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Wie alles anfing


Kleine Ursache, große Wirkung: So verhielt es sich mit dem Lärm, den eine Stockente am 5. Juni 1995 verursachte, als sie die gläserne Fassade des Naturhistorischen Museums von Rotterdam unsanft berührte, tot zu Boden stürzte und anschließend längere Zeit von einem Art- und Geschlechtsgenossen „vergewaltigt“ wurde. Zum Glück war ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort und wurde so Augenzeuge des – wie sich später herausstellen sollte – ersten Falls von homosexueller Nekrophilie bei Stockenten. Der wissenschaftliche Artikel, den ich dazu verfasste und für den ich mit dem Ig®-Nobelpreis ausgezeichnet wurde, brachte mir nicht nur den Spitznamen „Duck Guy“ (Entenmann) ein, sondern auch internationale Bekanntheit als Beobachter außergewöhnlicher Verhaltensweisen bei Tieren. Es fasziniert mich in der Tat, zu sehen, wie und auf welche Weise Tiere uns und unser vermeintliches Wissen über ihre Verhaltensweisen immer wieder widerlegen. Dafür sind meine Augen und Ohren stets offen!

Seit jenem Tag im Juni erhalte ich aus dem In- und Ausland immer wieder Meldungen über Tiere, die sich eigenartig verhalten (haben), über Menschen, die sich damit beschäftigen, oder Hinweise auf (oftmals skurrile) Publikationen über solche Dinge. Mittlerweile wage ich zu behaupten, dass sich kein Tier auf diesem Planeten danebenbenehmen kann, ohne dass ich informiert werde. Ich reise dann dorthin, studiere den Fall und versuche, mehr darüber herauszufinden. So habe ich in den letzten 20 Jahren zahlreiche Entdeckungen gemacht, deren interessanteste in diesem Buch zusammengefasst sind. Zum Beispiel habe ich herausgefunden, dass Nekrophilie (bei Tieren) viel häufiger ist, als gemeinhin angenommen wird, und Stockenten in dieser Sparte unangefochtene Rekordhalter sind. Andere erstaunliche Verhaltensweisen, die der Öffentlichkeit viel zu lange verborgen geblieben sind (und deshalb in diesem Buch zu Recht thematisiert werden), sind Pädophilie unter Strandläufern, die Paarung von Käfern mit leeren Bierflaschen und der Oralverkehr, zu dem ein Schimpanse eine Riesenkröte zwang. Auch der abgewiesene Kiebitz, der seinen Samen frustriert auf einen Grasbüschel ergoss, erhielt einen Platz in diesem Buch.


2017 wurde beim 22. Dead Duck Day endlich wieder ein neues Nekrophilie-Opfer präsentiert. (Maarten Laupman)

Doch auch auf die Gefahr hin, dass zahlreiche Leser jetzt enttäuscht sein werden, sei an dieser Stelle erwähnt, dass dieses Buch nicht nur von Sex handelt: Von den insgesamt 15 Kapiteln spielen sich lediglich fünf teils oder ganz unter der Gürtellinie ab, die anderen sieben deutlich darüber. Das sollte aber niemanden davon abhalten, weiterzulesen.

Die Beobachtungen und Erkenntnisse, die ich in diesem Buch beschreibe, stehen oft in direktem Zusammenhang mit meiner Arbeit für das Naturhistorische Museum von Rotterdam – erst als Konservator, später als Direktor. Ob missbrauchte Stockente, seniler Fasan, geköpfte Taube, verirrte Wasserralle, berühmter Sperling oder letzte Filzlaus – dabei geht es um tote Tiere mit einer erstaunlichen Geschichte, denen, mit einer Nummer versehen, ein Platz in der Sammlung des Museums sicher ist.

Doch nicht alle Tiere, über die ich hier schreibe, sind leblos und konserviert worden. Verrückte Amseln, die sich Scheingefechte mit Fensterscheiben liefern, wird es immer geben. Und auch die Nachtreiher von Rotterdam und die Mäusebussarde von Manhattan sind am Leben. Gleiches gilt zum Glück auch für jene aufmerksamen Menschen, die eine ebenso wichtige Rolle in diesem Buch spielen.


Die Verkündung des Entenmenüs am Dead Duck Day 2017. (Maarten Laupman)

DEAD DUCK DAY

Mit einem Scherz fing alles an: Am 5. Juni 1996 stellte ich mich um 17.55 Uhr mit einem Kollegen, einer ausgestopften Stockente und einer Flasche Bier vor die gläserne Fassade des Naturhistorischen Museums von Rotterdam. Dorthin, wo genau ein Jahr zuvor das Leben der besagten Ente unsanft ein Ende gefunden hatte. Das wirklich Besondere an dem durchaus tragischen Todesfall aber folgte erst danach. Denn unmittelbar nach dem fatalen Aufprall wurde der tote Erpel von einem Art- und sogar Geschlechtsgenossen längere Zeit missbraucht. Ein Vorfall, den ich rein zufällig beobachtete. Meine Notizen darüber landeten in der Schublade, die Ente in der Museumssammlung. Seitdem trage ich den Vogel mit Eingeweihten jedes Jahr am 5. Juni um genau 17.55 an den Ort, an dem er so abrupt zu Tode kam. Den Tag, an dem die kurze Gedenkveranstaltung stattfindet, nannten wir „Dead Duck Day“1.

Als die Stockente – nach Veröffentlichung des Artikels mit dem Titel „The first case of homosexual necrophilia in the mallard” und der anschließenden Auszeichnung mit dem Ig®-Nobelpreis – eine gewisse Bekanntheit erlangt hatte, wurde die Welt auch auf den Dead Duck Day aufmerksam. Dadurch geriet der Tag zu einer öffentlichen Gedenkveranstaltung. Immer mehr Menschen versammeln sich von Jahr zu Jahr unter der Gedenktafel an der Fassade des Museums. Heute ist die Veranstaltung weit mehr als nur eine Gedenkfeier. Denn an diesem Tag trägt eine bekannte Persönlichkeit die „Special Dead Duck Day Message“ vor, es wird die „Dead Duck Day Modelinie“ präsentiert, ich verkünde die letzten Nekrophilie-News und – das Wichtigste überhaupt – es werden Ideen darüber ausgetauscht, wie sich verhindern lässt, dass Vögel sich an Glasfenstern und -fassaden zu Tode fliegen. So lenkt der Dead Duck Day die Aufmerksamkeit auf die Milliarden von Vögeln, die alljährlich an gläsernen Gebäuden zerschellen. Am Ende der Veranstaltung setzt sich der Trauerzug samt Stockente in Bewegung, um den Tag im Restaurant Tai Wu mit einem Sechs-Gänge-Entenmenü ausklingen zu lassen. Dazu ist jeder eingeladen. Der Eintritt ist frei, die Rechnung für das Essen trägt jeder selbst.

1 In seinem 1998 erschienenen Roman About a boy missbraucht der britische Autor Nick Hornby den Begriff „Dead Duck Day“.

Der Entenmann

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