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2.

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Für ein paar Sekunden blieben die Männer ruhig stehen, ohne sich anmerken zu lassen, daß sie den unbekannten Beobachter bemerkt hatten.

„Ein Indianer?“ fragte Hasard leise.

„Nein, ein Weißer. Glaube ich jedenfalls“, schränkte Dan ein. „Ziemlich jung. Besonders kampflustig sah er nicht aus.“

„Sehr beruhigend“, sagte Hasard sarkastisch. „Also sehen wir uns den Burschen mal an. Oder wollt ihr lieber erst Verstärkung holen?“

Er grinste, als er Dans verdattertes Gesicht sah. Ed Carberry brummelte etwas, das sich nach seinem Lieblingsspruch anhörte, bezogen auf den Achtersteven des Unbekannten. Der Seewolf war bereits herumgeschwungen. Ohne Hast ging er auf die Stelle zu, wo er eine Bewegung und Dan ein verängstigtes Gesicht gesehen hatte.

Der Felsengrund wurde hier nur von einer dünnen Schicht Erde bedeckt, die Palmen stürzten um, wenn sie eine bestimmte Höhe erreicht hatten. Hasard flankte über einen der toten Stämme – und in derselben Sekunde wurde es vor ihm im Gebüsch lebendig.

Die Zweige teilten sich.

Wie ein Kastenteufel schnellte eine magere Gestalt hoch, warf sich herum und zeigte die Fußsohlen. Für ein paar Sekunden hatte Hasard das bleiche, schreckverzerrte Gesicht eines Jungen erkannt, der nicht älter als vierzehn oder fünfzehn Jahre sein konnte – jetzt schien das Kerlchen nur noch aus wirbelnden Beinen zu bestehen.

Und noch jemand verwandelte sich von einer Sekunde zur anderen in einen leibhaftigen Wirbelwind: Dan O‘Flynn, der wie ein geölter Blitz hinter dem Jungen hersauste.

Auch Ben Brighton, Ed Carberry und der Seewolf setzten sich in Bewegung. Hasard war grimmig entschlossen, dem seltsamen Zwischenspiel jetzt auf den Grund zu gehen. Er hatte nicht den Kurs geändert und mit der „Isabella“ diese Bucht angelaufen, um sich von einem halbwüchsigen Bürschchen auf der Nase herumtanzen zu lassen.

In einem raumgreifenden, beinahe lässigen Wolfstrab lief er über den felsigen Boden, sprang über ein paar Palmenstämme und überholte mühelos Dan O‘Flynn, der sich mit seinem Laufstil viel zu sehr verausgabte.

Der Flüchtende riß entsetzt den Kopf herum, als er die Schritte des Verfolgers hörte. Seine Augen wurden weit, das schmale Gesicht verzerrte sich vor Schrecken. Immer noch lief er, so schnell er konnte. Aber er hatte für einen winzigen Moment nicht aufgepaßt – und schon verhakte sich sein Fuß hinter einer vorstehenden Felsenkante.

Aufschreiend stolperte er, verlor das Gleichgewicht und stürzte.

Wie eine Katze rollte er herum, wollte wieder hochschnellen und begriff, daß es zu spät war. Hasards Schatten fiel über ihn, auch die anderen Männer stürmten heran. Mit einem schluchzenden Laut ließ sich der Junge zurückfallen und hob schützend die Arme vor das Gesicht, als fürchte er, geschlagen zu werden.

„Gracia! Gracia! No matar! Por favor …“

Die helle Stimme überschlug sich. Zitternd blieb der Junge liegen, jeder Muskel und jede Sehne seines mageren Körpers war so krampfhaft angespannt vor Furcht, daß sie deutlich unter der Haut hervortrat.

„No matar!“ wiederholte er wimmernd. „Nicht töten …“ Helles Entsetzen flackerte in den aufgerissenen Augen, als der Seewolf sich über ihn beugte und nach seiner Schulter griff.

„Tranquilo …“ Ohne darüber nachzudenken, verfiel Hasard ins Spanische, da auch der Junge diese Sprache gesprochen hatte. „Ruhig, Muchacho …“

Er versuchte, dem Kerlchen auf die Beine zu helfen, doch die hagere Gestalt krallte sich förmlich in den Boden. Kopfschüttelnd wandte sich der Seewolf Ben Brighton zu. „Ganz schön fertig, der Kleine! Er muß irgendeinen Schock abgekriegt haben.“

„Sieht ganz so aus. Ich denke …“

Der Junge ließ die Hände sinken, die er vor das Gericht geschlagen hatte.

Er zitterte immer noch, als er sich halb herumwälzte. Seine Lider zogen sich so weit auseinander, daß das Weiß der Augäpfel schimmerte.

„Ihr – ihr seid gar keine Spanier?“ stammelte er, jetzt auf Englisch.

„Ha!“ schrie Ed Carberry. „Sehe ich vielleicht wie ein gottverdammter Don aus, was, wie? Wenn du mich beleidigen willst, ziehe ich dir die Haut in Streifen …“

„Jetzt halt mal die Luft an, Ed!“ sagte Hasard. „Wir sind Engländer“, wandte er sich an den Jungen. „Du hast nichts von uns zu befürchten. Wir haben die Rauchzeichen gesehen und glaubten, daß vielleicht jemand Hilfe braucht.“

Der Junge schluckte.

Jetzt endlich ließ er sich von Hasard aufhelfen, aber besonders sicher stand er nicht auf den Beinen. Scheu wanderte sein Blick von einem zum anderen und blieb schließlich an dem großen, schwarzhaarigen Mann mit den eisblauen Augen hängen.

„Warst du es, der die Rauchzeichen gegeben hat?“ fragte Hasard.

Das Kerlchen nickte. „Ja, das war ich. Aber dann – dann konnte ich das Schiff deutlicher sehen und dachte, es sei ein Spanier. Ich kenne die Dons. Lieber will ich sterben, als denen noch einmal in die Hände zu fallen …“ Seine Stimme versagte, und wie ein Krampf lief es über seine Schultern. „Ich heiße Bill“, fügte er leise hinzu.

Hasard lächelte, als er seinen Namen nannte. Die Augen des Jungen wurden groß.

„Sie – Sie sind der Seewolf?“ flüsterte er.

„Du kennst mich?“

„Jeder in der Karibik kennt Sie, Sir!“ Das war zwar übertrieben, aber immerhin traf es für jeden zu, der in der Karibik Schiffsplanken unter den Füßen hatte. Für einen Moment leuchtete der Blick des Jungen auf, doch dann verdüsterte sich sein Gesicht wieder. „Wir sind auch Engländer“, sagte er heiser. „Wir hatten schon die Hoffnung aufgegeben, jemals wieder auf Landsleute zu treffen.“

Hasard horchte auf.

„Wir?“ echote er gedehnt. „Ihr seid mehrere?“

„Nur mein Vater und ich. Er ist krank. Seit wir von der spanischen Galeone geflüchtet sind, hat er sich nicht mehr erholt. Ich weiß nicht, was mit ihm los ist, ich …“

Bills Stimme erstickte. Tränen schossen ihm in die Augen – Tränen, die er nicht zurückhalten konnte, obwohl er verzweifelt versuchte, sich zusammenzunehmen. Hasard ahnte, daß sich hier eine Tragödie abgespielt haben mußte. Auch die anderen schwiegen betroffen. Nicht einmal dem rauhbeinigen Carberry wäre es eingefallen, einen seiner berüchtigten Sprüche vom Stapel zu lassen.

„Nun heul mal nicht gleich“, knurrte er gutmütig. „Wird schon wieder werden. Wir sehen uns mal an, was da los ist, oder?“

Hasard nickte nur und legte dem schluchzenden Jungen beruhigend die Hand auf die Schulter. Bill schluckte und fuhr sich über das nasse Gesicht.

„Es ist nicht weit“, sagte er. „Dort drüben zwischen den Büschen und dem Palmenhain.“

Er ging voran. Hastig, ab und zu stolperte er. Das Zucken der schmalen Schultern verriet, daß er immer noch gegen die Tränen kämpfte.

Schweigend folgten ihm der Seewolf und seine Männer. Der Wald schob sich an dieser Stelle wie ein dunkler Keil auf den Strand zu, und sie mußten einen Streifen Dickicht durchqueren. Bill wandte sich um, als er ein paar Schlingpflanzen auseinanderbog und einen schmalen Pfad einschlug.

„Ein Schweinesteig“, erklärte er. „Es gibt Wildschweine hier. Und Früchte in Hülle und Fülle. Es ist auch ein Dorf in der Nähe.“

„Und wie verhalten sich die Eingeborenen zu euch?“

„Sie sind freundlich. Aber wir haben nicht gewagt, bei ihnen unterzuschlüpfen. Die Dons gehen manchmal auf Jamaica an Land und durchstreifen die Dörfer.“

Die Dons!

Hasard dachte an seine eigenen Erlebnisse mit den Spanieren, die wie eine Gottesgeißel über die Eingeborenen der neuen Welt hergefallen waren, ganze Völkerschaften versklavt hatten und blutigen Terror verbreiteten.

Englische Freibeuter, ausgestattet mit Kaperbriefen der Königin, hatten ihnen im Laufe der Zeit erheblichen Schaden zugefügt. Wo immer die Spanier hier in der Karibik eines Engländers habhaft wurden, nahmen sie blutige Rache, und Hasard konnte die Furcht des mageren schwarzhaarigen Jungen durchaus verstehen.

Inzwischen hatten sie den Waldstreifen hinter sich. Das Dickicht wurde lichter, grüngoldene Sonnenflecken tanzten über den Boden. Auch hier schien die Luft zu kochen. Das Rauschen und Murmeln eines kleinen Bachlaufs erklang, Myriaden von Insekten summten. Die Wipfel eines Palmenhains wiegten sich sacht im Wind.

Die Hütte im Schatten zwischen den schlanken Stämmen war erst auf den zweiten Blick zu sehen.

Eine primitive Hütte. Fensterlos, gedeckt mit einem geflochtenen Dach aus Palmblättern. Zum Schutz gegen Schlangen ruhte sie auf einem einfachen Pfahlgerüst. Im Innern der Behausung mußte die Hitze unerträglich sein, denn der Bewohner kauerte halb, halb lag er vor der Hütte auf dem Boden.

Beim Geräusch der Schritte hatte er versucht, sich aufzurichten – jetzt sank er kraftlos gegen den Holzbalken zurück.

Sein Atem rasselte. Ein dichter grauer Vollbart bedeckte den unteren Teil des ausgezehrten Gesichts, die tief eingesunkenen Augen waren rot und entzündet. Flatternd hob sich seine Hand zu einer Geste, als er den schwarzhaarigen Jungen erkannte. Bill lief mit einem erstickten Laut auf den alten Mann zu und sank neben ihm auf die Knie.

„Vater! Ich habe Hilfe gebracht. Es sind Engländer, Vater! Es ist der Seewolf!“

Der alte Mann hob den Blick.

Einen unendlich müden Blick, erschöpft und wie ausgebrannt. Er sah Ben Brighton an, den blonden Dan O‘Flynn, den eisenharten Profos mit seinem zernarbten Gesicht, schließlich den Seewolf. Fast eine volle Minute schien der Alte zu brauchen, um den Anblick der vier Männer in sich aufzunehmen, und dann war es, als würden seine leeren Augen noch einmal von einem letzten Aufflacker des schon ersterbenden Lebensfunkens erhellt.

„Der Seewolf“, flüsterte er. „Engländer – dem Himmel sei Dank.“

Seine Lider schlossen sich, als hätten die Worte den letzten Rest seiner Kraft verbraucht. Der Junge neben ihm schluchzte leise, und Hasard fühlte, wie sich etwas in ihm verkrampfte, als er Bills fragendem Blick begegnete.

Auch die anderen schwiegen erschüttert.

Denn genau wie der Seewolf hatten sie nur einen einzigen Blick gebraucht, um zu sehen, daß der bärtige alte Mann bereits vom Tode gezeichnet war, daß nichts und niemand ihm noch helfen konnte.

Auch Bill wußte, daß sein Vater sterben würde. Seine Tränen bewiesen es, und dennoch brannte noch etwas wie ein Hoffnungsfunke in seinen Augen, wehrte sich sein Bewußtsein gegen die Endgültigkeit der Erkenntnis. Er starrte den Seewolf an, als erwarte er ein Wunder von ihm.

Hasard biß die Zähne zusammen.

„Lauf zum Strand zurück, Dan“, sagte er gepreßt. „Hol den Kutscher!“

Dan O‘Flynn nickte nur und sprang auf. Er wußte so gut wie die anderen, daß auch der Kutscher, Koch und Feldscher auf der „Isabella“, den alten Mann nicht mehr retten konnte. Aber Hasard wollte wenigstens versuchen, dem Kranken zu helfen – und wenn auch nur, damit Bill das Gefühl hatte, daß alles Menschenmögliche für seinen Vater getan worden war.

Der Junge blickte Dan nach, der wie eine Katze zwischen den Büschen verschwand. Auch der Alte hatte jetzt wieder die Augen geöffnet. Augen, die fiebrig glänzten und deren Blick Hasards Gesicht suchten.

Der Seewolf ging neben der ausgemergelten Gestalt in die Hocke. Der unruhige Blick des Alten sog sich an ihm fest, die trockenen, aufgesprungenen Lippen bewegten sich. Er hatte etwas auf dem Herzen. Er wollte reden, und noch einmal sammelte er seine schwindende Kraft zu einer letzten Anstrengung.

Schweigend und gebannt lauschten die Seewölfe der schwachen, brüchigen Stimme, die ihre traurige Geschichte erzählte.

Bill und sein Vater waren auf der „Sea Eagle“ gefahren: der Alte als Bootsmann, der Junge als Moses.

Ein Unstern schien über dem Schiff zu stehen von Anfang an. Das begann damit, daß im Sturm eine Rah vom Mast gerissen wurde, einen Decksmann erschlug und in zwei Teile brach. Wußte nicht jeder Seemann, daß eine gebrochene Rah bedeutete, auch das Schiff werde noch vor dem Ende der Reise in zwei Teile brechen? Der Mannschaft gelang es, den Schaden mit Bordmitteln zu reparieren, bis sie die nächste Insel anlaufen und eine neue Rah riggen konnten.

Zwei Wochen später gerieten sie in eine Flaute. Das Trinkwasser ging zur Neige, und als endlich wieder eine Brise wehte, waren die Männer schon halb wahnsinnig vor Durst. Sie nahmen Kurs auf Antigua. Die „Sea Eagle“ lief eine Bucht an, um Wasser zu mannen – und viel zu spät bemerkten sie die beiden spanischen Schiffe, die dicht unter Land auf sie lauerten.

Noch heute flackerten die Augen des alten Bootsmanns auf, als er sich an das Verhängnis erinnerte, das über die „Sea Eagle“ hereingebrochen war.

Der erste Spanier feuerte eine Breitseite ab, bevor die erschöpften, vom Durst gepeinigten Engländer es auch nur schafften, die Geschütze zu bemannen.

Die „Sea Eagle“ wurde unter der Wasserlinie getroffen. Ihr Schicksal war besiegelt. Es hätte der Brandpfeile gar nicht mehr bedurft, die der zweite Spanier dem hilflos treibenden Opfer in die Takelage schoß.

Eine einzige Breitseite konnte die „Sea Eagle“ noch abfeuern.

Einem der Spanier wurden Bugspriet und Blinde zerfetzt. Er revanchierte sich, indem er die „Sea Eagle“ regelrecht zusammenschoß. Und das böse Vorzeichen bewahrheitete sich: genau wie die Rah brach das Schiff in zwei Teile auseinander, bevor es sank.

Der größte Teil der Besatzung kam ums Leben.

Wenige nur wurden aus dem Wasser gefischt, darunter auch Bill, der Schiffsjunge, und sein Vater. Aber sie wußten, daß sie keinen Grund hatten, dem Schicksal für die Rettung zu danken. Dem Schicksal nicht und am allerwenigsten den Spaniern, die von Anfang an keinen Zweifel daran ließen, was die Engländer bei ihnen erwartete.

Schon daß es die „Sea Eagle“ überhaupt gewagt hatte, sich zu wehren, legten die Sieger als Verbrechen aus. Ein arroganter spanischer Kapitän befahl, jeden der Gefangenen mit dreißig Peitschenhieben zu bestrafen – und von da an begann für die kleine Gruppe der Engländer die Hölle.

Sie wurden zum Borddienst auf der spanischen Galeone gepreßt.

Und die Spanier ließen sie spüren, was es hieß, das Leben rechtloser Sklaven führen zu müssen. Wo immer sich die Gelegenheit bot, wurden die Engländer schikaniert und geschlagen. Jede unangenehme oder gefährliche Arbeit wurde unweigerlich den Engländern aufgehalst. Wo immer es Schwierigkeiten gab, irgendwelche Fehler passierten – die Engländer waren schuld und wurden bestraft.

Sie ertrugen diese Hölle, weil sie gar keine andere Wahl hatten, aber eines Tages trat der Augenblick ein, daß es selbst dem besonnenen alten Bootsmann zuviel wurde.

Einer der Spanier stieß den jungen Bill brutal mit Füßen, weil der ihm angeblich im Weg gewesen war.

Der alte Bootsmann sah es, und etwas in ihm schien zu zerbrechen. Mit einem wilden Schrei sprang er dem Spanier an die Kehle. Er hätte ihn wohl wirklich erwürgt, wenn nicht ein Dutzend anderer Dons dazwischengegangen wäre.

Wegen Meuterei sollte der Alte hängen.

Im Morgengrauen wollte man ihn an die Großrah knüpfen. Und Bill sollte seinen Vater eigenhändig hochziehen. Wenn er sich weigere, erklärte der Kapitän kalt, werde man ihn vor die nächste Kanone binden und sie abfeuern.

Für Bill und seinen Vater ging es nur noch ums nackte Überleben.

Die Galeone segelte gerade an der Küste von Jamaica vorbei. Bill setzte alles auf eine Karte. Mit einem Belegnagel schlug er zwei spanische Wachtposten nieder, nahm einem von ihnen den Schlüssel zur Vorpiek ab, wo sein Vater eingesperrt war, und tatsächlich gelang es den beiden Engländern, in einem unbewachten Moment über Bord zu springen.

Wie sie es in ihrem geschwächten Zustand schafften, an Land zu schwimmen, begriffen sie hinterher selbst nicht mehr.

Der Alte brach zusammen, kaum daß sie den Strand erreicht hatten.

Bill wußte, daß sie Hilfe brauchen würden, wenn sie am Leben bleiben wollten. Mit der Kraft der Verzweiflung schlug sich der Junge durch die Wildnis, bis er auf ein Dorf stieß. Er war nicht einmal mehr fähig, zunächst abzuwarten, zu beobachten und nach einer Möglichkeit der Verständigung zu suchen. Er torkelte einfach mitten auf den Dorfplatz, und bevor er das Bewußtsein verlor, konnte er den Indianern gerade noch durch Zeichen erklären, daß ein weiterer Mann unten am Strand liege.

Die beiden Flüchtlinge hatten Glück.

Auf der Galeone war ihr Verschwinden inzwischen entdeckt worden, die Spanier suchten das Wasser ab, und die Eingeborenen zogen daraus die richtigen Schlüsse. Sie haßten und fürchteten die Dons, unter denen sie schon viel gelitten hatten.

Da die beiden Engländer offenbar als Feinde Gefangene der Spanier gewesen waren, wurden sie von den Eingeborenen als Freunde betrachtet. Sie wurden versteckt, gesundgepflegt und mit allem versorgt, was sie brauchten. Bill, der über die Zähigkeit der Jugend verfügte, erholte sich schnell wieder. Auch seinem Vater schien es zunächst besser zu gehen – aber er wurde nie wieder ganz der Alte, irgend etwas tief in ihm schien zerbrochen zu sein.

Hilflos mußte Bill zusehen, wie sein Vater immer mehr verfiel.

Als wieder einmal – wie schon häufiger – ein spanisches Schiff in die Bucht segelte und die Dons die Dörfer durchstreiften, halfen die Eingeborenen ihren Gästen, die Hütte in der Nähe des Strandes zu bauen. Hier waren sie sicher, hierher würde sich bestimmt kein Spanier verirren.

Aber zu diesem Zeitpunkt war der alte Bootsmann schon von einer rätselhaften Krankheit gezeichnet.

Er brauchte Hilfe, und zwar ein Schiff, das sie an einen Ort brachte, wo es Ärzte gab und der alte Mann die Behandlung erhalten konnte, die er brauchte. Nur durfte das Schiff kein Spanier sein! Aber außer den Spaniern kreuzten fast nur noch Piraten in der Karibik, und es war nackte Verzweiflung gewesen, die Bill schließlich veranlaßt hatte, dem nächstbesten Segler, den er sichtete, Rauchzeichen zu geben.

Es war eine glückliche Fügung, daß ausgerechnet die Männer der „Isabella“ die Signale sichteten.

Eine glückliche Fügung, die sich aber zu spät anbot.

Für den alten Bootsmann gab es keine Hilfe mehr. Seine Kraft war verbraucht, sein Lebenswille gebrochen. Er wußte, daß er sterben würde, und in seiner brüchigen, immer leiser werdenden Stimme lag schon etwas von der majestätischen Ruhe des nahen Todes.

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 75

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