joint aus der Hand und zieht daran. »Sagt Tino bitte echt nichts davon«, sagt er, nachdem er den Rauch wieder ausgestoßen hat, und schmunzelt. »Sonst denkt er, ihr zieht mich in euren Drogensumpf mit hinein …« »Ha, Drogensumpf!« Die Mädchen lachen auf. »Im Gegensatz zu den ganzen Druffis im ,Loop‘ sind wir ja wohl echt harmlos«, sagt Tari. »Die einzige Droge, die wir brauchen, ist die Musik.« Alle nicken, Tari nimmt den Joint entgegen. »Und Sex«, platzt Naomi heraus, und wieder schütten sich die drei aus vor Lachen. Als sie die Tüte zu Ende geraucht haben, schauen sie wieder schweigend in den Himmel. »Hach, schön.« (Kicher.) »Oh Mann, hoffentlich schlafen meine Eltern schon und sehen mich so nicht.« (Gelächter.) »Jannis, kannst du eigentlich noch fahren?« »Denk schon.« »Denk schon??« »Also«, sagt Naomi in wichtigem Ton und setzt sich auf. Tari und Jannis gucken sie an. »Also, … ich fühle mich bei Jannis im Auto viel sicherer als bei Tino. Der heizt immer so, als müsse er jemandem was beweisen.« »Dir wahrscheinlich.« (Kichern und Gelächter.) »Aber Tino nimmt wenigstens keine Drogen.« »Stimmt. Dafür ist er ja viel zu sehr Sportskanone.« (Lachen.) »Hey, ich bin auch 'ne Sportskanone!« »Du bist ein Kiffer!« Naomi und Tari lachen sich schlapp. »Bin ich nicht, ihr verführt mich nur immer.« »Davon träumst du wohl.« »Na klar.« (Kicher.)

»So, Madame, da wären wir!«, sagt Jannis und stoppt seinen Wagen vor Naomis Haus. »Vielen Dank, werter Herr Chauffeur!«, sagt sie. »Ich hoffe, du weißt es zu schätzen, dass er dich trotz seines Zustands heil nach Hause gebracht hat«, sagt Tari und kichert schon wieder. »Ich habe nichts anderes erwartet«, sagt Naomi und beugt sich zu Jannis rüber, um ihn zu küssen. »Gute Nacht!« »Hey, Naomi, machen wir uns am Samstag zusammen fertig fürs ,Loop‘? Ich brauche Hilfe bei meinem Outfit, das muss der Knaller werden!« »Na klar, Süße, das kriegen wir schon hin.« Jannis lacht. »Mann, Tari, was machst du denn für einen Aufstand? Du kennst den Typen doch gar nicht!« »Habe ich erwähnt, dass er einfach hammergeil aussieht??« »Ja, ja, und es war Liebe auf den ersten Blick, ich weiß«, sagt Jannis und grinst. »Aber ganz ehrlich, du verliebst dich doch alle paar Wochen neu, oder? Also, ganz locker bleiben!« »Diesmal ist es aber echt was anderes.« Jannis grinst nur weiter, und Naomi küsst nun auch Tari zum Abschied. »Warten wir’s einfach ab. Schlaft gut!« »Moment, ich setzte mich nach vorne.« Naomi steigt aus und geht zum Haus, Tari wechselt vom Rück- auf den Beifahrersitz.

Kurz darauf parkt Jannis auf dem Bürgersteig vor Taris Elternhaus. »Ich bringe dich noch zur Tür.« Sie steigen aus. »Sieht alles dunkel aus da drin, du hast wohl Glück.« »Gott sei Dank, ich habe bestimmt voll die roten Glotzer!« Beide lachen. Als sie fast an der Haustür sind, sagt Jannis: »Guck mal, da steckt ein Zettel … Vielleicht hast du einen Liebesbrief von deinem Traumtypen bekommen?« »Ha, ha«, sagt Tari, beschleunigt ihren Schritt aber etwas und zieht dann das Stück Papier, das aus der Briefkastenöffnung hervorschaut, ganz heraus. »Oh Mann, hör dir das an!« Im Licht der Eingangslampe, die durch den Bewegungsmelder angegangen ist, liest sie vor: »,Hey Tari, was treibt ihr denn ohne mich? Ich wollte dich besuchen und deine Mama sagte, du wärst mit Naomi und Jannis weg. Ganz toll, und ich??? Warum habt ihr mir nicht Bescheid gesagt? Ich bin doch deine allerbeste Freundin!! Ich vermisse dich und hab dich lieb, deine Lemon.‘« Tari stöhnt und setzt sich auf die Stufen vor der Haustür, Jannis tut es ihr gleich. »Manchmal ist sie echt 'ne Klette, oder?«, sagt er. »Ja, nein, ich hab sie ja auch lieb. Aber ab und zu ist es einfach etwas viel. Ich muss doch auch mal was ohne sie machen können!« »Sehe ich genauso. Mit mir zum Beispiel.« »Mit dir besonders gerne.« Sie lächeln sich an, dann legt sie ihren Kopf auf seine Schulter und schließt die Augen. »Weißt du, wenn ich was geraucht habe und im Bett die Augen zumache, sehe ich immer ganz viele Bilder vor mir, die so auf mich zufliegen. Kennst du das?« »Was denn für Bilder?« »Na ja, ich weiß nicht, alles Mögliche. Und dann ist da immer ein Bild, dass jedes Mal kommt, aber ich kann es nicht richtig erkennen, obwohl es mir total bekannt vorkommt.« »Na, wie sieht es denn aus?« »Das weiß ich ja eben nicht. Irgendwie wie ein Symbol oder Zeichen, dann wieder, als ob mehrere Bilder übereinanderliegen würden. Und ich habe immer so ein ganz starkes Gefühl, dass ich unbedingt erkennen muss, was es ist, dass das ganz wichtig ist. Aber ich schaffe es nicht.« Jannis streichelt ihr übers Haar. »Ich glaube, du denkst einfach zu viel nach.« »Also hast du so was nie?« »Nee. Ich glaube, ich träume dann manchmal ziemlich wild. Aber daran kann ich mich am nächsten Tag eh nicht mehr richtig erinnern.« »Hmm.« Er nimmt sie in den Arm. »Mach einfach die Augen zu und träume von dem Kerl aus dem ‚Loop‘ - oder von mir …« Sie lacht. »Ich versuch’s!« Sie küssen sich und stehen dann auf. »Ich ruf dich morgen an!« »Okay!« Jannis geht zum Auto, und Tari verschwindet in ihrem Zuhause. Am Himmel funkeln die Sterne weiter in all ihrer Vielfalt. Verheißungsvoll und wie zum Greifen nah. Und doch so unglaublich weit entfernt.

Loop - das Leben feiern

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