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Der Weg in das Morgen Mythos vom blutgetränkten Licht

Teil 1

von Kay Welzel

Der Onkel hatte sich nicht gemeldet, irgendwie passte das nicht zu seiner Art. In der Vergangenheit war er immer pünktlich und zuverlässig, es musste etwas dazwischen gekommen sein, etwas das nicht voraussehbar war. Während Joe angestrengt nachdachte starrte er in die Zimmerecke, in der eine Spinne ihr Netz webte. Es kam ihm vor, als würde er in ihrem Netz sitzen. Ein sehr unangenehmes Gefühl beschlich ihn. Warum bekam er bloß von dem Onkel keine Rückmeldung? Das grenzte schon fast an das Unheimliche der ganzen Sache. Es war eine große Hitze, dieser August hatte es in sich. Die Gardinen bewegten sich träge in sachtem Wind. Er döste weiter vor sich hin und dachte an den Onkel, was da bloß passiert war? Er lag gerade im ersten Schlaf, als ihn ein Geräusch hochschreckte ..., das war wohl nicht nur eine Einbildung.

Knarrten die Dielen, oder war da noch etwas Anderes? Langsam umfing ihn wieder der Schlaf, der Wind draußen nahm langsam zu. Das nächste Mal schreckte er aus dem Schlaf durch ein klapperndes Geräusch auf dem Parkplatz. Er erhob sich aus dem Bett und ging leise zum geöffneten Fenster, mittlerweile war es kurz vor Mitternacht. Trotzdem wurde hier noch der Müll entsorgt und es war einige Geschäftigkeit zu spüren. Er hatte einen gewissen Groll gegen diese Unruhe. Aber nicht zu ändern, die Gründe seines Hierseins waren nun einmal anderer Natur. „Wellnesshotel hat sich was mit Wellnesshotel!“ brummte er vor sich hin. Gegen 3:00 Uhr nachts, wurde er durch lautes Gepolter über ihm geweckt, hatten die da oben etwa vergessen die Fenster zu schließen? Der Wind veranstaltete jetzt ein derartiges Gepolter dass man meinen konnte das Haus stürzt ein. Die lauten Abschnitte wechselten mit leisen, es war einfach nicht herauszuhören woher das Geräusch kam. Draußen setzte ein schöner Dauerregen ein. Da machte sich in ihm wieder die Überlegung breit, dass solche Landfahrten eigentlich zu anstrengend sind. Die Geräuschkulisse über ihm nahm kein Ende. Es war ein älteres Gebäude mit Holzbalkendecken und Giebeldächern. Vom Fenster aus konnte man auf das Dach sehen, er beugte sich weit hinaus und versuchte die Dachgaube über sich zu sehen. Tatsächlich war da noch ein Raum über seinem eigenen, man konnte das Fenster sehen. Leise Stimmen waren übrigens auch zu hören, was machten denn die über ihm dort bloß? Nachts um drei wird wohl keiner mehr ein Zimmer renovieren. Vielleicht handelte es sich auch um ungezügelte Triebe, war alles möglich. Er war felsenfest entschlossen der Sache ein Ende zu bereiten, um wenigstens noch zu ein paar Stunden Schlaf zu kommen, bis sich vielleicht der Onkel doch noch meldete. Mit der ganzen Gewaltigkeit seiner Stimme rief er weit aus dem Fenster gebeugt, den Kopf gegen das Fenster über ihm gerichtet: „Falls da oben nicht auf der Stelle Ruhe ist, bin ich gleich oben und sorge persönlich für Ruhe, es gibt hier noch Gäste die gerne ihre Nachtruhe einnehmen würden“. Nachdem seine Stimme wie Donner durch die Nacht gehallt war, setzte schlagartig Ruhe ein. Damit konnte man sich aber nicht zufrieden geben. Er langte sich das Telefon und verlangte den Nachtportier. „Was ist das für ein Tumult in Ihrem Hotel? Ich dachte, dies wäre ein Wellnesshotel, dann sorgen Sie gefälligst auch dafür, dass es eins ist!“ Er warf wütend das Telefon auf das Nachtschränkchen. Endlich war wirklich Ruhe eingetreten, er dachte nicht mehr an sein Vorhaben und den Onkel, er dachte nur noch an Ruhe. Langsam sank er in seinem Kissen zurück, plötzlich ein Donnerschlag. Draußen goss es in Strömen, Blitze zuckten, der Wind blies durch die offenen Fenster und es konnte nicht lauter sein, wenn die von vorhin über ihm gekegelt hätten. Er lachte lauthals über die Situation, da versucht man ein bisschen Ruhe zu bekommen und die himmlischen Wettergeister machen einen Strich durch die Rechnung, das war doch wirklich verrückt. Jedenfalls nahm er sich vor, morgen früh mit dem Personal ein ernstes Wörtchen zu wechseln. Wenn auch spät war er endlich eingeschlafen. Die Morgensonne weckte ihn, relativ ausgeruht konnte er seinen Kaffee einnehmen. Der Onkel war immer noch nicht in Sicht, auch hatte er an der Rezeption keine Nachricht von ihm vorgefunden. Moderne Kommunikationsmittel waren dem Onkel etwas suspekt, das heißt, er besaß zwar ein Handy, stand aber damit immer vor neuen Rätseln. Eine leichte Verärgerung begann in Joe aufzusteigen, es war nicht einfach gewesen sich von der Arbeit freizumachen um sich endlich einmal wieder zu sehen. Vordergründig sollte es ein kurzer Urlaub sein, doch hatte Onkel Robert einige geheimnisvolle Andeutungen gemacht. Zuerst trank Joe mal in aller Ruhe seinen Kaffee, sollte sich Onkel Robert eben Zeit lassen, seinem Neffen Johannes - von seinen Freunden Joe genannt - eilte es nicht. Das Verrückteste war dieser Gewittersturm heute Nacht. Sollte dem Onkel doch etwas zugestoßen sein? Er beschloss sich einmal in der Gegend umzusehen und auch vielleicht herauszubekommen, wer eigentlich in dem Zimmer über ihm hauste. Joe musste nochmals zu seinem Zimmer zurück, da er den Ausflug nicht ohne eine Waffe machen wollte. Der Onkel hatte ihm vor Jahren eine Walther Pistole geschenkt, für die er keinen Waffenschein hatte, jedoch auch nie benutzte. Dazu gab es noch eine Hand voll Patronen, eigentlich wäre es vernünftiger gewesen die Waffe abzugeben, aber es war nun einmal eine Art Gedächtnisbild und Andenken. Als Johannes seine Etage betrat, hatte er ein komisches Gefühl, eine Art Vorausahnung. Irgend etwas stimmte hier nicht, der Schlüssel knirschte im Türschloß und er stand in seinem Zimmer.

Seine Wahrnehmung ließ ihn langsam versteinern, mitten auf dem Bett war eine rote Lache. Er trat näher an das Bett heran: „Was in drei Teufels Namen.......“ weiter kam er nicht, als er bemerkte, dass die Lache sich unaufhörlich vergrößerte. „Das ist Blut, es rinnt unaufhörlich von der Zimmerdecke!“, murmelte er vor sich hin. Sollte dies etwa mit den Ereignissen der letzten Nacht zusammenhängen? In fliegender Hast steckte er seine Walther Pistole in die Innentasche. Er rief die Rezeption an, das Reinigungspersonal möchte schnellstens kommen, er hätte eine Sauerei im Bett, scheinbar wäre irgendeine Leitung defekt, das ganze Bett wäre hinüber. Er hoffte, dass dann die Anderen die Polizei holen müssten und nicht er selbst. Er begab sich in das Stockwerk über seinem Zimmer, die Türe war nur angelehnt, er stieß sie mit dem Fuß auf, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen. Erst einmal stockte ihm der Atem. Neben dem Bett im Zimmer lagen mehrere Personen. Auf dem Tisch stand ein kleiner Mini Notebook, diesen nahm er vorsorglicher Weise erst einmal an sich. Auch eine Mappe in braunes Packpapier geschlagen nahm er mit. Aus welchen Gründen er handelte, konnte er nicht sagen. Instinktiv fühlte er, dass es richtig war und er nicht zufällig zu dieser Zeit an diesem Ort war.

Nachdem er bei weiterem Umschauen nichts gefunden hatte, merkte er, dass ihm übel wurde. In der Aufregung hatte er den starken Blutgeruch und die Fliegen nicht bemerkt. Joe konnte nicht feststellen, durch was die vier Personen die dort lagen zu Tode gekommen waren. Eines aber hatten alle gemeinsam, ihnen wurde die Kehle durchgeschnitten. Jetzt war auch der Blutfleck auf seinem Bett erklärlich, wahrscheinlich war die Todesursache langsames verbluteten gewesen, das Blut hatte seinen Weg durch die altertümliche Decke bis zu ihm gefunden, Schauer durchströmten ihn. Joe verließ das Zimmer, und trat hinaus auf den Gang. Er gab sich der Hoffnung hin, dass ihn niemand bemerkte. Es handelte sich um ein sehr altes Gebäude, er hoffte nicht noch einmal an der Rezeption vorbeigehen zu müssen. Joe folgte dem Schild Notausgang, dieser war zwar verschlossen, ließ sich glücklicherweise doch von innen entriegeln. So kam er unauffällig hinaus, er hatte zwar mit der Sache nichts zu tun, aber es könnten trotzdem unangenehme Fragen auftreten, es war schon besser sich bei dem wahrscheinlich baldigen Eintreffen der Polizei außer Haus zu befinden. Hinter dem Hotelnebenausgang befand sich ein kleiner Wald, der sich bis auf einen Höhenrücken erstreckte, dorthin wendete er seine Schritte um erst einmal über die Lage nachzudenken. Das war nicht der offizielle Weg zum Hotel. Aus diesem Grunde unterlag er wahrscheinlich weniger der Pflege, über ein Rinnsal führt eine kleine eingestürzte Brücke. Als Ersatz hatten wahrscheinlich irgendwelche Kinder einen alten bemoosten Balken darüber gelegt. Nachdem hinüber Balancieren führte der Weg durch dichtes Unterholz in dem noch die Reste des letzten Unwetters hingen. Langsam führte der Weg bergauf. Er kam auch ziemlich schnell empor. Je höher der Weg führte, desto mehr lichtete sich der Wald. Vor ihm befand sich ein steil abfallender bizarr wirkender Felsrücken, von dem aus man einen kolossalen Blick in das Tal hatte. Wahrscheinlich handelte es sich um einen ehemaligen Steinbruch. Er näherte sich einem umgestürzten Baum, der eine gute Sitzgelegenheit bot. Eine kleine Weile gab er sich seinen Gedanken hin, versuchte noch einmal die Ereignisse in Verbindung zu bringen. Oder waren es reine Zufälle gewesen? Schwer vorstellbar zwar, aber immerhin möglich. Er hing weiter seinen Gedanken nach, aus dem Unterholz kamen Geräusche, wahrscheinlich ein Fuchs oder ähnliches. Es war schon eine ziemlich unberührte Gegend hier. In Gedanken hörte er die Stimme seines Onkels: „Ich muss Dir etwas mitteilen, was ich lange Jahre bewahrt habe. Ich zweifle nicht daran, dass Du derjenige bist, der mir weiterhelfen kann“. Er kannte seinen Onkel, dieser war ihm lieb und teuer, aber im Alter wird der Mensch nun einmal wunderlich. Hoffen wir, dass es sich nicht bloß um etwas Versponnenes handeln würde, überhaupt hatte er ihn ja versetzt. Joe lächelte bei dem Gedanken, der Onkel könne die Verabredung vergessen haben. Er nahm das in dem ominösen Hotelzimmer gefundene braune Päckchen und öffnete es. „Donnerwetter, das sieht ja wie einige Generationen alt aus!“, murmelte er vor sich hin, im Päckchen befanden sich uralte Blätter, und wie es aussah, waren es japanische Schriftzeichen. Auch einige Lageskizzen waren dabei, die Beschriftung wieder mit den gleichen Schriftzeichen. „Da ist erstmal nichts zu wollen.“, sprach er und klappte das Ganze wieder zu. Er betrachtete den Minicomputer, der kaum größer war als zweimal seine Handfläche, klappte ihn auf und suchte den Startknopf, das System startete, aber fiel sofort mit Zittern wieder in sich zusammen. „Wäre auch zu viel verlangt, wenn ab und zu mal jemand den Akku lädt." Sein Telefon vibrierte: "Ja, ich bin es Onkel Robert.“ „Entschuldige bitte die Verspätung, ich habe schon gedacht, dass Du mehrmals angerufen hast, ich hab es auch gehört, leider konnte ich nicht ans Telefon gehen!“ „Verstehe ich nicht, wieso konntest Du nicht ans Telefon gehen?“ „Ich hatte das Telefon im Koffer, der Koffer hat ein Zahlenschloss und ich hatte die Zahl vergessen.“ „Das schlägt mich zu Boden, da sieht man wieder kleine Ursache große Wirkung. Unglaublich, wir sollten uns schnell treffen, es gibt einiges zu besprechen!“ „Jajaja, ich habe ja auch..., also wir müssen uns treffen, welchen Treffpunkt schlägst Du vor?“ „Pass auf, Onkel Robert, hinter dem Hotel ist ein Waldweg, der auch offiziell befahrbar ist, fahr ihm nach, er geht über einen Höhenrücken ins nächste Dorf, ich komm Dir dort entgegen.“ Onkel Robert am anderen Ende: „Kenne ich, bis gleich!“ Joe ging vom Steinbruch wieder zurück. Ein fast zugewachsener Trampelpfad führte ihn gewunden durch Brennnesseln und andere Pflanzen in Richtung Waldweg. Auf dem Weg aus der Richtung des Hotels war ein leises Geräusch zu hören, das Surren verstärkte sich, ein Elektrosmart rollte um die Ecke. Er erkannte darin seinen Onkel, typisch mit seinem in die Stirn gezogenen Hut.

Onkel Robert winkte ihm zu, „Komm steig endlich ein, bitte zurücktreten von der Bahnsteigkante, der Zug hat Abfahrt!“ Robert wendete umständlich den Wagen und ließ dem Elektromobil freien Lauf. Seit seiner Jugendzeit war der Onkel in technische Innovationen vernarrt, so weit Joe wusste, war er erfolgreich an privaten Schulen gewesen, und hatte sich daraufhin der Forschung zugewandt, allerdings ohne den erhofften Durchbruch. Am Elektromobil hat er große Anteile bei der Entwicklung der Antriebstechnik. Joe und der Onkel zündeten sich im Wagen jeder eine Zigarre an. „Mit etwas Nikotin denkt sich's besser nach! Also was gibt's für tolle Neuigkeiten?“ Joe blies den Rauch von sich weg: „Im Hotel haben einige das Zeitliche gesegnet, eine ziemlich brutale Vorgehensweise und ich habe etwas gefunden, mit dem ich nichts anfangen kann! Ich muss sagen in jeder Hinsicht nichts anfangen kann.“ Sie hielten am Wegesrand, die Stelle war so, dass man alles sehen konnte, selbst aber wohl schlecht gesehen werden konnte. Joe zog den Mini-Notebook aus der Tasche und zeigt ihm dem Onkel: „Lässt sich nicht einschalten, es ist kein Saft drauf.“ „Ein Problem, dass ich nicht kenne“ meinte Robert. Er öffnete das Minihandschuhfach und holte eine kleine Schachtel hervor. Aus der Schachtel entnahm er ein Kabel und einen passenden Adapter, das Kabel kam mit dem anderen Ende in den Zigarettenanzünder. Robert schmunzelte und sprach: „Sämtliche Stromanpassungen und Adapter aller bekannten Geräte, vom Nasenhaarschneider bis zum tragbaren Fernseher, alles dabei“. Ein Gerät dieser Bauart war dem Onkel unbekannt, aber der Adapter passte. Der Bildschirm wurde hell und verlangte ein Passwort, jedoch nicht das Übliche, sondern es bewegte sich eine dreidimensionale Darstellung aus Formeln über den Bildschirm, in der einige fehlten. „Ach, da will einer meine Tauglichkeit in Punkto physikalischer Formeln feststellen, nicht übel, kann er haben! Ich muss das Ding mit ins Labor nehmen, hier auf der grünen Wiese habe ich damit ein Problem. Was hast Du noch?“ Joe überreicht ihm das braune Päckchen aus seiner Tasche. Onkel Robert schaute es an: „Japanisch, wenn ich mich nicht irre, ebenfalls Direktion Labor“. Joe sah zu Robert: „Meinst Du die Sache im Hotel steht in irgendeinem Zusammenhang mit Deiner von mir erwarteten Ankunft? Oder ist alles reiner Zufall?“ Robert runzelte die Stirn: „Kann ich nicht sagen, eigentlich weiß niemand außer Dir und mir von meiner geplanten Ankunft, tja wer könnte in Frage kommen?“ Da fällt mir eigentlich nur das Hotelpersonal ein! Sicher war der Onkel kein Unbekannter. Aber was für Leute könnten ein Interesse an ihm haben?

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In der Dunkelheit hört man ein Motorengeräusch, der Wagen hält vor einer Hauseinfahrt. Drei dunkel gekleidete Gestalten entsteigen ihm, zwei halten sich im Hintergrund, einer geht vor zur Türschelle und läutet. Ein vom Alter gebeugter Greis erscheint in der Tür. „Ist der Doktor zu sprechen?“ „Leider nein, er befindet sich auf einer Reise.“ Die finstere Gestalt im Hauseingang spricht leise: „Dann wird er nicht stören!" Er stützt den Greis im Hauseingang , geht mit ihm hinein, drinnen legt er ihn auf den Fußboden, es bildet sich eine Lache aus einer dunklen Flüssigkeit, das Blut des alten Mannes. Der dunkle Eindringling wischt das Messer an der Jacke des Toten ab. Die draußen gewartet haben, folgen nun nach. In der Gründerzeitvilla brennt gedämpftes Licht, beinahe wie künstlicher Fackelschein. Sie schwärmen im Haus aus, einer gibt Anweisung: „Wenn möglich kein weiteres Licht und bleibt leise!“ Er verriegelt die Haustür von innen. „Stellt alles auf den Kopf, wir müssen es finden, uns bleibt nicht mehr viel Zeit!“ Eine Zeit lang vernimmt man im Haus gedämpfte Geräusche fieberhafter Tätigkeit. Das Unterste wird zuoberst gekehrt. Nach geraumer Zeit tritt etwas mehr Ruhe ein. Zwei der dunklen Gestalten betreten die matt erleuchtete Halle, beide schauen sich um, der dritte Begleiter fehlt. Einer unterdrückt einen Fluch. „Wo ist er abgeblieben, alles muss man selber machen, ich wünschte, na egal...“ In diesem Moment vernahm man ein ungewöhnliches durchdringendes Geräusch. „Könnte eine elektrische Entladung gewesen sein!“ „Ja, wahrscheinlich nicht von einer Taschenlampenbatterie, das klang schon verflucht kräftig, lass uns nachsehen.“ Beide gingen in die Richtung, in der sie das seltsame Geräusch vernommen hatten. „Vielleicht macht er sich bloß einen Jux mit uns und erscheint uns gleich als elektrisches Nachtgespenst!" „Lass gut sein und halt's Maul!“ zischte der Andere. Langsam näherten sie sich einer doppelflügeligen Tür, ganz langsam und vorsichtig drückte einer die vergoldete Klinke. Sie waren noch nicht ganz durch die Tür gegangen, als in ihrem Rücken ein Geräusch war, etwa in der Art von Huuuu ... „Was zum Teufel ...“ Einer drückte jetzt auf den Lichtschalter, entgegen der Abmachung. Das Licht flammte auf, in der Ecke stand im Käfig ein Papagei, der sich am Kopf kratzte. „Puh, Du warst das Gespenst, na wo soll heutzutage auch ein Echtes herkommen?“ Der Papagei nickte zustimmend auf seiner Stange und streckte seinen Kopf vor. Sie betraten die Mitte des Raumes, hier waren einige zumindest für Nichtwissenschaftler rätselhafte Dinge versammelt, allem Anschein nach handelte es sich um ein Laboratorium.

Sie gingen vorsichtig näher: „Meinst Du, dass das das Ding ist, von dem wir die Pläne suchen?“ „Vielleicht sollte man alles mitnehmen, dann bräuchten die Anderen den Plan nicht mehr?" „Bloß wenn beim Einpacken was schief geht, sehen wir alt aus.“ „Da haste wohl mal wieder Recht, verdammt was machen wir da?“ „Wo ist jetzt eigentlich Oleg abgeblieben?“ Die Gerätezusammenstellung auf dem Tisch war einfach nicht zu deuten, riesige Stromkabel liefen in die Anlage hinein. In der Mitte erhob sich eine Art Plexiglassäule unter der eine grünliche Strahlung ihr unheimliches phosphorzierendes Licht in den Raum abgab, in einem so hohen Maß, dass die Erscheinung den beiden Betrachtern weitere Rätsel aufgab. „Hast Du so was schon einmal gesehen?“ Der Angesprochene schüttelte stumm den Kopf. „Das Ganze wird mir langsam unheimlich. Sie standen stumm und dachten lange nach. „Was machen wir eigentlich mit dem Alten, der noch draußen liegt?“ „Am besten in den Keller, da kann er den Mäusen beim Wettrennen zusehen.“ „Wird wohl das Beste sein, kann er bisschen im Keller rumspuken!“ Die beiden kicherten in sich hinein, sie waren das Geschäft schon gewöhnt, sollte man sich deswegen Gedanken machen und in Trübsal verfallen? Das war nicht ihre Art. Plötzlich klirrte es metallisch, der Papagei, einer von der grauen Sorte hatte sich selbst befreit, und startete zu einem Rundflug. Die beiden Eindringlinge zuckten zusammen: „Schöner Hilfsadler, wäre mir gegrillt lieber!“ „Mir auch, vor allem sollten wir hier keinen Aufstand proben, sondern leise sein und das Licht ausmachen....“ Der Papagei setzte zur dritten Runde an. „Langsam reicht es!" Einer richtete seine Waffe nach dem Vogel, durch den Schalldämpfer hörte man nichts, der Vogel wurde jedoch nicht getroffen, dafür fiel ein Bild und ein Geweih nacheinander von der Wand. „Daneben!" entfuhr es dem Schützen. Der Papagei kam von seiner Flugbahn ab und flog dicht an die Säule mit der grünen Strahlung heran. Mit einem Schlag gab es wieder das Geräusch von eben, nur wesentlich lauter und viel intensiver als vorhin. Der Vogel war weg, wohin er gekommen war, hatte keiner richtig wahrgenommen. Beiden wurde es noch unheimlicher, obwohl sie einiges gewohnt waren. „Wo is'n der Gummigeier abgeblieben?“ „Vielleicht gibt es hier einen verdeckten Ausgang oder eine Tür mit geheimen Gang oder so'n Quatsch. Vielleicht ist dort auch unser dritter Mann raus marschiert und wartet draußen auf uns, vielleicht hat er das Gesuchte auch schon gefunden...“ „Ja, am besten ist es, wir verziehen uns hier, ab durch die Mitte. Ist eh schon alles ziemlich ausgeufert, am Ende hat er noch einen versteckten Alarm ausgelöst, und die Bullen sind schon informiert. Aber eine Idee habe ich noch, wir holen den alten Kerl und legen ihn hier ins Labor. Da sieht's dann so aus, als hätte er an den Kabeln gelutscht.“

Beide machten sich an die Arbeit und holten den Alten. Sie trugen ihn durch die Halle, in der ein roter Teppich lag, so dass keiner das tropfende Blut bemerkte. Sie trugen ihn ins Labor und lehnten ihn neben die Säule. Daraufhin löschten sie das Licht und gingen zurück in die Halle. Hier war wieder das seltsame Geräusch zu hören. Einer sah den anderen an, sie schüttelten die Köpfe und verließen eiligen Schrittes die Halle und das Gebäude. Sie beeilten sich ihr Fahrzeug zu erreichen. Leider hatte sich der dritte Mann nicht wieder eingefunden. Sie nahmen beide im Fahrzeug Platz und starteten den Motor. „Wo mag Oleg bloß abgeblieben sein? Ob er irgend etwas Interessantes gefunden hat?“ „Ja, 100 Jahre alter Whisky wäre nicht schlecht, der Knilch wird schon irgendwann wieder auftauchen. Dann muss er halt zu Fuß gehen, wenn's ihm bei uns nicht vornehm genug ist.“ Sein Gegenüber senkte den Kopf: „Übrigens, ich habe doch etwas gefunden, sieht nach einem Hinweis aus, was der Doc als Nächstes vorhat!“ Der Fahrer trat das Pedal durch und der Wagen verschwand im Dunkel der Allee. Die Abgase verflüchtigten sich, und alles lag wieder wie vorher im Dunkel, der Spuk war vorüber.

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Joe und der Onkel waren sich nicht einig, wie es weitergehen sollte. Joe hatte noch einige Sachen im Hotel, aber sie hielten es nicht für ratsam in nächster Zeit dorthin zurückzukehren. Robert schlug vor, seine Wohnung aufzusuchen, da er dort bessere Arbeitsmöglichkeiten hätte. Joe erklärte sich einverstanden, da die Villa des Onkels weitaus komfortabler war als jedes Hotel, dass er sich leisten konnte. Allerdings hatte der Onkel auch einen gewissen Hang zur Sparsamkeit. Er hatte als Junge oft seine Ferien bei ihm verbracht und kannte die Gebräuche des Hauses. „Sag mal Onkel Robert, seit wann hast Du eigentlich dieses schreckliche Elektromobil? Damit kann man ja nicht mal sparen, der Ladestrom ist derweil immer der gleiche und langsamer fahren geht ja wohl nicht!“ „Ach Joe, Du siehst die Sache zu pessimistisch, man muss gewissen Innovationen auch einmal eine Chance geben, Sparsamkeit in allen Ehren, aber den Fortschritt sollte sie nicht behindern.“ Der Neffe lachte ein wenig: „Das aus deinem Munde zu hören finde ich nett, da fallen mir manche hübschen Erlebnisse wieder ein. Wie damals Dein Solarteekocher, für trübe Tage mit aufsteckbarer Handkurbel, einmalig!“ „Schon gut!“ brummelte Robert. „Auch ein Wissenschaftler muss sich mal entspannen. Lieber Neffe, ob das Elektromobil die letzte Weisheit ist, ist mir noch nicht klar, aber das werde ich nach den Test's mit einigen Verbesserungen wissen. Außerdem ist das kein handelsübliches Modell, sondern ein von mir kreiertes Teil mit einigen besonderen Eigenschaften, so viel will ich Dir dazu schon einmal sagen!“ Die Landstraße zog an ihnen vorbei, immerhin schaffte diese rasende Keksdose knapp über 100 km/h.

Mehr ging auf dieser desolaten Landstraße sowieso nicht, überhaupt kam es Joe vor, als wären sie doppelt so schnell. Im Radio kam schon die Meldung über den Mord im Hotel, und dass zur Zeit die Gästeliste überprüft würde. Joe unterdrückte einen Fluch, aber letztendlich war es ihm schon während des Geschehens klar, wie die nächste Abfolge wäre. „Warum wolltest Du mich eigentlich sprechen, darüber rätsele ich schon die ganze Zeit. Was ist es?“ „Geduld und noch ein wenig Geduld mein lieber Junge. Geduld ist eine nicht zu unterschätzende Tugend und Du willst mir doch wohl nicht sagen, Du hättest sie nicht?“ „Das schon, aber ich grüble schon solange daran herum, und kann einfach nicht darauf kommen“, der Doktor nickte. „Kannst Du auch nicht, darüber haben wir beide noch nie gesprochen, es ist etwas, was wir besser bei mir im Hause besprechen, damit wir bei der Fahrerei nicht unnötig abgelenkt sind.“ Er gab dem Onkel recht, wahrscheinlich ließ sich etwas Wichtiges besser in Ruhe besprechen als unterwegs. Mittlerweile waren sie so weit gekommen, sie bogen in die Straße ein, in dem das Wohnhaus des Onkels lag. Die Straße war gesäumt von schönen alten großen Linden. Vor der Einfahrt drückte der Onkel einen Schalter, das eiserne Gartentor öffnete sich und das Rolltor der Garage hob sich. Das Elektromobil fuhr auf das Grundstück in die Tiefgarage hinein, hinter ihnen schlossen sich alle Tore automatisch. Als sie das Auto abgestellt hatten, blickte der Onkel auf ein Display an der Wand. „Hmm, hier ist ein stiller Alarm ausgelöst worden, während ich nicht da war. Irgendwie ist er auf meinem Telefon nicht angekommen, lass uns also immerhin vorsichtig sein. Nach den letzten Vorkommnissen wollen wir keine Anzeichen von fremder Anwesenheit übersehen, am Ende ist außer uns noch jemand hier!“ Die Befürchtungen waren unbegründet. Sie stiegen die Kellertreppe empor und kamen in die Halle von Roberts Haus. „Irgend etwas ist anders als sonst, das spüre ich förmlich!“ meinte dieser. In der Ecke der Halle war ein weiteres kleines Display eingelassen, der Doktor rief nach seinem Gehilfen „dem guten Geist des Hauses“ dort hinein. „Albert, bitte kommen sie doch in die Halle!“ Sie legten ihre Mäntel ab, jedoch die helfende Hand des Doktors erschien nicht. „Wo bleibt er bloß? Naja, man muss Verständnis haben, er ist älter als ich und ich bin eigentlich ohne Ansprüche. Albert hat schon bei dem Vorbesitzer des Hauses gedient, und ist eigentlich mehr oder weniger meine Familie.“ In diesem Moment fiel Joe's Blick auf eine Spur die man dunkel auf dem Teppich erkannte, sie führt einerseits zu einem größeren Fleck, und anderseits zu einer Tür. Joe sagte leise: „Onkel, dort ...!“ „Um Himmels willen, es wird doch nicht ...!“ Beide strebten der Tür zu, unter der die Spur verschwand. Sie traten ins Labor, dort befanden sich vielfältige Versuchsaufbauten des Doktors. Die Spur führte bis zu einer bestimmten Konstruktion und endete dort. Der Doktor stutzte selbst, sonst hatte ihn immer sein Papagei freudig begrüßt, wenn er das Labor betrat. Er drehte sich zum Käfig um. Die Käfigtür war auf und der Vogel weg. Der Doktor atmete schwer: „Das ist ja ein grandioses Durcheinander, und wo befindet sich nur Albert? Sollte die Blutspur etwa von ihm sein, hatte man ihn verschleppt?“ Dem Doktor fiel es schwer seine Gedanken zu ordnen und sich zu konzentrieren: „Was ist das, dass sich hier abspielte? Sollte irgend jemand doch um mein lang bewährtes Geheimnis wissen?“ Niemals hatte er einen Menschen eingeweiht. Sein Neffe sollte der erste nach sehr vielen Jahren sein. „Möchte bloß wissen, wo der Lorax abgeblieben ist? Er hätte doch eigentlich gar nicht aus dem Raum gekonnt, es war weder Fenster noch Tür offen.“ „Derjenige der die Spuren verursacht hat, wird wohl auch wissen, was aus Deinem Vogel geworden ist, am Ende hat man ihn geklaut!“ „Kann ich mir nicht vorstellen, er kommt doch zu niemandem außer mir. Sieh mal hier, Dein Abschlußlehrgangsbild liegt am Boden, allerhand, da hat jemand darauf geschossen, was der wohl gegen das Bild hatte?“ „Unglaublich, was denkst Du, wie wir weiter vorgehen sollen?“ „Ich glaube am besten ist's, wir machen erstmal nichts. Lass uns in den blauen Salon gehen, dort werden wir in aller Bequemlichkeit einen Schlachtplan schmieden!“ „Einverstanden.“ Beide begaben sich also zum Salon, nahmen in den schweren Klubsesseln Platz und tranken einen sehr alten Cognac. Der Onkel bewahrte seine Gaumenschätze in einem verdeckten Fach hinter der Wandvertäfelung auf, das nur durch seine Stimme geöffnet werden konnte. Dem Fach entnahm er auch noch einige Papiere und legte sie auf den Tisch. Sie tranken sich gegeneinander „Prost“ zu. Der Onkel begann nun das Gespräch: „Ich habe einige Papiere hier, die wahrscheinlich so brisant sind, dass sie die Welt in einem Ausmaß verändern werden, welches wir uns noch nicht vorstellen können. Aus diesem Grund wollte ich Dich mit einbeziehen, da ich von meinem Alter her schon langsam krumm gehe, und die Verantwortung mir schwer zu schaffen macht. Außerdem wenn ich sterben würde, wäre die Sache für immer verloren.“ Joe staunte, sollte sich etwas noch nie da Gewesenes, Einzigartiges vor ihm auftun, oder sollte er in Sekunden ernüchtert sein? Obwohl er sonst immer ganz ruhig war, wurde ihm die Spannung unerträglich. Wie der Onkel vorhin festgestellt hatte, in Geduld musste er sich noch üben. Der Onkel brannte sich eine Zigarre an, nicht ohne vorher mit seiner bedächtigen Art und dem Zigarrenschneider die Spitze abzutrennen. Er nahm tiefe Züge, der Rauch kräuselte langsam zur Decke. „Es ist solange her, dass ich mich kaum noch erinnern kann“ begann er. „Während meines Studiums suchte ich mir ein Arbeit, da das Geld knapp war, meine Familie war nach Kriegsende enteignet worden und kam gerade so über die Runden. Ich habe eine Stelle angenommen, um etwas zum Leben zu verdienen. Die guten Leute waren ganz froh mich zu haben, ich studierte Physik und in dieser Firma suchten sie jemand, der noch nicht zu gebildet, ihre Ideen unterstützte und vor Allem nicht ablehnte. Man gab mir sogar ein eigenes Labor und ich konnte mir im Rahmen der dortigen Forschung ein Projekt aussuchen, welches finanziell unterstützt wurde und mir bei meinen Studien weiter half. Wir forschten grundlegend. Die Kernspaltung war ja kein Thema mehr, es ginge um vielmehr, es ging kurz gesagt darum, Energie nicht nur frei zusetzen, sondern sie in ungeahnter Menge zu vervielfältigen. Damit sind mit kleinsten Materialmengen unvorstellbare Energien zu erzeugen. Du kannst Dir vorstellen, was das praktisch bedeuten würde. Die langwierigen Experimente wurden erfolgreich abgeschlossen. Das Elektromobil, dass Dich so amüsiert hat, ist im Prinzip ein in der Praxis angewendeter Prototyp. Du könntest nun einwenden, dass das weiter nichts ist, aber dieser Wagen muss nie an eine Steckdose. Ich denke der Antrieb wird den Wagen überleben. Es ist als eine Art Perpetuum Mobile, natürlich nicht ganz, da tatsächlich dies nicht möglich ist, aber eben nahe daran. Dabei aber eben vollkommen ungefährlich im Gegensatz zur Kernspaltung.“ Joe's Augen schmerzten, ob das am Cognac oder der eben gemachten Mitteilung lag, war nicht zu sagen, aber das war ja wohl unvorstellbar, fantastisch geradezu unglaublich. „Ja und dann? Wie ging die Geschichte weiter?“ „Obwohl bei uns ein gutes Klima herrschte, war man sich nicht einig, staatliche Stellen zu involvieren oder selbstständig weiterzumachen. Bei Hilfe von staatlicher Seite, wäre unsere Firma sicher verschwunden, die Inhaber waren gebrannte Kinder, sie arbeiteten seit 1926 an verschiedenen Projekten und sollten schon mehrmals vereinnahmt werden, darum entschloss man sich im Geheimen weiterzuarbeiten und die Firma ins Ausland zu verlagern. Mein Haus ist übrigens die ehemalige Villa des Firmengründers, der leider keine Nachfahren hatte.“ „Aber als Ihr das erst Mal aus Deutschland raus gegangen seid, war dies zu dieser Zeit nicht reichlich kompliziert für eine Firma?“ „Oh, nicht für uns. Wir hatten gute Beziehungen ins Ausland, außerdem wurde das ganze als meteorologische Forschung deklariert, so dass es kaum Nachfragen von Seiten irgendwelcher Behörden gab. Wir haben ein Schiff erworben und es für unsere Zwecke umgerüstet. Unser Ziel war der Vulkan Langila auf Papua-Neuguinea. Mit den Behörden kamen wir gut zurecht. Man nahm uns freundlich auf, unter uns gesprochen, wir haben auch gut gezahlt. Auf einem seitlichen Höhenzug des Langila errichteten wir das Basislager, es war auch schon ein Teil der Anlage vorhanden, teilweise unterirdisch. Keine Ahnung wie weit vorher die Arbeiten schon begonnen hatten. Die technischen Details gehen jetzt zu weit, aber das Experiment führte wahrscheinlich zu dem katastrophalen Vulkanausbruch von 1954, in deren Folge alle Teilnehmer der Expedition ums Leben gekommen sind, außer meiner Wenigkeit. Damals hieß es: Menschenleben waren bei dem Vulkanausbruch nicht zu beklagen, doch ich wusste es besser. Angaben habe ich aber keine gemacht, da unsere gesamte Anlage dort noch vor Ort sein muss.“ „Das klingt alles unglaublich!“, bemerkte Joe und schenkte noch einmal den Cognac nach: „Wie ging es weiter?“ „Leider gar nicht, das Forschungsschiff war gesunken, alles liegt wahrscheinlich heute noch unter der Vulkanasche begraben. Ich bin daraufhin nach Deutschland zurück gereist, die Firma war schon verlagert, so dass die Behörden keine Nachfragen hatten. Das Experiment war ein voller Erfolg. Wie sich aber eben herausstellte, ein bisschen zu erfolgreich.“ „Aha, und seitdem wohnst Du hier?“ „So ist es, habe schon während meiner Studienzeit in diesem Haus gewohnt. Der ehemalige Eigentümer, also mein damaliger Chef, hatte es schon mir überlassen, ehe wir in die Südsee aufbrachen. Er sah mich wahrscheinlich damals als seinen größten Hoffnungsträger an, bestimmt auch aus diesem Grund konnte ich eine fast unbegrenzte Forschung in seiner Firma durchführen. Außerdem bekomme ich seit ewigen Zeiten Zahlungen aus einer Stiftung.“ „Ja Onkel, bist Du denn jetzt im Besitz der Technologie?“

„In gewissem Rahmen ja, ich bin durchaus in der Lage, die Sache im kleinen Maßstab durchzuführen. Ich sage bloß Elektromobil, im größeren Maßstab fehlt mir ein kleines Puzzleteil, wenn Du so willst der Stabilisator. Das ist auch derzeit meine Forschung.“ Joe setzte sein Glas ab und zog an der Zigarre: „Da wäre also jetzt die Frage, was hat die ganze Angelegenheit mit den Vorfällen im Hotel zu tun, wusste doch noch irgend jemand etwas, der damals mit der Sache zu tun hatte davon?“ „Wenn Du mich so direkt fragst, und vor allem seit ich die Papiere mit den japanischen Schriftzeichen gesehen habe, fällt mir ein, dass unser Chef mit einem japanischen Gelehrten zu tun hatte, der ab und an einmal vor Ort war, ich dachte damals, es handelt sich um eine reine Geschäftsbeziehung, doch vielleicht waren die beiden sich auf wissenschaftlicher Ebene viel näher als es den Anschein hatte.“ Der Doktor erhob sich: „Trotz der späten Stunde lass uns ins Labor gehen, vielleicht können wir heute noch den Code vom Mininotebook knacken!“

Die beiden verließen den mit dunklem Holzparkett und alten schweren Möbeln seit vielen Jahren unveränderten Raum. „Hast Du in diesem Haus, seit Du es hast, etwas verändert?“ „Nein, ich habe eigentlich alles so gelassen, wie ich es übernommen habe, auch wegen der dankbaren Erinnerungen.“ „Da könnte dieses Haus ja noch manche Überraschungen bergen, denn dass Dein ehemaliger Chef ein unruhiger Geist war, steht wohl fest. Ich glaube nicht, dass er ohne gewisse Vorsichtsmaßnahmen so einfach durch die Zeitenläufe gekommen ist.“ Derweil waren sie wieder im Labor angekommen, wobei sich ihnen doch wieder die Frage aufdrängte, was war aus Albert und dem Papagei geworden? Nach längerem Schweigen sagte der Doktor: „Ich glaube sicher zu wissen, dass wir von beiden noch hören werden, sie waren beide hier im Labor, von hier aus verschickt die Energiequelle ihre Kräfte, ich kann mir zwar noch nicht vorstellen wie, aber die Vermutung liegt nahe, da sie auf die eine oder andere Weise mit der Energiequelle in Berührung gekommen sind, wobei ich in dieser Richtung noch nicht geforscht habe, es könnte alles Mögliche passiert sein.“ „Du hast also keine Ahnung, welche Auswirkungen die Anlage auf biologisches Material hat?“ „Als keine Ahnung würde ich meinen Wissensstand in dieser Angelegenheit nicht gerade bezeichnen, ich will sagen, ich forsche auch daran, aber es ist ebenfalls ein sehr weit gestrecktes Feld.“ „Die Forschung daran ist also ebenfalls sehr aufwendig?“ „Ja, was hast Du denn gedacht, ich agiere ja hier als quasi Einmannbetrieb, da ich niemanden getraut habe. Die Energiestrahlen sind wahrscheinlich auch in der Lage, ich sage es mal vorsichtig biologisches Material von A nach B zu transportieren, wobei das nur ein Nebeneffekt ist, auf den ich wahrscheinlich auch jetzt nicht weiter aufbauen möchte.“ Der Doktor legte den Mini-PC auf einen seitlich stehenden Arbeitstisch, auf dem mehrere Monitore arbeiteten. Er startete den PC und es erschien wieder das unentschlüsselbare mehrdimensionale Begrüßungsrätsel. Sie injizierten dem Minirechner, der sich so hartnäckig verweigerte, eine hübsche Software von Robert, die als Passwortknacker fungierte und wahlweise den Inhalt des Dudens, in mehreren Sprachen probierte, oder auch die Inhalte des chemisch physikalischen Tafel- und Tabellenwerkes. Wenn es sein müsste, ließ es auch die aktuellen Daten der Gestirne ablaufen und das Gewünschte, ob Wort ob Zahl oder Daten selbsttätig ergänzte. Das Programm lief. Derweil bediente der Onkel umständlich seine museumsreife Kaffeemaschine. Die Nacht war nun schon weit fortgeschritten, da konnte eine Aufmunterung nicht schaden. „Findest Du das nicht gefährlich?“ „Was denn, dass der Kaffee zu stark wird?“

„Du bist ja heute sehr geistreich, ich meine natürlich das Verfallsdatum Deiner Maschine!“ „Och, die hält noch, die ist noch gut, vor vier Jahren habe ich mal einen Schlauch in ihr ersetzt, seitdem ist sie wieder wie neu. Jedenfalls habe ich am Kaffee noch nichts Altes geschmeckt.“ Ein leiser Ton war zu vernehmen: „Aha, das Programm ist durch, mein Programm hat's mal wieder geschafft!“ Der Monitor am Mini-PC wechselte die Anzeige: „Tatsächlich wir haben Zugriff!“

Sie zogen sämtliche Daten auf die laborinterne Anlage zur Auswertung herunter. Robert schmunzelte: „Wir machen noch etwas Feines, ich ändere die Daten auf dem von Dir mitgebrachten PC etwas ab, so sieht man auf den ersten Blick nichts, aber trotzdem werden sie unbrauchbar.“ „Was das Andere anbetrifft, bei den Papieren bin ich ein bisschen überfordert, aber wir könnten sie einscannen, dann könnte der Rechner mal probieren auszuwerten und zu übersetzen, vielleicht bekommen wir so brauchbares Material in die Hände.“

Sie arbeiteten die Papiere Blatt für Blatt ab, und tranken dazu ihren höllisch starken Kaffee. „Morgen früh müssen wir mit unserer Recherche beginnen, wer uns hier in die Quere zu kommen versucht. Ich finde, das können keine Zufälle sein und hängt bestimmt auch mit dem damaligen japanischen Besucher zusammen. Ich frage mich bloß, wie die mich geortet haben. Eine Möglichkeit wäre, die Firma in der ich meine ganzen benötigten Arbeitsmaterialien ordere. Heute im Computerzeitalter, wenn da einer weiß welche Teile benötigt werden, kann er eine Abfrage machen, wer diverse Materialien vertreibt und dazu Nachforschungen anstellen. So viele Firmen und Abnehmer gibt es für diese elektronischen und physikalischen Teile nicht.“ „Ja, das klingt ziemlich einleuchtend, trotzdem wäre es vielleicht ganz gut, wenn wir uns noch ein wenig zur Ruhe begeben würden, denn wenn die Angelegenheit in diesem Stile weiterläuft, werden wir unsere Kräfte noch brauchen.“ Robert widersprach nicht, da hatte sein Neffe nun wieder einmal recht. Der dunkle Morgen empfing die Villa, die Stille der Nacht lag über allem. Joe hatte sein Quartier im Obergeschoss bezogen. Die gesamte Villa war im Stil der Jahrhundertwende möbiliert. „Da kann ich nur froh sein, dass er sogar schon elektrisches Licht hat, obwohl, wenn ich bedenke, in dieser Umgebung mit Nachthemd, Zipfelmütze und Kerzenhalter würde man absolut dazu passen.“ Er hatte etwas Furcht, diese war aber unbegründet, überall im Haus war Elektrizität vorhanden und die Nacht verging ohne Vorkommnisse irgendeiner Art. Am Morgen nahmen sie trotz der kurzen Nacht ausgeruht und frisch ihr Frühstück zu sich. Im Labor wandten sie sich der Auswertung zu, zwei Sachen ergaben sich sofort: zum ersten war unter den Papieren eine Karte von Papua-Neuguinea und eine schematische Darstellung des Energieerzeugers, aus der aber der Doktor nicht entnehmen konnte, ob sein Besitzer in der Lage war, es zu bauen oder bereits gebaut hatte. Der Doktor legte die Stirn in Falten, zog eine Augenbraue hoch, dachte sekundenlang nach und schüttelte dann den Kopf. „Die Firma die mich beliefert, können wir in einer halben Stunde Fahrt erreichen, es sind eigentlich ganz nette Leutchen und liefern einfach alles, wenn man ihnen gut zuredet.“ „Bist Du dort eigentlich jemals gefragt worden, für welche Arbeiten Du die Teile benötigst, oder irgend so etwas in der Art?“ „Da fällt mir auf die Schnelle nichts ein, Sie sind immer sehr freundlich und ich hatte noch nie Beschwerden. Ich bin ja schließlich auch ein sehr guter Kunde. Es ist jetzt kurz nach neun, mein Vorschlag wäre, dass wir einmal zu meinen Lieferanten fahren, um dort vielleicht ein paar unauffällige Erkundigungen einzuholen. Ich brauche sowieso eine Menge Zeug, da fallen wir gar nicht auf. Und wenn ich Dich dazu noch vorstelle, werden wir schon ein wenig ins Plaudern geraten.“ Der Doktor rieb sich die Hände: „Bei los, geht’s los!“ Das Elektromobil verließ Garage und Grundstück, es surrte die Straße entlang und gewann an Fahrt. Joe ließ das Gefühl nicht los, dass ihnen jemand folgte, aber er wollte den Onkel nicht beunruhigen. Sehen konnte er den Verfolger im Rückspiegel nicht, aber er hatte ein untrügliches Gefühl für so etwas, sein Gefühl hat ihn noch nie betrogen. Wahrscheinlicherweise waren die Verfolger keine Amateure, sie ließen sich aus diesem Grund auch nicht blicken. Vielleicht hatten sie einen Sender am Auto angebracht, aber das hatte in der Garage gestanden, so dass es vor einem Zugriff sicher war. Als der wahrscheinliche Einbruch passierte, war es unterwegs. So sehr er auch in den Rückspiegel starrte, es war nichts zu sehen. „Vielleicht habe ich ja unrecht und fange schon an zu spinnen“, dachte er. Sie hatten jetzt das Villenviertel verlassen und befanden sich auf der Landstraße. Robert begann das Gespräch: „Wir haben tausend Sachen zu erledigen, trotzdem möchte ich Dir mal eine Sehenswürdigkeit zeigen, die sowieso am Wegesrand liegt. Ein herrlicher Aussichtspunkt genau gegenüber des Bergrückens, bei dem ich Dich gestern abholte und er bietet einen fantastischen Blick über das Tal. Die Firma zu der wir wollen, liegt dann noch 2 km von dort, nahe einer kleinen Ortschaft.“ „Das ist mir ganz recht, wenn wir mal eine Pause einlegen. Den ganzen Tag Geister jagen, ist auf die Dauer zu eintönig.“ Sie fuhren also an der Abzweigung nicht nach der Ortschaft weiter, sondern schlugen den anderen Weg ein, auch um ihre Nerven ein wenig zu erholen. Die Gegend hinter dem Wald wurde ziemlich felsig, die Straße war jedoch sehr gut. Sie endete auf einem großen Parkplatz, der ziemlich gut besucht war. Die beiden stiegen aus und gingen den Rest zu Fuß. Das den Parkplatz einsäumende Wirrwarr von Felsen und Gestrüpp aller Größen lichtete sich, und man erkannte auf dem vordersten Stück Mauerwerk und Brüstungen, die nach natürlicher Gegebenheit mit Treppen, Übergängen und Stützmauern aus groben Quadern bestückt waren. Vom Tal sah es bestimmt wie eine mittelalterliche Burg aus. Dorthin lenkten sie ihre Schritte. Das unvermeidliche Kartenverkaufshäuschen versperrte ihnen den Weg. „Acht Euro bitte, es ist ja nur für die Instandhaltung und den Wachdienst, ohne geht's ja nicht mehr!“ „Na schön, wenigstens ist der Parkplatz noch umsonst!“ , brummte der Onkel. Sie begaben sich zu der steinernen Anlage, vorbei an einem Turm, der sicher herrliche Aussicht geboten hätte, aber leider gesperrt war. Im Anschluss erreichten sie die vorderste Aussichtsplattform. Joe stand mit Robert auf einem steinernen Balkon des antiken Bauwerkes, beide betrachteten die grandiose Aussicht. „Ich bin gleich wieder da, ich möchte nur ein paar Zigarren holen.“ „Ist Recht, ich warte natürlich.“, lachte Joe, er kannte ja die Schwäche Roberts. Dieser verschwand im Laden. Joe bemerkte einige Gestalten die nicht recht zum Publikum der Wanderer passten. Sie hatten ihn ebenfalls bemerkt, wendeten ihre Schritte in seine Richtung. Einer unbestimmten Vorahnung folgend, schwang er sich über die Brüstung und begann auf den nächsten Vorsprung zu klettern. In seinem nicht mehr ganz jugendlichem Alter fand er das nicht mehr allzu einfach, aber es ging nicht einmal schlecht. Lange Jahre war er Alpinist, so etwas verlernt man natürlich nicht. Er hielt sich gut, Joe versuchte gedanklich eine Brücke zu schlagen, er sah mehrere Meter weiter unten einen Querweg, den wollte er erreichen. Während er diese kräftezehrende Kletterpartie durchzog, beschlich ihn doch eine Unsicherheit, denn das war kein Wanderweg. Er war sehr vorsichtig beim Abstieg und bemerkte in den Fels gemeißelte mittelalterliche Dämonen. Das fand er eher amüsant als gruslig, trotzdem bewegte ihn der Gedanke, ob diese Figuren schon jemals ein Mensch gesehen hatte. Wahrscheinlich nicht, denn sie waren in einem Bereich zu dem man nicht ohne Weiteres hingelangte, jedenfalls nicht ohne Not und klettern zu wollen. Er war fast auf der von ihm anvisierten Ebene angelangt und blickte einmal über sich in die Höhe. Dort sah er die Gestalten von vorhin, wie sie ihn anvisierten. Die Schüsse waren nicht zu hören, wer schießt schon in der Öffentlichkeit mit einer Pistole ohne Schalldämpfer, der Sandstein bröckelte über ihm, mit einem rettenden Sprung, gewann er die nächste Ebene. Ein Wasserspeier mit zwei Teufelsköpfen begrüßte ihn dort. Es führten mehrere Wege von diesem Ort. Logischerweise wollte er Robert wieder treffen, wenn dieser aus dem Geschäft herauskam. Das schöne an Wanderwegen ist, dass mehrere von ihnen zu einem gemeinsamen Ziel führen, darum war er sehr schnell wieder am Ausgangspunkt seiner Kletterpartie. Er hatte den Zigarrenladen im Blick und war in den Rücken seiner Widersacher gelangt. Der Onkel war noch nicht in Sichtweite, aber das musste jeden Moment passieren. Im Augenblick verließ Robert den Laden, fast im selben Moment drehten sich die Verfolger um und ihre Blicke erfassten Robert und Joe. Der letztere trat die drei vor ihm stehenden Mülltonnen um. Diese verließen ihren angestammten Platz, fielen nach unten, verwirrten die Leute und hatten den Effekt, dass alle Anwesenden aufmerksam wurden, und die Unbekannten schnell den Platz verließen. So sehr sich Joe auch bemühte, er konnte kein Kennzeichen des abfahrenden Wagens erkennen. Es handelte sich um eine größere schwarze Limousine, daraus schlussfolgerte er, dass es sich wohl nicht nur um einfache Gauner handelte. Der Aspekt des reinen Zufalls verflüchtigte sich immer weiter. Die Widersacher waren verschwunden, ihre Gesichtszüge waren etwas härter, Joe tippte auf Osteuropäer, aber mehr war eben leider nicht festzustellen. Er hätte nicht mal die Gesichter beschreiben können, da alle drei Hüte trugen. Aus einem dunklen Eck trat Robert hervor: „Ich bin gleich in Deckung gegangen, als ich Dich über die Brüstung flitzen sah, wenn Du schon springst, sagt mir meine Nase, dass es gleich gefährlich wird!“ „Überschätze mich bloß nicht, bin auch nicht Supermann, ich besitze nur eine gesunde Reaktionsfähigkeit, und wenn die zu sehr herausgefordert wird, kann es leicht passieren, dass ich auch mal in der Klemme steckenbleibe.“ Robert winkte ab: „Lass mal gut sein, ist ja alles in Ordnung!“ Der Onkel zog genüsslich an seiner Zigarre, und ließ seinen Blick über das herrliche Tal schweifen, dass von einem Flüsschen durchzogen wurde. Darin sich die Sonne widerspiegelte, und um alles zu krönen, zog ein Falke seine Runden. „Grandioser Anblick, das Ganze müsste man kaufen und hier verweilen, da würde ich sicher vom Wissenschaftler zum Poeten!“ verkündete Robert mit leichtem Pathos in der Stimme. „Was bis jetzt schon los ist, reicht mir eigentlich. Wenn wir damit mal zu Ende kommen sollten, wäre ich schon ganz froh.“ Robert verlor seinen entrückten Gesichtsausdruck, schüttelte sich kurz und kehrte in die Gegenwart zurück, sagte mit ernster Stimme: „So, dann wollen wir mal weiterfahren, es wartet noch viel Arbeit auf uns.“ Es war sein Naturell, er konnte sich schnell für eine Sache begeistern, sofort wieder eine Andere in Angriff nehmen und diese dann mit ungeahnter Zähigkeit verfolgen. Eine Tatsache durch die er auch bei seiner wissenschaftlichen Arbeit wenig Freunde gewann, denn niemand schätzt einen Mitarbeiter, der nach seinen eigenen Gutdünken in alle Richtungen forscht, also kurz gesagt, nur das macht, was er will. Dieses Zeitalter brauchte keine Individualisten mehr, für Joe war er trotzdem ein ganz Großer. Sie stiegen in ihr Auto, das Ausparken war wieder etwas umständlich, was einen gewissen Fahrgast des Elektromobils innerlich amüsierte. Sie fuhren fast geräuschlos über den Parkplatz auf die Straße. „Lass uns mal einen kleinen Umweg durch den Wald nehmen, ich bin mir gar nicht sicher, ob die Burschen von vorhin, nicht noch irgendwo auf uns warten.“ „Einverstanden, aber ob unser elektrisches Wunderwerk auf so einem Waldweg klarkommt?“ „Der kommt klar, der hat Allrad und ein von mir erfundenes Spezialprofil.“ „Bei Dir wundert mich fast gar nichts mehr, hättest Du da nicht ein etwas hochwertigeres Fahrzeug aussuchen können, für Deine ganzen Einfälle?“ „Hätte ich machen können, aber so eine Keksdose klaut wenigstens niemand, außerdem warst Du zur Beratung nicht da, na also.“

Das Elektromobil holperte von der Straße herunter in den Wald. „Da vorn an der Biegung hältst Du mal an, ich pirsch mich an die Straße, und schau mich mal um, ob unsere Freunde von vorhin noch um die Wege sind.“ „Gute Idee, wollte ich auch schon vorschlagen, aber Du warst schneller!“ Joe arbeitete sich durch dichtes Unterholz, das war nicht ganz einfach, er wollte schließlich kein Geräusch erzeugen. Der Wald war ziemlich dicht, so dass es angenehm kühl und etwas abgedunkelt war. Er kam trotzdem gut voran, es konnte auch nicht weit sein bis zur Straße, obwohl man das im Unterholz schwer einschätzen konnte. In einiger Entfernung bemerkte er, wie sich die Bäume etwas lichteten, er erkannte die Straße. Was man nicht sehen konnte war, dass es sich an dieser Stelle um einen kleinen seitlichen Parkplatz handelte, Joe streckte vorsichtig den Kopf etwas aus den Büschen, sicherheitshalber war er die letzten Meter auf dem Boden gekrochen, so dass er jetzt an einer Stelle aus dem Unterholz lugte, wo normalerweise keiner hinsah. Trotzdem prallte er vor Schreck zurück, die schwarze Limousine stand unmittelbar vor ihm auf dem Parkplatz, einer lehnte in seiner Richtung am Auto und beobachtete die Straße. Joe zog vorsichtig seinen Kopf zurück, sah aber noch weiter aus dem Unterholz. Etwas weiter auf der Straße standen die anderen Kerle und man sollte es nicht glauben, auch noch in Polizeiuniform! Die Vorstellung, dass er und Robert vor zwei Faschingspolizisten ohne ersichtlichen Dienstwagen gehalten hätten, amüsierte ihn etwas. Da hatten sie also richtig gelegen, dass die Brüder im Unterholz oder besser gesagt, auf der Straße warteten. Das war eigentlich auch logisch, wenn es der einzige Weg war und man unbedingt jemanden abfangen wollte. Gut, das hatte gereicht, sie hatten mal wieder richtig vermutet. Er kämpfte sich langsam durchs Unterholz zurück. Als er zum Elektromobil kam, lächelte Robert: „Na Pfadfinder, als Du im Unterholz verschwunden warst, konnte ich wirklich nicht mehr Deinen Weg verfolgen, ein Indianer ist im Wald wahrscheinlich leichter zu finden als Dich!“ „Hat mir trotzdem gereicht, sieh mal wie ich aussehe“, er befreite sich von den an ihm hängenden Resten des Waldes, zum Glück herrschte heute trockenes Wetter, und die Anhängsel ließen sich leicht abklopfen. Sie fuhren weiter ihre „Abkürzung“ durch den Wald. „Jetzt muss ich wieder sagen, dass ein Elektromobil, wenn es geländetauglich ist, eine feine Sache ist, besonders wenn man gerne geräuschlos verschwinden möchte!“ „Aha, aha, der Herr fängt an, sich für meine Ideen zu begeistern, ich bin begeistert!“ Die zwei waren sichtlich gut gelaunt, dass es ihnen fürs Erste gelungen war, die Verfolger abzuhängen, obwohl deren Hartnäckigkeit zum Himmel schrie. Eine letzte Bodenwelle und das Elektromobil bahnte sich seinen Weg zurück auf die Straße. Sie gingen wieder auf Kurs in Richtung Ortschaft zum „Allerweltsgeschäft“ wie der Doktor seinen Laborgerätehersteller und Lieferanten nannte. Nach kurzer Zeit tauchte das Werksgelände vor ihnen auf. Der Pförtner war nicht in seinem Häuschen, jedoch das Tor war geöffnet und nur angelehnt. Der gesamte Bau stammte aus der Gründerzeit, alles schön in Ziegelbauweise gearbeitet, und natürlich den Gegebenheiten der Moderne in technischer Hinsicht angepasst. Nachdem man das Haupttor passiert hatte, gab es noch einmal zwei Eingänge, einer führte für die Arbeiter in die Fabrik, der andere zur Abteilung Forschung und direkt zu Egon Turner, dem Direktor. Der Doktor kannte ihn persönlich und Herr Turner besprach mit ihm die Lieferungen oft selbst. Robert war etwas verwundert, dass er sich heute nirgends anmelden musste. Der elektrische Schließmechanismus der Türen war heute freigeschaltet. Er wendete sich direkt zum Büro der Direktion zu. Im Vorzimmer war auch niemand, die beiden fanden das nun doch sehr verwunderlich. Er öffnete die Tür zum Direktionsbüro und erstarrte. Die Sekretärin lag vor dem Schreibtisch des Direktors, mit seltsam verdrehten Gliedmaßen, mit dem Gesicht lag sie in einer riesigen Blutlache. „Du lieber Gott!“, murmelte der Doktor, er und Joe traten näher, zogen sich ein paar Kunststofftüten über die Hände, um später die Spurensicherung nicht zu verwirren. Sie drehten die Leiche etwas in die Höhe, ihr fehlten die Augen, sie war mit einem Schuss in die Stirn und jeweils einem in jedes Auge hingerichtet worden, sie ließen sie wieder fallen. „Nichts mehr zu machen, da kommt jede Hilfe zu spät!“ Sie sahen sich im Büro um, ihr Blick fiel durch die Glastür ins Konferenzzimmer, dort saßen so weit Robert erkennen konnte, sämtliche Mitarbeiter der Forschungsabteilung und der Stellvertreter des Direktors, sie bewegten sich nicht, waren wie erstarrt. Die Glastür zum Konferenzzimmer war verschlossen, da kamen sie nicht hinein. Der Doktor preßte sein Gesicht an die Glasscheibe um Einzelheiten zu erkennen, manche waren nach vorn auf den Tisch gefallen, andere saßen da, als würden sie angestrengt überlegen. Einer hatte den Arm auf den Tisch gelegt, die Zigarette über den Aschenbecher gehalten, sie war ihm inzwischen durch die Finger verglimmt. Einer saß noch aufrecht und es hatte den Anschein, als studierte er seine Unterlagen. „Gas, eindeutig hier war Gas im Spiel, ich kann zwar im Moment nicht deuten welches, bin ja kein Chemiker, aber es muss schnell gewirkt haben. Es sieht ja aus, als hätten die Leute gar keine Abwehrreaktion gehabt, das muss alles blitzschnell gegangen sein.“ „Gut, dass die Tür nicht aufgegangen ist, sonst hätte uns das vielleicht auch noch erwischt!“

Die Leichen im Konferenzraum sahen gespenstisch aus, die Gesichter grünlich grau und in einer Art noch mit ihrer letzten Tätigkeit beschäftigt. Wenn man genau hinsah, konnte man die Gaskonzentration im Raum noch feststellen, die Luft war leicht trüb, etwas wie ein Schleier lag über dem ganzen Raum. Es hatte etwas Unwirkliches. „Der Direktor ist scheinbar nicht darunter, aber es könnte gut sein, dass er woanders liegt.“ „Das wissen wir ja jetzt noch nicht, Spekulationen bringen uns auch nicht weiter. Was sollen wir hier machen?“ „Da bleibt nichts anderes übrig, als die Polizei zu rufen, ich bin ja hier Kunde, sagen wir, wir waren hier vor Ort, haben einen komischen Geruch festgestellt, und sind aus diesem Grund wieder gegangen. Die Polizei möchte einmal nachsehen kommen, ob eventuell eine technische Panne stattgefunden hat, da wir auch niemanden angetroffen haben!“ „Ja, das ist wahrscheinlich das Beste, machen können wir sowieso nichts, wir können noch von Glück sagen, dass die Türen ordentlich dicht sind. Trotzdem, irgendein chemischer Geruch ist hier auch.“ Robert sah auf die Schnelle noch einmal die Papiere auf dem Schreibtisch durch. Er hatte schon fast alles durch, da arbeitete es in seinem Gesicht, er blätterte noch einmal einige Scheine zurück, fand schließlich das Gesuchte. „Sieh mal einer an, eine ziemlich imposante Bestellliste, kann mir gar nicht denken, wie das Zeug zusammenpassen soll. Hm, die Bestellung kommt aus Russland, eine Stadt mit einem unaussprechlichen Namen, hm irgend etwas sagt mir, dass das ein Hinweis ist. Lass uns davon eine Kopie machen!“ Er nahm sich eine neue Kunststofftüte über seine rechte Hand und wollte das Blatt kopieren, als er die Klappe des Kopierers anhob, lag dort ein Fünfzigeuroschein, oder besser gesagt, eine durchgerissene Hälfte. Robert sah ihn kurz an, und steckte ihn ohne lange Nachzudenken ein. Er kopierte die russische Bestellung, steckte die Kopie ebenfalls ein, und legte das Original wieder zu den Unterlagen. Bei dieser Gelegenheit stellte er fest, dass die Fächer des Schreibtisches aufgebrochen und durchwühlt waren. „Wie das hier aussieht, werde ich mir wohl einen neuen Lieferanten suchen müssen, lass uns kurz noch einen Blick ins Labor werfen!“ Die Tür vom Labor war ebenfalls nicht verschlossen, beide blickten sich kurz an, ehe sie hineintraten. Es herrschte ein tolles Durcheinander, aus zerbrochenen Glas, physikalischen Apparaturen und Chemikalien es roch verflucht noch Salzsäure. „Riecht nach Explosionsgefahr!“ „Ich glaube auch, dass wir hier besser nicht rauchen und uns nur kurz aufhalten! Sieh mal dahinten.“ In der hinteren Hälfte des gefliesten Labors waren große Ausgussbecken. An den ersten zwei Becken lehnten die Laboranten oder was sie einmal waren. Man hatte ihre Köpfe mit Klebeband, das Gesicht nach unten, in den Becken fixiert, die Becken dann wahrscheinlich mit Salzsäure gefüllt. Das Ergebnis war die Zerstörung des biologischen Materials. Die Reaktion dauerte noch an, deswegen waren auch die scharfen Dämpfe im Raum. „Wie eben schon, nichts mehr zu machen, am besten wir verschwinden schnell, nicht dass die Brüder hier noch im Hause sind, wäre mir gar nicht angenehm, so liebe Freunde zu treffen, ich bin nämlich heute nicht in Stimmung.“ „Kann ich gut verstehen, bei mir ist auch ziemlich alles verstimmt.“ „Los komm!“ Sie durchquerten das Labor, Joe konnte gerade noch an sich halten, sich nicht zu übergeben. „Ein schöner Mist ist das, ich hoffe ja immer noch, dass das nicht mit Deiner Erfindung zusammenhängt.“ „Tja, hoffe ich auch nicht, vor allem begreife ich nicht, was die Russen für eine Rolle spielen, die waren doch seinerzeit überhaupt nicht beteiligt.“ „Das Beste wäre, wenn wir Egon Turner finden könnten.“ Sie gingen über den Hof, in Richtung Pförtnerhäuschen, der Doktor steckte seinen Kopf durch das offene Schiebefenster um das Telefon zu benutzen. „Er liegt da drinnen! Oh, schrecklich!“ „Ja, da sollten wir ihm vielleicht helfen?“ „Dem kannst Du nicht mehr helfen, der hat sich auch für immer verabschiedet.“ „Sieh lieber nicht rein, es ist nicht gut!“ „Noch schlimmer als oben? Du machst mir Angst!“ Der Onkel winkte ab, und ging Richtung Tor, Joe sah ins Innere des Pförtnerhäuschens. Robert hatte recht, es wäre besser gewesen, er hätte auf ihn gehört und nicht hinein geschaut. Man hatte Arme und Beine, Kopf und Körper des Pförtners mit Drahtschlingen umwunden, hatte diese vielen Schlingen zu einem Draht vereinigt, und mit einem Haken in der Decke verbunden, an dem früher irgend etwas befestigt war, der Pförtner schwebte quasi an seinen Drähten horizontal im Raum, dann hatte man ihm an allen Adern Schnitte beigebracht und ihn langsam verbluten lassen, der Geruch war denkbar unangenehm. Das Blut war auf dem Boden und tausende von Fliegen umschwärmten die Überreste des Pförtners.

Joe kotzte vor das Häuschen. „Herrjemine, jetzt mach keine Geschichten, wir müssen los!“ ermahnte ihn Roberts Stimme. „Da werden wir besser nicht mit dem Telefon des Pförtners anrufen, sondern mit dem Funktelefon, wenn wir hier erstmal weg sind! Los Neffe, jetzt reiß Dich mal zusammen, bist doch sonst nicht so zartfühlend, war ja wenigstens kein Verwandter dabei!“ „Entschuldige bitte, aber der Geruch, das vertrage ich überhaupt nicht!“ „Das Beste ist, wir verabschieden uns jetzt wirklich erstmal, um zu überlegen, wie wir weitermachen.“ „Ich wäre dafür, dass wir mein Privatlabor aufsuchen und uns dort Gedanken über das Weitere machen, auch wäre es vielleicht gut, mal nachzusehen was der Computer bis jetzt über die Papiere herausgefunden hat. Außerdem sollten wir mal darüber nachdenken, wie wir unsere Operationsbasis sprich mein Haus etwas sichern könnten, denn mir scheint, unsere Widersacher sind was Technik betrifft, mit allen Wassern gewaschen.“ „Ja, ich bin auch dafür, dass wir uns erstmal besprechen und den Sicherheitsaspekt überdenken, denn bis jetzt war es mehr oder weniger Glück, dass wir noch nicht in die Fänge dieser netten Brüder geraten sind.“ Robert nickte. Sie bestiegen das Elektromobil, nahmen Fahrt auf und ließen die traurigen Vorkommnisse hinter sich. Robert sagte eine Weile nichts und dachte nach. Er war von den Ereignissen noch ordentlich mitgenommen, hatte jedoch schon wieder angefangen in den Tiefen seiner Gehirnzellen nachzuforschen, ob er etwas übersehen hatte.

Zuerst einmal galt es den Firmeninhaber zu finden. Obwohl Onkel Robert das noch nicht zugegeben hatte, war er mit diesem etwas mehr als sehr gut bekannt. Sie waren in alten Zeiten zusammen in einer Heereseinheit gewesen und dort ging es hoch her. Auch in der Folgezeit hatten sie sich lange nicht aus den Augen verloren. Irgendwann war es doch soweit, aber nicht für immer, denn als er sein Labor aufbaute und Anfragen an verschiedene Zulieferer richtete, fand er ihn wieder. Die Wiedersehensfreude war damals schon groß und Egon Turner so hieß er, war heute noch kein Kind von Traurigkeit, er selbst jedoch war ein ernsterer Mensch geworden. Der Doktor entsann sich, dass Egon ihn schon mehrmals zur alten Truppe mitnehmen wollte, er glaubte sich zu erinnern, dass die Kneipe in der sie damals einkehrten „Roter Auerhahn“ hieß und in der Ortschaft war, auch hatte Egon ihm schon angedeutet, dass er dort auch manchmal tagsüber zu erreichen wäre.

Der Auerhahn hatte eine nette Wirtin, die wohl schon Witwe war..., er stieß Joe an: „Ich glaube, wir müssen in einer gewissen gastronomischen Einrichtung jemand sprechen, der dort, wenn ich mich nicht täusche, Stammgast ist!“ Da Joe den Zusammenhang nicht kannte ,wunderte er sich ein wenig, woher Robert diese Weisheit nun wieder nahm. Den einen Anhaltspunkt sich in dieser Richtung zu orientieren hatten sie nicht gefunden, er schlussfolgerte daraus, dass der Onkel doch etwas mehr über gewisse Leute wissen müsste, als er offiziell zugab. Egal, jedenfalls hatte man dadurch mal wieder einen Orientierungspunkt zwischen den vielen Unbekannten. „Also kennst Du die Leute doch besser?“ „Ja, ja immer wieder dieselbe Geschichte jugendlicher Zügellosigkeit. Da sind mir einige Leute gut bekannt, ich möchte fast sagen, zu gut bekannt, also los!“ Das Elektromobil brauchte nicht lange zur Ortschaft, Parkplätze waren natürlich fast wieder keine vorhanden. Mit Mühe fanden sie eine Lücke in die sich die „elektrische Keksdose“ noch hereinquetschen ließ. „Schön, dass der Wagen so klein ist!“ „Hoffentlich werden wir den Kleinen auch wieder finden!“ meinte Joe.

Beide traten vor die Eckkneipe, den Roten Auerhahn. Drinnen hörte man eine reichliche Geräuschkulisse, nachdem sie ordentlich gegen die Tür gehämmert hatten, ließ sich aus dem Inneren eine Stimme vernehmen: „Hier handelt es sich um eine geschlossene Gesellschaft.“ „Du brauchst nur uns zwei reinzulassen, dann kannst Du alles wieder geschlossen halten!“ „Oh diese Stimme, die kenne ich aber, wenn das nicht der Herr Doktor ist!“ Von drinnen hörte man es an der Tür rumoren, und tatsächlich nach einer kleinen Weile wurde geöffnet. Ein etwas gebeugter Herr öffnete. „Doktorchen, dass ich das noch erlebe, Sie einmal wiederzusehen, Sie verfügen wohl über telepathische Fähigkeiten! Kommen Sie nur schnell herein, die anderen werden Augen machen.“ Die Beleuchtung war ziemlich spärlich, durch den Zigarrenqualm, der sich wie ein Nebel über alles legte, erkannte man erst einmal eine Weile nichts, mit der Zeit gewöhnten sich die Augen aber daran. Sie traten langsam etwas weiter hinein und sahen sich um. „Menschenskind Doktor, dass Sie hier mal wieder aufkreuzen ist wirklich grandios!“ „Robert winkte ab und ging auf die anderen zu. Die meisten begrüßten ihn mit Handschlag. Einer am Tisch rief lautstark die Bedienung, das war tatsächlich Egon. Die reine Apokalypse in seiner Firma und er saß hier rum, unglaublich! Eine nicht mehr ganz junge aber doch sehr attraktive Dame näherte sich ihm. „Komplette Lage Champagner, für den Doktor aber am besten den Stiefel, und für Dich was Du Dir wünschst“, sagte der Rufer zur Bedienung, er ließ seine Hand an ihrem hinteren Ende etwas tiefer gleiten und gab ihr dorthin einen leichten Klaps. Die Schöne verzog leicht ihren Mund zu einem hintergründigen Lächeln. „Was ich mir wünsche, kann hier nicht serviert werden!“ flüsterte sie. Die Truppe brachte es tatsächlich fertig, dem Onkel einen Bierstiefel gefüllt mit Champagner hinzustellen.

„Ihr seid doch verrückt, ich bin doch nicht mehr zwanzig. Aber schön, will mal sehen, was das möglichste ist, das ich für Euch tun kann“. Joe suchte sich irgendwo einen Platz, die am Tisch johlten und pochten auf den Tisch, in Erwartung der Stiefelleerung. Er fand, dass das ein ziemlich durchgeknallter Verein war. Er hatte Robert gar nicht zugetraut, dass der sich in solchen Gefilden bewegte, er hatte sonst immer das richtige Gespür, bloß bei seinem eigenen Verwandten lag er meistens etwas daneben, aber macht nichts, oft war es ja eine angenehme Überraschung.

„Herr Doktor, was verschafft uns denn die Ehre Ihres Besuches, scheint’s ist der Durst doch größer als die Arbeitswut. Dass Sie endlich mal wieder erscheinen!“ „Jeder braucht mal eine kleine Auszeit, darum wollte ich bei Euch mal nach dem Rechten sehen!“ „Gut pariert!“ rief der Sprecher, ein vierschrötiger Kerl, an den er sich nicht recht erinnern konnte. Die meisten kannte er, selige alte Zeiten zogen durch seine Erinnerungen. Der Doktor leerte den Stiefel, und hob ihn dann am ausgestreckten Arm vor. Alles johlte und stampfte mit den Füßen, oder schlug mit dem was noch vorhanden war auf den Tisch, der Radau war fast nicht zu überbieten. Der Doktor überlegte wie er Direktor Turner eine Nachricht von den heutigen Ereignissen zukommen lassen sollte, quer über den Tisch war es schon wegen der Lautstärke nicht möglich, außerdem handelt es sich hierbei um vertrauliche Angelegenheiten. Es war also nötig, näher an ihn heranzukommen. Der Direktor saß in seiner Ecke, einer Art schummrigen Nische, und machte keine Anstalten diese zu verlassen, außerdem war die Wirtin schon wieder bei ihm. Robert merkte, wie der Alkohol in ihm seine Wirkung tat, seine Gesichtszüge nahmen einen sanfteren Ausdruck an. Er saß eine Weile versunken und hörte den Tischgesprächen kaum zu. Der Direktor macht immer noch keine Anstalten, seine feste Stellung zwischen Nische und Wirtin zu verlassen. Die Minuten vergingen, ihm kam es wie Stunden vor. Irgendwann war es doch soweit, Direktor Turner verließ seinen lange inne gehabten Platz, er musste jetzt wahrscheinlich dorthin, wo selbst der Kaiser sich zu Fuß hin begab. Der Doktor stand ebenfalls auf und folgte ihm, im dunklen Gang waren sie schließlich unter sich: „Ich war heute in der Firma, wollte einige Sachen abholen und bestellen, habe aber niemanden vorgefunden, auch keinen Pförtner! So hatte ich die Vermutung - erschrick nicht - es ist vielleicht ein Unfall in der Forschungsabteilung passiert, habe mich dann nicht weiter rangetraut und den wahrscheinlichen Unfall bei der Polizei gemeldet. Dass Du Dich nicht wunderst, wenn Du auf dem Firmengelände Polizisten antriffst!“ „Ach du liebes bisschen, meinst Du, dass das nötig war? Zur Zeit laufen bei uns gar keine Experimente, die in irgendeiner Form einen gefährlichen Ausgang nehmen könnten. Da bin ich regelrecht überfragt, was da passiert sein kann!“ „Nein glaub mir, irgendwas ist dort nicht in Ordnung! Hast Du in letzter Zeit irgendwelchen Ärger?“ Egon zögerte kurz und meinte: „Ich will mal so sagen, in letzter Zeit habe ich überhaupt bloß noch Ärger! Es hat alles damit angefangen, dass wir einen Großauftrag von einer russischen Chemiefirma bekamen. Die Bestellung wurde ausgeliefert, jedoch nur einen Teil bezahlt und danach kam sofort der nächste Auftrag, dieser wurde ebenfalls sofort ausgeliefert, wir warten heute noch auf das Geld! Seit Lieferung Nummer zwei erreichen wir niemanden mehr, so bin ich also gezwungen gewesen, rechtliche Schritte einzuleiten.“ „Hättest Du damit nicht noch etwas warten können?“ „Erstmal können vor Lachen. Die Zeiten sind nicht so rosig, als dass ich noch große Rücklagen hätte, deswegen kann ich es mir auch nicht leisten, auf meinen offenen Rechnungen sitzen zu bleiben!“ Robert fragte: „Kennst Du eigentlich alle, die hier in der Runde versammelt sind?“ „Die meisten ja, aber ab und an sind neue Gesichter dabei, es hat sich rumgesprochen, dass wir eine ganz fidele Runde sind, und unsere Wirtin lässt dann immer noch einige mit herein, mal Damen mal Herren, aus persönlichen Gründen oder weil sie ein bisschen Geld da lassen. Wer weiß? Ich finde auch, dass es heute mehr sind als sonst, für alle Fälle habe ich ja immer den großen Kerl mit, damit ich zur Not jemanden habe, der mich sicher heimbringt.“ Sie gingen zurück zur Schankstube, die sich in der Zwischenzeit um einiges geleert hatte, es saßen noch einige wenige Bekannte da, und Joe an der Theke mit alkoholfreiem Hefeweizen. Die Wirtin war nirgends zu sehen, einer von den Typen am Tisch holte eine Uzi Maschinenpistole hervor und öffnete ohne Vorwarnung das Feuer quer durch das Lokal. Zwei andere nehmen ebenfalls ihre Maschinenpistolen hoch, Schussgarben aus ihren Waffen zerhackten das Lokal.

Joe, Robert und Egon retten sich mit einem Sprung hinter die Theke, dort führte eine Tür nach hinten aus dem Geschosshagel heraus, einige retteten sich mit einem Sprung durch's Fenster, wer das nicht schaffte blieb einfach liegen und fügte sich in sein Schicksal. Die drei stürmten durch das hintere Treppenhaus, zum Glück waren die Türen nicht verschlossen. Auf dem Hof des Roten Auerhahns steht ein rotes italienisches Piaggio Dreirad. Der Schlüssel steckt sogar. Als hätten sie es vorher verabredet ist Joe Fahrer, die anderen klettern auf die Ladefläche unter die Plane. „So ein verfluchter Dreck!“, schimpft der Direktor. Die Anderen stimmen im Geiste zu. Joe gibt Gas, die ersten Geschosse hämmern gegen das Dreirad, zum Glück wird niemand getroffen. Das Dreirad ist schon unter dem Torbogen, der Schütze ist auf den Hof gestolpert und liegt flach, unangefochten verlassen die Flüchtlinge den Hof. „Wolltest Du heute solche Erlebnisse haben, Doktor?“ „Die habe ich nicht erst seit heute, mein lieber Direktor!“ knurrte Robert. In einer Seitenstraße hielten sie hinter einer Mauer, und peilten erstmal die Lage.

Nachdem eine Weile nichts passiert war, kam der Vierschröter um eine Ecke, wo sie es nicht erwartet hätten. „Einen habe ich erledigt Chef, die andern abgehängt!“ „Freut Euch bloß nicht zu früh! Die brauchen bestimmt nicht lange bis wir sie hier haben.“, ließ sich Joe vernehmen, er deutete mit dem Arm in eine Richtung: „Sie können nur von dort drüben oder hier kommen, ich geh mal davon aus, dass Sie sich wie ich, hier nicht auskennen, am besten ist's, der Große geht versetzt auf die gegenüberliegende Seite, in den Schatten vom Hauseingang, da sind die Angreifer in der Mitte und wir etwas im Vorteil.“ Sie machten es genauso, und warteten geduldig, jeder auf seinem Platz. Zu dieser Tageszeit war jedenfalls hier niemand unterwegs, trotzdem dauerte es nicht lange, bis auf die Straße Bewegung kam, die bekannte schwarze Limousine näherte sich. Einer blieb sitzen, zwei Typen stiegen aus, wer es wusste, sah es schon, dass sie die kleinen Maschinenpistolen unter der Jacke hatten. Dummerweise gingen sie zuerst in Richtung auf das Versteck vom Vierschröter zu, der eigentlich die Rückendeckung machen sollte. Der Hauseingang in dem er sich verborgen hatte, führte in ein Haus vor dem außerdem noch ein Baugerüst stand. Da der Große waffenlos war, hatte er sich ein kurzes Stück Metallrohr als Waffe vom Gerüst genommen. Als die zwei Typen auf seiner Höhe waren, schlug er erbarmungslos mit seinem Stahlrohr zu, einer ging mit gebrochenem Genick zu Boden, im Fall drehte er sich noch einmal um und richtete seinen Blick zum Himmel. Der andere erschrak, riss die Maschinenpistole heraus und eröffnete sofort das Feuer, die Eisenstange klirrte auf das Pflaster, der Riese ging im Kugelhagel zu Boden. Der Schütze setzte ein neues Magazin ein, und schoss in seiner Wut weiter, der Körper des Riesen bewegte sich immer noch kriechend zum Schützen, der weiter auf ihn schoss, schließlich umklammerten die Hände des Vierschröters die Beine des Schützen so, dass er ebenfalls zu Boden ging und nicht los kam. Die Hände hatten sich verkrampft, er bekam sie nicht los, der mit der Maschinenpistole schrie irgend etwas in einer unverständlichen Sprache, der Dritte im Bunde stieg aus der schwarzen Limousine und eilte ihm zur Hilfe, in diesem Moment eröffnete Joe das Feuer, der dritte Finsterling zog den Schädel ein, öffnete den Kofferraum und holte eine Axt heraus, er ging geduckt zu den zwei liegenden Gestalten und hackte mit gezielten Schlägen dem gefallenen Riesen die Hände ab. Der Freigekommene und der Andere zerrten ihren, auf dem Pflaster liegenden Mitstreiter, zur Limousine und warfen ihn wie einen Sack Kohlen in den Kofferraum, dann stiegen sie wieder ein, gaben Gas und verschwanden, der auf dem Beifahrersitz schoss noch ein paar mal in Richtung Joe, dieser jedoch erwiderte das Feuer und traf in die Hand des Widersachers, so dass dessen Hand schnell ins Fahrzeug zurückgezogen wurde, die Maschinenpistole auf die Straße fiel und liegen blieb. Der Vierschröter lag in seinem eigenen Blut, zersiebt von Kugeln, sein Gesicht und seinen Schädel konnte man fast nicht mehr erkennen, es war nur noch eine breiige Substanz auf der Straße. Der Körper war ebenfalls zerfetzt, wie von einer Splitterbombe.

Die hinter der Mauer traten zu ihm hin: „Da ist wohl nichts mehr zu machen, er hat sein Leben für uns geopfert, oder fast mehr als das!“ „Ein sehr bitterer Tropfen.“, sagte der Direktor. „Er war mir immer ein guter Mitarbeiter und Freund, in meinem Herzen wird er für immer weiterleben.“ Joe ging zu der Stelle, wo die finsteren Brüder ihre Maschinenpistole hatten fallen lassen, hob sie auf und steckte sie unter die Jacke. Die anderen sahen ihn an.

„Bei solch einem unsicheren Tagesablauf, wie wir ihn in letzter Zeit hatten, ist es besser, so einen kleinen Spaßmacher bei sich zu haben!“ „Möchte bloß nicht gerade jemand gesehen haben, könnten ins Gerede kommen.“, brummelte der Onkel vor sich hin. „Ach so, ins Gerede kommen, na wenn das Deine ganze Sorgen sind, freue ich mich für Dich.“ „Jetzt sei doch nicht so albern, Du weißt doch, wie ich das meine. Übrigens, was machen wir mit ihm?“, er deutete mit dem Kopf in Richtung der Überreste des Toten. „Ich denke Polizei anrufen, bleibt gar nichts anderes übrig, das hat bestimmt sowieso schon alles jemand beobachtet. Ihr dachtet doch wohl nicht, dass in der ganzen Häuserzeile niemand da ist und keiner die Schießerei gehört hat?“ „Nee, wir sind überfallen worden und fertig fürs erste!“

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Durch die Nacht fuhr ein Lastwagen, dunkle Abgase hinter sich herziehend, passierte einen Wegweiser an dem zwei Ortsnamen in kyrillischer Schrift angeschlagen waren, im Führerhaus schaukelte der Fahrer hin und her, das Gesicht wurde von einer brennenden Zigarette matt beleuchtet. Das Radio lag in den letzten Zügen, es klangen noch Akkorde einer russischen Rockgruppe durch. Der Laster fuhr durch die Kurven, ohne sein Tempo im geringsten zu vermindern. Irgendwann nahm der Weg ein Ende, der Fahrer wollte das Radio noch lauter drehen, jedoch die höchste Lautstärke war schon eingestellt. Im Dunkel tauchte ein schlossartiges Gebäude auf, es war schön anzuschauen mit seinen Verzierungen, Bögen und Türmchen. Der Laster erwischte die Kurve nicht ganz, es gab ein bösartig kratzendes Geräusch, dem ein mittleres Gepolter folgte. Das waren die Steine von der Säule seitlich der Einfahrt. Müsste eben mal wieder repariert werden, wie so einiges hier in der Gegend, dachte der Fahrer. Beim Näherkommen bemerkte man den Zahn der Zeit, der auf das Gebäude eingewirkt hatte. Außerdem war das Wetter in diesem Teil Russlands jedweder Bausubstanz nicht gerade zuträglich, und die wilden Zeitenläufe taten ein Übriges. Der Fahrer sprang vom LKW: „Fjodor Michalowitsch, wo sind Sie? Hier kommt mal wieder die Lieferung, schneller wäre es nicht gegangen! Sonst hätte ich dem alten SIL wahrscheinlich endgültig die Achse gebrochen.“ „Trag nur nicht zu dick auf, es möchte mal jemand Anstoß daran nehmen.“ Der Sprecher stand im abgedunkelten Bogen der Eingangsflügeltür, so dass er nicht richtig zu erkennen war, nur seine stechenden Augen waren im Widerschein des Mondlichtes zu erkennen. „Komm erstmal hinein und rede hier draußen nicht zu viel herum, man kann nie wissen.“ Sie gingen in das kleine Schloss hinein, wenn man den inneren Zustand betrachtete, war der Äußere gerade noch schön dagegen zu nennen. Auf den ersten Blick hat es den Anschein, als hätten hier gestern noch zwei feindliche Heere gekämpft und ein paar verirrte Granaten hätten dem Schloss ihren Stempel aufgedrückt. Der Putz hatte sich von den Wänden gelöst, so dass man die Ziegelstruktur gut erkennen konnte, die Dielenböden waren teilweise durchgebrochen, und einfach mit Bohlen überdeckt worden, die Geländer waren marode, in allem wütete der Holzwurm. Der Boden war mit Glassplittern und Holzresten bedeckt. Eine ausgetretene Kellertreppe führt in die Tiefe, von dort ertönten metallische Geräusche. Der mit dem stechenden Blick sagte: „Werft alles was Ihr mit habt auf die Kellerrutsche, hoffentlich ist diesmal das Richtige dabei.“ ... Ja Väterchen, was soll ich sagen, es ist diesmal sogar etwas mehr dabei“, meinte der Angesprochene und rieb sich das Kinn. Fjodor Michalowitsch's Blick wurde zunehmend finsterer: „ Was meinst Du damit?“ „Mir sind leider durch äußere Umstände einige Fahrgäste abhanden gekommen, aber eine gewisse Dame wollte unbedingt unseren Landsitz besuchen, da dachte ich...!“ „Du verteufelter Narr, hatte ich Dir nicht ein für alle Mal verboten, irgendwelche unbrauchbaren Leute anzuschleppen? Du musst endlich mal aufhören in Deinem kleinkriminellen Schema zu denken und versuchen Deine Zeit in Moskau zu vergessen!“ „Ganz wie Ihr wünscht Väterchen!“ „Sprich mich in Herrgotts Namen nicht so an“, grollte Fjodor jedoch schon viel sanfter gestimmt durch die hündische Unterwürfigkeit seines Fahrers „eine Dame, das brauche ich jetzt gerade noch!“ „Ja aber eine die vielleicht weiß, wo dieser Deutsche Doktor zu finden ist!“ „Pack sie in Nummer acht, da hört sie keiner! Also los, ich geh schon mal runter und warte auf das Zeugs. Wo sind übrigens die anderen Leute die mit waren?“ „Einer ist in dem Haus vom verrückten Doktor verschwunden und nicht wieder aufgetaucht, einen haben der Doktor und sein Gehilfe zur Hölle geschickt und der Victor liegt mit durchschossener Hand auf dem LKW!“

Fjodor Michalowitsch's Gesichtszüge verfinsterten sich wieder, das waren einige seiner besten Männer, denen das widerfahren war: „Ist an den Grenzkontrollpunkten alles klar gegangen?“

„Ja Väterchen, sie sind beide in versiegelten Transportkisten herübergekommen, es wurde auch nichts kontrolliert, die sind schon an mich gewöhnt.“ Die stechenden Augen setzen ihren Gang auf der Kellertreppe fort. Die Treppe lief in einen gewölbten Gang aus, an dessen Ende weitere Stufen in die Tiefe führten. Bis zu einer Art Großgewölbe, dass an eine Maschinenhalle erinnerte. Vordergründig füllte den Raum ein rostiges gusseisernes Ungetüm, von erstaunlichen Ausmaßen, wahrscheinlich die ehemalige Heizung und Versorgung des Gebäudes. Im Hintergrund war alles hell erleuchtet und man sah dort Leute arbeiten. Fjodor ließ einen kurzen Blick hinübergehen, und winkte zwei Gehilfen. Sie folgten ihm in einen weiteren Gang, von dem wieder mehrere eiserne Türen abgingen. Auf der gegenüberliegenden Seite, kamen schon die Kisten der kleineren Art herunter. „Schickt mir mal jemand zum zum Helfen hoch, da unten seid Ihr doch sicher genügend!“ Einer wurde nach oben geschickt, dem überlasteten Fahrer bei den größten Kisten zu helfen. Es war noch eine Weile laut, dann stand alles aufgestapelt im Gang, und sie konnten darangehen die zwei bestimmten Kisten zu öffnen. Die Insassen waren mit einem Serum ruhig gestellt, was bei dem einen aus medizinischen Gründen auch zwingend nötig war, und bei dem anderen überflüssige Fragen ersparte. Sie hatten den Transport gut überstanden und schliefen noch. Die weibliche Personen kam also nach Nummer acht, das war eine kleine Katakombe ziemlich am Ende des Gewölbes gelegen. Sie schleppten sie zusammen dorthin. Es war die Wirtin vom Roten Auerhahn. In der Katakombe bekam sie das Gegenmittel injiziert, als sie gleich darauf wieder zu sich kam, konnte sie sich nicht orientieren. In dem dunklen fensterlosen Verlies befand sich lediglich eine Pritsche, bestehend aus einem Metallgestell und Holzbrettchen die schon leichter Schimmel überzog. Einer der Bewacher sagte: „Wenn ich Dich komme besuchen, bringe ich feines Wolldeckchen mit, dass Lady nicht friert.“ Fjodor warf ihm einen missbilligenden Blick zu, und machte Handzeichen, dass sie alle gehen sollten. „Sie kennen mich nicht, das brauchen Sie auch nicht, aber ich hoffe, dass Sie mir bald einmal Gelegenheit geben, mich mit einer Geschichte aus dem wahren Leben zu unterhalten. Wir hätten dann beide einen Vorteil daran.“ Fjodor sprach hervorragend deutsch, was man ihm nicht zugetraut hätte. Er war lange Jahre bei einer Ministeriumsaußenstelle in Deutschland beschäftigt gewesen und kannte sich auch mit den dortigen Verhältnissen ganz genau aus. Die jetzt Gefangene war noch vollkommen außer sich und gab keine Antwort. Das war dem Russen auch recht, er drehte sich um und verschloss die eiserne Tür hinter sich. Auf seinem Rückweg ging er an den Stapeln der Kisten vorbei: „Hoffentlich ist es diesmal das Richtige, sonst war der ganze Aufwand und die viele Mühe umsonst.“ Er war schon wieder auf der Treppe, als leise Klaviertöne an sein Ohr drangen. Verträumt hielt er inne, lenkte seine Schritte nach dem Ort von dem die Töne kamen, das war der innere Saal des Schlosses, der wie durch ein Wunder so geblieben war wie einst. Die Zugänge waren wahrscheinlich über Jahrzehnte verschlossen gewesen, dadurch hatte sich alles erhalten, die Deckengemälde waren unbeschädigt, die goldenen Verzierungen noch vorhanden, ein altes Klavier stand noch da, und auch einiges traditionelles Mobiliar. Dahinter lagen noch einige Zimmer in denen seine zwei Nichten wohnten, die spielten jetzt allerliebst Klavier. Ach dieses Klavierspiel wirkte so beruhigend auf seine tiefe russische Seele, er hätte stundenlang zuhören können. Anwesend waren noch einiger seiner Offiziere, wie er sie nannte, die im wirklichen Leben aber keiner Armee mehr angehörten. Sie hatten bei ihm ein Unterkommen gefunden und dienten ihm mit ihren Fähigkeiten. Eigentlich sehnte er sich den Tag herbei, an dem er mit dem allen hier abschließen könnte, und vielleicht mit seinen Nichten viel reisen würde, in jene Gegenden wo er das Wetter besser vertrug und zum Ende nicht selber aussehen würde wie sein altes Schloss. Er verscheuchte die lästigen Vorstellungen und begab sich zu dem Publikum, dass der musikalischen Darbietung lauschte. In einer Ecke fand sich noch ein Platz. Fjodor selbst erstaunte es immer wieder, dass es diesen Raum in diesem Zustand überhaupt gab, und es erschien ihm immer wieder aufs Neue wie ein Wunder. Manchmal war ihm, als könnte die ganze Pracht und Herrlichkeit inklusive aller Anwesenden doch ein Zauber sein. So konnte man wenigstens noch erahnen, wie es hier einmal in längst vergangenen Zeiten ausgesehen hatte. Was sollte er bloß mit dieser Person im Keller anfangen? Eigentlich hatte er an seinen zwei Nichten schon genug, alles in seiner so genannten Haushaltung drehte sich um die holde Weiblichkeit, da hatte man Mühe die Zügel in der Hand zu behalten. Dann hatte man sie ausgerechnet hierher gebracht, wo er so wenig wie möglich auffallen wollte, was wusste diese Person überhaupt? Aber man hatte ja gewisse Methoden gegen Verschwiegenheit! Morgen wird er sich einmal seinen so genannten Fachleuten zuwenden, die ihm jeden Tag aufs neue versprachen, endlich zu einem Ergebnis zu kommen, so konnte das einfach nicht mehr weitergehen. Die Aktionen wurden immer umfangreicher und seine Geldgeber hatte er gerade noch so im Griff. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Ganz davon zu schweigen, das eventuell durch gewisse Vorfälle die Polizei vielleicht doch die Spur in die russische Einöde finden würde. Sehr, sehr unangenehm war das alles, man sollte gewisse Vorkehrungen treffen, dass später nicht wie man so schön sagt: der Bart ab war. Fjodor ließ sich erst einmal einen ordentlichen Wodka einschenken, und spülte seine Gedanken eine Etage tiefer.

Der Weg in das Morgen

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