Читать книгу Gefesselt an die dunkle Seite meiner Affäre | Erotischer SM-Roman - Katy Kerry - Страница 5
ОглавлениеExtreme Höhen und Tiefen
Das Gewissen ist die Wunde,
die nie heilt und an der keiner stirbt.
(Friedrich Hebbel)
Am nächsten Morgen wachte ich in seinem Schlafzimmer im Obergeschoß auf. Ich konnte mich überhaupt nicht mehr erinnern, wie ich hierhergekommen war. Ich war so erschöpft gewesen nach unserer heißen Nacht, dass mich Jeremy offensichtlich im Halbschlaf hochgetragen hatte. Ohne dass es mir bewusst gewesen war, musste er die restliche Nacht neben mir verbracht haben, denn auch seine Seite sah benutzt aus.
Ich war noch immer von den letzten Stunden aufgewühlt. Noch nie hatte ich mich so begehrt gefühlt. Noch dazu von dem Mann, für den ich innerlich förmlich zu verbrennen schien.
Ich rekelte mich auf meinem Nachtlager. Im gleichen Augenblick hörte ich im Untergeschoß Geschirr klirren. Er durfte also gerade dabei sein, Frühstück zu machen.
Langsam richtete ich mich auf und schlug das Satinlaken zur Seite. Ich hatte in einem pompösen King Size Bett geschlafen, dessen Oberfläche mit einer Felldecke bedeckt war, die nun nach dieser Nacht nicht mehr so sorgfältig ausgebreitet schien. Unzählige Kissen in Weiß und Rot waren an der großzügigen Lehne drapiert. Davor stand ein cremefarbenes Kanapee, offenbar zur Zierde, denn wer sollte sich schon darauflegen wollen, wenn er auf solch einem grandiosen Nachtlager schlafen konnte?
An der Zimmerdecke war ein enorm großer Spiegel angebracht. Dieser Umstand brachte mich zum Schmunzeln. Sah er sich so gern selbst dabei zu oder warum hatte er dieses ungewöhnliche Ding dort oben montieren lassen?
Ein Lehnstuhl stand in der Nähe der riesigen Fensterfront, die sich auch hier über die gesamte Länge erstreckte. Auf dem Nachttisch neben dem Bett befand sich eine Fernbedienung. Vermutlich diente sie dazu, die Vorhänge zuzuziehen. Sicher aus dem Grund, weil draußen eine weitläufige, begrünte Dachterrasse angesiedelt war und man vielleicht einen Blick ins Schlafzimmer vom gegenüberliegenden Wohnhaus riskieren konnte. Gegenwärtig standen die Vorhänge offen. Jeremy musste bereits zum Zwecke der Ästhetik im Freien ein Feuer im Kamin entfacht haben, denn die Flammenzungen tanzten im Wind. Unmittelbar daneben konnte ich eine sehr bequeme, aus Rattan geflochtene Lounge-Insel mit klappbarem Verdeck und jutefarbenen Kissen erspähen.
Neugierig und splitternackt sprang ich aus dem Bett, um mich an die Glasfront zu stellen, dabei lief ich über einen offensichtlich beheizten Fußboden. Als ich um die Ecke lugte, konnte ich das Plätschern eines kleinen Pools vernehmen, der augenblicklich dampfte. Ich schüttelte verblüfft den Kopf. Es gab anscheinend nichts, was Jeremy nicht hatte.
Nun schlüpfte ich in einen weißen, exquisiten und sehr flauschigen Morgenmantel mit Schalkragen, den er scheinbar für mich über der Lehne des Armstuhls zurechtgelegt hatte. Meine Nase vergrub ich in seinem Kragen und atmete tief ein. Gott, roch dieser Mann vielleicht gut! Sein männliches Aroma raubte mir fast den Verstand.
Anschließend tapste ich in den Nebenraum. Dort befand sich sein Bad. Es war hell, freundlich und mit weißem Mobiliar eingerichtet. Kurzerhand sah ich in den übertrieben großen Spiegel. Gar nicht mal so schlecht, musste ich feststellen. Dafür, dass ich in dieser Nacht so gut wie nicht geschlafen hatte – außer mit ihm, ich kicherte –, sah ich recht annehmbar und überdies außerordentlich verführerisch aus.
Zögerlich öffnete ich die Glastür des Duschraums und drehte am Wasserhahn. Ich ließ den Morgenmantel auf den Boden gleiten. Das Wasser kam in einer angenehmen Temperatur aus allen Richtungen und ich genoss es. Ich hüllte meinen Körper in einen cremigen Duschschaum ein, um ihn bald darauf wieder abzuspülen. Mein Haar wusch ich mit einem extrem gut duftenden Shampoo. Im Anschluss blieb ich noch einen Moment unter dem Duschkopf stehen und ließ das warme Nass über meine Haut fließen. Kurz entschlossen stellte ich das Wasser wieder ab und stieg auf den weichen Badezimmerteppich. Ich langte nach einem flauschigen Handtuch und wickelte mich darin ein. Mein Haar rubbelte ich mit einem weiteren trocken.
Flink sah ich in den Spiegel und kontrollierte mein Aussehen. Konnte ich mich so bei ihm blicken lassen? Ach was! Heute Nacht war er so verrückt nach mir gewesen. Da kam es doch wirklich nicht darauf an, ob ich nun geschminkt war oder nicht.
Bevor ich die modern geschwungene Marmortreppe nach unten lief, riskierte ich noch einen Blick über die aus Glas gefertigte Brüstung. Langsam strich ich über das angenehm in der Hand liegende Geländer und schaute nach oben. Erstaunt blieb mein Blick an einem merkwürdigen Gebilde hängen, das an der Decke schwebte. Zwei miteinander verschlungene, goldene, enorm große Ringe hingen dort hinab. Es sah aus, als wären es zwei überdimensionale Eheringe. Pff. Was für ein Geschmack! Für zeitgenössische, moderne und abstrakte Kunst hatte ich nicht wirklich viel übrig, klassische Kunst hingegen war da schon etwas ganz anderes. Schmunzelnd lief ich die wenigen Stufen, die mich noch von Jeremy trennten, hinab.
Am helllichten Tag sah der Wohnraum noch viel repräsentativer aus, als es nachts den Anschein gehabt hatte. Die Aussicht von hier oben auf die Tower Bridge war einfach grandios. Elena, das könnte dir gefallen! Oder? Dieses Luxusapartment und Jeremy im Doppelpack wären doch eine ziemlich aufregende Partie.
Jetzt erst fiel mir auf, dass die Vorhänge lindgrün waren. Eine schöne Farbe, dachte ich still bei mir. Im Vorbeigehen bemerkte ich ein Foto auf Jeremys Schreibtisch. Es zeigte eine Schwarz-Weiß-Aufnahme von einem spärlich bekleideten Kleinkind, das am Boden kauerte und nach oben sah. Dabei lächelte es glücklich und zufrieden. Ich fragte mich, wer das wohl war. Verwundert wandte ich meinen Blick wieder ab, um in den nächsten Raum zu gehen.
Meine Augen weiteten sich vor Staunen. Dieses Apartment war wirklich für Überraschungen gut. In der Mitte des Raums stand ein großer, runder Esstisch mit neun gepolsterten Stühlen. Dieses Speisezimmer war raffiniert vom Wohnbereich mit einer Holztäfelung abgetrennt. Auf der einen Seite war eine beachtliche Spiegelfläche angebracht, in der sich der opulente Tisch aus einer neuen Perspektive zeigte. Die andere Seite beherbergte einen Schrank, der bis an die Decke mit sicher gut sortierten und exquisit aussehenden Weinflaschen bestückt war. So etwas hatte ich bisher noch nie gesehen! Dieser riesige Glasschrank hatte an der Außenseite mehrere digitale Thermometer, die scheinbar alle die für die jeweilige Weinsorte exakte Temperatur anzeigten.
Von der Decke hing ein beachtlicher Kristallluster herab und abermals ein abstraktes Bild an der Wand. Ich fragte mich, was es eigentlich darstellen sollte. Jeweils in zwei Reihen übereinander gestapelte Kelchblüten. Merkwürdiger Geschmack. Wenn ich mir ein Gemälde an die Wand hing, dann war es von einer eindrucksvollen Landschaft geprägt. Aber so etwas? Ich schüttelte den Kopf. Mit verschränkten Armen stand ich nun vor der Malerei und betrachtete sie eingehend. Die Geräusche des Nebenraumes erreichten mich, dann verstummten sie wieder.
»Gefällt es dir?«, drang Jeremys geheimnisvolle Stimme an mein Ohr. Erstaunt wandte ich mich um und starrte ihn konsterniert an.
»Offen gestanden: nein!« Grinsend nahm er mich in den Arm, während er mich lüstern von der Seite her anstarrte. Allmählich wanderte sein Blick zu dem Bild an der Wand.
»Wenigstens eine ehrliche Antwort«, entgegnete er fast ein wenig enttäuscht. »Was sollte denn stattdessen dort hängen?«, fragte er nun neugierig. Hier brauchte ich nicht lange zu überlegen.
»Das Motiv an und für sich würde mich ja ansprechen, es ist nur die Art und Weise, wie es gemalt wurde. Ich dachte eher an strahlende Blumen, an eine Perfektion von gelben Blüten wie bei van Gogh, hell und freundlich.« Nochmals studierte ich es gründlich. »Egal, ich habe Hunger.« Ich wirbelte in seinen Armen herum, sodass er mich verdutzt ansah. Unmittelbar danach setzte er ein breites, unzüchtiges Grinsen auf.
»Ich wollte dich gerade wecken und dir das Frühstück ans Bett bringen.« Dabei inspizierte er mich vom Haaransatz bis zu den Zehenspitzen.
Kokett steuerte ich auf den Servierwagen zu und schnappte mir ein Stück Toast, den er bereits mit Orangenmarmelade bestrichen hatte. Er musste das Frühstück dort hingestellt haben, als ich noch im Bad gewesen war, und mir war es in meinem Staunen gar nicht aufgefallen. Unverfroren biss ich in die Brotscheibe und betrachtete ihn mit diesem unwiderstehlichen Augenaufschlag, den ich schon als Kind wie aus dem Effeff beherrscht hatte.
»Nach dieser Nacht noch immer nicht genug?«, fragte ich ihn mit einer gekonnt verruchten Stimme und schob mir den letzten Bissen in den Mund. Seine kräftigen Arme umschlangen meinen Oberkörper. Ich stand nun mit dem Rücken zu ihm, während er mein Haar zur Seite strich, um meinen Hals zu küssen. Ungestüm fasste ich nach hinten, um seinen Nacken zu kraulen, dabei stöhnte er begierig. Seine Lippen bedeckten jeden Zentimeter meiner Haut. Ich warf meinen Kopf in den Nacken und schloss die Augen.
»Du bist so ein heißer Feger, Elena Cooper!« Meine Mundwinkel erhoben sich wie von selbst zu einem neckischen Lächeln.
»Und du machst mich ganz scharf, Jeremy White!« Im Handumdrehen hatte er mich hochgehoben und trug mich nun zurück ins Wohnzimmer, um mich auf das Sofa, wo ich gestern noch angezogen mit einem Glas Rotwein gesessen hatte, zu legen.
In der Annahme, wir würden dort weitermachen, wo wir in den frühen Morgenstunden aufgehört hatten, schlang ich meine Beine um seine Hüften. Wider Erwarten betrachtete er mich belustigt.
»Sie überfordern mich ein wenig, Miss Cooper. Die Nacht war anstrengend genug.« Allmählich löste ich sie und stellte sie angewinkelt auf der Couch ab.
»Das haben Staatsanwältinnen so an sich, Mr White«, hauchte ich. Im nächsten Moment ruhten seine weichen, warmen Lippen auf meinem Dekolleté und sein Mund verzog sich darauf zu einem zaghaften Lächeln. Seine Liebkosungen unterbrach er jedoch nicht.
»Braucht die Staatsanwältin denn keine Nahrung?«, murmelte er vor sich hin, während er an meinem Hals knabberte.
»Doch, aber dich braucht Sie mehr«, seufzte ich genüsslich. Bei dieser Gelegenheit schüttelte ich ihn ab. »Keinen Knutschfleck bitte. So kann ich mich im Gerichtssaal nicht sehen lassen.«
»Du trägst doch sowieso eine Halskrause«, lächelte er ungeniert. Ich stieß ein leichtes Schnauben durch die Nase aus. Er beendete sein stürmisches Unterfangen und richtete sich langsam auf. Folglich fasste er nach meinen Händen und brachte mich wieder in eine vertikale Position. »Das war die schönste Nacht meines Lebens, Elena.« Seine Worte schmeichelten mir. Gestern noch dachte ich, es würde bei einem One-Night-Stand bleiben. Aber heute? Eindringlich sah er mich an. »Ich möchte nicht, dass du gehst und diese Nacht nur ein Traum ist, der mit der Zeit verblassen würde.« Seine Finger strichen zärtlich über meine erhitzte Wange. Wollte er mich soeben zum Bleiben überreden? Ich konnte immer noch nicht glauben, dass er ernsthaft an mir interessiert war. Ich vergrub mein Gesicht an seinem Hals.
»Du meinst es also wirklich ernst?«, hauchte ich. Er hob mein Kinn an und starrte mich fassungslos an.
»Was denkst du denn?«
»Ich dachte, für dich bin ich nur ein Spielzeug für eine Nacht«, erwiderte ich kleinlaut. Er lächelte verächtlich, dabei stieß er einen missbilligenden Ton aus. Entschieden sah er mich an.
»Für wen hältst du mich eigentlich? Aus dem Alter bin ich raus! Ich spiele nicht mehr mit Mädchen. Ich bin ein erwachsener Mann.« Mit meiner Aussage hatte ich ihn in seiner Ehre gekränkt, dessen war ich mir jetzt absolut sicher. Shit. Da habe ich mich aber in ein gewaltiges Fettnäpfchen gesetzt. Jeremy bemerkte meine Unsicherheit scheinbar. »Elena!« Er seufzte. »Schon klar, ich bin ein gut situierter Mann. Die Frauen würden mir vielleicht des Geldes wegen zu Füßen liegen, aber das interessiert mich nicht. Ich will eine Frau, die mich aufrichtig liebt. Verstehst du? Ich will dich, Elena. Dich!«, stellte er ausdrücklich fest.
»Und woher willst du wissen, dass ich nicht auch eine von denen bin?«, bemerkte ich bestimmend. Er schüttelte beharrlich den Kopf.
»Augen sagen mehr als Worte.« Als er diesen Satz ausgesprochen hatte, lagen seine Lippen auch schon auf meinem Mund. Diesmal war es ein zärtlicher Kuss, einer der zärtlichsten, die ich jemals bekommen hatte. Ganz anders als gestern, da waren seine Küsse fordernd und gierig gewesen.
Seine Hände umfassten mein Gesicht und hielten es einfühlsam fest. Zärtlich, selbstlos, ergeben. Mein Herz machte einen Sprung. So hatte ich mich noch niemals zuvor gefühlt. Die Männer, mit denen ich bisher Sex gehabt hatte, Jayson mal ausgenommen, hatten immer nur ihre eigenen Vorteile gesucht, aber Jeremy war ganz anders. Er hatte mich in der vergangenen Nacht so sehr verwöhnt, wie es noch keiner getan hatte. Ich schmiegte meine Wange in seine rechte Hand, meine Augen hielt ich geschlossen. Ich wünschte, dieser Moment würde nie vergehen. Bei Jeremy fühlte ich mich geborgen.
Das Frühstück hätte ich beinahe vergessen, wenn Jeremy mich nicht daran erinnert hätte. »Wenn du es nicht bald verzehrst, ist es kalt und ich habe mir die ganze Mühe umsonst gemacht«, spielte er bewusst den Beleidigten. Dieses Angebot konnte ich ihm nicht ausschlagen. Wann hatte schon mal jemand für mich am Morgen gekocht? An diesen Umstand konnte ich mich glatt gewöhnen.
Genüsslich setzte ich mich an den Tisch im Esszimmer, entschied mich für schwarzen Tee, goss ihn in eine Tasse, nippte daran und überblickte die Vielfalt der Köstlichkeiten, die mir Jeremy zubereitet hatte. Dazu zählte ein Schinken-Käse-Toast, ein Ei im Glas und Würstchen.
»Sachlage geklärt. Hungergefühl meldet sich. Tatbestand erfüllt«, kicherte ich vor mich hin und Jeremy lachte sich halb schief.
»Du hast vielleicht einen eigenwilligen Humor. Wir sind doch hier nicht im Gerichtssaal«, neckte er mich. Amüsiert biss ich in den Toast und löffelte das Ei. Er musterte mich gründlich. Manchmal hatte ich das Gefühl, er wollte mich auf Herz und Nieren prüfen. Typisch Jurist, dachte ich und steckte mir eins der Miniwürstchen in den Mund. »Es wäre schön, wenn du dich heute noch von meinem Bademantel trennen könntest. Es wartet nämlich noch eine kleine Überraschung auf dich«, sagte er geheimnisvoll und ließ mich in Unwissenheit.
»Welche Überraschung?«, fragte ich neugierig und kaute genüsslich auf meinem Toast herum, bis ich auch diesen verdrückt hatte. Anschließend trank ich den Tee. Jetzt war ich gespannt, schob den Teller zur Seite und stand auf. Ehe er sich’s versah, hatte ich das Speisezimmer verlassen und war in der begehbaren Garderobe verschwunden, die ich vorhin bei meiner Erkundungstour gesehen hatte. Unterwegs ließ ich den Bademantel auf den Boden gleiten, um splitternackt in den Ankleideraum zu gehen. Jeremy musste meine Anziehsachen fein säuberlich auf einen Hocker gelegt haben, denn es fehlte nichts. Ich schlüpfte in meine Dessous und streifte mein rotes Etuikleid über, mit dem ich gestern gekommen war. Rasch zog ich meine halterlosen Strümpfe an, die Jeremy über den mit Leder bezogenen Sitzhocker drapiert hatte und befestigte sie am Strumpfband. In weiterer Folge glitt ich in meine High Heels.
Mein Haar war inzwischen fast trocken und ich frisierte meine unbändigen Locken mit einem Kamm, den ich auf einer Ablage liegen sah. Auf Schminke musste ich wohl oder übel heute verzichten, denn ich hatte nicht einmal einen Lippenstift dabei. Jeremy war mir in den Ankleideraum gefolgt, er hatte sich bereits angezogen und begutachtete mich kritisch. Nachdenklich kaute er an seinem Toast. Unsicher wanderte mein Blick nach unten.
»Irgendetwas nicht in Ordnung?«, fragte ich ihn verlegen.
»Welch Dekadenz, Miss Cooper«, stellte er arrogant fest. Verwirrt inspizierte ich mein Outfit.
»Was ist daran falsch?«, fragte ich verwundert. Gestern noch fand er mein äußeres Erscheinungsbild extrem anziehend. Jeremy verschränkte die Arme vor seiner Brust und nahm einen gewissen Abstand ein. Jetzt zog er seine Augenbrauen nach unten und kniff sie zusammen, sodass sich seine Stirn in Falten legte.
»Ich würde sagen, es gäbe objektiv gesehen bessere oder wünschenswertere Zustände. Dein Outfit ist für unseren kleinen Ausflug einfach nicht passend.« Augenblicklich blieb mir bei seiner Bemerkung der Mund offen stehen. Ich starrte ihn unwissend an.
»Was soll das jetzt heißen?«, fragte ich schon etwas genervt. Jeremy verzog seine Lippen zu einem wohlwollenden Grinsen.
»Ganz einfach, Miss Cooper. In diesem Aufzug kann man wohl kaum aus dreizehntausend Fuß in die Tiefe springen. Es sei denn, du möchtest der Belustigung der Fallschirmspringer dienen.« Nun zog ich meine Augenbraue einseitig hoch.
»Bist du jetzt völlig durchgeknallt?« Mit dem Zeigefinger tippte ich einige Male energisch gegen meine Stirn. Er aber steckte seine Hände ungezwungen in seine Anzugtaschen, senkte dabei seinen Kopf und sah mich nun spitzbübisch an.
»Keineswegs! Ich praktiziere diesen Sport schon seit meiner Kindheit. Ich bin ein Experte auf diesem Gebiet«, klang er ganz salopp.
»Du willst also mit mir Fallschirmspringen gehen?« Widerwillig schüttelte ich den Kopf, währenddessen ließ ich meinem Ärger Luft, indem ich tief schnaufte. »Sie sind größenwahnsinnig, Mr White!«
Behutsam nahm er mich in den Arm und wollte mich mit all seiner Überredungskunst, die ihm zur Verfügung stand, beruhigen. »Es wird dir gefallen, Elena. Du wirst es lieben, glaube mir! Wir machen einen Tandemflug, nur wir beide. Ich werde dich auf über dreizehntausend Fuß küssen und du wirst dir wünschen, dass wir es wieder und wieder tun werden, das verspreche ich dir.« Seine Begeisterung war ihm ins Gesicht geschrieben und selbst, wenn ich es gewollt hätte, hätte ich mich seinem Charme nicht entziehen können.
»Was ist, wenn ich unter einer Form der Berührungsangst leide?«, fragte ich ironisch. Nun setzte er seinen verführerischen Blick auf.
»Das hätte ich aber letzte Nacht schon bemerken müssen.« Er hielt mich noch immer fest.
»Was ist, wenn ich unter Höhenangst leide?«, konterte ich energisch und suchte nach einer Ausrede, um diesem verrückten Unterfangen zu entkommen. Jeremy schnaubte.
»Warst du es nicht, die den waghalsigen Bungee-Jump von der Tower Bridge riskierte?«, fragte er in einem zynischen Tonfall. Ich spitzte meine Lippen.
»Das war eine Wette!« Er lachte höhnisch.
»Eine Wette! Die gesamte Judikatur in London hat über dich gesprochen. Du hast unser Gerichtsjournal mit deinen Schlagzeilen gefüllt. Und du willst mir weismachen, du hättest Höhenangst? Ach, komm schon. Schlag ein.« Also tat ich, wozu er mich aufforderte und wir machten uns auf den Weg zu seinem Wagen. Er betätigte den Knopf, um den Fahrstuhl in Bewegung zu setzen, wenig später öffneten sich die Lifttüren. Wir stiegen ein und es ging abwärts.
Als wir in der Tiefgarage ankamen, steuerte er auf ein Auto zu, hantierte mit der Fernbedienung und drückte auf den Knopf. Ein geläufiges Geräusch ertönte und die Warnblinkanlage leuchtete kurz auf. In weiterer Folge öffneten sich die Türen selbständig und gingen nach oben hin auf.
»Toller Sportwagen«, bemerkte ich anerkennend.
»Ein Maserati Zagato Mostro. Acht Zylinder, vierhundert PS, dreihundertzwanzig Stundenkilometer. Ein Rennwagen mit Straßenzulassung. Black Magic im Carbonkleid sozusagen«, erläuterte er lächelnd, während er sich in seinem schicken Anzug auf den mit hellbraunem Leder gepolsterten Sitz fallen ließ.
»Ein reines Männerspielzeug«, untermauerte ich seine Beweisführung und setzte mich auf den Beifahrersitz.
»Nicht nur. Auch zarte Damenhände in Lederhandschuhen haben kein Problem damit, das Auto in die Kurven zu treiben.« Sein Blick war liebevoll.
»Wie viele von diesen Dingern hast du eigentlich?«, fragte ich zynisch. Er lächelte charmant.
»Mehrere«, war seine spontane Antwort. Jeremy startete den Wagen und der Motor schnurrte. Die Inneneinrichtung war beeindruckend. Eine Volllederausstattung, nur der Dachhimmel bestand aus Alcantara. Mehr als genug Fußraum, bequem gepolsterte Sitze, die elektrisch verstellbar waren, Sitzheizung, Lederlenkrad, sozusagen ein wahrer Traum.
Im nächsten Augenblick glitt das Monster im Smoking die Garagenauffahrt hinauf, um auf die Straße zu gelangen.
»Wo geht die Reise hin?«, fragte ich neugierig.
»Zum Flughafen, dort werden wir starten. In Kent, in der Nähe von Seeds Castle, werden wir dann abspringen.« Ich rollte die Augen.
»Okay, wenn du möchtest, dass ich an einer Angststörung erkranke, dann mach nur weiter so. Übrigens so nebenbei: Es macht einen Unterschied, ob man aus einhundertvierzig oder dreizehntausend Fuß springt.«
»Beruhige dich, Honey.« Unterdessen legte er seine linke Hand auf meine rechte.
Mittlerweile waren wir auf der Autobahn unterwegs, der Wagen fuhr fast wie von selbst. Es dauerte nicht lange, da kamen wir auch schon am Londoner City Flughafen an. Geschickt parkte er den Wagen auf seinem Privatparkplatz ein. Die Wagentüren öffneten sich selbstständig und wir stiegen aus. Rasch griff er nach meiner Hand und wir liefen lachend über einen Teil der Landebahn, bis wir bei einem größeren Sportflugzeug angekommen waren.
Meine blonde Mähne wirbelte im Wind umher und Jeremys Sakko sowie seine Krawatte flatterten heftig. Er machte eine einladende Handbewegung. »Nach Ihnen, Miss Cooper.«
Ich stieg die Fluggasttreppe hoch, meine High Heels klackerten auf den Metallstufen und ich gelangte in den Innenraum der Propellermaschine. Jeremy war dicht hinter mir. Unser Kapitän hatte es sich schon hinter dem Joystick bequem gemacht und studierte anscheinend gerade die Flugroute. Als er Jeremy sah, stand er auf und trat einen Schritt in den Vorraum hinaus. »Willkommen, Mr White. Hoffe, Sie hatten einen angenehmen Tag.« Er klang ziemlich zugeknöpft.
»Danke der Nachfrage, Larry. Wir springen wie gewohnt in Kent ab.«
»Sehr wohl, Sir.« Mit diesen Worten zog er sich wieder in sein Cockpit zurück und schloss die Tür. »Mein Butler«, erklärte mir Jeremy.
Larry war etwa Mitte sechzig, hatte kurzes, brünettes, leicht graumeliertes Haar, ein kantiges Gesicht, eine schmale Nase, braune Augen und auffallend buschige Augenbrauen, einen sympathischen Mund und vor allem ein überaus korrektes Benehmen.
Während das Sportflugzeug langsam der Startbahn entgegenrollte, schnallten wir uns an. Der Pilot zog die Maschine hoch und wir stiegen allmählich auf. Unter uns wurden die Menschen und Autos zu Ameisen, bis wir ganz London überblicken konnten.
Nun war der Zeitpunkt gekommen, sich in der Kabine umzuziehen. Jeremy legte sein Sakko ab und öffnete den Knopf seiner Anzughose, dabei beobachtete er mich eingehend. Ungezwungen schlüpfte ich aus meinem Etuikleid und hing es ordentlich an einen der Haken an der Wand. Als ich mich umdrehte, stand er nur mehr in seinem blütenweißen Hemd und seinen Boxershorts vor mir. Soeben war er dabei, die Manschettenknöpfe zu lösen, dabei ließ er mich nicht aus den Augen. Ich warf meine High Heels in die Ecke. Das einzige, das ich noch trug, waren mein roter Push-up und den dazu passenden Slip, die Strümpfe hatte ich bereits ausgezogen.
»Du wirkst so anziehend auf mich, Elena.« Sein Gesichtsausdruck war sehnsüchtig.
»Jeremy, wir sind nicht alleine«, versuchte ich, ihn zur Vernunft zu bringen. Doch noch bevor ich diese Worte ausgesprochen hatte, zog er mich schon an seinen harten, muskulösen Körper. Hingebungsvoll und zärtlich fasste er mit beiden Händen nach meinem Gesicht. Unmittelbar darauf lagen seine weichen, sanften Lippen auf meinem Mund und arbeiteten sich Millimeter für Millimeter auf meinem Hals vorwärts. Es verblüffte mich, wie außerordentlich schnell er in meiner Gegenwart in Ekstase geraten konnte. Ich brauchte nur ein wenig zu stöhnen und Jeremy begab sich fast schon wie hypnotisiert in ein Fahrwasser der Leidenschaft. Sein Atem war zeitweilig stockend. Voller Hingabe warf ich meinen Kopf in den Nacken und er bedeckte jede Stelle meiner sensibel reagierenden Haut mit seinen unzähligen Küssen. Er seufzte tief und beendete sein Liebesspiel.
»Ich würde jetzt am liebsten mit dir weiterkuscheln, aber wir werden in wenigen Minuten in Kent eintreffen.« In seiner Anwesenheit fühlte ich mich begehrt, doch ich hatte das Gefühl, er musste sich Gewissheit verschaffen, wollte auf Nummer sichergehen, ob ich es auch wirklich erst meinte. Er musterte mich, als wollte er mich auf Herz und Nieren prüfen. »Meinst du es auch wirklich ehrlich mit mir?« Er sah mir dabei tief in die Augen. An der Art, wie er das sagte, bemerkte ich, wie schwer ihm diese Worte über die Lippen kamen. Anscheinend hatte er schon einige schlechte Erfahrungen gemacht.
Ich seufzte. Kein leichter Fall. »Ich bin nicht auf der Suche nach einem reichen Mann, falls du das glaubst. Aber lass uns doch einfach mal schauen, wie sich die Sache entwickelt. Was kann man denn schon nach einer Nacht sagen?« Er lächelte zaghaft.
»Klar, du hast recht, ich wollte nur Gewissheit.« Seine Aussage brachte mich zum Schmunzeln. Ein sogenannter Geduldsfaden ist er nicht, dachte ich still bei mir und ließ es mir nicht nehmen, eine kecke Bemerkung zu machen.
»Kleiner Kontrollfreak?«, entgegnete ich frech.
»Ja«, konterte er. »Das bringt mein Beruf so mit sich«, gab er sich einerseits geschlagen, rechtfertigte sich aber auf der anderen Seite auch, um die Tatsache zu untermauern. Fast schon patent wechselte er das Thema. »Zieh den Overall an und daneben müsste eine passende Unterbekleidung hängen«, bemerkte er sanft, aber doch bestimmend. Er deutete auf ein paar Kleidungsstücke, die ordentlich auf einem der Haken auf ihren Einsatz warteten. Kritisch betrachtete ich die Klamotten.
»Wie viele vor mir hatten das schon an?«, fragte ich zynisch und inspizierte das Teil intensiver. Erstaunt zog er seine Augenbrauen hoch.
»Ich habe keine Ahnung.« Nun stemmte ich meine Hände in die Hüften. In meinem Aufzug musste ich ziemlich dämlich aussehen, doch das war mir zu diesem Zeitpunkt egal.
»Was? Du weißt nicht, wie viele Frauen du hier schon mit hochgeschleppt hast? Alle Achtung, Mr White. So viel zu dem Thema: Ich bin nur an einer interessiert, die mich aufrichtig liebt«, äffte ich ihn nach und kam mir dabei unheimlich gut vor. Während ich hier wie ein aufgeblasener Gockel vor ihm stand, blieb er ganz friedlich.
»Der Privatjet gehört meiner Familie. Es ist also umstritten, wie viele Personen weiblichen Geschlechts diesen Overall schon anhatten, um damit in die Tiefe zu springen«, konterte er unerschüttert und schlüpfte dabei geübt in seine Sportbekleidung. Anschließend streifte er den Overall über und zog den Reißverschluss hoch, darüber hinaus sah er mich gelassen an. »In den letzten fünf Jahren hatte ich keine Beziehung, um deine Anspielung hiermit zu beantworten.« Ich erstarrte. Er drehte mir den Rücken zu, um sich seine Schutzbrille aufzusetzen, dabei fuhr er fort. »Nachdem ich überzeugt bin, dass du nicht in diesem Aufzug abspringen willst«, dabei deutete er auf meine Dessous, »würde ich vorschlagen, du ziehst diesen fragwürdigen Overall und die dazugehörige Unterbekleidung nun doch an, es wird nämlich ziemlich kalt dort draußen. Danach begibst du dich in Startposition. Ich muss dir nämlich noch einiges erklären, bevor wir springen.«
Das hat gesessen. Du dummes Ding. Musst du dich immer in die Nesseln setzen? Ohne ein Wort zu sagen, zog ich diesen verdammten Overall und die anderen Sachen, die mich mitunter in diese peinliche Lage gebracht hatten, an. Er musste denken, ich war eine dieser eifersüchtigen Zicken, die nichts anderes zu tun hatten, als in den Anzugtaschen ihrer Auserwählten herumzustöbern, um nach Beweismaterial für deren Untreue zu suchen. Jeremy aber sah mich nur glücklich an und strich mir zögernd, aber sanft über die Wange.
»Ich fühle mich geehrt, Elena. Es zeigt mir, dass du es ernst mit mir meinst.« Offenbar hatte ihm mein Verhalten gezeigt, dass ich es nicht so toll gefunden hätte, wenn er sich neben mir noch ein Betthäschen halten würde. Wir waren also beide an einer ernst gemeinten Beziehung interessiert. Verlegen guckte ich zu ihm hoch und zog dabei meine Mundwinkel zu einem Lächeln.
»Du hattest also wirklich seit fünf Jahren keine Beziehung?« Er schüttelte fröhlich den Kopf. »Auch keinen One-Night-Stand?«, erkundigte ich mich nochmals. Nachdrücklich schüttelte er abermals den Kopf. »Nicht mal eine Prostituierte?«, fragte ich kleinlaut und konnte es selbst nicht glauben. Nun musste er losprusten.
»Elena! Für wen hältst du mich eigentlich? Wirke ich so triebhaft auf dich?« Beschämt griff er sich an die Stirn. »Welch unglaublichen Eindruck muss ich gestern auf dich gemacht haben«, fuhr er unermüdlich fort. Ich sah zu ihm auf.
»Nun ja, du hattest es schon ziemlich nötig.« Ich stockte kurz. »Ich meine, es machte mir jedenfalls den Eindruck als ob.« Ich verstummte. Was redete ich denn da. Verdammt. Aus. Themenwechsel! »Ähm, wolltest du mir nicht noch einiges erklären, bevor wir springen?«, bohrte ich. Er räusperte sich.
»Ja. Natürlich! Larry kreist bereits zum vierten Mal über Kent, wir sind nämlich schon längst angekommen«, erwähnte er verlegen und überreichte mir die Schutzbrille. Anschließend schlüpften wir in die mitgebrachten Schnürschuhe. Nun gut, die passten von der Größe her wenigstens. Zu guter Letzt streifte ich mir die Handschuhe über.
»Hör gut zu, Elena. Ich werde dich nun über den Ablauf des Tandemsprungs unterrichten.« Ich nickte. Während er mir den Verlauf erklärte, legte er mir den unzerreißbaren Gurt fachkundig an. Vorsichtig stieg ich in die Schlaufen, bevor Jeremy die Verschlüsse einrasten ließ. In weiterer Folge überprüfte er die Sicherheit des Gurtes. Zunächst ging ich in die Knie und er zeigte mir die Position, die ich beim Flug einnehmen sollte. Das hieß, die Beine angewinkelt zu halten und die Arme seitlich auszubreiten.
»Wir werden aus zirka dreizehntausend Fuß abspringen, zuvor werde ich dich mit vier Haken an meinem Gurtzeug festschnallen. Bitte halte dich unbedingt an meine Anweisungen. Wenn ich die Luke öffne, legst du die Hände auf das Gurtzeug, streckst deinen Rücken durch und legst den Kopf in den Nacken. Auf mein Kommando – Ready, set, go – springen wir ab. Wir werden uns etwa eine Minute im freien Fall befinden und erreichen dabei eine Geschwindigkeit von zweihundert Stundenkilometer. Bei ungefähr fünftausend Fuß öffne ich dann den Fallschirm. Keine Sorge wir haben einen Haupt- und einen Reserveschirm, der durch ein Cypres, das ist ein elektronisches Öffnungssystem, gesteuert wird. Über den gesamten Sprungablauf überwacht es Fallgeschwindigkeit und Höhe. Die Landung übernehme ich. Alles klar?«, erkundigte er sich bei mir. Bestimmt wollte er sichergehen, dass ich alles verstanden hatte.
»Ja alles klar«, stellte ich unmissverständlich fest. Ich wollte mir keine Blöße geben, außerdem vertraute ich auf seine Erfahrung. Obwohl seine Ausführungen ziemlich umfangreich gewesen waren, so waren sie auch sehr präzise gewesen. Im Prinzip hatte ich alles verstanden.
»Hier, setz bitte den Helm auf.« Ich tat, was er mir auftrug, und fasste noch rasch mein Haar zusammen. Er setzte seinen ebenfalls auf.
Ich spürte, wie die Motoren gedrosselt wurden. Jetzt wurde es ernst. Jeremy hakte mich bei seinem Gurtzeug ein. Nun waren wir untrennbar verbunden. Ich stand mit dem Rücken zu ihm. Professionell öffnete er die Flugzeugluke, in diesem Moment zog der Fahrtwind in die Kabine. Wir rutschten vor zum Trittbrett und nahmen nun eine hockende Position ein. Der scharfe Gegenwind brauste uns um die Ohren. Unsere Kleidung flatterte gewaltig und die Landschaft lag uns zu Füßen.
»Möchtest du mir noch etwas sagen, bevor wir springen, Elena?« Ganz wohl war mir bei der Sache nicht gerade, aber ich hatte mich darauf eingelassen, also sollte ich es auch zu Ende bringen.
»Ich vertraue dir«, schrie ich in den Luftraum hinaus, doch das wurde bereits teilweise vom Wind verschluckt.
Er küsste mich auf die Wange und rief mir ins Ohr: »Keine Sorge, Elena, ich bin ein Profi auf diesem Gebiet, du kannst mir ausnahmslos vertrauen. Bist du so weit?«
»Ja!« Behutsam fasste er nach meinem Kopf, um ihn mir in den Nacken zu legen.
»Ready, set, go«, schrie Jeremy und in der nächsten Sekunde sprangen wir in die Tiefe.
Wir fielen. Unsere Bekleidung flatterte unter dem enormen Wind. Der Sog war deutlich spürbar. Es war schrecklich laut. Ich hatte Mühe, zu atmen. Der Abstand zum Erdboden verringerte sich weiter. Ich kreischte. Aber nicht vor Angst, sondern vor Freude, weil es bei mir zu einem gigantischen Adrenalinausstoß kam. Ich fühlte mich, als läge ich auf einem Luftpolster. Jeremy lachte, dabei zeigte er mir seinen aufstrebenden Daumen. Unmittelbar darauf küsste er meine Schläfe. Ich konnte sein Glück deutlich spüren. Mit ihm im freien Fall zu fliegen, war atemberaubend. Es war ein Gefühl grenzenloser Freiheit. Noch nie in meinem ganzen Leben war ich so losgelöst gewesen. Losgelöst von Angst und Stress. Ich war völlig auf Jeremy angewiesen, was mich aber zu diesem Zeitpunkt wenig störte. Ich konnte mich fallen lassen, genau wie letzte Nacht, da hatte ich mich ihm völlig hingegeben. Und es war schön gewesen.
Mit einem sanften Ruck öffnete sich der Fallschirm. Der Sturm und der Lärm waren mit einem Mal vorüber. Nur ein leises Knacken des Segels über unseren Köpfen konnte ich vernehmen. Für ungefähr zehn Minuten würden wir durch die Lüfte schweben. Wir hatten also genug Zeit, um die Aussicht zu genießen.
Unter unseren Füßen breitete sich ein riesiger Landschaftsgarten aus. Er war atemberaubend schön. Auf dem Grundstück thronte eine mittelalterliche Burg, die auf zwei Inseln erbaut worden und von einem eindrucksvollen Wassergraben umgeben war. Die Oberfläche des Gewässers glitzerte in der Nachmittagssonne. Majestätisch glitten schwarze Schwäne über die spiegelglatte Wasserfläche. Das Castle ruhte zwischen weiten grünen Wiesenmulden mit alten Eichen und Kastanien.
So angenehm kam mir das Schweben auf dem Weg zur Erde vor. In absolut ruhigem Gleitflug näherten wir uns dem Boden. Als wir die Graslandschaft fast erreicht hatten, forderte Jeremy mich auf, meine Beine hochzuziehen, den Rest sollte ich ihm überlassen, so war es vereinbart gewesen. Sachte setzte er zur Landung an, bis wir behutsam wieder Boden unter den Füßen zu spüren bekamen. Einige Meter mussten wir noch laufen, bis wir zum Stillstand kamen. Ich lachte auf. Jeremy küsste mich auf die Wange. Der Fallschirm glitt mit einer Leichtigkeit hinter uns ins Gras. Nun begann Jeremy, mich von seinem Gurtzeug zu lösen und wir stiegen aus den Schlaufen heraus.
Die Sonne hier unten war wesentlich stärker, als auf fünftausend Fuß Höhe, daher öffnete ich den Reißverschluss meines Overalls, entledigte mich dessen, zog die Handschuhe aus, nahm meinen Helm und die Brille ab und setzte mich ins Gras. Jeremy tat es mir gleich und positionierte sich hinter mir, spreizte seine Beine und ich lehnte meinen Rücken gegen seine harte, durchtrainierte Brust. Sanftmütig schmiegte er seine Wange an mein Gesicht.
»Hat es dir gefallen?«, fragte er gefühlvoll. Ich drehte mich etwas zur Seite und sah ihm tief in die Augen.
»Es war wunderschön, Jeremy.« Mein Blick wanderte zu der eindrucksvollen, mittelalterlichen Burg. »Was ist das für ein stimmungsvolles Schloss?«, fragte ich beeindruckt. Jeremy seufzte tief.
»Seeds Castle«, entgegnete er abweisend.
»Aha, und wem gehört Seeds Castle?« Das Anwesen hatte es mir angetan, ich war von diesem Anblick überwältigt.
»Das möchtest du nicht wirklich wissen«, erwiderte er kühl. Erstaunt wandte ich mich zu ihm um.
»Warum nicht?« Wie ein Geistesblitz schoss es mir durch den Kopf, dass sich irgendeine Spukgestalt dahinter verstecken könnte. Aus heiterem Himmel begann ich zu kichern und Jeremy betrachtete mich mit heruntergezogenen und zusammengekniffenen Augenbrauen. Ich ließ nicht locker. »Verstehe! Du meinst, es verbirgt sich hinter den Schlossmauern eine ruhelose Seele und jedes Mal, wenn es Mitternacht wird, spukt sie auf dem Burggelände herum! Oder wie?« Ich gluckste, dabei hielt ich mir die Hand amüsiert vor den Mund. Seine Augen wirkten unruhig und versuchten vergeblich, meinem Blickkontakt zu entgehen. Das machte mich stutzig. »Stimmt irgendetwas nicht?«, fragte ich erschrocken. Mit einem Mal wirkte er reserviert und schüttelte ruppig den Kopf.
»Ich möchte nicht darüber sprechen, wenn du erlaubst«, machte er eine abweisende Geste. Zögerlich fasste ich nach seiner Hand.
»Komm schon, sei nicht so misstrauisch mir gegenüber, das kränkt mich.« Fast schon entschuldigend, meine Aussage musste ihn vor den Kopf gestoßen haben, krümmte er die inneren Seiten seiner Augenbrauen leicht nach oben.
»Es tut mir leid, Elena. Das wäre das Letzte, was ich wollte.« Sanft zog er mich wieder an seinen Körper. »Es ist nur …« Er verstummte. Eine Weile wartete ich, dann fuhr er fort. »Das Anwesen gehört meinem Vater. Es ist eine mühselige und nervenaufreibende Geschichte, die sich um dieses Besitztum rankt.« Trübsinnig senkte er seinen Blick.
»Verstehe, dieser Umstand macht dich traurig«, entgegnete ich einfühlsam. Er sah hoch.
»Ja. Ich möchte nicht, dass du damit belastet bist.« Mein Blick wanderte wieder über das Anwesen hinweg. Merkwürdig, dachte ich. Es schien so friedvoll, so unbelastet von längst vergangener Zeit zu sein. Was verbarg sich hinter diesen imposanten, mächtigen Mauern, das Jeremy so in Bedrängnis brachte? Zärtlich strich er mir eine Locke hinter mein rechtes Ohr.
»Wenn du möchtest, können wir einen Spaziergang auf dem Gelände unternehmen. Es gibt hinter dem Castle einen bemerkenswerten Park mit mediterranen Pflanzen, verträumten Blumengärten, Rosenbögen, Wasserfällen, einem Labyrinth und einem traumhaft schönen See.« Noch immer etwas unsicher, aber ermunternd sah er mich an. Das brauchte er mir nicht zweimal zu sagen. Ich war begeistert über seinen Vorschlag und wir machten uns auf den Weg.
Hand in Hand gingen wir über die mit Heideröschen bewachsenen Wiesen, bis wir den Damm erreichten, der uns über einen schmalen Pfad bis zum Schloss führte. Es war beeindruckend und mir blieb fast die Luft weg, als wir dem riesigen Anwesen entgegenliefen. Während das Castle immer näher kam, schilderte er den historischen Hintergrund dieser imposanten Residenz.
»Es wurde im 13. Jahrhundert von Sir Walter Raleigh mithilfe von Queen Elisabeth der I. umgebaut und in einen prachtvollen Herrensitz verwandelt. In weiterer Folge wurde es von vielen Fürsten bewohnt, bis es meine Familie im 18. Jahrhundert erworben und weiter ausgebaut hat.« Interessiert hörte ich ihm zu, indessen schweiften meine Gedanken ab, um in diese längst vergangene Zeit zu driften. Ich stellte mir die damalige Herrschaft in prachtvollen Kleidern vor, wie sie Arm in Arm zum Ball schritten, um auf vornehme Art ein höfisches Menuett zu tanzen.
Ich musste auf Jeremy einen ziemlich verträumten Eindruck gemacht haben, denn gegenwärtig musterte er mich amüsiert. »Du bist sehr weit weg, Honey.« Peinlich berührt senkte ich meinen Blick.
»Habe nur ein wenig vor mich hin geträumt«, bemerkte ich beschämt.
»Das ist ja auch legitim«, wandte er rücksichtsvoll ein.
Nun spazierten wir über einen sehr gepflegten Rasen. Inmitten dessen stand ein lebensgroßer Rahmen, an dem sich weiße und rosa Kletterrosen ineinander verflochten. Gekonnt stellte ich mich in Pose und lugte dahinter hervor. Jeremy zückte sein Aster und machte ein paar Aufnahmen von mir. Mal stellte ich mich mitten in den Rundbogen, dann wiederum seitlich und bewunderte das Kunstwerk.
»Du bist wunderschön, Elena.« Ich ließ meine Locken ins Gesicht fallen und er schoss noch ein Foto. Kritisch betrachtete er die Aufnahmen. »Du siehst toll aus, Honey.«
Er nahm meine Hand und wir gingen weiter. Vor uns lag ein enorm weitläufiges Labyrinth. Es musste etwa einen halben Hektar groß sein. Faszinierend. Lachend liefen wir auf den Eingang zu und betraten diesen Irrgarten. Jeremy kannte sich hier sichtlich gut aus, denn er rannte mit mir den ganzen Weg, als wäre er ihn schon hundertmal gelaufen. Sicher hatte er hier viel Zeit als Kind zugebracht. Für mich sahen alle Gänge gleich aus und wenn er nicht gewesen wäre, ich hätte nie wieder aus diesem Irrgarten herausgefunden.
Offensichtlich waren wir nun in der Mitte des Labyrinths angekommen. Dort ragten die Reste eines bereits zerfallenen Turmes empor, der mehr oder minder längst von ansässigen Pflanzen bewachsen war. Etwas erschöpft vom vielen Laufen setzte ich mich auf einer der großen Felsen, die zur Rast einluden. Jeremy lächelte mich an.
»Schon schlapp, Miss Cooper?«, wandte er gespielt zynisch ein. Diese Äußerung ließ ich nicht auf mir sitzen. Mit einem Ruck war ich aufgesprungen und rannte nun in irgendeine Richtung, ohne zu wissen, wohin mich der Weg führen sollte. Schon bald war ich in einer Sackgasse angelangt und stand nun vor einer mächtigen Heckenwand. Toll, mitten im Labyrinth, dachte ich. Das hast du jetzt von deiner starrköpfigen Art.
Als ich auf Zehenspitzen trat und hochsah, um mir einen günstigen Ausblick zu verschaffen, kam es mir so vor, als hätte ich jemanden hinter einer der Fenster des majestätisch wirkenden Castles stehen sehen. Mein Blick glitt zwischen den einzelnen Fenstern hin und her, doch ich konnte bei bestem Willen niemanden mehr ausfindig machen. Stattdessen zogen die Wolken in einem ziemlichen Tempo über den Schlossmauern hinweg. Ein gewaltiges Gewitter braute sich wohl über uns zusammen.
Es dauerte nicht lange und im nächsten Augenblick zerriss schlagartig ein enormer Blitz den wolkenverhangenen und inzwischen verdunkelten Horizont. Ich erschrak. Kurzfristig wurde Seeds Castle davon erhellt und in einem der Räume wurde wieder eine Gestalt sichtbar. Ich fühlte mich beobachtet. Im nächsten Moment war sie wieder verschwunden.
Jemand fasste nach meiner Schulter. Unwillkürlich zuckte ich zusammen und fuhr herum. Es war Jeremy. Erleichtert atmete ich aus. Unergründlich sah er mich an.
»Wenn ich mich hier nicht so gut auskennen würde, hätten wir beide jetzt ein Problem!« Verstört blickte ich ihm ins Gesicht. Ich schluckte. Dieser Jemand hatte mich völlig aus dem Konzept gebracht. Feinfühlig nahm er mich in den Arm. »Was ist los mit dir, Elena? Du bist ja ganz verstört. Keine Sorge, wir finden hier schon wieder heraus.« Vergebens versuchte ich, mich aus seiner Umarmung zu befreien.
»Dort oben war jemand!« Für einen kurzen Augenblick wanderte sein Blick über die Schlosszinnen und die darunterliegenden Fenster. Dann schüttelte er den Kopf.
»Da ist niemand, Elena. Nur mittwochs kommt die Hausdame und der Gärtner ist immer montags bis freitags hier«, versuchte er, mich zu beruhigen.
»Bist du sicher?«, fragte ich irritiert.
»Ja.« Dabei sah er mich zärtlich an. »Bestimmt war es nur der Schatten einer der Käuzchen, die hier in den Burgzinnen ihre Horste bauen«, versuchte er abermals, eine plausible Erklärung zu finden. In der nächsten Sekunde donnerte es gewaltig. Das Rumoren war bis in meine Glieder zu verspüren. Unvermutet fasste er nach meiner Hand.
»Ich denke, es ist besser, wir verschwinden von hier, bevor uns das Gewitter in vollem Ausmaß erreicht hat.« Bei dieser Gelegenheit begannen wir beide, zu laufen. Im Nu hatten wir den Ausgang erreicht.
Während wir über die mit Heideröschen bewachsenen Wiesen liefen, begann es heftig zu regnen. Für einen kurzen Augenblick schlitterte ich über den rutschigen Grasteppich, doch Jeremy reagierte schnell und fing mich noch im letzten Moment auf. Ausgelassen lachte ich auf und hatte den seltsamen Vorfall schon wieder in den Hintergrund gedrängt. Höchstwahrscheinlich hatte ich mich von den mystischen irischen Geschichten meiner Kindheit und den zunächst beängstigenden Ausführungen Jeremys beeindrucken lassen.
Ziemlich abgekämpft kamen wir am Wassergraben an und rannten völlig außer Atem den dafür vorgesehenen Damm entlang, bis wir am Haupttor angekommen waren. Ein schauriger Ort, dachte ich. Wie ein Damoklesschwert schwebte die Falltür über unseren Köpfen. Ein sonderbares, ja fast schon befremdendes Gefühl überkam mich bei diesem Anblick. Mir war, als würde meine Glückssträhne bald ein jähes Ende gefunden haben. Mit Nachdruck versuchte ich, diese abwegigen Gedanken aus meinem Kopf zu verscheuchen. Genau unterhalb des Torbogens blieb er stehen. Jeremy sah nach oben und drängte mich in eine der Mauernischen, die mit Moos bewachsen waren. Solange der Regen über unsere Köpfe hinwegprasselte, würden wir uns hier unterstellen.
Mittlerweile waren wir vollkommen durchnässt. Mein weißes, eng anliegendes Sportshirt zeigte die Konturen meines weiblichen Körpers. Dieser Anblick war auch Jeremy nicht entgangen. Begierig starrte er mich an, während mir das Wasser immer noch vom Gesicht tropfte. Meine blonden Locken waren triefend nass. Mit der Zunge glitt ich über meine Oberlippe.
Ich befand mich zwischen Jeremys Armen, seine Hände stützte er an einem Mauervorsprung ab. Bedächtig senkte er seinen Blick. »Ich kann nicht glauben, dass ich mit dir hier bin.« Prüfend musterte er mich. Ich seufzte tief.
»Was willst du damit sagen?«
»Ich weiß auch nicht, keine Ahnung.« Er schien verändert zu sein, irgendwie kam er mir anders vor, die Sache mit seiner Familie dürfte ihn ziemlich belastet haben. »Lass uns einfach abhauen, Elena. Der Regenguss wird langsam lästig. Findest du nicht auch?« Nervös sah er sich um. Ich konnte mir keinen Reim daraus machen. Zunächst hatte er eingewilligt, mit mir den Schlossgarten zu besichtigen, dann wollte er so schnell wie möglich wieder weg. Seine Ambivalenz blockierte mich innerlich, sie missfiel mir sehr.
»Ja, lass uns an den Ort, wo wir gelandet sind, zurückgehen«, erwiderte ich irritiert.
Gemeinsam und für meine Verhältnisse viel zu hastig, traten wir den Rückmarsch an. Jeremy zückte sein Aster und wählte rasch eine Nummer. »Larry! Holen Sie uns auf dem Weg nach Bearsted ab.« Seine Stimme klang fremd. Abweisend. Gefühlsarm. Brüsk. Abgestumpft.
Misstrauisch musterte ich ihn von der Seite, während er sein Aster wieder zurück in die Hosentasche steckte. Er fasste nach meiner Hand und ich lief schnellen Schrittes neben ihm her. Was hatte das zu bedeuten, warum benahm er sich so seltsam? Waren die vergangenen Umstände der Grund für sein merkwürdiges Verhalten? Ich würde ihn später darauf ansprechen. Mein Gefühl sagte mir, dass ich jetzt nicht nachhaken sollte. Zumindest nicht sofort. Nach einem längeren Fußmarsch hatten wir wieder die Wiese erreicht, wo wir gelandet waren.
Widerwillig und nahezu mürrisch hob er unsere mittlerweile mit Regenwasser durchtränkten Overalls auf und hielt sie angewidert in einem gewissen Abstand von seinem Körper entfernt. Ja, mag schon sein, dass es nicht angenehm war, mit diesen triefend nassen Gewändern herumzulaufen, aber so schlimm war es nun auch wieder nicht. Zu meinem Erstaunen kam uns Larry bereits hektisch entgegen. Wahrscheinlich kannte er den Zielort, hatte sich nach der Landung sogleich auf den Weg gemacht, um uns abzuholen und nur mehr auf Jeremys Anruf gewartet. Der Butler hatte wohl schon am Telefon bemerkt, dass er nicht zum Scherzen aufgelegt war. Missmutig hielt er ihm unsere nassen Klamotten entgegen.
»Befördern Sie das sonst wohin«, wies er ihn an und machte sich mit mir im Schlepptau auf den Weg zum Wagen, mit dem Larry gekommen war. Es war eine schwarze Limousine. Ein Cadillac XTS.
Während Larry hastig unsere Overalls in einer Box im Kofferraum des Wagens verstaute, wo er auch die Fallschirme eingepackt hatte, hielt mir Jeremy die Wagentür des Fonds auf. Unschlüssig, ob ich nun so nass wie ich war, in die luxuriöse Limousine einsteigen sollte, hielt ich kurz inne, um ihn stillschweigend um Erlaubnis zu fragen. Er nickte unmerklich und deutete mir an, dass es okay war.
Während ich mich auf einer der mit weichem cremefarbenem Leder bezogenen Sitzbänke niederließ, nahm Jeremy mir gegenüber Platz. Larry schloss die Wagentür fast lautlos und schritt nach vorn, um sich hinter das Steuer zu setzen. Pflichtbewusst rückte er seine Chauffeurmütze zurecht und ließ die Trennwand zwischen sich und uns hochfahren. Nun waren wir allein.
Allmählich entspannte sich Jeremy wieder und ein Lächeln kehrte auf seine Lippen zurück. Als hätte er auf diese Ruhepause gewartet, beugte er sich zu mir hinüber und fasste nach meinen Händen, die es anscheinend mit einer gewissen Vehemenz festzuhalten und nicht mehr so schnell loszulassen galt.
»Elena, bleibst du heute Nacht bei mir?«, fragte er erwartungsvoll. Ich presste meine Lippen zusammen, dann stieß ich einen lauten Seufzer aus.
»Ich habe am Montag eine Verhandlung und muss mich noch in den Fall einlesen. Ich fürchte, die Pflicht ruft und ich muss nach Hause fahren. Außerdem wartet ein Säbelzahntiger in meinem Haus auf mich, der mich wahrscheinlich vor Hunger anfallen wird, sobald ich die Schwelle übertrete«, stieß ich verlegen aus. Obwohl sich meine Haushälterin bestimmt in der Zwischenzeit um Melody gekümmert hatte, war es wohl an der Zeit, mal wieder zu Hause vorbeizuschauen. Jeremy war enttäuscht, das konnte ich ihm buchstäblich ansehen. Seine Hände lösten sich von meinen und er lehnte sich frustriert zurück. »Jeremy. Ich habe einen Beruf. Ich zähle nicht zu den Frauen, die brav auf dem Sofa warten, bis ihr Angetrauter heimkommt, das Essen für ihn warm stellen und ihm die Hausschuhe bringen.« Diese Erkenntnis brachte ihn zum Schmunzeln.
»Diese Spezies ist äußerst selten geworden, wenn nicht ausgestorben.« Er schüttelte dabei den Kopf.
Die Stretchlimousine hatte eine verhältnismäßig große Bar. Er beugte sich nach vorn, nahm zwei Gläser, stellte sie auf das dafür vorgesehene Tablett und mixte uns in einem Cocktailbecher einen Drink. Unmittelbar danach schenkte er ihn ein und überreichte mir ein Glas. Kurz nippte ich daran und musste feststellen, dass der Cosmopolitan vorzüglich schmeckte. Jeremy trank ebenfalls einen Schluck. Ich stellte den Drink wieder in die Halterung neben mir.
Nun begann ich, meine nassen Sachen auszuziehen, Jeremy beobachtete dabei meinen entblößten Körper, als hätte er seine Beute erspäht. Dabei zog er die Augenbrauen nach oben, gleichzeitig nippte er an seinem Cocktail.
Larry hatte mein Kleid, wie es sich für einen Butler gehörte, ordentlich auf einen Kleiderbügel gehängt. Dieser war am Griff, wo man sich normalerweise beim Aussteigen festhalten konnte, eingehakt. Ich nahm es an mich und schlüpfte splitternackt hinein. Jeremy stellte sein Glas ab und war sofort zur Stelle, um mir den Reißverschluss am Rücken hochzuziehen. Zärtlich strich er mein blondes, durch den Regen widerspenstig gewordenes Haar zur Seite, um meinen Hals zu küssen. Sinnlich bewegten sich seine Lippen entlang meiner erogenen Zone. Ich stöhnte angenehm berührt auf. Er setzte sein Vorgehen unermüdlich fort.
»Bleib heute bei mir, bitte«, flüsterte er fast schon flehend. Jetzt wandte ich mich ihm zu. Ich konnte das Funkeln in seinen Augen, das mir seine aufrichtige Bewunderung und seine Aufregung deutlich zeigte, sehen. »Ich muss morgen auch früh raus.« Er seufzte. »Zuerst in den Obersten Gerichtshof und dann zum Heathrow Airport, um nach Brüssel zu einem Kongress zu fliegen.« Der Ton seiner Stimme wirkte wehmütig.
Mit einem Mal war ich enttäuscht. Jeremy würde also nach Brüssel fliegen, um sich irgendeinem dämlichen Kongress zu widmen. Liebevoll strich er über meine inzwischen vor Aufregung erhitzte Wange.
»Ich bin Freitag wieder zurück«, versuchte er, mich zu besänftigen. »Ich werde dich jeden Tag mindestens fünfmal anrufen, Elena.« Er grinste verlegen. Fast wie ein Sechzehnjähriger kam er mir vor. Und ich? Wie ein junges Ding, das es ohne ihren Angebeteten keine Minute aushalten würde. Was war bloß mit uns geschehen? Wir benahmen uns wie ausgesprochen durchgeknallte Teenies, deren Hormonspiegel verrücktspielte.
»Das ist das Mindeste, was Sie tun können, Lord Chancellor!«, beklagte ich mich regelrecht über seinen bevorstehenden Entschluss, am Sonntag frühmorgens abreisen zu wollen. Augenscheinlich durfte er an diesem Umstand Gefallen gefunden haben, dass ich mich so offenkundig nach ihm verzehrte, denn er verzog seinen Mund darüber zu einem breiten Grinsen.
»Aufgrund des einleuchtenden Tatbestandes, verurteile ich Sie zu zwölf Stunden nächtlicher Zügellosigkeit. In jeder Beziehung«, erwiderte er. Während er dies aussprach, zog er sein triefend nasses T-Shirt über den Kopf und warf es achtlos in eine Ecke. Sein muskulöser Oberkörper erregte sofort meine Aufmerksamkeit.
»In jeder Beziehung?«, fragte ich hemmungslos.
»Ja! Ist doch eine ganz nette Begleiterscheinung. Oder etwa nicht?« Sein Blick zeigte an, dass er bereits am Rande der Selbstbeherrschung war, indessen schlüpfte er elegant aus seiner Freizeithose. Jetzt musste ich schmunzeln. Ich saß in meinem roten Etuikleid vor ihm, während er sich gerade vor mir auszog. Verführerisch lächelte ich ihn an.
»Ich nehme das Urteil bedingungslos an, wenn der Lord sich von seinem hohen Ross herunterbegibt, um in mein Haus am Hyde Park Gate zu kommen. Ich hatte nämlich vor, das gesamte Wochenende damit zu verbringen, meinen morgigen Fall zu studieren.« Jeremy war richtig gut gelaunt.
»Eine überaus großartige Idee, meine kleine Rechtsverdreherin!« Gespielt schnaufte ich.
»Vorsicht! Ich bin eine sehr loyale und im höchsten Maße korrekte Staatsanwältin!«
»Natürlich«, startete er den Versuch, seine Aussage zu beschwichtigen. Noch immer saß er in seinen Boxershorts vor mir. Skeptisch musterte ich ihn.
»Willst du so im Hyde Park herumlaufen?« Ich kicherte vor mich hin. Er betrachtete sich selbstkritisch, dann wanderte sein Blick nach oben.
»Keine so gute Idee, oder?«
»Wenn du nicht wegen Sittenwidrigkeit vor dem Central Criminal Court landen möchtest …« Er nickte sanftmütig und musste mir wohl oder übel recht geben.
»Um dann noch dazu einer der strengsten Staatsanwältinnen Londons gegenüberzustehen?« Er schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Nein, keine optimale Werbung für den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs«, musste er feststellen und schlüpfte nun fluchtartig in seine Anzughose. Unverzüglich langte er nach seinem weißen Hemd, das an einem der Kleiderhaken hing, und streifte es über seinen bemerkenswert trainierten Körper. Während er sein Hemd zuknöpfte, ließ er mich keine Sekunde aus den Augen und grinste.
Meine Strümpfe lagen sorgfältig zusammengelegt auf einem Tischchen. Ich fasste nach ihnen, um sie im nächsten Augenblick über meine Fußknöchel zu rollen. Darüber hinaus glitt ich in meine roten High Heels, die ebenfalls akkurat unter dem Sitz standen. Jeremy war mittlerweile in seine schwarzen Socken geschlüpft und zog sich seine eleganten schwarzen Lederschuhe an. Er befand sich vor einem Spiegel und kämmte sein dunkelbraunes Haar fein säuberlich zur Seite. Er sieht perfekt aus, dachte ich.