Читать книгу Sternzeit unbekannt - Katja Seifert - Страница 3
ОглавлениеKrachbum
Es war ein Freitag im späten Januar. Es war sehr kalt und die Sonne hat geschienen. Die Luft war unglaublich trocken, so trocken das selbst der Atem kaum zu sehen war wenn man ausgeatmet hat. Ich kam gerade von der Schule. Wie so typisch für mich träume ich vor mich hin während meines nach hause Weges. Zwar war die Kälte beißend im Gesicht die dünnen Sonnenstrahlen vermochten es doch warm zu halten. Auf der Höhe des alten Friedhofs nutzte ich die Fußgängerampel. Eigentlich benutze ich nie diese Ampel. Ich lauf einfach die Straße lang und wenn mal nichts kommt lauf ich rüber. An dem Tag nicht, ich weiß nicht warum ich es getan habe. Vielleicht wars ja Schicksal oder Gottes Wille oder ich wollte nur an der Ampel stehen und die Sonne genießen. Sobald ich grün hatte ging ich und hörte nur noch ein Auto neben mir bremsen. Das Kino zeigt immer das bei sowas alles schwarz wird, ist aber leider nur Kino. Die Stoßstange des Autos erwischt mich kurz unterhalb der hüfte, ich merke wie mein Bein wegsackt und wie mein Kopf auf die Motorhaube aufschlägt. Die Kräfte des Autos rollen mich auf die Straße, nach unendlich vielen Umdrehungen halte ich an. Mein erster Gedanke gilt meinen Schulbüchern, ich hoffe das ihnen nichts passiert ist. Es wird schrecklichen Ärger geben wenn die kaputt sind. Minuten vergehen, Stunden oder doch nur Sekunden. Ich sehe Gesichter die sich über mich beugen und alle furchtbar schockiert schauen. Sie reden auf mich ein aber ich verstehe kein Wort. Schmerzen habe ich nicht, nur kein Gefühl mehr unterhalb der Arme. Meine Jacke wird dreckig denk ich mir und muss daran denken wie meine Mutter sie mir erst zu Weihnachten geschenkt hat und spüre wie mir heiße Tränen die Wangen herunter laufen. Sie brennen wie Feuer. Das Aussehen der Menschen ändert sich. Auch sie reden auf mich ein. Lasst mich doch endlich in ruhe, lasst mich doch endlich hier liegen. Ich spüre einen Stich im Arm und dann wird alles dunkel. Endlich kommt meine Hollywoodblende.
Ich sitze in einem Kino. Es ist warm und weich. Die Sitze sind aus rotem Filz und super bequem. Nur riechen sie komisch, als hätte man sie mit Pisse getränkt. Der Film geht los, leider bin ich die Einzige im Kino. Es ist lange Zeit dunkel bis die Projektorlampe angeht. Im Moment da die Xeonlampe mit voller Leistung auf die leere Leinwand fällt, erblinde ich, und probier krampfhaft mich gegen das kalte Licht, was seine Finger unaufhaltsam und ohne Widerstand in meine Augen drückt, ab zu wehren. Der stechende Schmerz nimmt zu Glück schnell ab und ich kann sogar wieder was erkennen. Ich sehe eine Szene in einem Krankenhaus und muss an Emergencyroom denken und Georg Clooney. Das Gesicht eines Arztes der um die 40 sein muss sieht mich an. Redet auf die Krankenschwester die neben ihm steht ein und sie schreibt schuldbewusst Dinge auf ihr Notizbrett. Dann redet er mich an, nennt mich beim Namen und fragt wie es mir geht. Ich frage mich woher er weiß wie ich heiße und ob das hier so eine Art Mitmachkino ist. Als nächstes fällt mir auf wie schlecht die Frau frisiert ist, obwohl sie bestimmt keine 50 ist hat sie eine Omafrisur wodurch sie auch wie eine wirkt. Der Arzt erzählt mir das ich angefahren wurde und das mein Oberschenkelknochen zwei mal gebrochen ist und mein Becken ein Trümmerfraktur hat. Außerdem mussten sie mich in ein künstliches Koma versetzen da ihnen am Anfang meine Kopfverletzung sorgen bereitet hat. Er sagt mir das heute Dienstag wäre. Bei dem Wort Kopfverletzung greife ich ganz instinktiv an meinen Kopf worauf ich, mit einem bösen Blick bedacht, von der Schwester aufgehalten werde. Nicht anfassen bekomme ich zu hören. Sie werden für mindestens acht Wochen nicht das Bett verlassen können.
„Fräulein Seifert ich würde gerne noch einige Tests mit ihnen machen um zu sehen wie sich ihre Kopfverletzung ausgewirkt hat.“ Ich öffne den Mund um ein „ok“ zu erwidern aber aus den Tiefen meines Rachens kommt kein einziger Laut. Die beunruhigten Blicke zwischen Arzt und Schwester verraten mir das das nicht Teil der Medikamente sein kann. „Fräulein Seifert brummen Sie mal etwas, so als wären sie eine Biene.“ Ich presse die Lippen zusammen und probiere mich zu erinnern wie das Geräusch einer Biene geht und ob ich das Geräusch selbst vor meinem Unfall hätte machen können. Ich öffne den Mund probiere meinen Kehlkopf vibrieren zu lassen aber es tut sich nichts. Sekunden vergehen doch das einzige Geräusch ist das habsen meines Mundes der nach Luft schnappt. Nicht mal ein Quicken kommt heraus. Selbst mein Versuch zu schreien funktioniert nicht. Die Umgebung wird ganz wässrig und das erste Geräusch was ich produziere ist ein Schluchzen. Der Arzt probiert mich zu beruhigen und redet mir gut zu. Er erzählt mir das ich kurz nach dem Unfall in Lebensgefahr schwebte und der Notarzt mir zu Beatmung einen Schlau in die Luftröhre einführen musste. Dabei können die Stimmbänder beschädigt werden, erklärt er mir. „Wir werden in den nächsten Tagen eine Untersuchung ihrer Stimmbänder machen um den Schaden zu begutachten. Danach können wir eine OP durchführen wodurch die Stimmbänder wieder hergestellt werden, aber selbst danach kann es sein das sie weiterhin Probleme mit dem Sprechen haben werden.“
Als ich mich wieder etwas gefasst habe meint er das er meine Verwandten jetzt anrufen wird. Er verlässt das Zimmer, die Schwester im Gänsemarsch dahinter. Sowie sie raus sind probier ich mich auf zu richten. Es durchzuckt mich ein stechender Schmerz im Bauch. Ich kann meinen Kopf weit genug heben das ich viele Schrauben und Eisenkonstruktionen an mir sehen kann. Wie ein altes Gebäude was man zu Sanierung eingerüstet hat. Meine Arme kann ich zum Glück schmerzfrei bewegen, mir fällt nur auf das die Haut viele schürfwunden hat, die aber nicht weh tun obwohl ich mit einem Finger drin rumstocher. Ich muss vollgepumpt mit Schmerzmitteln sein, ich will mir gar nicht ausmalen wie es ohne sein muss. Jetzt fasse ich mir doch an den Kopf. Ich spüre dicke Bandagen und kurze Haarstoppeln. Sie müssen mir meine Haare abgeschnitten haben und da Fang ich wieder bitterlich an zu weinen. So sehr das bald eine andere Schwester in mein Zimmer geeilt kommt und mich fragt ob es mir gut geht. Ich schluchze nur und schaue sie durch meine wässrigen Augen an. Sie legt mir den Arm auf die Schulter und sagt mir das bestimmt bald alles wieder gut wird.
Meine Mutter kommt ins Zimmer und zum ersten Mal an diesem Tag lächel ich. Sie stellt sich neben mich mit Tränen in den Augen und beginnt mich zu drücken und auf mich einzureden. Sie aufzuhalten wäre ein sinnloses Unterfangen und da ich ihren Wortschwall beruhigend finde lasse ich sie. Sie erzählt mir von vielerlei Dinge. Das der Fahrer besoffen war und das am Nachmittag, dass sie ihn eingesperrt hätten. Erst als ich ihr nicht Antworte und sie nur mit großen glasigen Augen ansehe scheint sie zu kapieren was der Chefarzt ihr bestimmt schon gesagt hat. Sie umarmt mich und spendet mir Trost. Unter ihrer zärtlichen Berührung schlafe ich ein.
Als ich aufwache ist es dunkel, nur etwas Licht vom Flur kommt herein. Ich probiere aufzustehen merke aber schnell das ich immer noch nur ein Klumpen Fleisch in einem Bett bin.
Ich sehe mich im Zimmer um, es stehen nur zwei Betten im Raum, in einem liege ich, in dem anderen eine Frau Mitte vierzig vielleicht. Aus ihrem Körper kommen jede Menge Schläuche und ihr Kopf ist, wie bei mir, in mehreren Lagen Mull eingewickelt. Ich probier meine Arme zu benutzen was sich total seltsam anfühlt, wie als wären sie eingeschlafen nur das sie nicht recht aufwachen wollen. Ich taste mein Bett ab und meinen Bauch. Der leichte Druck auf ihn wird mir durch einen dumpfen Schmerz quittiert. Die Drogen müssen noch wirken. Der Druck auf meinen Kopfverband tut schon mehr weh. Ich bemerke einen Schalter an einem Kabel was neben mir auf dem Nachtschränkchen liegt. Er ist groß und schwer, aus weißem Plastik und riecht intensiv nach Krankenhaus. Ich drücke auf den roten Schalter und warte. Wenige Sekunden später kommt eine junge, vielleicht Mitte 20, Frau ins Zimmer. Sie ist sehr hübsch. Hat brünette Haare die durch kleine Stränchen, die etwas heller sind, aufgelockert werden. Ihr Gesicht wird von kleinen Sommersprossen unter den Augen und auf der kleinen Stubsnase verschönert. Ihre Goldbraunen Augen strahlen eine Wärme aus die mich völlig gefangen nehmen.
„Alles ok?“ Fragt sie mich.
Ich nicke.
„Möchtest du was trinken?“
Erst jetzt fällt mir ein das ich seit Tagen nichts mehr getrunken haben muss und nicke erneut. Wenigstens zum nicken ist mein Gehirn noch fähig. Sie tritt vor mein Bett und schaut sich meine Krankenakte an. Nach kurzem schweigen, Stirngerunzel und „dann lass und mal sehen“ bekomme ich die Optionen: Wasser oder ungesüßten Tee. Was für eine Auswahl. Wie soll man da gesund werden. Zu sagen was man will erweist sich als äußerst schwierig wenn man nicht sagen kann was man will. Nach etwas hilflosen gestikulieren schaut sie erneut in meine Akte. „Achso du kannst nicht reden.“ Ich sehe wie sich einige Zahnräder in hinter ihren hübschen braunen Augen anfangen zu drehen und kurz danach einen aha-Ausdruck auf ihr Gesicht zaubern. „Aber schreiben kannst du oder?“ ich nicke und sie rennt aus dem Zimmer. Wenige Sekunden später habe ich einen Ringblock und einen Kugelschreiber in meinen Händen und probiere krampfig was zu schreiben. Zum Glück hat sie mir nicht die Optionen Preisselbeersaftschorle oder Latte Machiatto gegeben und bin heilfroh nur das Wort TEE auf den Block gritzeln zu müssen. Meine Handschrift war noch nie besonders gut, jetzt kann aber selbst ich kaum noch lesen was ich da geschrieben habe. Ich hoffe das sie sieht das es nur drei Buchstaben sein sollen und ich bestimmt nicht Wasser damit meine.
Sie schenkt mir ein zuckersüßes Lächeln und ein „Ok“. Nach zehn Minuten bekomme ich eine Trinkflasche mit Strohhalm in dem sich irgendeine Kräuterteemischung befindet dir nur darauf wartet mir den Mundraum zu verbrennen als ich sie gierig einsauge.
„Kann ich sonst noch was tun?“
Ich schreibe langsam und krakelig auf den Block das Wort NAME? und reiche ihn ihr.
„Du willst wissen wie ich heiße?“ Ich nick.
„Mein Name ist Schwester Peters, aber du kannst mich auch Leonie nennen wenn du magst.“ Ich sauge erneut an meinem lavaheißen Tee und probiere auf meinen Zettel: Danke, dass wars ich brauche dich erst mal nicht mehr. Zu schreiben aber mehr als DANKE bekomme ich nicht aufs Papier. Sie schenkt mir wieder das süße Lächeln und meint noch: „Ok, falls du noch was brauchst drück einfach den Knopf ich bin sofort bei dir.“
Das ist echt peinlich. Ich hänge selbst an den einfachsten Worten mehrere Minuten meine Gehirn muss ganz schön kaputt sein wenn ich sowas nicht mehr kann. Da ich noch nicht einschlafen kann, probiere ich einen Zettel mit Standartantworten zu basteln. Auf dem stehen Dinge wie ja und nein aber auch Durst und Hunger nachdem ich die 4 wichtigen Worte zusammen getragen habe fällt mir nichts mehr ein und schnell fühle ich mich als wären 10 Stunden Schule hinter mir.
Nach ein paar Stunden Langeweile kommt eine mir noch gänzlich unbekannte Schwester ins Zimmer. Sie wünscht mir einen guten Morgen und fängt an mich zu waschen. Eigentlich sollte ich das als unangenehm empfinden, es ist es aber nicht. Sie rubbelt mich mit einem kalten Waschlappen ab, immer wieder unterbrochen von kurzen Schmerzensgluggsern von mir. Noch während ich gewaschen werde kommt der Visitenarzt rein und jetzt wird mir die Sache schon deutlich unangenehmer.
„Guten Morgen Fräulein Seifert. Wie haben sie geschlafen?“
Ging so. Schreibe ich auf meinen Zettel und merke das das schon flotter geht als noch vor ein paar Stunden.
Wir müssen sie heute noch einmal operieren. Die Röntgenbilder die wir gestern gemacht haben zeigen uns das die Blutungen an ihrem Kopf noch nicht ganz gestillt sind. Es wird ein relativ kleiner eingriff und wenn er gut verläuft können sie heute Nachmittag etwas essen. In etwa einer halben Stunde holt sie jemand ab. Haben sie noch Fragen? Ich schüttel den Kopf.
Wieder werde ich meiner Langeweile überlasen. Wieder eine halbe Ewigkeit später kommt die Schwester, die damals bei meinem Kinobesuch dabei war, ins Zimmer. Gefolgt von einem schlacksigen Zivi der mich mitleidig ansieht. Vielleicht hat er ja eine Schwester oder seine Freundin ist in meinem Alter. Sie schieben mich mit dem Bett in einen sehr kleinen OP-Saal. Komisch in den TV Sendungen sind OP-Säle immer riesen groß. Der hier ist aber direkt winzig dagegen. Vielleicht zwanzig Quadratmeter. Es kommt eine junge Ärztin neben mich, sie ist nicht besonders hübsch aber wenigstens nett. Sie setzt mir eine Kanüle an meiner rechten Hand, was höllisch weh tut und setzt eine Spritze daran. Sie redet noch etwas mit mir und ........ blackout.
Ich erwache aus der Narkose. Fühle mich wie im Halbschlaf. Jemand redet mit mir, verstehe aber kein Wort. Ich bewege meine Lippen, ein Ton gebe ich aber immer noch nicht von mir. Erst ein paar Sekunden später dringt in mein Bewusstsein was die Stimme überhaupt zu mir gesagt hat. Ich verfalle wieder in einen traumlosen Schlaf. Stunden später wache ich in meinem Zimmer auf nur um fest zu stellen das es gerade mal eins ist.
Meine Schwester Nici sitzt in dem Stuhl neben meinem Bett, blättert in irgendeinem Modemagazin und kaut auf ihren eigentlich wunderschönen Nägeln herum. Ich merk wie mein Gesicht spannt da ich seit einer Ewigkeit mal wieder richtig lächel.
„Hallo Schwesterchen.“ Begrüßt sie mich als sie merkt das ich wach bin. „Du siehst ganz schön scheisse aus.“
Ich strecke ihr die Zunge raus und geb ihr einen Mittelfinger als Konter.
„Ich war schon zweimal da, da hast du aber immer gepennt.“
Ich deute an das ich was zu schreiben brauche und Nici steigen Tränen in die Augen als sie versteht das ich wirklich nicht mehr sprechen kann. Sie bewahrt aber Haltung und lässt keine davon fließen.
„Wie schlimm sehe ich aus?“ Schreibe ich auf meinen Block. Es dauert eine halbe Ewigkeit da mir der Kopf noch von dem Narkosemittel schwirrt.
„Ziemlich schlimm. Aber mach dir mal kein Kopf was wird schon wieder. Deine Lehrerin meinte wenn du dieses Jahr nicht mehr wiederkommst gelten deine jetzigen Zensuren als Endnote. Du musst nur den Stoff lernen der noch dran kommt.“
„Scheisse. Ich steh auf ner Vier in Deutsch.“
„Tja das nennt man Pech.“ Nici grinst mich an.
Ich bin immer neidisch auf meine Schwester gewesen. Wenn man uns sieht würde man nicht denken das wir Schwestern sind. Ich komm eher nach meiner Mutter, sie eher nach unserem Vater. Sie ist gut fünf Zentimeter größer als ich und sehr viel schlanker. Wo ich unbeholfen und pummelig wirke, strahlt sie eine Eleganz und Leichtigkeit aus. Gerade jetzt wo ich sie von unten sehe, wird mir wieder bewusst warum ich häufig so neidisch auf sie bin.
„Ich hab dir was zu lesen mit gebracht und deine Brille. Außerdem noch was Süßes.“
„Danke. Aber ich darf noch nix essen. Was gibt es neues?“
„Ach nicht viel. Naja außer......“
Sie plaudert etwas über dies und das bis die Besuchszeit zu Ende ist und sie gehen muss. Er tut sehr gut ihr zuzuhören. Es hat etwas beruhigendes und Altvertrautes.