Читать книгу Luise und Leonie - Katrin Pieper - Страница 3
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ОглавлениеDas Zimmer hatte ein weiches, sanftes, nachmittägliches Licht.
Sobald das Frühjahr sich zeigte und die Bäume ihr erstes Grün trugen, begann sie sich danach zu sehnen.
Luise fand ihr Spiegelbild zart, zerbrechlich, das gab ihr innere Zufriedenheit und Siegeszuversicht.
"Wie seh' ich aus?" fragte sie und wandte den Kopf halb zur Tür hin.
Leonie im Türrahmen, zog eine zerknitterte Camelpackung aus der hinteren Jeanstasche und nickte über die Zigarette hinweg Zustimmung.
"Ein süßes Weibchen", sagte sie feixend und stieß Rauchwolken in das Nachmittagslicht.
Sie betrachtete Luises Nacken, auf dem zarte Lichtkringel spielten zwischen blonden Strähnen, die sich aus dem Lockengebirge gelöst hatten.
"Es könnte eigentlich nichts schiefgehen", sagte Leonie lakonisch. "Er ist ein guter Junge und so empfänglich für alles, was weiblich und zart ist. Es müsste klappen." Luise nahm einen Zug aus Leonies Zigarette.
"Im Zeitalter der Emanzipation ist es nachgerade lächerlich, was wir so machen."
Sie blies den Rauch gegen ihr Spiegelbild und betrachtete nachdenklich Leonies Hüftumfang, der von den Jeans atemlos umschlossen wurde.
"Irgendwann solltest du deine wirkliche Konfektionsgröße preisgeben".
Leonie schmauchte ungerührt.
"Reine Ansichtssache", erwiderte sie, "ich liebe mich einfach zwei Größen kleiner. Sei so nett und halte einfach zu mir."
Luise lächelte friedlich und abwesend. Sie genoss sichtlich ihr weibliches Aufgebot, dass fraglos gut umrahmt wurde von weißer, zarter Stofffülle, die ihre schmale Figur umfloss.
"Auf denn", sagte sie und erhob sich, "wir wollen nichts unversucht lassen und den Jungen unter Einsatz aller Mittel empfangen. Er soll es gut haben bei uns so lange wie nötig jedenfalls. Wie hast du es genannt? Sommer- Fahrplan?"
Leonie nickte feixend.
"Von Mai bis September sollte alles erledigt sein, was Haus und Garten an Reparaturen benötigen."
Sie traten über die winzige Terrasse hinaus. Der Garten hinter dem kleinen Haus zeigte sich eher still und verschwiegen. Grün und kräftig bewachsen, verriet er handliche, aber auch ungelenke Pflege. Ein Garten ohne Make-up, eher scheinbar Ökobewusstsein, das auch Unkraut zum dekorativen Kraut deklariert.
Er hatte zwei Prunkstücke, ohne Frage, auf die seine Besitzerinnen zu Recht stolz waren: Ein großer, wenn auch alter Apfelbaum und eine original englische Gartenbank, eine sogenannte Landlordbank, ganz Holz, ganz Natur, passend zum Apfelbaum.
Natürlich stand die Bank unter dem Baum, und natürlich breitete er schützend seine Zweige über sie. Leonie nannte dieses Arrangement, eine Falle. Jeder, der hier saß, bekam notwendigerweise sentimentale Anwandlungen oder er hatte einen Psychoknick.
Luise drapierte sich dekorativ auf die Bank unter den Zweigen, die im Frühjahr besät waren mit weißrosa Blüten. Was, genau genommen, den eigentlichen Wert des Baumes ausmachte, denn die später heranreifenden dunkelroten Äpfel waren hart und holzig und ähnelten irgendwann kleinen mehligen Säckchen mit einer trocknen und bitteren Schale.
Leonie betrachtete kritisch Luises Sitzübungen und war am Ende doch zufrieden mit dem sich bietenden Bild.
"So müsste es hinzukriegen sein", sagte sie schließlich, "er ist ein ganz naiver Junge. Eben ein Schornsteinbauer. Von Industrieschornsteinen versteht er wirklich etwas. Bei allen anderen Dingen verlässt er sich auf sein Gefühl und seine Freunde, was nicht unberechtigt ist, aber er hat goldene Hände."
Sie hockte sich neben Luise auf die Bank und bohrte mit dem Absatz ihres Schuhs die Kippe in den Rasen.
"Wenn er die dann einsetzt, um Fenster zu kitten oder den Rasenmäher in Ordnung zu bringen oder deine Kippen aus dem Boden zu holen, dann wäre ich wirklich am Ziel meiner Träume."
Luise holte mit spitzem, lackierten Fingernagel Leonies Kippe aus dem Boden und brachte sie zum Müllschlucker, einem übergroßen Gartenzwerg, dem sie die Kippe in seinen lächelnden Schlitzmund warf.
"Er ist der Treueste von all unseren Männern", konstatierte Leonie, "er schluckt alles und lächelt immer."
"Nur dass dieses Wunder von einem Kerl nicht deine Kippen aus dem Rasen holt, keine Fenster kittet, keine tropfenden Hähne abdichtete, keinen Nagel in die Wand bekommt", sinnierte Luise bissig, "außerdem hab ich ihn gekauft!"
Leonie legte ihren Kopf versöhnlich gegen Luises Schulter.
,,Aber ja. Für treue Männer hast du einen Riecher, selbst wenn sie zuweilen etwas zwergenhaft geraten."
"Klein aber mein! Und nur kein Neid - auch für dich gibt es mal den Richtigen. Vielleicht dann mehr ein Betonklotz, aber dafür mit Gemüt!"
Die Ruhe, die von der grünen Friedlichkeit des Gartens ausging, machte sanft und freundlich. Leonies Aufmerksamkeit galt sehr plötzlich und sehr gezielt Luises Brustpartie.
"Guckst du nur so, oder fehlt etwas?" fragte die leicht nervös.
"Ein Büstenhalter", sagte Leonie trocken, "etwas, was hebt, solltest du anlegen."
Luise setzte sich automatisch gerade hin.
"Das hört sich an, als trüge ich heute mein Gebiss nicht."
Sie sah an sich herunter. "Ich weiß nicht, was du hast. Es fällt nichts und hängt noch - nichts. Alles Natur. Alles echt."
Leonie grinste.
"Schornsteinbauer lieben alles Hohe."
Luise lächelte anzüglich zurück. "Ich auch."
Von der Straße war das Geräusch eines haltenden Autos zu hören, etwas später Schritte, die hölzern klangen.
"Trägt er Pantinen, dein Freund? Ist er ein Naturbursche, der die Haut getöteter Tier verschmäht?" fragte Luise.
Leonie blieb keine Zeit zur Antwort. Das Ging-Gong der neuen Hausklingel - die Hersteller nannten es den "geheimnisvoll, süßen Erwartungsklang" - ertönte. Kein Zweifel, die Pantinen standen vor ihrer Tür.
Eigentlich wollte Luise Leonie bitten, den Freund alter Zeiten zu empfangen.
Aber sie sah sich plötzlich allein auf der Wiese, so reckte sie sich, tief einatmend, zu ihrer ganzen Zierlichkeit auf und schritt mit Sinn für Grazie zur Gartentür.
Der Mann mit den goldenen Händen und dem Sinn für alles Hohe, also der Schornsteinbauer, stand, besser: hing über der Gartenpforte. Ein langer dünner Mensch, der schütteres Blondhaar mit einem forschen Bürstenschnitt zu verbergen suchte. Sein langer dünner Hals zeigte einen nervös tanzenden Adamsapfel. Hemd und Sakko verrieten eine gut funktionierende Waschmaschine, die hellen Leinenhosen hörten kurz vor den riesigen mit dunklem Leder bespannten Clogs auf. Hinter der Nickelbrille blitzten vergnügt blaue Augen, und die Hände hielten beunruhigend selbstbewusst einen müden kleinen Veilchenstrauß.
"Hallo", sagte Luise und versuchte, sich von den Händen und den Augen zu befreien, "Sie werden schon erwartet."
Der Mann nickte mit ältlicher Bedächtigkeit, die wenig zu dem schlaksigen Jungen, der da vor ihr stand, passte.
"Damit habe ich gerechnet", sagte er, "Leonie hat mich schließlich zu Ihnen geladen."
Sein Blick, schnell und aufmerksam, glitt - wie Luise fand - etwas schamlos an ihr auf und nieder. Sie öffnete die Gartentür.
"Leonie hat gesagt, ich dürfte auf keinen Fall ohne Blumen kommen."
Luise sah ihm tapfer in die Augen. "So. Hat sie das. Und zu mir geladen? Nannten Sie es so?"
Der Mann nickte und schaute auf sie herunter.
In Luise fingen sacht einige Warnglöckchen zu klingeln an. So nicht, dachte sie, so fängst du mich nicht, du mit deinen Augen und deinen goldenen Händen. Sie schloss die Gartentür.
"Hat denn Leonie Ihnen noch weitere Verhaltensmaßregeln mit auf den Weg gegeben?" fragte sie etwas zu schrill. "Hat sie Ihnen nicht von meiner Schwäche für Nerzmäntel aus echten Fellen erzählt?"
Der Mann klapperte brav hinter Luise her.
"Ich weiß so ziemlich alles über Sie. Leonie redet oft und gern von Ihnen. Und man hört ihr gern zu. Sie wissen ja, wie unterhaltsam Leonie sein kann."
Leonie und unterhaltsam, dass ich nicht lache, dachte Luise. Da kennen wir wohl zwei verschiedene Frauen.
Irgendwie erwachte in Luise der Wunsch, in die mit Sicherheit verrauchte Küche zu gehen und Leonie hervorzuzerren. Aber ich werde beiden die Suppe versalzen, schwor sie sich, während sie lächelnd die Veilchen in eine Tonvase stopfte, ein Verrecker aus der eigenen Produktion. Aber zu schade zum Wegwerfen.
Der Mann war etwas hinter ihr geblieben, hatte seine Clogs ausgezogen, das knittrige Leinensakko über den Arm genommen und rieb seine riesigen Füße mit noch riesigeren Zehen genüsslich im Gras.
"Das tut gut", sagte er, "Leonie hat mir nie erzählt, dass Sie so paradiesisch wohnen. Luise - ich darf Sie doch so nennen -, ich muss sagen, Leonie hat das einzig Richtige getan, mich hier zu Ihnen zu laden. Warum Sie das nicht schon längst mal getan hat?"
Luise sah ihn an. Das könnte ich dir ganz leicht erklären, mein Junge, dachte sie.
Stattdessen fragte sie: "Wie heißen Sie eigentlich?"
"Paul. Paul Johann Koslowski."
"Bei Leonie heißt es immer nur: der Koslowski. Dabei haben Sie richtige und gut bürgerliche Vornamen."
"Aber nicht zu gebrauchen".
"Wie das?"
"Ich kann mich nicht erinnern, dass mich je einer Paul oder Johann gerufen hätte. Nicht einmal meine Mutter."
"Sie nennt Sie wohl auch Koslowski?" fragte Luise erstaunt.
"Sie vor allem. Meine Mutter steht auf dem Standpunkt, dass man sie erpresst hätte mit diesen meinen Vornamen, die Sie auch noch gut bürgerlich nennen."
"Erpresst? Von wem?"
"Von meiner Großmutter und ihrer Schwiegermutter. Und so hat sie tunlichst die beiden Vornamen umgangen, in dem sie mich von klein auf Koslowski rief. So rächte sie sich an den beiden Urmüttern."
"Ich würde gern Paul sagen", meinte Luise leichthin.
"Machen Sie, was Sie wollen. Aber bedenken Sie, dass ich dann wahrscheinlich schlecht oder gar nicht reagiere. Sie könnten mich dann auch Mathilde rufen."
Luise ging allmählich zum Programm über.
Sie drapierte sich planmäßig auf der Apfelbaumbank, und Koslowski war auch planmäßig erschlagen. Luise registrierte es zufrieden.
"Was für ein Bild", gestand er, "und das haben Sie sich alles für mich ausgedacht?" fragte er unschuldig.
Luise schwieg vorsichtshalber, Unsicherheit stieg auf, was wusste der Mann eigentlich, was hatte Leonie ihm schon alles erzählt. Den Plan, einen Mann für die Sommersaison zeitweilig ins Haus zu holen, der da freiwillig und mit Lust allen Reparaturen zugetan war, den würde sie ihm doch nicht anvertraut haben.
Koslowski betrachtete das Bild genüsslich.
"Sollte ich Sie jetzt nicht auch ein klein wenig und sehr sanft küssen?" fragte er vorsichtig, "es passt auch ins Bild."
Luise sah ihn amüsiert an.
"Überschätzen Sie da nicht ein wenig die Situation?"
Der Mann ließ sich seufzend neben ihr nieder.
"Das tue ich, wahrscheinlich, seit ich Ihnen auf diesem grünen Pfad folge. Leonie, meine gute alte Freundin, hat mich einfach nicht genügend vorbereitet."
"Muss man sich immer auf etwas vorbereiten, wo es doch nur um eine Tasse Tee und ein Plauderstündchen geht?"
Koslowski setzte eine sorgenvolle Miene auf.
"Sehen Sie - so ist das immer. Man sagt, was man denkt, und schon kommt die Gegenfrage, auf die man nicht vorbereitet ist."
"Wo kämen wir hin, wenn jeder sagt, was er denkt." Luise erhob sich.
"Tee oder Kaffee?"
"Ein Bier", erwiderte er, "am liebsten ein kühles Bier, und das im Gras. Setzen wir uns doch einfach auf die Wiese, trinken ein Bier und ich bewundere Sie ein bisschen und wir flirten miteinander. Was halten Sie davon?"
Gar nichts, dachte Luise, überhaupt nichts. Das läuft hier sonst nicht planmäßig. Ich muss die Zügel fester halten, sonst sitze ich früher oder später neben dem Kerl im Gras - und wahrscheinlich sitze ich nicht mal.
Sie holte aus der Küche ein Bier und hoffte, Leonie zu begegnen, doch von der keine Spur, kein Zeichen. So trat Luise wieder in den Garten und sah Koslowski brav auf der Bank hocken, wie ein zu großer Vogel.
Luise spürte Unruhe und Herzklopfen.
Reiß dich zusammen, sagte sie sich, sonst geht hier gleich eine dümmliche Romanze ab. Du brauchst einen Mann für Haus und Garten und nicht für das Bett. - Und eigentlich für beides.
Die Küchengardine bewegte sich plötzlich sacht. Verdammt, dachte Luise, während sie sich mit leicht zitternden Händen Kaffee eingoss, was hat Leonie da nur zusammengefädelt.
Beim letzten Mann hatte Leonie total gepasst. Dabei wäre der nun wirklich leicht zu halten gewesen. Ein überzeugter Single, passabel aussehend, ein Vegetarier vom Scheitel bis zur Sohle. Er hatte sofort gesehen, welches der Fenster unbedingt neu verkittet werden musste. Und dass dem Rasen dringend eine Rasur nottäte.
Luise war stehenden Fußes für drei Tage verreist, um Leonie eine optimale Startphase zu geben. Aber bei ihrer Rückkehr fand sie Leonie nicht nur allein, sondern auch gelb und grün vor Ekel und mit Waschzwang.
"Ein Knoblauchesser", hatte Leonie gestöhnt. "Jeden Tag Berge von Zehen und ganze Knollen ... "
Luise hatte noch zurückhaltend auf die menschliche Entwicklungsfähigkeit verwiesen. Aber l.eonie hatte nur müde abgewinkt.
"Du warst kaum weg, da rollten auch schon die Knoblauchberge an. Er schnitt und pellte und presste und fraß. Er stank, ich stank, das Haus stank."
Leonie verschwand für ganze Tage im Badezimmer.
Die Fenster waren nicht verkittet, der Rasenmäher nicht repariert, also auch die Wiese in ungemindertem Wachstum.
Ein durch und durch misslungener Versuch. Danach war es Leonie, die darauf bestanden hatte, dass jetzt jemand anderer einen Haus- und Hofhandwerker für die Saison zu beschaffen hätte.
Jemand anderer - also sie, also Luise. Wer anderes sonst?
Leonie begann von Koslowski regelrecht zu schwärmen. Und in Luise entstand allmählich das Bild eines wunderbaren Mannes. Ausgerüstet mit den vielfältigsten Talenten, einsetzbar in Haus und Hof und ein Freund der allerbesten Art.
"Und warum holst du ihn nicht einfach her und zeigst deinem Freund, was zu tun ist?" hatte Luise arglos gefragt.
Leonie wurde schweigsam, und es stellte sich ganz allmählich heraus, dass Koslowski umworben sein wollte, und dies nun nicht gerade von der seit Jugendtagen her vertrauten alten Freundin, die Kumpel und Beichtmutter seit Urzeiten war. Koslowski sah es jedenfalls so.
Für Leonie war dies irgendwann einmal eine bittere Erkenntnis gewesen. Die Hoffnung, von Koslowski geliebt zu werden, schwand für immer.
Und ihr, der alten Freundin hatte er längst mal zu verstehen gegeben, dass er nicht der Trottel sei, der den Weibern Haus und Garten in Schuss bringen würde.
Da müsste schon, na da müsste schon sonst was passieren oder sonst wer kommen.
Koslowski hatte dazu herzlich gelacht.
Aber er hatte Leonie unterschätzt. Er kannte Luise nicht. Und Leonie wusste, was für Frauen Koslowski schwach machen könnten und auch würden. Ihm begann sie von Luise zu erzählen, und allmählich wurde der Mann in ihm wach.
Und in Luise die Siegernatur.
"Warum nicht", hatte sie zu Leonie gesagt, "das wäre nicht der Erste, den ich einspanne. Da wollen wir doch mal sehen, ob und wohin uns dieser Hase läuft."
Beiden fiel die wundervolle Zeit mit dem Dachdecker ein.
Ein kleiner bescheidener Mensch mit abstehenden Ohren und sanften Augen, der nicht wusste, wem er sein Herz schenken wollte.
An Leonie liebte er die kräftige Statur und ihre Apothekerkenntnisse.
An Luise gefiel ihm ungemein die üppige Weiblichkeit und ihre Töpferkunst, die ihm viele große und kleine Gefäße bescherte, die er als leidenschaftlicher Pflanzenzüchter umsonst bekam.
Dafür deckte er wortlos und sachkundig ein neues Dach und berechnete seinen "Herzensdamen", wie er es nannte, allenfalls die Materialkosten.
Luise fand selbst die noch übertrieben, aber Leonie bremste und zahlte.
Der Abschied von Luise und Leonie fiel ihm nicht schwer.
Eine Gärtnerin brauchte ihn, und der Pflanzenzüchter eilte, seine abendlichen Überstunden nutzbringend anzuwenden.
Und nun saß dieser lange dünne Mensch mit Hasenaugen und diesen Händen vor ihr, wollte sie küssen und machte ihr Unruhe.
"Wir können aber doch trotzdem ein wenig reden", sagte da Koslowski, "wenn ich verspreche, mich Ihnen in keinster Weise zu nähern?"
Die Bierdose zischte leise, und Koslowski wischte sich den Schaum von der Oberlippe.
Immerhin, dachte Luise, er wischt sich den Schaum ab, es gibt nichts Dümmeres als Männer mit Bierbärten.
"Erzählen Sie mir etwas von sich. Wie verfällt man auf die absurde Idee, Schornsteinbauer zu werden?"
"Ach", Koslowski seufzte enttäuscht, "und ich habe gedacht, wir machen uns einen schönen Nachmittag. Die Schornsteine können wir uns doch noch aufheben. Wissen Sie, was ich jetzt gern hätte?"
Luise machte Mädchenaugen.
"Ja?"
"Natron. Ich habe einfach schreckliches Sodbrennen. Natron wäre jetzt gut."
Luise flog nahezu in die Küche.
Es reicht, dachte sie, es reicht. Ich tu so, als wäre hier ein Salonstück im Gange, und er hat Sodbrennen. Er mimt den dummen Jungen, und ich, dumme Pute, habe Herzklopfen.
Leonie stand in der Tür und sah Luise in den Kästen mit Backpulver und Vanillezucker herumwühlen.
"Natron ist im Bad", sagte sie ruhig.
Luise schoss herum.
"Wenn du das Innenleben dieses Jungen so gut kennst, was spannst du mich vor den Karren?"
Leonie zuckte die Achseln.
"Es reicht nicht, sein Innenleben zu kennen. Das mit dem Sodbrennen hängt sicherlich mit den Schornsteinen zusammen."
Sie klemmte die Daumen hinter den zu engen Hosenbund.
"Frauen mit Konfektionsgröße achtunddreißig machen ihn schwach und mobil zugleich. Deshalb haben wir ihn doch gewählt, du Dummchen. Und er hat goldene Hände!"
Sie ging ins Bad und kam mit Natron zurück.
"Zeig ihm, wie schwer es dir fällt, eine Wiese zu mähen, die viel zu hoch ist, um von einem altersschwachen und desolaten Rasenmäher gemäht zu werden. Da wird der Kerl in ihm wach. Weiber, die alles können, machen Männern Angst. Du bist eine Zarte, mein Kind."
Luises Wut erlosch wie eine Kerze unter dem tropfenden Wasserhahn, der unablässig zu hören war.
"Er hat nicht nur goldene Hände", sagte sie, Leonie bedeutsam anblickend.
Leonie feixte. "Ach, wir Armen."
Graziös balancierte Luise eine Messerspitze mit Natron in Koslowskis geöffneten Mund und konnte ein tadelloses Gebiss feststellen. Kurz darauf war die wohltuende Wirkung des Natrons zu vernehmen, was den Mann dann doch in eine gewisse Verlegenheit brachte.
"Ein Fluch ist das", stieß er zwischen mehreren kleiner werden Rülpsern hervor.
"Immer wenn es drauf ankommt, krieg' ich Sodbrennen."
"Und worauf kommt es an?" fragte Luise zart.
"Ich würde Sie gern betören oder auch verführen. Ich will den großen Jungen machen, der Sie schlichtweg entwaffnet. Was wäre sonst der Nachmittag wert? Und um noch ehrlicher zu sein, ich weiß um meine Wirkung und wecke zuweilen sogar mütterliche Gefühle."
Er blinzelte Luise vergnügt an, und seine Augen wussten flinke Wege zu laufen.
"Und warum in aller Welt wollen Sie sich so verausgaben?" fragte Luise. "Sie sind ein ausgewachsener Schornsteinbauer, und ich habe selten mütterliche Gefühle, wenn mein Gegenüber nicht mehr dem Jugendstrafrecht unterliegt."
Koslowski wurde mit einem Mal ernst und rollte die Bierdose zwischen den Händen hin und her.
Luise kuschelte sich souverän in die weiche Stofffülle und war unglaublich zufrieden mit sich, aber auch nicht unzufrieden mit ihm.
Koslowski betrachtete angelegentlich den Gartenzwerg.
"Ist er gefährlich?" fragte er.
"Sehr. Er verschluckt sogar glühende Zigarettenstummel."
"Als Leonie mir von Ihnen erzählte - was heißt erzählte - schwärmte und sang, habe ich gedacht: Vorsicht Alter! Eine Falle! Weiberwirtschaft. Sie brauchen einen, der solche Fenster wie das da kittet oder mit dieser unmäßigen Wiese fertig wird. Aber dann kamen Sie und - also: Leonie hat nicht übertrieben. Sie sind ..." Luise sah ihn so harmlos wie möglich, wenn auch sehr direkt an. "Wie bin ich?" Koslowski stand auf und setzte sich neben Luise auf die Bank.
"Im Kino würde ich versuchen, mich über Sie herzumachen. Ich meine das heutige Kino. Vor zwanzig Jahren oder so hätte ich geflüstert: Julia, du bist zauberhaft, und wir hätten wenig später die Jalousien heruntergelassen."
"Sie sitzen auf einer original englischen Landlordbank, Sie können getrost die feine, also auch konservative Tour wählen."
Er lächelte sie frei und offen an. "Charming Lady. Wissen Sie, warum ich Schornsteinbauer geworden bin? Es gibt einem Ruhe und Zufriedenheit, so etwas hochzuziehen. Man kann weit schauen und es schmerzt, diese Jonnys stürzen zu sehen. Sie scheinen unantastbar zu sein. Es ist wie mit großen Tieren. Aber Größe kann auch wehrlos machen."
Luise lehnte sich zurück und streifte flüchtig seine Schulter.
"Das kommt auf den Standpunkt des Betrachters an. Größe macht auch stark."
Koslowski betrachtete den Garten.
"Sie und dieses grüne Feld passen gut zusammen. Stark und zart zugleich, Ruhe ist wohl auch dabei."
Er nahm ihre Hand und führte sie an seinen Mund. Luise sah ihm ruhig zu.
"Ruhe ist hier wenig. Eher Herausforderung, der man sich gewachsen zeigen muss."
Sie schaute ihn mit jener blauäugigen Mädchenhaftigkeit an, die Leonie als Kampfwaffe bezeichnete.
"Die Wiese müsste ein Rasen werden, der Mäher repariert sein, die Fenster verkittet, wie Sie richtig sehen, ein paar Gehwegplatten ... "
Koslowski sah sie andächtig an.
"Was sind Sie nur für ein schönes Frauenzimmer", sagte er leise und unvermittelt.
Überrascht und verunsichert wehrte Luise ihn ab. "Ich denke, Sie werden dem widerstehen!" versuchte sie mit Spott der eigenen Verwirrung Herr zu werden.
"Sie haben sich schön gemacht für mich, mich erwartet, finden mich allem Anschein nicht gerade abstoßend - warum also sollte ich widerstehen? Ich wäre doch ein Trottel."
Er strich ihr zart über den Arm, später über Schulter und Nacken.
Verrat, dachte Luise, absoluter Verrat. Die älteste aller Touren wird hier durchgezogen, und sie genoss seine Hände, die ihren ganzen Körper inzwischen in Besitz zu nehmen schienen.
Die Küchengardine bewegte sich leise, das brachte Luise wieder zu sich.
"Ich hol Ihnen lieber noch ein Bier und etwas Natron", hauchte sie und tauchte unter ihm hinweg.
"An Bier hätte ich jetzt am allerwenigsten gedacht", erwiderte Koslowski und lächelte etwas dümmlich hinter Luise her.
Die betrachtete im Vorübergehen nicht unzufrieden ihr Spiegelbild.
Rosig und jung sah sie aus, und der Gedanke an die nächsten Stunden im Garten oder sonst wo - Aha, soweit sind wir also doch! - ließ Schwingungen feinster Art zu.
Sie flog nahezu mit der Bierdose zu Koslowski in den Garten zurück, der wollüstig durch das Gras schritt.
"Sie haben recht", rief er ihr entgegen, "das Gras ist wirklich zu hoch."
Luise jauchzte innerlich. Es ging voran. Es kam die Stunde des Rasenmähers. Jetzt würde sie den Jungen mit den goldenen Händen noch zu den losen Gehwegplatten führen - dann mochte kommen, was da wollte - oder besser: wie sie es wollte, wenn sie es denn wollte ... Ach, und ob sie wollte.
"Wenn Sie sich den Mäher einmal anschauen wollen?" fragte und sah dabei sehr weiblich und hilflos aus.
"Mäher?" Koslowski schüttelte den Kopf, "ich bitte Sie. Ein paar Schafe müssen her. Das ist optimal- der Rasen bleibt immer kurz, wird gedüngt, dazu die Wolle und später auch mal Hammelbraten. Optimal! Was wollen Sie mit einem Mäher?"
Luise sah etwas stumpfsinnig auf seine im Gras rotierenden Zehen.
"An Schafe hab ich eigentlich nicht gedacht", entgegnete sie, "Rasenmäher erscheinen mir da praktischer, außerdem scheißen Rasenmäher selten, oder?"
Koslowski verdrehte die Augen.
"Verehrteste, ich rede von Düngung. Schafe düngen den Boden! Haben Sie überhaupt keinen ökologischen Nerv? Es kommt Natur zu Natur und überhaupt: Schafe gehen selten kaputt, wenn man nicht direkt darauf aus."
Luise setzte sich mutlos auf die Bank.
Koslowski ließ sich sofort zu ihren Füßen nieder.
"Sei'n Sie mal ehrlich. Es ist doch stupid, hinter einem Mäher hinterherzulaufen. Er blökt ja nicht einmal."
Koslowski lachte herzlich und lange über seinen Witz, und Luise überlegte, wie das Gespräch wohl wieder auf die wesentlichen Dinge zu bringen wäre.
"Ich könnte Ihnen mühelos ein oder zwei, vielleicht auch drei Tierchen besorgen", unterbrach der Mann ihre mühsamen Gedankenwege. "Und ich schwöre Ihnen, das Rasenproblem ist ein für allemal erledigt. Ich könnte Ihnen sogar auf der Grundlage des Schafkots ... "
"Machen Sie sich bitte um die Entsorgung keine Mühe, hier kommen sowieso keine Schafe her. Nicht einmal Zweibeinige", sagte Luise gereizt.
"Sie kennen meine Freund Robert nicht", Koslowskis Stimme bekam einen raunenden Klang.
"Wer ist Robert?" fragte Luise nicht ohne Interesse.
"Ein Schafsbesitzer und Hirte zugleich. Ein ganzer Mann. Und von der ruhigen Art mit wenigen Worten. Etwa drei bis fünf Tierchen nennt er sein eigen. Allen voran Bock Jakob mit eigenwilligem Gehörn, dazu drei Muttertiere und eben zur Zeit zwei Lämmer, wundersame Tiere. Sie fressen alles und sind lammfromm - eben Lämmchen."
Koslowski lehnte sich entspannt und voller Genuss gegen Luises Knie. "Und um die ganze Wahrheit zu sagen: Robert ist immer auf der Suche nach grünen, recht bewachsenen Wiesen. Ob klein oder groß, er besitzt ein Schafsmobil - das bringt ihn und die Tierchen überall hin."
Er streckte genüsslich seine langen Arme von sich und legte den Kopf zurück, um Luise anzusehen.
"Ich war schon drauf und dran, ihn mitzubringen. Aber dann erschien es mir allzu pragmatisch. Schließlich galt die Einladung mir und nicht einem Rasenmäherersatz. Irre ich mich?"
Er sah sie listig von unten her an.
"Großer Gott, Koslowski", erwiderte Luise heiter, "was haben Sie nur für Gedanken. Spüren Sie hier einen Hauch von Pragmatismus?"
Koslowski schüttelte den Kopf, nahm Luises Hände und begann sie sanft, aber nachdrücklich zu küssen.
"Nicht den geringsten Hauch", murmelte er. "Wenn ich überhaupt etwas spüre, dann meine unendliche, ganz spontane und leidenschaftliche Neigung zu Ihnen."
Er erhob sich und setzte sich neben Luise, die allmählich ihre mühsam errungene Fassung verlor.
"Wir müssen die Dinge jetzt auseinanderhalten", flüsterte Luise schwach und nahm Koslowski bei der Hand.
Ach, Leonie, dachte sie - das ist die erste ungeplante Fahrplanänderung. Und sie wird mir irgendwann sehr peinlich sein.
Sie verschloss sorgfältig die für gewöhnlich offenstehende Schlafzimmertür.