Читать книгу Alles wird gut? - Katrin Bederna - Страница 7

1.Alles wird gut?

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„Wer jünger als sechzig ist, hat gute Chancen, Zeuge der radikalen Destabilisierung des Lebens auf der Erde zu werden – massiver Ernteausfälle, apokalyptischer Brände, implodierender Volkswirtschaften, gewaltiger Überschwemmungen, Hunderter Millionen Flüchtlinge aus Gegenden, die wegen extremer Hitze oder andauernder Dürre unbewohnbar geworden sind. Wer unter dreißig ist, wird fast garantiert Zeuge all dessen sein. Wenn unser Planet uns am Herzen liegt, und mit ihm Menschen und Tiere, die darauf leben, können wir zwei Haltungen dazu einnehmen. Entweder wir hoffen weiter, dass sich die Katastrophe verhindern lässt, und werden angesichts der Trägheit der Welt nur immer frustrierter oder wütender. Oder wir akzeptieren, dass das Unheil eintreten wird, und denken neu darüber nach, was es heißt, Hoffnung zu haben.“

Jonathan Franzen, What if We Stopped Pretending? 8. 9. 20191

Andrà tutto bene, alles wird gut! Diese Hoffnung leuchtete im Frühjahr 2020 auf dem Höhepunkt der ersten Coronawelle von italienischen Balkonen. Während die Trauer um die vielen Verstorbenen wuchs, gab und gibt es doch begründete Hoffnung für die Lebenden, gemeinsam das Virus zu besiegen.

Die ökologische Krise, um die es in diesem Buch geht, ist die größere. Während diese Zeilen geschrieben werden, wird prognostiziert, gegen Ende 2021 könnte das Virus unter Kontrolle sein. Selbst wenn jedoch weltweit ab heute nur noch so viel Treibhausgas ausgestoßen würde, wie von Pflanzen wieder gebunden oder industriell der Atmosphäre entzogen werden kann, würde die Klimakrise bis Ende des Jahrhunderts immer gravierender, denn sie verstärkt sich selbst, beispielsweise weil wärmere Ozeane weniger CO2 speichern als normaltemperierte. Zudem werden die Treibhausgasemissionen der letzten Jahrzehnte noch lange ihre Wirkung entfalten. An die Corona-Pandemie werden unsere Enkelinnen und Urenkel vermutlich so denken wie wir Heutigen an die spanische Grippe. Die ökologische Krise wird hingegen das Leben vieler Generationen nach uns beeinträchtigen. Klimakrise, Artensterben und Süßwassermangel betreffen zudem alle Menschen, alle Tiere und Pflanzen und alle Landschaften. Die ökologische Krise ist folglich ungleich gewichtiger hinsichtlich der Zahl der Opfer, der Intensität der Schäden und nicht zuletzt hinsichtlich der Vielfalt der Gründe zu verzweifeln.

Alles wird gut?

Es ist spät. Vor 50 Jahren, als der Club of Rome 1972 den Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ veröffentlichte, wäre noch Zeit gewesen, mit einer großen Kraftanstrengung die Überschreitungen der planetaren Grenzen zu verhindern. Vor 30 Jahren, als in Rio 1992 die United Nations Conference on Environment and Development, der sogenannte Erdgipfel, tagte und die Klimarahmenkonvention verabschiedet wurde, war der Handlungsspielraum schon deutlich kleiner. Nun ist seit dem Weltklimagipfel in Paris 2015 (der 21. Conference of Parties zur Klimarahmenkonvention, genannt COP 21) und der zeitgleichen Enzyklika Laudato si’ von Papst Franziskus wieder mehr als eine halbe Dekade verstrichen und die Treibhausgasemissionen, der Landverlust, das Artensterben nehmen zu.

Jonathan Franzen zieht aus dieser Tatsache in seinem einleitend zitierten Essay eine irritierende Konsequenz: Wir sollten der Tatsache ins Auge sehen, dass Menschen nicht zu gemeinschaftlichem vernünftigem Handeln fähig seien und der Kampf gegen die Klimakrise verloren sei. Es sei zu spät. Statt die politische und individuelle Energie in die Minderung der Erderwärmung zu investieren, sollten alle Menschen versuchen, die Lebensbedingungen von Tieren und Menschen an vielen Orten ein wenig zu verbessern und sich gegen die nahende Katastrophe zu wappnen – so lange es noch geht. Die Welt zu retten sei vermessen und illusionär.

Diese These rief breiten Widerstand hervor. 50 Jahre lang erschien die ökologische Situation den meisten Menschen nicht schlimm genug, um für eine ökologische Transformation zu kämpfen. Und nun soll sie zu schlimm sein? Richtig an Jonathan Franzens Überlegungen ist dreierlei: Erstens ist die Klimakrise so weit fortgeschritten – in der Antarktis weiter als je prognostiziert – und sind die Maßnahmen zur Eindämmung so mickrig, dass es düster aussieht. Zweitens ist Klima nicht alles. Wenn der Klimawandel gebremst sein sollte, sind das Artensterben und der Landverlust, sind Hunger und Süßwassermangel dadurch noch nicht beseitigt. Und drittens ist die Idee der Weltrettung, die mit dem Versprechen, alles werde gut, einhergeht, zu groß. Sie ist im eigentlichen Sinn eine religiöse.

Zugleich aber ist Franzens Argumentation hochproblematisch: Erstens ist Klima zwar nicht alles, aber ohne klimatische Stabilität ist alles andere nichts. Der Klimawandel ist der größte Feind der Artenvielfalt, der Fruchtbarkeit des Landes, der Ernährungssicherheit und des Friedens. Es gibt viele gesellschaftliche und ökologische Probleme – doch fast alle werden sie verstärkt vom Klimawandel. Zweitens ist das Ziel der „Rettung der Welt“ zwar in der Tat wortwörtlich verstanden überheblich. Es ist aber eine angemessene Metapher, die Größe der Aufgabe zu umschreiben. Es geht nicht um alles, aber doch um enorm vieles innerhalb unseres Horizonts, um Tiere und Pflanzen, um die menschliche Zivilisation. Deshalb beschreiten die meisten Klimaforscherinnen und Aktivisten den hier von Franzen gescholtenen Weg: Maja Göpel nennt ihr Buch Unsere Welt neu denken (2020). Trotz aller Dramatik ist ihr Tenor der einer Einladung: „Bleiben Sie freundlich und geduldig, aber bleiben Sie dran.“2 Luisa Neubauer und Alexander Repening erzählen in Vom Ende der Klimakrise eine Geschichte unserer Zukunft (2020): Es gebe sehr viel Grund für Frust und Wut. Doch sei das nur mehr Ansporn, „possibilistisch“ die verbleibenden Möglichkeiten zu ergreifen.3 Jedes Zehntelgrad Erwärmung, das nicht stattfindet, ist gewonnenes Leben. Drittens ist es nämlich schlichtweg unmoralisch, frühzeitig das Ende auszurufen. Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist.

Alles wird gut?

„Alles Gute für dich!“ Dieses Geburtstagslied zeigt das genannte Dilemma zwischen notwendiger Hoffnung und abgeklärtem Realismus nach der Art Franzens verschärft: Wer das singt, verheißt das Gute – und verspricht singend mehr, als sie oder er halten kann. Im Lied verbirgt sich die Zusage: Es ist gut, dass du bist. Ich verspreche, mitzuhelfen, dass alles gut werde für dich. Ich werde nicht einwilligen in das Übel, das dir geschieht. Diesen Zusammenhang fasst Gabriel Marcel in den berühmten Satz: „Einen Menschen lieben heißt ihm sagen: Du wirst nicht sterben!“ In der unbeirrbaren Solidarität für die anderen setzen wir praktisch, wenn auch gegen viele Fakten der Welt, dass Rettung möglich ist. Umgekehrt heißt, zu „akzeptieren, dass das Unheil eintreten wird“ (Franzen), die anderen, die Zukünftigen, fallen zu lassen und es sich in seiner kleinen, noch heilen Welt bequem zu machen.

Aber singen wir „Alles Gute für dich!“ nicht nur einfach so? Sind unsere Lieder nicht bloß nette Wünsche? Zeigen die Transparente an den italienischen Balkonen nicht einfach nur Durchhalteparolen? Vielleicht. Sind sie ernst gemeint, wird aus dem Wunsch ein Wille: der Wille, sich einzusetzen für alles hier mögliche Gute für dich.

Alles Gute!

Omne bene, Alles Gute, nennt die Franziskanerterziarin Angela da Foligno aus der Nachbarschaft Assisis um 1300 das Gegenüber ihrer mystischen Erfahrungen:

„Und ich sah das Alles Gute. … Die Seele sieht nichts, was sie mit Worten oder mit dem Herzen fassen könnte. Sie sieht nichts und sie sieht alles ganz und gar. Ich setze meine Hoffnung in kein äußerlich beschreibbares oder vorstellbares Gut; meine Hoffnung ist in einem ganz und gar verborgenen, verschlossenen Gut, das ich mit so großem Dunkel erkenne.“4

Dahinter steckt auch der gerade skizzierte Gedanke: Gott ist für Angela Alles Gute in Person und kann allein alles Gute realisieren. Der Alles Gute sei unvorstellbar und im Dunkel, weil er nicht begrenzt sei, weil er alles erfülle und durchdringe. Wer sich einsetzt für die anderen, wer hofft und verspricht, alles werde gut, der setzt implizit auf Gott, den oder die Alles Gute.

Diese Hoffnung kann man als Vertröstung missverstehen. Doch ist sie bei Angela, Franziskus, Klara und auch logisch das Gegenteil: Wer sich nicht einsetzt dafür, dass Gottes Liebe in der Welt wirklich wird, sondern nur auf Gott hofft, der wünscht nur alles Gute, will es aber nicht wirklich. Es gilt, sehr viel Schaden zu vermeiden, während wir auf Omne bene warten.

Das alles klingt vielleicht so, als seien wir zwar moralisch und religiös verpflichtet zu hoffnungsvollem Einsatz, doch sei die Sache eigentlich aussichtslos. Aber das ist nicht der Fall. Das Zauberwort Klimaneutralität ist mittlerweile in aller Munde – auch wenn noch niemand wirklich begriffen hat, wie das gehen wird. Es gibt viele, die sehen, dass ein neues Verhältnis zu Natur und Zukunft, eine andere Art zu wirtschaften, zu essen, zu wohnen, zu reisen, zu teilen notwendig sind. Sie sind nicht allein. Es gibt viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Fast jedes Städtchen hat mittlerweile eine Klimagruppe, eine Radverkehrsinitiative, eine Gruppe von BUND oder Greenpeace. Man muss sie nur suchen oder gründen.

Das Buch, das Sie zur Hand genommen haben, ist kein Klimabuch im engeren Sinn. Es erklärt nicht, wie viel Tonnen Treibhausgas pro Kopf noch ausgestoßen werden könnten, bis die magische 1,5-C-Grenze der COP 21 von Paris überschritten wird. Es erläutert nicht, welche biologischen und sozialen Folgen die Erwärmung der globalen Erdtemperatur haben wird. Es fragt auch nicht, welche psychologischen und soziologischen Gründe dazu führen, dass so absurd wenig geschieht. Es stellt vielmehr spirituelle Fragen, denn die ökologische Krise ist auch eine spirituelle Krise. Eine Krise des eigenen Verhältnisses zu Tieren, Pflanzen, Menschen und Gott. Eine Krise von allgegenwärtigem Wachstumsstreben und fehlendem Schuldbewusstsein. Dabei gehe ich vom naheliegenden Gedanken aus, dass die franziskanische Tradition in dieser spirituellen Krise hilfreich sein könnte.

Das Buch beginnt mit einem Kapitel über die tätige Hoffnung darauf, dass doch noch alles gut werde. Christlicher Glaube lehrt diesbezüglich Bescheidenheit. Dass alles gut werde, würde auch die Rettung der Opfer der Vergangenheit umfassen und ist etwas, das Menschen nur klagend erbitten können. Vorher ist noch sehr viel anderes zu tun. Jede und jeder Einzelne kann politisch und alltagspraktisch an der notwendigen ökologischen Transformation mitwirken, auf dass es nicht noch schlimmer komme, vertrauend darauf, nicht allein zu sein. Dieses Vertrauen ist in der Perspektive christlichen Glaubens weder mit einer Glücks- noch mit einer Erfolgsgarantie verbunden. Jesus stirbt am Kreuz. Franziskus wählt das Sterben in Kreuzform auf dem Erdboden. Doch beide haben die Welt verändert.

Alles wird gut?

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