Читать книгу Zukunftsfähig im Job - Katrin Busch-Holfelder - Страница 8
Оглавление1.1 Auf der Suche nach Zukunftsfähigkeit
War das schon alles? Da geht doch beruflich noch was, da ist doch noch Luft nach oben, oder? Wie soll ich mich für die Zukunft im Job aufstellen? Die Coachees Ben, Katharina und Yasmin kommen mit dem Wunsch der beruflichen Veränderung zur mir, einzeln natürlich. Ich frage nach, was sie denn genau meinen mit »Da geht doch noch was«, was sie unter »Karriere« und »Erfolg« verstehen und was sie in der Zukunft eigentlich erreichen möchten. Erstaunte Gesichter, bei allen. Die Antwort lautet fast unisono: »Da muss ich erst mal drüber nachdenken, denn ich dachte, Sie sagen mir das, deshalb bin ich ja zu Ihnen gekommen. Ich weiß einfach nicht mehr, wie Karriere heute funktioniert. Irgendwie scheint alles möglich. Gleichzeitig bin ich völlig orientierungslos und weiß nicht, ob ich nach Sinnerfüllung suchen soll oder was ich überhaupt will.« – »Das heißt, Sie suchen nach sinnerfüllter Zukunftsfähigkeit?«, fasse ich es zusammen. Ich erhalte Zustimmung: »Das bringt es auf den Punkt.« Vorsichtig kläre ich auch darüber auf, dass ich als Coach in erster Linie Fragen stelle und Impulse gebe, dass jedoch jeder für sich selbst diese Fragen beantworten muss.
So beginnt oftmals der gemeinsame Weg im Coaching – oder nennen wir es »Karriereberatung für heute, morgen und übermorgen«. Die erste Erkenntnis, die dabei vermittelt wird: Du bist für deine Zukunft, dein Glück und deinen persönlichen Weg selbst verantwortlich. Wie du handelst, was du tust und was du unterlässt, ist deine Entscheidung. Klar bringt jeder Mensch unterschiedliche Voraussetzungen mit, eine unterschiedliche Herkunft und damit einhergehend eine andere Sozialisation, andere Stärken, andere Wünsche und Ziele. Gemeinsam ist uns aber allen, dass jeder in seinem eigenen Handlungsrahmen aktiv sein kann und heute sogar (viel mehr als früher) sein muss.
»Karriere« buchstabiert man heute anders, da sich die Berufs- und Arbeitswelt extrem wandelt. Und weil sich die Menschen verändern. Die Werte der Babyboomer werden durch andere Werte jüngerer Generationen abgelöst. Ängste wegen des Klimawandels und Sorgen um ein friedliches Miteinander auf unserem Planeten stehen heute anders im Fokus als im letzten Jahrhundert. Auch die Vorstellungen über ein gelingendes Leben wandeln sich. Und dann ist da noch die Digitalisierung, die alles antreibt. In einer rasenden Geschwindigkeit. Man denke an die ganzen neuen Berufsfelder im Online-Business und IT-Sektor. Genauso aber an die Berufe, die in den nächsten Jahren verschwinden werden. Das eine geht, das andere kommt. Manche sehen vor allem die Chancen, die in der zunehmenden Digitalisierung liegen, andere spüren eher das Risiko und wittern überall Gefahr. Beides liegt dicht beieinander. Viele Berufe werden schlicht und einfach wegfallen. Berufe wie zum Beispiel Buchhalter, Steuerberater, Kassierer, aber auch Bankangestellte und Zahntechniker sind durch Fertigkeiten charakterisiert, die weitgehend durch künstliche Intelligenz und Digitalisierung automatisierbar sind. Es sind Berufe, die leicht von Computern und Robotern ersetzt werden können. Andere Berufe wiederum wie Therapeut, Erzieher, Sozialarbeiter und Lehrer lassen sich schlechter »entmenschlichen«, obwohl es schon ausgefeilte Ideen gibt, den Schulunterricht mithilfe von Robotern durchzuführen oder Chatbots1 zur Diagnose und Therapie von psychischen Problemen einzusetzen. Auch in diesen Berufsfeldern wird kräftig weiterentwickelt. Und sicher ist, dass in Zukunft in vielen sozialen und therapeutischen Berufen der eine oder andere Roboter bestimmte körperliche Tätigkeiten übernehmen wird. Die Frage ist, ob das Gespräch von Mensch zu Mensch und die individuelle Zuwendung in solchen Berufszweigen auch langfristig wichtig sind und Zukunftschancen sichern.2
Ja, und was sage ich jetzt jeweils zu Ben, Katharina und Yasmin? Ganz klar: Werde aktiv, suche nach dem, was dir beruflich wirklich Freude macht, aber immer vor dem Hintergrund der Zukunftsfähigkeit. Denn was hast du davon, wenn du dir den tollsten und schönsten Beruf aussuchst, dir das nötige Know-how aneignest und dieser dann verschwindet? Ersetzt durch künstliche Intelligenz. Deswegen ist es wichtig, solche Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen und flexibel zu sein. Agil zu sein. Umdenken zu können und gegebenenfalls neu durchzustarten. Das bedeutet heute Zukunftsfähigkeit. Und diese wird immer auch mit Sinnsuche einhergehen. Das eigene Fühlen und Denken und somit deine eigene Haltung sind das, was dich ausmacht. Und dazu gehört auch, wie du dich auf die Zukunft einstellst. Wie und ob du herausfindest, auf welche Weise du deinen beruflichen Neigungen und Zielen auch in Zukunft nachgehen kannst.
1.2 Komfortzone, Lernzone und Panikzone
Um unser Handeln zu verstehen, bietet sich das Konzept der Komfortzone an. Was ist sie denn nun, die viel zitierte Komfortzone? Die Idee dahinter geht von drei Zonen aus: Komfortzone, Lernzone und Panikzone.3 Wir brauchen sie alle. Entscheidend ist aber, wie viel Zeit unseres Lebens wir in welcher Zone verbringen, denn in der Komfortzone ruhen wir uns aus, in der Lernzone erweitern wir unsere Fähigkeiten, und die Panikzone zeigt uns auf, wo unsere Grenzen sind.
Abb. 1: Das Konzept von Komfortzone, Lernzone und Panikzone
In jeder Zone sind wir also in einem anderen Zustand. Fangen wir für das Verständnis unseres Handelns bei der eigenen Komfortzone an. Im Grunde beschreibt sie unseren heutigen Aktionsradius. Oder unseren ganz persönlichen Wohlfühlrahmen. Sie umfasst also Situationen, die wir kennen und in denen wir nicht mehr darüber nachdenken müssen, wie etwas geht. Das gilt in ähnlicher Weise für den Körper. Schauen wir uns dazu doch mal unseren Alltag und unsere Bewegungsabläufe im Allgemeinen an. Unsere Sportarten, unsere Essgewohnheiten, unser Denken, unsere Kommunikation – einfach alles. Je öfter und je besser wir bestimmte Abläufe durchlaufen, umso bequemer ist es. Und diese Muster können wir dann in der Komfortzone fast blind abspulen. Je älter wir werden, umso mehr haben sich diese Muster gefestigt. Das, was wir nur gelegentlich ausprobieren, wird daher immer anstrengender. Daher lassen wir es oftmals langsam einschlafen. Und halten uns in der Komfortzone auf, indem wir unsere bekannten Abläufe wieder und wieder durchlaufen.
Das Gute an der Komfortzone ist, dass wir uns dort so richtig wohlfühlen, denn alles geht uns leicht von der Hand. Wir brauchen kaum nachzudenken und müssen uns nicht wahnsinnig anstrengen. Diese Behaglichkeit sorgt jedoch dafür, dass wir mit der Zeit veränderungsmüde werden. Müde und träge. Weil es so kuschelig dort ist und so wenig Kraft kostet. Weil wir im Alltag einfach sowieso schon so viel um die Ohren haben. Weil wir vielleicht auch einfach mal die Nase voll haben von der ganzen Veränderung – gerade in der heutigen Zeit, in der sich der Wandel drastisch beschleunigt hat und täglich neue Anforderungen definiert werden. Das ist einfach schon für sich genommen anstrengend. Wenn sich ein Mensch nun in der Komfortzone glücklich fühlt, über Jahrzehnte in derselben Firma denselben Job gut und zuverlässig verrichtet, immer im selben Supermarkt den gleichen Käse kauft und jedes Jahr am selben See Urlaub macht, warum sollte er nicht dortbleiben dürfen? Was ist so schlecht an der Komfortzone? Müssen wir ständig dazulernen und unsere persönliche Komfortzone kontinuierlich erweitern?
Die Zone, in der wir uns weiterentwickeln, nennt man Wachstumszone oder auch Lernzone. Nur durch das Betreten der Lernzone können wir unsere Komfortzone vergrößern. Wir entwickeln uns und wachsen. Und das ist manchmal mühsam, richtiggehend anstrengend. Am wohlsten fühlen viele von uns sich doch, wenn sie das tun, was sie immer tun. Ein ganz einfaches und bekanntes Beispiel sind die verschränkten Arme: Verschränke einfach einmal deine Arme vor dem Körper, während du diesen Satz liest. Welche Hand ist oben, welche unten? Jeder hat eine Lieblingsseite, die immer oben ist. Und jetzt versuche es einmal umgekehrt, verschränke also die Arme so, dass die andere Hand oben ist. Das fühlt sich komisch, fast falsch an, oder? Nimmst du wahr, was ich meine? Und genauso ist es bei ganz vielen Dingen in unserem Leben. Irgendwann stellst du nämlich im Laufe der Jahre fest, dass es gar nicht mehr so einfach ist, etwas anders zu machen als gewohnt. Bei Kleinigkeiten ist dies nicht so dramatisch, aber denk ein Stück weiter. Stell dir vor, in ein neues Haus umzuziehen, dir ein neues Hobby zuzulegen, einen neuen Job in einer neuen Firma anzunehmen, mit neuen Menschen und neuen Ansichten konfrontiert zu werden. Dann ist sie plötzlich da, die Angst. Lieber nicht. Bitte keine Veränderung. Weder im Job noch im Privaten. Bitte kein Bungee-Jumping oder andere neue Sportarten anfangen, neue Computerprogramme lernen – bitte nicht!
Angst ist das, was uns im Leben am meisten an Veränderungen hindert. Gleichzeitig ist sie dadurch unser bester Beschützer. Denn sich nicht zu verändern bedeutet Sicherheit. Da passiert uns nichts. Sich verändern bedeutet wiederum, die Komfortzone auszuweiten.
Mit der Lernzone betreten wir unbekanntes Terrain. Wir gehen ein Risiko ein, da wir die Routine durchbrechen und uns neuen Herausforderungen stellen. In dieser Zone spüren wir am Anfang eine hohe Unsicherheit, weil wir den Ausgang unseres Experiments noch nicht kennen. Im Laufe der Zeit lernen wir, mit der Unsicherheit zurechtzukommen. Läuft dann alles nach Plan und wir kommen gut zurecht, erweitern wir unsere Komfortzone.
Klappt das allerdings nicht, kann es sein, dass wir die sogenannte Angst- oder Panikzone betreten. Unser Denken und Handeln sind auf einmal blockiert; nichts geht mehr. Kein Denken, kein Handeln, keine Entwicklung. Müssten wir im Büroalltag jetzt beispielsweise eine neue Methode, die wir bisher noch nicht kannten, einsetzen, würden wir die wahrscheinlich nicht begreifen. In der Panikzone herrscht Stillstand. Hier können wir selten oder zum Teil auch gar nicht lernen, je nachdem, was für ein Typ Mensch wir sind, welche Erfahrungen wir bereits gemacht haben und wie groß unsere Ziele sind. Also müssen wir den Umweg gehen und in der Wachstumszone bzw. Lernzone lernen. Sozusagen »zurück auf Los« und kleinere Brötchen backen. Die meisten von uns lernen schwierige Themen am besten in ganz kleinen Schritten. Wirklich klitzekleinen Schritten. Stückchen für Stückchen können wir unsere Komfortzone immer weiter ausdehnen. Natürlich gibt es auch die anderen, die gerne wagemutig den Berg mit größeren Schritten beschreiten und sich trotzdem in der Lernzone befinden.
Abb. 2: Erweiterte Komfortzone
Das ist aber noch nicht alles. Das besonders Gemeine an der Komfortzone ist, dass sie auch schrumpfen kann. Nehmen wir das Beispiel, dass wir eine neue Chefin bekommen. Mit ihrem Start ändern sich die Anforderungen. Alle bisherigen Verhaltensweisen führen nicht zum gewünschten Erfolg. Wir fühlen uns erfolglos – und was passiert? Dann schrumpft unser Selbstwertgefühl und wir trauen uns immer weniger zu. Unser Handlungsrahmen wird dadurch immer kleiner und enger. Wir halten uns nicht mehr im Außenbereich unserer Komfortzone auf, sondern immer weiter in der Mitte. Unsere Komfortzone schrumpft.
Abb. 3: Schrumpfende Komfortzone – wenn die Lernzone nicht mehr betreten wird
Damit diese Entwicklung nicht zu einer Sackgasse wird, müssen wir dagegen angehen. Und ich wähle hier bewusst das Wort »müssen«. Anders geht es nicht, selbst in der letzten Einöde werden wir flexibel sein müssen. Die Welt und auch die Natur sind flexibel und ändern sich permanent. Und auch wir müssen flexibel sein. Maximal flexibel.
Wir kommen also nicht darum herum, in Zukunft unsere Komfortzone immer wieder zu verlassen, auszudehnen, zu erweitern. Wenn du zukunftsfähig sein und Veränderung zulassen möchtest, ist es wichtig, dass du sie selbst in die Hand nimmst und sie gestaltest. Und zwar so, dass sie für dich gut auszuhalten ist. Dich zu überfordern macht keinen Sinn. Nicht nur bei deiner Komfortzone, sondern ganz generell.
Im beruflichen Kontext könnte zum Beispiel ein kleiner Schritt darin bestehen, dass du dich freiwillig für Aufgaben meldest, bei denen du nicht hundertprozentig sicher bist, dass du alles wie gewohnt machen kannst. Oder du nimmst dir vor, dich im Meeting mit deiner Meinung zu Wort zu melden. Oder mal wirklich trotz Gegenwind deine Meinung zu vertreten. Du kannst dir überlegen, wo du Neues tendenziell vermeidest, und bewusst darauf achten, es einmal anders zu machen.
Wer beruflich in Zukunft nicht abgehängt werden will, muss also flexibel bleiben. Flexibel in seinem Denken und Handeln. Flexibilität ist die beste Antwort auf eine sich rasch wandelnde, dynamische Welt, da sind sich Psychologen und andere Experten einig. Und diese Flexibilität, nennen wir sie geistige Beweglichkeit, findet dann in unserem Mindset Ausdruck.
1.3 Fixed und Growth Mindset
»Ein Mindset ist«, so definiert es das Jahrbuch Personalentwicklung, »die gewohnheitsmäßige Denkweise, geistige Haltung und Mentalität eines Menschen, welche seine Interpretation und Reaktionsweise in verschiedenen Situationen bestimmen«. Insofern bestimmt das Mindset darüber, wie »ein Mensch seine Realität erlebt«.4
Die Wissenschaft sagt, dass nicht nur die Beweglichkeit unseres Denkens, sondern auch unsere Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, in Zukunft besonders gefragt sein wird. Auch eine positive Haltung gegenüber der Zukunft verspricht, dass wir mehr Chancen sehen und bei einem permanenten Wandel der Arbeits- und Lebensbedingungen leichter unseren Weg finden können. Das ist wesentlich, um im Berufsleben mithalten zu können und privat glücklich zu sein.
Die ersten Forschungen zum Thema Mindset fanden in einer Schule statt. Carol Dweck, Psychologieprofessorin an der Stanford University, wunderte sich in einem Experiment über Schülerinnen und Schüler, die trotz tatsächlich unlösbarer Aufgaben nicht frustriert waren, sondern sogar Aussagen trafen wie: »Ich liebe kniffelige Rätsel.« Oder: »Wissen Sie, genau das hatte ich gehofft: dass ich hier etwas lerne.«
Dweck wollte mehr darüber wissen, wie diese besondere Einstellung bei den jungen Menschen entstehen konnte und was es für Folgen hat, wenn sie mit dieser Haltung an schwierige Aufgaben herangehen. Mittlerweile forscht und lehrt sie seit mehr als 15 Jahren zum Thema Mindset und hat die Abgrenzung zwischen Fixed (starrem) und Growth (flexiblem) Mindset geprägt.5
Hier der Link zu einem Vortrag von Carol Dweck zum Thema Fixed und Growth Mindset:
https://www.youtube.com/watch?v=hiiEeMN7vbQ
Fixed Mindset (Starres Mindset) | Growth Mindset (Flexibles Mindset) |
Fähigkeiten und Intelligenz sind grundsätzlich vorgegeben und nicht oder wenig veränderbar. | Fähigkeiten und Intelligenz sind grundsätzlich entwicklungsfähig und veränderbar. |
Erfolg bedeutet, gute Noten zu haben bzw. »der Beste zu sein«. Dabei zählt das Ergebnis. Zusätzliche Herausforderungen werden nicht aktiv gesucht. | Erfolg bedeutet: »Lernen, um etwas besser zu verstehen.« Herausforderungen werden aktiv gesucht. |
Fehler werden gleichgesetzt mit einem Mangel an Kompetenz. Nach schlechten Leistungen oder Fehlern sinkt die Motivation. Es kommt zu Reaktionen von Hilflosigkeit und Wut. | Fehler werden als Entwicklungsmöglichkeiten betrachtet. Dadurch steigen die Motivation und Leistungsbereitschaft. |
Es werden Schuldige oder Gründe gesucht, häufig im Außen, um den eigenen Selbstwert nicht zu gefährden. | Die eigene Selbsteinschätzung ist realistischer. Es werden konstruktive Strategien und externe Unterstützung genutzt. |
Andere Menschen werden als »Richter« angesehen. | Andere Menschen werden als Unterstützer gesehen. |
Abb. 4: Fixed und Growth Mindset nach Carol Dweck6
Veränderungslust
Kürzlich habe ich gelesen, dass wir den »Veränderungsfrust durch Veränderungslust« ersetzen müssen. Das gefällt mir gut. Denn wenn wir im Leben und im Job glücklich und zufrieden sein wollen, müssen wir etwas haben, was uns motiviert. Wir müssen Lust auf Veränderung haben, um unsere Träume leben zu können, unsere Ziele zu erreichen und glücklich zu sein.
Das Stichwort »Veränderungslust« weckt in mir Gefühle von Freude und Spaß daran, Neues zu lernen – wie geht dir das? Denk einmal an das zurück, was du als Kind getan hast: krabbeln, laufen, Rad fahren, rechnen und schreiben, Klingelstreiche, soziales Miteinander, all das hast du mit Begeisterung gelernt und getan. Jetzt beschäftigen dich andere Themen, aber das Prinzip ist das Gleiche. Hinfallen, aufstehen, hinfallen, aufstehen. Glauben, es gehe nicht, und dann »Juhu! Geschafft!« rufen. Was heißt hier »scheitern«? Hinfallen ist ausdrücklich erlaubt, denn ohne Stolpern und Straucheln lernt man nicht zu laufen. Heute gibt es dafür im Unternehmenskontext die Ausdrücke Fehlerkultur und Agilität. Aufstehen, weitermachen, dranbleiben, Chancen sehen und nicht gleich aufgeben, wenn etwas mal nicht sofort im Erfolg mündet. Nicht bis zum Ende planen, sondern das machen, was gerade dran ist. Ausprobieren, was funktioniert, und dann erst mehr davon. Den Rest verwerfen. Früher gab es solche Sprichwörter wie »Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen« oder »Übung macht den Meister«. Aber brauchen wir heute noch die Meisterschaft? Brauchen wir immer die 100 Prozent oder sind inzwischen nicht oftmals 80 Prozent gut genug? Hier meine Antwort: Mal braucht es die 100 Prozent und mal reichen 80 und manchmal sogar vielleicht weniger. Perfektionismus auf allen Ebenen ist Vergangenheit. Es gilt zu erkennen, wann wir Routinen und Perfektionismus benötigen und wann Flexibilität und Schnelligkeit. Wenn ich in der Werkstatt die Bremsen meines Autos reparieren lasse, dann sind mir 100 Prozent schon wichtig, da reicht mir keine Annäherung. Andere Bereiche benötigen Flexibilität und Anpassung. Da geht es eben Schritt für Schritt. Training ist zwar die Devise, aber in Verbindung mit neuen Wegen und alternativen Lösungen. Fallen und wieder aufstehen, so entsteht Beweglichkeit. Genau diese Wendigkeit ist eine der Kompetenzen, um in der sich stetig erneuernden Welt zurechtzukommen.
Der Mindset-Check
Anhand der folgenden Aussagen kannst du selbst einmal ehrlich überprüfen, wie dynamisch dein Mindset ist.
Selbstcheck Mindset
Nimm eine Skala von 1 bis 10 und beantworte die Fragen im Sinne von 1 = »Ich stimme überhaupt nicht zu« bis zu 10 = »Ganz meine Meinung, genauso ticke ich«. Du kannst gerne Farben zur einfacheren Visualisierung nutzen.
Ich glaube, dass es jederzeit möglich ist, neue Fähigkeiten zu entwickeln.
Ich denke nicht in den Kategorien »richtig oder falsch«.
Ich sehe Scheitern als Experimentieren und Ausprobieren.
Ich sehe mich als Gestalter.
Ich bin immer neugierig.
Ich übernehme Verantwortung für mich, mein Handeln und mein Leben.
Ich suche aktiv nach Herausforderungen und wachse an ihnen.
Je mehr Fragen du mit großer Zustimmung beantwortet hast, umso flexibler ist dein Mindset und umso größer ist wahrscheinlich auch deine Beweglichkeit, also deine persönliche Agilität.
Das Gegenteil von einem Growth oder dynamischen Mindset ist das Fixed Mindset. Es ist geprägt von dem Gedanken, dass Talente angeboren und Fähigkeiten fest definiert sind. Für einen Menschen mit einem statischen Selbstbild gibt es kaum Entwicklungspotenzial. Diese Menschen geben schnell auf, wenn sie nicht weiterkommen, und lassen sich aus Angst, zu versagen, gar nicht erst auf Herausforderungen ein. Gut, ich gebe zu, dass dieses Bild etwas schwarz-weiß gezeichnet ist. Natürlich gibt es viele Grautöne dazwischen. Aber fest steht, dass deine Zukunftsfähigkeit mit einem Growth Mindset deutlich höher ist.
An dieser Stelle möchte ich meinen Coachee Ben wieder ins Spiel bringen. In unserem zweiten Gespräch erkannte er, dass sein Denken in einigen Punkten recht unflexibel war, und entsprechend ordnete er sich in dem einen oder anderen Punkt eher einem Fixed Mindset zu. Er erinnerte sich auch daran, dass der eine oder andere Kollege ihm dies schon in der Vergangenheit als Feedback gegeben hatte. Sein Wunsch war es, sein Mindset zu ändern. Wie kann dies gelingen?
Der erste Schritt ist tatsächlich die Selbsterkenntnis, verbunden mit dem Willen, etwas zu ändern. Anschließend ist ein sukzessiver Mindshift7 möglich. Dabei geht es darum, das eigene Denken und die persönliche Haltung zu flexibilisieren. Also zu trainieren, wie man beweglicher wird. Nachfolgend eine kleine Übung, die ich Ben mitgegeben habe. Weitere Anregungen findest du auch in Kapitel 6 (»Kreativität«).
Mutproben
Eine gute Möglichkeit, die eigene Flexibilität zu erhöhen, ist das Verlassen der Komfortzone. Genau das, was Ben heute noch schwerfällt. Im Coaching stelle ich ihm die Aufgabe, bis zum nächsten Mal ein wenig zu experimentieren und etwas auszuprobieren, was außerhalb seiner Komfortzone liegt. Die einzige Einschränkung ist, dass kein anderer davon in Mitleidenschaft gezogen werden soll. Ich erzähle ihm, dass eine meiner Mutproben vor ein paar Jahren darin bestand, dass ich mich in einem Restaurant mit nur ganz wenig besetzten Tischen zu einem Paar gesetzt habe mit der Bitte, meinen Kaffee mit ihnen trinken zu dürfen. Ich sei geschäftlich unterwegs (was auch stimmte) und es sei oftmals so langweilig abends. Ich hätte heute einfach Lust auf nette inspirierende Gespräche. Im ersten Moment herrschte peinliche Stille, und es war nicht zu übersehen, dass die beiden lieber zu zweit sein wollten. Schließlich stimmten sie jedoch zu und es wurde ein richtig netter Abend. Dass es sich bei dieser Aktion um eine kleine Mutprobe handelte, habe ich den beiden nicht erzählt, denn wir hatten wirklich Spaß und es war so viel netter, als allein am Tisch zu sitzen. Diese Erinnerung kann ich heute jederzeit abrufen, wenn ich mich mal wieder nicht »traue«, etwas gegen die Norm oder außerhalb meiner Komfortzone zu tun. Ja – kleine Übung, große Wirkung. Vor allem im Nachhinein. Andere Klienten von mir haben schon im Supermarkt gesungen oder bei Auftritten vor Menschengruppen ihren ganzen Mut zusammengenommen.
Nachts allein über den Friedhof zu gehen, war eine große Angst von Katharina. Kaum hatte sie das geschafft, wurde sie mit ihren Mutproben immer einfallsreicher. Irgendwann erzählte sie mir, es sei ihr fast zum Hobby geworden, ihre Komfortzone auszudehnen, und es falle ihr nun deutlich leichter, mit ungewohnten und neuen Situationen umzugehen.
Solche kleinen Mutproben zu bestehen heißt auch loszulassen. Die Angst vor Misserfolg, vor Versagen, vor Peinlichkeiten, vor Scheitern einfach beiseitezuschieben.
Eine andere Klientin erzählte mir, dass eine Art Schockstarre sie ergriffen habe, nachdem der Hälfte des Kollegiums gekündigt und ihr unvermittelt eine neue Aufgabe zugeteilt worden sei. Sie klammerte sich an alles Alte und wollte partout die neue Aufgabe nicht annehmen. Innerhalb der Abteilung geriet sie unter Dauerfeuer, da sie ihre Arbeit einfach liegen ließ. Aber einen neuen Job suchen wollte sie auch nicht. Sie schaffte es einfach nicht, das Vergangene loszulassen, obwohl sie genau wusste, dass es notwendig war. Um ihren Ängsten zu begegnen und ihre eigenen Kräfte wieder zu aktivieren, arbeiteten wir unter anderem auch mit kleinen Mutproben, die sie dazu brachten, den Blick über den bisherigen Tellerrand zu heben. Mit wirklich kleinen Schritten hatte sie nach und nach wieder das Gefühl, mehr Selbstwert zu gewinnen und über einen größeren Handlungsspielraum zu verfügen. Ihr Blick richtete sich wieder nach vorn und sie war deutlich positiver als vorher. Die Erfolgsfaktoren dafür waren ihr neuer Mut und eine neue Sichtweise sowie eine neue Bewertung der Umstrukturierungen an ihrem Arbeitsplatz. Im Coaching nennt man dies »Reframing«.
Einen kleinen Mindshift starten
Was ist für dich besonders peinlich? Was würdest du nie tun?
Oder was würdest du im Geheimen eigentlich gerne tun, traust es dich aber nicht?
Nutze den Moment und die Gelegenheit, um einen kleinen Mindshift vorzunehmen. Nimm dir also etwas vor, was du heute oder in den nächsten 72 Stunden tun wirst, um deinen Mut zu stärken und anzufangen, deine Komfortzone auszudehnen.
Die 72-Stunden-Regel
Kennst du die 72-Stunden-Regel? Sie besagt: Alles, was du dir vornimmst, ist dann besonders erfolgreich, wenn du die ersten Schritte in Richtung deines Zieles innerhalb der nächsten 72 Stunden machst – also innerhalb der nächsten drei Tage. Lässt du die 72 Stunden nach deiner Zielsetzung tatenlos verstreichen, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dein Ziel zu erreichen, deutlich. Schuld daran ist zum einen der innere Schweinehund, zum anderen aber auch mangelnde Entschlossenheit. Denn wenn wir uns einer Sache mit Herzblut und Leidenschaft verschreiben, werden wir auch sofort loslegen wollen. Und der erste Schritt ist dabei der wichtigste. Mit dem Handeln entsteht Bewegung. Andernfalls bleibt alles nur ein Vorsatz und gerät mit der Zeit in Vergessenheit.8
1.4 Gescheit scheitern
Was tun wir, wenn etwas einmal nicht so gut läuft? Oder, noch schlimmer, eine echte Katastrophe passiert ist? Ein reflektierter Umgang mit dem Scheitern ist wichtiger Bestandteil eines dynamischen Mindsets. Der Blick auf das Gehirn und den originären Umgang mit Fehlern ist hierbei hilfreich. Unser Gehirn arbeitet nämlich nicht mit konkreten Planungsschritten, sondern fokussiert sich bei Neuem stets nur auf ein grobes Ziel und testet dann verschiedene Handlungsalternativen.
Das Gehirn ist ein wahres Wunderwerk und lernt durch Erleben. So geschieht es auch bei Kindern. Typische Beispiele sind krabbeln, laufen, Rad fahren, Klavier spielen. Stell dir vor, ein Kind lernt, Klavier zu spielen. Die notwendigen Schritte hierfür sind am Anfang völlig unbekannt. Das Kind weiß nicht, was passiert, wenn es eine Taste drückt. Mit der Zeit lernt es nicht nur, dass hinter den Tasten Töne stecken, sondern auch, welcher Klang damit verbunden ist und in welcher Reihenfolge die Tasten gespielt werden: Es hat gelernt.9
Genau so funktioniert erlebendes Lernen. Das Gehirn reagiert dabei extrem flexibel auf seine Umwelt, passt sich veränderten Gegebenheiten an und lernt ein Leben lang. Man bezeichnet dies als neuronale Plastizität. Fehler sind ein Teil der Erfahrung und für das Lernen notwendig. In unserer Erziehung und Gesellschaft wird dies jedoch nicht durchgängig abgebildet. Viele Fehler in einer Schularbeit zum Beispiel bedeuten eine schlechte Note. Durch solche Feedbacks verliert das Kind die Zuversicht; und der Mut, etwas Neues auszuprobieren, wird immer geringer. Wir lernen, dass Fehler etwas Schlechtes sind. Die Angst vor Fehlern wird uns also im Laufe des Lebens anerzogen und ist Teil eines starren Mindsets. Das Fixed Mindset wird somit schon früh zementiert. Wir müssen uns fragen: Wie sollen wir in Zukunft Neues testen, wenn wir Angst haben, Fehler zu machen und schon vorher sicher sein wollen, dass alles gut geht? Das ist leider unmöglich.
Beim Umgang mit Fehlern ist derzeit erfreulicherweise ein konstruktiverer Trend zu beobachten. Scheitern wird populär. Nicht nur in den agilen Methoden, auf die ich im 5. Kapitel (»Neues Arbeiten«) noch einmal eingehen werde, sondern auch in den Medien und auf Veranstaltungen. Im Rahmen sogenannter Fuck-up-Nights erzählen Menschen einem Publikum von ihren größten Flops. Sie stellen sich auf die Bühne, um von ihrem beruflichen »Versagen« zu berichten. Sie breiten Geschichten aus, in denen alles an die Wand gefahren wurde. Wo vieles schiefgelaufen ist. Häufig handelt es sich bei diesen Storys um misslungene Geschäftsgründungen mit desaströsem Untergang oder andere finanzielle Desaster. Daran anschließend gibt es dann die »Lessons Learned«: Was war das Gute am Scheitern? Was würde ich nie wieder tun? Welche Tipps kann ich anderen Gründern geben? Wie bin ich wieder nach oben gekommen, als ich am Boden lag? Was darf man auf keinen Fall übersehen, wenn man sich mit einer verrückten Idee selbstständig machen möchte? Solche oder ähnliche Themen werden an diesen Abenden heiß diskutiert.
Eine von mir sehr geschätzte Kollegin erzählt inzwischen regelmäßig ihre persönliche Geschäftsmisere. Von ihr können die Zuhörer lernen, dass es immer einen Ausweg gibt. Dass man mit erhobenem Kopf eine Insolvenz übersteht und dabei trotzdem seinen Werten treu bleiben kann. Dass man lernt, seinem Bauchgefühl zu trauen, und Verträge nicht unterzeichnet, wenn in einem selbst alles »Nein« schreit. Obwohl solchen »Happenings« ein ganzes Stück Voyeurismus innewohnt, findet doch auch ein Umdenken statt. Und das brauchen wir. Wir müssen Fehler annehmen, damit umgehen, daraus lernen. Und dafür ist diese sich etablierende neue Fehlerkultur sehr hilfreich.
Welche Erlebnisse in deinem Leben hast du unter der Rubrik »Dabei bin ich gescheitert« abgespeichert?
Was hast du im Nachhinein daraus gelernt?
Welche Tipps würdest du deinem besten Freund geben, wenn er vor einer ähnlichen Herausforderung wie du damals stünde?
Wie ist deine Fehlertoleranz bei anderen Personen?
Wie könntest du deinen persönlichen Umgang mit Fehlern zukünftig gestalten?